Jakob Lorber

Großes Evangelium Johannes - Band 3

Ein Buch der Offenbarungen Jesu durch Jakob Lorber

Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre. Durch das Innere Wort empfangen von Jakob Lorber. Nach der Siebten Auflage.

Copyright © 2000 by Lorber-Verlag, Hindenburgstraße 5, D-74321 Bietigheim-Bissingen.

Inhaltsverzeichnis

Zum Gesamtverzeichnis

1. Das Orakel zu Delphi.

2. Von Erscheinungen höherer Wesen.

3. Über die Bestimmung und Entwicklung des Menschen.

4. Anordnung Jesu in Sachen der Räuber.

5. Bedrohung der Pharisäer durch Julius.

6. Meinungsaustausch zwischen den Pharisäern und Julius über Jesus.

7. Des Pharisäers Bekenntnis von dem Glaubenszwange des Tempels.

8. Die Bedingungen Jesu bei der Aufnahme der Jünger.

9. Die Vorteile der Selbstverleugnung.

10. Bedürfnisse und deren Übel.

11. Über den Grund der Sündflut.

12. Missionswinke.

13. Noah und die Arche.

14. Wie man die irdischen Schätze betrachten und nützen soll.

15. Über den rechten Weg zum Vollendungsziel der Menschen.

16. Von der Erhöhung Jesu.

17. Von der Willensmacht Jesu und der Freiheit der Menschenseele.

18. Das Aufzeichnen der Reden Jesu.

19. Das Hohelied Salomos.

20. Über das Essen der Gäste beim Morgenmahle.

21. Die Heilung der fünf besessenen Raubmörder.

22. Verzweiflungsreden der Besessenen.

23. Der eigentümliche Seelenzustand der geheilten Besessenen.

24. Vom Unterschied der Seelen für Hellsehende.

25. Mathaels Naturphilosophie.

26. Rede über den Kampf in der Natur.

27. Mathael über das innere Leben des Cyrenius.

28. Mathaels Rede über Gott.

29. Cyrenius Rede über seine Weisheit und Mathaels Antwort darauf.

30. Cyrenius wird von Jesus auf die Reden des Mathael verwiesen.

31. Mathael spricht über den Weg zum Ziele des wahren Lebens.

32. Von der Einheit des ewigen Lebens.

33. Eine Prophezeiung Mathaels.

34. Die fünf Geheilten wollen Jesum bezeichnet haben.

35. Jesus der Held im Kampfe wider den Tod.

36. Jesu Rede über die wahre Gottesverehrung.

37. Julius' Bedenken gegen das Verhör der anderen Verbrecher.

38. Julius verhört die Verbrecher.

39. Suetals Rede über den Tempel und den Heiland von Nazareth.

40. Warum die Angeklagten nach Galiläa kamen.

41. Mathaels Geschichte seiner Schicksale und Heilung.

42. Seele und Geist.

43. Über Leben und Tod.

44. Jesus sorgt für die Gefangenen.

45. Erzählung der Heilung eines Gichtbrüchigen auf der gesegneten Wiese.

46. Suetal berichtet von dem Einfluß des Wunderheilandes.

47. Mathaels und Suetals Reden über Zurechtweisungen.

48. Mathaels Rede über Gesetz und Liebe.

49. Erklärung der äußeren Vorgänge bei Moses.

50. Der zwölfe Zweifel über die Person des Heilandes.

51. Bedenken über die vernommene Göttlichkeit des Nazaräers.

52. Suetals und Ribars Zwiegespräch über die Wunderprobe Raphaels.

53. Die Grundzüge der Lehre Jesu.

54. Ein zweites Wunder nach Ribars Wunsch.

55. Über den Unterschied der Wunder Rahphaels und denen der Magier.

56. Suetal spricht von Jesus.

57. Jesus verspricht den beiden, sie auf den Heiland aufmerksam zu machen.

58. Raphael als starker Fischesser.

59. Gute und böse Eigenschaften bei Zurechtweisungen.

60. Suetal offenbart sich als Schwätzer.

61. Raphaels Belehrung über die Einkehr im eigenen Herzen.

62. Risas Weltweisheit.

63. Hebrams Rede zeigt den Irrtum Risas.

64. Die göttliche Ordnung und unser Weltverstand.

65. Jesus gibt Lebenswinke für Anfänger.

66. Jesu Rede über die geschlechtliche Ordnung.

67. Ausnahmen in Fällen der Geschlechtlichkeit.

68. Über sündhaften Geschlechtsverkehr.

69. Verbesserungsmaßnahmen gegen geschlechtlich Ausschweifende.

70. Fälle einer berechtigten Ehescheidung.

71. Verhaltungswinke für Eheleute und Richter.

72. Prüfung der Brautleute.

73. Raphael zeichnet Jesu Rede über das Geschlechtsleben auf.

74. Suetals Ungeduld und Neugier, Jesus zu sehen.

75. Suetal spricht mit Ribar über das Verhalten des Raphael.

76. Ribars Ahnung von der Anwesenheit Jesu.

77. Wie Gott Sich erkennen läßt.

78. Vernunft und Gefühl.

79. Grund der Verschiedenheit der menschlichen Talente.

80. Ein Verstandesmensch sucht die Liebe.

81. Jesus kündet eine Sonnenfinsternis an.

82. Raphael als Lotse rettet bedrängte Griechen.

83. Folgen der Sonnenfinsternis.

84. Götter und Menschen.

85. Ouran erhält Mathael als Lehrer zugewiesen.

86. Helena, des weisen Griechen edle Tochter.

87. Die Scheinsonne.

88. Der Griechen Furcht vor dem Heilande.

89. Mathaels Teilnahme und Aufklärung.

90. Entstehung und Erklärung der Götternamen der Griechen.

91. Mathael als Mauerbrecher der Heidentempel.

92. Unterschied der Schönheit der Gottes- und der Weltkinder.

93. Zweierlei Liebe zu Jesus.

94. Mathael spricht über die Bewegung der Sterne.

95. Über die Erziehungsmethode im alten Ägypten.

96. Helenas Erwägungen über die Weisheit der Menschen.

97. Über die rechte Zeit und Wirkung der Volksbelehrung.

98. Ourans Gedanken beim Bewußtsein der Gegenwart Jesu.

99. Das Erlöschen der Scheinsonne und dessen Wirkung.

100. Des Menschen hohe Abkunft und Berufung.

101. Helenas Meinung über die Apostel.

102. Mathael erklärt die Namen der drei ersten Sternbilder.

103. Erklärung des vierten bis sechsten Zeichens des Zodiakus.

104. Das siebente, achte und neunte Zeichen des Tierkreises.

105. Erläuterung der drei letzten Tierkreisbilder.

106. Helena fragt nach der Schule des Mathael.

107. Allgemeines über den Zodiakus.

108. Die Meinungen über die Ausbreitung der neuen Lehre.

109. Das Wesen des Judas.

110. Das Suchen nach Gott.

111. Das Vereinigtsein mit Jesus.

112. Wie man Gott danken kann und soll.

113. Die Zukunft der reinen Gotteslehre.

114. Aufschluß über das Erwachen im Geist.

115. Die Folgen der Naturereignisse in Cäsarea Philippi.

116. Des Markus Freude über die Züchtigung der Priester.

117. Tadel der Schadenfreude.

118. Mathael wird Vizekönig.

119. Helena wird Gemahlin des Mathael.

120. Helenas Dank und gute Vorsätze.

121. Über das Wesen Jesu.

122. Vom Wesen der Engel.

123. Die Weisheit der Jarah.

124. Helena über die Priestermacht.

125. Ouran zeigt, wie unbegründet die Furcht der Helena ist.

126. Jarah erzählt von ihren Erfahrungen über die Sterne.

127. Reden über die merkwürdigen Vorkommnisse.

128. Michas lebensweise Auffassung der Vorkommnisse.

129. Mathael gibt Aufklärungen über die Denkwürdigkeiten.

130. Die Missionen und Leiden der Engel.

131. Aller menschliche Sorgengeist wird von Raphael verscheucht.

132. Die Schwierigkeit einer Bekehrung von Priestern.

133. Vom rechten Gottsuchen.

134. Grund der Zerstörung von Cäsarea Philippi.

135. Cyrenius und die Abordnung der Erzpharisäer aus dem abgebrannten Cäsarea.

136. Des Markus Anklage wider den Obersten der Pharisäer.

137. Verhandlung mit den Pharisäern.

138. Cyrenius läßt Zeugen gegen die Pharisäer aus Cäsarea holen.

139. Vom Wesen der Erde und des Mondes.

140. Bericht eines Boten von der Empörung in Cäsarea.

141. Der Bote Herme erzählt sein Erlebnis in der Stadt.

142. Weitere Untersuchungsfragen des Cyrenius.

143. Urteil des Pharisäerobersten über den Heiland.

144. Die Pharisäer urteilen über ihren Obersten und Jesus.

145. Des Cyrenius tiefernste Rede.

146. Der Charakter des Obersten.

147. Die gefälschte Urkunde.

148. Das Bekenntnis des Obersten.

149. Der Oberste Stahar gibt seine Glaubensansichten kund.

150. Raphael und Stahar.

151. Stahars Erlebnis mit indischen Magiern.

152. Stahar erzählt die Ermordung des Hohenpriesters Zacharias.

153. Raphael gibt Erklärungen über die Messiasprophezeiungen.

154. Stahar bekehrt seine Kollegen.

155. Hebrams Rede über das "Neue Licht" von Ewigkeit.

156. Ein Pharisäer spricht über die Verantwortlichkeit des Menschen.

157. Floran philosophiert über Gott.

158. Über Demut und Hochmut.

159. Floran bei Jesus.

160. Floran spricht mit Stahar und den Seinen über Jesus.

161. Florans Bekenntnis vor Jesus und Zeugnis über den Tempel.

162. Die Wege der göttlichen Führungen.

163. Missionswinke für die Arbeiter im Weinberge Jesu.

164. Schiffe mit Gästen in Sicht.

165. Von den Gefahren des Hochmutes.

166. Wiedersehensfreude nach Ankunft der Gäste.

167. Die Weissagungen über die Menschwerdung Jesu.

168. Die Führungen der Menschen und Völker.

169. Das gemeinsame große Mahl bei Markus.

170. Der Widerspruch zwischen Wollen und Tun.

171. Über die Wiedergeburt.

172. Kornelius und Jarah.

173. Die Frage des Kornelius an die Jarah.

174. Die natürliche Sonne.

175. Herzensbildung und Verstandesbildung.

176. Das Schicksal der göttlichen Lehre.

177. Die Würde der menschlichen Willensfreiheit.

178. Des Menschen Anlage und Bestimmung.

179. Die Erinnerung des Kornelius an die Geburt des Heilandes.

180. Wesen und Bestimmung der Engel.

181. Die Schöpfungsphilosophie des Philopold.

182. Die Sphäre des Gehirnverstandes.

183. Der Grund der Menschwerdung Jesu.

184. Die Herzenssprache.

185. Über den Nimbus.

186. Vorbereitungen zu dem nahen Sturme.

187. Der Sturm.

188. Das Gericht über die Gegend von Cäsarea Philippi.

189. Das bedrängte Schiff auf hoher See.

190. Die jüdischen Kaufleute aus Persien.

191. Die beiden Abgeordneten der Reisenden im Verkehr mit Jesus.

192. Vom Segen und Fluche des Reichtums.

193. Grundnatur des Menschen.

194. Meinungen der Perser über Jesus.

195. Erklärung eines Schrifttextes durch Jesus.

196. Die Frage Jesu über den Messias.

197. Bekehrungsschwierigkeiten der Perser.

198. Schabbis Warnrede.

199. Zwiegespräch zwischen den zwei Deputierten.

200. Vom voreiligen Vertrauen.

201. Der Unterschied zwischen Jesus und den Magiern.

202. Die Wirkungen der Taten Jesu auf die Perserjuden.

203. Der Nutzen der Tätigkeit und die üblen Folgen der Trägheit.

204. Das Wesen wahrer Offenbarung.

205. Von der Ohnmacht der Menschen.

206. Schabbi erkennt Jesus.

207. Über die wahre Anbetung Gottes.

208. Ehrfurcht der Perser vor der Heiligkeit Jesu.

209. Vom Gebet.

210. Jarahs Zukunft.

211. Auslegung des vierten Gebotes.

212. Die pharisäische Neuerung des vierten Gebotes.

213. Jesus erläutert das Gesetz der Pharisäer.

214. Was ist Unkeuschheit?

215. Die Sünde gegen die Keuschheit.

216. Streit der Pharisäer über die Göttlichkeit Jesu.

217. Cyrenius' und Jesu Besprechung über Murel, Stahar und die Jünger.

218. Murels Erfahrungen auf seinen Reisen.

219. Wo man die Wahrheit suchen soll.

220. Vom Verfall der ägyptischen und indischen Weisheit.

221. Vom Vorleben der Menschen.

222. Philopolds jenseitiges Erlebnis.

223. Die Naturordnung der Welten.

224. Murels Lob- und Dankrede.

225. Die Erfüllung der Weissagung des Jesaias.

226. Die Verheißung Jesu.

227. Das Wesen Jesu und die Menschheit.

228. Die Zukunft der Lehre Jesu.

229. Missionssorgen.

230. Die Nichtigkeit aller Missionssorgen.

231. Vom Tode Jesu und der Zukunft Seiner Jünger.

232. Das Gewissen und der Einfluß der Engel.

233. Ein Meteor.

234. Das Wesen der Materie.

235. Der Sinn der Mosaischen Schöpfungsgeschichte. Ein übersinnliches Erlebnis Mathaels.

236. Die Unbegreiflichkeit harter Führungen. Der Verkehr mit dem Herrn im Herzen.

237. Die Gründe der schweren Führungen Mathaels.

238. Das innere Wort. Der Grund der Menschwerdung Jesu.

239. Der Gedanke der Langweile Gottes.

240. Raphaels Missionsfrage.

241. Das Reich Gottes im Menschenherzen.

242. Wahres geistiges Leben.

243. Von den Haupthindernissen zur Erfüllung der Verheißungen.

244. Der freie Wille eines Engels.

245. Auf der Venus.

246. Die Vorteile der Venusordnung.

Kapitel 001. Das Orakel zu Delphi.

1. (Julius:) „Es hat bei den Griechen und Römern noch allzeit Männer gegeben, die, wenn sie auch keine Juden waren und auch nicht in deren Prophetenschulen gebildet worden sind, dennoch eine göttliche Inspiration gehabt und sie als solche auch anerkannt haben.

2. Als einst Krösus, König der Lydier, gegen die Perser einen Krieg führen wollte, so war es ihm sicher sehr daran gelegen, im voraus zu erfahren, ob der Krieg für ihn günstig oder ungünstig ausfallen werde. Wer aber sollte ihm darüber ein Licht geben? Er dachte darum bei sich und sprach: ‚Es gibt ja der Orakel in Menge; eines davon wird etwa wohl die Wahrheit sagen können! Aber wer wird es mir hernach bestimmen können, welches Orakel mir die Wahrheit gesagt hat? Ha!‘ dachte er bei sich weiter und sagte: ,Ich werde zuvor den Orakeln auf den Zahn fühlen, und es wird sich dann schon zeigen, welches Orakel da zu gebrauchen sein wird!‘

3. Er nahm darauf ein Lamm und eine Schildkröte, zerschnitt beide in kleine Stücke, tat sie zusammen in einen ehernen Topf, bedeckte solchen auch mit einem ehernen Sturz und setzte dann solch Gemenge zum Feuer, daß es kochte. Zuvor aber sandte er Forscher nach Delphi, nach Abä in der Phoker Land, nach dem alten Dodona, also auch zu Amphiaraos und Trophonios, am hundertsten Tage nach der Abreise von Sardis die Orakel zu befragen, womit er sich im Augenblick beschäftige; denn in dieser Zeit kochte er eben sein Lamm und seine Schildkröte auf die vorerwähnte Art und Weise.

4. Die meisten Orakel gaben so verworrene Antworten, daß daraus wohl niemand hatte klug werden können; aber das Orakel zu Delphi sprach, wie gewöhnlich, in Hexametern:

5. ‚Sieh', ich zähle den Sand, die Entfernungen kenn' ich des Meeres, / Höre den Stummen sogar, und den Schweigenden selber vernehm' ich! / Jetzo dringt ein Geruch in die Sinne mir, wie wenn eben / Mit Lammfleisch gemenget in Erz Schildkröte gekocht wird; / Erz ist untergesetzt, Erz oben darüber gedecket.‘

6. Nach dieser Probe befragte er das Orakel zu Delphi, ob er gegen die Perser ziehen solle, bekam aber die bekannte Antwort, daß, wenn er über den Halys ginge, ein großes Reich zerstört würde! Er fragte das Orakel zum dritten Male, ob seine Herrschaft lange bestehen werde. Und die Pythia antwortete:

7. ‚Wird dem Meder dereinst als König gebieten ein Maultier, / Dann, zartfüßiger Lyder, entfleuch zu dem steinigen Hermos! / Zögere nicht, noch fürchte die Schmach feigherziger Eile!‘

8. Nach des Orakels eigener Auslegung, die es nach der Gefangennehmung des Krösus gab, war unter dem Maultiere Cyrus, sein Sieger, zu verstehen, weil er von einer vornehmen Mederin, einer Tochter des Astyages, und von einem persischen Vater, der jener untertan war, gezeugt war.

9. Eben dieser Krösus befragte einst auch das Orakel, ob sein Sohn, der stumm war, nicht genesen könne, und erhielt zur Antwort:

10. ‚Lyder, wiewohl ein mächtiger Fürst, doch törichten Herzens, / Sehne dich nicht zu vernehmen in deinem Palast die erflehte / Stimme des sprechenden Sohnes! Das wird traun besser dir frommen! / Wiss', er redet zuerst an dem unglückseligsten Tage!‘

11. Und sehet! Am Tage, als Sardis erobert ward, ging ein wütender Perser auf Krösus los, um ihn niederzustoßen. Da lösten Furcht und Angst des Sohnes Zunge, und der Sohn sprach: ,Mensch, töte Krösus nicht!‘ Das war des stummen Sohnes erstes Wort, und er konnte fürder immer reden sein Leben lang.

12. Seht, dies Orakel war, wie schon früher bemerkt, kein Weisheitstempel aus der jüdischen Schule der Propheten! Wer aber könnte ihm nach den angeführten wahrhaftigen Exempeln irgendeine göttliche Inspiration streitig machen?!“

Kapitel 002. Von Erscheinungen höherer Wesen.

1. (Julius:) „Ebenso sind uns Römern genug geschichtliche Überlieferungen bekannt, daß zum Beispiel ein Sokrates, ein Plato, ein Aristides und noch eine Menge anderer Weisen einen Genius stets bei sich hatten, der sie belehrte und ihnen stets nach der Fähigkeit ihres Herzens weise Lehren und in Notfällen einen sichern Rat erteilte; und wer aus ihnen den Rat nicht befolgte, hatte auch sicher die üble Folge davon zu gewärtigen.

2. Nun, so man aber solches weiß, zum Teil aus der Geschichte und zum Teil aus höchst eigener Erfahrung, da kann einem solch eine Erscheinung, wie ihr sie hier angetroffen habt, denn ja doch nicht gar so unstatthaft vorkommen. Kurz, wir wissen es aus den vielfachen Überlieferungen und aus Erfahrungen der Gegenwart, daß sich höhere Wesen gar nicht so selten, als es manche meinen, zu uns Menschen begeben, sich uns auf eine mannigfache Art kundgeben und uns bald über dies und bald über jenes irgendeinen Aufschluß erteilen; wenn aber das, so ist unser Engel nun sicher keine gar so ungewöhnliche Erscheinung, als man sie auf den ersten Augenblick zu halten pflegt!

3. Daß aber ein solch vollendeter Geist für unsern Verstand unbegreifliche Kräfte besitzt und daher für uns auch gar seltene Wunderwerke ausführen kann, darin finde ich nichts Außerordentliches.

4. Ich hatte einmal Gelegenheit, Menschen aus Hinterägypten zu sehen und mit ihnen durch einen Dolmetsch zu reden. Sie waren ganz nackt und bedeckten nicht einmal ihre Scham. Sie hielten uns Römer für höhere, himmlische Wesen und verwunderten sich im höchsten Grade über die großen und prachtvollsten Gebäude Roms, über die schönen Kleider und unsere glänzende Pracht; sie hielten alles, was sie von Menschenhänden gemacht sahen, für Werke der Götter, für die sie uns hielten, und fragten mich, ob wir auch stets die Sonne und die Sterne, wie den Mond regierten und alles das lenkten nach unserem Belieben, oder ob es zu dem Geschäfte noch irgend andere Götter gäbe.

5. Natürlich belehrten wir sie, und ehe ein Jahr um war, wußten sie schon recht gut, daß auch wir nur Menschen waren, und lernten recht viele Dinge von uns, bekleideten sich am Ende und hatten eine große Freude daran, als sie Kleiderstoffe selbst zu machen gelernt hatten und daraus zu verfertigen allerlei Kleider, männliche und weibliche. Nach wenigen Jahren kehrten sie wieder mit allen möglichen Kenntnissen ausgerüstet in ihr Vaterland zurück und haben dort sicher Schulen errichtet und sogestaltig einiges Licht in ihre Naturwildnis gebracht.

6. Nun, so wir da in unserer noch sehr großen geistigen Ungebildetheit einen vollendeten Geist wirken sehen, so muß es uns freilich wohl im hohen Grade wundernehmen, wie so etwas denn doch möglich sei; wenn aber unser Geist ebenso vollendet sein wird, da werden sicher auch wir Höheres zu leisten imstande sein und werden uns dann sicher nicht so wie jetzt verwundern, so ein Geist einen Stein in seine Urelemente zersetzen wird mit der uns bekannten Kraft.

7. Daß wir aber in unserem geistigen Teile einer ins Unbegrenzte gehenden Vollendung fähig sind, das beweisen uns tausend Beispiele; und an diesem Tische sitzen Menschen, die dem Engel schon so ziemlich nahe sein dürften, und einer aber dürfte dem Engel schon sehr bedeutend überlegen sein, wie ihr solches auch zuvor von dem Arzte aus Nazareth vernommen habt.

8. Werfet euch demnach von nun an auch hauptsächlich auf die möglich größte Ausbildung eures Geistes, und ihr werdet dann auch nicht nur so einen Stein, sondern einen ganzen Berg in seine Urelemente auflösen können!“

9. Hierauf wandte sich Julius an den Engel und sagte: „Und du, Raphael, sage, ob ich da nun in meiner etwas gedehnten Rede auch nur ein falsches oder unwahres Wort geredet habe?!“

Kapitel 003. Über die Bestimmung und Entwicklung des Menschen.

1. Sagt der Engel: „Durchaus nicht, es verhält sich alles also, wie du es nun recht herrlich beleuchtet hast. Daher sollen die dreißig Brüder nur emsig nach dem leben, was sie ehestens von diesen unsern Brüdern hören werden, so werden sie auch bald in allem unsere Brüder werden.

2. Gott gibt keinem Engel und keinem Menschen, der im Grunde auch ein angehender Engel ist, mehr als ein vollkommenes Selbstleben und in diesem Leben die Fähigkeiten, es aus sich selbst heraus zur möglich größten Gottähnlichkeit zu bilden in allem. Wenn einem neugeschaffenen Engel wie einem Menschen aber die sicheren Wege bekannt sind, auf denen er allzeit zur vollen Gottähnlichkeit gelangen kann, er aber will nicht darauf wandeln, nun, so muß er sich's denn am Ende doch selbst zuschreiben, wenn er gleichfort in der todschwachen Gottunähnlichkeit verbleibt.

3. Freilich, wohl kann ein noch so vollendeter Geist Gott in alle Ewigkeit nie erreichen in der endlosesten Fülle; aber das tut ihm auch nichts; denn man kann darum doch alles ins Werk setzen – freilich stets in der von Gott gestellten Ordnung –, was man nur immer will. Man kann auch aus sich gleich Gott am Ende selbständige Wesen hervorrufen und ihnen ein ewiges, freies Sein geben und kann dann mit solchen Wesen seine hohe Freude und Seligkeit haben, gleichwie schon irdisch ein Vater mit seinen geratenen Kindern, – und das ist Gottähnlichkeit zur Übergenüge!

4. Ich selbst habe bereits mehrere Welten mit kleinen Sonnen geschaffen und sie alle aus mir heraus vollkommen bevölkert. Und alle diese Welten sind mit allem oft besser denn diese eure Erde ausgestattet. Alles pflanzt sich dort also fort wie hier, und die Geister sind dort so wie hier einer hohen Vollendung fähig. Und warum sollten sie es auch nicht sein? Denn es ist am Ende doch ein jeder Geist aus Gott, gleichwie die Keime der künftigen Gewächse nun schon mehrere Milliarden Male aus den Vorsamenkeimen reproduziert worden sind.

5. Und da ihr als Abkömmlinge des Satans noch den Geist Gottes in euch traget, um wieviel mehr dann erst die Abkömmlinge unserer gottähnlichen Schöpferkraft!

6. Und seht, das alles könnet auch ihr erreichen, so ihr auf den Wegen wandeln werdet, die euch gezeigt werden! Wer aber aus euch darauf nicht wird wandeln wollen, der wird sich's denn am Ende ja auch selbst zuzuschreiben haben, so er in seiner todschwachen Gottunähnlichkeit verbleiben wird durch undenklich lange Zeitenfolgen hindurch.

7. Darum liebe aus euch ja niemand die Welt und sein Fleisch mehr denn seinen Geist! Jeder bekümmere sich vor allem nur um das, was da ist des Geistes, so wird er auch ehestens das erhalten, was da ist des Geistes, nämlich die volle Gottähnlichkeit!

8. Wer sich aber stets mehr kümmert um das, was da ist der Welt und des Fleisches, ja der muß sich's ja auch ganz allein zuschreiben, daß er auf dem gleichen Nachtgebiete des Todes verbleibt.

9. Alles Leben kann in einem fort in ein immerwährend vollendeteres Leben übergehen, wenn es sich die Mühe nimmt, auf der Bahn der gestellten göttlichen Ordnung fortzuschreiten. Bleibt aber das Leben stehen auf einem Punkte, besonders im Beginn der großen Lebensbahn, nun, so kommt es auch ganz natürlich nicht weiter, sondern bleibt stehen und verkümmert am Ende gleich einem Halme im Winter, wenn er seiner Lebensfrucht nach der Ordnung Gottes einmal ledig geworden ist.

10. Darum seid tätig und übertätig für den Geist! Kein Schritt vorwärts gereue euch! Denn da ist eine jede Tat und ein jeder Schritt stets vom höchsten Segen Gottes begleitet.

11. Glaubet ja nicht, daß ich als ein Engel schon so vollendet bin, daß ich mich nun in die volle Untätigkeit begeben könnte! Ich gewinne nun durch dieses Hiersein endlos vieles und werde fürder für meine höchst eigenen Schöpfungen wieder vollendeter wirken können. So aber ich hier als ein reiner und vollendeter Geist noch so unschätzbar vieles gewinnen kann, um wieviel mehr ihr, die ihr hinter mir in der Vollendung noch so weit zurückstehet!

12. Danket es daher Gott dem Herrn, daß Er euch in diese heilig großgnadenreichste Gelegenheit geführt hat, in der ihr in einer Stunde für euern Geist weiter kommen könnet, als sonst nach Art eurer Weltlehren in zehntausend Jahren!

13. Seht, solch große Gnadengelegenheiten werden von Gott aus einer Welt nur höchst selten geboten; darum soll sie da ein jeder, der das große Glück hat, Genosse einer solchen Gelegenheit zu sein, nach allen seinen Kräften benutzen für seinen Geist.

14. Sendet oder erweckt Gott irgendwo einen Propheten, so sollen sich alle um ihn her drängen und von ihm vernehmen zu ihrem höchsten Wohle das heilige Wort Gottes; denn Gott erweckt dergleichen Männer nur von hundert zu hundert Jahren einmal in großer Tiefe der rechten Weisheit der Himmel.

15. Gar große Propheten aber, durch die Gott den Menschen der Erde sehr viele und große Dinge kundtut, werden höchstens alle tausend bis zweitausend Jahre zu den Menschen dieser Erde gesandt, um ihnen im großen und gedehntesten Maße die weiteren neuen Wege Gottes zur noch höheren Vollendung zu zeigen einesteils, und andernteils sie von den vielen Irrwegen, die sie sich selbst gemacht haben, abwendig und auf den einen rechten Weg hinwendig zu machen.

16. Denn seht, in der großen Schöpfung Gottes bewegt sich alles in einem fort vorwärts, gleich der Zeit der Erde, die auch nie stehenbleibt! Die Geister machen offenbar stets große Fortschritte. Weil aber im Reiche der reinen Geister so große Fortschritte in einem fort geschehen, so dürfen die unsterblichen Geschöpfe auf den Weltkörpern nicht zurückbleiben, auf daß sie nicht zu ferne zu stehen kommen vom Reiche der Geister.

17. Nach dem Erscheinen solcher großen Propheten geht es dann wieder auch bei den Menschen aus eigener Tätigkeit gut, wennschon nicht im Allgemeinen, aber dennoch im Sonderheitlichen. Aber wie dann wieder in der Geisterwelt ein großer Vorsprung gemacht wird, dann tut es sich mit dem stets etwas umhüllten Lichte eines vormaligen großen Propheten nicht mehr; es wird ein neuer erweckt und gesandt, und die Menschheit rückt dann auch wieder, wenn anfangs auch sonderheitlich nur, dem großen Vorsprunge der Geisterwelt nach.

18. Die Menschheit aber wird darauf in ein paar Jahrhunderten dennoch findiger und bringt endlich Sachen zum Vorscheine, von denen den älteren Generationen nie etwas geträumt hatte.

19. Wenn aber die Menschheit also nach etwa zwölf bis fünfzehn Jahrhunderten irgendeinen Kulminationspunkt erreicht hat, so würde sie dann aus sich heraus träge und bliebe stehen, wie es auf dieser Erde auch von Gott also zugelassen ist, daß sich auf ihr stets alle erdenklichen Bildungszustände sollen vorfinden lassen, auf daß die geweckteren Menschen daraus lernen sollen, daß die Menschheit ohne von Zeit zu Zeit erscheinende Offenbarungen aus sich heraus Jahrtausende auf demselben Flecke stehenbleibt und nicht um ein Haar vorwärts schreitet, wie solches ihr alle bei den heutigen Indiern und Hinterindiern in die Erfahrung bringen könnet.

20. Der Herr läßt solches zu, damit sich die Menschen, die irgendeinmal dahin kommen, selbst überzeugen können, daß es auf ein Haar also ist, wie ich es euch vorhergesagt habe. Aber jene Menschen werdet endlich ihr selbst in euren Nachkommen zum Nachziehen bekommen; denn für Völker, die auf einer unteren Stufe der Bildung ihres Geistes stehen, erweckt der Herr nie eigens irgendeinen großen Propheten, sondern läßt sie, das heißt die ungebildeten Völker, durch die eigentlich nur durch die Offenbarungen erstgebildeten Hauptvölker dieser Erde gewisserart nachziehen, wofür der Herr Seine endlos weisesten Gründe hat.

21. Aber die Menschen auf der ersten Stufe vor Gott auf einem Weltkörper sollen solch einen höchsten Beruf wohl auch allzeit tiefst und dankbarst erkennen und emsigst danach handeln; sonst ist es dann ihre eigene Schuld, wenn sie zuletzt in ihren Nachkommen tief unter die Hinterindier, die wir Sinesen nennen wollen, herabsinken und am Ende den Tieren gleich vollkommen dumm werden! – Saget, ihr dreißig Brüder, mir nun, ob ihr das alles so ganz klar begriffen habt!“

Kapitel 004. Anordnung Jesu in Sachen der Räuber.

1. Sagt der eine junge Pharisäer: „Hoher, erhabener, mächtiger Geist! Vieles ja, aber alles noch lange nicht! Aber wir alle danken dir inbrünstigst dafür; denn du hast wahrlich mit dem großen Himmelsschlüssel Geheimnisse eröffnet, von denen wir früher auch nicht eine allerleiseste Spur hatten. Wir werden uns auch von nun an alle erdenkliche Mühe geben, auf der rechten Lebensbahn fortzuschreiten; nur möchten wir sie noch näher kennenlernen. Für heute aber haben wir schon zur Übergenüge; denn bis das unser Geistmagen verdauen wird, brauchen wir einige Zeit. Am morgigen Tage werden wir schon für Höheres und Tieferes empfänglicher sein, als das heute der Fall sein konnte.

2. Jetzt aber möchten wir bloß noch den höchst weise scheinenden Mann, der an der Seite des hohen Statthalters ruht und sich ganz geheim mit ihm bespricht, irgend einige Worte der Weisheit aussprechen hören; denn der, wenn auch kein Engel, scheint euch alle weit zu übertreffen,- denn seine Mienen und sein gewisserart stoischer Gleichmut während deiner Engelsrede verrät Tiefstes und Größtes!“

3. Sagt Julius: „Da habt ihr wohl recht; aber es ist der Mann eben nicht so leicht, als ihr es meinet, zum Reden zu bringen. Wann Er gerade will, da spricht Er oft viel, und es ist da ein jedes Wort wie eine ganze Schöpfung voll Weisheit; aber wenn Er geradewegs nicht reden will, so kann Ihn nicht leichtlich jemand dazu bewegen. Versuchet ihr es aber selbst, redet Ihn an, und Er wird euch schon irgendeine Antwort geben!“

4. Sagt der junge Pharisäer: „Nein, dazu gebricht es mir am Mute; denn der könnte unsereinem eine Antwort geben, daß man daran sein Leben lang genug hätte! Darum lassen wir heute auch recht gerne ab von unserem sicher sehr unzeitigen Vorwitze!“

5. Sagt Julius: „Da tut ihr wahrlich sehr wohl daran! Morgen wird auch noch ein Tag sein; da wird sich vielleicht eher und leichter eine Gelegenheit ergeben, mit Ihm zum Worte zu gelangen, als heute. Vielleicht ordnet Er aber heute noch irgend etwas an, und ihr könnet Ihn da am leichtesten und ungeniertesten vernehmen.“

6. Damit beruhigen sich unsere jungen Pharisäer und warten auf eine Gelegenheit, Mich zu vernehmen.

7. Bald darauf aber kommt ein Wachtmeister vom Meere herüber, wo die bekannten Verbrecher gefangengehalten wurden, und sagt zum Julius: „Herr und Gebieter! Mit den fünf Raubmördern ist es nicht mehr zum Aushalten; denn sie führen eine so erschreckliche Sprache und machen dabei so entsetzliche Gebärden, daß sich darob alle Soldaten entsetzen und einige davon ob der erschrecklichsten und allerfrechsten Lästerungen kaum mehr dahin im Zaume zu halten sind, um sich an den Verbrechern nicht jählings zu vergreifen. Denn sie sagen: ,Wir wollen lieber sterben, als noch länger solche gar zu bösartigst frechste Lästerungen geduldig anhören!‘“

8. Fragt Julius Mich, sagend: „Herr, was fangen wir da an?“

9. Sage Ich: „Es sind bis zum Morgen hin noch fünf Stunden, und diese Zeit müssen die fünf Hauptverbrecher aushalten! Da kann und darf ihnen kein Augenblick lang nachgelassen werden! So aber die Wächter die Lästerungen nicht vertragen können, so sollen sie sich zurückziehen, auf daß sie solche nicht hören; denn es wird darum auch nicht einer der Verbrecher durchkommen und lösen seine festen Bande. Dafür stehe Ich da! Die etlich sieben politischen aber leiden ohnehin keine bedeutende Not und sind ruhig; diese können mit den Wächtern weiter hereingezogen werden, und es wird sich morgen mit ihnen leichtmachen. Aber die Raubmörder werden uns allen noch genug zu schaffen machen. Also geschehe es; denn nur durch die große Qual kann die Seele der bösen Raubmörder von ihrem Satansfleische und dessen sehr bösen Geistern freier und freier gemacht werden, ohne welche Freimachung an irgendeine Heilung gar nicht zu denken ist.“

10. Auf diese Meine Worte entfernt sich der Wachtmeister und setzt alsogleich Meinen Rat in Vollzug.

Kapitel 005. Bedrohung der Pharisäer durch Julius.

1. Aber der junge Pharisäer hatte bei dieser Gelegenheit etwas von der Heilung der fünf Raubmörder gehört, was ihm sehr auffiel, und er fragte darum sogleich den Hauptmann, ganz verlegen sagend: „Hoher Gebieter! Ist das am Ende etwa gar der berühmte Heiland aus Nazareth, oder sonst ein erster Abgesandter von ihm? Denn wir haben es gehört, daß er Jünger aufnehme und darauf, das heißt, wenn sie etwas verstehen, Gesandte an alle Orte hinsende, daß sie ihm Teilnehmer für seine neue Lehre erwecketen, was ihnen auch zuallermeist gelingen soll. Wenn das der Heiland aus Nazareth wäre, so säßen wir in einer schönen Patsche!“

2. Sagt Julius, etwas ernst sich haltend und dem jungen Pharisäer scharf ins Auge sehend: „Wieso denn? Warum soll euch das in eine Patsche setzen, so etwa möglicherweise jener Mann der berühmte Heiland aus Nazareth Selbst wäre? Wahrlich, diese Frage kommt mir von eurer Seite etwas verdächtig vor! Gebet mir nun einen rechten Aufschluß über solch eure Verlegenheit, sonst dürfte es euch eben nicht am besten ergehen!“

3. Diese etwas scharfe Gegenfrage des Julius erfüllte die jungen Leute mit einer starken Portion Furcht, und der sonst wortführende junge Pharisäer ward nun auch sehr verlegen und wußte nicht sogleich, was er dem etwas scharf gewordenen Julius zur Antwort geben solle.

4. Julius aber sagte: „Kannst und willst du mir die Wahrheit gestehen, da brauchst du gar nicht darüber nachzudenken, wie und was du reden sollst. Willst du mich aber mit bloß wahrscheinenden Phrasen beschwichtigen, so irrst du dich sehr an mir; denn ich kenne nur zu gut eine fuchsschwänzische Dichtung von der reinen Wahrheit. Ich werde euch aber nun etwas sagen: Sehet zu, daß ich euch nicht durchschaue! Mir kommt es heimlich noch immer also vor, als sollte man euch noch lange nicht voll trauen; denn ihr selbst, scheint es mir, seid schon ein für alle Male mit allen Satanssalben geschmiert. Wer euren Worten traut, macht leichtlich einen derben Verräter an sich selbst. Alles, was ihr hier geredet habt, kann in bezug auf euer schlechtestes Herz nichts als eine pure Maske sein. Aber dann wehe euch; denn vom Durchgehen wird da wohl keine Rede mehr sein, wo ich selbst die schärfste Wache halte! Rede darum die vollste Wahrheit nun, oder euch geht es schlechter denn jenen fünf Raubmördern, die draußen am Ufer des Meeres an starke Pfähle gebunden sind! Darum ohne alles Zögern mit der vollsten Wahrheit heraus!“

5. Auf diese Antwortforderung des Julius werden die sämtlichen dreißig blaß und zitternd vor Furcht; denn obgleich sie im Grunde wohl den ganz ernsten Sinn hatten, vom Tempel loszuwerden, so waren sie aber dabei doch auch darauf bedacht, sich nötigenfalls auch im Tempel weißwaschen zu können. Denn das verstanden die jungen Pharisäer aus der Kunst, sich im Notfalle überall weiß zu machen. Ging es ihnen irgendwo enge darum, daß sie dem Tempel angehörten, so waren sie die größten Lästerer des Tempels. Kamen sie aber wieder in den Tempel zurück, und man hielt es ihnen vor, daß sie über und wider den Tempel losgezogen hätten, da hatten sie dann eine Menge der trefflichsten Gründe in der vollsten Bereitschaft, aus denen sie zum Scheine nur wider den Tempel losgezogen hätten.

6. Aus diesem Grunde sagte Ich denn auch gleich anfangs, daß man ihnen nicht zu sehr trauen solle; denn derlei Menschenseelen gleichen stets den zahm gemachten wilden Tieren, denen man auch nie völlig trauen darf, weil die Wildheit, so sich eine Gelegenheit bietet, gerne wieder zurückkehrt.

7. Als nach einer kleinen Weile des ängstlichen Schweigens Julius in seiner Forderung intensiver zu werden begann, sagte Ich zu ihm: „Freund, laß es ihnen, daß sie sich fassen und dann reden! Denn mit Lügen können sie uns doch unmöglich abfertigen, wenn sie dazu vielleicht auch den Willen hätten. Denn fürs erste bin Ich da, den man nicht belügen kann, und fürs zweite ist auch der Raphael da, den man auch nicht belügen kann. Was würde sonach den dreißig Geängsteten irgendeine Lüge nützen uns gegenüber, die fürs erste nicht belogen werden können, und die fürs zweite alle Macht und Gewalt in ihren Händen tragen?!“

8. Sagt Julius: „Ich sehe es schon, daß Du, o Herr, wie allzeit auch diesmal wieder vollkommenst recht hast, und so will ich denn von diesen dreißig auch mit aller Geduld die Antwort abwarten. Nur den Beisatz mache ich, daß ich, so da zu lange keine Antwort zum Vorschein käme, am Ende doch erfahren würde, was mir zu tun übrigbliebe!“

9. Gleich darauf öffnet der junge Pharisäer mit einigem Mute wieder seinen Mund und sagt: „Hartnäckig bis zur Verzweiflung hast du von uns die Antwort auf deine Frage verlangt. Wir aber fragten dich zuvor freundlichst, wennschon etwas erregt, über den erhabenen Mann dort, wer er sei, ob er nicht etwa gar der Heiland aus Nazareth wäre, und wir sagten, daß, so er es wäre, uns das in eine schöne Patsche setzen würde. Dies fiel dir auf; du faßtest sogleich Mißtrauen zu uns und wolltest sogleich mit dem drohlichsten Ernste von der Welt den Grund von uns erfahren. Daß wir darauf ängstlich wurden, ist leicht begreiflich, da wir deine Strenge schon verkostet haben.

10. Aber nun, da wir an jenem herrlichen Manne, den wir eigentlich geheim am meisten fürchteten, weil in uns stets der Gedanke aufstieg, ob er nicht der Heiland aus Nazareth sei, einen Verteidiger unserer Verlegenheit gefunden haben, haben wir auch gut reden; denn nun haben wir keine Furcht mehr und können nun frei und ganz offen reden.

11. Daß wir vor dem Heilande aus Nazareth eine begründete Furcht haben mußten, liegt ja doch ganz einfach darin, daß wir im Grunde des Grundes denn doch vom Tempel aus als seine offenbaren Verfolger dastehen, wenn wir es in unseren Herzen eigentlich auch nie waren; wir haben vor der Welt auch schon so manche Scheinverfügungen gegen ihn treffen müssen, die ihm keineswegs angenehm sein konnten, wenn sie ihm geradewegs bisher auch keinen weiteren Schaden zu bringen imstande waren.

12. Wir aber haben hier nun schon so manches Pröbchen erlebt und gemerkt, daß es da einem Verfolger des Heilandes eben nicht am besten ergehen dürfte. Und so fragten wir dich denn auch, als wir von der morgigen Heilung der fünf Raubmörder etwas vernommen hatten, ob er nicht etwa am Ende gar selbst der berühmte Heiland aus Nazareth wäre.

13. Wäre er es für ganz bestimmt, so bliebe uns denn am Ende doch sicher nichts übrig, als sich vor ihm in den Staub zu werfen und ihn zu bitten um Vergebung alles dessen, was wir vom Tempel aus genötigt etwa schon alles gegen ihn haben unternehmen müssen. Und sieh, das ist eben die Patsche, in der wir uns befänden, so er im Ernste der Heiland aus Nazareth wäre! Aber da wir nun dieses Mannes edelstes Herz gesehen haben, so kann er nun auch der Heiland aus Nazareth sein, und wir werden von ihm aus doch sicher in keine Patsche mehr kommen! – Da hast du nun die treustwahre Antwort, die du von uns so drohlich verlangt hast; aber darum gib du uns nun auch die rechte Antwort auf unsere Frage!“

14. Sagt Julius: „Nun denn, so wisset es denn, daß Er es ist, dem alle Natur und alle Mächte der Himmel untertan sind, – Er ist der berühmte Heiland aus Nazareth! Von Ihm zeugete zuvor das Mägdlein, und Seinem Winke gehorchte der Engel, als er euch das Pröbchen seiner Macht zeigte; aber da ihr nun das wisset, so saget mir es, was ihr nun tun wollet und werdet!“

Kapitel 006. Meinungsaustausch zwischen den Pharisäern und Julius über Jesus.

1. Sagt der junge Pharisäer und auch alle andern mit ihm: „Darum sei Gott gelobt in der Höhe, daß Er dem Menschen solche Macht gegeben hat, die dem schwachen Sterblichen nur zum Heile gereichen kann! Es steht zwar in den Propheten, daß Gott dem Volke Israel einst einen Messias senden werde. Nun, was ist es, so wir ihn als solchen annähmen? Ein Messias nach den Verheißungen dürfe zwar nicht aus Galiläa geboren und herkömmlich sein; aber das ist auch eine Prophetensprache, die man im Grunde, was den Geist betrifft, denn doch nicht völlig versteht! Wir haben es zwar nie so recht eingesehen, warum aus Galiläa kein Prophet oder sonst ein großer Mann auferstehen solle, indem die Galiläer doch nicht darum können, daß sie Galiläer sind. Aber geschrieben ist es einmal! Wer es glauben will, der glaubt es; wer es aber nicht glauben will, der läßt es bleiben, – und zu den letzteren dürften wir alle so ziemlich gehören, daß es uns demnach auch gar nicht beirrt, diesen Heiland aus Nazareth als einen Messias in bester Gestalt und Form anzunehmen.

2. Aber es ist denn gewisserart doch etwas höchst außerordentlich Sonderbares und eine große Frage, wie dieser Mensch zu solchen außergewöhnlich höchsten, gottähnlichen Eigenschaften gekommen ist! Denn soviel wir aus unseren Nachforschungen über ihn und seine Herkunft herausgebracht haben, so sei er eines Zimmermanns Sohn, der stets, bis etwa in sein dreißigstes Jahr, daheim geblieben sei und mit seinem Vater und etwaigen andern Brüdern gezimmert habe, bald dort, bald da, und es habe da niemals jemand etwas Außerordentliches an ihm entdeckt; man habe ihn auch nie lesen und schreiben und rechnen sehen, auch soll sein Umgang mit Menschen ein sehr wortkarger und nichts weniger als irgendein geistreicher gewesen sein!

3. Ja, man erzählte es uns in Nazareth selbst, daß ihn sein Vater und seine Mutter gar oft darum ausgezankt haben, weil er fürs erste nicht leicht in die Synagoge zu bringen war, sich fürs zweite nie die Schrift vorlesen lassen wollte und wenig oder nichts auf den Sabbat hielt. Sein Liebstes wäre ihm die Natur gewesen und eine stumme Betrachtung der Dinge der Erde.

4. Also soll auch das Fischen zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gehört haben, und er fischte stets mit gutem Erfolge, darum ihn die Fischer auch gerne bei sich hatten.

5. Kurz, was wir über ihn nur immer irgend in die Erfahrung haben bringen können, das deutete sicher darauf hin, daß er fürs erste einmal nirgends eine Schule besucht habe und fürs zweite ganz wohlbekannt stets ein Mensch gewesen sei, bei dem nur ein sehr geringer Grad von irgendeiner Bildung hervorgeleuchtet habe.

6. Aber auf einmal sei er erwacht und in eine solche Weisheit getreten, daß man mit der besten Überzeugung sagen könne, die Welt habe noch nie einen weiseren Menschen getragen!

7. Nun, das und natürlich noch eine Menge haben wir über ihn in die sicher treuwahrste Erfahrung gebracht, finden ihn nun hier und überzeugen uns, daß er ein ganz ungewöhnlich außerordentlicher Mann ist; und es kann uns daher durchaus nicht verargt werden, so wir fragen: Wie kam er zu solchen nie erhörten Eigenschaften, die vor ihm nie ein Mensch besaß und sicher fürder keiner mehr besitzen wird?“

8. Sagt Julius: „Wer kennt aber auch das Ziel und das Maß des Geistes Gottes, inwieweit solcher sich in den wirksamen Verband mit dem Geiste eines Menschen setzen will?! Kann es nicht geschehen, daß der allmächtige Gottesgeist sich in aller seiner Machtfülle mit einem Menschengeiste verbindet und dann also handelt und wirkt, wie ganz natürlich nie ein purer Mensch handeln und wirken kann, weil er kein Gott ist?!

9. Wo aber Gott Selbst durch den endlos gestärkten Geist eines dazu sicher seltenst tauglichen Menschen redet, handelt und wirkt, da muß für uns schwache Sterbliche natürlich nichts als Wunder über Wunder zum Vorschein kommen. Wort und Tat sind eins, – wir können weder das eine noch das andere nachahmen; denn wir sind dem Leibe und dem beschränkten Geiste nach nur Menschen. Er aber ist nur dem Leibe nach ein Mensch gleich uns; aber dem Geiste nach ist Er ein Gott im höchsten Grade und beherrscht die ganze Unendlichkeit!“

10. Da aber – das heißt nach unseren römisch-theosophischen Begriffen – das erkannte rein Göttliche, wie und wo es sich auch immer äußert, höchst zu verehren und anzubeten ist, so ist es auch hier klar, daß wir mit einem Menschen, durch den sichtlich und handgreiflich die ganze Fülle des allmächtigen Gottesgeistes wirkt, aber auch ganz anders handeln müssen, als wie wir unter uns gegenseitig handeln; das wird euch wohl sicher sehr einleuchtend sein!?

11. Und ihr könnet aus dem dann entnehmen, warum wir hochgestellten Römer Ihm aus aller Tiefe unseres Herzens die höchstmögliche Verehrung, Liebe und Achtung erweisen und Ihn vollkommen als den Herrn aller Welt anerkennen und hochpreisen. – Saget mir, ob euch das nicht als notwendig und im hohen Grade einleuchtend vorkommt!“

12. Sagt der junge Pharisäer: „O ja, allerdings; denn in vielen Stücken gefällt uns eure Theosophie überaus gut und ist unter den Umständen auch hier vollkommen auf ihrem rechten Platze. Nur, natürlich, nach der eigentlichen Lehre Mosis würde das freilich wohl nicht ganz gut und geheuer anzunehmen sein; denn dort heißt es allerschärfst und ausdrücklich: ,Ich allein bin der Herr, und du sollst keine fremden Götter neben Mir haben!‘“

13. Sagt Julius: „Ganz richtig; aber man muß auch Moses verstehen nicht nur dem Wortlaute, sondern vielmehr dem wahren Geiste nach, und man wird dann auch bald und leicht finden, daß Moses mit seiner scharfen Lehre hier eigentlich gar keine Widersacherei finden kann, so ich den Grundsatz aufstelle, daß der Mensch eine oder eine andere Äußerung – aber stets eines und desselben Gottesgeistes, der mit Moses geredet hatte – auch stets als solche erkennen und höchst verehren solle, aus welchem Grunde die Ägypter, Griechen und wir Römer, wenn auch am Ende durch eine Art blinden Aberglaubens etwas zu weitgehend, allen Menschen und Geschöpfen, bei denen sie irgendeine besondere ungewöhnliche Kraft und Wirkung entdeckten, die göttliche Verehrung erwiesen.

14. Nun, aber da dachten wir: Dem Reinen ist am Ende doch alles rein! Wenn die etwas abergläubische Menschheit bei ihrer Verehrung des Göttlichen unter allerlei Gebilden nur nicht irgend in etwas Arges ausartet – wozu sie leider fast allzeit durch den Hunger und durch die stets wachsende Herrsch- und Habsucht der Priester verleitet wird –, die erzürnten Götter zu besänftigen durch grausame Menschenopfer, so kann man ihr einen gewisserart frommen Aberglauben nicht einmal zu einem zu groben geistigen Gebrechen anrechnen; denn nach meiner Ansicht ist es am Ende dennoch allzeit besser, der Mensch glaubt etwas, das denn doch einen guten Grund hat, als er glaubt am Ende gar nichts und stempelt sich sogestaltig selbst zum Tiere herab, das auch weder einen rechten noch irgendeinen Aberglauben haben kann.

15. Ein Mensch, der gar keinen Glauben annehmen will und kann, kann auch nie zu irgendeiner wahren Ausbildung seines Verstandes gelangen. Denn wer da ein Haus bauen will, muß sich zuvor um das dazu nötige Baumaterial umsehen. Wie aber wird jemand auch nur eine allereinfachste Fischerhütte errichten ohne alles Material? Ist in dem rohen Material aber auch anfänglich keine Ordnung, so läßt sich aber dennoch bald eine schaffen, wenn nur irgendein Material da ist; aber wo alles Material total mangelt, da hebt sich alles Ordnen desselben ganz sicher von selbst auf.

16. Darum sage ich, daß dem Menschen selbst ein Aberglaube am Ende noch immer mehr nützt als gar kein Glaube; denn es ist am Ende Stroh ja auch noch besser als gar nichts! Aus Stroh kann man schon etwas machen; hingegen aus nichts kann ewig nichts anderes als wieder nichts gemacht werden. Aus dem Grunde dulden die Römer auch eures Volkes oft allerfinstersten Aberglauben, weil wir noch immer irgendeinen Nutzen für die Menschheit darin ersehen.

17. Aber die Templer selbst sind uns ein Greuel, weil wir ganz bestimmt wissen, daß sie gar nichts glauben und darum dem Volke statt der Wahrheit die allerabsurdesten Dinge als höchst göttlich glauben machen und jene Menschen sogar mit den unerträglichsten Strafen belegen, die zufolge ihrer natürlichen Gewecktheit am Ende bei allem moralischen Zwange denn doch nicht glauben können, daß die Schönheit eine Häßlichkeit sei, die Sonne schwarz statt weiß leuchte und im Bache Kidron Blut fließe! Das halte ich für eine allerschändlichste Bosheit, aber irgendeinen Aberglauben eines Menschen für sich durchaus nicht!

18. Ja, wenn man dann irgendein Vermögen und eine gute Gelegenheit hat, den blinden Menschen ein rechtes Licht zu geben, so ist das freilich von einem unschätzbaren Werte; aber solange man das nicht imstande ist, lasse man dem Volke seine fromme Meinung! Denn kann man dem Volke dafür nichts Besseres geben, so lasse man ihm wenigstens das, was es hat!“

Kapitel 007. Des Pharisäers Bekenntnis von dem Glaubenszwange des Tempels.

1. Sagt der Pharisäer: „Alles, was du, hoher Gebieter, redest, ist aber auch so handgreiflich gut und wahr, daß wir nichts anderes sagen können, als daß ein jeder Mensch von nur etwas Geist durch eine Stunde Umgang mit dir offenbar mehr für seinen Kopf und für sein Herz gewinnt, als wenn er hundert volle Jahre die Dummheiten des Tempels anhören könnte, an denen nichts als ein leerer Wortschall haftet.

2. Es wird wohl darin viel geplaudert und noch mehr geplärrt; aber das ist alles soviel, als so man zu jemand sagte: ‚Freund, wasche mir meine Hände und Füße; aber nur gib dabei fein acht, daß du sie mir ja nicht im geringsten irgend naß machst!‘ – Und bei unseren Lehren, die im Tempel gehalten werden, wird ausdrücklich verlangt, daß man sie wohl mit aller Andacht anhöre und tue, was da verlangt wird. Aber warum, und welch Verständnis in der vorgetragenen Lehre liegt, darum darf sich niemand kümmern, – denn das seien Geheimnisse Gottes, um die niemand denn allein nur der Hohepriester etwas Näheres wissen dürfe, aber unter dem strengsten Siegel der Verschwiegenheit.

3. Was nützt dem Menschen eine Lehre, deren Wortlaut er allenfalls wohl anhören kann, ja sogar muß, aber davon auch nie eine Sterbenssilbe verstehen darf?! Da wäre es denn doch offenbar ebensogut, von solch einer Lehre nie ein Wort zu vernehmen!

4. Bei Gott, wenn man die Sache der Gotteslehre unter den Menschen so recht beim Lichte betrachtet, so kommt man dabei oft auf Dinge, über die sich jeder Straußenmagen umkehren könnte! Denn sind oft die Menschen in ihrem andern Tun und Lassen auch eben nicht gar so dumm und finster wie eine mondlose, tief umwölkte Herbstnacht, so sind sie es aber sicher hundertfach in ihren Gotteslehren! Entweder glauben sie oft einen Bundschuh um den andern, daß es davor schon einem Hunde zu ekeln anfangen muß – geschweige einem ehrlichen Menschen –, oder sie glauben gar nichts.

5. O Herr und Gebieter, du kannst es nicht glauben, wie es mir oft zumute war, wenn ich so den Menschen etwas als gut und wahr vorpredigen mußte, wovon ich als einer totalsten Lüge im voraus mehr als durch und durch überzeugt war. Ich hätte mich oft selbst gerade vor lauter Ärger erwürgen können. Aber was half es? Wenn der Ochse einmal im Joche steckt, muß er ziehen – ob es leicht oder schwer geht –, sonst gibt es Hiebe in Überfülle! Ich habe mir unter dem Predigen oft gedacht und mich selbst befragt: ‚Wer wohl ist ein bedauerlicherer Ochse, ich, der Prediger, oder der, dem ich predigte?‘ Und ich mochte mich des Gedankens nie erwehren, demnach dennoch ich selbst stets der größere und im Grunde notgedrungen dümmere Ochse war! Denn mein Zuhörer konnte, wenn er ein gescheiter Mensch war, mich hinterdrein nach Herzenslust auslachen und sich bei seinen Freunden lustig machen über mich; das durfte ich aber, wenigstens im Tempel, bei Strafe des verfluchten Wassers nicht tun.

6. Darum, hoher Gebieter, sage ich: Weg nun von uns allen, was da im vollsten Ernste rein des Teufels ist! Wir werden von nun an recht gescheite Menschen und ewig keiner menschlichen Dummheit mehr zu Dienern werden; denn es ist etwas Entsetzliches, ein Diener der Dummheit der Menschen zu sein! Von nun an Waffen und die reine Vernunft! Alles andere gehört zwischen die Geweihe des alten Sündenbockes, den man umbringen und verbrennen muß mit dem Feuer eines gerechten Ärgers. – Aber nun von etwas anderem!

7. Weißt du, hoher Gebieter, nicht, was dieser gute Gottmensch etwa begehren würde, wenn er uns nur auf eine ganz kurze Zeit von etlichen Tagen zu seinen Jüngern annähme? Denn es müßte sich von ihm in kürzester Zeit äußerst viel gewinnen lassen! Meinst du wohl, daß wir ihn darum etwa ganz harmlos fragen könnten?“

8. Sagt Julius: „Allerdings; aber das weiß ich auch ganz bestimmt, daß Er nirgends irgendeinen materiellen Lohn annimmt, sondern stets nur einen rein geistigen! Oh, Er hat nie auch nur ein Naulum Geldes bei Sich und bleibt dennoch nie jemandem irgend etwas schuldig! Der Ihm irgend etwas zuliebe tut, dem vergilt Er es auf einem andern Wege tausendfältig; denn Sein Wort und Sein Wille sind mehr wert als die ganze Welt. Mehr brauchet ihr nicht zu wissen und könnet nun tun, was ihr wollt!“

9. Sagt der junge Pharisäer: „Ganz gut und wohl, und vielen Dank dir, du hoher Gebieter, für diese Aufhellung unseres Gemütes; denn nun weiß ich es schon recht wohl, was wir alle tun werden und gewisserart tun müssen! Jetzt erst werden wir uns alle an ihn ganz ernstlich wenden; und was er sagen wird, das werden wir auch tun!“

Kapitel 008. Die Bedingungen Jesu bei der Aufnahme der Jünger.

1. Nach solchen Worten erhebt sich der junge Pharisäer, geht zu Mir hinüber und sagt: „Herr, Meister und Heiland ohnegleichen! Wer ich und meine 29 Brüder sind, das weißt du ganz sicher und gewiß, und wer du so ganz eigentlich bist, haben wir auch durch den hohen Gebieter Julius vernommen; da wird es sonach nicht viel des Hin- und Herfragens bedürfen. Aber da wir vernommen haben, daß du zuzeiten auch Jünger annimmst, so möchten auch wir – auf eine kurze Zeit nur, wenn es etwa nicht auf eine längere sein könnte – deine Jünger sein!“

2. Sage Ich: „Wäre alles gut; aber seht: Die Vögel haben ihre Nester und die Füchse ihre Löcher; aber Ich habe nicht, dahin Ich Mein Haupt legete!

3. Der Mein Jünger sein oder werden will, der muß eine starke Bürde auf seinen Rücken nehmen und Mir also nachfolgen! Irdische Vorteile schauen bei Meinen Jüngern gar keine heraus, im Gegenteil müssen sie sogar um Meines Namens und um Meiner Liebe willen die schon gehabten irdischen Vorteile und Besitztümer nicht nur für eine Zeitlang, sondern für immer verlassen; sogar Weiber und Kinder dürfen sie daran nicht hindern, so sie vollends wahre Jünger des Reiches Gottes werden wollen.

4. Geld oder sonstige Weltschätze dürfen sie nicht haben, auch nicht zwei Röcke, ohne Not Schuhe, Säcke zum Einstecken und irgendeinen Stock oder Wanderstab, um sich gegen einen allfälligen Feind zu verteidigen.

5. Sie dürfen auf der Erde nichts haben als allein das verborgene Geheimnis des Reiches Gottes. Könnet ihr euch dazu bequemen, dann könnet ihr Meine Jünger sein!

6. Auch muß ein jeder Meiner Jünger gleich Mir voll Liebe, Sanftmut und Geduld gegen jedermann sein. Er muß seinen ärgsten Feind ebenso segnen wie seinen besten Freund und muß, wenn sich Gelegenheit bietet, dem Gutes tun, der ihm zuvor geschadet hat, und beten für den, der ihn verfolgt.

7. Zorn und Rache müssen ferne sein dem Herzen eines jeden, der Mein Jünger sein will; über die bitteren Vorkommnisse auf dieser Erde darf er nicht klagen oder darüber gar ärgerlich zu murren anfangen.

8. Er muß alles ergötzliche Sinnenleben fliehen wie die Pest, aber dafür alles aufbieten, um vollauf durch Mein lebendiges Wort im eigenen Herzen sich förmlich einen neuen Geist zu schaffen und endlich für ewig vollkommen in diesem Geiste fortzuleben in der Fülle aller geistigen Kraft.

9. Überdenket darum diese Bedingungen, und saget es Mir, ob ihr damit einverstanden seid, und ob ihr euch alldem völlig unterziehen wollet!“

10. Über diese Meine Vorstellung fangen die jungen Pharisäer gewisserart an, sich sehr hinter den Ohren zu kratzen, und es weiß keiner, was er so als ganz Geeignetes darauf sagen solle. Der gewöhnlich mit dem Julius verkehrende, aber nun noch bei Mir stehende junge Pharisäer sagt aber dennoch nach einer Weile, so zur Hälfte scherzweise: „Lieber, guter und unübertrefflichster Meister! Die uns gestellten Bedingungen mögen an und für sich ganz gut sein in Anbetracht der Erreichung auch nur einiger deiner außerordentlichen, gottähnlichen Eigenschaften; aber es werden sich ganz wenige nur dazu bekennen und bequemen! Und fürs Allgemeine aber kann solch ein Verlangen ja ohnehin nie einen Wert erhalten; denn wollten am Ende alle Menschen in deine Jüngerschaftsbedingungen eingehen, so würde die Erde bald also aussehen, wie sie nach Moses am zweiten oder dritten Schöpfungstage ausgesehen hatte, nämlich öde, wüste und leer! Weißt du, Proselyten (Neubekehrte) wirst du auf diesem Wege sehr wenige zustande bringen! Einige wenige ja, die sich dem sogenannten beschaulichen Leben unterziehen und schon gewisserart auf dieser Erde das erreichen wollen, was sie erst jenseits zu erreichen haben, werden sich wohl dazu bequemen; aber alle Menschen!? O Gott, wohin mit der Welt!?

11. Da ist und bleibt die alte Lehre Mosis für die physische und moralische Sphäre eines jeden Menschen denn doch immer das Erschöpfendste und in jeder Hinsicht aller Kreatur Dienlichste! Da kann man vor Gott und vor der Welt gleich einem David ein angesehener Mensch sein, was im höchsten Grade zur Erhaltung der Ordnung auf der Erde nötig ist. Stelle du nur alle Menschen gleich, und du wirst dich bald überzeugen, wohin die Menschheit da kommen wird schon in einer jüngsten Zeit! Einige wenige ja sollten im Besitze der Geheimnisse des Reiches Gottes auf Erden sein; aber für alle Menschen taugte das gerade also, als wenn bei einem Heere entweder lauter gleichrangige Feldherren sich vorfänden oder aber auch lauter gemeine, rohe Krieger ohne alle Kenntnis von der Führung eines Krieges, also ohne einen Feldherrn. Wahrlich, mit so einem Kriegsheere könnten es am Ende auch einige nur einigermaßen gut geleitete Altweiberscharen aufnehmen!

12. Ich für mich allein will allerdings recht gerne dein Jünger werden, und hättest du mir noch schwerere Bedingungen gestellt; aber ob sich alle meine Gefährten dazu bequemen werden, das ist eine sehr bedeutend andere Frage! Denn siehe, der Tempel verlangt wohl wahrlich sehr vieles; aber du verlangst gleich alles, – und dazu, Freund, dazu werden sich sehr wenige verstehen!“

Kapitel 009. Die Vorteile der Selbstverleugnung.

1. Sage Ich: „Das macht ja aber auch nichts; Ich zwinge ja niemanden! Wer Mir folgen will, der folge; wer aber nicht will und nicht kann, der bleibe daheim!

2. Aber in diesen Tagen leidet das Reich Gottes Gewalt; und die es nicht mit Gewalt an sich reißen, die werden es nicht besitzen.

3. Ich aber meine in Hinsicht Meiner euch gestellten, allerdings etwas schweren Bedingungen: So du einen alten und schon sehr zerlumpten Rock hast, mit dem es eine barste Schande ist, mehr unter die Menschen zu treten, und es kommt ein Mensch zu dir mit einem neuen, guten Rocke und spricht zu dir: ,Freund, ziehe aus deinen alten Rock und vertilge ihn ganz, weil er für eine weitere Zukunft durchaus nicht mehr zu gebrauchen ist, und ich gebe dir hier darum einen neuen, der für alle Zeiten taugen wird, weil er aus einem Stoffe gewebt ist, dem keiner Zeit Stürme etwas anhaben können!‘ – wirst du bei solch einem Antrage wohl noch der Narr sein und behalten den alten, morschen Lumpenrock?

4. Weiter weißt du, so wie deine Gefährten, daß dies irdische Schul- und Probeleben nur eine äußerst kurze Zeit dauert und hinter demselben gleich die endloseste Ewigkeit beginnt. Weißt du wohl, wie und ob du nach des Leibes Tode noch irgendein Fortleben haben wirst? – Ich aber bin nun allein in der Lage, dir wie jedermann für dieses kurze und armselige Leben mit der höchsten Bestimmtheit das ewige, vollkommenste Leben eines Engels zu geben.

5. Wirst du da auch irgend noch ein Bedenken tragen, Meinen Antrag anzunehmen, zumal Ich der einzige bin, der dir das ewige Leben bereiten und ganz zu eigen geben kann? Wahrlich, Ich verlange nur sehr Geringes – und gebe aber darum überaus vieles!

6. Meinst du denn, die Erde würde wüste und leer werden, so da mit der Zeit, was auch einstens geschehen wird, alle Menschen den Anforderungen Meiner Lehre nachkämen? Oh, du kurzsichtiger Pharisäer!

7. Da siehe diesen Meinen Engel! Er allein hat so viel Macht und Kraft aus Mir, daß er, so Ich es wollte, diese ganze Erde, die große Sonne, den Mond und alle die andern dir sichtbaren Sterne, gegen deren Weltgröße diese ganze Erde kaum ein kleinstes Sandkörnchen zu nennen ist, in einem Augenblick ebensoschnell zunichte machen könnte, als wie er zuvor den Stein zunichte gemacht hat. Wenn du aber glaubst, daß die Kultur des Erdbodens nur von den Menschen abhängt, so irrst du dich gewaltig!

8. Ich will dir ein Stück Feldes geben, aber es zuvor belegen mit Meinem Fluche, und du magst dann darauf arbeiten, wie du willst, und es wird dir auch nicht einmal Dornen und Disteln zum Fraße deiner Würmer tragen! Wohl legt der Sämann das Korn in die gefurchte Erde; aber es müssen bei der Aussaat auch Meine Engel mitarbeiten und also segnen den Acker, ansonst er dir ewig keine Früchte tragen wird! – Verstehst du das?

9. Wenn aber die Hauptbearbeiter des Erdbodens zur Tragung irgendeiner Nährfrucht gleichfort Meine Engel sind, so könnten sie im günstigen Notfalle schon auch das Aussäen auf sich nehmen, so wie sie solches auch an Stellen dieser Erde tun, die noch keines Menschen Fuß betreten hat.

10. Aber weil die Menschen im alten Fluche leiden und selbst für ihren Leib mit aller Gewalt arbeiten wollen, – nun, so haben Meine Engel dabei stets gut den gleichen alten Feiertag halten!“

Kapitel 010. Bedürfnisse und deren Übel.

1. (Der Herr:) „Habt ihr nicht gelesen vom einstigen Eden der Erde, allwo der erste Mensch erschaffen wurde? Dieses Eden war ein großer Garten und bestens bestellt mit den besten Früchten der ganzen Erde; und doch hatte ihn zuvor unmöglich irgendeines Menschen Hand bearbeiten können! Also hatten die ersten Menschen keine Häuser und Städte; sie hatten nur äußerst wenig Bedürfnisse, die leicht zu befriedigen waren, blieben aber dabei gesund, erreichten stets ein sehr hohes Alter und hatten darum sehr viel Zeit, sich mit ihrer inneren Seelenbildung abzugeben und standen fast gleichfort im sichtbaren Verbande mit den Mächten der Himmel.

2. Ein Kain aber erbaute durch Eingebung des Satans seinem Sohne Hanoch schon eine Stadt gleichen Namens; und er hat dadurch den Grundstein zu allen Übeln der Erde gelegt.

3. Ich sage es euch: Der Mensch bedarf zum Leben auf dieser Erde gar nicht viel; aber des Menschen Hoffart, seine Trägheit, sein Hochmut, seine Selbstsucht und Herrschlust brauchen unbeschreibbar vieles und sind dennoch nie zu befriedigen!

4. Dafür ist zumeist der Menschen Sorge genährt, und die Menschen haben dann ganz natürlich keine Zeit mehr, sich mit dem abzugeben, womit sie sich eigentlich abgeben sollten, weil sie von Gott nur darum auf diese Welt gesetzt worden sind.

5. Von Adam bis Noah führten die Kinder der Berge nie einen Krieg, weil sie nur sehr geringe Bedürfnisse hatten und keiner mehr sein wollte, als was da war sein Bruder, und die Eltern aber ihr Ansehen gegenüber ihren Kindern dadurch stets auf die ansehnlichste Weise behaupteten, weil sie gleichfort die weisen Führer und Lehrer und Ratgeber ihrer Kinder verblieben.

6. In der Tiefe aber, wo die am Herzen und Verstande blinden Menschen sich ihre Lehrer und Führer und Ratgeber gar prächtig zu schmücken begannen, ihre Häupter salbten und mit Kronen zierten und ihnen des größeren Ansehens wegen auch allerlei Macht und Gewalt einräumten, da war es dann auch aus mit dem Leben unter leichten und kleinen Bedürfnissen!

7. Die Pracht hat einen großen Magen, der nimmer zu sättigen ist. Die Erde konnte auf einem engen Flächenraume kein genügend Futter mehr aus dem Boden treiben, und die schwer zu sättigenden Prachtmenschen fingen an, sich weiter und weiter auszudehnen, nannten den okkupierten Boden gleich ihr volles Eigentum, sorgten darauf gleich für die Pracht und erweckten dadurch den Neid und die Eifersucht und dadurch auch bald Mißgunst, Zank, Hader und Krieg, und der Stärkere bekam am Ende das Recht und ward Herrscher über die Schwächeren und zwang sie, für ihn zu arbeiten und ihm in allem untertan zu sein. Die Widerspenstigen aber wurden gezüchtigt und gar mit dem Tode zum unbedingtesten Gehorsam getrieben!

8. Und seht, das war alles die Folge der äußeren Kultur der Erde, der Prachtliebe und des daraus hervorgehenden Hochmutes!

9. Wenn Ich nun aber in Meinem Geiste aus den Himmeln kommend euch wieder auf den glücklichen Urzustand der ersten Menschen zurückführen will und euch die lange gänzlich verlorenen Wege ins Gottesreich zeige, wie könnet ihr da sagen, daß die von Mir gestellten Bedingungen, um Meine Jünger zu werden, zu hart und fürs Allgemeine nahezu unausführbar seien!

10. Ich sage es euch: Das Joch, das Ich auf eure Nacken lege, ist sanft, und die Bürde, die Ich euch zu tragen biete, ist federleicht gegen das, was ihr nun Tag für Tag traget.

11. Wie weit hinaus in alle Welt sind eure Sorgen gerichtet! Tag und Nacht habt ihr keine Ruhe und keine Rast; und das allein nur der Welt wegen, und daß ihr nicht etwa wo verkürzt würdet in eurer eingebildeten Pracht und in eurem Wohlleben, auf Kosten des oft blutigen Schweißes eurer schwachen Brüder und Schwestern!

12. Wie soll bei solch einem Sorgen die Seele noch irgendeine Zeit finden, für die Erweckung des Geistes Gottes in ihr auch noch etwas zu tun!?

13. Ja, eure Seelen und die Seelen von Millionen wissen nicht einmal mehr, daß sie Träger des Geistes Gottes sind, geschweige, daß sie bei ihren ins Endlose gehenden Weltsorgen zur Frei- und Selbständigwerdung desselben irgend etwas Ersprießliches tun könnten und möchten. Die arme und schwache Menschheit wird aber von euch zu sehr für eure Pracht- und Wohllebensliebe zu blutig- rastloser Knechtsarbeit angetrieben und kann darum auch nicht für die Frei- und Selbständigwerdung ihres Geistes irgend etwas tun, und so seid ihr samt euren Untertanen tot und seid wahrhaft Kinder des Satans und möget nicht vernehmen Mein Wort, das euch ernstlich und wahr führet zum Leben, sondern ihr verteidiget euer Wort, aus dem für euch und für alle eure Untergebenen der ewige Tod notwendig erfolgen muß!“

Kapitel 011. Über den Grund der Sündflut.

1. (Der Herr:) „Man klagt noch Gott an und sagt: ‚Wie konnte Gott eine alles Leben erstickende Sündflut über den Erdboden kommen lassen und wie vernichten die Sodomiter und Gomorrhiten!?‘ O nichts leichter als das! Denn wozu belebte und gezierte Fleischklumpen auf dem Boden einer Erde noch länger herumwühlen lassen, deren Seelen sich so weit von der alten Ordnung Gottes entfernt haben, daß in ihnen aber auch die letzte Spur sogar des Bewußtseins ihrer selbst vor lauter Sorge ums Fleisch entflohen ist!?

2. Kann es noch eine dickere Inkarnation (Verstofflichung) der Menschenseele geben als eine, in der die Seele nicht nur von dem göttlichen Geiste in ihr jeder Ahnung bar geworden ist, sondern sich am Ende selbst auch derart verliert, daß sie ihr eigenes Dasein im vollsten Ernste zu leugnen anfängt und nicht mehr zu der Überzeugung zu bringen ist, daß sie ist!?

3. Ja, wenn bei der Menschheit der Welt einmal der Zustand eintritt, da hat dann auch der Mensch vollends aufgehört, ein Mensch zu sein; er ist dann nur mehr ein instinktartig vernünftiges Tier und ist vorderhand für jede weitere Bildung der Seele und des Geistes total unfähig. Darum muß solch ein Fleisch getötet werden und verfaulen samt der zu intensiv inkarnierten (sehr verstofflichten) Seele, auf daß vielleicht nach vielen Jahrtausenden eine aller Inkarnation ledig gewordene Seele wieder den Weg ihrer Selbstbildung und Selbständigwerdung, entweder noch auf dieser Erde oder auf einer andern, betreten kann.

4. Daß es aber nun schon wieder gar häufig Menschen gibt, die von ihrer eigenen Seele vor lauter großen Sorgen um der Welt und ihres Fleisches willen nichts mehr wissen, das könnet ihr zum Teil an euch selbst, zum Teil an den Sadduzäern und zum größten Teile an allen Menschen ersehen; denn da weiß keiner mehr Bescheid zu geben, wer und was die Seele ist! Man spricht sie wohl aus und sagt: ‚Bei meiner Seele‘, und ‚in meiner Seele‘; fragt man aber dann jemanden und sagt: ‚Freund, wer und was ist denn etwa doch die Seele?‘, da steht dann der Befragte sofort gleich einem Ochsen am Berge und weiß nicht, wo aus und wo ein!

5. Wenn aber einmal eine Seele sich selbst nicht mehr kennt und am Ende sogar ganz vergißt, daß, was und wie sie ist, dann hört sich alles auf! Und Gott bleibt da nichts übrig, als das alte Menschenleiber-Vertilgungsmanöver von neuem über den Erdboden ergehen zu lassen, bald in größerem und bald in kleinerem Maße, je nach dem Sachverhalte der Menschen, inwieweit diese von ihrem Geiste und ihrer Seele noch etwas oder gar nichts mehr wissen.

6. Solch reine Welt- und Fleischmenschen werden zwar der Außenform nach oft sehr schön und üppig, besonders das weibliche Geschlecht; der leichtfaßliche Grund liegt in der stets größeren Einigung der Seele mit ihrem Fleische. Aber solche Menschen werden dadurch auch schwach und für alle argen physischen Eindrücke sehr empfänglich. Solche Leiber werden leicht krank, und ein leisester pesthaltiger Hauch bringt ihnen den unvermeidlichen Tod, während Menschen, die eine freie Seele und in ihr einen freien Geist haben, alle Gifte der Erde über sich kommen lassen können, und es wird ihnen aber alles nicht im geringsten zu schaden imstande sein; denn eine freie Seele und der freieste Geist in ihr haben Kraft und Mittel in Überfülle, jedem ohnmächtigen Feinde auf das wirksamste zu begegnen, während eine von ihrem verfluchten Fleische an allen Lebensorten und Enden dickst geknebelte Seele einem klein (eng) gefesselten Riesen gleicht, der sich am Ende nicht einmal gegen eine ihn belästigende Fliege zur Wehr stellen kann und sich gefallen lassen muß, so ihm ein ohnmächtiger Zwerg mit einem Messer schön langsam, aber dafür desto schmerzlicher den Kopf vom Rumpfe trennt.“

Kapitel 012. Missionswinke.

1. (Der Herr:) „Merket euch das! So ihr kommet in einen Ort, allwo es sehr schön gestaltete und geputzte Menschen beiderlei Geschlechtes gibt, da ziehet ehestens weiter; denn da ist fürs Gottesreich kein Geschäft zu machen, weil da zum wenigsten das halbe Sodom und Gomorrha fertig ist! Von solch einem Orte ist auch das Strafgericht Gottes nimmer ferne; denn solche verfleischte Seelen, die zum größten Teile von ihrem höchst eigenen Dasein nahezu alles Bewußtsein in das Grab ihres Fleisches gelegt haben, sind zu sehr durch und durch geknebelt. Und wird ihr schönes Fleisch von den bösen, rohen und noch höchst ungebildeten Naturgeistern der Luft nur ganz leise beschlichen, so können sich solche geknebelte Seelen zu keiner Wehr stellen und erliegen dann ehestens samt ihrem Fleische, das, weil zu sehr seeldurchmengt, viel empfänglicher und empfindlicher ist als das Fleisch des Leibes einer freien Seele.

2. Gehet hin und ergreifet eine so recht zarte Stadtdirne recht fest am Arme oder an einem sonstigen Leibesteile, und sie wird schreien vor Schmerz; gehet aber hin aufs Land zu einem arbeitenden Landmanne, der nebst seiner Arbeit aber auch noch für seine und seiner Kinder Seelen eine gerechte Sorge trägt, da könnet ihr die Hände des Landmannes und seiner Kinder so fest als ihr wollt ergreifen und schütteln, und sie werden kein zu großes Schmerz- und Angstgeschrei erheben!

3. Ihr meinet wohl, daß solche Unempfindlichkeit von der schweren Arbeit und von der dadurch bewirkten Abhärtung herrühre?! O nein, sage Ich euch; sondern die größere Unempfindlichkeit ist nur eine Folge der aus ihrem Fleische durch allerlei Selbstverleugnung freier gewordenen Seele, wodurch dann auch die rechte Abhärtung des Fleisches zustande gebracht wird.

4. Wo aber alle Sorge für die Zärtung des Fleisches getragen wird und sogar eigene Schulen bestehen, in denen der Leib durch allerlei Gymnastik möglichst ebenmäßig und am Ende durch allerlei Salben und Öle so zart als möglich gemacht wird, da gibt es keine freie und starke Seele mehr; und kommt dann nur ein leiser Gifthauch über solche ekelhaft schwachen Leiber, so hält dann leicht der Tod sein reichstes Erntefest.

5. Da wird dann wieder gejammert und geklagt, und ein halbgläubiger Mensch um den andern macht seinen Mund auf und sagt: ‚Aber was kann Gott da doch für ein Vergnügen haben, so Er die Menschen in einem fort mit allerlei Plagen heimsucht?!‘ Da schaue entweder gar kein Gott heraus, oder Gott sei zu erhaben und kümmere Sich ums Gewürm einer Erde nimmer, oder Gott sei opferhungrig und weihrauchlüstern geworden, man müsse Ihn wieder besänftigen durch reiche Opfer, magische Sprüche und durch Weihrauch! Oder Gott sei erzürnt worden und räche Sich nun an der harmlosen schwachen Menschheit; man müsse in Sack und Asche Buße tun und zum wenigsten zwölf Sündenböcke in den Jordan schmeißen!

6. Aber daran denkt niemand, daß all das Leiden, alle Krankheiten, alle Kriege, alle Teuerung, Hunger und Pest lediglich daher rühren, weil die Menschen anstatt für ihre Seele und ihren Geist nach der Ordnung Gottes alles zu tun, nur alles für ihren Leib tun!

7. Man predigt wohl toten Seelen die Furcht vor Gott, an den aber der seelentote Prediger selbst schon lange nicht mehr glaubt, sondern nur an das, was er fürs Predigen bekommt, und zu welcher Ehre und zu welchem Ansehen ihn ein gut studiertes Predigertalent bringen könnte. Und so führt ein Blinder den andern, und so will ein Toter den andern Toten lebendig machen. Der erste predigt für seinen Leib, und der andere horcht auf die Predigt seines Leibes wegen. Was für ein Vorteil aber läßt sich da wohl für irgendeine im höchsten Grade kranke Seele denken und bewirken?

8. Ich bin ein Heiland; wie, fragen sich die toten und daher stockblinden Menschen, kann Mir doch solches möglich sein? Und Ich sage es euch, daß Ich keines Menschen Fleisch heile, sondern wo irgendeine Seele noch nicht zu mächtig mit ihrem Fleische vermengt ist, mache Ich nur die Seele frei und erwecke, insoweit es sich tun läßt, den in der Seele begrabenen Geist. Dieser stärkt dann sogleich die Seele, die frei wird, und es ist ihr dann ein leichtes, alle Gebrechen des Fleisches in einem Moment in die normale Ordnung zu setzen.

9. Das nennt man dann eine Wunderheilung, während das doch die allerordentlichste und natürlichste Heilung des Fleisches von der Welt ist! Was jemand hat, das kann er auch geben; was er aber nicht hat, das kann er auch nicht geben!

10. Wer eine lebendige Seele nach der Ordnung Gottes hat und einen freien Geist in ihr, der kann auch seines Bruders Seele frei machen, wenn sie noch nicht zu sehr inkarniert (verfleischlicht) ist, und diese hilft dann gar leicht ihrem kranken Fleischleibe. So aber der Seelenarzt selbst eine überaus kranke Seele hat, die viel mehr tot denn lebendig ist, wie sollte der hernach einer zweiten Seele geben, was ihm selbst gänzlich mangelt?! Darum überdenket es euch!

11. Die Bedingungen zur Werdung Meiner Jünger habe Ich euch nun gezeigt, und die Übel der Welt bis auf ihren wahrsten und tiefsten Grund. Tut nun, was ihr wollt! Ich nehme euch weder zu Meinen Jüngern auf, noch verwehre Ich euch, solche zu werden. Wollt ihr aber schon Meine Jünger werden, so müsset ihr auch vor allem eure Seelen frei und stark machen, ansonst euch die Jüngerschaft Meiner Lehre nichts nützen würde!“

Kapitel 013. Noah und die Arche.

1. Nach dieser Rede macht alles große Augen und sagt im stillen: ,Meine Schuld!‘ Und der junge Pharisäer weiß darauf nicht, was er Mir erwidern soll. Auch Cyrenius und Julius machen hier etwas bedenkliche Mienen, und der Ebahl und die Jarah selbst, der ihre weibliche Schönheit bedenklich zu werden beginnt!

2. Und Cyrenius sagt nach einer Weile tiefen Nachdenkens: „Herr und Meister, ich habe mit Dir schon hie und da einige Tage und Nächte zugebracht und habe von Dir viel Wunderbares wirken sehen und Dich auch sehr scharf reden hören, aber so wie diese Deine Rede hat mich noch nie etwas so sehr aus aller Meiner Lebensfassung gebracht! Denn nach dieser Deiner nunmaligen Äußerung sind wir durchaus nicht um vieles besser gestellt als zu den Zeiten Abrahams Sodom und Gomorrha. Und all unser Sorgen, Tun und Handeln ist ganz in optima forma des Satans. Freund, das ist eine sehr harte Lehre! Leider kann man sich's um keinen Preis der Welt verhehlen, daß Du uns hier die allernackteste Wahrheit aufgetischt hast; aber wie nun sich auf einen Standpunkt stellen, von dem aus man sicher bereitwilligst aller Welt den Rücken zeigen und dann alle Zeit auf die Kultur der Seele und des Geistes verwenden könnte?“

3. Sage Ich: „Freund, nichts leichter als das! Du bleibst, was und wer du bist, und stehst dem vor, dem du vorgestellt bist; aber nicht zu deinem Ansehen, sondern zum vielseitigen Nutzen der Menschen!

4. Denn sieh, als zu Noahs Zeit die Flut kam über den Boden der Erde, den die im Grunde des Grundes lebensverdorbenste Menschheit bewohnte, so tötete die Flut bis auf Noah und dessen kleine Familie und die Tiere, die Noah in den Kasten aufnehmen konnte, in der weiten Weltgegend alles, nur die Fische im Wasser natürlich nicht.

5. Wie aber erhielt Noah sich und seiner Familie das Leben hoch über all den todbringenden Wogen der großen Flut? Sieh, er befand sich in seinem festen Kasten, den die tolle Flut ganz gehorsamst auf ihrem Rücken tragen mußte und konnte nirgends eindringen ins Innere des Kastens, allwo sie auch dem Leben Noahs hätte gefährlich werden können!

6. Diese tödliche Flut Noahs erhält sich aber geistig noch gleichfort über dem Boden dieser Erde; und Ich sage es dir, daß diese geistige und beständige Sündflut Noahs dem Leben der Weltmenschen nicht im geringsten irgend minder gefährlich ist als die einstige naturmäßige zu den Zeiten Noahs.

7. Wie aber kann man sich vor dem Zu-Tode-Ersäufen in der geistigen Sündflut schützen? Ich sage es dir: Was Noah körperlich tat, das tue man nun geistig, und man ist für immer geschützt vor dem Zu-Tode-Ersäufen in der großen und beständigen geistigen Sündflut!

8. Mit andern Worten gesagt: Man gebe nach der Ordnung Gottes auch der Welt, was der Welt ist, – aber vor allem Gott, was Gottes ist!

9. Die ‚Arche Noahs‘ ist eines Menschen rechte Demut, Nächsten- und Gottesliebe.

10. Wer recht demütig ist und voll der reinen, uneigennützigen Liebe zu Gott dem Vater und zu allen Menschen und hat stets das rege Bestreben, allen Menschen, so möglich, zu dienen in der Ordnung Gottes, der schwimmt ganz wohlbehalten und bestverwahrt über die sonst gar so leicht todbringenden Fluten aller Weltsünden hinweg; und am Ende dieser seiner irdischen Lebenslaufbahn, wenn für ihn die Flut sinken wird und sich verlaufen in ihre finsteren Tiefen, da wird seine Arche am großen Ararat des lebendigsten Reiches Gottes eine wohlgestellte Ruhe nehmen und wird dem, den sie getragen, zu einem ewigen Wohnhause werden.“

Kapitel 014. Wie man die irdischen Schätze betrachten und nützen soll.

1. (Der Herr:) „Sieh Mich an! Muß Ich nun nicht verkehren mit der Welt? Ich esse und trinke, und die Welt dient Mir, wie einst die Flut dem Kasten Noahs gedient hat! Wohl tobt sie gar gewaltig unter den festen Wänden Meines Kastens, – aber verschlingen kann sie ihn ewig nimmer!

2. Du kannst nicht darum, daß da ein römisches Reich dereinst entstanden ist. Nun ist es einmal da, und du kannst es nicht zunichte machen! Das Reich aber hat dennoch gute Gesetze, die zur Aufrechterhaltung einer Ordnung und zur Demütigung der Menschen recht wohl taugen. Dünkst du dich ein Herr zu sein, der über dem Gesetze steht und darum eine Krone tragen kann, so bist du auf dem falschen Wege für dich, wennschon nicht gegenüber den Menschen, die das Gesetz, das einmal sanktioniert ist, sowieso tragen müssen mit allen seinen Vor- und Nachteilen. Stellst du dich aber auch unter das Gesetz und betrachtest dich bloß als den vom Staate und von der Notwendigkeit aufgestellten Leiter und Ausfolger desselben, so stehest du am rechten Standpunkte und zimmerst dir aus dem geistigen Material des Gesetzes eine Arche, die dich über alle noch so stürmende Flut der Weltsünden hinwegtragen muß!

3. Wenn du dazu aber noch in aller Tat die leichten Grundsätze Meiner Lehre beachtest, die mit euren Gesetzen ganz gut zu vereinbaren ist, so tust du auch nach Möglichkeit für deine Seele und für deinen Geist zur Genüge. Wenn aber Ich dir das als genügend darstelle, so nenne Mir noch jemanden, der dir das als ungenügend bezeichnen könnte!“

4. Sagt Cyrenius: „Aber bedenke, o Herr, die Pracht und den Luxus, in dem ich des Staates wegen leben muß, und bedenke, was Du eben vorher von der Pracht und vom Luxus der Welt geredet hast!“

5. Sage Ich: „Liebst du denn in deinem Herzen die Pracht und den Luxus der Welt?“

6. Antwortet Cyrenius: „Oh, nicht im geringsten; mir ist all das wie eine rechte Qual!“

7. Sage Ich: „Nun, was beirrt dich dann die Mußpracht und der Mußluxus? Kein Glanz und keine Verzierung kann ohne Liebe deines Herzens dafür zu einem Nachteile für Seele und Geist werden! Aber wenn dein Herz an etwas Materiellem hängt und wäre dasselbe an und für sich noch so nichtig, so kann es der Seele und dem Geiste ebenso schädlich sein wie eine schwerste Krone aus reinstem Golde und aus den kostbarsten Edelsteinen.

8. Es kommt da darum alles nur auf die Verfassung des Herzens an; denn sonst müßten allerlächerlichsterweise auch Sonne, Mond und all die Sterne den Menschen dieser Erde als Sünden angerechnet sein, weil sie sehr prachtvoll leuchten und glänzen, und weil der Mensch denn doch sicher eine rechte Freude daran hat. Also kannst auch du, Mein lieber Cyrenius, eine rechte Freude an deinem Glanze vor den Menschen haben, aber nur keine eitle und darum dumme, denn durch sie wird die Seele verdorben und am Ende getötet!

9. Ist doch dem Salomo gestattet und sogar anbefohlen gewesen, sich mit einer solchen Pracht zu umkleiden, wie sie vor ihm kein König getragen hatte und nach ihm auch kein König je mehr tragen wird. Solange er daran keine dumme, eitle Freude knüpfte, sondern eine rechte, in der Weisheit begründete hatte, war die Freude erhebend für seine Seele und seinen Geist. Als er aber in der Folge des großen Glanzes wegen eitel ward und die Hoffart sich seiner bemächtigt hatte, da auch sank er gleich in allem vor Gott und allen besseren Menschen und verfiel in alle Sünden der üppigen Welt, und seine Werke und Taten wurden zu Narrenstreichen vor den besseren Menschen und zu wahren Greueln vor dem Angesichte Gottes.

10. Ich sage es dir und auch allen andern, daß es dem Menschen sogar gut und nützlich ist, wenn er als ein an Seele und Geist vollreif Gewordener schon auf dieser Erde die Pracht der Himmel nachahmt und sein Gemüt daran auf eine gerechte Art erheitert; denn es ist löblicher, zu bauen, als zu zerstören. Aber nur vollreife Menschen an der Seele und am Geiste sollten so etwas tun, auf daß die Unreifen ersähen, was alles ein Reifer zu schaffen vermag.

11. Aber wer sich einen Palast erbaut seiner Ehre und seines Ruhmes wegen und liebt sich am Ende selbst in seiner Pracht, der begeht eine mächtige Sünde gegen seine eigene Seele und gegen den göttlichen Geist in ihm und verdirbt sich und alle seine Nachkommen, die sich dann schon von der Geburt an für viel besser halten als die andern Menschen.

12. Werden aber durch die Pracht der Paläste die Herzen der Bewohner der Paläste verdorben und werden dabei voll Hochmutes und voll Verachtung gegen solche Menschen, die keine Paläste bewohnen können, dann ist es wieder besser, die Paläste sogleich in Schutthaufen zu verwandeln.

13. Also ist es auch gar nicht wider die göttliche Ordnung, sich eine Stadt zu erbauen, in der die Menschen in Frieden und Eintracht beisammen, wie eine Familie in einem Hause, leben, wirken und handeln und sich in allen Dingen gegenseitig leichter unterstützen können, als wohneten sie stundenweit auseinander. Reißt aber in einer Stadt dann Hochmut, Luxus, Prachtsucht, Neid, Haß, Verfolgung und sogar Totschlägerei ein, und Schwelgerei, Unzucht und Trägheit, dann sei eine solche Stadt nur gleich wieder in Schutt- und Moderhaufen zu verwandeln, sonst wird sie eine Pflanzstätte für allerlei Erzübel, die mit der Zeit die ganze Erde durch und durch verpesten würden gleich dem vorsündflutlichen Hanoch und dem nachsündflutlichen Babylon und der großen Stadt Ninive! Wie groß waren dereinst diese Städte, und nun stehen wenige ganz elende Hütten an ihrer Stelle! Wo aber einst Hanoch stand, da ist jetzt ein Meer, so wie an der Stelle des alten Sodom und Gomorrha und der zehn kleineren Städte im Umkreise der zwei großen, von denen jede größer war dem das heutige Jerusalem, das auch nicht mehr völlig so groß ist, als wie groß es war unter Davids Zeiten.

14. Was aber mit jenen Städten geschehen, das wird auch mit Jerusalem geschehen, und es sind etwelche hier, die den Greuel der Verwüstung mit ansehen und mit genießen werden! Denn wie gesagt, es ist besser, keine solchen Städte und dafür desto mehr vollends lebendige Seelen, als eine Stadt, in der die Menschenseelen vollauf zugrunde gerichtet werden für die Zeit und für die Ewigkeit!

15. Also magst du, lieber Cyrenius, alles haben, was nur die Erde Köstliches und wundersam Schönes auf ihrem weiten Boden trägt, und kannst dich daran, Gott lobend und preisend, ergötzen. Aber hänge dein Herz nie daran; denn alle diese Erdenpracht muß dereinst vergehen für sich und für dich, wenn du das Zeitliche mit dem Ewigen vertauschen wirst! Denn alle Materie ist ja im Grunde nichts als das allein, was Ich dir in einer früheren Rede klar und deutlich genug auseinandergesetzt habe. – Sage, bist du damit zufrieden, und hast du das wohl also verstanden, wie es vor Gott und aller Welt verstanden werden muß?“

Kapitel 015. Über den rechten Weg zum Vollendungsziel der Menschen.

1. Sagt Cyrenius: „Ja, nun bin ich schon wieder ganz im reinen; es nützt ein für alle Male rein nichts. Wie es für jeden Grashalm ein bestimmtes Gesetz gibt, unter und nach dem er sich entwickeln kann, also gibt es auch nur ein der ganzen Wesenheit des Menschen akkommodiertes psychomoralisches Gesetz, unter dem der Mensch aus sich selbst heraus sich seine volle ungebunden freieste Selbständigkeit erringen kann, oder es gibt nur immer einen und unwandelbar stets denselben Weg, auf dem man seine wahre und ewige Bestimmung erreichen kann; auf jedem andern der zahllos vielen Freiheitswege, auf denen moralisch die Menschen wohl auch einhergehen können, ist das große, allein wahre und von Gott aus bestimmte Ziel unmöglich je zu erreichen!

2. Daß aber übrigens der von Dir, o Herr, uns gezeigte Weg der ganz allein rechte und wahre ist, das sehe ich nun aber auch so klar und rein ein, als wie klar am hellsten Mittage die Sonne leuchtet. Auch sehe ich es ein, daß ein jeder Mensch, hoch oder nieder, ganz unbeirrt den rechten Weg fortwandeln kann, wenn er nur einen ernstlichen Willen dazu hat; aber wohl sehe ich es auch ein, daß da kein Mensch von sich selbst heraus je diesen Weg hätte finden können in der Fülle der Wahrheit und allen Lebensverhältnissen so vollkommen entsprechend. So etwas muß unmittelbar vom Geiste Gottes den Menschen, die ein rechtes Verständnis haben, geoffenbart werden!

3. Aber obschon der Weg nun sehr klar bezeichnet ist, so wird er aber meiner Ansicht nach dennoch selten vollkommen betreten werden; denn, das verhindernd, haben eben die zu materiellen Einrichtungen der Welt eine zu starke Schranke über diesen allein wahren und rechten Weg gelegt, und viele, die diesen Weg betreten, werden sich daran stoßen und auf dem halben Wege umkehren, besonders, wenn sie nicht binnen einer kurzen Zeit irgendeinen wunderbaren Erfolg ihrer Mühe an sich bemerken werden, was eben bei Menschen, die vorher schon stark mit der Außenwelt verknüpft waren, nicht so geschwinde gehen wird, als man sich's im ersten Augenblick denkt.

4. Ich hoffe, durch Deine besondere Gnade das heilige, große Ziel wohl zu erreichen; aber ich bin nur einer, und der große römische Staat zählt nun viele Millionen. Wie und wann aber werden diese alle, die doch auch so gut wie wir Menschen sind, auf diesen Weg gelangen?!“

5. Sagt dazu der junge Pharisäer: „Höchster Gebieter! Das war soeben auch mein Gedanke! Wir können nun schon den Weg alles Heils ganz ruhig und froh betreten; aber wie die vielen Millionen, die nicht die Gelegenheit haben, an der Quelle zu schöpfen und sich über jeden Zweifel mit dem großen Meister des Lebens selbst zu besprechen?“

6. Sage Ich: „Auch darum ist fürgesorgt! Denn nach Mir bleibt die Himmelspforte gleichfort offen, und es wird das, was wir nun hier verhandeln, nach mehr denn tausend Jahren ebenso von Wort zu Wort können vernommen und aufgezeichnet werden, als ginge alles das vor den Augen derer vor sich, die nahe zweitausend Jahre nach uns die Erde betreten werden; und worin ein jeder künftighin irgendeinen Zweifel haben wird, darüber wird er sich auch können aus den Himmeln des klarsten Rates holen. Denn in der Folge wird jedermann sogar müssen von Gott aus belehrt werden, und der nicht von Gott aus belehrt wird, wird nicht eingehen ins lichtvollste Reich der Wahrheit.“

Kapitel 016. Von der Erhöhung Jesu.

1. (Der Herr:) „Ich aber sage es euch, daß es dennoch stets schwer sein wird, allein bei der reinsten nackten Wahrheit zu verbleiben; denn der Weltverstand, der verschiedenorts auch zu einer großen Schärfe kommen wird, wird nicht einsehen, wie Ich eben Der sein kann dem Geiste nach, der einst auf Sinai dem Moses unter Blitz und Donner die Gesetze gab und ihm die fünf Bücher diktierte, und der mit Seiner Weisheit, Macht und Stärke die ganze Unendlichkeit erhält und regiert! Das geht sogar mehreren aus euch nun noch nicht ganz ein, die ihr doch volle Zeugen von all dem seid, was hier vorgeht und was auch anderorts vorgegangen ist, daß Ich vollends eins mit dem Vater im Himmel bin. Was werden erst die großen Weltweisen dazu sagen, wenn solches Zeugnis aus dem tausendsten Munde zu ihren Ohren gelangen wird?!

2. Darum wird es auch nur der Einfalt verkündet, und nicht den Weisen der Welt; denn was vor der Welt groß, ist vor Gott ein Greuel!

3. Der einfache, schlichte Mensch, der da noch eines möglich reinen Herzens ist, hat offenbar auch eine freiere Seele und in der Seele einen freieren Geist und faßt darum bald und leicht das, was des Geistes ist; aber ein Weltweiser, dessen Seele mit lauter materiellen Verhältnissen vernagelt ist und von einem göttlichen Geiste in ihr gar keine Ahnung mehr hat, wird das freilich nicht fassen und begreifen, was ihr zum größten Teil nun schon leicht begreifet und so ziemlich in der rechten Tiefe fasset. Aber dennoch fasset auch ihr jetzt noch vieles nicht; aber nach Meiner Erhöhung werdet ihr es vollkommen fassen!“

4. Hier fragt sogleich Cyrenius: „Was für eine Erhöhung denn meinst Du? Wirst Du etwa auf Erden zu einem Könige aller Könige erhöhet und gekrönt werden?“

5. Sage Ich: „Jawohl, aber zu keinem Könige der Welt, und auch mit keiner Goldkrone! Hätte Ich denn nicht Macht, Mir ein Königtum der Erde zu nehmen, das noch weit über alle Enden dieser Erde hinausreichete? Wer könnte Mich wohl hindern daran?

6. Ist nicht das Sein aller Dinge in der Hand Meines Vaters, der in Mir ist, wie Ich in Ihm bin, und ebenso das Leben aller Menschen? Wie viele Atemzüge könntest du ohne den Willen Meines Geistes tun, der allein alles belebt und erhält?!

7. Was nützte den Menschen zur Zeit Noahs alle ihre Macht und feine Kriegskunst?! Siehe, Mein Geist ließ die Wasserflut über alle Könige und ihre Völker kommen, und sie wurden alle begraben!

8. Was nützte dem mächtigen Pharao all sein großes Kriegsheer? Mein Geist ließ die Israeliten trocken durchs Rote Meer ziehen und das sie verfolgende Heer des Pharao ersäufen!

9. Wenn Ich also wollte ein König dieser Erde sein, welche Macht könnte Mich wohl daran hindern?

10. Aber solches sei ferne von Mir und von allen denen, die wahrhaft Meine Nachfolger sein wollen; Mich erwartet eine ganz andere Erhöhung und Krönung, von der du erst dann das Nähere erfahren wirst, wann sie wird begangen sein. Einige Winke aber habe Ich dir ohnehin schon gleich anfangs dieser unserer Sitzung gegeben; so du dich daran erinnerst, wirst du dir das Weitere wohl von selbst denken können!“

11. Sagt Cyrenius: „Aber Herr, ich weiß es nun ganz gewiß, wer und was Du bist, und was alles Du vermagst, – begreife deshalb aber noch immer nicht so recht aus dem Fundamente, warum Du bekanntermaßen bei aller Deiner Allmacht dennoch vor den Nachstellungen des Herodes sowohl wie vor denen des Tempels Dich auf dem flüchtigen Fuße hältst!?“

12. Sage Ich: „Freund, diese Frage hättest du dir nun ganz füglich ersparen können! Fürs erste, weil Ich sie dir schon in Nazareth mehr als hinreichend erläutert habe, und fürs zweite solltest du denn endlich doch schon aus allen Meinen Reden abgenommen haben, daß Ich nicht darum in diese Welt gekommen bin, die Toten noch mehr tot zu machen, als sie es ohnehin schon sind, sondern überall sie nur von neuem wieder zu beleben; darum soll nun an niemanden von Mir aus ein Gericht gehalten werden. Denn nun bin Ich da, all das Gericht, das über diese Erde beschlossen war, auf Mich zu nehmen, und alle Menschen sollen durch das auf Mich genommene Gericht die volle Erlösung vom ewigen Tode finden.

13. Also bin Ich nun nicht da zum Dreinschlagen, sondern nur um alle möglichen Wunden an der mit tausenderlei Übeln behafteten Menschheit zu heilen, aber nicht um ihr noch tiefere und ärgere zu schlagen.

14. Meinst du denn, daß Ich aus Furcht vor Meinen Verfolgern Mich gewisserart flüchtig halte? Oh, so das dein Glaube wäre, da wärest du in einer großen und groben Irre! Siehe an die etlichen schwersten Verbrecher! Wahrlich, nach Moses und nach eurem Gesetze haben sie den hundertfachen Tod verdient; und dennoch lasse Ich nun das nicht geschehen, daß sie getötet würden, sondern es soll auch ihnen die Gnade der Himmel zuteil werden. Werden sie sich die Gnade zunutze machen, so sollen sie auch teil an Meinem Reiche haben; fallen sie aber nach der Zeit wieder, so werden sie es sich selbst zuzuschreiben haben, so sie des Gesetzes Fluch und Strenge töten wird! Denn siehe, das Gesetz währet immer, die Gnade aber kommt nur von Zeit zu Zeit den Bedrängten zu Hilfe; wenn aber die Gnade nicht respektiert wird, so muß man sich dann wieder das Gesetz gefallen lassen.“

Kapitel 017. Von der Willensmacht Jesu und der Freiheit der Menschenseele.

1. (Der Herr:) „Siehe, du bist der Träger alles Gesetzes, aller Macht und aller Gewalt Roms für ganz Asia und einen Teil Afrikas, und dennoch kommt es hier auf Meinen Willen an, die Verbrecher zu richten oder freizulassen, und du kannst nichts gegen Meinen Willen unternehmen.

2. Also könnte Ich auch alle Menschen der Welt mit Meinem Willen zu guten Handlungen nötigen; aber das würde auch ein Gericht sein, das den freien Menschen zu einer Maschine machen würde.

3. Aber du bist dennoch keine Maschine, weil du das, was du auf Mein Wort tust, einsiehst, daß es also allein vollkommen der Ordnung Gottes gemäß recht ist; und verstehst du irgend etwas noch nicht, so fragst du und handelst dann aus deiner Erkenntnis, und solches ist dann keine Nötigung von außen herein, sondern von innen heraus, was da vollkommen in der Ordnung des freien Lebens steht.

4. Denn wenn dich Mein Wille nötigt, so bist du ein geknebelter Sklave, nötigt dich aber dein eigener Wille, so bist du ein Freier; denn dein Wille will nunmehr das, was dein Verstand, als das Augenlicht deiner Seele, als allein wahr und gut erkennt! Aber mit der Welt wäre es anders, so sie genötigt wäre, zu handeln nach Meinem Willen; sie würde nicht erkennen zuvor, was da allein gut und wahr ist, und ihr Handeln wäre dann gleich dem der Tiere, und eigentlich schlechter noch. Denn das Tier steht auf solcher Stufe, daß eine Nötigung, die seiner Natur eingepflanzt ist, seiner Seele keinen weiteren moralischen Schaden zufügen kann, weil eine Tierseele noch lange nicht mit einem freien Moralgesetz etwas zu tun haben kann; aber die Seele des freien Menschen würde durch einen inneren mechanischen Zwang den größten Schaden an ihrem Wesen erleiden, weil das gerichtete Tierische ganz wider ihre freie moralische Natur liefe.

5. Aus dem aber kannst du, Mein lieber Cyrenius, nun wohl hoffentlich mehr denn klar ersehen, warum Ich Mich vor denen, die Mich verfolgen, stets wie flüchtig halte, und ihnen wo und wie nur immer möglich aus dem Wege gehe, nicht um Mich etwa vor ihrer ohnmächtigen Wut zu schützen, sondern um sie als ebenfalls Meine blinden und törichten Kinder vor dem ewigen Verderben zu bewahren.

6. Sehe Ich aber, daß irgend Menschen, die Mich verfolgen, aber in sich dennoch besserer Natur sind und bei einem rechten Geisteslicht die Wahrheit und das rein Gute erkennen können, so fliehe Ich nicht vor ihnen, sondern lasse sie zu Mir kommen, wo sie dann belehrt werden, ihre Nacht und ihr Gericht erkennen und endlich zu Menschen nach der Ordnung Gottes werden. Ein lebendiges Beispiel davon hast du soeben an den dreißig jungen, aber leiblich kräftigen Verfolgern Meiner gefürchteten Person. Sicher hätte Ich sie nicht hierherbringen lassen, so Ich nicht ihre Herzen für Mich tauglich gefunden hätte, als sie noch weit von hier entfernt waren.

7. Die Kräfte der Natur wohl wurden von Meinem Willen dahin genötigt, sie hierherzubringen; aber dadurch ist ihrer Seele kein Zwang angetan worden. Nun sie aber hier sind, werden sie belehrt, ihr Verstand wird lichtreicher, und sie werden dann sicher frei das erwählen, was da frommt ihrer Seele.

8. Sieh, es ist nun schon der Zeit nach nahe daran, daß die Sonne bald ihre Strahlen über den Horizont hereinzusenden beginnen wird, und noch ist keinem von euch eingefallen, irgendein Bedürfnis zur Nachtruhe des Leibes laut werden zu lassen! Warum denn das nicht? Siehe, weil Ich es heute also haben will! Aber es ist das abermals keine Seelennötigung, sondern nur eine der Materie, die sich nun länger als gewöhnlich der Seele dienlich erweisen muß. Solchen Zwang aber habe Ich eben auch hauptsächlich dieser dreißig willen euch und Mir Selbst angetan, und es wird niemand aus euch von sich sagen können, daß er schläfrig und müde sei. Für unser Wachen aber haben wir dreißig Brüder gerettet, doppelt: leiblich und geistig. Es ist darum unsere Mühe und unser Wachen vielfach belohnt und wird in der Folge noch mehr belohnt werden; da ist demnach ein äußerer Zwang sicher von keinem Schaden für irgendeine Seele. Würde Ich aber gewaltsam die Seelen in das rechte Licht gedrängt haben, so stünden sie nun als pure Maschinen da, und es hätte keine ihrer Handlungen für sie irgend mehr Wert, als da ist der innere, eigendienliche Wert einer Maschine oder eines Werkzeuges.

9. Was nützt zum Beispiel einer Hacke, daß sie gut schneidet, und einer Säge, daß sie gut trennt? Alles das nützt nur dem Menschen, der ein freies und kenntnisreiches Bewußtsein hat und zu unterscheiden weiß, was da dienlich, gut und nützlich ist. – Oder was nützt einem Blinden das Licht, und was einem Lahmen eine Rennbahn? Nur dem nützt irgend etwas, der im rechten Bewußtsein einmal seiner selbst, dann des Bedarfs, Gebrauchs, der Anwendung und der daraus hervorgehenden Nutzung sich befindet.

10. So ist es denn auch mit dem geistigen Licht. Es kann und darf ob der heiligen Freiheit des Willens der Menschen niemand irgend geheim gewaltsam eingegossen werden, sondern man stellt das Licht frei auf einen Platz hin, da es von jedermann bemerkt werden kann. Wer es benutzen will, der kann es ohne Hindernisse benutzen; wer es aber nicht benutzen will, der kann es ganz unbeirrt in seinem freien Willen auch stehenlassen, gleichwie solches auch schon mit dem Licht der Sonne, das den Tag zeihet, der Fall ist. Wer es benutzen will, der benutzt es zu irgendeiner Arbeit; wer aber bei all dem hellen Tageslicht der Sonne müßig sein will, der sei es, und es tut solches nichts der Welt zum besonderen Schaden. Denn das Licht nötigt keine mit freiem Willen begabte Seele zu irgendeiner Tat.

11. Ich habe Macht genug, eure Erkenntnisse umzustimmen und aus eurem freien Willen ein nach allen Seiten hin gefesseltes Lasttier zu machen, und das Lasttier wird ganz demütig herumgehen nach der Lenkung Meines Allmachtsleitseiles; aber in sich selbst wird es tot sein. Wenn Ich aber euch unterrichte und zeige und gebe euch das rechte Licht, so seid ihr dabei frei und könnet das Licht annehmen oder bleibenlassen. – Verstehst du das, Mein lieber Cyrenius?“

12. Sagt dieser (Cyrenius): „Ja, nun verstehe ich auch das und glaube nun den Grund ganz einzusehen, aus dem Du, o Herr, den Stand der Niedrigkeit erwählt hast, um zu belehren alle Menschen von ihrer allein wahren Bestimmung, und wie sie diese erreichen können. Damit man aber daneben und eigentlich für diese Sachen einen desto intensiveren Glauben und eine hellere Einsicht und Überzeugung überkommt, verrichtest Du dazu noch Dir allein mögliche Taten, die Deinen Worten noch mehr Gewicht und ein intensiveres Licht verschaffen. Und so geschieht von Dir aus zur wahren Lebensheiligung der Menschen alles in der größten Ordnung, und es kommt mir Dein Benehmen und Verhalten gerade also vor, als wäre es von Dir schon von Ewigkeit also vorgesehen gewesen. Ich kann mich in dieser Hinsicht vielleicht auch irren, was ich aber schwer glauben könnte.“

13. Sage Ich: „Nein, nein, da irrst du dich nicht im geringsten; denn eine Gottesordnung muß ewig sein! Wäre sie nicht ewig, so wäre sie auch keine Ordnung und keine Wahrheit; denn eine Wahrheit muß ewig Wahrheit sein und bleiben und muß daher auch von Ewigkeit her vorgesehen sein. – Aber nun von etwas ganz anderem!“

Kapitel 018. Das Aufzeichnen der Reden Jesu.

1. (Der Herr:) „Siehe du, Markus, nun, da die Morgenröte schon die Spitzen der Berge zu färben beginnt, daß wir etwa irgendein Morgenmahl bekommen; denn mit nüchternem Magen wollen wir uns den fünf Verbrechern nicht nahen! Diese werden uns ein arges Wetter machen, bis sie geheilt werden! Wenn sie aber geheilt werden, muß Salz, Brot und Wein in der Bereitschaft sein zu ihrer Stärkung; denn sie werden nach der Heilung sehr schwach sein. Aber Salz, Brot und Wein werden ihnen bald eine rechte Kraft geben!“

2. Sagt Markus: „Herr, es wird alles gleich besorgt werden!“ – Darauf befiehlt er sogleich seinem Weibe und seinen Kindern, sich nun emsigst in der Küche umzusehen, auf daß zur rechten Zeit alles in der vollsten Bereitschaft sei. Sogleich eilen das Weib, die zwei Söhne und die vier Töchter in die Küche und entwickeln eine große Tätigkeit; auch einige Meiner Jünger bieten ihnen ihren Dienst an, helfen Fische reinigen, was sie als Fischer gut verstehen.

3. Matthäus und Johannes aber lesen nun nach, was sie alles von Meinen diesnächtlichen Reden aufgezeichnet haben, machen aber dabei die leidige Erfahrung, daß sie in ihren sonst sehr fleißigen Aufzeichnungen dennoch starke Lücken gelassen haben.

4. Johannes bittet Mich darob, daß Ich ihnen ansagen möchte das Ausgelassene. Aber es erbietet sich dazu auf Meinen Wink der Raphael und ergänzt in einem Nu all das Ausgelassene. Und als die beiden hernach ihre Aufzeichnungen noch einmal durchgehen, finden sie keine Lücken mehr, und es ist alles in der schönsten Ordnung.

5. Auch Simon Juda schaut die Schriften durch und findet, daß da nach seiner Erinnerung nichts abgehe von allen Reden und Lehren, die in dieser Nacht so reichlich wie sonst kaum je wechselseitig geführt worden waren. Auch die Rettung der dreißig ist umständlich angemerkt, und es haben darob die Jünger eine große Freude.

6. Cyrenius aber äußert auch den Wunsch, daß er davon eine Abschrift bekäme gegen ein gutes Honorar dem, der es für ihn abschriebe!

7. Da ist gleich Judas Ischariot bei der Hand und trägt dem Cyrenius seine Dienste an.

8. Ich aber verweise dem Judas solche selbstsüchtige Schmutzerei und sage zum Cyrenius: „Siehe dort den Raphael; laß ihm nur etwas Schreibmaterial geben, und er wird damit am ehesten fertig sein!“

9. Cyrenius ruft sogleich nach seiner Dienerschaft, läßt von ihr sogleich eine rechte Menge unbeschriebener Pergamentrollen bringen und übergibt solche des obigen Zweckes wegen dem Raphael, und dieser rührt die Rollen kaum ordentlich an und sagt darauf zum Cyrenius, ihm die Rollen zurückgebend: „Dein Wunsch ist bereits erfüllt; du kannst nun die Rollen vergleichen lassen mit denen der beiden Jüngerschriften, ob etwas daran mangle!“

10. Cyrenius besichtigt die Rollen und findet sie vollernstlich ganz voll angeschrieben, und verwundert sich natürlich, indem er solch eine Schnelligkeit denn doch nicht fassen kann bei aller seiner sonstigen Weisheit.

11. Es beschauen die Rollen aber nun auch die dreißig Pharisäer und Leviten, und der gewisse Redner, der Hebram hieß, sagt: „Ja, es ist, was ich nun mit gesehen und mit gelesen habe, von Wort zu Wort getreu, was und wie es hier gesprochen wurde; das aber, wie es dem Engel möglich ist, in einem Augenblick mehrere Rollen sehr korrekt und gut leserlich voll anzuschreiben, das geht uns ganz und gar nichts an, und ich möchte darüber auch nicht einen vergeblichen Gedanken verlieren, weil ich im voraus schon zu überzeugt bin, daß da nie etwas herauskommen kann. Denn wir Sterbliche werden die Unsterblichkeit erst dann ganz fassen, wenn wir einmal vollends unsterblich sein werden, und also werden wir die Verrichtungen der Geister auch erst dann völlig begreifen, wenn wir einst selbst ganz reine Geister sein werden; in unserem Fleische aber werden wir das nie völlig imstande sein.

12. Darum ist es besser, über solch eine Erscheinung gar nicht weiter nachzudenken! Gibt es doch Dinge und Erscheinungen in der Naturwelt, die kein Sterblicher je vollends begreifen wird. Und so er, der törichte Mensch, darüber nachzudenken anfinge, so müßte er in kurzer Zeit ein Narr werden! Den Geistern der Himmel wird das sicher sehr klar sein, und uns kann es mit der Zeit auch klarer werden als jetzt, wollten wir es aber nun gleich zu einer klaren Einsicht bringen, da müßten wir ja offenbar sinnenverwirrt werden! Darum sehe ich ein Wunderwerk recht gerne an; aber es ficht mich gar nicht an, weiter darüber nachzudenken. Und würde man davon auch im Ernste etwas verstehen, so könnte man es dennoch nicht nachmachen; und kann man das nicht, so nützt einem eine halbe Einsicht soviel wie nichts!“

13. Sagt Cyrenius: „Du hast in einer gewissen materiellen Hinsicht wohl recht; aber ums Nachmachen liegt wenigstens mir nichts Besonderes daran, wohl aber, daß ich, da in mir doch auch ein unsterblicher Geist wohnt, auch die geistigen Dinge mit etwas mehr als mit den dickst verbundenen Augen eben in bezug auf meinen Geist beschauen möchte, und es juckt mich nun an allen Enden und Orten meines Seins, so ein wenig nur zu erfahren aus dem Munde eines Weisen unter uns, was es mit dieser engelischen Schnellschreiberei für eine Bewandtnis hat! Ich werde darum sehen, den Mund eines Weisen in die Bewegung zu setzen; denn unser Reden darüber ist nichts denn ein Dreschen leeren Strohes. Wir bringen da sicher nichts Gescheites heraus, während eines Weisen Mund uns darüber gleich stutzen machen wird.“

14. Sagt Hebram, etwas launig: „Das sicher, aber unser Stutzen wird etwa am Ende hauptsächlich darauf hinausgehen, daß wir des Weisen Rede darüber ebensowenig fassen werden wie dieses Wunder für sich ohne eines beleuchtenden weisen Mundes Rede! Denn um die Weisheit zu fassen, muß man selbst ein mehr oder weniger Weiser sein. Mit dem puren noch so gesunden Verstande faßt man die Weisheit noch lange nicht in ihrer Tiefe; man bekommt wohl so ein bißchen von einem Dunste, aber viel Weiteres nicht. Das Hohelied Salomos, der ein Weiser war, ist sozusagen dem gesunden Menschenverstande noch am nächsten. Wenn man es liest, glaubt man es auch zu verstehen; fängt man aber nachher an, darüber ordentlich nachzudenken, so kommt man bald zu der leidigen Überzeugung, daß man im Grunde dennoch nichts verstanden hat! Ein Pröbchen davon soll meine Überzeugung rechtfertigen!“

Kapitel 019. Das Hohelied Salomos.

1. (Hebram:) „Im vierten Kapitel sagt Salomo: ‚Sieh, meine Freundin, du bist schön, siehe, schön bist du! Deine Augen sind wie Taubenaugen zwischen deinen Zöpfen. Dein Haar ist wie die Ziegenherden, die geschoren sind auf dem Berge Gilead. Deine Zähne sind wie die Herde mit beschnittener Wolle, die aus der Schwemme kommen, die allzumal Zwillinge tragen, und ist keine unter ihnen unfruchtbar. Deine Lippen sind wie eine rosinfarbene Schnur und deine Rede lieblich. Deine Wangen sind wie der Ritz am Granatapfel zwischen deinen Zöpfen. Dein Hals ist wie der Turm Davids, mit Brustwehr gebaut, daran tausend Schilde hangen mit allerlei Waffen der Starken. Deine zwei Brüste sind wie zwei junge Rehzwillinge, die unter den Rosen weiden, bis der Tag kühl werde und der Schatten weiche. Ich will zum Myrrhenberge gehen und zum Weihrauchhügel. Du bist allerdings schön, und kein Flecken ist an dir. Komm, meine Braut, vom Libanon, komm vom Libanon! Gehe herein, tritt von der Höhe Amana, von der Höhe Senir und Hermon, von den Wohnungen der Löwen, von den Bergen der Leoparden! Du hast mir das Herz genommen, meine Schwester, liebe Braut, mit deiner Augen einem und mit deiner Halsketten einer. Wie schön sind deine Brüste, meine Schwester, liebe Braut! Deine Brüste sind lieblicher denn Wein, und der Geruch deiner Salben übertrifft alle Würze. Deine Lippen, meine Braut, sind wie triefender Honigseim, Honig und Milch ist unter deiner Zunge, und deiner Kleider Geruch ist wie der Geruch Libanons. Meine Schwester, liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten, eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Born. Dein Gewächs ist wie ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edlen Früchten, Zypern mit Narden, Narden mit Safran, Kalmus und Zinnamen mit allerlei Bäumen des Weihrauchs, Myrrhen, Aloes mit allen besten Würzen; wie ein Gartenbrunnen, wie ein Born lebendiger Wasser, die vom Libanon fließen. Stehe auf, Nordwind, und komm, Südwind, wehe durch meine Gärten, daß sie die Würze triefen!‘

2. Siehe, hoher Cyrenius, also lautet ungefähr von Wort zu Wort das noch am leichtesten faßlich scheinende vierte Kapitel des Hohenliedes Salomos, der ein Weiser war; und ich gebe dir alle Schätze der Welt, wenn du mit deinem noch so gesunden Menschenverstande davon auch nur einen Satz zu enträtseln imstande bist!

3. Wer ist die immer vorkommende Schwester, die liebe Braut, die, wenn sie so aussieht, wie sie Salomo löblichst beschreibt, ein Schreckensbild für alle Menschen wäre, gegen die eine heidnische Medusa noch eine Venus sein müßte?! Kurz, für den Verstand der Menschen ist das doch ein Unsinn alles Unsinns; was aber darin etwa für ein entsprechender Sinn liegt, das bringt kein Menschenverstand heraus, sondern nur wieder die Weisheit! Wer dann die Weisheit besitzt, der wird solches auch fassen, wer aber diese nicht besitzt, der lese so etwas ja nicht, und hat er es gelesen, so denke er darüber ja nicht weiter nach; denn je mehr er darüber nachdenkt, desto weniger wird er davon verstehen. Ich habe das ganze Hohelied Salomos sogar total auswendig gelernt, um es etwa dadurch meinem Verständnis näherzubringen, – aber umsonst; nach und nach habe ich es erst immer klarer eingesehen, daß ich ein Ochse am Berge war.

4. Appelliere du daher lieber an den klaren Verstand unserer Genossen als an ihre sicher große Weisheit! Denn erklären sie dir die Schnellschreiberei unseres Engels aus ihrer Weisheit, so wirst du davon ebensoviel verstehen, als du von dem vierten Kapitel des Hohenliedes Salomos verstehst; erklärt dir aber das jemand aus dem gesunden Verstande heraus, vorausgesetzt, daß so etwas möglich ist, nun, so wirst du davon geradesoviel verstehen, als sich etwas rein Geistiges überhaupt materiell verstehen läßt. Meiner Meinung nach wird man damit etwa wohl auch keine gar besonders weiten Sprünge machen!“

5. Sagt Cyrenius: „Das sehe ich schon, daß du durchaus kein dummer Mensch bist; denn es will viel gesagt haben, sich so einen salomonischen, – materiell genommen – dicksten Unsinn alles Unsinns also von Wort zu Wort zu merken. Denn das hätte etwa doch des zertragensten Unsinnes so viel, wie mir noch nie etwas Ähnliches zu meinen Ohren gekommen ist! Aber dessenungeachtet fängt mich nun dieser barste Unsinn an, mehr zu beunruhigen denn die frühere Schnellschreiberei des Engels. Was wollte dieser bekannte Krösus der Juden etwa doch damit sagen? War das im Ernste etwa eine Liebeserklärung an irgendeine schöne jüdische Maid, die nach seinen Vergleichen wahrlich ganz sonderbar muß ausgesehen haben? Oder wird darunter ganz etwas anderes verstanden? Was aber, – das ist eine andere Frage! Gibt es dazu einen Schlüssel? Wenn es einen gibt, so wird unser Herr und Meister sicher am ehesten darum wissen! Darum also gleich lieber zum Schmiede als zum Schmiedlein!“

6. Sagt Hebram: „Der Meinung bin ich auch, und so tue das! Ich wäre darauf selbst wißbegieriger als auf mein künftiges Leben über dem Grabe.“

7. Hierauf wendet sich Cyrenius an Mich und sagt: „Herr, hast Du vernommen das gewisse vierte Kapitel des Hohenliedes Salomos? Sage mir, liegt darin wohl etwas von einem gesunden Sinne, oder ist es das, was es scheint, nämlich ein dickster Unsinn?!“

8. Sage Ich: „Mein Freund, darin liegt ein sehr guter, wenn schon ein sehr tiefer Sinn! Salomo schrieb ihn nieder, wie er ihm vom Geiste diktiert war; aber er für sich verstand ihn im Grunde auch nicht um vieles besser denn du nun. Denn das Wort der Weisheit war ihm wohl gegeben, aber nicht auch zugleich das volle Verständnis. Auch ihm kam vieles skythisch vor; denn was er schrieb, das war gesagt für diese Zeit in entsprechenden Bildern.

9. Die Löse und der Schlüssel dazu aber ist Der, der nun mit dir spricht; das Wort aber, ein Wort der ewigen Liebe von Ewigkeit, also die reinste Liebe Gottes zu euch Menschen, ist die schöne Braut, die wahre Schwester des Menschen und seine liebe Freundin! Lies mit diesem Schlüssel das Hohelied, und du wirst es verstehen und darin finden den reinsten Sinn! Fassest, begreifest du nun etwas von der Salomonischen Weisheit?“

10. Sagt Cyrenius, den Hebram ansehend: „Verspürst du, junger Salomonist, von wannen der Wind zu wehen beginnt? Das sind ganz andere Klänge, als welche im Tempel zu Jerusalem gesungen werden! Kurz, da ich nun den Schlüssel habe, wird daheim Salomo studiert werden von Wort zu Wort!“

11. Sagt Hebram: „Der Schlüssel scheint wahr und vollkommen richtig zu sein; aber alles wird sich damit noch nicht aufmachen lassen! Wir sehen die Sterne auch, und es hat uns zuvor der Meister auch so manches Schlüsselartige in seinen Reden gelegenheitlich hingeworfen, – auch der Engel tat davon eine sehr bedeutende Erwähnung; was aber wissen wir nun Weiteres davon? Erkläre mir nun, was der schöne Morgenstern, der heute am Morgen so hell leuchtete, an und für sich wohl etwa ist! Und siehe, so wenig du imstande bist, mir den Morgenstern aus dem Schlüssel vom Engel genügend zu erklären, ebensowenig wirst du mit dem Schlüssel des geheimnisvollsten Meisters hinter die gesamte Weisheit Salomos kommen! Dort gibt es auch gar viele und gar manche Bilder, zu denen nur der Geist in sich den rechten Schlüssel trägt; daß aber der Schlüssel, den dir der Meister gab, im allgemeinen schon der rechte sein wird, daran zweifle ich von diesem Augenblicke an nicht im geringsten, und ich werde damit selbst mir einiges zu enträtseln versuchen.“

12. Darauf fragt Cyrenius wieder Mich, sagend: „Herr, was soll ich von der Rede Hebrams halten?“

13. Sage Ich: „Er spricht gut und wahr; und wenn so, da weißt du hernach schon, was davon zu halten ist. Aber nun lassen wir das; denn sieh, das Morgenmahl ist fertig! Unsere Glieder brauchen Stärkung, und somit wollen wir sie nun zuvor stärken und uns dann hinaus zu den Verbrechern begeben; denn nun werden sie bald reif sein zur Heilung!“ – Darauf wurde schon eine Menge Fische und Brot und Wein auf die Tische gebracht.

Kapitel 020. Über das Essen der Gäste beim Morgenmahle.

1. Als die jungen Pharisäer und Leviten die Tische so recht reich mit den bestbereiteten Fischen, mit Brot und Wein besetzt sehen, da sagt Hebram: „Nun, gar so armselig leben die Jünger des Meisters aus Nazareth mitnichten! Es ist nun gar kein Grund vorhanden, der uns noch ferner abhalten sollte, zuerst römische Soldaten und dann zugleich seine Jünger mit Leib und Seele zu sein! Wie oft haben wir im Tempel fasten müssen zur größeren Ehre Jehovas, und hier wird nicht gefastet, obschon heute als am Vorsabbat bei den Juden strenge Fasten geboten sind! Und dennoch wird Gott dadurch sicher keine Unehre angetan, ansonst der Mund nun auch unseres Herrn und Meisters aus seinem Gottesgeiste heraus solches nicht angeordnet hätte! Kurz, was nun er sagt und will, das werden wir auch allzeit tun, ob es uns süß oder sauer vorkomme! Denn derjenige Geist, der am Sabbat ebensogut seine Sonne aufgehen läßt wie an einem Werktage und mit seinen Winden keinen Feiertag hält, steht sicher höher als der dumme Geist unseres Tempels, der einmal zur rechten Heiligung des Sabbats drei Vor- und drei Nachfeiertage befohlen hatte. Da nun die Woche aber nur sieben Tage samt dem Sabbat zählt, so hatte sich dann eine Frage erhoben, wann denn bei solchen Umständen gearbeitet werden solle! Der blinde Gesetzgeber hatte seinen Unsinn eingesehen und nachher mit sich bedeutend handeln lassen! Friede seiner Asche!

2. Kurz, aus unserem neuen Meister und Herrn sieht auf allen Seiten der rechte Geist Gottes heraus, und darum wollen und werden wir auch seine Jünger sein auf Tod und Leben und auf Mord und Brand; aber dem Tempel sei auf ewige Zeiten unser Rücken zugewendet! Amen. Also sei es, und also wird es geschehen! Gefastet haben wir schon oft genug und haben dadurch nichts erreicht; auf unseren Reisen aber ließen wir das dumme, übertriebene Fasten einen guten Mann sein, aßen und tranken auch an den Vorsabbaten und an den Neumondstagen, und wir haben auf diese neue, menschlich vernünftige Weise nun das Höchste erreicht, was je ein Mensch erreichen kann. Darum also heiter und vollauf guten Mutes! Wir haben den verheißenen Messias schon, und der Tempel wird Ihn bei der gegenwärtigen Verfassung etwa wohl noch hübsch lange nicht zu Gesichte bekommen; und bekommt er Ihn auch zu Gesichte, so wird er Ihn doch sicher nicht erkennen. Wir aber haben Ihn und erkennen Ihn; und darum frohlocken wir hoch und sagen: Hosianna nun Dem, den wir gefunden haben! Ihm allein alle unsere Achtung und Liebe!“

3. Sagt Julius: „So ist es recht, da stimme auch ich bei und setze noch dazu: Heil und Segen allen Menschen, die eines guten Willens sind!“

4. Sagt Cyrenius: „Jawohl, Heil aller Welt und Gnade von oben, und hoch gepriesen sei der Name unseres Heilandes, der da heißet Jesus! Vor diesem Namen sollen in der Zukunft alle Völker der Erde, alle Engel der Himmel und alle, alle Geister unter und über der Erde beugen ihre Knie!“

5. Sagen der Engel, die Jarah, der Josoe, Ebahl und alle Jünger ein lautes „Amen!“.

6. Nach diesem Amen aber sage Ich: „Und nun, Meine Freunde und Brüder, wollen wir essen und trinken; denn die Zeit zur Heilung der fünf Schweren rückt heran!“ – Darauf griffen alle wacker zu den Fischen, zum Brote und am Ende zum Weine.

7. Und so wurde das Morgenmahl in kurzer Zeit eingenommen, und das sichtlich mit dem größten Appetit von der Welt; denn die Fische waren so geschmackvoll zubereitet, daß der gute Geschmack einen mehr als gewöhnlich zum Essen reizte. Auch Meine Jarah griff wacker zu und ihr Raphael nicht minder, was mehreren der jungen Leviten und Pharisäer so sehr auffiel, daß sie sich untereinander zu fragen anfingen, wie der Engel, der doch ein reinster Geist sein müsse, da die Fische und das Brot und den Wein mit einer Art Heißhunger verzehre und auch seine liebliche Jüngerin förmlich zum Essen anhalte, die sich auch gar nicht geniere, ihrem himmlischen Meister ganz gehörig die Stange zu halten.

8. Hebram aber sagt zu seinen Genossen: „Wie kann euch so etwas doch wundern? Der gute Engel, der ehedem mit einer so enormen Leichtigkeit mit dem bei dreißig Pfund schweren Steine fertig geworden ist, und das zwischen seinen zartesten Fingern, der wird wohl auch mit den weichen Fischen, mit dem Brote und Weine um so leichter fertig werden! Daß aber seine liebe Jüngerin ihm im Recht-viel-Essen auch so ziemlich nahekommt, das liegt in ihrem starken Wachstume; denn das Mädchen scheint dem Aussehen nach noch keine fünfzehn Frühlinge zu haben und ist dabei aber schon so stark wie sonst eine Maid von zwanzig Sommern, und das kommt vom guten Genährtsein her. Des Cyrenius (Pflege-)Sohn, der zwischen der Vielesserin und dem noch mehr essenden Engel sitzt, hat zwar auch viel Eßlust; aber das Mädchen und der Engel beschämen ihn gewaltig! Aber für das Mädchen ist es ein Schade, daß es eine so starke Esserin ist! Sie ist sonst sehr schön von Gestalt und spricht mit sehr viel Begeisterung; aber das Vielessen benimmt ihr sehr vieles von ihren Reizen. – Auch unser Meister ißt und trinkt mit einer sehr bedeutenden Fertigkeit. Dies ist aber übrigens keine ungewöhnliche Erscheinung bei großen Geistern; alle, die ich noch habe kennengelernt, waren stets mehr als weniger starke Esser und auch Trinker! Übrigens ist das gerade nicht zu viel, wie es hier gegessen und getrunken wird, bis auf den Engel, der wahrlich schon so viel unter sein Dach gebracht hat wie wir alle zusammengenommen! Merkwürdig ist dabei, daß ein reinster Geist auch so die materiellen Speisen verschlingt wie unsereins sie verschlingt! Möchte eigentlich denn doch wissen, ob er darauf das Genossene auch auf eine natürliche Weise durch den sogenannten Stuhlgang von sich schafft, oder nimmt er all das Genossene in seine Wesenheit auf?“

9. Sagt der in des Hebrams Nähe sitzende Julius, dem diese Unterredungen nicht entgangen sind: „Aber was ihr nun wieder für tolles Zeug unter euch zusammenschwätzet, weil ihr die Natur der Dinge nicht kennet! Sehet, der Raphael ist ein Geist, den ihr in seinem Urzustande unmöglich sehen und sprechen könntet; auf daß er aber nach der außerordentlichen Zulassung des Herrn unter uns Menschen sich als ein Mitmensch manifestieren (zeigen) kann, muß er sein rein geistiges Wesen mit einer Art leichten materiellen Hülle umgeben und braucht dazu als einer der mächtigsten Erzgeister stets viel der leichteren Materie, die er sofort in sein Wesen verkehrt, um unter uns sichtbar bestehen zu können. Von einer Absonderung der genossenen Speise in seinen allfälligen Eingeweiden ist keine Rede, da er alles das Genossene lediglich nur in sein Wesen verkehrt, und das schon in seinem Munde. Und seht, so verhält sich die Sache! Darum redet nicht solch dummes Zeug unter euch!

10. Daß aber die lieblichste Jarah, eine gar weise Tochter des Gastwirtes Ebahl in Genezareth, der gerade knapp oberhalb des Engels sitzt, heute morgen etwas mehr ißt als sonst irgendwann, rührt daher, weil ihr solches der Herr sicher ganz geheim angeraten hat wegen der Heilung der fünf Hauptverbrecher, die sicher sehr denkwürdig werden wird, weil Er, der doch schon Tote erweckt hat, Sich darauf ganz ordentlich, was Er meines Wissens sonst noch nie getan, Selbst vorbereitet und uns schon gestern darauf aufmerksam gemacht hat, daß das eine schwere Heilung werden wird und muß des Gelingens wegen ganz tüchtig und zweckmäßig vorbereitet werden! Aus dem Grunde höchst wahrscheinlich ißt auch Er heute morgen mehr als sonst irgendwann an einem Tage. – Seid ihr nun wieder im klaren?“

11. Sagt Hebram: „Gottlob, ja, lieber hoher Freund und Gönner! Nur Licht in und über eine Erscheinung, und das Wunderbare an ihr wird am Ende zu etwas ganz Natürlichem! Darum, so wir uns künftighin noch über eine wunderbare Begebenheit etwa abermals zu sehr verwundern sollten, so werde solch eine Verwunderung unserer leidigen Dummheit zugute geschrieben! Denn nur die Dummheit kann sich verwundern über etwas, das sie unmöglich versteht; der wahren Weisheit aber kann irgendeine Verwunderung gar nicht einmal in einem Traume einfallen, weil ihr der ganze Hergang der Sache vollauf bekannt ist. Wir dreißig aber sind noch stark in aller Dummheit, und es dürfte darum noch viel zum Verwundern geben an der Seite unseres großen Meisters, Heilandes und mit allem Rechte unseres verheißenen Messias! – Aber nun macht Er Miene zum Aufstehen und Gehen, und wir werden darum uns auch dazu anzuschicken anfangen!“

12. Sage Ich: „Ja, nun ist es an der Zeit hinauszugehen; darum erheben wir uns und begeben uns alle hinaus an das Gestade, allwo die fünf für uns aufbehalten sind!“

13. Als Ich dieses ausspreche, so erhebt sich alles von den lange belegten Sitzen und eilt mit Mir hinaus ans Gestade.

Kapitel 021. Die Heilung der fünf besessenen Raubmörder.

1. Als wir bei den fünf ankommen, so erheben diese ein gräßliches Geschrei und Gebrülle und fangen an, alles zu verfluchen, das sich ihnen naht.

2. Ich aber lasse endlich die Soldaten, den Julius und den Cyrenius etwas mehr zurücktreten und sage zu den einigen Soldaten: „Bindet sie nun los; denn in solchem Zustande läßt sich mit ihnen nichts anfangen!“

3. Die Soldaten aber bemerken, daß das hier nicht geheuer sein dürfte, da die fünf zu stark und zu wütend wären; es wäre Ärgeres mit ihrer Freilassung zu befürchten, als so man irgend zwanzig Tiger unter die Menschen freiließe!

4. Sage Ich nun gebietend: „Ich gebiete es euch, das schnell zu tun, was Ich euch anbefehle; durch die Nichterfüllung Meines Verlangens könntet ihr ehestens in ein großes Unglück gestürzt werden!“

5. Nach solcher Meiner Androhung tun die Soldaten endlich doch, aber mit großer Vorsicht, was Ich ihnen geboten habe für den Augenblick.

6. Als die fünf nun frei sind, stürzen sie vor Mich hin, fallen auf ihre Angesichter und rufen: „O Du allmächtiger Sohn Davids, da Du uns schon so weit errettet hast, o so errette uns ganz vom ewigen Verderben! Des Leibes Tod fürchten wir nicht, aber wohl das ewige Verderben! Denn in dieser Nacht hatten wir bei aller unserer schrecklichen Leibesqual auch noch die Gesichte der Qual der verdammten Geister in der Hölle! Und wir bitten Dich darum, daß Du für unsere Verbrechen uns mit allen denkbaren Übeln quälest hundert Jahre lang auf dieser Erde in unsern argen Leibern, – nur verschone uns mit den zu erschrecklichen ewigen Qualen und Peinen der Hölle, die zu unbeschreiblich erschrecklich sind!“

7. Das war die Sprache der wirklichen Seelen dieser fünf im Ruhemomente ihrer ihre Leiber besitzenden Teufel, die ihnen auch ihre Hölle also in ihrer gräßlichsten Nacktheit zeigen mußten; aber gleich darauf tun sich die Argen in den Leibern der fünf hervor und reden wie tausendstimmig aus dem Munde der fünf: „Was willst du elender Mückenbändiger hier? Willst du dich etwa gar in einen Kampf mit uns allmächtigen Göttern einlassen? Versuche es nur, und du sollst wohl zum letzten Male gekämpft haben! Tritt zurück, du Elender, sonst zerreißen wir dich in die kleinsten Staubteile und geben dich dann allen Winden preis!“

8. Sage darauf Ich: „Mit welchem Rechte plaget ihr diese fünf Menschen schon seit etlichen Jahren? Wer gab euch dazu eine Befugnis? Wisset, daß nun eure letzte Stunde verronnen ist! Der Mückenbändiger aber gebietet euch nun, im Augenblick diese fünf Menschen für immer zu verlassen und euch sofort zu begeben in die allertiefste eurer Höllen!“

9. Die Teufel aber brüllen und sagen unter gräßlichstem Geheule: „Wenn deine Macht uns zwingen kann, so laß uns lieber fahren unter die weißen Ameisen in Afrika; denn es ist besser, unter ihnen zu sein denn in unserer Hölle!“

10. „Nein“, sage Ich, „für euch und euresgleichen habe Ich kein Erbarmen in Meinem Herzen, weil ihr keines gehabt habt mit jenen, die ihr trotz ihrer heißesten Bitten auf das martervollste ums Leben gebracht habt; deshalb nun ohne alle Gnade und Erbarmen hinaus mit euch!“

11. Auf dies Mein mächtiges Gebot fahren die bösen Geister hinaus und reißen die fünf furchtbar zur Erde.

12. Ich aber sage: „Weichet, ihr Elenden! Hinab zur Hölle mit euch, und euch geschehe dort der vergeltende Riß!“

13. Die Geister aber verweilen noch und bitten um Gnade und Erbarmen; denn es läge in ihnen, daß sie so böse wären.

14. Ich sage: „Aber es liegt auch in euch, gut zu sein, denn ihr habt Erkenntnis des Guten und des Bösen; aber euer hochmütiger Wille ist böse und unbändig, und es kann euch darum keine Gnade und keine Erbarmung zuteil werden! Ihr selbst wollt leiden und wollet gepeinigt sein, darum leidet und werdet gepeinigt nach eurem Willen ewig! Denn Meine Ordnung währet ewig und ist unabänderlich, was ihr wohl wißt. Ihr wißt aber auch, was ihr zu tun habt, um euch die ewige Ordnung zunutze zu machen; weil ihr sie aber zu eurem Schaden verkehrt, also genießet auch den Schaden, und somit fort mit euch von Meinem Angesichte!“

15. Hier geschieht ein mächtiger Knall, Rauch und Feuer fährt aus der Erde, und eine schnell entstandene Kluft verschlingt das elende Gewürm. Denn die ausgetriebenen Geister zeigten sich den Anwesenden als kohlschwarze Schlangen, die nun sämtlich von der flammenden Kluft der Erde verschlungen wurden, worüber sich alle Anwesenden derart entsetzten, daß sie zu fiebern anfingen.

16. Ich aber wandte Mich nun an den Markus, der schon mit Brot, Wein und Salz in Bereitschaft stand, und sagte zu ihm: „Reiche nun den fünfen schnell etwas Wein, dann etwas Brot mit Salz!“

17. Nun hoben die Söhne des Markus die fünf auf der Erde Liegenden auf und gossen ihnen etwas Wein in den offenstehenden Mund. Darauf kamen sie schnell zur Besinnung und wußten nicht, was da mit ihnen vorgegangen sei.

18. Ich aber sagte zu ihnen: „Nehmet nun etwas Brot mit Salz und dann abermals etwas Wein, und ihr werdet dadurch zur Kraft und zur vollen Besinnung wieder gelangen!“

19. Darauf nehmen sie Brot und Salz und, wie befohlen, nach einer kurzen Weile abermals etwas Wein, und sie erheben sich darauf in wenigen Augenblicken völlig, nur sehen sie natürlich noch sehr schlecht, bleich und mager aus.

20. Und Cyrenius fragt Mich ganz schüchtern, was nun mit den fünfen wird weiter zu unternehmen sein, ob sie ganz freigelassen, oder ob sie in irgendeinem öffentlichen Pflegehause untergebracht werden sollen.

21. Sage Ich: „Laß diese Sorge für heute; morgen aber wird sich dann schon zeigen, was mit ihnen für die Zukunft zu tun sein wird! Wenn sie heute bei uns ordentlich gepflegt sein werden, so werden sie auch ehest besser aussehen. Aber nun müssen wir sie hier eine kurze Zeit ruhen lassen, und du Markus laß noch etwas Öl herbeibringen! Die fest gebundenen Ketten und Stricke haben ihre Haut mit Wunden und Beulen bedeckt, diese sollen mit Öl und Wein eingerieben werden, auf daß sie heilen in Kürze!“

22. Markus schafft nun auch sogleich Öl herbei, und seine Söhne reiben ihnen solche Salbe ein, was den fünfen sehr wohl bekommt; denn sie gestehen auf diese Behandlung, daß sie ihnen sehr gut zustatten käme, und es versucht darauf einer um den andern, sich auf die Füße zu machen, was im Anfange mit noch mancher Anstrengung verbunden ist, aber sich nach und nach immer besser macht.

23. Als sich die fünf Geretteten nach einer kleinen Stunde schon so ziemlich besser befinden, fangen sie erst an zu fragen, wo sie seien, und was da mit ihnen vorgegangen sei.

24. Und der Markus, der sich nun mit seinen Söhnen natürlich in der fünf Gesundgemachten nächster Nähe befindet, sagt zu ihnen: „Ihr waret sehr krank und seid als solche gestern nachmittag hierhergebracht worden; hier aber befindet sich soeben der berühmte Heiland aus Nazareth, der allen Menschen, mit was für Krankheiten sie auch behaftet sind, die sicherste Hilfe bringt und gibt, und dieser Heiland hat euch auch nun hier geholfen. Ihr werdet Ihn später schon noch näher kennenlernen.“

Kapitel 022. Verzweiflungsreden der Besessenen.

1. Sagt einer aus den fünfen: „Ja, ja, mir fängt nun an, ein Licht aufzugehen! Es kommt mir vor, als hätte ich einen bösen Traum gehabt, und aus diesem Traume kommt mir etwas in meine Erinnerung, als wäre ich einst von einer Räuberbande gefangen worden und noch vier mit mir. Wir wurden in eine finstere Höhle gebracht und alldort den Teufeln übergeben. Diese bearbeiteten uns zuerst äußerlich, um aus uns auch Raubmörder, ihnen gleich, zu machen. Da wir uns aber dagegen sehr sträubten, so bemächtigten sich die Teufel unserer Leiber. Da verloren wir die eigene Besinnung fast ganz, und ein teuflisches Sehnen und Drängen bemächtigte sich unserer Herzen, und wir waren für uns selbst so gut wie vollkommen verloren. Was wir dann in solch einem schrecklichen Zustande alles etwa gemacht und getan haben mochten, ist uns völlig fremd; aber nur dessen kann wenigstens ich mich in etwas erinnern, daß wir erst vor kurzem von römischen Kriegern gefangen worden sind. Was sich aber wieder nachher mit uns alles mag zugetragen haben, ist wenigstens mir völlig fremd, und ich weiß es durchaus nicht, wie wir hierhergekommen sind und warum so ganz eigentlich noch dazu! Wir müssen stark mißhandelt worden sein, da wir noch so voll Wunden und Beulen sind, die uns aber nach meinem Gefühle wenigstens gerade nicht mehr schmerzen. Ach Gott, uns muß es wohl sehr schlecht gegangen sein!?“

2. Sagt ein zweiter: „Weißt du, was wir ursprünglich so ganz eigentlich waren? Siehe, wir gehörten eigentlich dem Tempel an und wurden als Apostel zu den Samariten gesandt, um diese wieder für Jerusalem zu bekehren. Wir aber wurden bei den Samariten eines Bessern belehrt und kehrten dann zurück und wollten in Judäa Proselyten für Gorazim machen; da erst wurden wir auf der Grenze von den gewissen Teufeln gefangengenommen, die uns dann verhext haben, so daß wir dann nicht mehr wußten, was und wer wir waren, und was so ganz eigentlich aus uns geworden ist. Aber wie wir so mir und dir nichts hierhergekommen sind, davon weiß ich keine Silbe! Ja, ja, was da aus uns geworden ist, haben wir alles dem Tempel zu verdanken! Der versteht es, die Menschen so unglücklich als möglich zu machen; aber man weiß kein Beispiel, daß der Tempel unseres Wissens jemanden glücklich gemacht hätte! Die Obersten allein und die hohen Pharisäer und die Ältesten der Schriftgelehrten sind die Glücklichen im Tempel, alle andern aber armseligste Knechte und hungrige Handlanger des Tempels!“

3. Sagt ein dritter: „Ja, jetzt kann auch ich mich erinnern, wie wir im Tempel mit Fasten und allerlei andern Bußwerken geplagt worden sind! O Gott, unsern Eltern haben wir wohl all unser Unglück zu verdanken! Es steht im Gesetze Mosis: ,Ehre Vater und Mutter, auf daß du lange lebest und es dir wohl gehe auf Erden!‘ Wir hatten doch unsere Eltern allzeit geehrt durch die genaue Befolgung alles dessen, was sie von uns verlangten; wir wurden nach ihrem Willen Templer, obschon wir der Geburt nach nie dem Stamme Levi angehört haben. Aber das hat nichts gemacht, denn ums Geld kann man nun ja alles werden, was man nur will; aber viel Geld gehört dazu! Durch das aber, daß wir Templer geworden sind, sind wir auch von Tag zu Tag unglücklicher geworden durch allerlei Exerzitien und Proben, bis wir als Apostel nach Samaria beordert und allda alle von bösen Zauberern verhext worden sind! Was mit uns aber von da angefangen bis nun vor sich gegangen ist, und was wir getan und gemacht haben, wie wir hierher in diese ganz fremde Gegend über dieses Meer gekommen sind, und wer uns so übel zugerichtet hat, davon weiß wenigstens ich für mich nicht eine Silbe. Nur ganz dunkel kann ich mich erinnern, daß wir von den bösen Zauberern, als wir keine Raubmörder werden wollten, einer gar argen und finstern Gesellschaft übergeben worden sind, durch deren Behandlung wir in kurzer Zeit alle unsere Besinnung verloren und bis zur Stunde nicht wieder erhielten! Aber nun ist, gottlob, diese wieder zurückgekehrt! Wir wissen nun wieder, daß und wer wir sind! Aber was nun mit uns? Sollen wir wieder in den Tempel zurück, oder sollen wir etwas anderes anfangen? Mir wäre das Sterben nun am liebsten; denn diese böse Welt hat für mich alles verloren, was mir auf ihrem Boden das weitere Leben irgend wert machen könnte! Wer kann dafür stehen, daß wir leicht wieder irgend einmal in die Hände von solchen Teufeln geraten wie jüngst?! Wer wird uns dann erretten aus ihren Klauen?“

4. Sagen der vierte und der fünfte: „Da sind wir mit dir ganz einverstanden! Nur einen guten, schnellen Tod, und dann ewig kein Leben mehr! O wie gut ist das Nichtsein gegen ein Sein, wie wir es genossen haben! Kurz, nur aufhören zu sein! Aber wohl ganz aufhören! Denn unsere Erfahrung hat uns das Dasein auf ewig unerträglich gemacht! Warum müssen wir denn überhaupt sein? Haben wir in unserem vorgeburtlichen Nichtsein ja doch nie einen Wunsch zum Sein äußern können! Oder kann irgendein weiser Schöpfer je eine Lust daran haben, gar so entsetzlich unglückliche Wesen unter seiner sicher allerseligsten Allmacht umherwandeln zu sehen? Aber was können wir ohnmächtige Würmer?

5. Jedes Tier ist besser daran als der Mensch, der sich hochdünkende Herr der Schöpfung! Wohl könnet ihr Römer mit euren scharfen Schwertern bekämpfen des Löwen Grimm, und Tiger, Leoparden und Hyänen müssen fliehen vor dem lauten Geklirre eurer Schilde und Lanzen; aber wenn ihr irgend von argen Dämonen überfallen werdet, was habt ihr diesen unsichtbaren Feinden für Waffen entgegenzustellen? Ihr wisset wohl davon vielleicht wenig zu erzählen, obschon ein delphischer Spruch oft mehr Gewalt hatte, denn ein ganzes Kriegsheer! Aber wir haben solch eine geheime Kraft und Macht genossen und hatten keine Waffen ihr entgegenzustellen! Wir hätten Teufel werden sollen, und da wir solches nicht wollten, nahmen uns die argen Dämonen alle unsere Besinnung, erhielten dem Leibe wohl ein Maschinenleben und benutzten diese Maschine dann Gott weiß zu was! Daß sie sicher zu nichts Gutem benutzt worden ist, dafür zeugt das elendste Aussehen unserer Haut! Darum nur den Tod her; aber den vollkommenen Tod! Kein wie immer geartetes Leben nach dem Grabe mehr!“

6. Sagt wieder der erste: „Ja, wenn das möglich wäre, so würde uns derjenige, der uns mit aller Bestimmtheit einen solchen Tod geben könnte und würde, wohl die unendlich größte Wohltat erweisen! Denn was sollen wir uns auf dieser elendsten Welt noch mehr martern lassen! Teufel zu noch größerer Plage der Menschen wollen wir durchaus nicht sein! Wer aber das nun nicht sein will auf die eine oder die andere Art, der hat stets das verfluchtest elende Sein auf dieser wahren Dreckwelt! Nichts ist darum auf dieser Welt zu machen! Man verberge sich vor den Menschen, die nun zumeist pure Knechte des Satans sind! Was nutzt einem aber das?! Die Teufel finden den Versteckten bald, und diesen kann er sich nicht widersetzen. Folgt er ihrem Begehren, so ist er ohnehin des Teufels; folgt er den Teufeln aber nicht selbstwillig, so tun sie ihm der Gewalttätigkeiten fürchterlichste an, und er ist darauf noch mehr des Teufels!

7. Geht und fahrt uns ab mit solch einer verfluchten Welt und mit solch einem verfluchten elendesten Dasein! Das ist ja selbst für die ärgsten Teufel zu schlecht, geschweige für eine harmlose, unschuldige Menschenseele! Ein Gott über allen Sternen kann wohl lachen; aber der arme, ohnmächtig geschaffene Mensch muß leiden, weinen, fluchen und verzweifeln! Wo ist denn der Heiland, der uns dieses elende Bewußtsein, daß wir freie Menschen sind, wieder gab? Wahrlich, auf unsern Dank dafür soll er nie sich eine Rechnung machen; denn er hat uns dadurch nur einem neuen Elende preisgegeben! Und für solch eine Wohltat werden wir ihm ewig nie dankbar sein, vorausgesetzt, daß wir solch ein verfluchtes Leben ewig genießen sollen! Kann er uns aber mit Bestimmtheit den ewigen, vollkommenen Tod geben, so wollen wir ihm zum voraus im höchst möglichen Grade dankbar sein!

8. Wer seid ihr, glänzende Römer, wohl? Euch dürfte es auf dieser Welt wohl besser gehen denn uns! Ihr seht sehr gut aus! Ja, ja, wer so recht dem Satan im Glanze und aller andern Pracht zu dienen versteht, dem geht es gut auf der Welt! Wer nicht von Teufeln geplagt sein will, der werde selbst ein Teufel, und er hat dann Ruhe vor den Teufeln! Gottes Diener sein, oh, absurdeste aller Lächerlichkeiten! Gottes Hilfe soll man begehren und Gott lieben aus allen seinen Kräften! O schöne Worte, und doch kein Funke Wahrheit darin! Wir waren ja Gottes Diener mit Leib und Seele und schrieen schon gleich den Vögeln von Kindheit an: ‚Herr Gott Zebaoth, hilf uns und allen Menschen, die eines guten Willens sind!‘ Und seht uns an, wie uns der liebe Herr Gott Zebaoth geholfen hat! Ihr habt zwar auch eine Macht, und zwar die der Teufel, in euren Händen, und könnt nun mit uns machen, was ihr wollt; aber soviel bitten wir euch, gehet doch ein wenig menschlicher mit uns um als die vorigen Teufel, die uns in einem fort geplagt haben! Wollt auch ihr uns abermals zu Teufeln machen, da machet nur gleich lieber ganze statt halbe Teufel aus uns! Wir werden dann sehen, ob wir als ganze Teufel besser bestehen werden denn als gezwungene halbe!“

Kapitel 023. Der eigentümliche Seelenzustand der geheilten Besessenen.

1. Sagt Cyrenius: „Herr, das ist eine Sprache, wie ich eine ähnliche noch nie gehört habe! Sie ist böse und leider doch in vielen Stücken wahr. Was wird mit diesen Menschen nun wohl zu machen sein? Wahrlich, es macht alles große Augen; sogar die Jarah scheint nun nicht mehr so recht zu wissen, was sie davon so ganz eigentlich machen solle, und den Engel habe ich ein paar Male weinen sehen! Das kommt mir wahrlich nun höchst sonderbar vor! Sage darum, was ich nun mit ihnen anfangen soll!“

2. Sage Ich: „Sieh, Ich habe es dir ja zuvor gesagt, daß sie uns ein böses Wetter machen werden. Aber das macht nun nichts, es ist noch etwas von den ausgetriebenen argen Dämonen in ihren Herzen wie eine Abenddämmerung zurückgeblieben, und sie müssen sich alles dessen ganz entäußern; dann erst kann ihnen völlig geholfen werden, aber eher um keinen Augenblick. Auch müssen wir sie hier noch eine Zeit ruhen lassen, und es wird mit der Weile der heitere Tag ihre Seelen ein wenig harmonisch stimmen. Du wirst noch manches vernehmen, und es schadet das im Grunde weder dir noch jemand anderm. Denn ihre Seelen sind keine gemeinen Seelen und gehören den besseren Welten an; darum müssen wir ihnen auch viel Geduld erweisen! Wenn sie so mehr zu sich kommen werden; dann erst freue dich auf ein ordentliches Wetter! Aber gebt ihnen nun mehr Brot und Wein; denn nun erst werden sie ordentlich hungrig und durstig!“

3. Markus reicht ihnen mit aller Freundlichkeit Brot und Wein und sagt: „Trinket, Brüder, und esset dies gute Brot nach Herzenslust! Denn von nun an soll es euch nimmer schlecht ergehen auf dieser Erde, obgleich sie wahrlich kein Paradies ist!“

4. Sagen die fünf: „Du scheinst ein guter Teufel zu sein; denn sonst würdest du uns, die wir vom Grunde aus dennoch nicht deiner Natur sind, sicher nicht so einen ausgezeichnet besten Wein und ein überaus wohlschmeckendes Brot in solcher Menge verabfolgen! Ersetzen können wir dir es nicht, aber Undank sollst du dafür auch nicht haben! Siehe, du guter Teufel, mit dir, scheint es uns, läßt sich ein gutes Wörtlein reden! Wenn auf dieser Erde lauter Menschen hauseten, da wäre auf diesem Boden zu leben gar so übel nicht; aber es kommen immer auf fünf Menschen tausend Teufel, und da muß mit der Zeit doch alles rein des Teufels werden! Die wenigen Menschen werden von den Teufeln zu sehr und zu mächtig beherrscht und können darum nie einen freien Atemzug machen!

5. Siehe, alle Herrschaft geht bis jetzt vom Teufel der Teufel aus, und seine Wohnung ist vergossenes Menschenblut, gemengt mit dem Blute von armen und guten Teufeln, wie du einer bist, – und das heißt hier Gottes Herrschaft?! Jawohl, auch eine Gottesherrschaft; aber nicht die seiner Liebe, sondern seines Zornes! Warum aber ein Gott zornig ist, – das weiß kein Geschöpf! Manche Tiere sind die einzig glücklichen Geschöpfe dieser Erde, aber der eigentlich seltene Mensch ist das Lasttier alles Übels auf dieser Dreckwelt! Er kann nicht schnell genug laufen, um vor allen Übeln gleich einer Gazelle die Flucht ergreifen zu können! Seine Hände sind gebrechlich wie Wachs, er ist nackt und hat von Natur aus nicht einmal so viel Waffen, als eine Biene oder Ameise, um sich da mit ihnen gegen einen Feind zur Wehr zu stellen. Wenn du eine Herde Tiger siehst, so ist darunter alles vollkommen Tiger, und siehst du eine Herde Löwen, so ist darunter alles Löwe, also von ganz gleicher Natur, und diese Bestien leben ganz gut untereinander; aber siehst du eine Herde Menschen, so ist da nicht alles Mensch, was dem Menschen ähnlich sieht, sondern zum größten Teile Teufel! Und darum ist stets Zank, Hader und Krieg unter ihnen! In den Teufeln liegt alles Arge, und in den Menschen nur die Anlage zum Guten, die sehr verdorben werden kann unter so vielen Teufeln, und aus dem Menschen wird dann zum wenigsten ein Halbteufel, oder er muß ertragen, was wir ertragen haben! Aber es gibt verschiedene Teufel unter den Teufeln dieser schändlichen Welt, große und kleine; aber alle sind daran leicht zu erkennen, daß sie gleichfort ohne Arbeit und Anstrengung ihrer Kräfte so gut und bequem wie möglich leben wollen. Sie wollen auch allenthalben die ersten und sehr geehrt und angesehen sein; sie wissen sich überall in den Besitz der Erdengüter zu setzen, kleiden sich so prächtig und verfolgen den bis auf den Tod, der sie nicht allzeit demütigst grüßte!

6. Kurz, sage du, guter Teufel, was du willst, nur deinesgleichen führt die Herrschaft über die Welt, und die wenigen Menschen stecken in der tiefsten Sklaverei und können sich nimmer helfen; und das sollen nach der Schrift die eigentlichen ‚Kinder Gottes‘ sein?! Wahrlich, wenn ein Gott so für seine Kinder sorgt, wie er zum Beispiel für uns fünf Menschen gesorgt hat, und das Los der armen Gotteskinder nur gleichfort darin bestehen soll, den Teufeln in der tiefsten Niedrigkeit zu dienen, dann bedanken wir uns für solch eine Kindschaft Gottes!“

7. Sagt Markus, dem der Titel ‚guter Teufel‘ denn doch nicht so recht munden will: „Es ist wohl wahr, daß die Gotteskinder auf dieser Welt oft viel auszustehen haben; aber was erwartet sie dereinst über dem Grabe? Welch eine unberechenbare Fülle von stets wachsenden und sich in einem fort mehrenden Seligkeiten! Wenn ein Gotteskind das recht bedenkt, so kann es sich denn ja durch dies kurze Leben eine kleine Probedemütigung gefallen lassen.“

8. Sagt wieder der Sprecher aus den fünfen: „Wer gibt dir denn dafür eine Bürgschaft? Meinst du, etwa die Schrift? Geh und fahre ab mit dieser Bürgschaft! Sieh an und sage, wer die sind, die den Menschen die schöne Schrift verkünden und sich als Gottesdiener allerhöchst ehren lassen! Siehe, das eben sind erst die allerärgsten Teufel!

9. Es solle Gott selbst herabkommen in Menschengestalt und ihnen vorhalten alle ihre namenlosen Schändlichkeiten und soll sie ermahnen zur Buße. Wahrlich, so er sich nicht mit seiner ganzen Allmacht ihnen entgegenstellt, da ergeht es ihm noch viel ärger, als es zu Sodom den zwei Engeln ergangen ist, die dem Lot die Aufforderung brachten, sich mit seiner Familie aus diesen Orten weithin zu entfernen, weil sie gerichtet werden!

10. Wenn aber die Ausspender der Verheißungen Gottes nur gar zu leicht erkenntlich die allerärgsten Teufel sind und das unbestreitbar, sage uns dann, du guter, alter, aber etwas blinder Teufel, was ein Mensch oder respektive ein sein sollendes Gotteskind von solchen Verheißungen am Ende zu erwarten hat! Ich sage es dir, kraft unserer vielseitigen Erfahrungen, die wir schon traurig genug haben durchmachen müssen: nichts, gar nichts!

11. Es gibt entweder keinen Gott, und alles, was da ist, ist ein Werk der rohen, blinden Naturkraft, die Ewigkeiten hindurch alles das, was da ist, hervorgebracht hat, oder es gibt irgendein allerhöchstes Gottwesen, das da wohl ordnet die große Erde, die Sonne, den Mond und die Sterne, aber in sich zu groß und zu erhaben ist, sich mit uns Schimmel- und Moderläusen dieser Erde abzugeben. Die ganze Schrift rührt also nur von Menschen her, und ist eigentlich auch mehr Schlechtes als Gutes darin. Und was darin noch Gutes ist, das beobachtet kein Teufel und kein Mensch; das Schlechte nur wird daraus von den Teufeln auf den breiten Nacken der Menschen geschoben!

12. ‚Du sollst nicht töten!‘ habe Gott zu Moses gesagt; aber dem David gebot derselbe Gott, wider die Philister und Ammoniter zu ziehen und sie alle zu vertilgen samt Maus, Weib und Kind! Schönes Leben das, und eine Konsequenz sondergleichen! Hatte ein allmächtiger Gott denn nicht Mittel genug, die ihm verhaßten Völker von dem Erdboden zu vertilgen? Warum mußte denn wider das dem Moses für alle Menschen gegebene Gebot ein Mensch mit vielen Tausenden seiner Kriegsknechte aufgeboten werden, hinzuziehen und nicht nur einen, sondern viele Hunderttausende bloß darum zu töten, weil sie nach der Aussage eines Sehers Gott nicht anständig wären; was es da für eine Bewandtnis hat mit solchen Sehern und mit solchen Königen, die Gott berief, ganze Völkerschaften von der Erde rein zu vertilgen, das wird wohl er am besten wissen und bei sich geheim etwa wohl auch die Seher und die Könige!

13. Ich bin freilich der Meinung, daß ein Gott der Liebe nie Menschen, die er zur Liebe erzogen haben will, wider Menschen gleich den bösesten Hunden hetzen sollte, indem er doch selbst Mittel genug in seiner Macht hat, die ihm lästigen und abtrünnigen Teufel in Menschengestalt zu Paaren zu treiben! Ein wahrlich sonderbarer Gott das! Auf der einen Seite Liebe und Geduld und Demut gebieten, auf der andern Seite aber Haß, Verfolgung, Krieg und Vernichtung! Wahrlich, wer sich bei solch einer Wirtschaft auskennt, der muß mehr Sinne als ein gewöhnlicher Mensch haben!“

Kapitel 024. Vom Unterschied der Seelen für Hellsehende.

1. Sagt abermals unser Markus, dem schon die Geduld etwas zu enge werden will: „Ich weiß wahrhaftig nicht, was ich aus euch machen soll. Ich kann euch zwar eben nicht viel einwenden, aber recht geben kann ich euch auch nicht völlig. Es ist wohl etwas an eurer Klagerede, aber dabei scheint ihr denn doch die Sache nun mehr in eurer unglücklichen Aufregung schwärzer zu sehen, als sie an sich wirklich ist. So du aber sogar mich für einen Teufel hältst, so sage es mir, ob denn am Ende diese ganze Gesellschaft etwa aus lauter Teufeln besteht!“

2. Sagt der Redner aus den fünfen: „O mitnichten! Da siehe den Mann (auf Mich zeigend) neben dir; das ist ein sehr vollkommener Mensch, ein wahrer Gottessohn! Es wird aber gar nicht lange währen, und die Teufel werden ihn aufreiben! Weiter rückwärts stehen noch zwei Jünglinge und ein Mägdlein, die sind auch von oben her, werden aber auch noch zur Genüge verfolgt werden, so sie keine Teufel werden wollen. Dann sehe ich aber noch einige arme Menschen, die scheinen Fischer zu sein; alles andere, samt dir und deinem ganzen Hause, aber sind so ziemlich gute Teufel, auf dem Wege Menschen zu werden, was ihnen aber noch gar manche Mühe und Sorge machen wird! Weißt du nun, wie du daran bist?“

3. Sagt Markus: „Aber sage du mir, weil du schon einmal in der Rede stehst, woher du das alles so genau wissen kannst; denn sieh, ich sehe um mich nur Menschen von minderer, höherer und höchster Vollendung; aber Teufel sehe ich nicht unter ihnen. Worauf gründest du demnach deine Behauptung, an der irgend etwas zu sein scheint?“

4. Sagt der Redner aus den fünfen: „Auf das, was ich schaue; die Leiber sind wohl gleich, aber die Seelen unterscheiden sich gewaltig! Die Unterscheidung aber besteht in der Farbe und in der Gestalt; die Seelen der von mir dir Bezeichneten sind weiß wie frisch gefallener Schnee auf den hohen Bergen und haben eine wunderliebliche Gestalt, die um vieles noch rein menschlicher aussieht denn ihre äußere Leibesgestalt; eure Seelen aber haben noch eine dunklere Farbe als euer Leib und sehen bei weitem nicht einmal so menschlich aus wie euer Leib, sondern es sind an euren Seelen noch ganz deutliche Spuren von irgendeiner Tiergestalt wahrzunehmen!

5. Aber ich entdecke in euren Tierseelen noch eine sehr kleine Lichtgestalt, die auch eine vollkommene Menschengestalt hat; vielleicht, so diese in euch wächst, wird sie eure Tierseele auch in eine rein menschliche Gestalt über sich gleich einer Haut ausdehnen! Das jedoch weiß ich dir nicht näher zu beschreiben, und du kannst dir darüber bei den vollendeten Menschen eines rechten Rates erholen.“

6. Sagt Markus weiter: „Aber sage du mir noch, wie das kommt, daß du das alles also sehen kannst, und ich nicht!“

7. Sagt der Befragte: „In meinen großen Leiden, bei denen dem Leibe gar oft das Hören und Sehen verging, öffnete sich die Sehe meiner Seele, und mittels dieser kann ich nun denn auch die Seelen der andern Menschen sehen und wahrnehmen auf das handgreiflichste den großen Unterschied zwischen Menschen und Menschen, zwischen Gotteskindern und den Kindern der Welt, oder, was dasselbe ist, zwischen Engeln und Teufeln!

8. Aber aus den Weltteufeln können auch Engel werden, – doch kostet sie das viele Mühe und Selbstverleugnung; aber auch: aus den Engeln können Teufel werden. Das kostet aber eine noch größere Mühe und ist nahezu unmöglich, weil in den Engelseelen eine zu mächtige Selbständigkeitskraft vorhanden ist. An uns fünfen hat sich die Hölle versucht, ob wir nicht zu gewinnen wären. Bis jetzt sind alle ihre ärgsten Versuche an uns gescheitert; aber wie es uns noch fürder ergehen wird, das wissen wir nicht, sondern ein Gott nur, der uns werden und sein hieß, sich aber nun fürder wenig oder gar nicht mehr um uns kümmert, so daß wir darum schon sämtlich auf den Gedanken gekommen sind, daß es entweder gar keinen Gott mehr gibt, oder der zu erhabene Gott kann und will sich um uns nicht kümmern!“

Kapitel 025. Mathaels Naturphilosophie.

1. (Der Seher:) „Es ist auf der Erde wohl eine Ordnung und irgendein Gleichmaß, aus dem man am ehesten eine Überzeugung nehmen kann, daß es einen höchst weisen Gott geben müsse, der die Dinge alle einmal also erschaffen hat, wie sie nun noch stets gleichfort zu sehen und zu begreifen sind; anderseits aber bemerkt man wieder eine oft grenzenlose Unordnung und gar nie zu ermessende Willkür unter den Dingen, daß man zu sich selbst am Ende sagen muß: Ja, da schaut denn doch wieder kein Herrgott heraus!

2. Man nehme nur die Unbeständigkeit der Witterung! Wo ist da irgendeine Ordnung oder irgendein Ebenmaß zu entdecken? Man betrachte die durcheinanderstehenden, verschiedenartigen Bäume in einem Walde, oder desgleichen das Gras auf dem Felde; weiter das höchst ungleiche Maß der Berge, der Seen, der Ströme, der Flüsse, der Bäche und der Quellen! Da ist doch ewig kein Ebenmaß und keine Ordnung zu entdecken, wenigstens für unser Verständnis nicht. Das Meer macht sich seine unebenen Ufer je nach dem Zufalle des mehr oder weniger mächtigen Wellenschlages, ebenalso die Seen, die Ströme, Flüsse, Bäche und Quellen. Nur der Mensch kann ihnen hie und da einen Damm setzen; vom höchst weisen Gotte aus geschieht da nie etwas.

3. Also legt auch der Mensch nur irgend geordnete Gärten an und bestellt die Weinberge und die Äcker; und er nur erkennt die edlen Früchte, sondert sie von den unedlen ab, pflegt sie und macht sie sich möglichst nutzbar. Wo aber steht ein Garten von nur irgendeiner Ordnung auf der ganzen Erde, den Gott selbst angelegt hätte, wo ein geregelter Strom? Die Erdschichten liegen auch derart chaotisch durcheinander, daß man dabei nie etwas anderes als die blindeste Macht des lieben Zufalls entdecken kann; da sieht demnach ganz entsetzlich wenig von irgendeiner obwaltenden göttlichen Weisheit heraus, und man kann da tun, was man will, und denken auch, was man nur immer kann und will, und es kommt dabei doch nirgends etwas zum Vorscheine, das zu unsereinem allenfalls sagte: ,Siehe, da schauet denn doch wieder eine ganz tüchtige Gottesordnung heraus!‘

4. Ja, jedes Ding einzeln für sich genommen hätte wohl offenbar sehr bedeutende Spuren von irgendeiner urgöttlichen Macht und ordnungsvollsten Weisheit; aber betrachtet man dann das zufällige Durcheinandergeworfensein der geschaffenen Dinge, so kommt es mir vor: Gott ist entweder des Ordnens müde geworden und kümmert sich entweder um alle die einmal geschaffenen Dinge wenig oder gar nicht mehr, wie es bei einigen auffallend also zu sein scheint, oder er besteht gar nicht, sondern die nach Ewigkeiten im Endlosen des Raumes aus sich selbst entstandenen zufälligen Etwas gestalteten sich nach und nach – nach dem durch ihr zufälliges Sein entstandenen Naturgesetze – zu Dingen von schon irgendeinem Gewichte, vergrößerten sich nach und nach, wurden mit den Zeiten zu Welten, zu Sonnen und Monden; die Welten entwickelten in sich je nach ihrer Größe und ihrem Gewichte wieder notwendig neue Gesetze, die dann von selbst als Grundlagen zu neuen Bildungen wurden.

5. Je vielfältiger aber notwendig die Dinge auf einem nach und nach und mehr und mehr ausgebildeten Weltkörper wurden, desto verschiedenartigere, wenn schon kleinere Dinge mußten ihnen dann auch notwendig folgen. Die am Ende sehr vervielfältigten Dinge auf den Welten und die ungeheure Vervielfachung der Welten bewirkten aus sich Gesetze und Wirkungen, aus denen die ersten Spuren eines sich fühlenden Lebens hervorzugehen anfingen; war einmal nur ein Lebensfunke aus den vorhergehenden Notwendigkeiten gebildet, dann mußte diesem auch ein zweiter folgen, und nach und nach Milliarden, die untereinander abermals neue Gesetze erzeugten, die zur Ursache für die Entwicklung eines vollkommeneren Lebens wurden. Und es mag sich das Leben so fort hinauf bis zu einer höchsten Lebenspotenz durch die in sich gefundenen Lebensgesetze ausgebildet haben, so, daß nun erst die tiefst intelligente, sich und alle ihre Umgebung wohl erkennende Lebenskraft rückwirkend die vorangegangene stumme Natur zu ordnen und sich ergeben und untertänig zu machen beginnt!

6. Ist aber alles auf diesem ganz natürlichen Wege entstanden, dann freilich gibt es nur Lebenspotenzen unter höchst verschiedenen Lebensgraden von der kleinsten Blattmücke bis zu jener Lebensvollendung, die der vollkommenere Mensch die göttliche nennt. Es mag sich auf diesem Wege auch wohl schon seit undenkbaren langen Weltenzeiten her eine gute, aber gegenüber auch eine böse Gottheit entwickelt haben. Haben sich die beiden Gottheiten einmal entwickelt, so müssen sie sich als Gegenkräfte auch so lange schroffst entgegenstehen, bis höchstwahrscheinlich die böse Kraft nach unseren moralischen Begriffen von der mächtigeren guten in sich aufgenommen wird zu einem geordneten Gegensatze, aus welcher Ehe dann nach undenkbar langen Weltenzeiten alles, was nun noch stumm, bewußtlos und tot ist, in ein volles Leben mit freiem Willen und freier Erkenntnis übergehen wird!

7. Daß aber in diesen Zeiten sich noch alles so unordentlich wie in einem wahren Durcheinanderkampfe befindet, scheint darin zu liegen: Die nun gute und höchste Lebenspotenz, die wir Gott nennen, ist mit der argen Lebenskraft, die wir Satan heißen, noch lange nicht in der gewünschten Ordnung, sondern noch in einem fortwährenden Unterjochungskampfe, aus welchem Kampfe sie endlich als Siegerin hervorgehen muß; denn die nach unseren Begriffen böse Kraft würde die gute nicht in einem fort ankämpfen, so sie diese nicht in ihren Bereich zu ziehen einen Grund hätte.

8. Satan muß sonach dennoch ein stummes Wohlgefallen an dem Guten haben und will darum die ganze gute Lebenskraft sich unterordnen; aber eben aus diesem fortwährenden Bestreben nimmt er stets mehr des Guten in sich auf und macht dadurch, ohne es zu wollen, sein Arges stets besser. Dadurch aber kommt in sein Lebenswesen auch stets mehr Ordnung, mehr Erkenntnis und rechte Einsicht, und er wird zuletzt nimmer umhin können, sich endlich ganz zu ergeben, weil er es durch seine Natur und durch seinen Trieb unmöglich verhindern kann, daß er nicht in einem fort teilweise besiegt würde.

9. Er wird zwar auch nach seinem völligen Besiegtsein noch immer ein Gegensatz zum reinen Guten verbleiben, aber ein geordneter, gleich wie das Salz auch ein Gegensatz vom reinen, süßen Öle ist; aber hätte der Ölbaum nicht Salz in der gerechten Ordnung in seinen Wurzeln, im Stamme, in Ästen, Zweigen und Blättern, nimmer würde ein süßes Öl seine Frucht geben!

10. Ich verliere mich zwar nun in Erörterungen, die von dir sicher nicht in der Art verstanden werden, wie sie verstanden zu werden verdienen. Aber es macht das gerade nicht viel aus; denn es sei sehr ferne von mir, daß ich dir solches als eine Wahrheitslehre auftischen wollte, sondern lediglich als eine Hypothese nur, zu der eine Seele durch viele und unerträgliche Leiden, in denen sie durch alles Flehen zu Gott durchaus keine Linderung erhält, geführt wird.

11. Die Seele oder die eigentliche primitive intelligente Lebenskraft wird durch große Leiden und Schmerzen ihres Leibes viel heller; sie sieht und hört alles, was vor den Augen und Ohren der Naturmenschen oft noch so entfernt liegt, und du darfst dich wohl gar nicht wundern, so ich dir zuvor von mehreren Weltkörpern die Erwähnung machte. Denn meine Seele hat sie geschaut besser und heller, als du je diese Erde geschaut hast und sie auch je in diesem deinem Leben schauen wirst, und ich kann darum mit gutem Grunde Meldung geben von allem, was sie gesehen hat im endlosen Raume! Aber nun ein Ende von allem dem, und du sage es uns, was wir nun anfangen sollen! Denn hier können wir doch unmöglich bleiben!“

12. Sagt Markus: „Nur noch eine kleine Weile, bis der Heiland, der euch hier vor unsern Augen von euren fürchterlichen Leiden geheilt hat, es anordnen wird!“

Kapitel 026. Rede über den Kampf in der Natur.

1. Sagt der Redner: „Welcher aus den vielen uns umgebenden Zusehern ist es denn, daß wir Ihm unsern Dank darbrächten? Denn sonst etwas können wir Ihm wohl in dieser unserer Lage nicht bieten!“

2. Spricht Markus: „Er hat es uns eures Heiles willen untersagt, daß wir Ihn euch nicht vor der Zeit bekanntgeben sollen, und so verschweigen wir Ihn jetzt auch noch vor euch; aber es wird schon noch heute die gute Zeit kommen, in der ihr Ihn und durch Ihn so manche eurer Irrtümer werdet frohen Herzens kennenlernen!“

3. Sagt der Redner: „Freund, mit der Fröhlichkeit unserer Herzen wird's auf dieser Erde wohl ewig seine geweisten Wege haben! Denn Seelen, wie die unsrigen, können ob der zu großen überstandenen Leiden auf dieser dummen Welt wohl nimmer fröhlich werden! Vielleicht dereinst in einem andern vollendeteren Lebensgrade; aber in diesen klein zerknitterten Leibern nimmer!“

4. Sagt nun der ganz in der Nähe stehende Cyrenius: „Seht, ich bin der Oberstatthalter Roms von ganz Asien und einem Teile Afrikas, wie auch vom Griechenlande! Ich habe euch nun kennengelernt und gefunden, daß ihr keine gemeinen Leute seid. Ich nehme euch auf in meine Pflege, und es soll euch nimmer etwas abgehen, und eine für eure Geisteskräfte angemessene Beschäftigung wird sich auch finden lassen.

5. Aber darin müßt ihr am Ende mit euch denn doch ein bißchen handeln lassen, daß ihr uns Römer nicht so mir und euch nichts für Teufel, wenn schon etwas besserer Art, ansehet und gleich, wie meinen alten, biedern Markus, als gute Teufel rufet! Wir sind ja doch ebensogut Menschen wie ihr. Daß ihr, aus uns freilich noch unbekannten Gründen des göttlichen Ratschlusses in große Versuchungen geführt worden seid und dadurch auch in sicher unerhört schmerzliche Leiden, wodurch aber eure Seelen, wie es mir scheint, sehr geläutert worden sind, dafür können wohl wir für euch vermeintliche Teufel wenig oder nichts; aber uns habt ihr nun eure Heilung zu verdanken, und das besonders einem aus uns, der ein sozusagen allmächtiger Heiland ist, und sehet ihr wohl, daß wir uns durchaus nicht teuflisch gegen euch benommen haben!?

6. Darum müßt ihr, wie gesagt, darin mit eurer im Grunde des Grundes freilich nicht ganz unrichtigen Ansicht schon ein wenig handeln lassen, und es wird in aller Kürze sicher nicht fehlen, daß ihr noch ganz frohen Herzens werdet.“

7. Sagt der Redner, sich nun schon recht gestärkt vom Boden erhebend: „Freund, siehe an dieser Erde Boden; du siehst nichts als Gutes und dein Gemüt Erhebendes. Die Kräutlein und das Gras erquicken deine Augen, und der sanfte Wellengang des Meeres erheitert deine Brust; denn du siehst es nicht, wie unter all diesen Herrlichkeiten zahllose werdende Teufelchen ihre argen Tod und alles Verderben bringenden Häupter erheben und hervorschieben!

8. Du siehst wohl den schönen Wellengang des Meeres, aber die todbringenden Ungeheuer unter den schön spielenden Wellen siehst du nicht! Du siehst allenthalben ein hehres Leben walten, wir nichts als den Tod und ein unausgesetztes Verfolgen alles guten und edleren Lebens. Du siehst lauter Freundschaft, und gegen deine wenigen Feinde, die du siehst, hast du auch Macht genug, sie dir gegenüber als völlig unschädlich zu halten; wir hingegen sehen nichts als nahe pure, zum größten Teile unbesiegbare Feinde!

9. O Freund, bei solch einem alleruntrüglichsten Sehvermögen ist es wohl schwer, je heiteren Herzens zu werden! Nimm uns dieses traurige Vermögen, oder gib uns eine rechte Erklärung von allem dem, was wir sehen, und wir wollen dir gleich fröhlich und heiter werden!

10. Es kann nach undenklich langen Weltenzeiten vielleicht für eine Seele, die von Lebensgrad zu Lebensgrad sich durchgekämpft hat, wohl einmal ein besseres Los geben; aber wo steht die eherne Gewißheit davon? Welche unerhörten Kämpfe und Stürme aber wird die arme Seele noch bis dahin zu bestehen haben?! Wird sie wohl aus allem siegreich hervorgehen, oder wird sie untergehen für ewig? Welche Gewißheit hast du für alles das?

11. Siehe, wir sehen gewiß Dinge und Verhältnisse, von denen du keine Ahnung je gehabt hast; aber von irgendeiner Gewißheit über den einmal kommenden bestimmt seligen Zustand nach dem Tode des Leibes sehen wir nirgends etwas, – wohl aber ein beständiges Wachen, Sorgen und Kämpfen! Wir sagen es dir, wie wir es sehen.

12. Jedes Leben ist gleichfort ein Kampf mit dem Tode, gleichwie jede Bewegung ein fortdauernder Kampf mit der sie stets zu stören suchenden Ruhe ist. Die Ruhe selbst aber bekämpft gleichfort darum die Bewegung, weil in ihr der stete Hang zur Bewegung als kampffertig dasteht.

13. Wer wird am Ende siegen? Die Ruhe, die stets die Bewegung sucht, oder die Bewegung, die aber ebenso stets die Ruhe sucht?

14. Seit deinem uranfänglichen Lebenskeime hast du nichts als in einem fort gekämpft bis auf diesen Augenblick und wirst fürder ewig stets von neuem wieder kämpfen; und solange du kämpfen wirst, wirst du auch ein Leben haben, aber kein anderes als ein stets kämpfendes, das wohl nur mit sehr spärlichen Seligkeitsmomenten ausgerüstet sein wird! Wann aber wird in diesen ewigen Kämpfen endlich einmal eine wahre kampffreie und sonach vollsiegreiche Seligkeit zum Vorscheine kommen?

15. Es ist daher bald gesagt, heiteren Gemütes und frohen Herzens sein; aber das Seelengemüt fragt da gleich euch Römern: CUR, QUOMODO, QUANDO ET QUIBUS AUXILIIS? Hast du uns wohl verstanden, so ein wenig nur?“

Kapitel 027. Mathael über das innere Leben des Cyrenius.

1. Hier macht der Cyrenius, den Redner bei der Hand drückend, ganz große Augen und sagt zu Mir: „Herr, der hat eine ganz sonderliche Lebensanschauung! Man kann ihm im Grunde denn doch nichts entgegenstellen; es ist wahrlich eine leider nackte Wahrheit im ganzen, wie im sonderheitlichen! Was sagst aber Du dazu?“

2. Sage Ich: „Was wundert dich nun dessen? Habe Ich es euch doch zum voraus gesagt, daß diese fünf euch allen ein Hauptwetter machen werden! O höret sie nur an, und ihr werdet Mich darauf sicher um vieles leichter und tiefer verstehen!“

3. Sagt Cyrenius weiter zum Redner der fünf, der Mathael hieß: „Aber könntest du auch also beweisend reden, daß denn doch der größeren Wahrscheinlichkeit zufolge Gott eher war als deine Weltkörper, von denen ich mir noch keine genügende Vorstellung machen kann? Sieh, mir ist wenigstens kein Volk auf der Erde bekannt, das da nicht einen Gott voll Einsicht und Macht vor dem Sein aller Dinge annähme, verehrete und anbetete; und du bewiesest nun gerade das Gegenteil. Sieh, das erfüllt mein Herz mit großer Bangigkeit, darum führe du denn nun auch ebensogut den Gegenbeweis, ich, der Oberstatthalter, bitte dich sogar darum!“

4. Sagt Mathael: „Schwacher Säugling der Erde, du dauerst mich! Hast aber, wie ich es nun in meiner Seele finde, doch schon so manches weise Wort voll Kraft, voll Lebens und voll Wahrheit vernommen und hast mit deinen Augen geschaut, was Gottes Wort vermag, und kannst in deinem Herzen noch immer die Tiefen so mancher Gedanken nicht fassen!

5. Ja, ja, Freund, siehe, du liebst noch zu mächtig dein Leben und steckst in dessen Mitte; von dem Standpunkte aus aber läßt sich das Leben eben am allerschlechtesten erkennen.

6. Freund, man muß das Leben völlig verloren haben, das heißt dieses Erdenleben, dann erst erkennt man das Leben!

7. Nimm einen Topf und fülle ihn mit Wasser; das Wasser wird ruhig stehen im Topfe, und du wirst nicht erkennen die Dampfgeister im ruhigen Wasser; rührest du das Wasser auch noch so emsig und setzest es in Bewegung, auch dabei werden sich dir die mächtigen Dampfgeister nicht zeigen; setzest du aber das Wasser ans Feuer, da wird es bald zu sieden beginnen, und es werden beim Sieden sich sogleich die mächtigen Dampfgeister über des Wassers heißperlende Fläche zu erheben anfangen, und die noch im siedenden Wasser rastenden Geister werden nun erst erkennen die mächtigen Dampfgeister, die im zuvor kalten Wasser ganz ruhig und ohne eine Daseinsspur rasteten, zuerst sich selbst und dann unter ihnen das heißbewegte Wasser mit vielen tausend Augen schauend, das sie getragen, und daß die Dampfgeister vorher kein anderes Innewerden hatten, als daß sie völlig eins seien mit dem kalten Wasser.

8. Also erkennt aber während des Siedens auch das Wasser, daß es in ihm absonderliche Geister gab und bis auf den letzten Tropfen gibt; ja, ja, das siedende Wasser erkennt, daß es selbst durchgängig Geist und Macht ist, aber in seiner kalten Ruhe konnte es sich nicht erkennen und fassen!

9. Siehst du hier ein treffendes Bild? Dein Leben ist nun auch noch ein zwar reines, aber sonst ganz ruhiges kaltes Wasser im Topfe deines Leibes. Dein Topf kann wohl recht nach allen Richtungen hin- und herbewegt werden, so wirst du daraus dennoch nicht erkennen deine Lebenskraft; im Gegenteile, je mehr das Wasser in seinem kaltruhigen Zustande bewegt wird, wie das bei allen großen Weltmenschen der Fall ist, desto weniger erkennt das Wasser des Lebens im starkbewegten Menschentopfe sich selbst und seine Umgebung; denn eine bewegte Spiegelfläche des Wassers zeigt kein Bild mehr rein, sondern sehr zerrissen.

10. Wird aber dein Lebenswassertopf zum wahren Feuer der Liebe, der größten Demütigung und aller Leiden und Schmerzen gesetzt, oh, da fängt es dann im Topfe bald gewaltig zu sieden an, und es werden dadurch gar ehest die frei gewordenen Lebensdampfgeister sich selbst, ihren früheren kalten, trägen Zustand, die sinnliche Seele nämlich und den gebrechlichen Topf erkennen, und das noch im Topfe heißperlende Lebenswasser wird mit tausend hellen Äuglein über sich die aufsteigenden Lebensgeister erschauen und erkennen, daß es nicht nur ein fauler Träger derselben war, sondern daß es mit ihnen völlig eines und dasselbe ist! Aber den Topf, verstehe Freund, den Topf werden die aufsteigenden freien Lebensgeister nicht als eins mit ihnen erkennen, sondern nur als ein leidig notwendig äußerstes Gefäß, das hernach in Scherben zerbrochen und auf die Straße geworfen wird. – Hast du nun einen Dunst davon, was ich dir eigentlich habe sagen wollen?“

11. Sagt Cyrenius: „Es ist mir wohl, als verstände ich dein Bild so ziemlich, das heißt, in der vergleichenden Anwendung auf unser inneres Seelenleben; aber was du damit etwa noch Tieferes hast aufdecken wollen, davon dürfte ich wohl lange noch keinen Dunst haben! Sollte da etwa auch schon darin erörtert sein, daß denn doch ein Gott vor allen Dingen hat sein müssen?“

12. Sagt Mathael: „Allerdings, aber davon kannst du noch keinen Dunst haben, weil du selbst noch lange nicht zu dunsten angefangen hast!“

Kapitel 028. Mathaels Rede über Gott.

1. (Mathael:) „Siehe, das, was du Gott nennst, nenne ich das lebendige Wasser; aber das Wasser in sich erkennt sein eigenes Leben nicht. Wenn es aber aus sich heraus durch die mächtige Liebeglut, welche gleich ist dem Schwerdrucke gegen das Zentrum des Seins, zum Sieden gebracht wird, da erhebt sich der Lebensgeist in seiner Freiheit über das ihn eher gefangenhaltende Wasser, und du siehst hier den Geist Gottes schweben über den Wassern, wie auch Moses davon Meldung macht. Und der Geist erkennt sich und das Wasser und erkennt, daß er mit dem Wasser von Ewigkeit her einer und derselbe ist; und diese ewige Erkenntnis ist eben auch zu verstehen unter dem ,Es werde Licht!‘

2. So aber dein Geist, Freund, auch über deinem siedenden Lebenswasser schweben wird, dann auch wirst du dein Leben und das Leben Gottes in dir erst wahrhaft zu erkennen anfangen.

3. Siehe, alles Sein muß einmal zu sein beginnen, es muß irgendeinen Anfang nehmen, ansonst es auch unmöglich je dasein kann! Hätte ein sich selbst und alles andere erkennendes Leben und dessen seiner selbst bewußte Kraft nie einen speziellen Anfang genommen, so wäre sie auch noch lange nicht da; weil sie aber einmal einen Anfang genommen hat, so ist sie auch schon lange ebensogut da, als wir speziell auch da sind darum, weil wir einmal haben als das, was wir nun sind, zu sein angefangen.

4. Aber wir waren vor diesem Sein auch schon, aber also, wie die noch unentwickelten kalten Lebensdämpfe im kalten, ruhigen Wasser; und also hat auch die höchste Lebenspotenz in Gott ein doppeltes Sein, erstens ein stummes, bloß nur seines Seins bewußtes, und darauf ein als von einem innern Tätigkeitsbeginn entstammendes, frei sich durch und durch erkennendes und kleinst durchschauendes Dasein!

5. Darum heißt es auch im Moses: ,Im Anfange schuf Gott den Himmel und die Erde, und die Erde war wüst und leer und finster in ihrer Tiefe.‘ Wer oder was ist denn so ganz eigentlich der Himmel, und was oder wer ist die Erde? Meinst du darunter etwa diese Erde, die dich nun trägt, oder den Himmel, der dir Luft und Licht gibt? O wie weit wärest du da von der Wahrheit! Wo war damals noch diese Erde und wo dieser Himmel?

6. Siehe, damit ist nur dunkel angedeutet, wie die ewige Lebenskraft Gottes in ihrem Sein unterscheidlich hat zu erforschen und zu erkennen angefangen! Und da stellt der ,Himmel‘ die sich selbst erkennende Weisheit seines Ichs dar; in dem liebeglühenden Schwerpunkt seines Zentrums aber, im liebeheißen Zentrum, das unter dem Ausdrucke ,Erde‘ gemeint ist, war es noch finster und wüste und leer, also noch ohne eine tiefere Erkenntnis des eigenen Selbst.

7. Aber das Zentrum ward heißer und heißer, je mehr des äußern Selbstbewußtseins Massen auf dasselbe zu drücken begannen. Und das Zentrum geriet in die höchste Glut, und aus dem siedenden Lebenswasser entstieg der Dampf (Geist), schwebte nun frei auf und über den Wassern des stummen und ruhigen ewigen Vorseins und erkannte sich durch und durch; und dieses Erkennen eben ist dann das Licht, das Moses Gott zur Vertilgung der Finsternis gleich nach der Erschaffung des Himmels und der Erde werden läßt.

8. Von da an erst wird Gott als ein wie ausgesprochenes Wort Selbst zum ,Worte‘, und dieses Wort ,Es werde!‘ ist ein in sich sich selbst durch und durch erkennender freier Wille, ein Sein im Sein, ein Wort im Worte, ein Alles nun in Allem!

9. Und von da an erst beginnt aus dem freiesten Willen die sich nun durch und durch erkannte Urlebensquelle alles anderen Lebens hervorzugehen. – Hast du nun schon einen Dunst?“

Kapitel 029. Cyrenius Rede über seine Weisheit und Mathaels Antwort darauf.

1. Sagt Cyrenius: „O ja, nun habe ich einen recht tüchtigen Dunst, und das um so leichter, da ich erst in dieser Nacht eine dieser ganz ähnliche Erläuterung der mosaischen Urschöpfungsgeschichte vernommen habe. Es wird sich die Sache schon also verhalten; aber es geht mir das schon ins zu unendlich Weise hinüber, und ich kann und will mich nicht zu sehr anstrengen, um etwas in der tiefsten Tiefe zu erfassen. Es muß bei mir die Sache leicht gehen, wenn sie mir nützen soll; geht sie aber etwas zu tief und zu weise, dann ist es mit meinem Begreifen oft auf einmal aus!

2. Kurz und gut, es bleibt bei dem, was ich gesagt habe; ihr seid von mir aus versorgt, und es soll euch keine Gelegenheit benommen sein, in eurer Weisheit so tief als nur immer möglich zu dringen und die arme Menschheit, wo nur immer tunlich, auf den rechten Weg zu bringen, – obschon ich euch offen gestehe, daß ein zu tiefes Eindringen in das Wesen des Lebens fürs allgemeine eher nachteilig als vorteilbringend wäre.

3. Seht euch selbst nur, und fragt euch, ob alle eure wahrlich außerordentliche Wissenschaft und Weisheit euch glücklich macht! Ja, der menschliche Geist kann in unendliche Weisheitstiefen dringen und am Ende wundervollste Dinge hervorbringen; aber glücklich ist bei mir doch nur der Mensch, der ganz einfach ist und Gott, seinem Schöpfer, in aller Liebe ergeben, und Seine Gebote hält. Will ihm dann Gott wie einem Salomo die Weisheit geben, so soll er sie dankbarst annehmen und sie mit heiterem Gemüte weise benutzen. Wenn aber die einem Menschen verliehene Weisheit eben den Menschen nur unglücklich machen soll, so ist mir am Ende aber schon jede Dummheit lieber, durch die des Menschen Herz erheitert wird.

4. Ich lebe einmal und weiß nun, daß ich ewig fortleben werde, und die Wege zur Erreichung eines glückseligen ewigen Lebens sind mir bekannt; was sollte ich dabei denn noch mehreres wollen?!

5. Begebet auch ihr euch in diese meine Ansicht, und ihr werdet auch gleich mir noch auf dieser Erde recht glücklich sein; aber mit eurer allertiefsten Weisheitsbrüterei werdet ihr kaum je den Wert und das Glück, ein Mensch zu sein, fühlen!

6. Darum folget auch meinem Rate, wenn er auch nicht aus der Kammer der tiefsten Weisheit stammt; aber er kommt von einem freundlichen und sicher nicht liebelosen Herzen, und das hat sogar vor Gott einen hohen Wert! Warum soll es bei euch keinen Wert haben?

7. Die Weisheit ist es nicht, die uns das Leben gibt, sondern die Liebe; bleiben wir daher bei der Liebe, und uns wird es nicht am Leben gebrechen und an dessen glückseliger Empfindung! Seht, das ist aber meine Weisheit, und ich möchte fast behaupten, daß sie dem Leben der Menschen um vieles dienlicher ist als alle eure noch so tief gefaßte Weisheit!“

8. Sagt Mathael: „O ja, o ja, du hast ganz recht! Siehe, solange das Wasser im Topfe nicht ans Feuer kommt, hat es auch ein gutes und ruhiges Sein; aber kommt es hernach zum Feuer, da sieht es dann aber auch gar bald ganz anders aus. Einmal muß es gebrochen sein!

9. Was du werden willst, dazu darf es dir an den nötigen Kenntnissen sicher nicht fehlen. Willst du ein Feldherr sein, so mußt du mit allen Kenntnissen für solch ein Amt ausgerüstet sein, ansonst du eine schlechte Figur als Feldherr spielen wirst; willst du ein Apotheker und Heiland sein, so mußt du mit all den dazu nötigen Kenntnissen versehen sein!

10. Nun, du willst aber das ewige Leben erhalten, willst aber das Leben selbst durchaus nicht näher erforschen und erkennen; wie wohl wird das möglich sein?

11. Siehe, wollte ich mir ein Weib nehmen, flöhe aber jede Gelegenheit, nur von ferne hin je mit einer Maid zusammenzukommen; da weiß ich dann wahrlich nicht, wie ich und ein Weib zusammenkommen werden!

12. Du willst aber am Ende sogar ein ewiges Leben und scheuest aber nun schon die kleine Mühe, nur dies irdisch zeitliche Leben ein wenig tiefer zu erforschen und dich zu erkundigen nach seinen Grundwurzeln!

13. Ja, du lieber Freund, hinge das ewige Leben nur davon ab, daß es mir ein Gott, wie du mir ein Stück Brot, geben könnte, dann wäre deine Lebensmaxime der unsrigen offenbarst weit vorzuziehen; aber es ist die Bereitung und Erreichung des einstigen ewigen Lebens ganz uns allein anheimgestellt!

14. Wir müssen tun und handeln und müssen wahrlich durchs Wasser mit unserem Lebenswasser und durchs Feuer mit unserem Liebelebensfeuer; da erst fängt unser Lebenswasser am Feuer der innersten Liebe zu Gott, zum Nächsten und am Ende zu uns selbst zu kochen und zu sieden an, und wir werden erst dadurch gewahr, daß es in uns eine unverwüstbare Lebenskraft gibt, die sich von dem Augenblick an erst als solche zu erkennen beginnt und die rechten Mittel ergreift und anwendet, sich als solche für ewig hin zu erhalten!

15. Da ist es sonach vorderhand nichts mit dem sogenannten gemütlichen Leben, das vollends einem süßen Schlafe ganz ähnlich ist, sondern da heißt es arbeiten und kämpfen und forschen ohne Rast und Ruhe!

16. Erst wenn man über das stets einschlafen- und sterbenlüsterne Leben einen vollends lebenswachen Sieg gewonnen hat, dann erst läßt sich von irgendeiner Seligkeit ein Wörtlein reden!

17. Du kommst uns vor wie ein noch am Morgen recht süßschlafender Mensch, den seine schon lange wachen Freunde zu wecken beginnen, worüber er sich im Anfange äußerst ärgerlich gebärdet; erst wenn er mit einiger Mühe vollends wach wird, ersieht er die Wohltat des vollen Wachseins und freut sich endlich seines hellen und freien Lebens.

18. Wir sind vollen Rechtes mit unserer Weisheit; aber du noch lange nicht! Erst wenn du wach geworden sein wirst, wirst du auch einsehen, wie sehr wir hier im vollsten Rechte sind.“

Kapitel 030. Cyrenius wird von Jesus auf die Reden des Mathael verwiesen.

1. Sagt Cyrenius zu Mir: „Herr und Meister, was sagst denn Du dazu? Was ist davon zu halten? Spricht Mathael die volle Wahrheit? Du kannst so etwas ja doch am ehesten vom Grunde aus beurteilen; rede nun doch auch ein paar Wörtlein dazu!“

2. Sage Ich: „Habe Ich dir denn nicht eher schon gesagt, daß ihr sie hören sollt? Sähe Ich, daß sie Falsches sprächen, sicher würde Ich sie euch nicht anzuhören empfohlen haben. Darum höret den Mathael nur noch weiter an! Er hat zwar einen scharfen, aber guten Wind; mit solchem Winde, wenn auch über ein stark wogendes Meer, kommt man viel geschwinder weiter als mit der allerbesten Ruderei!

3. Höret ihn nur noch weiter an, denn bis jetzt hat er euch noch durch die Finger geredet; wenn er aber so noch ein wenig mehr warm wird, wird er euch auch noch mit ganz andern Beweisen kommen!“

4. Sagt Cyrenius: „Dafür danke ich im voraus! Als Teufel stehen wir ohnehin schon da! Zu was Ärgerem sollte er uns wohl noch zu machen imstande sein? Ist es nicht löblich von mir, daß ich diese fünf armen Teufel versorgen will in alle ihre irdische Zukunft, und dafür machen sie uns ein Wetter, wie Du selbst uns noch nie eines gemacht hast!

5. Ah, diesen Mathael höre ich eigentlich gar nicht mehr an; seine Ansicht über das Leben mag in sich noch so richtig sein; aber sie taugt nicht zu den irdischen Lebensverhältnissen, und kein Mensch kann dabei für seinen Leib etwas tun!

6. Ja, Menschen wie die Propheten und die alten Priester haben freilich gut sorgen gehabt fürs ewige Leben allein; denn für ihre Leibesbedürfnisse sorgten sich andere, denen es am Ende gleich sein mußte, ob es ein ewiges Leben der Seele gibt oder auch nicht gibt! Sie erhielten bloß Gesetze, die sie zu beobachten hatten, ohne je den eigentlichen Grund zu erfahren, warum und was sie dadurch so ganz eigentlich erreichen sollten.

7. Für Millionen mußte das genügen mit oder ohne Aussicht auf irgendein ewiges Leben, und für uns aber soll es nicht mehr genügen?!

8. So es aber für uns nicht mehr genügt, da fragt es sich dann für jeden Menschen, der einen Funken von wahrer Nächstenliebe in seinem Herzen trägt: Wer entschädigt am Ende die vielen Millionen von armen Teufeln, daß sie alle trotz der Haltung irgend äußerer Gesetze dennoch dem ewigen Tode verfallen sind? Sind sie ein Werk des Zufalls, dann mag die Lehre einen guten Grund haben; sind aber die Menschen alle, was aus ihrer höchst weisen Einrichtung wohl zu erkennen ist, ein Werk eines höchst weisen und guten Gottes, so muß es einen andern und für alle Menschen praktischeren Weg zur Erreichung des ewigen Lebens geben; und gibt es keinen andern, dann ist alles Leben das Verächtlichste, was des Menschen Vernunft nur immer als verächtlich und verabscheuungswürdig erkennen kann!

9. Denn, wenn ein ewiges Leben nur dem beschieden ist, der es gewisserart auf Kosten von tausend andern Menschen, die für so einen ewigen Lebenshelden arbeiten müssen, auf daß er bloß das ewige Leben in sich auskochen kann, erreicht, – dann verlange ich selbst ewig vom ewigen Leben auch nicht einmal ein kleinstes Fünklein, und ein voller ewiger Tod ist mir lieber! Das ist nun so meine Ansicht.

10. Deine Lehre, Herr und Meister, ist mir angenehm, lieb und wert; denn da steht mir ein allmächtiger Helfer an der Seite, wenn ich irgend schwach werde; nach der Lehre Mathaels aber habe ich niemand denn mich selbst. Ich allein nur kann mir das ewige Leben geben oder nehmen, und irgendein Gott hätte dabei gar nichts zu tun, als bloß mit ärgerlichen oder wohlgefälligen Augen zuzusehen, wie sich irgendein armer Teufel aus allen Klauen des Todes durcharbeitet und sogestaltig auf den unwirtlichsten Wegen, die voll Dornen, Klippen und giftigen Geschmeißes sind, zum ewigen Leben emporklimmt!

11. Nein, nein, das kann nicht sein; ihr seid Narren mit all eurer ewigen Lebenslehre! Ja, wenn ich mir einen Geber des ewigen Lebens denken kann, der, wie Du, o Herr, einem auch schon irdisch das Leben wiedergeben kann, so er will, dann tue ich alles, auf daß er mir auch dereinst gebe das ewige Leben. Aber so ich es mir selbst aus allen den Prophetenweisheitswinkeln erst irgend zusammensuchen soll, dann brauche ich von einem ewigen Leben, wie gesagt, auch ewig nichts! – Also spricht und sprach ein Cyrenius, Roms Oberstatthalter über Cölesyrien und über alle Lande Asiens, Afrikas und eines großen Teils vom Griechenlande!“

12. Sage Ich: „Freund, diesmal hast du dich wahrlich für nichts und abermals nichts überboten an allerlei leeren Redereien. Was die fünf waren, weißt du; warum, das weißt du hoffentlich nun auch!

13. Ich habe sie aber nun vollkommen gereinigt und habe in ihnen angezündet das allein wahre, untrügliche Licht des Lebens und habe dadurch verrammet den Pfad, auf dem möglicherweise die ausgetriebenen argen Gäste ihnen noch einmal einen schädlichen Besuch abstatten könnten.

14. Diese fünf sind demnach nun vorderhand völlig rein und durchschauen in sich die feinsten Fäden alles Lebens, wie es eigentlich von Urbeginn an beschaffen war, und geben nun solches jedermann offen kund, was in den alten Zeiten nur wenigen für wenige gegeben war; wie möglich kannst du ihnen darum gram werden?!

15. Denn siehe, was sie sagen, ist ganz dasselbe, was Ich Selbst euch gesagt habe, nur mit etwas nackteren Wahrheitsreden geben sie es von sich.

16. Erkenne erst den wahren Wert dessen, was sie sagen, und werde darauf grämlich, so es dir möglich ist; aber nun, da dir das, was sie sagen, ein wenig zu unbequem vorkommt, hast du mit deinem Grämlichwerden offenbar unrecht. Laß den Mathael weiterreden, und es wird sich wohl zeigen, ob das, was er sagt, praktisch ist oder nicht, oder ob es Meiner Lehre zuwiderläuft!“

Kapitel 031. Mathael spricht über den Weg zum Ziele des wahren Lebens.

1. Sage Cyrenius: „Nun gut; ich will das sehen, obschon ich einen scharfen Richter machen werde!

2. Sage mir daher, du weiser Mathael, wenn denn die Sache des Lebens sich durchgängig also verhält, wie du sie ehedem ganz scharf gegründet erörtert hast, was haben nachdem Millionen zu gewärtigen, die von alldem keine Silbe wissen, und die vielen Millionen, die künftig nach uns irgend auf der weiten Erde geboren und davon auch keine Silbe in die Erfahrung bringen werden; wie sieht es mit all deren ewigem Leben aus?“

3. Sagt Mathael: „Ganz gut! Auch allen diesen war eine Lehre eigen und genügte, die Phantasie der Seele rege zu erhalten. In solcher Phantasie begründet sich mit der Zeit die Seele und lebt endlich darin, wie in einem Traume, und kann in solchem Traume Tausende von Jahren leben.

4. Aber das ist noch lange kein wahres ewiges Leben; solche Seelen haben endlich, so sie zu einem wahren ewigen Leben eingehen wollen, in der sogenannten Geisterwelt bei weitem größere Kämpfe und Proben durchzumachen, als der Kampf in sich da ist, dessen ich vorhin nur so im Vorbeigehen erwähnte.

5. Wer aber hier diesen Weg geht, der erreicht mit freilich so mancher nicht geringen Mühe und mit einem wahren weisen Lebensernste das ewige Leben in aller Wahrheit, Klarheit und vollster Gediegenheit schon hier in wenigen Jahren, was er sonst nach dem schläfrigen Sinne der Seele erst nach mehreren Hunderten, oder gar nach vielen Tausenden von Jahren erreichen kann, wenn es gut geht. Geht es dabei aber nur ein wenig schief, so kann eine hier oder sonstwo ganz verdorbene Seele wohl auch ein Weltenalter ums andere ein höchst elendes Traumleben genießen, in welchem sie außer sich und außer ihren höchst elenden Phantasiegebilden durchwegs zu keiner Anschauung und Wahrnehmung von irgend etwas Wahrem, Reellem und außer ihr Seiendem gelangt; dessenungeachtet aber lehren sie dennoch gleichfort die bittersten Erfahrungen, daß sie von lauter Feinden umlagert ist, gegen die sie sich nicht zur Wehr stellen kann, weil sie dieselben ebensowenig irgend erschauen kann, als auf dieser Welt irgendein Stockblinder ersehen kann, von woher sich ihm irgendein Feind naht, oder wo sonst irgendeine Gefahr seiner harret!

6. Sieh, ein so recht stockblinder Mensch ist bei all seiner Blindheit aber am Ende dennoch nicht völlig lichtlos; denn die Phantasie seiner Seele ist in sich dennoch gleichfort ein Licht, und der Blinde erschaut Dinge, die irgend erleuchtet sich wie die Dinge der Naturwelt darstellen, aber sie haben keine Beständigkeit und ihr Licht auch nicht. Bald wird es hell, bald wieder ganz matt und vergeht oft wohl ganz und gar, so daß ein solcher Blinder dann im Ernste eine Zeitlang vollkommen licht- und wesenleer ist.

7. Und siehe, nahe also geht es einer Seele in ihrer völligen Abgeschiedenheit; sie hat bald Licht, bald wieder Nacht. Aber weder Licht noch Nacht ist in der Seele irgendeine Wahrheit, sondern bloß nur ein zeitweiliger Abschimmer von dem, was die Seele ohne ihr Wissen und Wollen aus den Außensphären in sich ungefähr aufnimmt, wie ein am Grase hängender Tautropfen in sich aufnimmt das Bild der Sonne. Der Tropfen ist nun wohl erleuchtet, aber er hat dazu kein insoweit gehendes Bewußtsein, daß er das einsichtlich erkennete, von wannen das Licht in seine Masse gekommen ist.

8. Was ich im Namen meiner vier Brüder dir hier sagte, ist Sache unserer mit großen Leiden verbundenen Erfahrung und sondert alles Scheinleben von dem wirklichen, wahrhaft freien, selbständigen Leben.

9. Du hast hier ein leidendes und unfreies und ein selbsttätiges und darum freiestes Gottleben vor dir; willst du das eine oder das andere, das hängt nun von deinem Willen ab; aber die Sache verhält sich einmal also, und kein Gott kann dir ein anderes Lebensverhältnis als gültig aufstellen.

10. Siehe, nun sage ich dir noch etwas: Meine Seele, die jetzt in ein stets helleres Schauen übergeht, sieht und erkennt nun schon aus sich recht wohl den Heiland, der sie vor kurzem erst von einer Menge unsichtbarer Feinde des höheren freien Lebens losgemacht hat durch die Macht Seines freiesten Gottlebens; sieh, in Ihm ist mehr denn in dem ganzen sichtbaren All der Schöpfung.

11. Er, als der schon von Ewigkeit her Sich erkannte Zentralpunkt alles Seins und Lebens will aber nun Sein Leben, und dadurch das Leben aller Menschen, durch Sein Leben noch mehr konfirmieren; aber solches wird Er nur erreichen durch eine unerhörte Selbstverleugnung. Er wird dies Sein gegenwärtiges Leben lassen, um dadurch in die ewige Herrlichkeit alles Lebens für Sich und dadurch auch für alle Menschen einzugehen. Dann erst wird alle Kreatur gewisserart ein anderes Gesicht und eine andere innere Ordnung überkommen; aber dennoch wird der Satz stehenbleiben: Ein jeder nehme die Bürde des äußern Elends auf die eigenen Schultern und folge Mir nach! – Verstehest du solches nun?“

12. Sagt Cyrenius, zwar noch wie ein wenig mißmutig: „Jawohl, ich verstehe dich wohl und kann nicht umhin, einzubekennen, daß du die Wahrheit geredet hast; aber dessenungeachtet lassen sich solche Lebensbedingungen sehr schwer anhören!“

Kapitel 032. Von der Einheit des ewigen Lebens.

1. Sagt Mathael: „Allerdings lassen sich diese Lebensbedingungen nicht so behaglich anhören wie die Fabeln einer Frühlingslebensphantasie, in denen das Leben gleich den Vögeln in der Luft oder den Schmetterlingen und goldenen Eintagsfliegen herumflattert, die von Blume zu Blume taumeln und aus ihren Kelchen den süßen Tau schlürfen; aber darum ist so ein Wollustleben auch nur ein vergängliches Tagsleben zu nennen, das sich erstens seiner selbst kaum bewußt und darum zweitens auch eigentlich gar kein Leben ist. Was nützete dem Menschen am Ende auch solch ein Schmetterlingsleben? Denke dir die Dauer dieses Lebens! Siebzig, achtzig bis neunzig Jahre sind schon ein hohes Alter, der Leib wird da schon sehr schwach und unbehilflich; nur ein etwas böser Lufthauch und gar ist es!

2. Frage aber: Was nachher? Wer kann dir darüber eine sichere Antwort erteilen, wenn du zuvor dein irdisches Leben hindurch nicht alles aufgeboten hast, damit dadurch dein ganzes Sein schon vor jenem bösen Lufthauche in dir zur vollebendigen Antwort geworden ist?! Hast du aber diese heilige Antwort in dir gefunden, dann auch wirst du sicher niemanden mehr ängstlich fragen und sagen: Was nachher, wenn dies kurze Leben ein Ende genommen hat?

3. Darum heißt es, sein Lebenswasser nicht gleichfort in der für den Leib behaglichen Kühle stehenlassen, sondern ans Feuer damit, auf daß es siede und in mächtigen Dämpfen aufsteige und sich zu einem neuen Leben gestalte, sonst ist alles gefehlt; und mag dir meine Rede noch so unangenehm vorkommen, die Wahrheit bleibt aber darum doch ewig Wahrheit, – und nur durch sie kann man zur wahren und vollen Lebensfreiheit gelangen, ohne die kein wahres ewiges Leben denkbar ist!“

4. Spricht nun Cyrenius in einem viel sanfteren Tone: „Ja, ja, mein lieber Freund Mathael, ich sehe nun schon, daß du im Besitze der vollsten Wahrheit in allen Lebensbeziehungen bist, und es läßt sich dir mit irgendeinem Grunde eben nichts einwenden! Du bist in deiner Sphäre nun schon vollends auf des Lebens Heimatboden, aber unsereiner ist noch weit davon entfernt!

5. Es läßt sich hierbei nichts anderes wünschen, als daß du deine Lebenslehre in ein gewisses System zusammengefaßt hättest, nach dem man dann die Kinder dahin leiten könnte, daß sie auf diesem Wege desto leichter das erreichen könnten, was zu erreichen dem vollen Manne am Ende denn doch etwas zu schwerfallen muß!“

6. Sagt Mathael: „Was du wünschest, ist zum Teile schon geschehen und wird noch viel mehr geschehen! Siehe, der große und mächtige Heiland, der uns geheilt hat, hat zu dem Behufe schon alle möglichen Vorkehrungen getroffen. Wir fünf wissen nun zwar auch den Weg, aber es wäre dennoch eine schwere Sache, das alles in irgendein geordnetes System zum allgemeinen Unterrichte zu bringen; aber für Menschen wie du könnten wir im Notfalle auch noch das zustande bringen! Denn es ist einem Menschen, der sich einmal auf dem Wege der Wahrheit in allen Dingen befindet, gerade nichts völlig unmöglich; denn das eigentliche freie Leben ist eins, ob in Gott, in einem Engel oder in einem Menschen.

7. Aber natürlich gibt es selbst im schon vollendeten freien Leben noch gar gewaltige Unterschiede; denn ein Leben, das sich erst jüngst zu erkennen angefangen hat, kann offenbar nicht so mächtig sein wie ein Leben, das sich schon vor Ewigkeiten in aller Fülle und Tiefe der hellsten Wahrheit nach erkannt und ergriffen hat. Solch ein Leben ist nun ein Herr der Unendlichkeit geworden, und alle Weltkörper mit allem dem, was sie tragen, stehen in der Gewalt dieses Lebens.

8. Dahin, Freund, werden wir es wohl auch ewig nicht bringen für uns selbst; aber in der Einigung mit diesem Leben werden wir am Ende auch das vermögen wie aus uns, was das große ewige Leben Gottes für sich vermag. Auch gibt es gewisse vollendete Lebenskräfte, die offenbar nach der ewigen Lebenskraft Gottes die ersten sind.

9. Diese Kräfte stehen bei weitem über unsern noch so frei und selbständig sich erkannten Lebenskräften; wir heißen sie ,Engel‘ (Boten). Sie sind sonderheitliche Repräsentanten der allgemeinsten Gotteslebenskraft; aber wir können ihnen dennoch gleichkommen, wenn wir eins mit der allgemeinen Gotteslebenskraft werden.

10. Doch so viel, wie wir ausgestanden haben, um das zu besitzen, was wir nun besitzen, wirst du nicht ausstehen, und wirst auch das besitzen, was wir besitzen; denn die Seelen aus dieser Erde haben, als schon auf dem heimatlichen Boden seiend, alles um vieles leichter als jene, die aus einer vollkommeneren Welt hierhergesetzt worden sind.

11. Aber es ist einmal so im Grundleben Gottes für Ewigkeiten beschlossen, daß eben diese winzige Erde der Schauplatz Seiner Erbarmungen werden soll und gewisserart nun schon gleich die ganze Unendlichkeit sich wird in diese neue Ordnung begeben und in sie fügen müssen, so sie wird einen gemeinschaftlichen Teil an der endlosesten Seligkeit des einigen Gotteslebens haben wollen; so muß man sich denn auch fügen, koste es, was es wolle!

12. Wahrlich, hätten wir hier nicht ein Ende unserer Leiden gefunden, was wir aber erst nach und nach in uns innezuwerden begannen, da wäre ein vollkommener Tod uns auch ums endlosfache erwünschter gewesen, als ein nur noch einige Tage länger währendes, über alle Beschreibung qualvollstes Leben, und hätten wir darauf auch gleich in alle Gottseligkeit eingehen können!

13. Aber es hat, wie wir nun stets klarer innewerden, der große Lebensheiland unserem Leiden noch vor der bestimmten Zeit ein Ende gemacht, und wir fangen darüber nun erst an, froher und froher zu werden, und sehen nun ein, daß der große Geist Gottes nun in allem Ernste diese Erde zu einem Schauplatze Seiner Erbarmungen machen will und auch machen wird – aber leider auch zu einem Schauplatze der größten Verfolgungen, des Hochmutes, der Prachtsucht und der größtmöglichen Anfeindung alles dessen, was da geistig rein, allein gut und wahr ist!“

Kapitel 033. Eine Prophezeiung Mathaels.

1. (Mathael:) „O Freund, es wird auf dieser Erde noch so arg kommen und einhergehen, daß selbst der Satan sich nimmer getrauen wird, in was immer für einer Gestalt die Gesellschaften der Menschen zu besuchen; aber darunter wird es wieder Menschen geben, die als Blinde mehr sehen und als Taube mehr hören werden als wir nun mit den offensten Augen und Ohren.

2. Es wird dereinst eine Zeit kommen, in der die Menschen die Lebenskraft der Dämpfe im Wasser nach Graden bestimmen werden und werden sie aufzäumen, wie die Araber ihre Rosse, und werden sie verwenden zu aller, unglaublich schwerster Arbeit; auch vor die schwersten Wagen werden sie die im Wasser verborgene Lebenskraft spannen und damit so schnell hinwegfahren, als wie schnell dahinfliegt ein abgeschossener Pfeil.

3. Auch vor die großen Schiffe werden sie die Lebenskraft des Wassers spannen, und sie wird die Schiffe schneller denn ein Sturmwind über des Wassers Wogen hintreiben, ja am Ende sogar jedem Sturme Trotz bieten und ihm durch sein ergrimmtes Gesicht fahren, ohne einen Schaden von Bedeutung zu erleiden; nur Felsen und Sandbänke werden solchen Schnellfahrern noch gleichfort gefahr- und schadenbringend sein.

4. Aber bald nach jener Zeit wird es auf der Erde für das Leben der Menschen sehr übel auszusehen anfangen; denn die Erde wird unfruchtbarer werden, große Teuerungen, Kriege und Hungersnot werden entstehen, und das Licht des Glaubens an die ewige Wahrheit wird vielfach erlöschen, und das Feuer der Liebe wird verglimmen und erkalten, und es wird dann kommen das letzte Feuergericht über die Erde!

5. Wohl denen dann, die noch das Lebenswasser in sich nicht also ganz bloß für irdischen Gewinn werden verdampft haben; denn so das große Gerichtsfeuer aus den Himmeln kommen wird, wird es ihnen nichts anhaben können, weil ihr eigenes Lebenswasser sie davor schützen wird.

6. Darauf werden dann erst der wahre Lebensfriede und desselben Gottesordnung einander für immer die Hände reichen, und Zwietracht und Hader wird nicht mehr sein unter denen, die die gereinigte Erde bewohnen werden in Gesellschaft der Engel Gottes. Wenn schon nicht unsere morschen und gebrechlichen Leiber, aber desto mehr werden unsere schauenden und alles ergreifen könnenden Seelen Zeugen von alldem werden, was ich dir nun verkündigt habe.

7. Siehe, ich hätte dir das nicht gesagt; aber ich fühlte einen Drang dazu im Herzen meiner Seele, oder besser meines Ichs. Und dieser Drang rührt wohl von daher, von woher uns fünfen die Heilung geworden ist! – Begreifst du mich nun schon besser?“

8. Sagt Cyrenius: „Oh, nun sind wir schon ganz in der besten Ordnung wieder mit- und untereinander; jetzt erst hoffe ich recht vieles von euch zu erfahren, und ich habe an euch einen gewinnvollsten Fang gemacht! Es bleibt bei meinem Ausspruche; für euer irdisches Bedürfnis soll von mir aus gesorgt sein, ihr aber werdet für meine und meines ganzen großen Hauses seelische Bedürfnisse Sorge tragen.

9. Freilich ist das wohl ein schlechter Ersatz für das Große, das ihr mir und meinem Hause dafür tun werdet; aber wer kann dafür, daß man auf dieser Welt für eine höchste und ewig dauernde Lebensgabe dem Geber mit nichts Besserem vorderhand entgegenkommen kann?! Seid ihr damit zufrieden?“

10. Sagt Mathael: „Oh, wie magst du darum noch fragen? Wo wir jemandem dienen und nützen können, da sind wir auch mehr noch denn vollauf zufrieden! Denn man darf auch eine irdische Gabe, wenn sie aus einem wahrhaft guten Herzen um des Guten und des Wahren wegen kommt, niemals unterschätzen; denn durch den Geber und durch den Grund des Gebens bekommt sie auch einen vollends geistigen Wert und kommt sonach einer rein geistigen Gabe völlig gleich.

11. Denn wo das Materielle das Geistige, wie das Geistige das Materielle unterstützt, da wird am Ende alles geistig und hat dann eines in dem andern in der Fülle den reichlichsten Segen von Gott aus zu gewärtigen.

12. Wo aber irgend sein sollend Geistiges wie im Tempel zu Jerusalem bloß des Materiellen wegen gegeben wird und das Materielle um etwas Geistiges aber auch nur des anzuhoffenden Materiellen wegen, da wird am Ende alles materiell und hat keinen noch so geringen geistigen Wert mehr und kann von Gott aus nie irgend segensreiche Folgen haben!

13. Daher sei du darum ganz unbekümmert darüber, ob deine materielle Gabe für unser dir dargebrachtes Geistiges als zu gering wäre; denn sie wird durch den Geber und durch den wahren Grund des Gebens ja eben auch geistig, und der Segen von oben wird ihr reichlichst folgen geistig und auch materiell; denn der Geist ist auch ein Herr ewig über alle Materie, die im Grunde auch nichts als ein gerichteter, höchst unfreier Geist ist, und muß allzeit blind dem freiesten Lebensgeiste Gottes gehorchen, von dessen endlosester Kraft eigentlich das Gericht aller Materie ausgeht, und Er allein sie wieder beleben kann, wie und wann Er das nur immer will!“

14. Sagt Cyrenius: „Oh, köstlich und vortrefflich! Jetzt erst möchte ich euch auch um kein Reich der Erde mehr aus meinen freundlichen Händen lassen! Wir werden uns hoffentlich stets besser verstehen und uns gegenseitig auch stets unentbehrlicher werden! Nun aber dem einen Herrn allein alles Lob und alle unsere Liebe, daß Er Sich euer erbarmt und euch dadurch mir zugeführt hat; denn ohne Ihn wären wir alle so gut wie für ewig verloren!“

15. Sagen darauf alle die fünf: „Amen, Er ganz allein ist wert aller Ehre, alles Lobes und aller Liebe nicht nur von dieser Erde, sondern von der ganzen Unendlichkeit! Denn Er allein ist es, der nun die ganze Unendlichkeit neu umstaltet! Endlos großheilig ist Sein Name!“

Kapitel 034. Die fünf Geheilten wollen Jesum bezeichnet haben.

1. Darauf sagt Mathael wieder allein: „Er ist unter uns, aber es sind zwei, die sich sehr ähnlich sehen, so daß es für die äußeren Sinne sehr schwer würde, zu entscheiden, welcher darunter der Eigentliche ist. Ich meine, daß es der sei, der zu öfteren Malen nun mit Cyrenius geredet hat. Aber auch der andere kann es sein; denn aus den Gesichtern beider strahlt gewisserart ein hoher Grad von Weisheit! Diesen haben wir schon vernommen, und sein Wort war groß, klug und ernst-weise, aber es könnte auch wohl ein weiser Mensch also reden; aber der andere hat noch nichts gesprochen, vielleicht, weil er nicht vor der Zeit erkannt sein will. Wer aus uns hat den Mut, den noch immer Schweigenden anzureden?“

2. Dieser Schweigende war Jakobus major (der Größere), der Mir bekanntermaßen leiblich höchst ähnlich sah und auch die gleiche Kleidung trug, wie Ich sie zu tragen pflegte.

3. Auf die Aufforderung des Mathael erhoben sich endlich auch die vier andern vom Boden und besprachen sich, wer aus ihnen den Schweigenden, und wie er ihn anreden solle. Es gebrach aber am Ende dennoch allen fünfen am Mute, und Mathael wendete sich an den freundlichen Cyrenius wieder und fragte ihn so hübsch geheim, ob nicht etwa jener schweigende Mann der erhabenste mächtige Heiland sei, oder ob etwa doch Ich es wäre; denn sie möchten das denn doch auch für ihre Außensinne mit Bestimmtheit wissen, auf daß sie ihrem Herzensdrange zufolge nicht einem Unrechten auch äußerlich die Ehre geben!

4. Sagt Cyrenius: „Noch habe ich keine bestimmte Weisung von Ihm erhalten, Ihn euch näher zu bezeichnen; allein darin liegt eben nicht viel vorderhand, denn Er sieht vor allem allein nur auf das Herz des Menschen. Eure Herzen aber sind nun sicher in der allerbesten Ordnung von der Welt, und es bedarf da keines weiteren mehr vorderhand; wenn es aber Sein Wille sein wird und wenn es für euer Heil taugen wird, da auch wird Er Sich euch schon näher bekannt geben. Ich meine aber, daß es dem Scharfblick eurer eminenten (hervorragenden) Weisheit ohnehin nicht entgehen wird, so ihr uns im Verlaufe dieses Tages näher beobachten werdet, wer darunter der Wahrhaftige und allein Mächtige ist.“

5. Damit waren die fünf vorderhand auch zufriedengestellt und fingen nun erst an, sich die Gegend ein wenig näher zu besehen, und fragten sich untereinander, wo sie nun etwa doch wären. Soviel aber kannten sie sich nun schon aus, daß sie am Galiläischen Meere sich befanden; nur konnten sie nicht herausbringen, in welcher Gegend desselben.

6. Da sagte Cyrenius zu ihnen, weil er sie am meisten behorcht hatte: „Ihr befindet euch nun in der Nähe der Stadt Cäsarea Philippi und seid auf dem Grunde und Boden desjenigen alten römischen Soldaten Markus, der euch aus seinem Vorrate Wein, Brot und Salz gereicht hat. Er ist in diesem Augenblick zwar nicht hier, weil er in seinem Hause etwas zu besorgen hat für heute mittag; wenn er aber wiederkommt, werdet ihr ihn schon näher kennenlernen in eurem gegenwärtigen helleren Zustande; denn als er euch Brot, Wein und Salz dargereicht hatte, waret ihr noch mehr jenseits als diesseits, und habt sicher wenig beachtet seine sonst recht ehrbare Persönlichkeit.“

7. Sagt Mathael: „Jawohl, jawohl, da hast du ganz recht! Wohl ist uns der innere helle Zustand geblieben, den wir gleich anfangs unseres Erwachens hatten; nur sah da alles ganz entsetzlich und ganz sonderbar düster aus. Aber da nun alles so nach und nach ein freundlicheres Aussehen angenommen hat und die ganze Gegend um vieles heller und freundlicher geworden ist, so sind wir denn nun auch freundlicher, heller und gewisserart heiterer geworden, obschon wir demnach von unseren inneren wahren Anschauungen nichts hintanzugeben vermögen.

8. Die Wahrheit, Freund, bleibt ewig Wahrheit! Aber diese Welt ist sehr veränderlich und so auch ihre Kinder, alles von heute bis morgen. Man kann sich ganz fest auf niemanden verlassen; denn heute ist einer noch unser Freund, und morgen ist er es entweder nicht mehr, oder es hat ihm ein böser Leumund irgendeinen Verdacht über dich ins Ohr gesetzt, und er hat darauf schon aufgehört, dein Freund zu sein, und wird dafür im geheimen schon ein arger Richter über dich!

9. Und so gibt es auf dieser Welt keine Beständigkeit, weder in den Dingen noch unter den Menschen! Doch der Herr wird dennoch alles zum Besten der Menschen lenken!“

Kapitel 035. Jesus der Held im Kampfe wider den Tod.

1. Sagt ein zweiter aus den fünfen: „Ja, Brüder, darauf allein sei nun alle unsere Hoffnung gegründet! Er Selbst zwar wird mit der Macht des Todes einen mächtigen Kampf zu bestehen haben; aber es ist nunmehr an einem sicheren Siege nicht mehr zu zweifeln! Denn Er kennt des Todes Ohnmacht und weiß um alle seine Grenzen und weiß es auch, daß die einzige Macht, die der Tod noch in sich birgt, nichts als nur ein, wennschon gefesselter, Drang zum Leben ist; und diese einzige Macht kann nicht wider Ihn, sondern nur für Ihn und mit Ihm in den Kampf wider sich gehen, um sich selbst nicht völlig ohnmächtig und somit ganz tot zu machen!

2. Das kämpfende Leben, das Er Selbst ist, muß im ewigen Vorteile gegen alle Macht des Todes bleiben, weil der eigentliche vollkommene Tod jeder Macht in sich bar ist, und ist wie ein stummer Wurfstein in der lebenskräftigen Hand eines Schleuderers, der mit demselben tun kann, was er will.

3. Ist aber im Tode wie im physisch belebten Fleische des Menschen irgendeine Macht, so ist es auch ein Leben, wennschon auf einer sehr niederen Stufe stehend; dieses Leben aber wird mit dem wahren Leben sicher nicht der Vernichtung seiner selbst wegen in einen Kampf treten, sondern es wird sich an das Leben klammern und mit demselben ringen gegen die vermeinte Macht des Todes, gleichwie da ein sterbenskrankes Fleisch mit großer Gier den Gesundheitsbecher ergreift und zum Munde führt, um daraus noch für länger hin mit dem eigentlichen Leben zu leben und am Ende vom selben ganz aufgenommen zu werden.

4. Hat das Leben sich selbst einmal so gefunden, wie in unserem bis jetzt persönlich noch nicht sicher erkannten Heilande, da ist es schon ein vollkommen Göttliches, und es kann dann außer ihm keine Macht mehr geben, die es besiegen könnte, weil es außer dieser Macht keine andere mehr geben kann!

5. Wir kennen, was diese Erde ist, was Sonne, Mond und alle die zahllosen Sterne sind; – sie sind zumeist ungeheuer große Weltkörper, manche sogar unaussprechbar größer denn diese unsere Erde. In sich sind sie wohl tot, das heißt ihrem großen Leibe nach; aber des Gotteslebens Macht drängt dennoch alle die Zahllosen in eine notwendige Bewegung, und das in keine einfache, sondern in eine sehr vielfache.

6. Was können alle diese zahllosen Weltenriesen gegen die sie gleichfort drängende Macht des freiesten Gotteslebens? Nichts! Wie ein Staub vom Sturme werden sie von der Gotteslebenskraft in unmeßbar große Bahnen getrieben, und alle endlos vielen können sich der freiesten Lebenskraft ewig nimmer widersetzen, sowenig wie die Myriaden Staubkörnchen dem Sturme, der sie auf einer wüsten Heide aufhebt und in den Lüften in weite Fernen hintreibt!

7. Darum wird Er siegen und hat eigentlich schon lange gesiegt! Aber der Menschen willen, daß sie Teil an dem Siege des Lebens wider den Tod in sich haben sollen, wird nun ein neuer und letzter Kampf geführt werden!

8. Und so sehe ich denn über die ganze Unendlichkeit hin mit ewig strahlender Schrift geschrieben, und die Schrift lautet: (hört!) ,Er, das Leben Selbst von Ewigkeit, hat den Tod völlig überwunden für ewig mit den Waffen des Todes selbst; und es mußte der Tod sich selbst vernichten, auf daß alles Leben frei werde durch Ihn allein, den Kämpfer von Ewigkeit! Darum alles Heil Dir allein, Du ewig großer Einer!‘“

9. Diese Worte erschütterten alle Anwesenden so, daß sie sich alle vor Mir auf die Erde warfen und aus allen Kräften riefen: „Ja, ja, ja, Dir allein, Du ewig großer Einer, alles Heil!“

10. Durch diesen Akt erst erkannten Mich die fünf; und Mathael, sich in Tränen des Dankes völlig badend, sprach endlich mit der tiefsten Rührung: „Also Du – Du – bist der ewig große Eine! Oh, welch ein Anblick für uns Tote, den allein Lebendigen zu schauen!“ – Darauf schwieg er, so wie alle Anwesenden, in tiefe Betrachtung versunken.

Kapitel 036. Jesu Rede über die wahre Gottesverehrung.

1. Ich aber sagte zu allen noch am Boden vor Mir Liegenden: „Erhebet euch, Freunde und Brüder! Eure Mir nun dargebrachte Verehrung ist wohl gerecht, denn sie gilt ja Dem, der in Mir ist, dem heiligen Vater von Ewigkeit! Aber Der ist ja immer in Mir, wie Ich, und auch ihr alle, in Ihm, und ihr müßtet denn gleichfort von höchster Ehrfurcht vor Mir im Staube liegen. Das wäre für euch und für Mich aber doch sicher nichts Angenehmes, und weder ihr noch Ich hätten am Ende etwas davon.

2. Seht, es ist für immer genug, daß ihr an Mich glaubet, Mich liebet wie einen eurer besten Brüder und Freunde, und nach Meinem Worte handelt; was darüber ist, taugt für nichts, da Ich durchaus nicht in die Welt gekommen bin, um Mir eine abgöttisch göttliche Verehrung von den Menschen erweisen zu lassen, etwa gleich einem Merkur oder Apollo, – sondern um gesund zu machen alle die Kranken an Seele und Leib, und den Menschen dieser Welt zu zeigen den rechten Weg zum ewigen Leben! Das allein verlange Ich von euch; alles, was darüber ist, ist eitel, dumm, abgöttisch und führet zu nichts.

3. Es ist wohl wahr, daß der Mensch Gott, seinen Schöpfer, ohne Unterlaß anbeten solle, da Gott in Sich heilig und darum aller Anbetung würdig ist; aber Gott in Sich ist ein Geist und kann daher nur im Geiste und in der Wahrheit angebetet werden.

4. Was aber heißt das, Gott im Geiste und in der Wahrheit anbeten? – Seht, das heißt soviel als: allzeit an den einen wahren Gott glauben, Ihn aus allen Kräften über alles lieben und Seine leichten Gebote halten!

5. Wer das tut, der betet fürs erste ohne Unterlaß, und fürs zweite betet er also zu Gott im Geiste und in aller Wahrheit; denn ohne Tat ist jedes Lippengebet eine barste Lüge, mit der Gott als die ewige Wahrheit nicht verehrt, sondern nur verunehrt wird!

6. Stehet also auf als freie Menschen, als Meine Brüder, als Meine Freunde, treibet fürder keine Abgötterei mit Mir und verratet Mich vor der Welt nicht vor der Zeit; denn das würde der Welt um sehr vieles mehr schaden als nützen!“

7. Nach diesen Meinen Worten erheben sich alle wieder vom Boden, und Mathael sagt: „Ja wahrlich, nur so kann ein Gott voll der höchsten Weisheit und Liebe sprechen! Oh, wie ganz anders denke und fühle ich nun, als ich ehedem gedacht und gefühlt habe! – O Herr, nur diese Bitte laß mir nicht unerhört: Laß es nimmer zu, daß unsere Seele nochmals in eine solche Prüfung gerate wie die, aus der uns Deine Liebe, Erbarmung und Macht soeben erlöst hat!“

8. Sage Ich: „Bleibet in Mir durch das, daß ihr Mein Wort höret, es behaltet und danach lebet, so wird dadurch Meine Kraft und Meine Liebe in euch sein und wird euch schirmen vor jeglicher harten weiteren Versuchung!

9. Meine Jünger aber haben schon das Allernotwendigste aufgezeichnet, was dem Menschen vor allem not tut; das leset, fasset es und tut danach, und eines mehreren benötigt ihr nicht vor der Zeit Meiner Erhöhung!“ – Mit dem begnügen sich die fünf.

10. Ich aber wende Mich darauf zu Cyrenius und sage: „Freund, hier sind wir am Ende, und so wollen wir nun noch zu den andern hingehen und sehen, wie schwer sie sich gegen die Gesetze Roms versündigt haben. Habe aber acht, – es wird sich mit ihnen eben nicht gar zu leicht reden lassen; denn sie haben viel Welthaare auf ihren Zähnen! – Gehen wir aber nun hin!“

Kapitel 037. Julius' Bedenken gegen das Verhör der anderen Verbrecher.

1. Darauf fragt Cyrenius, sagend: „Herr, was soll aber nun geschehen mit den fünfen? Sieh, sie sind ja mehr denn halbnackt! Soll ich sie bekleiden? Ich habe wohl Kleider bei mir; aber es sind Staatskleider, die sonst niemand tragen darf als nur Roms Staatsleute. Das tut sich demnach nicht. Römische Dienerschaftsröcke habe ich auch; aber für derlei Röcke sind mir diese fünf doch offenbar zu erhaben, vermöge ihrer zu ergreifend hohen Weisheit; was wird sonach hier zu machen sein?“

2. Sage Ich: „Ein Rock hat keine andere Bedeutung, als daß er bedeckt des Leibes Blöße, ob er da ist ein Staatsrock oder ein Dienerschaftsrock; vorderhand ist es demnach einerlei, ob du die fünf bedeckest mit einem Staatsrocke oder mit einem Dienerschaftsrocke. Bei mir steht der Dienerschaftsrock doch weit über dem Staatsrock, darum gib ihnen Dienerschaftsröcke; denn in einem Staatsrocke würden sie des Rockes wegen zum Gespötte der Welt werden, und dafür sind sie zu gut, obschon auf der Welt eigentlich niemand gut ist! Sie werden mit der Zeit noch genug Verspottung um Meines Namens willen zu bestehen haben, und Ich will darum nicht, daß sie vor der Zeit auch der Welt wegen von der Welt sollen bespottet werden.“

3. Als Cyrenius solches vernimmt, entsendet er sogleich mehrere Diener, die besten Dienerschaftsröcke zu holen. In wenigen Augenblicken sind die Röcke herbeigeschafft, und Cyrenius läßt sie sogleich an die fünf verteilen.

4. Die fünf aber sagen zu ihm dankfreundlichst: „Der große Eine unter uns wird es dir vergelten! Denn mit unseren ganz zerrissenen Lumpen waren wir ja doch kaum mehr imstande, unsere Scham vor den Augen der Welt zu verbergen; darum dir noch einmal unseren liebfreundlichsten Dank dafür!“

5. Danach ziehen die fünf hinter einem Gebüsch in der Nähe ihre alten Fetzen aus und kommen darauf als sich recht gut ausnehmende römische Hofdiener zum Vorschein. Als sie darauf ganz zufrieden zu uns stoßen, begeben wir uns sogleich zu den andern politischen Verbrechern, die unser schon mit einer großen Sehnsucht harren.

6. Als wir bei ihnen anlangen, so fallen sie gleich mit ihren Angesichtern auf die Erde und bitten um Gnade. An der Hauptzahl sind es eigentlich ihrer acht; aber es sind mit ihnen noch einige, die nur mitgezogen und daher auch mit ergriffen worden waren.

7. Hier sage Ich zu Julius: „Freund, das ist dein Geschäft, diese zu vernehmen und sie auf eine rechte Art und Weise zur Verantwortung zu ziehen!“

8. Als Julius solches vernimmt, so sagt er: „Herr, obschon mir sonst so ein Geschäft gerade keine Kopfschmerzen verursacht hätte, so fängt es mir hier aber dennoch an, ein wenig schwindlig zumute zu werden. Du hier, ein Engel hier, Cyrenius hier, Deine nun schon über alle Maßen weisen Jünger hier, die dreißig jungen Pharisäer und Leviten auch hier, – und nun die fünf hier; von der weisen Jarah will ich ohnehin nichts sagen! Und, Herr, die fünf, oh, die fünf! Und vor all denen soll ich die vor uns stehenden politischen Verbrecher befragen und abhören? Oh, das wird kein leichtes Stück Arbeit werden! Das Schönste bei der ganzen Geschichte ist nur das, daß ich so ganz eigentlich selbst nicht recht ex fundamento (aus dem Grunde) weiß, warum sie ergriffen und in Ketten hierhergebracht wurden! Das Ganze besteht eigentlich darin, daß sie Sendlinge des Tempels sind und im Auftrage des Tempels böse Gerüchte über Rom haben ausstreuen müssen. Aber es ist dafür kein gültiger Zeuge da! Wie aber wird man sie zu einem Geständnisse bringen?“

9. Sagt der hinter dem Julius stehende Mathael: „Darum sei doch nur dir nicht bange! Was da die Zeugen betrifft, so stehen schon wir fünf da, aber sicher nicht zu ihrem Nachteile, sondern nur zu ihrem Vorteile. Sieh, wir selbst waren ja Augen- und Ohrenzeugen, wie diese bei Vermeidung des Trinkens des verfluchten Wassers diesen Auftrag haben übernehmen müssen; denn wir kennen sie um so genauer, bloß nur äußerlich genommen, da wir mit ihnen fast in der gleichen Zeit zur Bekehrung der Samariten ausgesandt worden sind. So unschuldig aber wir fünf an allem dem, was mit uns mag vorgegangen sein, sind, ebenso unschuldig dürften auch diese sein. Nun weißt du vorderhand zur Genüge, und du kannst nun dein Examen mit ihnen ganz in aller Ruhe beginnen, und hast dich nicht im geringsten zu genieren vor unserer inneren Weisheit.“

Kapitel 038. Julius verhört die Verbrecher.

1. Als Julius solches von Mathael vernahm, ward es ihm etwas leichter ums Herz, und er wandte sich sonach auch sogleich an die noch auf der Erde liegenden politischen Verbrecher, sagend: „Stehet auf ohne Furcht und Zagen; denn Männer wie ihr müssen auch dem nackten Tode ohne Furcht und Beben kalt ins Angesicht schauen können! Denn wir Römer sind keine Tiger und keine Leoparden, sondern Menschen, die eher suchen das Unglück der Menschen zu lindern als irgend zu vermehren! Aber das sei euch auch gesagt: daß wir kein Verbrechen so hart zu strafen pflegen wie das der Lüge! Auf ein falsches Zeugnis und auf eine unverschämt lügenhafte Aussage ist bei uns der Tod gesetzt! Darum gebt Wahrheit mir auf jede meiner Fragen zur Antwort, und ich als euer von Gott bestellter Richter werde euch, so ihr mir wohl erweislich mit aller Wahrheit entgegenkommen werdet, eher von allen Übeln zu retten bemüht sein, als euch in irgendeinen Schaden zu bringen! Darum erhebet euch nun und stehet mir offen Rede!“

2. Auf die Worte des Julius erheben sich die politischen Verbrecher vom Boden ganz trübseligen Aussehens, und Ich sage heimlich in der römischen Zunge: „Befreie sie zuerst von ihren Fesseln; denn der Gefesselte an Händen und Füßen hat auch eine arg gefesselte Zunge!“

3. Auf diese Meine Worte befahl Julius den Soldaten, den Gefesselten die Fesseln abzunehmen.

4. Dieses geschah alsogleich, und als die in der Totalsumme etlichen zwölf ganz frei ohne alle Fesseln dastanden, fragte sie Julius, sagend: „Wer seid ihr, wo geboren?“

5. Sagte einer im Namen der andern: „Herr, Schrift haben wir keinerlei bei uns! Willst du aber meinen Worten Glauben geben, so sind wir durch den Tempel so gut wie durch den scheußlich frommen Sinn unserer dummen Eltern verwünschte Templer und sind samt und sämtlich Kinder Jerusalems. Das Gesetz Mosis in bezug auf das Verhältnis der Kinder zu ihren Eltern dürfte der reinen Menschenvernunft zufolge wohl auch einmal dahin eine Abänderung erleiden, daß durch Zufall und durch zeitweiligen Umgang mit wahrhaft weisen Menschen vernünftig gewordene Kinder nicht gleichfort ihren Eltern untertan bleiben sollen; denn gar vieler Kinder geistiges und leibliches Unglück sind ihre oft unbeschreibbar dummen, stolzen und mit allen schlechten Salben gesalbten Eltern!

6. Wahrlich, dieses Gebot kann kein höchst weiser Gott dem Moses für die arme Menschheit gegeben haben! Wahrlich, dieses Gebot, ohne daß dabei irgendeine Ausnahme gemacht werden darf, ist fürs Tierreich zu schlecht, geschweige für das Reich des Menschen! Durch die strenge Beobachtung dieses dümmsten Gebotes, von dessen Gebung Gott vielleicht kaum der Urheber war, sondern Moses allein oder irgendein Nachmoses, stehen wir nun als Verbrecher vor dir, id est (d.i.) vor dem Richter über Leben und Tod! Eine sehr angenehme Bescherung für unsern stets treuen Gehorsam gegen unsere mehr als blitzdummen Alten! Auf diese höchst angenehme Bescherung wird wahrscheinlich entweder das ehrenhafte Kreuz oder der unterste Schiffsdienst in ewigen Ketten folgen! Denn so wir mit der vollen Wahrheit über unser freilich dreifach genötigtes Tun zum Vorschein kommen müssen, so rettet uns vor der unerbittlichsten Strenge eurer Gesetze kein Gott! Und doch heißt es in diesem schönen Gebote Mosis: ,Ehre Vater und Mutter, auf daß es dir wohlergehe und du lange lebest auf Erden!‘ Schön! Da stehen wir nun! Wie gut es uns armen Teufeln geht, das sieht ein jeder, und wie lange wir noch leben werden, das hängt nun allein von dir ab! Die göttliche Verheißung auf die Haltung des vierten Gebotes Gottes geht uns ja so herrlich in die Erfüllung, daß uns darüber wahrlich alle Teufel ins Gesicht lachen und am Ende noch anpissen müssen!“

7. Sagt Julius: „Aber meine Lieben, das gehört ja nicht zur Sache, sondern ihr habt bloß auf das allein nur zu antworten, um das ihr gefragt werdet!“

8. Erwidert darauf Suetal (also hieß der Redner) im Namen der zwölf: „Herr, wenn einem schon der sichere Tod am Genicke sitzt, da gehört alles zur Sache! Daß wir offenbare Verbrecher gegen Rom sind, das können wir unmöglich leugnen, und was darauf folgt, das wirst hoffentlich du nicht in Abrede stellen können; denn dafür trägst du dein scharfes Schwert und hast das Gesetz und die Macht, – Dinge, gegen die der arme Wurm im Staube nichts ausrichten wird!

9. Weil aber zuweilen die Herren Römer bei aller Strenge ihrer Gesetze doch noch mehr Menschen sind als die schwarzen Herren im Tempel, nach deren Pfeife jetzt schon sogar der liebe Herrgott tanzen muß, so denken wir euch gestrengen, aber dabei doch noch etwas menschlichen Herren nicht nur unser Vergehen ANTI ROMAM (gegen Rom), sondern auch die Hebel dazu vor die Augen zu stellen; vielleicht wirst du dadurch etwas menschlicher mit uns armen Teufeln verfahren, denn Menschen sind wir schon lange nicht mehr; seit der Zeit nicht mehr, als wir das Teufelswasser mit dem Aufwiegelungsauftrage gegen euch Römer vertauscht haben.“

10. Fragt nun Julius: „Warum hättet ihr damals eigentlich das verfluchte Wasser trinken sollen? Womit habt ihr euch denn dem Tempel und seinen Gesetzen gegenüber also strafbar gemacht?“

11. Sagt Suetal: „Gerade umgekehrt dadurch, als wir uns nun gegen euch strafbar gemacht haben! Wir sind verraten worden, geheime Freunde von euch Römern zu sein, und das Teufelswasser war fertig! Um als junge Leute aber dem Teufelswasser zu entrinnen, mußten wir gerade eure Feinde werden, und unsere dummen Alten haben danebst noch müssen eine starke Sühne von mehreren hundert Pfund Silbers an den Tempel bezahlen und tausend fette Sündenböcke liefern, von denen wahrscheinlich keiner im Jordan zu schwimmen versucht hat, sondern sie sind, gleich dem Joseph, um viele Silbergroschen sicher und unter guter Bedeckung nach Ägypten gewandert, allwo sie verspeist worden sind.

12. Da hast du sonach den Grund, der uns im Tempel das Teufelswasser bereitet hatte und im templischen Gnadenwege eure Feindschaft! Der Unterschied besteht rein nur darin: Hätten wir das Teufelswasser genommen, so wären wir auch schon lange hingewandert in den Schoß des Vaters Abraham; da wir aber im Tempel Gnade gefunden haben, so werden wir wahrscheinlich erst jetzt genötigt, dem lieben Vater Abraham für ewig einen Besuch abzustatten. Bald werden wir aus deinem feinen Munde das bekannte I LICTOR (geh, Scharfrichter!) vernehmen, und die verheißene Frucht für die genaue Beobachtung des vierten Gebotes Gottes werden wir eingeerntet haben unter dem Titel: ,Gutes und langes Leben auf Erden!‘ Sollten wir wirklich ans Kreuz kommen, so bitten wir dich, uns solchen Titel über unsere Kreuze anheften zu lassen.“

13. Sagt Julius, innerlich ganz heiter, aber äußerlich den strengen Richter spielend: „Ihr schiebet, wie es mir vorkommt, alle Schuld nun lediglich aufs vierte Gebot Mosis; aber ich merke, daß ihr dieses Gebot entweder wirklich oder möglich auch geflissentlich nicht verstehet oder nicht verstehen wollet. Denn es steht im Gesetz nur, daß man seine Eltern ehren, nicht aber, daß man ihnen in allem, wie einem Herrscher, gehorchen solle; denn bin ich als Kind und schon Mann ein vielerfahrener und weiser Mensch geworden, so werde ich doch einsehen, daß eine rechte Liebe zu meinen noch lebenden Eltern die eigentlich rechte Verehrung ist, die Gott durch Moses geboten hat.

14. Wenn daher irgend schwache Eltern von ihren Kindern etwas verlangen, wodurch sie samt den Kindern in einen großen Nachteil gelangen können, so ist es Pflicht der Kinder, den Eltern das Schädliche ihres Begehrens mit aller Liebe und Geduld so klar als möglich vorzustellen, und die Eltern werden sicher davon abstehen; beharren sie aber, so ist ein Ungehorsam aus wahrer Liebe zu den Eltern wahrlich keine Sünde, weder vor dem höchst weisen Gott, noch vor allen billig denkenden Menschen.

15. Zudem aber hat ja selbst Moses eine Erklärung bezüglich des Gehorsams der Kinder gegen ihre Eltern dahin beigefügt in seinen theokratischen (gottesherrschaftlichen) Verfassungsschriften, welcher ganz klar gehaltener Erklärung zufolge die Kinder ihren Eltern in allem zu gehorchen haben, was nicht wider das Gesetz geht.

16. Damit aber ist das Gesetz Mosis mehr denn hinreichend gerechtfertigt, und die Schuld liegt demnach, wenn es so ist, wie ihr es mir gesagt habt, entweder wirklich in der Dummheit eurer Alten und in dem Unverstande (deren Nichtverstehen) des Gesetzes eben derselben, wie auch an eurem nun am Tage liegenden Mißverständnisse des göttlichen Gebotes durch Moses!

17. Oder die Schuld kann auch in eurer dicksten Verschmitztheit liegen, die aber hier ganz sicher ans Tageslicht kommen wird. Denn seht, ihr habt eure Pfiffigkeit unvorsichtigermaßen durch euer das Gebot Gottes humoristisch äffendes Entschuldigen gezeigt und scheinet viel bösen Witzes zu besitzen; und solcher Proteusse Entschuldigungen nehmen wir Römer nie so ganz leichten Kaufes als bare Münze an! Daher werdet ihr mir schon ernstere und der Wahrheit ähnlicher sehende Entschuldigungen zum Vorscheine bringen müssen, ansonst ihr von mir kein gutes Urteil zu erwarten haben dürftet!“

Kapitel 039. Suetals Rede über den Tempel und den Heiland von Nazareth.

1. Diese sehr triftige Gegenbeleuchtung von seiten des machte die Verhörten stutzen, und Suetal wußte nun nicht, was er als etwas so recht Schlagendes darauf erwidern sollte. Nach einer Weile aber sagte er dennoch ganz ernstlich: „Du hast vollkommen recht, aber wir sind darum nicht minder in unserem vollsten Rechte! Siehe, wenn du einem Kinde schon von der Wiege an stets vorsagen wirst, daß zwei und abermals zwei Nüsse zusammen fünf Nüsse sind, so wird dir dies das Kind glauben und es dir nachsagen, und es wird am Ende schwer werden, den schon reif gewordenen Jüngling von solchem Wahne frei zu machen. Wer hatte uns bis zur Stunde das Gesetz Mosis also erklärt wie du nun? Was blieb demnach übrig, als das Gesetz also zu nehmen, wie es uns von der Wiege an erklärt worden ist?! Unsere Alten verstanden es selbst nie besser, und der ganze Tempel versteht es wahrscheinlich entweder auch nicht, oder er will es nicht verstehen. Woher hätten dann wir ein so richtiges Verständnis nehmen sollen? Zudem haben wir als angehende Templer den ganzen Moses auch nie zu Gesicht bekommen, weil solches nur den Ältesten und den Schriftgelehrten gestattet ist! Und nun sage du uns, von wo wir des Gesetzes richtige Erkenntnis hätten hernehmen sollen! Wer hätte es uns, dir gleich, richtig erklären sollen?“

2. Sagt darauf Julius: „Man sollte es aber mit allem Fug und Recht annehmen können, daß Menschen, die einmal Diener des Tempels im Priesterkleide sind, ihre Gotteslehre doch wenigstens so gut verstehen sollten wie ein Heide (Altgläubiger)! Mir ist jedes Volkes Gotteslehre stets von größter Wichtigkeit gewesen, weil man durch sie ein Volk in all seinem Tun und Lassen am ehesten vom Grunde aus kennenlernt; und so glaube ich denn mit einigem Rechte, daß jedem einzelnen Menschen eines Volkes vor allem daran gelegen sein müßte, die Gotteslehre seiner Väter so genau als nur immer möglich kennenzulernen, weil eben solch eine Gotteslehre denn doch einzig und allein die Richtschnur des gesellschaftlichen Untereinanderlebens sein kann! Zudem seid ihr keine Jünglinge mehr, sondern Männer, von denen es wohl zu erwarten wäre, daß sie – sage als Priester auch noch – ihre Gottlehre wenigstens so gut wie ich, der ich ein Fremder bin, verstehen sollten! Was wird denn hernach in euren Schulen gelehrt?“

3. Sagt Suetal: „Man lernt darin lesen, schreiben und rechnen, endlich lernt man auch allerlei fremde Zungen und nun (dann) einen gewissen Auszug aus der großen Schrift, in dem vor allem stets auf das dringendste verlangt wird, alles das für vollkommen als von Gott kommend wahr anzunehmen, was der Tempel will und lehrt. Wenn aber also, so fragt es sich daneben sehr, woher wir dann eine tiefere Erkenntnis in unserer Gotteslehre nehmen sollten! Du hast es leicht; denn du bist ein Herr voll Macht und Gewalt von allen Seiten. Du kannst in eine Hauptsynagoge treten und nur begehren; jeder Oberste derselben wird dir in alles die vollste Einsicht zu nehmen ganz sicher gestatten, – und wehe ihm, so er dir etwas vorenthalten möchte! Er weiß es schon, daß du darauf alles werdest durchsuchen lassen, und wenn sich da etwas Verheimlichtes vorfände, was er darauf zu gewärtigen hätte! O sieh, das weiß so ein Synagogenoberster recht gut und wird dir deshalb alles zeigen und enthüllen, gleichwie sogar der Hohepriester zu Jerusalem das sogenannte Allerheiligste, in das er im Angesichte und nach dem Glauben des Volkes selbst nur zweimal treten darf, jeden Tag den hohen und mächtigen Fremden zeigen muß und sogar ums Geld auch andern Fremden zeigt; es soll aber unsereins versuchen, ein solches Begehren zu stellen, und das Teufelswasser ist darauf sicher bei der Hand!

4. Manche Tempeldiener, die sogenannten Geheimsten, wissen freilich darum, wie es im Allerheiligsten aussieht; aber sie sind erstens sehr gut bedienstet und zweitens für den geringsten Verrat mit hundert Todesstrafen bedroht, daher sie denn auch den Mund zu halten verstehen. Jetzt fragt es sich aber noch intensiver, von woher wir dann das wahre Licht in unserer höchst mystischen Gotteslehre nehmen sollten!

5. Wenn sich aber alles sicher also verhält, wie wir es dir nun zu unserer nötigen Entschuldigung kundgetan haben, so wirst du als Richter und Mensch über uns doch hoffentlich kein anderes als nur ein vollkommen gerechtes Urteil fällen können!

6. Worin unsere Gebrechen bestehen, weißt du sicher schon lange; welche Schuld wir aber daran tragen, kannst du aus dem wohl hoffentlich ganz klar entnehmen, was wir dir über uns ohne Furcht und Vorenthalt kundgetan haben! Ist dir aber etwas Weiteres und anderes über uns bekannt, so beschuldige uns, und wir werden dir ganz ohne alle Furcht Rede stehen; denn wer mutig zu sterben versteht, der versteht auch mutig zu reden!“

7. Sagt Julius ganz gelassen: „Ich bin weit entfernt, in eure Rede irgendein noch weitergehendes Mißtrauen zu setzen, da ich wohl nur zu sehr überzeugt bin, daß es also zugeht im Tempel, wie ihr es nun ausgesagt habt, und spreche euch darum von jeder weiteren Schuld los; denn der da vom Dache fällt und durch seinen Fall ein unter dem Dache spielendes Kind schwer verletzt, kann nicht die entfernteste Schuld daran tragen, und ist in dieser Hinsicht unser Verhör zu Ende, und ihr seid in dieser Beziehung als ganz schuld- und straflos erklärt.

8. Aber es hat nun noch einen andern Haken! Darüber werde ich euch noch eine Frage stellen; von der Beantwortung dieser Frage wird es sehr abhängen, ob ich euch Freund oder Feind sein werde, – und so gebet denn acht!

9. Ihr werdet in dieser Zeit sicher irgend vernommen haben, daß sich bei Nazareth ein gewisser Jesus, eines dortigen Zimmermanns Sohn, als Heiland herumtreiben soll, und soll große, unerhörte Dinge als Taten vor jedermanns Augen vollführen und eine neue Gotteslehre unter das Volk ausstreuen! Habt ihr davon irgendeine Wissenschaft, so gebet sie mir offen kund, denn mir muß es sehr daran gelegen sein!“

10. Sagt Suetal: „Wir haben davon wohl auch so von weitem her etwas wispern hören, werden aber kaum den hundertsten Teil von dem wissen, was du allenfalls schon lange wissen dürftest. Fürs erste waren wir stets mehr in den Mittagsgegenden zur Erfüllung unseres schönen Auftrags beschäftigt und sind erst vor wenigen Tagen in diese galiläischen Gefilde gekommen und allda aber auch bald aufgegriffen worden, und können darum von deinem gewissen Heilande ganz entsetzlich wenig wissen. Aber daß sein Ruf sich sogar bis gen Damaskus und Babylon schon ausgebreitet hat, das ist ganz gewiß; was er aber sonst für ein Mensch ist, was er tut und wie er die Kranken heilt, von dem wissen wir noch keine Silbe und wären darum selbst im höchsten Grade begierig, davon etwas Näheres zu vernehmen! Ja, wenn es noch einen Gott irgendwo gibt, so kann er dem argen Treiben des Tempels ja doch länger nicht mehr zusehen und muß dem Volke einen Erlöser senden!

11. Wir sagen es dir, was der Mensch in seiner größten Verworfenheit, in seiner übersatanischen Phantasie sich nur immer ausdenken kann, das wird innerhalb der weiten Mauern des Tempels alles in tatsächliche Erfüllung gesetzt. Laster ohne Maß und Zahl werden da an der Menschheit begangen und das mit einer so gleichgültigen Frechheit, daß du dir davon gar keinen Begriff machen kannst! Die hohen Tempelherren scheinen die Menschen so hoch zu schätzen, wie man sonst einen müßigen Sperling schätzt. Ich will kein Wort sprechen von der allerleichtfertigsten Übertretung aller Gebote Gottes; aber es werden da neue Greuel erfunden und begangen, von denen einem guten Moses offenbar nie etwas träumen konnte, denn sonst hätte er auf derartige Greuel sicher einen hundertfachen Tod und eine zehnfache Hölle als Strafe gesetzt! Es ist aber des Heiles der Menschen wegen besser, daß wir davon kein Wort mehr verlieren!

12. Man würde der Menschheit sicher einen großen Dienst erweisen, so einmal in der Nacht der Tempel samt seinen Einwohnern auf einen Hieb könnte zerstört werden. Es ist der Menschheit darum ein Erlöser schon lange vonnöten; aber dieser solle die Menschheit, nicht etwa uns Juden von euch Römern – denn ihr gehöret ja auch zu unsern Erlösern –, sondern von der rein höllischen Drakoarchie (Drachenherrschaft) des Tempels befreien! Dann, Herr, wird die arme Menschheit hell aufjauchzen vor Freude, daß sie von ihrem ärgsten Feinde erlöst worden ist!

13. Freund, kann es wohl noch einen frecheren Gedanken geben als den, daß Gott der Allmächtige einem bösesten Wurme des Staubes alle Seine Macht über alle Menschen und über alle sonstige Kreatur also gegeben hätte, daß nun dieser Wurm nach seiner allerbösesten Willkür mit Gott Selbst, und mit allen Menschen und mit aller Kreatur seinen übersatanischen Mutwillen ungestraft treiben kann?! Nein, nein, Herr! Da gibt es entweder keinen Gott, oder Gott läßt solchen Teufeln wieder wie zu den Zeiten Noahs und Lots ihr Höllenmaß voll machen! O großer, heiliger Gott, wo bist Du, wo säumest Du? Wahrlich, was der Tempel nun treibt, das übersteigt alle menschlichen Begriffe! Äußerlich zeigt er freilich wohl noch dasselbe trost- und hilfehauchende Gesicht wie allenfalls zu Salomos Zeiten; aber inwendig ist er eine Hölle der Höllen geworden! Aber es ist besser, davon keine Silbe mehr weiter zu reden und wir wollen darum schweigen und erwarten, von dir Näheres über den Heiland aus Nazareth zu vernehmen!“

Kapitel 040. Warum die Angeklagten nach Galiläa kamen.

1. Sagt darauf Julius: „Was da die Argheit des Tempels betrifft, so sind wir Römer davon schon so unterrichtet, daß ihr uns nichts Neues und Überraschendes mehr kundgeben könnet; und es wird darum die Zeit der Strafe nicht lange mehr auf sich warten lassen, dessen könnet ihr ganz versichert sein.

2. Daß wir aber den Tempel noch nicht zur Rechenschaft gezogen haben, geschieht des dummen und noch sehr einfältigen Volkes wegen, das noch immer den Tempel für ein Heiligtum hält und sein Heil darin sucht. Würden wir nun den Tempel angreifen, so hätten wir jetzt noch mit geringer Ausnahme alles Volk wider uns; wenn aber sicher bald wenigstens die Mehrzahl des Volkes zur Kenntnis gelangt sein wird, wie eigentlich der Tempel beschaffen ist, dann werden wir eine ganz leichte Arbeit bekommen, dem Tempel einen vollsten Garaus zu machen. Zu dem Behufe wird eben die neue, reinste Wahrheitslehre des großen Heilandes aus Nazareth ihr Entschiedenstes beitragen, so sie nur ein wenig unters Volk ausgestreut sein wird; denn diese Lehre ist so rein wie die Sonne am hellsten Mittage und wird da von jedermann leicht begriffen werden, wo ein guter Wille das Herz leitet. Natürlich, wo aber der Menschen Herzen schon in Grund und Boden verdorben sind, da wird diese Lehre auch nicht angenommen werden, so göttlich-rein sie auch ist! Aber da wird dann der Römer Schwert ein Gericht verkünden, wie die Welt noch keines in so ausgedehntem Maße erfahren hat; denn da wird Gottes Arm mit dem der Römer sein. – Das somit zu eurer Beruhigung!

3. Aber nun noch von etwas anderem! Ihr habt ehedem erwähnt, daß ihr euer Unwesen gegen Rom mehr im Mittage des Judenlandes getrieben habt und erst in jüngster Zeit hierher ins galiläische Gebiet gekommen seid. Ich frage euch demnach, welche Erfolge ihr mit euren Aufwiegelungen gegen Rom erreicht habt, und was euch bewogen hat, nach Galiläa herüberzugehen?“

4. Sagt Suetal: „Herr, in den Mittagslanden haben wir bloß gegessen und getrunken und getrauten uns kein Wort wider Rom loszulassen, da wir das meiste Volk sehr gut römisch gesinnt fanden! Wohl aber haben wir es nicht gespart, sehr bedeutende Funken über das lose Treiben des Tempels, wo es nur möglich war, auszustreuen; bei solch unserem vielmehr antitemplischen denn antirömischen Treiben aber haben wir uns erst vor kurzem in einem erztemplischen Flecken ziemlich stark verbrannt. Man fing leise nach uns zu fahnden an, und es blieb uns nichts übrig, als schnelle Beine zu machen.

5. Bei Nacht und Nebel zogen wir über Samaria und kamen nach etlichen Tagen übers Gebirge hierher in dies Land. Da kamen wir bald mit Leuten zusammen, die entweder aus einem wahren Grunde sich über den Druck der Römer eben nicht am besten äußerten, oder sie taten solches bloß, um uns kurzsichtige Tölpel aufs Eis zu führen; kurz, das zu unterscheiden ging etwas zu weit über unseren Erkenntnishorizont. Wir stimmten sonach leichtfertig in ihr Liedlein ein und ließen auch so manches PROPTER FORMAM fallen. Aber es währte die Geschichte keine drei Tage; wir wurden auf einmal von römischen Soldaten angehalten und festgenommen, und noch vier oder fünf von denen, in deren Lied wir eingestimmt hatten, mit uns. Und wie wir dort zusammengepackt wurden, also sind wir hierhergebracht worden. Und nun hast du alles, was du von uns nur immer haben kannst, und kannst nunmehr dein volles Urteil über uns fällen.“

6. Sagt Julius: „Es bleibt schon bei meinem Ersturteile, demzufolge ihr von mir als vollkommen straflos erklärt seid; aber es handelt sich nun um etwas ganz anderes, und das läßt sich ganz kurz in der Frage dartun: Was werdet ihr nun tun? In den Tempel könnet ihr unmöglich mehr zurück, nach Jerusalem zu euren Alten füglichermaßen wohl auch kaum mehr; dort dürfte es euch eben nicht am besten ergehen! – Was also habt ihr nun im Sinne zu tun?“

7. Sagt Suetal: „Herr, das ist ein sehr heißer Punkt! Gönne uns etwas Zeit, darüber reiflich nachzudenken!“

8. Mathael aber, der in ihrer Nähe steht, sagt zu Suetal: „Höre du mich, ich will dir da einen Rat geben, und so du ihn befolgst, wirst du nicht schlecht fahren!“

9. Spricht Suetal: „Bist du nicht einer von den fünfen, die mit uns hierhergebracht worden sind? (Mathael bejaht dies).

10. Wenn das, wie kannst du, als ein sicher nur zeitweilig böser Narr, uns in dieser äußerst schwierigen Angelegenheit einen vernünftigen Rat erteilen?! Denn ihr fünfe seid ja als böse und gefährliche Narren, respektive als Besessene hierhergebracht worden in schwersten Ketten! Wer hat euch geheilt? Denn du redest nun ganz klar und mußt geheilt worden sein! Auf dem Schiffe hast du nur gebrüllt, bald wie ein Stier, bald wie ein Löwe und bald wieder geheult wie ein Wolf; und wenn du mit der kreischendsten Stimme von der Welt Worte aussprachst, so bestanden sie in Lästerung, Fluch und Verwünschung! Kurz, du bist ganz derselbe, ob du nun auch einen Römerrock trägst, und mich kann es nicht genug wundernehmen, wie du nun zu solcher Klarheit gekommen bist; dich muß jemand aus dieser großen Gesellschaft geheilt haben samt deinen Gefährten! Aber wer? Wo ist solch ein Wunderheiland?

11. Aber halt! Nun fährt mir etwas durch die Seele! Der Herr, der uns verhörte, fragte uns über einen Heiland aus Nazareth; er wollte von uns erfahren, ob und was wir von diesem Manne irgend schon alles in Erfahrung gebracht hätten. Wir sagten so viel, als uns bekannt war vom Hörensagen.

12. Wir fragten darauf um Näheres über solch einen seltensten Menschen, aber es kam uns keine Antwort entgegen, wie wir sie gewünscht hätten; du selbst führst uns nun auf die Spur! Daß du samt deinen Gefährten geheilt worden bist, das unterliegt keinem Zweifel mehr; aber auch ebenso scheint es keinem Zweifel mehr zu unterliegen, daß eben der vom hohen Römerherrn so zufällig erwähnte Heiland aus Nazareth hier ist! Er muß hier sein; denn euch hätte sonst kein sterblicher Mensch auf dieser Erde geheilt! Sage es uns, ob unsere Frage einen Grund hat; dann erst wollen wir deinen Rat in bezug auf unser künftiges Sein vernehmen!“

Kapitel 041. Mathaels Geschichte seiner Schicksale und Heilung.

1. Sagt Mathael: „Sieh, Bruder, wir waren Tempelgefährten und mußten dasselbe Los teilen, nur zoget ihr gen Mittag, und wir mußten gen Morgen ziehen. Wir aber fielen einer Horde verkörperter Teufel in die Hände, und es wurden dadurch unsere Leiber zu Wohnungen von vielen Teufeln; aber hier fand sich ein Heiland vor, wohl der größte, den je die Erde getragen, und dieser hat uns ohne alles Entgelt geheilt bloß durch sein über alles Leben herrschendes, mächtiges Wort.

2. Er ist hier! Derselbe, dessen der römische Hauptmann Julius zu euch in seiner Frage Erwähnung tat; aber es ist für euch nun noch nicht an der Zeit, mit ihm in eine nähere Bekanntschaft zu treten. Er selbst wird es bestimmen, wann ihr ihn näher kennenlernen sollet! Fraget darum nicht weiter und vernehmet, was ich nun zu euch sagen werde!

3. Ihr seid zwar Kinder dieser Welt noch, könnet aber, so ihr wollet, auch in die wahre, freie und lebensvolle Kindschaft Gottes übergehen. Diese Herren Roms werden euch gerne die Mittel dazu verschaffen. Der Herr, der euch verhört hat, wird sicher nicht einen Augenblick säumen, euch auf den rechten Weg zu setzen, und nun um so leichter, da auch der oberste Statthalter Cyrenius aus Sidon hier anwesend ist.

4. Sehet, dort hinter euch stehen auch dreißig Templer! Sie gehören schon der Fremdenlegion an und sind nun durch und durch Römer. Werdet ihr dasselbe, und euch ist für alle Zeiten und für alle Ewigkeit geholfen! Aber in Jerusalem blüht für uns ewig kein Glück mehr; denn die Beschaffenheit des Tempels kennet ihr, die von nahe ganz Jerusalem hoffentlich auch, sowie das verfluchte Wasser! Welcher Mensch kann da noch nur je einen Wunsch haben, das Hauptnest aller Teufel und Sünden je wieder zu besuchen? Wollt ihr sterben, dann ziehet nach Jerusalem; wollt ihr aber leben und auch finden das ewige Leben, dann werdet Römer dem Leibe nach und wahrhafte Juden nach Moses der Seele nach! – Fasset ihr solches?“

5. Sagt Suetal: „Ja, ja, ja, wir fassen das; aber nur unaussprechlich merkwürdig ist es, daß du nun zu solch einer enormen Klarheit gekommen bist! Jetzt erkenne ich dich auch als meinen Tempelkollegen und weiß, daß du ein tüchtiger Redner warst und mehrere Male so recht derb den Hohen die Wahrheit ins Gesicht sagtest, was denn auch zur Folge hatte, daß du – ich glaube mit noch vieren von deiner Art – nach Samaria ziehen mußtest! Ja, ja, du bist es schon, und es freut uns alle, dich hier ganz gesund und rein wiederzusehen! Dein Rat, Freund, ist wohl an und für sich ganz gut; aber die Vielgötterei der Römer –“

6. Mathael fällt dem Suetal ins Wort: „– ist noch immer um tausend Male besser als die allerfinsterste Ein- und eigentlich völlige Abgötterei des Tempels! Sage es mir, welcher Priester im Tempel glaubt denn noch an einen Gott? Ich sage es euch: Ihr Bauch und ihr Wollustsinn ist nun der wahre Gott des Tempels! Dem Tode, der Sünde und allen Teufeln dienen sie! Die Gebote Mosis kannst du um wenige Silberlinge haben, wie du sie willst, aber von ihren Freß- und Wollustsatzungen lassen sie nicht ein Häkchen nach! Sie haben kein Leben mehr und geben sich doch als Herren des Lebens aus und wollen als solche höchst verehrt werden!

7. Sie haben keinen Dunst mehr von dem, was Leben ist; sie verstehen samt und sämtlich kein Jota mehr von der Schrift, und die Propheten begreifen sie – wie du das Ende der Welt. Sie haben alle schon lange alles Leben der Seele verloren und pflegen deshalb so emsig das Leben ihres Mottensackes. Wie hätten sie dann aus ihrem vollsten Tode heraus das ewige Leben der Seele zeigen und geben können?

8. Das Leben muß aus dem Kampfe des Lebens mit dem Leben und mit dem Tode tiefst erkannt werden und muß in solcher Erkenntnis eine stets mehr und mehr tätige Festigung erhalten, wenn es als ein wahres Leben bestehen soll; wie aber kann der Tote dir zeigen, was das von ihm noch nie erkannte Leben in und außer sich ist?! Ich sage es euch: Im Tempel haust schon lange der ewige Tod; aber dahier haust wahrhaft das ewige Leben! Und siehe, die Römer fassen es und werden voll Lebens, während der Tempel es nie fassen wird, weil er tot ist schon für ewig. Was ist demnach besser: der Römer Vielgöttertum oder des Tempels Eingöttertum?!“

9. Nach diesen Worten Mathaels können sich die zwölf nicht genug verwundern über Mathaels höchst richtige Ansichten und über seine entschiedene Weisheit.

10. Suetal sagt darauf, sich entschuldigend, zu Julius: „Hoher Herr, vergib es uns, daß wir dich so lange auf eine Antwort warten lassen; aber du vernahmst ja selbst die weisen Worte Mathaels, und wir wurden davon zu durchdrungen und konnten dir die erwünschte Antwort noch nicht geben. Aber so du mit uns noch eine kleine Geduld haben willst, so werden wir dir schon sicher eine ganz gediegenste Antwort geben!“

11. Sagt Julius „Laßt nur den Mathael nicht aus, denn er versteht mehr als ich und noch viele tausend solcher, wie ich einer bin! Wenn er redet, will ich gerne tausend Jahre lang schweigen und ihn anhören! Darum besprechet euch nur mit ihm, er wird euch beinahe den besten Rat zu geben imstande sein!“

12. Sagt Suetal: „Ja, er hat uns schon einen Rat gegeben, und es käme nun nur auf dich an, uns in die Legion der Fremden aufzunehmen!“

13. Sagt Julius: „Ganz gut! Das ist auch schon so gut wie geschehen; aber dessenungeachtet wird euch der weise Mathael noch so manche großweise Lehre zu dem Behufe zu geben in dem allerbesten Stande sein!“

14. Sagt Suetal: „Ja, das verspüren wir, obschon uns solche seine Eigenschaft nun noch unbegreiflicher vorkommt als die Luft! Wie er zu solch einer Weisheit gekommen ist, ist rein unerklärlich! Die wunderbare Heilung von seiner Tollheit ist begreiflich; aber woher er nun die Weisheit genommen hat, das begreife, wer es begreifen kann!“

Kapitel 042. Seele und Geist.

1. Sagt Mathael, der diese Worte wohl vernommen hatte: „Mach deine Seele möglichst frei von allen Weltbanden, und du wirst dann bald und sehr leicht begreifen, von woher eine Seele in aller Kürze zur größten Weisheit gelangen kann! Aber solange die Seele noch zu fest im alten Moderhaufen des Todes begraben liegt, welcher Moderhaufen da ist ihr Leib, kann von irgendeiner besonderen göttlichen Weisheit noch lange keine Rede und kein Wahrnehmen sein!

2. Dort, einige Schritte vor uns, ersiehst du einen Stock (Baumstumpf), der fest in der Erde zu stecken scheint. Gehe hin und setze dich darauf, und ich stehe dir dafür, daß du damit nicht vom Fleck kommen wirst, auch in vielen Jahren nicht; erst wenn er faul und ganz morsch werden wird, wirst du samt ihm zur Erde fallen. Wirst du dich aber dann auch nicht von deinem Lieblingssitze trennen können, so wirst du denn auch sicher am Ende ganz verwesen mit ihm; denn alles, was tot ist, muß zuvor völlig wie vernichtet werden, wenn es wieder in irgendeine Lebenssphäre übergehen soll. Gehe du aber hin ans Wasser, besteige ein Schiff, mache es frei, spanne das Segel und ergreife das Steuerruder, und du wirst sogestaltig nicht am Flecke bleiben, sondern gar bald erreichen ein neues Land, in dem du viel Neues wirst kennenlernen und bereichern die Schatzkammer der Erfahrungen. Siehe, solange du dich aber sorgest um dein Fleisch und um dessen süßes und bequemes Leben, so lange auch sitzest du auf jenem Stocke und kannst nicht weiterkommen; wenn du aber die überwiegende Sorge um dein Fleisch ganz aufgibst und sorgst dich nur um das, was da betrifft das Leben der Seele und ihres Geistes, da besteigst du das Schiff des Lebens und wirst damit bald vom Flecke kommen. – Verstehst du dies Bild?“

3. Sagt Suetal: „Was hast denn du nun von einem Geiste in der Seele gesagt? Ist doch die Seele ja das, was man Geist nennt!“

4. Sagt Mathael: „Ja, Freund, wenn du das noch nicht weißt, daß in jeglicher Seele ein Geist alles Lebens wohnt, dann kannst du freilich wohl noch lange nicht begreifen, von wannen mir mein bißchen Weisheit kommt! Weißt, da ist es mit dir auch noch schwer zu reden; denn da vernimmst du mit offenen Ohren nichts und siehst ebenso mit offenen Augen nichts!

5. Die Seele ist ja nur ein Gefäß des Lebens aus Gott, aber noch lange nicht das Leben selbst; denn wäre sie das Leben selbst, welcher Ochse von einem Propheten hätte ihr je von der Erreichung des ewigen Lebens, wie umgekehrt von einem möglichen ewigen Tode etwas vorschwätzen können? Da aber die Seele erst auf dem Wege der wahren göttlichen Tugend zum ewigen Leben gelangen kann, wie solches durch gar viele Beispiele erwiesen werden kann, so kann sie ja doch unmöglich selbst das Leben, sondern nur ein Aufnahmegefäß für selbiges sein.

6. Nur ein Fünklein im Zentrum der Seele ist das, was man Geist Gottes und das eigentliche Leben nennt. Dieses Fünklein muß genährt werden mit geistiger Kost, die da ist das reine Wort Gottes. Durch diese Kost wird das Fünklein größer und mächtiger in der Seele, zieht endlich selbst die Menschengestalt der Seele an, durchdringt die Seele endlich ganz und gar und umwandelt am Ende die ganze Seele in sein Wesen; dann freilich wird die Seele selbst ganz Leben, das sich als solches in aller Tiefe der Tiefen erkennt.

7. Wenn sich das Leben alsogestaltig erst völlig erkennt und seiner selbst ganz klar bewußt wird, dann erkennt es die Weisheit aus dem Fundamente; aber solange das nicht der erwünschte Fall ist, kann von einer Weisheit keine Rede sein!

8. Die wahre Weisheit ist das Augenlicht des Geistes im Auge der Seele; wenn aber eine Seele noch fragt, was der Geist in ihr ist – woher soll ihr da das Licht des Geistes und alles Lebens in ihre ansonst stockblinde Sehe kommen?“

9. Sagt Suetal: „Ich bitte dich, Freund, höre auf also zu reden und halte damit so lange inne, bis ich dafür empfänglicher werde; denn das sehe ich nun schon ein, daß ich dafür noch viel zu dumm und blind bin! Aber wir alle wollen von deiner nunmaligen Belehrung eine möglichst tatkräftige Notiz nehmen! Denn das sehe ich nun ein, daß du vollkommen recht hast; aber deine tiefste Weisheit nun ganz gründlich zu fassen, dazu gehört eine große Vorbereitung, die bei uns bis jetzt rein unmöglich war! Aber, wie gesagt, wir wollen dir ganz kräftige Jünger werden!“

Kapitel 043. Über Leben und Tod.

1. Sagt Mathael: „Ein redlich-guter Wille ist schon soviel wie das halbe Werk; aber der Mensch darf es nicht zu lange bloß beim guten Willen lassen, sondern muß solchen ehestmöglich ins Werk setzen, ansonst der Wille mit der Zeit sich abkühlt, seine Spannkraft verliert und am Ende zur Vollbringung eines guten Werkes zu schwach und ohnmächtig wird.

2. Siehe, solange das Wasser im Topfe siedet, kann man verschiedene Früchte weich sieden und sie in leicht verdauliche Speisen umgestalten; aber wenn das Wasser im Topfe lau und am Ende gar kalt geworden ist, da geht es mit dem Weichkochen der Früchte nicht mehr!

3. Darum ist der Wille eines Menschen gleich einem siedenden Wasser im Topfe. Die Liebe zu Gott und zu allem Guten des Lebens aus Gott ist das rechte Feuer, das das Lebenswasser im Topfe zum tätigen Sieden bringt; die weich zu kochenden Früchte aber sind jene Werke und Taten, die wir als gut und wahr anerkannt, aber noch nicht ins Werk gesetzt haben, daher wir sie eben, solange das Wasser im mächtigen Sieden ist, in das Wasser tun müssen, ansonst sie roh und unverdaulich bleiben und daher fürs Leben von keinem Nutzen sind.

4. Was man sonach will, das muß man auch tun, ansonst bleibt der Wille stets eine Lüge gegenüber dem Leben, und aus der Lüge wird in Ewigkeit keine Wahrheit!

5. Wahrheit aber ist das Leben, und die Lüge der Tod; darum suche in allem die Wahrheit, sie ist das Leben, und fliehe die Lüge in und außer dir, denn sie ist der wirkliche Tod!

6. Oder was hast du, wenn du dir einbildest, als hättest du etwas? Siehe, nichts als das Nichtige deiner Einbildung! Und was ist das? Siehe, es ist nichts, und dieses Nichts ist der wahre Tod!

7. Wenn du aber bauen willst und hast kein Material und keine Bauleute, wie wird dein Haus, das du bauen willst, aussehen? Sieh, es wird nimmer eine Gestaltung bekommen! Das Material aber sind die Taten und Werke eines lebendigen Willens, der tatkräftige Wille aber sind die Bauleute; diese führen dann aus deinen guten Werken ein rechtes Haus auf, und dieses Haus ist dein wahres Leben in Gott, das da ewig unverwüstbar stehen wird. Aber mit einer geringen Mühe wird kein Haus erbaut, und am allerwenigsten das Lebenshaus; darum heißt es da tätig sein in aller Fülle der uns zu eigen verliehenen Kraft, ansonst dürfte es mit dem Baue schlecht vorwärtsgehen.

8. Als Noah die Arche baute, soll er im Anfange sehr saumselig sein ihm anbefohlenes Werk begonnen haben. Als seine Widersacher das merkten, zerstörten sie ihm zur Nachtzeit stets, was er am Tage zustande gebracht hatte. Erst nach vielen Jahren begann er Tag und Nacht an der Arche zu arbeiten und stellte Wächter auf; da erst ging der Bau seiner Vollendung mit raschen Schritten entgegen und bot also zur Zeit der großen Flut, wie bekannt, denen, die darin waren, den Schutz und bewahrte sie vor dem sonst sicheren Untergange.

9. Ich sage es dir, daß wir im Grunde nun lauter Noahe sind. Die Welt mit ihren Lügen und Trügereien und all den daraus hervorgehenden Lockungen ist die immerwährende Flut. Auf daß wir von der nicht verschlungen werden, müssen wir die anbefohlene Arche emsigst erbauen; diese Arche ist die Lebensfestigung unserer Seele zur Erhaltung und endlichen Vollausbildung des Gottesgeisteslebens in der Seele.

10. Wenn dann endlich die Flut der lockenden Weltversuchungen hinabsinken wird in die Tiefe ihrer Leerheit, so wird das Gottesleben in und über die Seele hinaustreten in aller Kraft und wird in der reinen und neuen Lebenssphäre in der allerungebundensten Freiheit ohne alle feindlichen Wegelagerer ein neues Werk beginnen und damit segnen in und mit Gott die ganze Unendlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit! – Verstehst du dies Bild?“

Kapitel 044. Jesus sorgt für die Gefangenen.

1. Suetal ist ganz stumm vor Verwunderung und fragt den Julius, sagend: „Herr, es ist unbegreiflich, von wannen diesem Menschen die Weisheit gekommen ist! Ich kenne ihn doch recht gut vom Tempel aus, allwo er nichts weniger als von irgendeiner Weisheit etwas hat merken lassen! Als wir mit ihm von Genezareth auf einem Schiffe hierhergebracht worden sind, war er von der bösesten Raserei ergriffen und hatte durchgängig kein menschliches Aussehen. Nun sind noch kaum vierundzwanzig Stunden seit der Tollheitszeit vergangen, und der Mensch steht in einer Weisheitssphäre, von der wohl keinem Salomo bei aller seiner Weisheitstiefe etwas geträumt hat! Sage es uns doch, was da mit ihm vorgegangen ist! Wie kam er zu solch einem Lichte?“

2. Sagt Julius: „Wisset ihr denn nicht, daß bei Gott alle Dinge möglich sind? Beachtet nur das werktätig, was er zu euch gesagt hat, dann werdet ihr es schon in euch selbst erfahren, wie ein Mensch in Kürze zu solcher Weisheit gelangen kann! EX TRUNCO NON FIT MERCURIUS lautet schon ein römisches Sprichwort; ein Stock ist unbeweglich, und es ist an ihm keine Tätigkeit bemerkbar, während in der bildlichen Götterlehre der Römer keine Gottheit so viel zu tun hat wie eben der Merkur. Unter Merkur wird somit eine rechte Tätigkeit über Hals und Kopf verstanden und unter einem Stocke die größtmögliche Untätigkeit, und es kann daher aus einem Stocke kein Merkur werden. Darum heißt es nach dem Worte der Weisheit, über Hals und Kopf tätig sein, um zur wahren Weisheit zu gelangen, ansonst gibt es wohl keinen bekannten Weg zu ihr. Sie läßt sich nicht erlernen wie irgendeine andere Wissenschaft, sondern nur gewinnen in und aus sich selbst durch die wahre Tätigkeit nach der Lehre der Weisheit.

3. Wollt ihr demnach gründlich erfahren, wie Mathael zu solcher Weisheit gelangt ist, die euch nun so sehr in Staunen setzt, so müsset ihr in euch zuvor selbst auf dem gleichen Tätigkeitswege zur Weisheit gelangen, ansonst ist all euer Fragen vergeblich und vergeblich jede Antwort auf eure Frage.“

4. Sagt Suetal: „Das ist alles ganz gut und richtig; aber wo ist der rechte Weg wohl erkenntlich gezeichnet angegeben?“

5. Sagt Julius: „Es ist noch nicht Mittag, und bis zum Abende hin ist noch eine geraume Zeit; in der werdet ihr noch gar manches hören und erfahren, und der Weg wird euch ganz klargemacht werden. Nun aber überdenket das, was ihr vernommen habt, und es wird euch darauf alles Folgende ganz hell und klar werden. Mit dem aber seid ihr nun auch als frei und vollkommen straflos erklärt, nur lasset euch nie wieder gelüsten, euch je wider uns zu kehren, da würde es euch schlechter ergehen denn jetzt!“

6. Nach diesen Worten geht Julius einige Schritte zu uns zurück, nämlich zu Mir und zu Cyrenius, und fragt Mich, ob die Verhandlung und das Urteil ganz in der Ordnung sei.

7. Und Ich sage: „Ist dein Herz damit zufrieden, das heißt, deines Herzens innerste Liebestimme? Was sagt diese?“

8. Sagt Julius: „Da herrscht darüber die größte Zufriedenheit und zugleich eine rechte Sorge, diese Menschen auf den rechten Weg des Lebens zu setzen!“

9. Sage Ich: „Nun, wenn also, dann ist schon alles recht und in der besten Ordnung, und es wird sich mit diesen Menschen schon noch der beste Zweck erreichen lassen; aber natürlich wird da noch so manche kleine Probe über sie kommen müssen. Daß ihr sie in die Fremdenlegion aufnehmet, ist gut; aber ihr müßt ihnen eine hinreichende Gelegenheit zukommen lassen, daß sie auf dem erkannten Wege des Heils fortwandeln können. Die fünf, mit Mathael an der Spitze, aber wollet ihr unter der Legion gehörig verteilen, und sie werden euch allen gute Dienste in Meinem Namen leisten und in kurzer Zeit gute Wirkungen ihrer innersten Weisheit zustande bringen. Aber in Galiläa dürfen sie vorderhand nicht verbleiben; denn es wird gar nicht lange hergehen, so wird der Tempel irgend Wind bekommen von dem, daß ihm bei siebenundvierzig Glieder abhold geworden sind, und wird eine Jagd auf sie durch Herodes machen; werden sie aber in Galiläa nicht und nirgends gefunden, dann werden die Fahnder unverrichteterdinge halber wieder zurückkehren, und man wird die siebenundvierzig für irgend verunglückt und verloren ansehen und sich fürder nicht mehr um sie kümmern. Und so bleibet ihr Römer im trocknen und die siebenundvierzig durch euch, und es ist allen ohne irgendeine Notlüge geholfen!“

10. Fragt Cyrenius: „In Tyrus und Sidon aber werden sie doch wohl sicher sein? Denn da gibt es nur sehr wenig Juden.“

11. Sage Ich: „O ja, dort sind sie sicherer denn irgend in Galiläa, aber sicherer wären sie noch irgend entweder in Afrika oder in einer Stadt am Pontus Euxinus.“

12. Sagt Cyrenius: „Ganz gut, ich werde für sie schon irgendeinen tauglichen Ort ausfindig machen, wo sie von den Juden sicher unangefochten bleiben werden, und sollten diese Feinfühler auch dahin gelangen, nun, so haben wir schon noch Mittel, ihre Nasen ganz stumpf für alle Gerüche zu machen!“

13. Sagt Julius: „Tut mir recht sehr leid, besonders um die fünf; denn das ist wahrlich staunenswürdig, in welch einer Weisheitstiefe diese stecken, und man könnte durch sie um vieles schneller zum wahren Lebensziele gelangen, als so man sich selbst überlassen ist.“

14. Sage Ich: „Freund, der einzige Wegweiser, Weg und Ziel bin nur Ich! Wer gab denn den fünfen das, was sie haben? Sieh, Ich allein! Kann Ich aber aus fünf arg besessenen Rasenden in aller Kürze Weise der Weisen zeihen, so werde Ich solches wohl auch imstande sein an dir, der du kein arg besessener Rasender bist!

15. Ich allein bin ja nur die Wahrheit, der Weg und das Leben! Hast du Mich, wozu sollen dir hernach die fünf noch dienlich sein?! Ja, sie sollen und werden der Menschheit auch viele und gute Dienste erweisen durch Mich und nur in Meinem Namen; aber du bedarfst ihrer nicht, zudem es in dem Städtchen Genezareth einen Ebahl, eine Jarah und sogar einen Raphael gibt! Wo auf der Erde gibt es nun wohl noch einen Ort, der in geistiger Hinsicht noch besser versorgt wäre?

16. Hast du nicht vernommen die Frage Suetals, der es erfahren möchte, wie und durch wen oder was die fünf so schnell in die tiefste Weisheit geraten sind? Siehe, du weißt es wohl, aber für sie, die zwölf nämlich, ist das noch ein Rätsel, und für dich sicher nicht! Nun du aber weißt, was die zwölf noch nicht wissen, wie möchtest du hernach die fünf schon für nahe so weise halten wie Mich?“

17. Sagt Julius etwas betroffen: „Herr, weil ich etwas dumm war, darin liegt der Grund; aber nun ist schon wieder alles in der schönsten Ordnung, und ich habe nun erst die größte Freude an Deiner Anordnung wegen der siebenundvierzig Menschen, und es wird alles pünktlichst befolgt werden! Aber nur mußt Du, o Herr, mir mein bißchen Dummheit schon gottgnädigst nachsehen!“

18. Sage Ich: „Ich kann dir nichts nachsehen; wenn du aber mit und in dir selbst wieder in der Ordnung bist, dann ist bei Mir auch alles in der Ordnung, und es sind dir also alle Sünden nachgelassen.

19. Aber nun gehe und lasse den zwölfen Brot, Wein und Salz darreichen, denn auch diese haben schon bei zwei Tage lang kaum mehr gegessen als eine Mücke! Bisher hat sie allein Mein Wille gestärkt erhalten; aber da nun die Gelegenheit da ist, so sollen sie nun auch natürlich mit Speise und Trank gestärkt werden, und also geschehe es!“

Kapitel 045. Erzählung der Heilung eines Gichtbrüchigen auf der gesegneten Wiese.

1. Als Julius solches von Mir vernimmt, begibt er sich schnell zuerst zu unserem Wirte Markus, der mit den Seinen mit der Bereitung eines guten Mittagsmahles sehr beschäftigt ist, und trägt ihm Meine Anordnung vor. Und Markus geht darauf sogleich eiligst nach der Speisekammer, die nun nimmer leerer werden wollte, und nimmt einen ganzen großen Brotlaib, einen Becher Salzes und läßt durch seine beiden Söhne zwei große Krüge Weines holen; und es wird das alles schnellstens zu den zwölfen gebracht.

2. Als diese erst das Brot und den Wein ersehen, da meldet sich auch gleich ein mächtiger Hunger, und Julius sagt zu ihnen, als er ihren Heißhunger merkt: „Daß ihr sehr hungrig seid, das weiß ich; aber wollt ihr gesund bleiben, so esset nun nicht zu jäh, sondern lasset euch Zeit, und es wird euch sodann alles wohl bekommen!“

3. Die zwölf sagen: „Ja, ja, guter Herr, wir werden uns schon mäßigen in Maß und Ziel!“ Aber dessenungeachtet sind sie mit einem großen Laibe Brotes in wenigen Augenblicken fertig, ebenso mit dem Weine und Salze, und möchten nun noch etwas Weiteres essen.

4. Aber Julius sagt: „Freunde, das genügt für ein Vormahl; in Kürze kommt ohnehin das große Mittagsmahl, bei dem ihr auch nicht leer ausgehen werdet.“

5. Sagt Suetal: „Ja, ja, ganz gut, für die Not genügt das; sättigen werden wir uns erst am Mittagsmahle! Aber Herr und edelster Menschenfreund, wir haben nichts, womit wir den Gastwirt entschädigen könnten!“

6. Sagt Julius: „Ihr seid nun schon Roms Bürger und habt euch nicht mehr zu kümmern, wer da für euch die Zeche zahlen wird! Denn ein Römer ist noch nie jemand eine Zeche schuldig geblieben, und der Wirt ist von uns schon zum voraus entschädigt auf viele Jahre; wir können hier noch ein volles Jahr Zeche machen, und er wird noch im großen Vorteile sein. Darum kümmert euch nun nicht darum, wer da am Ende die Zeche bezahlen wird!“

7. Sagen die zwölf: „Brüder, das ist eine andere Sprache als in unserem Tempel, wo man fast nichts zu essen bekommt, aber desto mehr fasten und beten muß; aber die Hohen fasten und beten wenig und verzehren alle Tage eine Menge Almosen und Opfer zur größeren Ehre Jehovas, während die jungen Templer PRO POPULO fasten können, daß ihnen gerade die Knochen in den Gliedern zu knurren anfangen! Oh, warum sind wir denn nicht schon lange Römer geworden?! Da ist alles zu Hause: Weisheit, Güte, Recht, Strenge, wo sie nötig ist, und am Brote und Weine scheint es keinen Mangel zu haben! Mit Haut und allen Haaren und mit Seele und Leib wollen wir Römer sein! Hoch lebe Rom und alle seine Gewaltträger!“

8. Sagt Julius: „Ganz gut, meine nunmaligen Freunde! Euer Sinn ist gut, obschon da noch begreiflich viel Eigenliebe dabei waltet; allein das wird sich hoffentlich mit der Zeit verlieren. Aber heute werdet ihr noch gar seltene Dinge sehen und vernehmen; die werden euch zu einer Leuchte werden! – Doch fraget da nicht viel, sondern Hören und Schauen sei eure Sache, die Erklärung wird euch von selbst werden!“

9. Die zwölf sind dadurch gespannt gemacht, und es fragt nun einer den andern, was denn etwa doch der hohe Römer gemeint habe unter dem, daß sie an diesem Tage noch gar vieles und außerordentliches hören und sehen würden, aus dem sie viel würden lernen können, und alles das werde sich gewisserart von selbst erklären! Was solle das sein?

10. Sagt der redelustige Suetal: „Na, was wird's denn sein? Habt ihr nie etwas von den Olympischen Spielen der Römer gehört? Sie werden hier wahrscheinlich so etwas veranstalten; wir aber werden als nun selbst Römer daran teilnehmen dürfen, und werden da vielleicht so manches sehen und hören, was uns gut zustatten kommen wird. Das wird es sein und sonst sicher nichts.“

11. Sagt ein anderer aus den zwölfen: „Das glaube ich kaum. Ihr acht wisset das noch lange nicht, was ich weiß; denn ihr seid vom Mittage her und wisset wenig, was sich bei den Galiläern alles ereignet hat in kurzer Zeit. Ihr wißt, daß ich und noch drei aus der Gebirgsgegend Genezareth wegen Teilnahme an euren Aufwiegelungsversuchen mit euch ergriffen und hierhergebracht worden sind. Kaum drei Tage vor eurer Ankunft auf unseren Bergen haben sich in Genezareth unerhörte Dinge zugetragen; es kam dahin der vom römischen Hauptmann ehedem erwähnte Wunderheiland aus Nazareth und heilte bloß durch sein göttlich-allmächtiges Wort alle Kranken, mit was für Übeln behaftet sie auch dahin gebracht worden waren!

12. Ich selbst habe einen Bruder, der nun zu Hause ist und das Erbe überkommen hat. Der war durch die Gicht zu einem förmlichen Knollen zusammengezogen, er konnte weder liegen noch sitzen, und natürlich vom Stehen konnte da schon gar nie eine Rede sein. Wir hielten ihn in einem hängenden Korbe, der mit weichem Stroh gefüllt war. Oft heulte er tagelang, von den grimmigsten Schmerzen gequält, worauf er dann gewöhnlich in eine derart totale Ohnmacht verfiel, daß er vollends einem Toten glich. Alles Erdenkliche ward zu seiner Besserung versucht, sogar das Wasser des Siloahteiches, – aber alles vergeblich.

13. Als wir auch auf unsern Bergen die Nachricht erhielten, daß der berühmte Heiland aus Nazareth sich in Genezareth aufhalte und alle Kranken heile, da brachte auch ich mit meinen Knechten und Maultieren den total gichtbrüchigen Bruder mit der unsäglichsten Mühe nach Genezareth. Dort nach so vielen Beschwerden angelangt aber hieß es, daß der Heiland eine Reise auf einen Berg unternommen habe, und man nicht wisse, wann und ob er noch einmal wiederkehren werde. Da stand ich nun wie eine Bildsäule neben meinem wehklagenden Bruder, fing vor Traurigkeit selbst an zu weinen und bat inbrünstigst Gott, daß Er den bittersten Leiden meines armen Bruders ein Ende machen möchte, weil ich nicht das Glück haben durfte, den Wunderheiland mehr anzutreffen. Ich machte ein Gelübde, als der Erstgeborene ihm alle meine Besitzrechte abzutreten und ihm als letzter mein Leben lang zu dienen, so er geheilt werden könnte.

14. Sehet, bald darauf kamen Knechte aus dem großen Gasthause zu mir auf die Gasse und sagten, daß der betreffende Heiland alle und viele solche Krüppel augenblicklich derart geheilt habe, daß sie dann aussahen, als hätte ihnen nie etwas gefehlt! Dieser Heiland aber sei mit seinen Jüngern, mit dem Hausherrn und mit noch mehreren vom Hause und Orte auf den hohen Berg, den zuvor noch nie ein Sterblicher bestiegen hatte wegen seiner zu großen Steilheit. Er werde wohl wiederkehren, wann aber, wüßten sie nicht, aber es hätte das nun nicht viel zur Sache; dieser Heiland habe eine Wiese gesegnet, und ich dürfte gläubig meinen Bruder nur auf diese gesegnete Wiese legen, und es werde besser mit ihm werden.

15. Ich fragte sogleich nach der gesegneten Wiese. Die Knechte zeigten sie mir, und sogleich trug ich meinen armen Bruder auf die besagte Wiese und legte ihn aufs Gras dieser Wiese. Und seht, im Augenblick, als der kranke Bruder den Boden der Wiese berührt hatte, fing er an, sich ordentlich wohlig zu strecken. Aller Schmerz war wie vom Winde weggeweht, und in wenigen Augenblicken war mein Bruder so gesund wie ich! Nur Haut und Knochen sah man früher an ihm, und ich versichere euch, er stand so vollkommen gut genährt neben mir, daß ich mich über solch eine unerhörte Umwandlung noch heute nicht genug erstaunen kann!

16. Ich hielt aber dann auch mein gemachtes Gelübde und übergab meinem nun sehr glücklichen und gottergebenen Bruder alles und verrichtete ihm gerne alle Arbeit auch des letzten meiner früheren Knechte, obschon mich der gute und dankbarste Bruder stets davon abhielt.

17. Aber ich war noch kaum etliche Tage also meinem Bruder, den ihr gesehen und gesprochen habt, ein Knecht, als ihr zu uns kamet und die eigentliche Ursache waret, daß ich und noch drei Knechte meines Bruders uns nun hier, glücklicherweise als Unschuldige, befinden.

18. Damit aber wollte ich euch so ganz eigentlich nur auf den allerwunderbarst berühmten Heiland aus Nazareth aufmerksam machen, von dem ihr nach eurem eigenen Geständnisse denn doch auch schon hie und da etwas vernommen habt!

19. Nun seht, nach der Frage des Hauptmanns aus Genezareth, den ich recht wohl kenne, zu urteilen, scheint es mir – was auch aus der Heilung der fünf Rasenden deutlich hervorgeht –, daß jener Wunderheiland aus Nazareth sich nun hier befindet und sein Wesen treibt.

20. Der Hauptmann hat uns sonach sicher mit dem, was wir sehen und hören sollen, auf irgend zu erwartende Taten und Reden von seiten des wunderbarsten Heilandes aufmerksam machen wollen und keineswegs auf die für uns sicher sehr zottig aussehenden Olympspiele Roms, aus denen sich sicher keine besondere Weisheit möchte holen lassen, und wovon der Hauptmann selbst kein zu großer Freund zu sein scheint! – Was meinet ihr in dieser Hinsicht?“

Kapitel 046. Suetal berichtet von dem Einfluß des Wunderheilandes.

1. Sagt Suetal: „Da möchtest du wohl sehr recht haben! Es wird sich die Sache sicher also verhalten, und ich fange nun an, vor Neugierde völlig zu brennen, diesen berühmtesten aller Heilande persönlich kennenzulernen. Ich wollte zwar dem guten Hauptmanne ehedem nicht zuviel sagen, als er uns fragte über diesen sonderbaren Mann; aber ihr könnet es mir glauben: ganz Samaria sogar und ganz Sichar ist voll von ihm! In Sichar hält man ihn unmittelbar für einen Menschen, durch den die ganze Fülle des göttlichen Geistes wirkt! Und das, erlaubet mir, wird hoffentlich doch auch nichts Kleines sein!

2. Und im Tempel erst! Die Großen studieren etwa Tag und Nacht, wie sie solch einen Heiland aus der Welt schaffen könnten. Aber so ihm solche Gewalten zu Gebote stehen und die sichtliche Freundschaft der ersten römischen Machthaber, da können sich alle Templer in zahllose Blutstropfen zerschwitzen, und sie werden am Ende gegen ihn noch weniger etwas ausrichten als eine Mücke gegen einen Elefanten!

3. Er sei – etwa im Frühjahre – schon einmal im Tempel gewesen und habe ihn mit Stricken und Knuten gesäubert von all den Wechslern und Taubenkrämern. Und es hatte sich das alles so erst kaum seit einem Vierteljahre her gemacht, wo dieser Heiland anfängt, ruchbar zu werden!

4. Oh, in ganz Judäa erzählt man sich schon die seltsamsten Dinge von ihm! Das gemeine Volk, das stark in des Tempels Finsternis steckt, meint, er wirke solches durch den Beelzebub, den man als der Teufel Obersten benamset; die Besseren halten ihn für einen großen Propheten; Griechen und Römer halten ihn für einen Magier.

5. Die Sichariten verehren ihn gar schon als einen Gott, was auch schon bei so manchen Griechen und Römern der Fall ist! Und ich wollte nicht viel darum geben, ob ihn nicht auch diese Römer hier dafür halten; denn bei ihnen gilt das alte NON EXSISTIT VIR MAGNUS SINE AFFLATU DIVINO noch gleichfort sehr viel, wenigstens ist dabei das Gute, daß sie sicher keine Feinde von sowieso großen, geistreichen Menschen zu sein scheinen und das Geistreiche stets mit Rat und Tat unterstützen, was auch hier der unleugbare Fall zu sein scheint.

6. Aber nach Jerusalem sollte er eben nicht zu oft kommen und eine Purifikation des Tempels vornehmen, so er etwa doch mit nicht mehr denn nur außerordentlichen Menschenkräften ausgerüstet wäre! Denn dort könnte er einmal doch zu kurz kommen; er mag ein noch so großer Prophet oder Zauberer sein, so kann er sich für lange gegen all die höllischen Ränke und unausgesetzten Verfolgungspläne denn doch nicht mehr schützen und verfällt ihnen am Ende stets als ein schnödes Opfer.

7. Kurz, der gegen den Tempel nicht geradenweges mit Blitz, Donner und Schwefelregen vom Himmel kommt, der richtet wenig oder nichts gegen den Tempel aus!“

8. Sagt der frühere Redner aus den Bergen bei Genezareth: „Gegen den wird der Tempel nicht viel ausrichten! Denn wenn dessen Hohe ihm die Tempelausfegung nicht anrechneten und ihn nicht ergriffen haben, so dürfte es ihnen ein zweites Mal auch schwer werden; denn da muß schon sein Wille von einer wahrhaft göttlichen Kraft vollauf erfüllt sein! Wo aber das der Fall ist, da hört dann jede menschliche Kraft so gut wie rein auf!“

9. Sagt Suetal: „Freund, das verstehst du nicht völlig! Sieh, als er so zu Ostern herum den Tempel von den Benannten reinigte, da gewann der Tempel bei solcher Gelegenheit mehrere hundert Pfund reinen Silbers und Goldes; oh, da und so kann er alle Tage moralisch den Tempel ausputzen, und es werden ihm die Großen des Tempels keine irgend Namen habenden Hindernisse in den Weg legen! Aber er greife nur einmal den Tempel und dessen unaussprechliche Betrügereien selbst an, und wir werden es sehen, wie es ihm da ergehen wird! Wahrlich, ich möchte da nicht in seiner Haut stecken!

10. Wie lange ist es denn jetzt, daß man dem berühmten Propheten Johannes, der eine Zeitlang am Jordan sein Tauf- und Bußpredigtwesen trieb, nur zu geschwind den Garaus machte, wo ihn doch sogar des Herodes Macht in seinen Schutz nahm! Der Tempel schlich sich unvermerkt hinter die arge Mutter der schönen Herodias, und Herodes ward am Ende selbst der Mörder seines berühmten Schützlings. Der Tempel hat die zehnmal hunderttausend Mittel zur Verfolgung eines ihm gefährlich dünkenden Menschen, und es hat dem Tempel noch selten etwas total fehlgeschlagen.

11. Des Tempels geheime Machinationen gehen so weit, daß sogar die Römer einen gewissen Respekt davor haben; es ist zwar schon vieles verraten, aber was nützt alles das, wenn man diesen Kerlen nirgends ganz sicher erweislich auf den Leib kommen kann?!“

Kapitel 047. Mathaels und Suetals Reden über Zurechtweisungen.

1. Hier tritt Mathael, der dieses Gespräch von einiger Ferne belauscht hatte, zu den zwölfen und sagt: „Ihr seid wohl noch stark Erdenmenschen, namentlich aber du, Suetal, mit deinen sieben Kollegen; ihr habt noch keine Ahnung von dem, was hier ist!

2. Der Heiland aus Nazareth ist hier, ja hier ist Er, – aber wer Er ist, von dem habt ihr gar keinen Dunst, und darum redet ihr ärgerlich Dümmstes über Ihn und Sein Wirken!

3. Der rechte Mensch nach der rechten Ordnung aber soll nicht reden, außer die Wahrheit nur; kennt er diese nicht, so soll er schweigen, suchen und forschen. Und hat er die Wahrheit gefunden, dann soll er auch reden! Denn wer da redet und hat die Wahrheit noch nicht erkannt, lügt, wenn er auch zufällig die Wahrheit spricht!

4. Über die Zunge eines wahren Menschen aber soll nie eine Lüge kommen; denn durch die Lüge gibt die Seele von sich selbst ein Zeugnis, daß sie noch im Tode und nicht im Leben wandelt!

5. Wen darum eine Lüge ergötzt, der kennt noch lange den Wert des Lebens nicht; denn Leben und Wahrheit sind eins! Die Wahrheit erst macht deine Seele frei und schließt ihr die Unendlichkeit Gottes auf im Wesen, Sein und Wirken.

6. Wenn du aber denkst und redest, wie ich's nun vernahm, so gibst du ja ein offenes Zeugnis von dir, daß deine Seele statt im großen Tempel alles Lichtes und aller Wahrheit nur in einem Schweinestalle wohnt!

7. Wozu Reflexionen (Erwägungen) machen, wenn man allen Grundes bar ist? Sagte euch doch recht weise der Hauptmann Julius aus Genezareth, was ihr heute alles noch sehen und hören werdet, und daß ihr darüber sogar nicht viel fragen sollet, sondern es aufnehmen in die Liebe eures Herzens und danach handeln, so werde die Erklärung schon von selbst kommen! Und seht, der Hauptmann hat recht und wahr geredet!

8. Lasset darum das überflüssige Reden hin und her ohne allen Wahrheitsgrund, merket auf alles wohl auf, und fasset es in euer Herz, so werdet ihr damit in Kürze mehr gewinnen, als so ihr euch viele Jahre lang gegenseitig anlüget in der Meinung, Wahrheit geredet zu haben!

9. Fragen ist zwar wohl besser als irgend etwas erklären, von dem man selbst keinen Grund hat; aber so man fragt, da muß man wissen, wen man fragt und um was man fragt, ansonst ist jede Frage ebensogut ein Unsinn als eine lügenhafte Antwort aus der Luft.

10. Denn ich muß in mir, durch die Erfahrung, die volle Überzeugung haben, daß mir der Gefragte die Wahrheit zur Antwort geben kann; und endlich muß ich zuvor mit mir wohl eine genaue Rechnung geführt haben, ob das, um was ich jemanden frage, kein Unsinn ist, sonst verrate ich durch die Frage entweder meine große Dummheit oder aber auch meine versteckte Bosheit! Diese Lebensregel merket euch wohl, so werdet ihr wenigstens als bescheidene Menschen auf dem Boden der Erde stehen!“

11. Sagt etwas ungehalten Suetal: „Aber lieber Freund Mathael, du gibst uns hier gewisserart einen Verweis, und wir haben es nicht gesehen, daß dir jemand dazu einen Auftrag erteilt hätte! Dein Rat ist wohl gut und sehr wahr, aber es mangelt ihm eine gewisse Freundlichkeit, und er macht deshalb auf uns durchaus nicht den Eindruck, den er sicher gemacht haben würde, wenn er mit mehr Freundlichkeit erteilt worden wäre. Wir werden das wohl befolgen, weil wir darin die volle Wahrheit ersehen; aber wir sind dessenungeachtet dennoch der Meinung, daß die Wahrheit darum nicht minder Wahrheit bleibt, wenn sie uns auch im freundlichen Kleide entgegentritt!

12. Sieh, zwei und noch einmal zwei machen zusammen vier aus! Das ist eine Wahrheit und bleibt als solche doch sicher auch, wenn sie mit einer freundlichen Miene ausgesprochen wird!? Oder ist es einerlei, so ich einen Blinden führe, ob ich ihn schmerzerregend festhalte, oder ob ich den Armen mit sanfter Haltung auf dem guten Wege fortführe? Ich halte das sanfte Halten beim Führen eines Blinden für vorzüglicher; denn halte ich ihn zu schmerzerregend fest, so wird er sich meinen Händen zu entwinden suchen, und wer weiß es, ob er nicht gerade in dem Augenblick fällt und sich recht beschädigt, in dem er sich meinen ihn zu stark drückenden Händen entwindet!? Habe ich ihn aber sanft gehalten und geführt, so werden wir ganz heiter und fröhlich das Ziel erreichen. – Habe ich da recht oder nicht?“

13. Sagt Mathael: „O ja, wenn es die Umstände gestatten; aber so du einen Blinden am Rande irgendeines Abgrundes erblickst und ersiehst aber auch, daß du ihn mit einem kräftigen Griff und Riß retten kannst, wirst du da auch mit dir zuvor Rat halten, wie stark oder wie zart und sanft du ihn anfassen werdest?“

14. Sagt Suetal: „Ja, waren wir geistig hier denn schon solch einem verderblichen Abgrunde so nahe?“

15. Sagt Mathael: „Ganz sicher, ansonst ich euch nicht so fest angegriffen hätte! Denn seht, alles was in eine Lüge hineinleitet und somit schon selbst eine Lüge ist, wenn auch für den Außenmenschen noch so unscheinbar, ist für die Seele schon ein Abgrund zum Tode!

16. Eine zarte, ganz unscheinbare Lüge ist der Seele um vieles gefährlicher als eine so recht faustdicke und mit Händen zu greifende! Denn eine faustdicke Lüge wird dich sicher zu keiner Handlung bewegen; aber eine so recht zarte und unscheinbare wird wie eine Wahrheit zum Handeln nötigen und dich ganz leicht bis an den Rand alles Verderbens bringen. Das aber sieht nur der, dem sich die innere Sehe des Geistes erschlossen hat! Darum brauchst du nicht ungehalten zu sein, so ich dich etwas fester angepackt habe; denn unter euch schlich so eine zarte Lüge wie eine giftige Natter umher, was ich und meine vier Brüder wohl sehr hell bemerkt haben, und den Grund meines etwas unsanften Risses magst du nun darin suchen. – Verstehst du das wohl?“

17. Sagt Suetal: „Ja, wenn also, da hat dein etwas unsanftes Auftreten gegen uns freilich ein ganz anderes Gesicht, und ich kann dir da nichts weiteres mehr entgegenstellen. Natürlich, geistige Umstände sehen wir zwar nicht und müssen es dir glauben, daß es also ist; aber wir erkennen, daß du auf sehr festem Grunde stehst, und glauben darum deinem Worte. Was aber sollen wir zwölf dann miteinander reden? Ganz stille sein ist denn doch ganz verzweifelt langweilig, und mit der Wahrheit hat es noch einen bedeutenden Haken.“

18. Sagt Mathael: „Freund, so du durch einen dichten Gebirgswald zu sehr finsterer Nachtzeit zu gehen hättest, und es wäre dir bekannt, daß dieser Wald reich an steilen, weitgähnenden Abhängen und Abgründen ist, wird es dir da nicht heilsamer sein, unterdessen stehenzubleiben und das Licht des Tages abzuwarten, als etwa einem Irrlichte zu folgen und mit demselben hinabzustürzen in einen Abgrund? Es ist eben auch nichts Ergötzliches, in einem dichten Gebirgswalde zu übernachten, aber sicher doch noch ums unvergleichliche heilsamer, als fortzuwandeln auf einem Boden, auf dem dir ein nächster Schritt den Tod geben kann! – Was meinst du da?“

19. Sagt Suetal: „Weißt du, mit dir ist da eigentlich gar nicht weiter zu reden, denn du hast allzeit recht, und man kann dir da nichts einwenden; und so wollen wir uns denn lieber nach deinem Rate verhalten, und du wirst uns dann sicher nichts mehr entgegenzustellen haben.“

Kapitel 048. Mathaels Rede über Gesetz und Liebe.

1. Sagt Mathael: „Oh, noch etwas, und dieses Etwas ist von ziemlicher Bedeutung!

2. Kostet es euch einen Zwang und tut ihr es gewisserart nicht absonderlich aus Liebe, dann lasset es fein bleiben und tut unterdessen, was ihr aus Liebe wollet; denn was ein Mensch nicht ganz aus Liebe tut, das hat für sein Leben wenig Wert, denn die Liebe ist ja Wahrheit das eigentliche Element des Lebens, sie ist das Urgrundleben selbst.

3. Was demnach die Liebe ergreift, das ist vom Leben ergriffen und geht ins Leben über; was aber von der Liebe unberührt bleibt, und was der Mensch bloß darum tut, weil er entweder eine üble Folge befürchtet, oder weil sein bißchen Hochmut es haben will, um bei den andern Menschen als Weiser zu gelten, das geht nicht ins Leben über, sondern in den Tod nur, weil es statt vom Lebenselemente nur von dem Element des Todes ergriffen worden war!

4. Ich sage es dir: Jedes noch so weise Gesetz gebiert nicht das Leben, sondern den Tod, wenn der Mensch es nicht aus seiner Liebe heraus beachtet; und der weiseste Rat gleicht einem Samenkorn, das statt in das gute Erdreich auf einen Felsen fiel, wo es verdorrt und am Ende unmöglich eine Frucht bringt.

5. Ich sage es euch, weil ich es sehe, daß es also ist: Alles im Menschen ist tot bis auf die Liebe! Darum lasset eure Liebe walten in der Fülle über euer ganzes Wesen und fühlet Liebe in jeder Fiber eures Wesens, so habt ihr den Sieg über den Tod in euch, und was in euch tot war, ist durch eure Liebe in derselben ins unverwüstliche Leben übergegangen; denn die Liebe, die sich selbst fühlt und aus solchem Gefühle heraus auch erkennt, ist das Leben selbst, und was in sie übergeht, das geht auch ins Leben über!

6. Die noch so genaue Befolgung meines Rates würde euch wenig nützen, so ihr ihn nur des Gewichtes seiner Wahrheit wegen beachten würdet, und weil ihr aus der Nichtbeachtung irgendeine schlimme Folge befürchten müßtet; aber solch eine Beachtung würde für eure Seelen dennoch von gar keinem Nutzen sein. Ah, ganz etwas anderes ist es, so sich Liebe und Wahrheit ergreifen und dann zusammenwirken; da schafft die Liebe aus dem Lichte und im Lichte der Wahrheit stets ein neueres und vollkommeneres Leben in und aus sich bis zur vollen Gottähnlichkeit hinüber!

7. Die Liebe oder der Geist Gottes im Menschen ist wohl schon vom Anfange her ein Ebenmaß Gottes; aber zur vollen tätig-lebendigen Ähnlichkeit Gottes muß sie sich erst erheben auf dem Wege, den ich euch nun gezeigt habe. – Versteht ihr solches?“

8. Sagt Suetal, nun ganz heiteren Aussehens: „Bei Gott, dem Allmächtigen! Du bist wahrlich einer der größten Propheten; denn so wahr, so verständig und so weise hat noch kein Prophet zu seinem Volke geredet! Das Leben hast du wahrlich im kleinsten Finger um vieles vollkommener denn wir alle zusammen im ganzen Leibe oder eigentlich in unseren Seelen zusammengenommen. Ja, ja, es ist also, Brüder! Aus Mathael spricht wahrhaft ein göttlicher Odem, und wir können Gott nie zur Genüge danken, daß Er uns so wunderbar, könnte man sagen, zusammengeführt hat! Oh, wenn aber schon deine Weisheit gar so entschieden größer ist denn die unsrige, wie groß muß erst jene des uns noch unbekannten Heilandes aus Nazareth sein?!“

9. Sagt Mathael: „Was leuchtet wohl so wunderhell aus einem an einer Grasspitze hängenden Tautropfen?

10. Seht, es ist das Bild der Sonne, das aus dem klaren Tropfen so wundersam hell schimmert! Aber das Bild der Sonne schimmert nicht nur, sondern es wirkt auch! Im Zentrum des Tropfens verdichtet sich das Licht des Sonnenbildes, der Tropfen geht in seinem Zentrum in eine große Lebenswärme über, löst sich in dieser Lebenswärme selbst am Ende ganz in das Element des Lebens auf und belebt also das mit dem Tode ringende Pflänzchen; aber darum ist das Bild im Tropfen noch lange nicht die Sonne selbst, sondern nur ein Ebenbild derselben, versehen mit einem Teilchen derselben Kraft und Wirkung, welche in der wirklichen, großen Sonne selbst zu Hause ist!

11. Und siehe, solch ein Unterschied ist denn auch zwischen mir und dem Heiland aus Nazareth! Er ist die Lebenssonne selbst, und in mir als einem Tautröpfchen waltet nur wundersam hell das kleine Abbildchen jener ewig- wahren, großen Sonne, aus der zahllose Myriaden solcher Tröpfchen, wie wir, ihre heilige Lebensnahrung saugen. – Verstehst du solches?“

12. Spricht Suetal: „O Gott, ist das eine heilig-große Sprache! Freund, du bist schon mehr denn ein Tropfen, du bist ein ganzes Meer! Oh, so weit werden wir alle es nie bringen; es ist zu ergreifend groß, heilig und erhaben! Aber bei solchen Umständen und zu sehr göttlichen Verhältnissen getrauen wir als noch gar zu grobe Sünder uns nicht, hier zu verweilen; denn dieser Ort fängt an, stets heiliger und heiliger zu werden!“

13. Auch die andern elf fangen darauf an, eine sehr demütige Sprache zu führen, und wollen sich auch irgend weiter von da wegziehen; aber Julius läßt solches nicht geschehen.

14. Suetal aber sagt: „Herr, als einst Moses auf dem Berge zum flammenden Dornbusche ging, um zu erfahren, was das sei, da sprach eine helle Stimme aus der Flamme: ,Moses, ziehe aus deine Schuhe; denn der Ort, da du stehest, ist heilig!‘ Hier ist nach der handgreiflich klaren Aussage das, was Moses auf dem Berge antraf; also ist auch dieser Ort heilig, und wir Sünder sind nicht wert, ihn zu betreten!“

Kapitel 049. Erklärung der äußeren Vorgänge bei Moses.

1. Sagt der nebenstehende Mathael auf Verlangen des Julius, der dem Suetal nichts Besonderes zu entgegnen wußte: „Wer sagt es euch denn, ob ihr wert seid, diesen Ort zu betreten, oder ob ihr das nicht wert seid? In welchem Buche irgendeiner Weisheit steht es denn geschrieben, daß je irgendein Kranker seines Arztes nicht wert sein soll? Wißt, solch eure Annahme kommt von der Lämmelweisheit des Tempels, die auch dem die Hände am Feuer braten läßt, der sich mit ungeweihter Hand irgend vergriffe an der Türschwelle, die ins Allerheiligste führt! Wenn aber die hohen Pharisäer gegen gute Bezahlung die Fremden alle Tage heimlich dahin führen und ihnen alles zeigen und geschichtlich erklären, so werden darauf den Fremden die Hände sicher nicht am Feuer gebraten werden!

2. Was wollte denn Gott eigentlich dem Moses dadurch sagen, daß Er ihn die Schuhe ausziehen hieß?

3. Seht, Gott sagte dadurch zu Moses: ,Ziehe aus dein Materiell-Sinnliches, schaffe von dir durch deinen Willen den alten Fleischadam und stehe als ein rein geistiger Mensch vor Mir, ansonst kannst du Meine Stimme nicht verstehen, und Ich kann dich nicht zum Führer Meines Volkes machen!‘

4. Was besagte aber die Besteigung des Berges?

5. Seht, Moses flüchtete sich vor der Verfolgung des Pharao wegen Ermordung eines hohen Beamten des Königs, welcher Beamte auch so gut wie ein Sohn des Königs war.

6. Moses galt zwar sehr viel beim Pharao, so daß es noch sehr zweifelhaft war, ob er nicht einmal gleich einem Joseph die Herrschaft Ägyptens auf sich bekäme und so sein Volk erhöbe.

7. Solches Emporstreben zeigte ihm Gott in der Wüste durch die Besteigung des Berges, dessen Spitze er aber dennoch nicht erreichen durfte; denn daran war er durch den flammenden Dornbusch verhindert.

8. Und es hieß da ferner nach unserem Sprachverständnisse: ,Du sollst wohl der Retter Meines Volkes werden, aber nicht auf die Art, wie du es glaubst, sondern wie Ich, dein Gott und dein Herr, es dir vorzeichnen werde!

9. Du sollst nicht König von Ägypten werden und Mein Volk, das Ich bisher in der Demut Mir erzogen habe, sinnlich, eigenliebig und hoffärtig machen, sondern das Volk muß dies Land verlassen und mit dir in diese Wüste ziehen! Da werde Ich dem Volke Gesetze geben, und Ich Selbst werde dieses Volkes Herr und Führer sein; und so es sich Mir treu erweisen wird, werde Ich ihm geben das Land Salems, in dessen Bächen Milch und Honig fließt!‘

10. Seht, mit solchem Sinne in der Bildsprache damaliger Zeit wollte Gott dem Moses durchaus nicht sagen, daß er wirklich seine Fußbekleidung ausziehen solle, sondern den alten Adam nur oder die Begierlichkeit des äußeren sinnlichen Menschen, die sich zum eigentlichen Lebensmenschen gerade also verhält, wie die Schuhe an den Füßen eines Menschen, die auch das unterste, äußerste, letzte und am ehesten entbehrliche Kleid sind.

11. Der Ort aber, den Gott heilig nennt, ist nur ein demütigster Zustand der Seele, ohne den sie im Angesichte der ewigen Liebe, die ein wahrstes Lebenselementfeuer ist, nicht bestehen kann.

12. Der Dornstrauch aber, der da brennt, ist ein Zeichen, daß die Bahn des Propheten eine eben sehr dornige sein wird; aber seine große Liebe zu Gott und zu seinen Brüdern, die sich als Flamme über und durch den ganzen Dornstrauch zeigt, wird den Dornen des Strauches die Stacheln versengen und am Ende alles Dorngestrüppe verzehren und eine dornlose Bahn machen.

13. Sieh, das ist der Sinn dessen, was du ehedem angeführt hast! Wenn aber unfehlbar also, wie kannst du demnach irgendeinen irdischen Ort für mehr oder weniger heilig halten?

14. Ziehet auch ihr vollends eure Weltschuhe aus und demütiget euch in allen Stücken des Lebens, so werdet ihr auch uns allen gleich würdig hier stehen; denn wir alle sind als Menschen hier vor Gott und dem Einen, der hier ist, ganz gleich, und es hat keiner einen Vorzug vor dem andern!“

15. Als Suetal von Mathael solche Rede vernimmt, sagt er: „Ja, wenn man einmal mit einem solchen Übermaße von aller Weisheit erfüllt ist, dann kann man freilich leicht ohne Furcht sein; denn ein Sehender hat leicht vorwärts schreiten, aber ein Blinder muß stets vorher forschen, ob sein nächster Schritt wohl ein sicherer sein wird, und bei aller Vorsicht und treu forschenden Behutsamkeit stößt man sich dennoch immer irgendwo an. Aber wenn man einen Wegweiser hat, wie du, lieber Bruder Mathael, einer bist, so kann man auch als Stockblinder noch vorwärts kommen! Oh, nun bleiben wir schon und freuen uns über alle Maßen, ehest den näher kennenzulernen, dem du aus handgreiflich, klaren Gründen ein so großes Zeugnis gegeben hast!“

16. Sagt Julius, den Mathael freundlichst bei der Hand drückend: „Ewig Dank dem Herrn, der dich und deine vier Brüder also mächtig geheilt hat! Was habe ich nun schon alles von dir gelernt, und nur so klar und leicht faßlich, und ich merke es bei mir, daß es nun in meiner Seele ganz bedeutend zu tagen beginnt; und geht das so fort, hoffe ich in kurzer Zeit auch in deine Fußtapfen zu treten!“

17. Sagt Mathael: „Kann ja auch gar nicht anders sein! Denn es gibt ja nur einen Gott, ein Leben, ein Licht, eine Liebe und nur eine ewige Wahrheit; unser diesseitiges Erdenleben ist der Weg dazu. Aus der Liebe und aus dem Lichte sind wir durch den Willen der ewigen Liebe in Gott hervorgegangen, um eine selbständige Liebe und ein selbständiges Licht zu werden; das können wir, das müssen wir!

18. Wie aber? Sieh, hoher Bruder: allein durch die Liebe zu Gott und durch ihre nimmer rasten könnende Tätigkeit! Denn unsere Liebe zu Gott ist ja die Liebe Gottes Selbst in uns und leitet unsere Seele in die stets erhöhte Tätigkeit des wahren, ewigen Lebens, das da in sich ist die vollste Wahrheit und das hellste Licht. Wenn es demnach in einer Menschenseele zu tagen beginnt, dann ist sie dem ewigen Lebensziele schon sehr nahe und kann nicht möglich mehr anders, als erreichen das Ziel des ewigen Lebens, das da in sich ist alles in allem, was das vollendete Leben in aller Freiheit und in der vollsten Selbständigkeit ewig je erreichen kann!

19. Darum sei froh und heiter, hoher Bruder, bald wird auch deine Seele zu schauen bekommen, was nun die meine in stets klarerem Lichte schaut! Am vollen Tage deiner Seele erst wirst du die Größe Dessen begreifen, den du noch mit einiger Scheu den ,Heiland von Nazareth‘ nennst.

20. Als Mensch wohl ist Er dir und mir gleich – aber Sein Geist! Der durchdringt mit Seiner Kraft und mit Seinem Licht die ewige Unendlichkeit! – Hast du, hoher Bruder, mich wohl verstanden?“

21. Sagt Julius, ganz zu Tränen gerührt: „Ja, lieber und eigentlich viel höher als ich stehender Bruder; wahrlich, vor Liebe könnte ich dich gerade erdrücken, und den Heiland Jesus aus Nazareth kann ich nun ohne Liebetränen gar nicht mehr ansehen und begreife nun erst die große Liebe jenes Mägdleins, das eigentlich gar nicht mehr von Seiner Seite zu bringen ist!“

22. Sagt Suetal: „Gottlob, nun wird er für uns nicht mehr schwer zu erkennen sein! Wir dürfen nun nur darauf sehen, an wessen Seite das gewisse Mägdlein wandelt; der wird es auch sein!“ – Darauf gaben sie acht.

Kapitel 050. Der zwölfe Zweifel über die Person des Heilandes.

1. Aber Jarah wandelte auf Mein Geheiß nun mit dem Raphael und mit dem Josoe und besprach sich mit beiden über die so plötzlich aufgetauchte Weisheit Mathaels, und es waren somit die zwölf doppelt in der Ungewißheit, welcher aus den das Mägdlein umgebenden beiden Ich sei. Zugleich aber dachten sie sich ihn doch als einen Mann, und mit der Jarah waren dem Ansehen nach nur zwei Knaben von etwa 12-14 Jahren beschäftigt, und so ging den zwölfen die Geschichte gar nicht zusammen. Und einer aus den zwölfen sagt darum zu Suetal: „Freund, du hast in unserem Namen diesmal ein wenig zu früh gejubelt! Das Mägdlein, das wahrscheinlich ein Töchterlein des großen Gastwirtes Ebahl aus Genezareth ist, weil wir Bergler aus dem Bezirke sie schon öfter in dem Gasthause gesehen haben, so wir im Orte etwas zu tun hatten, wandelt zwischen zwei Knaben, wahrscheinlich Söhnen des Oberstatthalters. Dieser Knaben einer oder der andere wird der Heiland aus Nazareth nicht sein. Es fragt sich nun aber: Welcher ist es dann? Ich sage dir, Bruder, mit unserer Weisheit kommen wir hier schon in keinem Falle auf; daher ist vorderhand für uns das Schweigen schon unstreitig das beste Mittel!“

2. Sagt Suetal: „Bin nun schon auch ganz deiner Meinung; aber hier hat uns eigentlich der hohe Herr Julius so ein wenig anrennen lassen, was uns übrigens auch vollkommen recht geschehen ist; warum haben wir unsern Mund überall dabei! Schweigen, Hören und Sehen ist wahrlich das beste und gewisserart der Anfang aller Weisheit!“ Nach diesen Worten werden die zwölf still, und ihre Seelen sind voll von allerlei Gedanken.

3. Nun gehe Ich zu ihnen und frage den Suetal, sagend: „Von euren früheren Gesprächen habe Ich alles vernommen, weil Ich sehr scharf hörende Ohren habe; aber da ihr denn doch so manches von dem gewissen Heilande aus Nazareth untereinander mit dem weisen Mathael und dem Hauptmann Julius geredet habt, dabei aber jedoch eure ganz eigene Ansicht stets verdeckt worden ist, so möchte Ich von euch nun so ganz offen erfahren, für wen ihr so ganz eigentlich in euch den Bewußten haltet. Redet aber ohne Scheu ganz offen; denn dafür bürge Ich euch, daß euch darum nichts Arges widerfahren wird! Denn Ich kenne den Heiland zu gut, daß er euch darum nichts zuleide tun wird, so ihr Mir als einem seiner nächsten und besten Freunde so ganz unverhohlen eure innerste Ansicht kundgebet!“

4. Sagt Suetal, sich ein wenig hinter den Ohren kratzend: „Du scheinst deiner Tracht nach zwar ein Grieche zu sein, aber deinen Haaren und deinem Barte nach zu urteilen, bist du ein Jude. Die Römer sagen zwar von den Griechen eben nicht gar zu löblich: GRAECA FIDES, NULLA FIDES; aber dafür scheint mir dein Angesicht doch viel zu ehrlich zu sein, und als ein Mann von sicher einiger Weisheit wirst du es wohl einsehen, daß Menschen wie wir uns bei solch einer außerordentlichen Erscheinung denn doch nicht ganz gedankenlos verhalten können!

5. Alles das, was uns selbst die Weisheit Mathaels von dem Heilande zu verstehen gab, gleichwegs als schon vollkommen bare Münze anzunehmen, ist für Menschen unseresgleichen denn doch immer keine Kleinigkeit, und unsere Urteile über ihn werden ebenfalls sehr mangelhaft sein; denn bis jetzt haben wir von ihm nur immer noch reden hören, und die vier Bergler aus dem Bezirk Genezareth haben auch eine von ihnen erzählte außerordentliche Kraft und Macht empfunden, aber gesehen und gesprochen haben sie ihn auch nicht.

6. Wir selbst haben hier von ihm die außerordentliche Heilung der fünf arg Rasenden wahrgenommen, und man hat uns hier davon erzählt; aber auch da waren wir nicht selbst Augen- und Ohrenzeugen, sondern haben uns davon nur durch die Geheilten und durch die Erzählung von seiten des Hauptmanns und von seiten der Geheilten selbst die sicher handgreiflich klare und wahre Kunde verschafft.

7. Die außerordentlichen Tatsachen einerseits und die klaren Beurteilungen und Erörterungen besonders von seiten des grundweisen Mathael, haben nicht verfehlen können, in uns eine Vorstellung von dem bewußten Heilande zu erwecken, die wenigstens für unsere, aller höheren Weisheit baren irdischen Begriffe offenbar ins rein Göttliche übergeht!

8. Ob wir aber als wissenschafts- und noch mehr weisheitslose Menschen mit solcher unserer Vorstellung am Ende doch noch auf dem Holzwege sind, darüber kreuzen sich nun so ganz eigentlich unsere Gedanken und Vorstellungen! Wer aber kann und mag das wenigstens für uns Wissenschafts- und Weisheitsblinde so darstellen, daß uns dadurch entweder das eine oder das andere so klar wird wie die Sonne am hellen Mittage?

9. Siehe, die Wissenschaft der Menschen ist in unsern Zeiten schon sehr weit gediehen, und der Weisheit der Menschen hatte noch nie jemand Grenzen zu setzen vermocht, und so kann ganz gut, durch besondere geistige Fähigkeiten unterstützt, ein Mensch in Nazareth irgendeinen Stein der Weisheit gefunden haben, von dem der Welt bis jetzt noch nie etwas in den Sinn gekommen ist! Er kann daher ungeheure Dinge leisten, vor denen wir dastehen müssen wie die Ochsen am Berge; er kann Berge versetzen und im höchsten Sommer das Meer gefrieren machen, ja, er kann Tote erwecken und Tausende bloß durch seinen Willen vergehen machen, so sind alles das Dinge, die schon lange vor ihm von Menschen sind zustande gebracht worden!

10. In Ägypten gehört so etwas durchaus nicht zu den unerhörten Dingen; hier bei uns freilich dürfte so etwas seltener sein, weil besonders bei uns Juden alle Zauberei streng verboten ist, und so wird am Ende jede außergewöhnliche Erscheinung, durch einen Menschen selbst durch vielleicht ganz natürliche Mittel zustande gebracht, als Zauberei verdammt, und der Zauberer, so er ein Jude ist, gesteinigt oder gar lebendig verbrannt, als Fremder aber weit über die Grenze verbannt; er müßte nur ein bedeutendes Lösegeld an den Tempel zahlen, so wird es ihm gestattet, seine Künste und Zaubereien allein den Griechen und Römern ganz geheim vorzumachen. Unsereins bekommt davon in Jerusalem nichts zu Gesichte; aber als ein Apostel des Tempels in ein fremdes Land reisend ob der Bekehrung der Fremden zum Judentume, bekam man denn doch auch schon so manches zu sehen, das unsereinem unerklärlich bleiben mußte.

11. Also wirket nun der bewußte Heiland aus Nazareth auch in bezug der Heilung von allerlei Kranken ebenfalls Unerhörtes, ja, er soll auch sogar Tote erwecken können! Aber ich sage eines wie das andere, daß all das noch lange keinen gültigen Beweis von irgendeiner besonderen göttlichen Natur in ihm und kein unwiderlegbares Zeugnis gibt.

12. Für Menschen, wie wir da sind, Wundersames leisten in Wort und Tat, ist für den Befähigten keine zu große Kunst; denn den Blinden ist leicht von den Farben zu predigen, der Sehende aber braucht ohnehin nicht viel von irgendeiner Predigt, da er die Farben auch ohne Predigt unterscheiden kann.

13. Übrigens aber kann der Nazaräer-Heiland auch ein ganz gut und im vollsten Ernste vom Geiste Gottes – gleich einem Moses, Josua, Samuel und Elias – gesalbter außerordentlicher Prophet sein und seine Werke durch die rein göttliche Kraft in sich verrichten, was wir auch für das Wahrscheinlichere halten, indem er doch ein Jude ist und als solcher nie eine Gelegenheit hat haben können, weder bei den Essäern noch bei den Ägyptern in die geheimste Schule zu kommen.

14. Wäre so etwas an ihm erweisbar, so wäre es dann freilich eben nicht gar zu schwer zu erraten, von woher er alle seine geheimen Wissenschaften hat; denn die Essäer erwecken die toten Kinder zumeist gleich dutzendweise, wovon ich mich selbst vollends überzeugt habe! Und Gott weiß es, was alles für Krankheiten sie zu heilen imstande sind!

15. Aus dem wirst du als ein recht verständig aussehender Grieche wohl zu beurteilen imstande sein, aus welchem Grunde wir trotz all des Außerordentlichen, das wir hier vernommen haben, in unserem Innersten notgedrungen von allerlei Gedanken für und gegen durchkreuzt werden.

16. Alles gleich als barste Münze anzunehmen, wäre doch ebenso toll, als alles gleich von vornherein zu verwerfen; abwarten, hören, sehen und scharf prüfen ist alles, was man da tun kann, und es wird sich dann schon herausstellen, ob man sich dem PRO oder dem CONTRA anschmiegen soll; denn im Sacke kaufen wir die Tauben nie, da es denn doch auch sein könnte, daß man uns Geier für Tauben verkaufte! – Sage du uns nun, ob wir recht haben oder nicht!“

Kapitel 051. Bedenken über die vernommene Göttlichkeit des Nazaräers.

1. Sage Ich: „In einer Hinsicht ja, aber in einer andern Hinsicht mitnichten! Ja, wenn die Essäer also die Toten erwecken wie der Nazaräer, dann habt ihr in jeder Hinsicht recht. Es ist aber ein wirklicher Essäer hier unter den Jüngern des Nazaräers. Er ist ausgesandt worden, um entweder den Nazaräer für deren große Truganstalt völlig zu gewinnen oder von ihm wenigstens das Geheimnis herauszulocken, wie er seine Kranken heilt und seine Toten erweckt.

2. Als er sich aber bald überzeugte, daß bei dem Nazaräer alles offen vor jedermanns Augen und ohne alle künstlichen Betrugsvorrichtungen vollbracht wird, bloß durch das alte Wort ,Es werde‘, da verließ er sein betrugvollstes Essäertum, verriet alle die Betrügereien und ward selbst ein wirklicher Jünger des Nazaräers. Dort steht er unter einem Baume ganz allein; gehet hin und besprechet euch mit ihm!“

3. Antwortet ein anderer aus den achten: „Freund, es hat das für uns keine Not; denn das Essäertum kenne ich aus dem Fundamente. Es ist ein zwar großartigster, aber im Grunde ein lobenswerter Betrug, und der Nazaräer ist da nie in die traurige Schule gegangen! Aber für Ägypten will ich eher sein; denn der Nazaräer muß große Freunde unter den Römern haben, und durch diese kann man schon nach Ägypten kommen!“

4. Sage Ich zum zweiten Redner, der da Ribar hieß: „Wie kamst denn du hinter die Geheimnisse der Essäer? Denn wie Ich es vernommen habe, so soll solches ohne Lebensgefahr wohl kaum möglich sein!“

5. Ribar erwidert: „Freund, mit viel Geld und mit einem gehörigen Maße von allerlei Pfiffigkeit versehen, kommt man überall durch. Natürlich muß man so von Haus aus nicht auf den Kopf gefallen sein, damit man hinter dem, was einem gezeigt wird, auch das andere sieht, was einem nicht gezeigt wird! Dazu gehört aber offenbar ein bedeutender Grad von einer besonders feinschlauen Pfiffigkeit; und so möchte ich denn auch einmal dem guten Heilande aus Nazareth auf den Zahn fühlen, und ich stehe dafür, daß er mich nicht blenden wird.

6. Ist aber an ihm wirklich das, was man von ihm redet und der wirklich hochweise Mathael von ihm dargetan hat, nun, so wird man ihn auch gleich dem Mathael zu würdigen verstehen! Mich beirrt nur eine Sache, und die ist, daß er Jünger annimmt. Ich sage: Ist seine Sache eine rein göttliche, so wird sie ihm kein Jünger je nachzuahmen imstande sein, und würde er auch eine volle Ewigkeit zu ihm in die Schule gehen. Ist die Sache aber eine menschliche, da sind die Jünger ganz begreiflich; denn was ein Mensch macht, das kann auch ein anderer Mensch machen, wenn er dafür die Kenntnisse und die genügenden Mittel besitzt. Ist aber die Sache eine, wie gesagt, rein göttliche, da wird es mit dem Nachmachen wohl ewig nicht gehen! Denn dazu gehörte die ganze Allmacht und Weisheit Gottes!“

7. Sage Ich: „Mein Freund Ribar, du redest zwar durchaus nicht übel, hast aber im Grunde doch unrecht; denn ein Gott kann ja doch auch aus der Zahl der Menschen einige besonders ziehen und ausbilden, wie Er einen Henoch, einen Moses und noch eine Menge Propheten ausgebildet hat, auf daß sie dann zu Lehrern der Menschheit wurden und zu Verkündern des göttlichen Willens an die Menschen dieser Erde. Mit dieser Annahme scheinst du demnach sehr auf dem Holzwege zu sein und wirst damit dem Heilande von Nazareth schlecht beikommen können!

8. Mit der Pfiffigkeit wirst du an dem Nazaräer einen sehr mächtigen und unbesiegbaren Gegner überkommen! Ich kenne ihn und weiß, daß ihm von menschlicher Seite schon gar nicht beizukommen ist; denn auf tausend ist es sehr schwer, ihm eins zu entgegnen!“

9. Sagt Ribar: „Es kommt alles auf eine Probe an! Ich habe schon oft solche Antiphonen und Präludien gehört, aber am Ende kam es fast auf den Spruch der Römer hinaus: SI TACUISSES, PHILOSOPHUS MANSISSES. Daher gilt bei mir ANTE nichts, sondern stets nur das POST FESTUM etwas. Ich anticipiere niemals und schöpfe über nichts ein Urteil, was ich nicht selbst erprobt habe; habe ich aber einmal etwas erprobt, so habe ich noch selten ein schiefes Urteil gefällt, sondern noch so ziemlich allzeit den Nagel auf den Kopf getroffen. – Bist du etwa auch so ein Jünger von ihm?“

10. Sage Ich: „Das gerade nicht, aber sonst einer seiner ersten Freunde, und ich kenne ihn schier am besten!“ – Bei diesem Zwiegespräch können sich mehrere eines versteckten Lächelns kaum erwehren, und es entgeht niemand auch nur ein Wörtlein.

Kapitel 052. Suetals und Ribars Zwiegespräch über die Wunderprobe Raphaels.

1. Nach einer kleinen Weile sagt Ribar wieder: „Möchte doch so wenigstens von einem Jünger erfahren, was er schon alles gelernt hat an der Seite des Wunderheilandes!“

2. Sage Ich: „Oh, das kann ja sehr leicht geschehen! Es ist zwar schon Zeit zum Mittagsmahle, und der Wirt wird damit bald in der Ordnung sein; aber für ein kleinstes Jüngerpröbchen wird sich's gerade noch tun, und es soll gerade ein jüngster daran und soll dir als einem strengen Examinator zeigen, was er schon alles kann! – Willst du so etwas?“

3. Sagt Ribar: „Allerdings, denn ohne Probe kann über niemand ein Urteil gefällt werden!“

4. Hier berufe Ich den Raphael, der im Grunde und streng genommen doch auch ein Jünger von Mir ist, wenn schon ein Geist, nun mit leichter Materie angetan. Raphael, kaum berufen, steht in Blitzesschnelle vor Ribar und sagt: „Was für eine Probe verlangst du von einem Jünger des Herrn?“ – Ribar denkt bei dieser Frage nach und forscht, ob er so etwas einem Menschen recht Unmögliches erfinden könnte, das keinem Menschen zu machen möglich wäre.

5. Sage dazu Ich: „Nun, Ich meine, die Geschichte hat deine Pfiffigkeit schon so ein bißchen beim Kragen!?“

6. Sagt Ribar: „Oh, laß du das nur gut sein! ,FESTINA LENTE‘ sagen die Römer! HOSTIS CUM PATIENTIA NOSTRA VICTUS! Ich werde dem Jungen eine Nuß aufzuknacken geben, an der seine Zähne auf eine starke Probe gesetzt werden!

7. Hier beugt sich Ribar zur Erde, hebt einen mehrere Pfund schweren Stein vom Boden und sagt lächelnd zu Raphael: „Lieber Jünger des göttlichen Meisters, der Dinge vollbringen soll, die nur Gott allein möglich sein können! So du von ihm schon so etwas Allmächtiges erlernt hast, so mache da aus diesem Stein ein gutes, süßes Brot!“

8. Sagt Raphael: „Versuche, ob der Stein noch Stein ist!“

9. Ribar versucht das und sagt: „Na und ob!“

10. Spricht Raphael: „Versuche das nun noch einmal!“

11. Ribar versucht das noch einmal, bricht den Stein auseinander und erkennt, daß der Stein wirklich zu Brot geworden ist. Solches Wunder in seinen Händen macht ihn ganz gewaltig stutzen, ja, er ward sichtlich von einer bedeutenden Angst ergriffen und wußte nun nicht, was er darauf sagen sollte.

12. Raphael aber sagt zu ihm: „Verkoste es auch; denn das Auge ist leichter zu betrügen denn der Gaumen! Gib es auch deinen Freunden zum Verkosten, auf daß wir Zeugen für diese Umwandlung haben darum, daß sie eine wahrhaftige sei!“

13. Ribar verkostet das Wunderbrot, anfangs etwas vorsichtig; da es ihm aber gar zu wohl schmeckt, so beißt er in die eine Hälfte darauf ganz ordentlich drein und gibt die andere Hälfte seinen Genossen zu verkosten. Alle finden das Brot ungemein schmackhaft, süß und voll des einladendsten Geruches.

14. Ich aber frage darauf den Ribar, sagend: „Nun, lieber Freund, laß Mich vernehmen dein Urteil; was sagst du zu dieser Tat, vollführt von einem Jünger?“

15. Sagt Ribar zu Suetal: „Bruder, rede du nun, du bist etwas gescheiter denn ich! Das geht zu hoch über meinen Erkenntnishorizont!“

16. Sagt Suetal: „Derart Menschen, wie du einer bist, gibt es nun sehr viele in der Welt, die sich anfangs mit ihrem bißchen Verstande gerne patzig machen; kommt aber dann eine Erscheinung, weit über ihren Verstand hinausreichend, da stehen sie dann da wie ein auf einem Ehebruche ertapptes Weib! Was läßt sich da nun anderes sagen als: Mathael hat recht mit jeder Silbe, mit der er dem großen Meister sicher das wahrste Zeugnis gab!

17. Wenn solche Dinge schon seine Jünger zu bewirken imstande sind, was wird nun erst der göttliche Meister alles zu tun imstande sein?!“

18. Sagt Ribar: „Das ist alles wahr, und keiner von uns kann es ja in Abrede stellen; aber man sagt und lehrt im Tempel auch als eine entschiedene Wahrheit, daß gewisse besondere Magier überaus seltene Dinge durch die ihnen zu Gebote stehende Macht des Beelzebub zu vollbringen imstande sein sollen. Sogar die Römer sagen: IN DOCTRINA ALIENA CAUTI, FELICES und SAPIENTIA NON INCIPIT CUM ODIO DEORUM!

19. Sagt Suetal: „Höre mir auf mit deinen dummen lateinischen Sprüchen, und mit deinem eselhaften Beelzebub kannst du mir für ewig vom Leibe bleiben! Hast du denn ehedem nicht den göttlich weisen Mathael reden hören und daraus leicht entnehmen können, daß die Lehre des großen Meisters jeden Menschen zu Gott hinleitet durch die Wahrheit, Liebe und Tat? Nun, dazu sollte sich der große Meister des Vorstehers aller Lüge und alles Betrugs bedienen? Blinder Esel, der du allzeit noch warst; war das Brot eine Lüge, oder war es ein wahrhaftiges Brot?

20. Hätte es dir der Beelzebub bereitet, was ihm wohl nie möglich wäre, so hättest du nun statt des besten Brotes einen Stein im Magen; weil es aber ein wahrhaftiges Brot wie aus dem Himmel kommend war, so fühlst du, so wie ich es fühle, nun noch den wahrhaft göttlichen Wohlgeschmack von bester Wirkung in deinem ganzen Leibe, wie ich in dem meinen!

21. Wo hast du je in der ganzen Schrift gelesen, daß es dem Satan je gelungen sei, ein Wunder gleich diesem zu vollbringen? Siehe an die Wunder Beelzebubs im Tempel! Was sind sie? Nichts als ein schnödester und wohlbekannter Betrug, um dadurch bei der dir gleich blinden Menschheit das Gold und das Silber flottzumachen und es dann zu anderweitigen, schändlichen Zwecken zu benutzen!

22. Siehe, das sind Wunderwerke des Satans und sind als solche mit Händen greifbar leicht zu erkennen!

23. Hier aber waltet kein irgend möglicher Betrug, sondern der leicht zu erkennende allmächtige Wille Jehovas allein! Wie kannst du da noch fragen, ob so etwas nicht auch durch Satans Macht möglich wäre?! Wo hat denn Satan noch je beweisen können, daß ihm irgendeine wahrhaftige Macht innewohnt?“

24. Sagt Ribar sehr betroffen: „Na, hat er nicht gesiegt am Sinai, als er drei Tage mit Michael um den Leib Mosis gekämpft hat?“

25. Sagt Suetal: „Ja, da hat er sich den Dreck Mosis errungen! Schöner Sieg! Was weißt du weiter?“

26. Sagt Ribar: „Nun, ist die Verführung Evas und Adams nichts?“

27. Sagt Suetal: „Kann man das ein Wunder, diesem gleich, nennen?! Wenn dir eine üppigste Dirne alle ihre fleischlichen Reize zeigt und dich mit sehr lüsternen Augen einladet, wird es da wohl etwas Wunderbares sein, so du aus lauter fleischlicher Wollustgier ihr in ihre schönen, weichen Arme sinkst? Solche Adams- und Evaswunder geschehen leider heutzutage nur zu viele, gehören aber stets der untersten und gröbsten Natürlichkeit an, und von einem Wunder ist da wahrlich keine Spur, außer es ist alles ein Wunder vom Urbeginn der Schöpfung angefangen! – Weißt du etwa noch um irgend so ein Satanswunderwerk?“

28. Sagt Ribar: „Mit dir ist da hart reden! Was aber sind die uns bekannten Wundertaten der Götzenbilder von Babel und Ninive? Sind diese etwa nicht vom Satan bewirkt worden?“

29. Sagt Suetal: „Für blinde Esel, dir gleich, ja, – aber für sehende Menschen nicht, denn die wußten, daß in dem in der Nacht durch Feuer weißglühend gemachten Bauche des bekannten Götzen zu Babel die durch seinen weiten Rachen in seinen Bauch geworfenen Opfer gar leicht von dessen ganz natürlicher Glut haben verzehrt werden können. Solche Wunder kannst du alle Tage mittels eines tüchtigen Feuers zustande bringen und benötigst dazu nicht im geringsten irgendeines Satans! Ich selbst will dir mittels Einverständnisses einiger feiler Knechte eine Menge von allerlei Satanswundern zuwege bringen, ohne dazu eines Satans Hilfe vonnöten zu haben; denn dazu ist eines jeden schlechten Menschen böser und gewinnsüchtiger Wille Satan mehr als zur vollsten Übergenüge.

30. Ein Satan kann und vermag ewig nichts – außer zu verderben irgendein ohnehin keinen Wert habendes Fleisch, und er kann sich dann nehmen seinen überaus stinkenden Lohn; aber für Seele und Geist kann er ewig kein Wunder wirken, weil sein Wesen selbst die allerdickst gerichtete Materie ist! Ja, durch den Satan kannst du noch materieller werden als du schon lange bist; aber geistig wirst du durch ihn nie auch nur einen Augenblick lang! – Und nun rede weiter, so dir noch einige Satanswunder einfallen!“

31. Sagt Ribar, so ganz zusammengemacht: „Wenn alles also, da weiß ich freilich um kein weiteres Satanswunder mehr, und ich will dieses reinste Wunder anerkennen, das der junge und sehr liebliche Jünger des großen Meisters zustande gebracht hat. Übrigens aber hättest du schon etwas artiger mit mir reden können, und ich hätte dich auch verstanden!“

32. Sagt Suetal: „Da hast du wohl recht, aber du weißt es schon lange, daß ich allzeit aufgebracht werde, wenn mir ein Mensch, besonders von doch irgend einiger Bildung, mit dem alten Märchen von einem Beelzebub kommt, als wären die Weltmenschen nicht schon Beelzebubs zur Übergenüge! Besonders aber bei einer solchen rein göttlichen Gelegenheit! Wahrlich, da könnte ich vor Ärger schon allzeit aus meiner höchst eigenen Haut springen!“

33. Sagt Ribar: „Na, na, es ist ja schon alles wieder gut! IN MEDIO BEATI sagen die Römer; ,nie zu hitzig und nie zu lau‘ ist der Weisheit und aller Lebensklugheit Kern. Die Wahrheit begreift sich am Ende, verstehst Bruder, auch ohne Esel und Dreck!“

34. Sagt Suetal: „Jawohl, jawohl; aber in gerechtem Eifer wägt man schwer die Worte ab, mit denen man jemand zurechtweist, wenn er gar zu dumme Bedenklichkeiten zur Schau zu tragen beginnt! Aber da du nun die Wahrheit etwas näher einzusehen beginnst, so wirst du von mir ähnliche Ausdrücke auch nicht leicht wieder zu hören bekommen!“

35. Darauf sage Ich: „Nun, seid ihr in der Ordnung?“

36. Sagen beide: „Ganz vollkommen!“

Kapitel 053. Die Grundzüge der Lehre Jesu.

1. Sage Ich zu Ribar: „Wie sieht es aber nun mit deinem Urteile aus über das, was du nun gesehen hast?“

2. Sagt Ribar: „Habe mich zu Suetal schon ausgesprochen und bekenne nun, daß der weiseste Mathael ganz recht hat in allen Dingen. Die Probe ist gemacht, und es braucht nun nichts Weiteres mehr! Ich glaube nun nicht mehr, sondern ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen und möchte nun den großen Meister selbst kennenlernen!“

3. Sagt Suetal: „Ja, das möchte auch ich, wenn es so leicht sein könnte, obschon ich nun gerade nicht mehr gar so sehr darauf anstehe; denn was ich nun gesehen habe, genügt mir für mein ganzes Leben! Mehr als Gott kann er nicht sein, aber nach dem Gesehenen viel weniger auch nicht! Und das genügt mir; nur von seiner neuen Lehre möchte ich noch etwas vernehmen!“

4. Sage Ich: „Auch davon hat euch Mathael schon mehrere Grundzüge gegeben; im übrigen läßt seine Lehre sich ganz kurz in dem zusammenfassen, daß man Gott über alles und seinen Nächsten wie sich selbst lieben soll.

5. Gott über alles lieben aber heißt natürlich: Gott und Seinen geoffenbarten Willen erkennen und dann aus wahrer innerer Liebe zu dem erkannten Gott danach handeln und sich daneben gegen jeden Nebenmenschen wegen Gott also verhalten, wie sich ein jeder vernünftige Mensch gegen sich selbst verhält; natürlich ist hier von der reinen und in möglichst höchstem Grade uneigennützigen Liebe, sowohl gegen Gott als eben auch gegen jeden Nächsten, die Rede.

6. Wie alles Gute einzig darum geliebt werden will, weil es gut ist und darum wahr, so will auch Gott geliebt sein, weil Er allein höchst gut und höchst wahr ist!

7. Dein Nächster aber muß darum ebenalso geliebt werden, weil er gleich dir das Ebenmaß Gottes ist und gleich wie du einen göttlichen Geist in sich trägt.

8. Siehe, das ist der eigentliche Grundkern seiner Lehre, und er ist leicht zu beachten, ja um sehr vieles leichter als die tausend Gesetze des Tempels, die zumeist vom Eigennutz der Diener desselben angefüllt sind.

9. Durch die möglichst genaue Beachtung dieser neuen Lehre wird der im Menschen anfänglich sehr gefesselte Geist freier und freier, wächst und durchdringt endlich den ganzen Menschen und zieht sogestaltig alles in sein Leben, das ein Leben Gottes ist und daher ewig dauern muß, und zwar in der möglichst höchsten Seligkeit!

10. Ein jeder Mensch aber, der also gewisserart in seinem Geiste wiedergeboren wird, wird nimmer einen Tod sehen, noch fühlen oder schmecken, und die Loswerdung von seinem Fleische wird ihm die höchste Wonne sein.

11. Denn der Geist des Menschen, also völlig eins mit seiner Seele, wird da gleichen einem Menschen im harten Gefängnisse, durch dessen enges Lichtloch er wohl in die schönen Gefilde der Erde hinausschauen kann und sehen, wie sich ganz freie Menschen auf denselben mit allerlei nützlichen Beschäftigungen erheitern, während er noch im Gefängnisse schmachten muß. Wie froh aber wird er sein, so der Kerkermeister kommt, die Tür öffnet, ihn von allen Fesseln losmacht und zu ihm sagt: ,Freund, ihr seid frei von jeder weiteren Strafe, gehet und genießet nun die volle Freiheit!‘

12. Also gleicht des Menschen Geist der Lebensfrucht eines Embryovögleins im Ei; wenn es durch die Brutwärme reif geworden ist innerhalb der harten, sein freies Leben fesselnden Hülle, dann bricht es die Hülle durch und freut sich seines freien Lebens.

13. Aber solches kann der Mensch nur erreichen durch die genaue und aufrichtige Haltung der Lehre, die der Heiland aus Nazareth nun den Menschen verkündet.

14. Nun aber empfängt der Mensch, wenn er im Geiste schon mehr und mehr wiedergeboren ist, auch andere Vollkommenheiten, von denen der bloß natürliche Fleischmensch sich keine Vorstellung machen kann.

15. Der Geist ist dann eine Macht in sich, der göttlichen gleich; was ein solcher vollendeter Geist im Menschen dann will, das geschieht und muß geschehen, weil es außer der Lebenskraft des Geistes in der ganzen Unendlichkeit Gottes keine andere Kraft und Macht geben kann!

16. Denn das wahre Leben ist allein Herr und Schöpfer, Erhalter, Gesetzgeber und Lenker aller Kreatur, und es muß sich darum alles der Macht des ewig allein lebendigen Geistes fügen.

17. Du hast davon an dem Jünger nun ein Pröbchen gesehen, und so kannst du Mir vorderhand glauben, daß es also ist. Die Einsicht aber von dem Wie, Wodurch und Warum wird dir erst werden, wenn du zur Freiheit deines innersten Geistlebens gelangt sein wirst.

18. Mathael hat dir aber schon zur Genüge gezeigt, zu welcher Einsicht ein nur zur Hälfte wiedergeborener Geist gelangen kann, und so hast du nun für alles die handgreiflichen Beweise in den Händen und kannst darum mit großer Zuversicht dein Leben danach einrichten. – Bist du zufrieden mit dieser Erklärung?“

19. Sagt Suetal: „Freund, viel zufriedener als mit der des ganz entsetzlich weisen Mathael! Es ist zwar das, was du mir nun gesagt hast, ebenso tief weise, als was ich alles schon aus dem Munde Mathaels vernommen habe, und in einer gewissen Hinsicht noch weiser; aber beim Mathael wird einem förmlich ängstlich und bange, weil man da keinen rechten Eingang und Ausgang erkennt. Du hast aber nun mit ganz schlichten Worten wenigstens mir die ganze Sache so klargemacht, daß ich mir nun nichts Klareres mehr denken kann; ich weiß nun genau, was ich zu tun habe, und was ich notwendig dadurch erreichen muß, und so bin ich denn auch vollends zurfrieden, da mir keine weitere Frage mehr übrigbleibt.“

Kapitel 054. Ein zweites Wunder nach Ribars Wunsch.

1. Sage Ich: „Gut denn; aber nun sage du mir noch so ganz unverhohlen, ob du denn nun nicht auch mit dem großen Meister aus Nazareth persönlich bekannt werden möchtest! Wenn du willst, so kann Ich dir ihn aufführen.“

2. Sagt Suetal: „Aufrichtig gesagt, dieser die Fülle des göttlichen Geistes in sich bergende Mann steht für unsereinen zu endlos hoch in allem und jedem, und ich habe eine förmliche Furcht, ihn nur von ferne zu sehen, geschweige mit ihm in die nächste Berührung zu kommen! Daher ist es mir nun schon lieber, ihn persönlich gar nicht kennenzulernen. Siehe, mich geniert nun schon die Nähe dieses jungen Jüngers von ihm, und aufrichtig gesagt, es wäre mir gar nicht unlieb, wenn er wieder zu seiner Gesellschaft zurückkehrte. Die Probe hat er uns abgelegt, und sie genügt! Zu einer zweiten würde er sich ohnehin nicht gerne mehr herbeilassen, und es wäre auch unnötig; denn wem die eine nicht die genügendste Überzeugung verschafft, den werden auch tausend Wunderwerke nicht überzeugen. Und so wäre es mir schon lieber, so er sich wieder zu seiner Gesellschaft begäbe; belohnen können wir ihn nicht dafür, weil wir außer uns selbst nichts besitzen. Sage ihm daher, du liebster Freund, daß er sich nun wieder zu seiner ihm ebenbürtigen Gesellschaft zurückbegeben möchte!“

3. Sage Ich: „Ah, zu was denn das?! Er ist ja frei und kann gehen, wann er will; und wird auch schon gehen, wenn er hier nichts mehr zu tun haben wird! Du bist nun freilich vollends befriedigt, aber nicht also alle deine Gefährten, selbst Ribar nicht, der doch nun in allem mit dir einverstanden ist. Er kaut noch immer am ersten Wunder und findet sich noch lange nicht vollends zurecht. Daher, weil es noch Zeit ist, werden wir allenfalls noch ein Zeichen von ihm uns bedingen!“

4. Sagt Suetal: „Wäre schon alles recht, und ich möchte selbst noch etwas sehen von ihm; aber es fragt sich da nur, ob das auch seinem heilig großen Meister genehm sein wird; denn immer sehen es die Meister nicht gerne, so sich ihre Jungen zu viel produzieren.“

5. Sage Ich: „Sei du darob ganz unbesorgt; denn das nehme ja alles Ich auf Mich und werde es seinerzeit wohl zu verantworten verstehen, so Ich darum hergenommen werden könnte. Aber den Ribar und die andern müssen wir dennoch fragen, in welcher Art sie ein Zeichen wünschen, ansonst bald einer aus ihnen sagen könnte, man habe das Zeichen schon lange vorher vorbereitet und ganz genau sich dazu verabredet; bestimmen sie aber das Zeichen selbst, so kann da von einer früheren Verabredung keine Spur vorhanden sein. – Bist du damit einverstanden oder nicht?“

6. Sagt Suetal: „Das ist salomonisch weise gedacht und gesprochen, und man muß damit dann ja doch einverstanden sein!“

7. Sage Ich: „Nun denn, so wollen wir den Ribar fragen! – Sage uns du, Ribar, worin das noch folgende Zeichen, vom Jünger gewirkt, bestehen soll!“

8. Sagt Ribar: „Freund, wenn er noch eines wirken will, so soll er aus dem Steine, den ich nun in meinen Händen halte, einen der edelsten Fische, die in diesem Meere zu Hause sind, machen!“

9. Sage Ich PRO FORMA zu Raphael: „Wirst du diese Aufgabe wohl zu lösen imstande sein?“

10. Spricht Raphael: „Wir werden es versuchen; aber der Petent (Bittsteller) soll sich zuvor fest stellen, sonst wird ihn der Fisch zu Boden werfen. Die edelsten Fische in diesem Wasser sind groß und stark, so, daß sie ein Mensch nicht überwältigen kann; wenn sich daher Ribar sehr fest stellt, so wird auch sogleich ein achtzigpfündiger Fisch die Stelle seines nun kaum zehn Pfund schweren Steines einnehmen.“

11. Sagt Ribar: „Oh, sorge du dich nur darum nicht! Ich bin so ein bißchen von einem Simson und habe schon hundertpfündige Fische gemeistert! Übrigens stehe ich nun schon ganz gehörig fest.“

12. Sagt darauf Raphael: „Es sei, was du verlangt hast!“ – Raphael hatte diese Worte noch kaum ausgesprochen, so machte schon ein gut achtzigpfündiger Edelfisch in den Händen Ribars, zum Schrecken und übermäßigen Staunen aller Anwesenden, einen derart heftigen Schneller, daß darob Ribar weidlich auf den Rücken fiel, und da der Fisch ganz gewaltig herumhüpfte und sich mit seinem Schweife heftig hin- und herwarf, so flohen die Zuschauer nach allen Seiten hin, und auch der Ribar, der sich bald wieder vom Boden erhoben hatte, zeigte keine Lust mehr, den großen Fisch anzupacken. Es war aber ein Sohn des Markus auch in der Nähe; der kam schnell mit einem starken kleinern Handnetze herbei, warf dasselbe auf den noch stark herumarbeitenden Fisch, umwickelte ihn und trug ihn in eine Wanne, die voll Wasser war.

13. Als sich der Fisch in seinem Elemente befand, ward er natürlich ruhig, und alle gingen nun zu der Wanne hin und betrachteten voll Verwunderung den großen Fisch, und Ribar sagte: „Nun bin ich mit aller meiner nichtigen Weisheit geschlagen und glaube nun fest an alles, was ich von dem großen Meister vernommen habe! Da hört jede Weisheit der Menschen auf, und die Herrlichkeit Gottes offenbart sich auf eine nur zu buchstäblich wahrhaft handgreifliche Weise! Mathael hat recht in jedem seiner Worte, und der Freund auch, dessen Güte wir die zwei nie dagewesenen Wundertaten zu verdanken haben. Groß darum, darum Gott, und ewig gepriesen sei darum Sein herrlicher Name, daß Er auch den Menschen auf dieser Welt solche Macht gegeben hat! Wir sind zwar höchst unwürdig, solche reinen Gotteswunder zu schauen mit unseren sündhaften Augen, aber da Gott uns dessen Selbst gewürdigt hat, so sei darum ewig gepriesen Sein herrlicher Name!“

Kapitel 055. Über den Unterschied der Wunder Rahphaels und denen der Magier.

1. Sagt Suetal: „Amen! Das ist auch mein Wort! Denn so etwas hat noch nie eines Sterblichen Auge gesehen! Die Magier zu den Zeiten Pharaos haben wohl auch Stöcke geworfen, aus denen Schlangen wurden; aber wir waren damals nicht dabei! Und wären wir auch dabeigewesen, so hätten wir wahrscheinlich ganz dasselbe Kunststücklein gesehen, wie wir einmal etwas ganz Ähnliches in Damaskus gesehen haben, wo ein persischer Zauberer auf eine vor ihm hin weit ausgebreitete Flugsandfläche Knittel schleuderte, und als der Knittel, eigens geschickt geworfen, sich in dem Flugsande vergrub, daß man von selbem nichts mehr sah – was natürlich in einem Augenblick geschah –, da erhob sich darauf aus dem Sande bald eine Ratte oder eine Maus und floh jählings davon! Dieser Zauberer gab auch an, daß er aus den in den Sand geworfenen Knitteln Ratten und Mäuse zeihen werde. Aber ich untersuchte hernach den Sand und fand die geworfenen Knittel ganz unversehrt; aber ich fand auch nur zu deutlich Spuren, wie der Zauberer, etwa ohne Zeugen, zuvor eine gewisse Anzahl Ratten und Mäuse dadurch in dem Sande gebannt hielt, daß er ihnen an mehreren Stellen gewisse Lieblingsköder in von ihm gemachte Sandgrübchen legte, mit denen sich die dahin gesetzten Ratten und Mäuse ganz ruhig und behaglich so lange unterhielten, bis sie der geschickt geworfene Knittel aus dem Grübchen zu springen und davonzulaufen zwang.

2. Das dumme Volk erwies dem persischen Magier eine nahezu göttliche Verehrung und steckte ihm seine Säcke mit allerlei kostbaren Sachen voll; und als ich einige mir etwas weiser Dünkende davon überzeugen wollte, hießen sie mich einen Frevler, und ich hatte sehr gemessene Zeit, mich aus dem Staube zu machen. Ich gewann dabei die Überzeugung, daß fürs erste derlei Magier ganz feine Käuze sind, die sich durch ihre etwaigen Kenntnisse und gemachten Erfahrungen auf dem weiten Gebiete der Natur die Dummheit der vielen andern Menschen, die so wie das Vieh dahinleben, zunutze zu machen verstehen, und fürs zweite, daß so recht eingefleischt dumme Menschen auch bei dem besten Willen eines weisen Menschenfreundes nimmer vollends zurechtzubringen sind.

3. Und sogestaltig werden etwa wohl alle die gepriesenen Wunderwerke der Priester und Magier in ganz Ägypten und Persien aussehen, und die Wundertaten der Essäer werden kein anderes Gesicht haben.

4. Aber diese beiden Wunder hier, die der Jünger des großen Meisters vollbrachte, und die wundervollsten Heilungen, von denen wir gehört haben, wie sie von dem großen Heilande vollführt worden sind, sind so rein über alle die magischen Betrügereien erhaben, wie eine Sonne mit ihrem hellsten und reinsten Licht erhaben ist vor jedem nichtigen und trügerischen Sumpflichte. Bei diesen zwei Wundertaten nimmt, wie gesagt, jede menschliche Weisheit ihr entschiedenes Ende; da nützt kein Denken und Prüfen mehr, da wirkt die Allmacht Gottes, der natürlich nichts unmöglich sein kann.

5. Für uns aber bleibt die Lehre, daß wir eben darum das, was der große Heiland lehrt, um so lebendiger befolgen sollen, weil durch ihn, wie es mir nun vorzukommen anfängt, vielleicht eben in dieser unserer Zeit eine alte Verheißung Jehovas in Erfüllung gehen dürfte.“

6. Sage Ich, von den zwölfen noch immer persönlich nicht erkannt, zu Suetal: „Bist du wohl mit einiger Überzeugung solcher Meinung?“

7. Sagt Suetal: „Freund, meine nun gefaßte Meinung wird zur Gewißheit, wenigstens in mir! Denn sieh, ich habe einen ganz einfachen, aber sicher stichhaltigen Grund, das anzunehmen! Gott ist zu endlos gut und weise, als daß Er einen Menschen also mächtig erwecken und ihn erfüllen würde mit Seinem allmächtigen Geiste bloß deshalb, daß er dann mehrere Kranke dem Fleische nach heilen und aus Steinen Brot und Fische zeihen (machen) solle. Mit solch einem Menschen, der bei weitem über Moses und allen andern Propheten wie eine Sonne ganz allein dasteht, hat Gott sicher auch noch einen höheren, uns noch ganz unbekannten großen Zweck verbunden! Denn für die sehr untergeordneten Zwecke, allein vor den Augen der gafflustigen und wundersüchtigen, blinddummen Menschenmenge allerlei Wunder zu wirken, hat Gott, wie gesagt, einen solchen Gottmenschen nicht auf diese Erde gesetzt! Ich möchte in ihm fast den durch alle Patriarchen und Propheten verkündeten großen Messias der Juden entdecken und bin, lieber Freund, davon fast völlig überzeugt!

8. Sollte er es dennoch nicht sein, so wüßte ich wahrlich nicht, auf wen wir dann noch warten sollen, der noch Größeres und Gotteswürdigeres zu leisten imstande wäre! – Welcher Meinung bist denn da du, lieber Freund, vorausgesetzt, daß du als ein Grieche mit den Schriften der Juden irgend vertraut bist?!“

9. Sage Ich: „Ja, da bin Ich völlig deiner Meinung; denn mit den Schriften der Juden bin Ich sehr wohl vertraut. Aber nun möchte Ich denn doch noch von deinen Gefährten erfahren, was sie zu dieser unserer ganz wohlbegründeten Meinung sagen! Der Ribar ist so ziemlich ein Votant (Wortführer) für alle die zehn andern Gefährten. Wir wollen ihn darüber befragen und sehen, was er eben darüber für eine Meinung von sich geben wird. Frage du ihn!“

10. Sagt Suetal: „Er soll darum gleich angegangen werden; denn jetzt wird er sich hoffentlich an seinem Fisch doch schon satt gesehen haben!“

Kapitel 056. Suetal spricht von Jesus.

1. Hierauf wendet sich Suetal zu Ribar, ihn am Rocke zupfend und sagend: „Du, Ribar, es handelt sich hier um eine äußerst wichtige Frage und Sache, namentlich für uns Juden; vielleicht kannst du uns darüber auch einen eben nicht unwichtigen Aufschluß geben, indem du meines Wissens doch etwas besser als ein ganz laier Jude (Laienjude) in der Schrift bewandert bist. Sieh, es sind uns bekannt alle die großen Verheißungen von – sage – Adam angefangen bis auf nahe unsere Zeiten herab; laut diesen durchaus nicht aus purer Luft gegriffenen Verheißungen erwarten wir einen Messias, der namentlich die Juden als das alte Volk Gottes von allen wie immer gearteten leiblichen und geistigen Übeln befreien soll! Nun, die Werke des berühmten Heilandes haben wir mit eigenen Augen gesehen und noch mehr aus der jüngsten Gegenwart von Augen- und Ohrenzeugen mit unsern höchst eigenen Ohren vernommen, was er alles tut und getan hat. Ich frage, ob Gott Selbst, aus Seinen höchsten Himmeln auf die Erde herabsteigend, mehr tun würde, und Wunderbarstes, als da eben der Heiland aus Nazareth tut! Die Antwort auf diese Frage kann nur ,Nein!‘ lauten.

2. Vor ungefähr drei Wochen wurde uns das ganz wie vom Grunde aus neu gestellte Haus, das nun dort eben auch einem Heilande – glaube mit dem Namen Joab oder auch anderslautend – gehört, dahin als etwas Außerordentliches gezeigt, das der Nazaräer in wenigen Augenblicken also aus einem förmlichen Steinhaufen von einer Ruine bloß durch seinen Willen hergestellt habe.

3. Man erzählte uns auch von einem Kaufmanne in der Nähe von Sichar, dessen Haus auch auf eine ähnliche Weise vergrößert und sehr geschmückt worden ist.

4. Die Heilungsgeschichten von Genezareth sind uns auch bekannt. Wir alle haben den geheilten Bruder unseres Gefährten aus den Bergen im Bezirke Genezareth selbst gesehen und gesprochen; nun haben wir die außerordentliche Heilung der gestern uns begleitenden fünf Rasenden so gut wie mit angesehen. Die unbegreifliche Weisheit Mathaels, der sich mit seinen Gefährten nun mit dem Hauptmann Julius und mit noch einem hohen Römer bespricht, ist uns davon mehr als ein sicherster Bürge!

5. Nun kommen noch die zwei Wunder, von einem – sage – Jünger ausgeführt, hinzu. Frage: Berechtigt uns dies alles nicht zu der Annahme, daß der große Heiland aus Nazareth eben der verheißene Messias ist? – Was meinst du da?“

6. Sagt Ribar: „Ja, ja, du möchtest schier recht haben! Weißt du, so ganz heimlich bin ich auch schon mit diesem Gedanken umgegangen, wie ein schwangeres Weib mit ihrer Frucht. Aber das ist ein doppelt heikler Punkt, sowohl gegenüber dem Tempel als auch gegenüber den Römern, denen so ein echter Messias der Juden, wie er verheißen ist, gewiß sehr ungelegen käme. Der Tempel aber setzt des Messias Ankunft nach seiner kabbalistischen (auf die Geheimlehre bezüglichen) Rechnung aus wohlweisen Gründen noch wenigstens gleich auf ein paar Jahrtausende hinaus; der würde jetzt, wo es ihm gar so gut geht, einen Messias gar nicht brauchen können. Den Römern aber dürfte es offenbar lieber sein, so er an ihrer Seite wäre, als an der Seite der Juden!

7. Daher bin ich hier offenbar dieser Meinung: Man glaube bei sich schön im stillen, was man will in Hinsicht des Verheißenen; aber man spreche seinen Glauben nicht eher offen aus, als bis die Sache noch evidenter (augenscheinlicher) am hellen Tage liegen wird! Jetzt dürfte man mit diesem Glauben so gut von der einen wie von der andern Seite her sehr bedeutende Anstände bekommen. Im übrigen bist du mit deiner Meinung wie mit deinen Gründen dafür durchaus nicht auf irgendeinem falschen Wege, sondern ganz nach meinem Sinne und nach meinen innersten Gedanken auf der rechten Spur; aber liebwerteste Freunde, unseres Heiles willen bleibe das vorderhand noch streng unter uns!

8. Aber du, Bruder Suetal! – betrachte du mit einiger Aufmerksamkeit nur den jungen, wundertätigen Jünger! Was er etwa doch wieder im Sinne haben mag? Fürs erste geht er nimmer zu seiner Gesellschaft zurück, und fürs zweite sieht er uns stets so gewisserart etwas fein spitzbübisch lächelnd an, als wenn wir so ein paar recht dumme Tölpel wären. Was er etwa doch haben mag? Sieh nur, nun kehrt er sich gar um und lacht förmlich in die Faust hinein! Wenn der Junge nur nicht gar so entsetzlich allmächtig wäre, so würde ich ihn zur Rede stellen; aber es ist mit so einem Menschen rein nichts mehr zu machen; denn dem wäre es nur so ein Scherz, unsereinen so in einen ganz gemütlichen Esel zu verwandeln, und wie stünde man nachher da?“

9. Spricht Raphael, sich umkehrend und noch mehr lachend, und zugleich mit Meiner Zulassung einen ganz gesunden Esel neben den Ribar hinstellend: „Siehe, gerade also, wie nun ein wirklicher neben dir steht!“

10. Ribar sieht sich um, erschrickt ganz gewaltig und sagt nach einer Weile seines sich immer mehr entsetzenden Staunens: „Oh, oh, oh, was ist denn das?! Von woher kam denn nun auf einmal dieser ganz wohlgenährte Esel?“

11. Sagt Raphael: „Von daher, von woher der Fisch gekommen ist! Aber jetzt frage ich dich, aus welchem Grunde geniere ich euch denn? Habe ich euch denn schon irgend etwas zuleide getan?“

12. Sagt Ribar: „Liebster und zugleich allerschönster junger Freund! Sieh, du bist uns zu allmächtig und siehst dabei so ein wenig spitzbübisch aus; daher haben wir einen eigenen Respekt vor dir, und es wird uns ganz entsetzlich angst und bange in deiner Nähe! Weil du aber schon einmal da bist und nicht zu deiner Gesellschaft zurückkehren willst, so tritt näher und beschreibe uns wenigstens, wie da aussieht der große göttliche Meister aus Nazareth; denn von den unbegreiflichen Wundertaten, die du vor uns ausgeübt hast, werden unsere Seelen nicht gesättigter! Wenn du, was durchaus nicht zu bezweifeln ist, irgend auch so zu reden verstehst, als wie fertig dir die rein göttlichen Wundertaten gelingen, da öffne du deinen schönen Mund und rede, beschreibend die äußere Gestalt!“

13. Sagt Raphael: „Wenn ich dürfte, so würde ich das auch recht gerne tun; aber ich darf bei aller meiner allmächtigen Kraft, die ich von dem ewigen Meister aller Dinge habe, nicht vor der Zeit aus der Schule schwätzen.

14. Es hat euch, und namentlich dich, geärgert, weil ich zuvor notgedrungen über euch habe lächeln müssen. Ich versichere euch, daß dahinter durchaus keine sogenannte Knabenspitzbüberei steckt; denn es gibt denn doch oft Gelegenheiten unter den sterblichen Menschen, besonders bei denen, die noch so in einem Zwielichte wandeln, daß ein durch und durch erleuchteter Geist, wie ungefähr ich einer bin, darob sich denn doch nicht so ganz des Lächelns enthalten kann. Für mich zum Beispiel ist das immer etwas, worüber ich noch allzeit zum Lächeln genötigt wurde, wenn irgend schon so recht weise und verständig sich Dünkende in einem Walde beisammenstehen und am Ende den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen und ihn als solchen erkennen! Ja, Freunde, wenn mir so etwas unterkommt, da muß ich lachen, und es hilft nichts dagegen!“

15. Sagt Ribar, etwas große Augen machend: „Stehen denn wir nun etwa auch in einem Walde und erkennen den Wald vor lauter Bäumen nicht?“

16. Sagt Raphael: „Materiell nicht, aber geistig ja, und deshalb mußte ich lachen. Sagt mir, weshalb fürchtet ihr denn gar so die Bekanntschaft mit dem großen Meister aus Nazareth?“

17. Sagt diesmal Suetal: „Siehe, lieber, weiser Jünger des großen Meisters, wir haben uns schon gegen diesen Freund hier, der dich hierher berufen hat, ganz unverhohlen ausgesprochen, aus was für einem Grunde es uns lieber ist, die persönliche Bekanntschaft mit ihm nicht zu machen, und es soll wohl bei diesem unserem sicher durchaus nicht schlechten Wunsche verbleiben!

18. Du stehst für uns arme Sünder schon viel zu hoch, und es wird uns darum ganz entsetzlich unheimlich in deiner Gesellschaft; denn von deiner Weisheit und Wissenschaft können wir doch unmöglich auch nur einen allerleisesten Dunst von einer Ahnung haben, und es wird uns darum ganz sonderbar in deiner Gesellschaft. Was ist aber ein Jünger gegen seinen Meister? Kannst du aber schon als ein jüngster Jünger des großen Meisters solch unerhörte Wundertaten verrichten, was wird erst deinem Meister alles möglich sein?! Uns aber ist es schon in deiner Nähe darum ganz entsetzlich unheimlich; wie unheimlich würde es uns dann erst in der Nähe des großen Meisters werden?! Das würden wir gar nicht aushalten! Darum bleibt es vorderhand dabei, die persönliche Bekanntschaft mit dem großen Meister nicht zu machen.

19. Nützen kann uns nur seine Lehre, deren Grundzüge wir bereits von diesem Freunde hier vernommen haben; damit sind wir vorderhand auch ganz zufrieden. Werden wir einmal durch die möglichst genaue Beachtung dieser göttlich reinen Lehre vollkommener als wir jetzt sind, so wird es uns dann sicher zur größten Seligkeit gereichen, mit dem großen Meister irgend auch die persönliche Bekanntschaft zu machen. Den hierher gezauberten Esel aber schenke dem hiesigen Gastwirte für uns; denn wir haben ohnehin nichts, womit wir ihn für das uns Dargereichte bezahlen könnten!“

20. Sagt Raphael: „Nun, so schenkt ihr ihm das ganz gesunde Lasttier und den Fisch; denn die beiden Tiere sind ja für euch geschaffen worden!“

Kapitel 057. Jesus verspricht den beiden, sie auf den Heiland aufmerksam zu machen.

1. Es kommt aber nun Markus, anzuzeigen, daß das Mittagsmahl fertig ist, und daß man zu Tische gehen wolle.

2. Sagt Suetal zu Markus: „Höre, du alter, guter Freund! Sieh, wir zwölf sind total arm und haben nichts, womit wir unsere Zeche bezahlen könnten; aber da sieh, dieser junge Jünger des großen Meisters aus Nazareth, der sich irgend hier in deinem Hause aufhält, hat durch seine Wunderkraft uns einen alleredelsten Fisch von sicher nahe hundert Pfund und nachher diesen Esel hervorgezaubert! Nimm du diese zwei Tiere in dein Eigentum anstatt unserer dir schuldigen Bezahlung; denn was sollen wir mit dem Esel und was mit dem Fische? Was sie uns aber als Sinnbilder sagen zu unserer Zurechtweisung, das haben wir schon heraus! Denn ein Fisch und ein Esel sind unseres Wissens noch nie als Symbole der Weisheit, sondern noch allzeit als Symbole der Dummheit gebraucht worden! Sei demnach so gut und nimm die beiden Tiere, die doch auch etwas wert sind, anstatt unserer dir schuldigen Bezahlung in deinen vollen Besitz!“

3. Sagt Markus: „Das will ich recht gerne tun, obschon ihr mir nichts schuldig seid; denn alles, was ihr hier schon verzehrt habt, und was ihr allenfalls noch verzehren werdet, ist ohnehin schon mehr denn hundertfach bezahlt! Jetzt aber seht ihr euch nur um einen Tisch um; denn es werden sogleich die Mittagsspeisen aufgetragen werden!“

4. Sagt Suetal: „Freund, sage uns, wer für uns denn schon also großmütigst die Zeche im voraus bezahlt hat, auf daß wir ihm unseren schuldigsten Dank abstatten können!“

5. Sagt Markus: „Das zu sagen ist mir nicht gestattet; darum begnüget ihr euch nur mit dem, was ich euch nun gesagt habe!“ – Mit diesen Worten entfernt sich Markus auf Meinen geheimen Wink, nimmt zugleich den Esel mit und übergibt ihn einem seiner Söhne zur einstweiligen Versorgung.

6. Nachdem Markus fort ist, sagt Suetal zu Mir: „Freund, ist der Alte nicht ein köstlicher Mensch?! Sieh, so ehrliche Menschen dürften wohl wenige auf dieser Welt zu treffen sein! Aber was meinst denn du, wer etwa für uns gar so übermenschlich großmütig mag die Zeche bezahlt haben?“

7. Sage Ich: „Wer sonst, als der große Meister aus Nazareth!? Denn der verlangt nichts umsonst. Wer ihm eins tut, dem zahlt er dafür zehn, und wer ihm zehn tut, dem bezahlt er dafür hundert!“

8. Sagt Suetal: „Ja, aber wir haben ihm weder eins noch zehn getan, und er hat für uns dennoch schon tausend bezahlt!“

9. Sage Ich: „Dieser Meister aber ist auch allwissend und weiß darum, daß ihr noch etwas für ihn tun werdet, und bezahlt euch darum schon zum voraus!“

10. Sagt Suetal: „Das lassen wir uns gefallen und werden solche seine Güte auch mit unserem Fleiße und großem Eifer abzudienen bereit sein, wenn wir nur einmal erfahren werden, welchen Dienst er von uns will!“

11. Sage Ich: „Ja seht, da wird es denn am Ende doch noch nötig werden, daß ihr mit ihm in eine nähere Bekanntschaft tretet! Am Ende nimmt er euch gar zu seinen Jüngern an?!“

12. Sagt Suetal zu Ribar: „Du, das wäre was! Am Ende könnten wir auch bald so etwas zustande bringen wie dieser schönste junge Mensch hier!? Wahrlich, unter solcher Aussicht möchte ich nun doch, wenn es leicht möglich wäre, seine persönliche Bekanntschaft machen!“

13. Sagt Ribar: „Ich auch, und wir alle so ganz eigentlich! Aber der erste Zusammenstoß wird wahrscheinlich ein noch ärgerer sein als mein ehemaliger mit dem verzweifelten Fische.“

14. Sagt Suetal: „Wer weiß? Der Schmiedl hämmert oft viel ärger auf seinem Amboß als der Schmied, um zu zeigen, daß er auch den Hammer zu führen versteht. Wenn sich so eine gute Gelegenheit etwa während des Mittagsmahles ergäbe, so könnte allenfalls dieser unser guter griechischer Freund uns durch einen Wink auf ihn aufmerksam machen!?“

15. Sage Ich: „O ja, diesen Gefallen kann Ich euch ganz leicht erweisen; aber wenn ihr ihn werdet erkannt haben, müßt ihr euch alle ganz ruhig verhalten und kein Aufsehen machen, denn das liebt er nicht! Er sieht da nur in das Herz und begnügt sich da vollkommen, wenn ihm darin ganz still eine rechte, lebendige Huldigung dargebracht wird!“

16. Sagt Suetal: „Oh, das können wir schon, und es ist auch so etwas um vieles gescheiter und weiser; darum sei du, liebster Freund, nur so gut und mache uns bei einer günstigen Gelegenheit während des Mittagsmahles aufmerksam auf ihn!“

17. Sage Ich: „Ganz gut, ganz gut; das wird schon geschehen! Aber nun sind die Speisen bereits auf die Tische gestellt; daher gehen wir hin und nehmen gleich den nächsten besten in Beschlag! Seht, dort unter der großen Linde stehen zwei Tische! Bei dem langen muß Ich schon der hohen Römer wegen Platz nehmen; ihr aber setzet euch gleich an den Tisch daneben, und wir werden also recht leicht miteinander korrespondieren können!“

18. „Jaja“, sagt Suetal, „so wird es sich am besten machen! Bin nun aber wahrlich über die Maßen begierig, den großen Mann, den wahren Messias der Juden zum ersten Mal persönlich kennenzulernen.“

19. Sage Ich: „Ganz gut, aber nun gehen wir an die Tische!“ – Ich gehe nun voran und die zwölf folgen Mir, und Raphael geht neben dem Suetal, was diesem nicht recht behagt, so daß er ihn darum fragt, ob er etwa gar willens sei, an ihrem Tische Platz zu nehmen.

20. Und Raphael bejaht solches mit der größten Freundlichkeit von der Welt, was aber dem Suetal eben nicht zu sehr mundet, weil er vor des Engels Allmacht noch immer einen ungeheuer großen Respekt hat. Aber weil der Raphael gar so freundlich mit ihm spricht, so fängt er an, ihn nach und nach etwas mehr liebzugewinnen, und macht sich aus dessen Gegenwart nicht mehr gar so viel.

Kapitel 058. Raphael als starker Fischesser.

1. Es wird nun allseitig sich an die Tische gemacht, die sich durch den Fleiß des alten Markus und seiner beiden, auch im Zimmern bewanderten Söhne um vier vermehrt hatten; denn Markus hatte einen ziemlichen Brettervorrat von Eichenholz wegen des Baues seiner Fischerboote, und der Raphael vermehrte ihm solchen durch Meine Zulassung in einem unmerkbaren Augenblick um ein bedeutendes, und so war es Markus ein leichtes, gleich eine Menge Speisetische samt Sitzbänken herzustellen in seinem Baumgarten.

2. Raphael setzte sich mitten zwischen Suetal und Ribar. An Meinem Tische aber, an dem wir uns in der Ordnung wie tags zuvor gesetzt hatten, ward auch Mathael mit seinen vier Gefährten hinzugelassen und mußte zwischen Julius und Cyrenius Platz nehmen. Zu Meiner Rechten saß wieder die Jarah, neben ihr Josoe, dann der Ebahl und nach dem Ebahl Meine Jünger, respektive die Apostel.

3. An den andern Tischen befanden sich natürlich die, die im Gefolge des Cyrenius und Julius waren; und die dreißig jungen Pharisäer unter dem Vorsitze ihres Redners Hebram hatten hinter Meinem Rücken einen langen Tisch, also, daß sie sämtlich auf Meinen Tisch und auf den kleinen Tisch der zwölf sehen konnten.

4. Eine gehörige Menge von bestbereiteten Fischen ward überall aufgetragen, und am besten Brote und Weine hatte es keinen Mangel. Wir fingen an zu essen, und die zwölf konnten die Fische nicht genug loben und griffen wacker zu; aber am meisten verzehrte der Raphael. Er verschluckte sozusagen einen Fisch um den andern, was dem Suetal sehr aufzufallen anfing, und er wußte nicht, was er daraus machen sollte.

5. Als Raphael aber den letzten Fisch aus der Schüssel hob und auf sein Speisebrettlein legte, ihn in Stücke zu teilen anfing und darauf ein Stück ums andere mit einer gewissen Hast in seinen Mund zu schieben begann, da ward das dem Suetal und dem Ribar zu bunt, und Suetal sagte zwar ganz artig zum Raphael: „O du lieber, schönster junger Freund, was für einen ungeheuren Magen mußt du denn doch haben, daß im selben solch eine Menge Fische und so viel Brot Platz haben?! In unserer großen Schüssel befanden sich sicher bei zwanzig Fische; wir haben nur zwölf verzehrt, und die acht größten hast du allein unters Dach gebracht! So ein junger Mensch und so viel essen?! Das kann doch unmöglich gesund sein! Na, mir ist es recht, und Gott der Herr segne es dir! – Gehört denn das nach der Lehre des großen Meisters etwa auch zur Erreichung der Weisheit und Allmacht, daß man so viel essen muß?“

6. Sagt Raphael lächelnd: „Das wohl nicht! Aber so es mir schmeckt und es ist da, warum sollte ich nicht so viel essen, als es mir schmeckt?! Siehe hin nach dem Tempel zu Jerusalem, wieviel der im Namen Gottes an allerlei Opfern täglich verzehrt! Könnte man da nicht füglicher noch fragen und sagen: Aber Jehova ist doch ein wahrer Nimmersatt; alle Tage verschlingt Er eine Menge Ochsen, Kühe, Kälber, Schafe, Lämmer, Hühner und Tauben und Fische und Ziegen und viele große Laibe Brotes und viele Schläuche Weines und hat nach all solchem gewaltigen Fraße noch eine große Gier auf Gold, Silber, Perlen und allerlei kostbarste Edelsteine!?

7. Hast du je gefragt, ob Gott wirklich solch ein Vielfraß ist?! Nein, das hast du nicht; denn du wußtest, daß da nur die Gottesdiener die Vielfresser sind! Was sind meine acht Fische gegen die hundert Ochsen, Kühe, Kälber und dergleichen?! Wenn die Diener Gottes im Tempel sich das Recht ungestraft nehmen dürfen, gar so ungeheuer vieles auf den Namen Gottes zu verzehren, warum sollte denn ich fasten, der ich doch sicher mehr ein Gottesdiener bin als die Vielfresser im Tempel?!“

8. Suetal sagt: „Ja, ja, du hast wohl recht; mich hat es nur sehr wundergenommen, wie du, als ein überaus zarter Jüngling, uns alle im Essen bei weitem überboten hast und gar keine Rücksicht nahmst auf uns, ob wir vielleicht auch noch etwas von den guten Fischen gemocht hätten!“

9. Sagt Raphael: „Hast du schon erlebt, daß die Diener Gottes im Tempel je irgendeine Rücksicht darauf genommen hätten, ob die Opfernden daheim noch etwas zu essen haben? Sie nehmen ihnen ohne alle Rücksicht die Opfer und den Zehent ab, ob die Opfernden auch in der nächsten Stunde Hungers sterben! Und siehe, die wollen Gottes Diener sein und sind es auch in den Augen des blinden Volkes! Du aber hast darum diese Gottesdiener noch nie auch nur ganz geheim bei dir selbst zur Rede gestellt; was sorgst du dich denn nun gar so um meine Gesundheit, da ich dir doch faktisch (in der Tat) bewiesen habe, daß ich ein echter Gottesdiener bin?!“

10. Sagt Ribar: „Freund Suetal, mit dem scheint nicht gut wortwechseln zu sein! Der Junge riecht stark nach Mathael und könnte uns etwa so mir und dir nichts unsere ganze Lebensbeschreibung ins Gesicht hersagen!“

11. Sagt Raphael: „Mußt nicht gar so still (leise) reden, sonst verstehe ich dich ja schwer und offenbar noch schwerer der Suetal!“

12. Sagt Ribar: „Ja, ja, ich habe nur zu laut gesprochen!“

13. Raphael: „Und wolltest von mir gewisserart doch nicht verstanden sein! Sieh, ich höre und sehe deine Gedanken; wie sollte ich deine Worte etwa nicht hören?! Sieh, das Tier, das ich dir zuvor an die Seite gestellt habe, hat denn doch noch so manche Ähnlichkeit mit dir! Aber ich sage es dir, wenn du zuvor nicht ebenso demütig werden wirst wie das graue Tier, wirst du das enge Pförtlein zur wahren Weisheit nicht finden!“

14. Sagt Ribar: „Aber sage mir, Freund, warum du mir denn so ganz eigentlich die Schande vor so vielen Menschen angetan hast!?“

15. Sagt Raphael: „Habe ich dir's doch dort deutlich gesagt, daß ihr noch so blind an eurer Seele seid, daß ihr den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen könnet. Und so blind ihr dort waret, so blind seid ihr auch jetzt noch, trotzdem ihr zuwenig Fische verzehrt habt! Wollt ihr aber noch Fische, da saget es, und es werden wohl noch welche im Meere vorrätig sein!“

Kapitel 059. Gute und böse Eigenschaften bei Zurechtweisungen.

1. Sagt ein dritter aus der Gesellschaft der zwölf, der Bael heißt: „Freunde, laßt auch mich einmal ein Wort reden! Ich rede zwar für gewöhnlich wenig und höre etwas Weises lieber ganz wortlos an; aber bei aller eurer beider Rede hat bis jetzt noch sehr wenig Weisheit herausgeschaut. Der junge Jünger hat im Ernste recht, so er euch recht tüchtig auslacht; denn ich sage es euch auch, daß ihr den Wald vor lauter Bäumen nicht seht. Bedenket, wer wir sind und wer die große Gesellschaft ist; dann danket Gott, daß wir noch leben! Wir sind elende, schwache und gänzlich wertlose Erdwürmer, und diese Gesellschaft besteht aus Machthabern, vor denen die ganze Erde bebt; und wir Würmer getrauen uns noch, mit ihnen Worte der dümmsten Art zu wechseln!? Was hat es dich, Freund Suetal, denn geniert, daß dieser hohe, wundertätige und wahrhaft allmächtige Jüngling nun vor uns acht Fische verzehrte?! Sind wir hier denn nicht Gratisgäste, und sind wir nicht satt geworden? Ich meine: So wir nun mehr denn hinreichend gesättigt sind, was wollen wir da noch weiteres? Ist dieses Jünglings Natur also beschaffen, daß er, um sie zu befriedigen, mehr essen muß als wir ausgehungerten Tempellumpen, so haben wir darob ja doch kein kritisches Auge zu machen! Denn fürs erste hat er nicht aus unserem Beutel gespeist, und fürs zweite war es von eurer Seite im höchsten Grade unschicksam, ihn darum gewisserart zur Rede zu stellen! Ich bitte euch, werdet doch einmal klüger! Diesem Jünger gehorchen gewisserart alle Elemente, und ihr redet mit ihm, als wäre er so ganz schon euresgleichen. O ihr wahrhaft dummen Esel ihr! Er verdient mehr denn die Propheten der Vorzeit alle unsere Verehrung, des Geistes Gottes wegen, der durch ihn waltet, und ihr behandelt ihn wie einen euch ganz Ebenbürtigen! Wenn ihr im Tempel vor den Hohenpriester treten mußtet, da bebtet ihr vor lauter Ehrfurcht; hier ist millionenfach mehr als tausend Hohepriester auf einem Fleck, und ihr benehmet euch wie ein paar allerwahrhaftigste Trottel! Pfui, schämet euch! Seid stille, höret und lernet etwas; dann erst redet mit Menschen, die minder weise sind denn ihr! Aber den göttlichen Jüngling lasset mir in Ruhe, sonst müßte ich grob werden mit euch im Namen aller der andern Brüder, die hier an diesem Tische sitzen!“

2. Sagt Raphael: „Hast zwar gut gesprochen, lieber Bael; aber es sind so derbe Zurechtweisungen nie ganz in der Ordnung, weil sie im Hintergrunde nicht die Liebe, sondern einen versteckten Hochmut haben. Denn wenn du in solcher Derbheit deine Brüder zurechtweisest, so erbrennst du aus deinem Ärger, wirst erbost, und überredest dich selbst bis zum Zorn und richtest dann nichts Gutes aus; denn auf Dornen und Disteln wachsen keine Trauben und Feigen, und aus einer Brandstätte kommt lange kein Gras zum Vorschein.

3. Wenn du deinen Bruder führen willst, so mußt du ihn nicht so fest am Arme packen wie ein Löwe seine Beute, sondern wie eine Henne ihre Küchlein führt, also auch du deine Brüder; dann wirst du von Gott angesehen werden, dieweil du gehandelt hast nach der Ordnung der Himmel.

4. Versuche du zuvor stets die Kraft und die Macht der Liebe, was diese vermag, und wie weit sie reicht! Sollte es sich zeigen, daß in ihrer Sanftheit wenig oder nichts ausgerichtet wird, dann erst umhülle du die Liebe mit dem Gewande des vollen Ernstes und führe also aus tiefster Liebe deinen Bruder ernst festhaltend, bis du ihn gebracht hast auf den rechten Weg! Steht er einmal darauf, dann enthülle deine Liebe, und der Bruder wird dir dann ewig ein himmlischer Freund voll Dankbarkeit bleiben! Und das ist besser, weil es ist in der Ordnung Gottes von Ewigkeit.“

5. Bael macht hier große Augen auf diese Zurechtweisung, und Suetal und Ribar drücken vor lauter Freude darüber dem Raphael die Hände; denn es gefiel ihnen wohl, an dem vermeinten jungen Jünger einen Vertreter ihres Menschenrechtes gefunden zu haben.

6. Aber der junge Jünger sagt zu ihnen: „Freunde, die Dankbarkeit für einen guten Dienst ist gut, wenn sie einen guten Grund hat; wenn aber der Grund nicht völlig gut ist, ja, eigentlich mehr schlecht als gut, dann ist auch die ganze und noch so reichliche Dankbarkeit nicht um ein Haar besser als der Grund selbst!“

7. Bei dieser Bemerkung des Raphael machen Suetal und Ribar große Augen, und Suetal fragt den Raphael, sagend: „Aber, liebster junger Freund, sage es uns doch, wie du solches meinst!? Es scheint uns, daß du mit unserer Dankbarkeit durchaus nicht zufrieden bist!“

8. Sagt Raphael: „Seht, bei einem Menschen nach der Ordnung Gottes muß am Ende auch alles in der vollen Ordnung Gottes sein. Die reine Liebe als das Fundament alles Lebens wie in Gott also auch im Menschen muß aus jeder Handlung hervorleuchten. Ihr seid mir nun dankbar, daß ich den Bael zurechtgewiesen habe, weil seine an euch gerichtete Zurechtweisung nicht auf dem Grunde der Liebe, sondern auf dem des Ärgers basierte, der ein Abkömmling des Zornes und der Rache ist. Bael hatte euer Gemüt offenbar verletzt, und ihr erbranntet darob geheim in eurem Herzen vor Ärger und hegtet zugleich den Wunsch, daß dem Bael dafür möchte eine so recht derbe Zurechtweisung zuteil werden. Und seht, solch ein Wunsch ist so ein jüngstes Kind des Rachedurstes, der nur in der Hölle daheim ist! Nun aber bin ich eurem Wunsche zuvorgekommen und habe ihm das Arge seiner Zurechtweisung klar gezeigt, und darüber habt ihr beide dann eine Freude in euch empfunden und waret mir darob dankbar.

9. Aber eure Freude war nicht darum in euch entstanden, weil ich den Bruder Bael auf den rechten Weg der Ordnung Gottes gebracht, sondern weil ich ihm an eurer Statt und nach eurer Meinung so einen recht festen Hieb versetzt habe, wodurch euer Rachedürstlein ein wenig abgekühlt wurde und ihr noch einen Grund habt, ihm zur noch öfteren Nachabkühlung eures Rachedürstleins solches vorzuhalten. Und seht, weil eure Dankbarkeit auf solch einem Grunde basiert war, der schlecht ist, weil keine Liebe darin war, so kann auch die Dankbarkeit selbst nicht gut sein!

10. Ah, wenn eure Dankbarkeit aber eine Frucht jener echt himmlischen Freude ist, daß ein etwas verirrter Bruder wieder auf den rechten Weg gesetzt worden ist, dann ist sie auch eine Frucht der Ordnung der Himmel, die Liebe heißt, und ist aus solchem Grunde heraus gut.

11. Wollt ihr, wie ihr berufen seid, wahrhaftige Kinder Gottes sein, so darf euch nie irgendein Grund zu einer Handlung bewegen, der da nicht in allen seinen Teilen auf der reinen Liebe basiert wäre; von einem Ärger, von einem Rachedürstlein und von einer noch so geringen Schadenfreude darf in eurem Herzen keine Spur vorhanden sein, denn das gehört der Hölle und nicht dem Himmel an.

12. Seht, wenn da in eurem Hause ein Bruder schwer krank am Leibe darniederläge und stünde in großer Gefahr, von der Krankheit getötet zu werden, wodurch ihr unter großer Traurigkeit einen lieben Bruder verlieren könntet, so werdet ihr sicher alles aufbieten, um dem Bruder zu helfen von seinem Leiden und ihn zu retten vor der Todesgefahr! Welch eine Freude werdet ihr haben, wenn durch eure Mühe eurem Bruder von Stunde zu Stunde besser und besser wird!

13. Wenn ihr aber schon eine solche Freude über die leibliche Besserung eures Bruders in euch empfindet, – um wieviel mehr habt ihr, als sämtlich Kinder eines und desselben guten Vaters im Himmel, euch zu freuen, wenn ein seelenkranker Bruder, der auf dem Wege des möglichen ewigen Verderbens stand, wieder geheilt wird zum ewigen Leben!? – Sehet ihr das ein oder nicht?“

Kapitel 060. Suetal offenbart sich als Schwätzer.

1. Sagt Suetal: „Freund, so wie du redet kein Mensch dieser Welt! Du mußt ein höheres Wesen aus den Himmeln Gottes sein! Am Ende bist gar du selbst der große Heiland aus Nazareth?“

2. Sagt Raphael: „Oh, mitnichten! Dem auch nur die Schuhriemen zu lösen, bin ich ewig unwürdig! Ich bin dem Geiste nach wohl von oben her, aber nun diesem ebenfalls irdischen Leibe nach bin ich nur das und der, als den ihr mich habt kennengelernt!“

3. Sagt Suetal: „Aber nun, da wir, wie die vielen andere Gäste, schon abgespeist haben, möchte ich denn doch den himmlischen Meister kennenlernen, um ihm meine tiefste Verehrung zu bezeigen!“

4. Sagt Raphael: „Bin noch nicht ermächtigt dazu; wenn es an der rechten Zeit sein wird, wirst du und deine Brüder Ihn schon erkennen! Aber sieh, es ist nun noch so manches Unreine in eurem Herzen! Das müsset ihr erkennen und es als solches verabscheuen und aus euch schaffen dadurch, daß ihr in der Folge und von dem Augenblicke an, als ihr das Unlautere erkennet, es nimmer bei irgendeiner Gelegenheit verüben wollet; dann werdet ihr tauglich sein, den großen Meister vollauf zu erkennen!

5. Nun aber gebet alle wohl acht! Der Freund, der früher mit euch geredet hat, wird nun, nach seiner Miene zu urteilen, irgendeinen Vortrag halten; denn ich habe es bemerkt, daß der neben ihm sitzende Oberstatthalter Cyrenius ihn um etwas gefragt hat, – und siehe, wenn die Großen reden, müssen die Kleinen schweigen und zuhören, wo ihnen solches irgend gestattet ist! Darum wollen wir nun schweigen und einmal sie, unsere hohen Nachbarn, reden lassen!“

6. Fragt noch einmal Suetal den Raphael, sagend: „Könntest du, liebster junger Freund, mir denn nicht sagen, wer der nun reden wollende gute Freund eigentlich ist?“

7. Sagt Raphael: „Nein, jetzt nicht, denn nun heißt es schweigen und hören! – denn wenn der so recht über was immer zu reden beginnt, ist es stets vom höchsten Interesse, ihn anzuhören! Darum von nun an, bis er wird ausgeredet haben, kein lautes Wort mehr an unserem Tische!“

8. Mit dem begnügt sich Suetal und auch alle die andern und warten mit Ungeduld auf den Anfang Meiner Rede. Ich aber konnte mit Meiner Rede nicht eher beginnen, als bis der Cyrenius mit seiner durchaus sehr gewichtigen Frage über die Ehe, über den Ehebruch, über die Ehescheidung und über den Beischlaf mit einer Jungfrau noch ledigen Standes zu Ende war.

9. Suetal fragt nach ein paar Minuten schweigenden Harrens: „Na, wann wird er denn doch einmal anfangen?“

10. Sagt Raphael: „Aber du blinder und tauber Mensch, siehst du denn nicht, daß Cyrenius mit der Frage noch nicht zu Ende ist!? Oder kann man wohl eher zu reden und eine Frage zu beantworten anfangen als dann erst, wenn die Frage völlig zu Ende ist?! Gedulde dich, die Antwort wird nicht ausbleiben!“

11. Mit diesem Bescheide ist Suetal vorderhand zufrieden; aber Cyrenius dehnt seine Frage durch allerlei Nebenbemerkungen sehr aus, und Ich komme darum noch immer nicht zur Antwortgebung. Cyrenius spricht der nebensitzenden Jarah wegen etwas schwach, so daß natürlich unsere Nachbarn von seiner Frage nicht viel verstehen und sich darum sehr zu langweilen anfangen, weil sie nun von keiner Seite her ein lautes Wort vernehmen; denn bei den Römern war das eine Hauptlebenssitte, daß da Tausende schweigen mußten, so ein Hoher nur eine Miene machte, die allen andeutete, daß er reden werde.

12. Es vergehen nun abermals einige Minuten, und Ich rede noch nicht; da sagt Suetal zum Raphael: „Freundchen, die beiden Herren reden ja ganz stille miteinander! Von dieser vielleicht sehr weisen Unterredung werden wir nicht gar zuviel gewinnen, und wir könnten darum ganz bequem unter uns über etwas zu reden anfangen, was unsern Nachbarn vielleicht sogar sehr erwünscht wäre! Denn wenn solche hohen Herren still etwas untereinander reden, geben sie den sie umgebenden kleinen Menschen zu verstehen, daß sie nicht gehört werden wollen! Wir tun daher sehr unrecht, wenn wir nun also gänzlich schweigen und dadurch zu deutlich unsere Unartigkeit vor ihnen an den Tag legen; daher sollen wir auch über etwas reden!“

13. Sagt Raphael: „Schau, schau, was du doch für ein pfiffiger Kopf bist! – Dort siehe hin, es kommt noch eine zweite Ladung von wohl zubereiteten Fischen und von Broten und von mehreren Bechern voll des besten Weines auf diesen Tisch, weil ihr alle wegen meines bedeutenden Appetites etwas zu kurz gekommen seid!“

14. Sagt Suetal: „Gott Lob darum; denn ich wenigstens gewahre noch so einige Leerheiten in meinem Magen! Der Fisch, den ich vorhin verzehrte, war keiner von den größeren, und des Brotes war eigentlich auch kein zu bedeutender Überfluß an unserem Tische, und so kann uns ein solcher Nachtrag nur sehr erwünscht kommen.“

15. Nun war Markus auch mit dem erwünschten Nachtrage an dem Tische und sagte: „Verzeiht, liebe Freunde! Dieser Tisch ist vorhin etwas schwächer als die andern bedacht worden, und so habe ich aus meinem großen Vorrate noch einen Nachtrag bereiten lassen; Gott der Herr segne ihn für euch alle!“

16. Darauf greifen nun bis auf den Engel alle wacker in die Schüssel und verzehren mit Hast die sehr gut zubereiteten Fische, sparen dabei das Brot nicht und verstehen sich auch auf den Wein. Es währt nicht lange, und der Tisch ist seiner neuen Last völlig ledig.

17. Als sie also den Tisch ohne Beihilfe des Engels gelüftet haben, sagt Suetal: „Gott dem Herrn und dem allein guten Vater der Engel und Menschen allein alles Lob! Nun wäre ich wieder einmal also gesättigt, wie ich es seit einem halben Jahre nicht mehr war! Jetzt läßt sich's schon schweigen und mit aller Geduld harren auf die versprochene Rede des weisen Griechen, der wahrscheinlich so ein geheimer Ratgeber des Hohen Statthalters von Cölesyrien und respektive Oberstatthalters von ganz Asien ist. Aber die von unserem jungen Freunde vorgesagte Rede läßt hübsch lange auf sich warten!

18. Der Oberstatthalter wird mit seiner sicher sehr umständlichen Frage nicht fertig, und der andere kann ihm nicht eher Antwort bringen, als bis der Oberstatthalter mit seiner sicher sehr gewichtigen Frage zu Ende sein wird! Das wird noch so eine hübsche Zeit hergehen! Auch die dreißig jungen Pharisäerchen und Levitchen spitzen schon sehr ihre Ohren! Aber es kommt noch lange keine Rede zum Vorschein!

19. Das junge Mädchen gefällt mir aber im Ernste gar nicht schlecht; aber in den Griechen scheint es bis über die Ohren verliebt zu sein! Es wendet ja kein Auge von ihm ab und scheint aus seinen Augen allerlei zu lesen; auf den jungen Sohn des Statthalters scheint es kein Auge zu haben, obschon er gar stattlich gekleidet neben ihr sitzt und sich, wie es scheint, so ein wenig zu langweilen anfängt! Oho, nun kommen ja noch vier recht artige Maide aus dem Hause! Das werden wahrscheinlich die Töchter des Wirtes sein! Was sie etwa nun machen werden?!“

20. Sagt Raphael: „Ich meine, daß du, Freund, ein Schwätzer bist und gar nicht stille sein kannst! Siehst du denn nicht, daß die Hausmaide die leeren Schüsseln abzuholen kommen, um sie für den Abend zu reinigen?! Bist du denn eines gar so beschränkten Geistes, daß du so etwas nicht auf den ersten Blick einsiehst? Wahrlich, du wirst noch lange kein Mathael!

21. Versuche dich doch einmal, ob du schweigen und im stillen bloß nur denken kannst; denn eine gewisse äußere Ruhe ist notwendig zur Erweckung des Geistes, ohne welche dieser allergewichtigste Lebensakt nie in die erfüllende Wirklichkeit übergehen kann!“

Kapitel 061. Raphaels Belehrung über die Einkehr im eigenen Herzen.

1. Raphael: „Siehe, in eines Hauses Innerem ist seit langem schon alles in der höchsten Unordnung; voll Schmutzes und allerlei Unflates sind dessen Gemächer. Aber der Hausherr hat stets auswärts etwas zu tun und nimmt sich daher nie eine rechte Zeit dazu, um das Innerste seines Hauses rein zu machen; da er aber zur Nachtzeit dennoch darin die Ruhe nehmen muß und die unreine Luft einatmet, so wird er krank und schwach, und es wird ihm fürder schwer werden, sein Haus zu reinigen und in der schlechten Luft zu genesen.

2. Und siehe, so ist dein Herz auch ein Haus der Seele und vorzüglich des Geistes! Wenn du aber immer nach außen hinaus tätig bist, wann wirst du da dein Lebenshaus reinigen, auf daß dein Geist gedeihe in der guten Luft deiner Seele?

3. Also ist fürs Gedeihen der Seele und des Geistes in ihr vor allem, was du tust, die äußere Ruhe notwendig!“

4. Sagt Suetal: „Aber Mathael sagte, daß das Leben ein Kampf sei und man es in der behaglichen Ruhe des Fleisches nicht erreichen kann; Mathael spricht sonach anders denn du, und du nun wieder anders denn er! Wer aus euch beiden hat nun recht?!“

5. Sagt Raphael: „Ich und der Mathael! Das Leben ist freilich ein Kampf, aber nicht ein ausschließlich äußerer, sondern ein ganz gewaltiger innerer gegen den äußeren! Der äußere Mensch muß am Ende von dem inneren total überwunden werden, ansonst stirbt der innere Mensch mit dem äußeren! Laß darum nun deiner Fleischzunge vom inneren Menschen einen Zaum anlegen, auf daß sie ruhe, damit die innere Gedankenzunge der Seele tätig werde und erkenne, wie sehr mistig und unlauter es noch aussieht in ihrem Lebenshause!

6. Bekümmere dich nicht um all die äußeren, nichtigen Erscheinungen; denn es liegt wenig daran, ob man ihren Grund kennt oder nicht! Aber in der wahren Sabbatfeier erkenne den wahren Grund des inneren Lebens der Seele und des Geistes; daran soll dir und jedem Menschen alles gelegen sein!

7. Was nützt es denn dir, so du wohl weißt und empfindest, daß du bist und lebst, aber dabei nicht weißt, ob du im nächsten Augenblick auch sein wirst und fühlen, daß du es bist?! Was nützen dir alle Kenntnisse und noch so hohe Wissenschaften, so du dein Leben nicht kennst und keine Wissenschaft von dessen Grunde in dir fühlst?!

8. Willst du aber dein Innerstes erkennen, so mußt du deine Sinne ja vor allem nach innen richten, gleichwie du deine Augen dahin wenden mußt, wo du etwas erschauen willst; wie willst du aber den Aufgang sehen, so deine Augen dem Abende zugewandt sind?! Siehst du, der du doch selbst schon ein Rabbi warst, nicht ein, daß du in Hinsicht deiner höchst eigenen Lebenssphäre noch so blind bist wie ein Embryo im Mutterleibe?!“

9. Sagt Suetal: „Ja, ja, ja, das sehe ich jetzt sehr gut ein, und wir alle werden nun schweigen wie eine Statue aus Stein!“

Kapitel 062. Risas Weltweisheit.

1. Darauf wird es still an dem Tische, dafür aber geraten die dreißig jungen Pharisäer und Leviten in einen Zank untereinander, weil ihnen ihr Redner Hebram auch das Schweigen gewisserart befohlen hat. Besonders ist unter ihnen ein gewisser Risa, dessen Eltern viele Güter besitzen, die nach ihrem Tode ihm als dem einzigen Erben zufallen müßten. Dieser hält sich sehr auf, als ihn Hebram daran erinnert, daß er nun lieber der weisen Worte Mathaels und besonders jener des Heilandes aus Nazareth in der Ruhe seiner Zunge gedenken solle, als in einem fort seinen Mund um sein nichtiges Erbe zu wetzen.

2. Risa aber macht dem Hebram die schmutzige Gegenbemerkung, sagend: „Die armen Teufel werden am Ende stets fromm und rutschen in allerlei Weisheit, weil sie wissen, daß sie von der Welt nicht viel zu erwarten haben; und die Großen und Reichen werden manchmal auch fromm und weise, auf daß sie die rabiat gewordenen armen Teufel leichter wieder zur Sanftmut und Geduld zurückführen können und diese sich künftighin ihre sie sehr drückende Armut wieder gefallen lassen!

3. Der Reiche geht in die Synagoge und betet vor dem Angesichte des Armen, um diesem glauben zu machen, wie fromm man sein müsse, um von Gott also gesegnet zu sein; und der Arme betet ebenfalls viel, erstens, um auch von Gott gesegnet zu werden, und zweitens, daß ihn der Reiche sieht und ihm darob etwa doch ein Almosen reicht. Was Unterschiedes ist dann zwischen beiden? Gar keinen Unterschied gibt es da! Denn da blendet der Reiche den Armen und der Arme so viel als möglich den Reichen, um von ihm etwas zu bekommen. Aber mich führt niemand hinters Licht, auch kein Wundertäter; denn die Wundertäter wissen es gar gut, für wen und warum sie ihre Scheinwunder verrichten! Wenn sie sehr große Meister ihrer geheimen Künste sind, da schlagen sie oft freilich groß und klein breit, werden förmlich als höhere Wesen verehrt und dadurch reich und mächtig!

4. Kurz, für die Blinden ist es leicht, ein Maler zu sein; man malt ihnen einen Bären vor und sagt: ,Seht, das ist eine reizende Jungfrau!‘, und sie glauben es. Sollte aber vor mir jemand ein Wunder machen, so wird er dadurch den scharfsehenden Risa dennoch nicht blenden und sich auch kein Almosen verdienen und bekommen!

5. Alles in der Welt ist Betrug; der am feinsten betrügen kann, ist stets am höchsten oben! Der es aber in seinen Betrügereien etwas ungeschickter macht, der wird auch auf der holprichten Bahn des Glückes keine zu großen Sprünge tun!

6. Glücklich aber ist nur der, welcher schon vom Anbeginn her ein reicher Besitzer ist von allerlei Gütern und dazu vom möglich größten Scharfblick, auf daß ihm nicht ein Bär für eine zarte Jungfrau vorgemalt werden kann! Das ist meine gesunde, von keinem armen pfiffigen Teufel umnebelte Anschauung der Welt und aller ihrer Verhältnisse! So war es allzeit und wird auch allzeit so verbleiben!

7. Mit dem ewigen Leben nach dem Tode aber lasse mich nur ein jeder in der Ruhe! Denn was daran ist, zeigt uns jedes Grab sowie jeder vor Alter umgefallene Baum in einem Walde. Was aus der Erde kommt, wird wieder zu Erde, und sonst gibt es nichts – außer die fromme Einbildung von seiten der armen Teufel, die von den Reichen natürlich gerne unterstützt wird!“

8. Hebram ist, wie schon ehedem bemerkt, über derlei Äußerungen sehr entrüstet und sagt zu Risa: „Bei dir sind demnach Moses und alle die großen und kleinen Propheten nichts als entweder wirkliche oder erdichtete Betrüger der blinden Menschheit, und der gegenwärtige Heiland aus Nazareth wird bei dir um kein Haar besser stehen?!“

9. Sagt Risa: „Wenn auch gerade für keine böswilligen Betrüger, aber für Betrüger besserer Art immerhin; denn alle verstanden sich gar gut darauf, den blinden Menschen, wennschon gerade keine Bären, so aber doch Affen statt der Menschen hinzumalen und das X für ein U hinzustellen!

10. Was aber den Heiland aus Nazareth betrifft, so ist er sicher auch mit den heimlichen Kräften durch Unterricht sehr vertraut geworden; er kann sie nun benutzen; und wir, als in das Uneingeweihte schauen darein wie ein Ochse in ein neues Tor, und wissen es nicht, wo aus und wo ein die Sache gehet!

11. Aber seine Lehre ist gut; denn so alle Menschen solch eine Lehre hätten und sie befolgten, da müßte es am Ende allen Menschen auch möglichst gut gehen! Aber wer wird solche Lehre jetzt allen Menschen auf der weiten Erde verkünden? Und wäre das auch irgend ermöglicht, Frage: Auf welche unüberwindlichen Anstände und Hindernisse würde solch eine Arbeit stoßen?!

12. Denn in allen Dingen sind die Menschen zugänglicher als eben in der Sache ihrer verschiedenen Religionen und Gotteslehren!

13. Der gemeine Mensch ist überall bei weitem mehr Tier als Mensch. Es fehlt ihm jede höhere Intelligenz, und er wird sich darum von seiner tausendjährigen Begründung trotz aller ihrer mit Händen zu greifenden Falschheit und süßen Torheit nicht herausheben lassen; der mehr intelligente Mensch aber wird sich denken: ,Bei der alten Dummheit ist gut leben; wozu etwas Neues, von dem man keine Erfahrung hat, wie es aufgenommen würde, und wie sich's dann dabei leben ließe?‘ Daher gelten solche Aufhellungen für einzelne Orte und sind soviel als möglich geheim zu halten, so sie ihren wenigstens einige Menschen beglückenden Wert vor der großen Weltmenge erhalten sollen; geht so etwas einmal in die Allgemeinheit über, so verliert es seinen Wert, wird bald lächerlich, und es krähet dann kein Hahn mehr danach. Was ein – sage – Mensch bewirken kann, das machen ihm dann bald Tausende nach, wenn sie in die Sache nur einigermaßen eingeweiht werden!

14. Und so, meine ich, wird dieser sonst gute Meister aus Nazareth auch bald eingehen, besonders, wenn er seine geheimen Wissenschaften auch den andern Menschen einlernen wird, wie wir solches gerade ehedem bei dem jungen, schönen Menschen gesehen haben, der im Wunderwirken schon eine meisterliche Fertigkeit erlangt hat!

15. Wenn aber ein Jünger schon solche unerhörten Dinge zuwege bringt, was bleibt dann noch für den Meister übrig?! Können die Jünger gehörig schweigen, dann kann daraus wenigstens eine einträgliche Anstalt kreiert (geschaffen) werden, wenn sie sich's mit den Machthabern der Welt nicht verdirbt; denn diese unterstützen gerne solche Institute, die ihrer außerordentlichen Effektuierung (Wirkung) wegen ganz geeignet sind, das Volk mit im Zaume zu halten durch großartige Verheißungen im einstigen Jenseits, bestehend gewöhnlich im Lohn oder in einer unendlichen Strafe.

16. Sowie aber dann dergleichen geheime Wissenschaften ins Volk kommen und demselben reiner Wein eingeschenkt wird, dann ist es aus! Da wird endlich alles bekrittelt und verlacht, kein Mensch hält irgend mehr etwas darauf und aller früher so erhaben begeisternde Wert ist unwiederbringlich verloren, und die Menschen sinnen dann auf etwas noch Außerordentlicheres, finden aber gewöhnlich nichts mehr, solange sie helle bleiben. Nur nach Jahrhunderten, wenn irgendeine alte, süße Dummheit wieder Platz gegriffen hat, kann irgendein abenteuerlicher Pfiffikus schon wieder sich irgendein Völklein auf etliche Jahrhunderte zinspflichtig machen, wenn er es recht gescheit anstellt; stellt er es aber nur so ein wenig dumm an, so kann er dann bald sehen, wie er mit heiler Haut das Freie gewinnen wird.

17. Seht, ich bin wahrlich kein Prophet, wie es einen eigentlichen wahrscheinlich auch nie und niemals gegeben hat! Aber ich getraue es mir nun fest zu behaupten, daß sich der Tempel mit seinen großartigsten Prellereien kaum mehr ein Jahrhundert halten wird, trotz aller seiner vermeinten Vorsicht! Denn wenn solch eine Anstalt einmal zu gewinnsüchtig wird, dann verrät sie sich bald, verliert den erhabenen Nimbus, und aus ist's mit ihr! Zweitausend Jahre scheint aber schon der längste Termin zu sein, den eine Lehre behaupten kann; dann fällt sie in ihre Nichtigkeit zurück, und man kann nur in irgendeiner Chronik noch einzelne Bruchstücke von ihr zu Gesichte bekommen.

18. Nur die Kunst zu rechnen, die schon die alten Phönizier sollen erfunden haben, und die von den Ägyptern und Griechen sehr erweitert worden ist, kann nie vergehen, weil sie Wahrheiten enthält, die für jedermann einleuchtend, höchst nützlich und daher unverwüstbar sind.

19. Jede andere Lehre aber, die von den Menschen allerlei Opfer verlangt und, so man sie sich angeeignet hat, keinen andern Vorteil bietet, als daß man etliche Kranke wieder gesund machen und im Notfalle auch noch ein anderes Wunderchen hinzu wirken kann, kann sich nicht halten! Denn fürs erste beruht sie nicht auf einer mathematisch erweisbaren Basis, und fürs zweite bleibt sie, selbst bei der besten Versicherung von seiten ihres Stifters, für die Folge nie so einfach und rein, wie sie vom Stifter ausgegangen ist.

20. Gewöhnlich fängt man mit allerlei Erklärungen an, weil ein jeder Stifter einer Lehre stets mehr oder weniger ein Huldiger des alten Mystizismus ist und seine sonst oft sehr gesunde Lehre mit allerlei unverständlichen mystischen Brocken ausfüllt, die er zuerst wahrscheinlich selbst nicht verstanden hat und seine Nachfolger um so weniger verstehen können. Nach und nach wird so eine Lehre dann immer breiter und breiter, das alte Mystische in ihr wird immer mystischer, man erbaut große Hallen und treibt allerlei Zeremonie mit einem furchtbar ernsten Gesichte, um dem Volke die alte Heiligkeit einer einst ganz einfachen Lehre desto ersichtlicher und eindringlicher zu machen. Aber es nützt das alles nichts, denn mit der Zeit werden den Menschen durch allerlei Erscheinungen aus dem Gebiete der Natur und der gesunden Vernunft die Augen geöffnet, und mit der ganzen alten Lehre ist es dann so gut wie aus; denn die hie und da noch erhaltenen Bruchstücke können dennoch nie wieder in ein rundes Ganzes zusammengesetzt werden. – Seht, das ist so meine gesunde Meinung, die ich jedoch niemandem aufdringen will und werde.“

Kapitel 063. Hebrams Rede zeigt den Irrtum Risas.

1. Sagt Hebram: „Freund, so wie du nun die Sache ganz vernünftig dargestellt hast, habe ich sie schon öfters darstellen gehört; aber hierher taugt dieses nicht, denn da sitzt mehr als ein gewöhnlicher, mit allen persischen und ägyptischen Zauberkünsten unterspickter Magier!

2. Denke du nur an die Reden Mathaels und an die Taten, Lehren und Reden des großen Meisters selbst, und es muß dir einleuchtend werden, daß du mit aller deiner noch so gesund scheinenden Vernunft dennoch auf dem Holzwege bist!

3. Ich kenne mich in der Magie auch ein wenig aus und kenne die verschiedenen Arten der persischen und ägyptischen Magie; aber das zu bewerkstelligen, was hier schon alles bewerkstelligt worden ist, und die Lehren alle, die wir hier schon vernommen haben, deuten offenbar auf einen höheren Ursprung hin, als wir ihn uns nun vorzustellen imstande sind.

4. Jener Jüngling dort bei den zwölfen hat einen Stein vor unsern Augen auf dem Tische in Staub verwandelt, setzte den Staub wieder zu dem vorigen Steine zusammen und machte ihn endlich ganz verschwinden. Und wie er ehedem eben aus einem Steine Brot machte, darauf einen Fisch, der noch zu sehen ist, und am Ende noch einen kompletten Esel in OPTIMA FORMA hervorbrachte, Freund, das sind Erscheinungen ganz anderer Art, als wir einige schale und nichtssagende Wunderchen von einigen persischen Magiern in Damaskus gesehen haben! Wer dort nur ein wenig übers ,Eins und Eins‘ hinaus zählen konnte, war gar leicht imstande, den Betrug mit Händen zu greifen und sich eine Erklärung in OPTIMA FORMA zu schaffen; wer aber kann sich eine andere Erklärung schaffen, als welche uns Mathael gegeben hat von der alleinigen Macht und Kraft des Grundlebens in und aus Gott?!

5. Du tust demnach hier sehr unrecht, wenn du das, was hier ist, in die bekannte Kategorie des leidigen Betruges schiebst, wie du eben auch sehr unrecht tust, so du Moses und alle andern Propheten in die gleiche Kategorie steckst; denn Mathael hat uns doch hinreichend gezeigt, was da steckt hinter dem großen Befreier unseres Volkes aus dem harten Joche der Ägypter.

6. Moses war eine so außerordentliche geistige Größe vor Gott und den Menschen, daß die Erde bis auf diese Zeiten nichts Größeres aufzuweisen hat. Hier aber, Freund, sitzt in menschlicher Gestalt eben Der, vor dessen heiligstem Angesichte sich der große Moses sein Angesicht verhüllte; daher ist es im höchsten Grade unklug von dir, hier von Ihm zu reden wie von einem natürlichen Menschen!

7. Zähle die Gäste, die hier gespeist werden dreimal des Tages mit den besten und edelsten Fischen, die keine Gräten haben, mit Brot, Wein und allerlei Obst, mit Honig, Milch, Käse und Butter! Bedenke aber auch zugleich, daß unser Gastwirt im Grunde ein mehr armer als wohlhabender Mensch ist! Bei drei Joch ist sein Grund groß, hat nur wenig Äcker, und diese sind, wie zu sehen, sehr steinig. Die Fischerei ist noch das beste; aber was kann sie bezwecken für so viele Gäste? Wir werden unser nun in allem bei vierhundert Mann sein, und alles ist vollauf gesättigt, dazu noch die vielen Lasttiere der Römer und Griechen, und keines leidet irgendeine Not. Gehe aber in die Speisekammer unseres Gastwirtes, und du wirst sie vollgestopft finden mit allerlei Früchten und mit einer Masse des allerbesten Brotes, und der tiefe Felskeller ist voll Weines, so daß wir mit demselben in einem Jahre nicht fertig würden, so wir ihm auch noch so zusetzten! Frage aber dann den treubiedern und wahrheitsliebenden Gastwirt, wie er zu all dem gekommen ist, und er wird dir nichts antworten als: ,Allein durch Wunder über Wunder von seiten des großen Heilandes aus Nazareth!‘

8. Wenn aber also, wem kann es da noch einfallen zu behaupten, daß dies alles ein Betrug sei, den die Mächtigen der Erde irgend ausgeheckt haben, um dadurch die blinde und dumme Volksmenge zu täuschen und sie sich ergebener und zinspflichtiger zu machen?! Ich sage es dir: Hier ist mehr, als was der Verstand aller Weisen der Erde je fassen wird; hier waltet Gottes Kraft, wie sie schon dann und wann auf der Erde gewaltet hat und noch fürder walten wird! Wenn solches auch deine gesund sein wollende Vernunft nicht begreift, so ist es aber dennoch also, wie ich es dir nun gesagt habe; gehe aber hin und überzeuge dich von allem selbst, und rede dann, ob es da mit natürlichen Dingen zugeht!“

9. Sagt Risa: „Ja, ja, wenn also, dann freilich bin ich wohl genötigt, von meinen Behauptungen gar vieles zurückzunehmen, und will sonach auch dem Moses und den andern Propheten ihren göttlichen Wert durchaus nicht streitig machen; aber dies eine bleibt dennoch wahr, daß sich am Ende keine Lehre, und wäre sie auch noch so göttlichen Ursprungs, in ihrer Reinheit auch nur ein paar Jahrhunderte hält!

10. Moses war noch am Berge und vernahm dort die Anordnungen Jehovas, und das Volk im Tale tanzte um ein goldenes Kalb; welch ein ganz anderes Gesicht aber bekam Mosis Lehre schon, als an die Stelle der Richter ein König Saul trat, und wie anders wieder fing das alles schon unter David an auszusehen, und wie verändert erst unter Salomo und dessen Nachfolgern?!

11. Es fiel stets etwas Reines und Göttliches hinweg und ward durch weltliche Menschensatzungen ersetzt, so daß effektiv bis auf uns herab nunmehr bloß die Namen gekommen sind, sonst aber ist der ganze Moses nahe verschwunden; nur das ist noch beibehalten worden, was den Tempeldienern noch einen gewissen göttlichen Nimbus gibt. Das Pönitentiale (Strafrichterliche) haben sie beibehalten, um dadurch die arme Menschheit aus einer gewissen göttlich autorisierten Rechthaberei so recht teuflisch quälen zu können; aber das eigentlich Göttliche ist schon lange völlig ausgemerzt worden; wegen der zehn Gebote Gottes läßt man sich kein graues und härenes Bußkleid mehr machen. Der Ehebruch bei angesehenen Leuten, die sehr reich sind, wird noch als etwas angesehen, weil sich dergleichen Menschen durch vieles Geld von der Steinigung loskaufen müssen. Sie bekommen dann nur ein sogenanntes verfluchtes Wasser zu trinken, das ihnen keine Bäuche zerbersten macht; denn derlei Sünder sind ja für die vielen Bedürfnisse des Tempels noch zu öftern Malen gut zu gebrauchen! Wenn aber die hohen Diener des Tempels Ehebruch begehen, so kräht danach ohnehin nie irgendein Hahn; nur wenn ein armer Teufel irgendwann einen Ehebruch beginge, der wird dann freilich noch ganz gehörig gesteinigt.

12. Nun aber lesen wir, mit welch einem unerhörten Aufwande der göttlichen Macht und Kraft die zehn Gebote den Menschen von Gott unter alle Enden der Erde erbeben machenden Blitzen und Donnern gegeben wurden, und wie solch ein göttlicher Schreckensernst sich darauf mehrere Jahrhunderte hindurch noch zu öftern Malen in allerlei Orten wiederholt hat. Wie oft ist dies Volk von Gott laut den Schriften der großen und kleinen Propheten gewarnt worden! Was nützte jedoch alles das für diese Zeit? Wie wir nun stehen, das wissen wir, und mehr brauche ich dir nicht zu sagen! Wahrlich, so es irgendeine Hölle gibt, so kann es darin unmöglich noch schlechter aussehen!

13. Wenn aber sein sollende rein göttliche Offenbarungen nur solche Früchte zum traurigsten Vorschein bringen, wie wir sie nun unter den Pharisäern sehen; da frage ich denn doch jeden im Gehirne Gesunden, ob es da am Ende schwer wird, allen Glauben an eine wie immer geartete göttliche Offenbarung und Vorsehung an den Nagel zu hängen!?

14. Was du hier von dem großen Heilande gesagt hast, ist alles richtig und wahr, und es mag seine Lehre auch mit einem besseren Erfolge gekrönt werden als alle Gotteslehren bis auf uns herab; aber ich möchte nach nur einem halben Jahrtausende mit meinem jetzigen Bewußtsein Zeuge sein und sehen, welch ein Gesicht dann diese neue Lehre im allgemeinen machen wird, vorausgesetzt, daß ihre tatsächliche Beachtung auch also wie alle die früheren dem freien Willen der Menschen anheimgestellt wird!

15. Nur einen Vorsteher an die Spitze im Anfange, und in tausend Jahren wird es wimmeln von solchen Vorständen, die bei dem Vortrage dieser reinen Lehre ihren Bauch nicht vergessen werden! – Sage mir, ob ich mit meiner Ansicht so ganz auf dem Holzwege bin, wie du ehedem gemeint hast!“

Kapitel 064. Die göttliche Ordnung und unser Weltverstand.

1. Sagt Hebram: „Ja und nein! In rein diesirdisch menschlicher Weise hast du nach meiner Ansicht freilich wohl recht, aber nach der rein göttlichen hast du sehr unrecht und bist darum dennoch auf dem Holzwege; denn Gottes Pläne sehen sicher ganz anders aus denn die unsrigen. Sieh, hätten wir die Sterne ans Firmament gesetzt, so würden wir sie sicher mehr gleichmäßig gestellt haben; so aber hat sie Gott, der allein Allmächtige, wie einen Lichtleinspuk hinausgestellt! Warum denn also?

2. Sieh an das Gras auf dem Felde, wie da die Kräuter durcheinander gemengt sind! Warum da keine Ordnung, an der unser symmetrischer Sinn irgendein mathematisches Vergnügen haben könnte?! Überall, wohin du deine Sinne auch wenden magst und willst, wirst du viel mehr Chaotisches als irgend symmetrisch Geordnetes in aller Kreatur antreffen! Und dennoch muß Sich der Schöpfer auf die Symmetrie auch recht verstehen; denn davon liegen zunächst in unserer menschlichen Form die handgreiflich überzeugendsten Beweise. Wenn der gute Schöpfer aber in einer Hinsicht die höchste Symmetrie zu beobachten sicher imstande ist, anderseits auf sie aber auch nicht die geringste Rücksicht zu nehmen scheint, so muß dahinter irgendein uns Würmern des Staubes freilich noch sehr unbekannter Grund stecken, aus dem der Schöpfer einerseits die höchste Symmetrie und anderseits das schnurgeradeste Gegenteil beachtet! Warum ist denn nicht ein Jahr wie das andere, warum nicht ein Tag wie der andere?

3. Sieh, wenn man die Sachen also betrachtet, so muß da die sogenannte symmetrisch gesunde Menschenvernunft ja so manches finden, das sie mit der gehörigen Schärfe ihres Witzlichtes bemängeln könnte; aber da kommt der große Meister Selbst und sagt: ,Schuster, nur soweit dein Leisten geht, kannst du urteilen, – aber weiter hinauf nicht!‘

4. Wie wir es aber erschauen, daß da in der großen Schöpfung Gottes allenthalben eine scheinbar höchste, rein chaotische Unordnung mit der höchsten Ordnung verbunden ist, ebenso kommt es mir auch mit den verschiedenen Offenbarungen Gottes an die Menschen dieser Erde vor. Er als der alleinige Schöpfer wußte es am besten, was in den verschiedenen Zeiträumen und für die verschiedenen Völker zu ihrer geistigen Entwicklung am besten taugte.

5. Er aber läßt mit der Zeit auch aus sicher höchst weisen Gründen eine einmal gegebene Lehre ebenalso verwelken, wie da auf dem Erdboden verwelken zahllose Kräuter und Blumen; aber der Same, der sich aus der Blume entwickelt gleich der reinen, lebendigen Wahrheit, verwelkt nicht, sondern bleibt lebendig fort und fort.

6. So wir aber sehen, daß der Schöpfer mit der Zeit all das für eine Zeit notwendige noch so schöne Äußere zugrunde gehen läßt und am Ende alle Sorge auf die Entwicklung des inneren Lebens verwendet bei allen uns bekannten irgendein Leben tragenden Dingen, können wir uns da verwundern, wenn wir solches auch mit den Offenbarungen geschehen sehen?

7. Ohne ein irdisches Zungenwort kann keine noch so reine Lehre zu uns gelangen; das äußere Wort aber ist da schon materiell und muß am Ende, wenn sich der innerste, reine Geist entwickelt hat, hinwegfallen. Und so geht mit den äußeren Gotteslehren mit den Zeiten wohl der Außenprunk notwendig in stets etwas Mißlicheres über; aber dafür entwickelt sich im Hintergrunde stets mehr und mehr die reinste, geistige Kraft und Wahrheit einer früheren Offenbarung Gottes an die Menschen. – Ist es also oder nicht, Freund Risa?“

8. Sagt Risa: „Bruder Hebram, ich bewundere dich! Bei Gott, du hast nun mit deiner wahrhaft weisen Rede meine ganze Denkweise umgestaltet, wofür ich dir wahrlich sehr zum Danke verpflichtet bin! Es ist wahrlich also, wie du es mir nun dargestellt hast; ich mag denken, wie ich will, so finde ich die Sache nun stets klarer! Kurz, du hast über meine Vernunft in jeder Hinsicht gesiegt! Ich bin dir dafür sehr vielen Dank schuldig.“

Kapitel 065. Jesus gibt Lebenswinke für Anfänger.

1. Hier wende Ich Mich um und sage zu Hebram: „Nun, nun, du hast ja schon große Fortschritte in der Weisheit gemacht, so wie ihr alle; wahrlich, an solchen Jüngern kann man eine rechte Freude haben, und sie werden bald zu guten Arbeitern im Weinberge Gottes zu verwenden sein! Aber auf eines mache Ich euch alle dennoch aufmerksam, und dieses eine besteht darin:

2. Ihr gleicht nun den Frühblümchen, die im Frühjahre schnell ihre Häupter über den toten Erdboden gar herrlich erheben. Kommen hinfort keine Fröste, dann sind solche emsigen Blümchen ganz wohl daran; kommen aber, wie das die Frühjahre zumeist bezeugen, auf warme Tage wieder einige mit schaurigem Froste, da lassen solche Frühblümchen dann gerne ihre herrlich geschmückten Häupter hängen und verdorren darauf oft ganz und gar.

3. Ich sage es euch: Ein Mensch sieht oft eine Wahrheit noch so klar ein; wenn sich aber oft trübe Wolken, mit allerlei versuchenden Ungewittern schwanger, über das Gemüt des Menschen zu erheben anfangen, da wird es trüber und trüber im Menschenherzen, und er ersieht dann gar manches nicht mehr, was noch kurz vorher doch so klar erleuchtet vor seiner Seele stand.

4. Bewahret daher wohl in euch, was ihr nun erfahren habt und erhebet eure schön geschmückten Häupter erst dann über den Boden der Erde eurer äußeren Menschheit, wenn die Prüfungsfröste vorüber sein werden; wahrlich, dann wird euer Wissen von keinem bösen Reife mehr zerstört werden können!

5. Es braucht aber alles seine Zeit, bis es gediegen und haltbar wird; also auch des Menschen Wissenschaft. Es ist bei guter Gelegenheit so manches oft schnell erlernt und auch begriffen, – aber über andern Erscheinungen auch ebensobald vergessen! Darum erfasset alles, was ihr vernehmet, mehr mit eurem Gemüte denn mit eurem Gehirne, so wird es euch auch bleiben!

6. Wenn ihr eine Blume ansehet, so habt ihr sicher eine rechte Freude ob ihrer schönen Gestalt; aber was nützet euch solche Freude, die doch notwendig ebenso vergänglich ist wie die Blume, die in euch solche Freude erweckte?! Die Kraft der Blume muß sich aber ablagern in die Tiefe jenes Gefäßes, in welchem der lebendige Same gehegt und gepflegt wird, und so muß auch eure äußere Freude verwelken, und ihre Kraft muß hinabsteigen in den tiefen Grund, allwo das ewige Leben des Geistes gehegt und gepflegt wird; dann wird daraus eine mit dem Geiste ewig dauernde Freude über dessen wahrhaftige innere Schönheit erstehen, der kein Reif mehr irgend etwas wird anhaben können.

7. Nun aber gebet recht wohl acht; denn Ich werde nun jene Stücke ein wenig näher beleuchten, über die der Cyrenius eine nähere Aufhellung wünscht!“

8. Darauf aber wandte Ich Mich zur Jarah und zum Josoe und sagte zu ihnen: „Und ihr, Meine allerliebsten Kinderchen, könnet nun ein wenig in die Küche zu den Töchtern unseres Markus gehen, die werden euch so manches zu erzählen wissen, was sie nun seit etlichen Tagen bei ihrer Kocherei alles erlebt haben, was zu vernehmen euch beiden sehr nützlich sein wird; denn das Ich noch den Gästen vortragen werde, ist wie ein steinig hartes Brot, und es gehören da schon sehr kräftige und gut ausgebildete Zähne dazu, um solch ein hartes Stück Brot ganz gehörig zermalmen zu können, auf daß es darauf den sehr empfindlichen Magen der Seele nicht belästige und ihm Schmerzen und Schaden verursache. Später, wenn die Zähne eures Gemütes kräftiger werden, wird euch auch solches mitgeteilt werden!“

9. Jarah verläßt zwar nicht gar zu gern ihren Platz, aber Josoe sagt zu ihr: „Komm, liebe Jarah, nur ganz freudig mit mir! Denn was der Herr will, das muß man stets mit freudigem Herzen sogleich befolgen; verstehst du solches ja doch besser denn ich, darum erhebe dich nun nur behende von deinem Sitz und komme mit mir nach dem Willen des Herrn!“

10. Darauf erhebt sich die Jarah und geht mit dem Josoe in das Haus des Markus, wo sie von dessen Töchtern nach des Hauses Brauch sehr freundlich empfangen wird, und es gibt da bald ein Wort das andere, und die Kinder unterhalten sich bis nahe an den Abend hin ganz gemütlich und sich gegenseitig belehrend.

11. Ich aber wende Mich nun an den Cyrenius und sage: „Nun, liebster Freund, kannst du aufmerken, was Ich dir über deine ziemlich gedehnte Frage für eine aufklärende Antwort geben werde; bei der bleibe du dann und ein jeder, der sie vernehmen wird!“

12. Hier wollte Suetal dem Raphael noch eine frohe Bemerkung zuflüstern darüber, daß Ich nun endlich werde zu reden beginnen; aber Raphael bedeutete ihm ernstlich zu schweigen, und er schwieg denn auch, und Ich begann also weiterzureden:

Kapitel 066. Jesu Rede über die geschlechtliche Ordnung.

1. (Der Herr:) „Sieh, es ist eine eigene Sache um die Zeugung eines Menschen! Um eine rechte und gesunde Frucht zu zeugen, müssen zwei reife Menschen, nämlich ein Mann und ein Weib, eine rechte Seelenverwandtschaft untereinander haben, ohne die sie schwerlich oder oft wohl auch gar nicht durch den bekannten Akt der Zeugung zu einer Frucht gelangen werden.

2. Sind nun ein Mann und ein Weib in ihren Herzen und Seelen verwandter Natur, so sollen sie sich denn auch ehelichen und sich nach der Ordnung, wie sie in der Natur leicht zu finden ist, des Zeugungsaktes lediglich zu dem Behufe bedienen, um zu einer lebendigen Frucht nach ihrem Ebenmaße zu gelangen; ein mehreres, als eben dazu vonnöten ist, ist wider die Ordnung Gottes und der Natur und somit ein Übel und eine Sünde, die nicht um vieles besser ist als die stumme zu Sodom und Gomorrha!

3. Hat ein Mann viel des Samens, nun, so tue er ihn legen in einen andern Acker, nach der guten Art der alten Väter und Patriarchen, und er wird nicht sündigen. Wenn er aber bloß heimlich ausgeht, um mit feilen Dirnen zu befriedigen seinen Trieb und sich dadurch zu erlustigen ohne Zeugung einer Frucht, so begeht er dadurch ganz sicher eine grobe sodomitische Sünde wider die göttliche Ordnung und wider die Ordnung der Natur!

4. Nur ein junger, zeugungsfeuriger Mann, so er von den Reizen eines Mädchens zu sehr ergriffen wird derart, daß er kaum seiner Sinne mächtig ist, der kann eine Jungfrau beschlafen, ob mit oder ohne Zeugung; aber nach dem Akte hat er ihr das gewissenhaft zu entrichten, was durch Moses verordnet ward. Und ist aus solcher Notzeugung eine Frucht zustande gekommen, so muß er der Jungfrau das Zehn- bis Hundertfache von dem geben, was er ihr nach Moses nur einfach schuldig wäre, wenn keine Frucht aus dem Akte entstanden wäre; denn eine Jungfrau bringt einem solchen Menschen ein großes Opfer auf Leben und Tod! Kann ein Mann darauf eine solche Jungfrau ehelichen, so soll er das nicht unterlassen; denn, wie gesagt, sie hat ihm ein großes Opfer gebracht und ihn einer betäubenden Bürde entledigt.

5. Aber für die Folge soll solch ein zeugungsfeuriger Mann sich alsogleich ein ordentliches Weib nehmen und im Notfall im billigen Einverständnisse mit dem rechtmäßigen Weibe auch ein Kebsweib, auf daß daraus kein Zank und Hader entsteht; kann sich aber ein solcher Mann selbst verleugnen, so wird er dafür in Kürze leichter denn ein anderer einer höheren geistigen Gnade des inneren Lebens teilhaftig werden.

6. Wie man sich aber ein rechtmäßiges Weib zu nehmen hat, so ist solches nach der Ordnung aus den Himmeln schon durch Moses verordnet worden und hat fürder bis ans Weltende dabei zu verbleiben.

7. Aus dem bereits Gesagten aber wirst du gar leicht ersehen, was da ist die Unzucht, und warum sie von Moses als eine schwere Sünde verboten ist; denn es ist von Gott aus dem Menschen alles nach der göttlichen Ordnung verordnet. Wer in solcher Ordnung verbleibt, der wird auch die Früchte des Segens von oben ernten; wer aber wider solche Ordnung handelt, der wird die Früchte des Fluches ernten.

8. Kann aber irgendein Zeugungsfeuriger bei aller seiner Not dennoch zu keiner natürlichen Löschung seines ihn quälenden Feuers gelangen, dem rate Ich ein fleißiges Baden im kalten Wasser und ein recht brünstiges Gebet um die Linderung dieser Plage, so wird ihm solche Plage ehestens abgenommen werden; jede andere Löschungsart aber ist vom Übel und erzeugt abermals Übel, das Übel aber ist Sünde und zeuget wieder Sünde.

9. Zugleich aber soll das allen Eltern ans Herz gelegt sein, daß sie ihre erwachsenen Kinder nicht den Reizungsgefahren aussetzen sollen! Denn ein brennbares Material kann leicht in den Brand geraten; wenn aber einmal die Flammen von allen Seiten lichterloh aufschlagen, dann geht es mit dem schnellen Löschen oft gar nicht mehr, und ohne Opfer schlägt keine Flamme auf! Wenn sie gelöscht ist, zeigt sich dann auch bald der Schaden, den sie verursacht hat.

10. Darum sollen besonders die Jungfrauen wohl gekleidet, aber nie reizend bekleidet einhergeben, und die Jünglinge sollen nicht dem Müßiggange preisgegeben werden; denn der Müßiggang ist stets der Zeuger aller Laster und Sünden.

11. Wer aber sich einmal ein ordentliches Weib genommen hat, der ist an dasselbe gebunden bis zum Tode, und der Scheidebrief Mosis hebt den Ehebruch vor Gottes Ordnung nicht auf, so ein solcher Mann dann eine andere ehelichen würde; ehelicht aber das geschiedene Weib, so bricht sie auch die Ehe. Kurz, wer da nach der erfolgten Ehescheidung heiratet, ist ein Ehebrecher; wer aber nicht ehelicht, der ist denn auch kein Ehebrecher.

12. Geistig aber bricht auch der die Ehe, der ein Weib, das schon verehelicht ist, ansieht und in seinem Herzen den Sinn faßt, es durch allerlei Blendungen zum Ehebruch zu verleiten, wenn das vollbrachte Werk auch unterblieb.

13. Siehst du aber deines Nächsten Weibes Reize und lässest dich davon berücken, so hast du auch einen Ehebruch begangen; denn dadurch hast du deines Nächsten Weib zu einer Hure gemacht und mit selbem die Hurerei getrieben. Und es ist dies eine große und grobe Sünde vor Gott und vor den Menschen, auch dann, wenn du mit dem fremden Weib eine Frucht gezeuget hast. Aber natürlich ist das Übel dann noch größer, wenn du mit deines Nächsten Weib lediglich des blinden und stummen Wollustkitzels halber gehuret hast. Solche Sünder werden schwer des Himmelreiches teilhaftig werden.“

Kapitel 067. Ausnahmen in Fällen der Geschlechtlichkeit.

1. (Der Herr:) „Hat aber eines Nächsten Weib zum Beispiel keine Frucht von ihrem rechten Mann empfangen können und hat aber eine große Sehnsucht nach der Erweckung einer Frucht in sich und begehret dich, so zeige solches ihrem Manne an! Willigt er ein, so kannst du solch einem Begehren ohne Sünde nachkommen. Wird das Weib befruchtet und es hat nach der abgelaufenen Zeit abermals ein Begehren danach und ihr Mann willigt ein, so magst du dem Weibe gleichwohl wieder die Freundlichkeit erweisen, so du ein Lediger bist. Bist du aber selbst eines fruchtbaren Weibes Mann, so sollst du deinem Weibe deine Kraft nicht entziehen; denn dafür ist euch von Moses aus gestattet, neben dem einen rechtmäßigen Weibe, besonders, so das Weib unfruchtbar wäre, ein oder nach Bedarf auch mehrere Kebsweiber zu halten, aber stets mit Einwilligung des rechtmäßigen Weibes. Würde aber dieses darüber sehr traurig, da wäre es dann Zeit, die Beiweiber zu entlassen, gleichwie auch Abraham die Hagar entließ, die er sich wegen der langen Unfruchtbarkeit seines Weibes Sarah nahm.

2. So aber käme ein seinem rechten Manne in ein fremdes Land entlaufenes Weib zu jemandem als eine Ledige und verschwiege, daß sie schon eines Mannes Weib sei, so hat der, der sie also zum Weibe nahm, keine Sünde, auch dann nicht, so er nachderhand erführe, daß sie schon eines Mannes Weib sei, ihn aber seiner Härte und Unfruchtbarkeit wegen geheim verließ; denn als er die Fremde zum Weibe nahm, da wußte er ja nicht, daß sie schon eines Mannes Weib sei, und als er solches erst nachderhand in Erfahrung gebracht hatte, war sie schon sein Weib, von dem er nun, ohne Begehung der Ehebruchssünde nicht mehr, außer durch den Tod, geschieden werden kann.

3. Aber es hat bei solchen Gelegenheiten oft schon sehr grausame Handlungen dadurch gegeben. Der neue Gemahl, so er unter dem Gesetze Mosis stand, suchte sich dann, so ihm das fremde Weib lästig ward, dadurch von demselben loszumachen, daß er heimlich hinging zu ihrem ersten Gemahl und ihm das untreue und ehebrecherische Weib verriet. Die Folge war, daß solch ein Weib dann gesteinigt ward und die beiden Männer wieder von neuem gesetzlich freien konnten. Das jedoch soll hinfort nicht mehr also sein!

4. Und Ich sage euch: Für diesen Fall soll ein lediger Mann eine Fremde nicht ehelichen, bevor er sich nicht nach allen ihren früheren Umständen genau erkundigt hat! Hat er da nichts herausgebracht, und er fühlt sich zu dem fremden Weibe sehr hingezogen, da soll er es dennoch zum Weibe nehmen; und erfährt er hernach erst zufällig des Weibes früheren Stand, so soll er kein Verräter seines Weibes sein, sondern es behalten in der guten Art, als er es genommen hatte. Das Weib aber kann durch die große Treue gegen ihren neuen Gemahl ihre frühere Sünde sühnen; denn Gott ist kein unbilliger Richter und weiß die Schwächen des menschlichen Fleisches genauest abzuwägen und zu berücksichtigen. Ein Totschläger seines Weibes aber ist ärger denn ein ehebrecherisches Weib!

5. Es wären aber irgend zwei Nachbarn, von denen einer in seinem Weibe keine Frucht erwecken kann, dieweil er in seiner Jugend unter schlechter Aufsicht sein Zeugungsvermögen zu sehr geschwächt hat, während der andere Nachbar, nach seinen vielen gesunden Kindern zu schließen, ein sehr kräftiges Zeugungsvermögen besitzt, indem er überall und allzeit in der guten Ordnung gelebt hat und in seiner Jugend in guter Zucht gestanden ist. Was wäre das, so da der unfruchtbare Nachbar ginge zum fruchtbaren und bäte ihn, mit seinem vielen Vermögen an seiner Statt in seinem Weibe eine Frucht zu erwecken, und der fruchtbare Nachbar täte solches aus wirklicher Liebe zu seinem sonst guten und treuherzigen Nachbarn, ohne dabei nur den entferntesten Gedanken zu haben, als wolle er auch sonst mit des Nachbars Weibe Geilerei treiben, was sehr sündhaft wäre? Seht, das wäre weder eine Sünde und noch weniger ein Ehebruch, sondern es wäre solch ein Akt unter einem allseitigen stillen Einverständnisse sogar ein löblicher geheimer Liebesdienst; geheim deshalb, weil davon außer den angeführten Personen niemand etwas erfahren solle wegen der Ehre des unfruchtbaren Nachbars, und daß sich daran niemand ärgere.“

Kapitel 068. Über sündhaften Geschlechtsverkehr.

1. (Der Herr:) „So aber ein lediger oder ein schon verheirateter Mann mit einem üppigen Weibe seines Nachbarn ohne Wissen desselben geilet, so ist dies eine schändliche Hurerei. Ein solches Weib ist dann eine eigentliche Hure, und die mit ihr geilenden Männer sind dann die eigentlichen Hurer, die als solche ins Gottesreich nie eingehen werden, weil solch eine schändliche Hurerei allen guten Sinn in ihrer Seele verzehrt und alles Geistige tötet.

2. Eine solche Hurerei ist aber darum auch um gar nichts besser als der eigentliche Ehebruch, ja oftmals sogar um vieles schlechter als der Ehebruch. Denn bei einem Ehebruch können solche Umstände im Hintergrunde stecken, die das Verbrechen dieser Sünde sehr mildern und verdienen, daß sie ein Richter sehr berücksichtige; aber bei der Hurerei können nie irgendwelche mildernde Umstände in die Berücksichtigung gezogen werden; denn dabei handelt ganz rücksichtslos die stinkende Geilsucht und verdient beim Gerichte auch keine wie immer geartete Rücksicht.

3. Ein Weib, das sich dazu leicht verleiten läßt ohne irgendeine erweisbare Not, ist schlecht und verdient nicht die geringste Rücksicht; denn die Schwäche entschuldigt hier nichts, da ein jedes Weib durchs rechte Vertrauen zu Gott eine hinreichende Stärkung erreichen kann. Aber noch schlechter ist ein Weib, das die Männer selbst verlockt in ihr buhlerisches Garn, um mit ihnen in Abwesenheit ihres Gatten zu geilen!

4. Aber ebenso verbrecherisch schändlich handelt ein Mann ledigen Standes, und noch ärger, wenn er verheiratet ist, so er Weiber an sich zieht, mit ihnen geilt im Verborgenen und sie bezahlt am Ende der Geilerei; denn ein solcher Mann verleitet fürs erste die Weiber zur schändlichen Untreue und macht sie fürs zweite nahe völlig unfruchtbar, und verwüstet also gleich einem bösen Sturme die Äcker, daß darein nie mehr ein Same mit Nutzen gelegt werden kann.

5. In eine ganz gleiche Kategorie ist auch ein Lediger wie ein Verheirateter zu stellen, so er ledige Maide (Mädchen) zu sich kommen läßt, auf daß er mit ihnen gegen irgendeine Bezahlung Geilerei treibe; und jegliche feile Dirne ist eben auch so gut eine Hure wie irgendein verheiratetes Weib, das sich hergibt ums Geld oder sonstige Geschenke.

6. Die Dirnen sollen nur fleißig und arbeitsam sein, so werden sie nie zu sagen nötig haben, die Not habe sie dazu genötigt; denn eine fleißige und arbeitsame Maid hat jeder biedere Mann lieb und wird sie nicht Not leiden lassen. Ist aber irgendein Dienstgeber ein geiziger und harter Mensch, nun, da lasse man ihn und seinen Dienst und suche sich einen andern; es wird gar nicht schwer sein für eine fleißige und arbeitsame Maid, einen guten Dienst zu finden, wo sie sicher keine Not leiden wird!

7. Am schlechtesten aber werden einst jene daran sein, die solche fleißigen Dirnen oder gar Mädchen ohne Reife durch allerlei Geschenke zur Geilerei zu verleiten eifrigst bemüht sind. Wahrlich, solche Männer, ob ledig oder verheiratet, gleichen reißenden Wölfen in Schafspelzen und werden deren Lohn ernten!

8. Wer aber eine Maid oder ein Mägdlein oder ein Weib mit Gewalt an sich reißt, der soll schon hier gerichtet werden! Die Gewalt mag bestehen in was sie wolle, ob in der Hände Kraft oder in der Lockung durch sehr kostbare Geschenke, so macht das im Verbrechen keinen Unterschied. Auch die Macht der Rede oder die Anwendung magisch betäubender Mittel, durch die der weibliche Teil sich scheinbar freiwillig dem geilen Willen des Mannes zu Diensten stellte, mildert diese Sünde nicht um ein Haar, auch dann nicht, wenn in der Geilerei wirklich eine Frucht wäre gezeugt worden; denn solche Zeugung ist wider den Willen beider Teile zustande gebracht worden und trägt daher zur Milderung des Verbrechens gar nichts bei.

9. Die allerschändlichste Geilerei aber besteht in der Schändung der Knaben und in der Befleckung anderer Glieder und Teile des weiblichen Leibes, als welche von Gott dazu verordnet sind, oder gar in der Schändung der Tiere; solche Schänder sind aus aller menschlichen Gesellschaft für immer vollends auszumerzen.

10. Es ist aber bei dem Gericht über dergleichen Verbrechen dennoch allzeit darauf zu sehen, auf welcher Bildungsstufe irgendein solcher Geiler oder eine solche Geilerin stand; ebenso ist auch darauf zu sehen, ob etwa der also geilende Mensch nicht etwa von irgendeinem solchen argen Geiste also besessen ist, der ihn zu solcher Geilerei antreibt. Im ersten Falle soll die Gemeinde dafür sorgen, daß so ein schwach vernünftiger Mensch in eine gute Korrektion gebracht werde, in der er auch ganz wie ein verdorbenes Kind diszipliniert werden soll so lange, als bis er ein anderer Mensch geworden ist; denn hat einmal ein Mensch seines Fleisches Tiernatur besiegt, und ist sein Verstand geklärt worden, so wird er auch ein reineres Leben zu führen anfangen und wird nicht leichtlich mehr in seine alte Tiernatur zurücksinken. Im zweiten Falle, als in dem der Besessenheit, ist ein solcher Geiler ebenfalls unter Schloß und Riegel zu bringen; denn solche Menschen sind wegen des großen Ärgernisses aus der freien Menschengesellschaft sogleich zu entfernen.

11. Sind sie einmal in gutem Gewahrsam, so sollen sie durch Fasten und durch über sie in Meinem Namen gehaltene Gebete geheilt werden. Sind sie aber einmal geheilt, und zeigt es sich, daß sie ihrer unreinen Besessenheit ledig geworden sind, so sind sie dann auch wieder vollends freizugeben.“

Kapitel 069. Verbesserungsmaßnahmen gegen geschlechtlich Ausschweifende.

1. Sagt Cyrenius: „Herr, wären denn für den zweiten Fall, wo es noch nicht irgendeinen also geiststarken Menschen gäbe, vor dessen Wortes- und Willensmacht solche argen, das Fleisch eines Menschen besitzenden Geister sich beugeten, nicht möglicherweise auch natürliche Mittel anwendbar, wenigstens nur insoweit, daß so ein Mensch dann durch die Wort- und Willensmacht eines geistig noch nicht so starken Menschen von seinem Übel befreit werden könnte?“

2. Sage Ich: „Das erste Naturmittel aus dem Gebiete der Natur ist das Fasten. Man gebe so einem Menschen des Tages nur einmal ein nahe ein halbes Pfund wiegendes Stück Roggenbrot und dazu nur einen Krug Wassers, inzwischen kann man ihm aber allenfalls an jedem zweiten Tage ein wenig Aloesaftes, nach Beschaffenheit der Natur des Besessenen gemengt mit ein bis zwei Tropfen Bilsensaft, geben, so wird solche Naturbeihilfe von guter Wirkung sein; aber es wird ihm solches allein dennoch nicht vollends helfen ohne Gebet und ohne Auflegung der Hände in Meinem Namen.

3. Überhaupt muß der Richter in solchen Fällen stets darauf in seinem Herzen bedacht sein, daß er in dem Verbrecher nur einen stark verirrten Menschen und keinen völligen Teufel vor sich hat.

4. Ist aber ein Mensch hartnäckig in seiner Ausschweifung, ist dabei aber weder bildungslos noch besessen, so kann mit ihm schon scharf züchtigend vorgegangen werden.

5. Bessert sich ein solcher Mensch und fängt an, mit guter Einsicht zu verabscheuen seine Sünde, dann ist er auch mit mehr Liebe zu behandeln; bessert sich aber ein solcher Mensch gar nicht und hängt sichtlich gleichweg mit Behagen an seiner Ausschweifung – die ein solch geiler Bock nie ganz verbergen kann –, so kann er, wenn er sonst irgendein Mensch von einiger Bildung ist, entweder aus der Gemeinde ganz in irgendein weites, wüstes Land hinaus gestoßen werden, allwo ihn die große Not zur Besinnung bringen wird; und wird er sich bessern, so soll es ihm auch besser ergehen – wo nicht, so wird ihn das wüste Land aufzehren.

6. Ist aber ein Mensch von geringerer Bildung und fruchten bei ihm weder Züchtigung noch Fasten, so kann er kastriert (entmannt) werden von einem kundigen Arzt, und es kann dadurch seine Seele gerettet werden. Es gibt ja welche, die sich selbst verstümmelt haben des Reiches Gottes wegen. Also kann es – aber nur in dem erwähnten Fall – solche geben, die eben darum von dem Gemeindegericht ausgehend verstümmelt werden; denn in diesem Falle ist es besser, verstümmelt ins Gottesreich zu kommen als unverstümmelt in die Hölle! Nun wirst du wohl wissen, wie alles das, was aus des Fleisches Lust hervorgeht, richterlich zu behandeln ist! Nur solches setze Ich noch bei, daß sich in der Zukunft nur danach, wie ihr's nun von Mir vernommen habt, für alle Zeiten in ähnlichen Gerichten (Fällen) zu richten ist.

7. Moses hat für dergleichen Verbrechen die Steinigung und den Feuertod verordnet; aber es soll solches nur bei außerordentlichen Gelegenheiten, des abschreckenden Beispiels wegen, an höchst verstockten Sündern geschehen. Ich hebe aber Moses nicht auf, sondern Ich rate euch nur, so lange in der Milde in allem vorzugehen, bis nicht eine zu große Verworfenheit die äußerste Strenge fordert.

8. Seid als Richter sanft und gerecht durch die wahre Nächstenliebe, so werdet ihr dereinst auch ein zartes und sanft gerechtes Gericht finden; denn mit welchem Maße ihr einmesset, mit demselben Maße wird euch rückgemessen werden.

9. Seid ihr barmherzig, so werdet ihr auch Barmherzigkeit finden; seid ihr aber strenge und unerbittlich in euren Gerichten und Urteilen, so werdet auch ihr dereinst strenge und unerbittliche Richter finden.

10. Bedenket bei solchen Gerichten, daß des Menschen Seele und Geist sehr willig und fügig sind; aber das Fleisch ist und bleibt schwach, und es gibt da keinen, der sich der Stärke seines Fleisches rühmen könnte.

11. Wiedergeborene im Geiste aber kann es nun im eigentlichen Sinne noch keine geben; denn zur wahren und vollen Wiedergeburt des Geistes werden die Menschen erst dann gelangen können, wenn des Menschen Sohn das Ihm Übertragene in aller Fülle wird vollendet haben.

12. Dies also behaltet und handelt danach!“

Kapitel 070. Fälle einer berechtigten Ehescheidung.

1. Sagt Cyrenius: „Allen meinen Dank Dir darum; denn nun bin ich in einer Sache, die mir stets viel zu schaffen machte, um in derlei Fällen ein rechtes Gericht zu halten, ganz erleuchtet und glaube, daß es nun kaum einen Fall geben dürfte, der mich in einen Zweifel brächte, ob ich so oder so urteilen solle. Nur das einzige wirft sich mir noch als eine sehr bedenkliche Frage auf, und diese lautet also: Gibt es denn gar keinen Fall, in dem man eine einmal geschlossene Ehe also vollkommen auflösen könnte, daß die getrennten Teile, ohne sich der fatalen Sünde des offenbaren Ehebruchs schuldig zu machen, wieder einen andern Teil ehelichen könnten?“

2. Sage Ich: „O ja, solche Fälle kann es allerdings geben, zum Beispiel: Ein Mann hätte ein Weib, das sonst mit allen weiblichen Reizen ganz gut ausgestattet wäre; aber bei der Enthüllung zeigte es sich, daß das Weib ein Zwitter sei. In diesem Falle wäre alsogleiche Auflösung der geschlossenen Ehe ins Werk zu setzen, wenn sie verlangt würde; natürlich aber: Gibt es keinen Kläger, so gibt es auch keinen Richter auf der Erde. Es wäre aber für den Fall ein Gesetz zu geben, demzufolge solch eine Ehe gar nicht zu schließen ist, und der Teil, der als bei sich wohl wissend, daß er für ein eheliches Bündnis nicht taugt, wäre als ein Betrüger zur Verantwortung und zum Schadenersatze zu verhalten (anzuhalten). Was aber hier gesagt ist vom weiblichen Teile, das gilt auch, so der männliche Teil kein vollkommener Mann wäre. So ihn das Weib verläßt und ehelicht einen andern, so begeht sie keinen Ehebruch.

3. Es kann aber auch unter den Männern solche geben, die sich entweder selbst verschnitten haben wegen des Reiches Gottes, oder solche, die schon in ihrer Jugend aus irgendeinem Weltgrunde verschnitten worden sind, wie es auch schon Verschnittene im Mutterleibe gibt; alle die Genannten sind für die Ehe völlig untauglich, und ihre völlige Untauglichkeit bedingt die volle Lösung der Ehe von vornherein.

4. Oder es könnte ein oder der andere eheliche Teil ein derartiges Leibesgebrechen haben, neben dem der andere Teil unmöglich bestehen kann, so wäre auch da die Ehe gänzlich aufzulösen – aber nur in dem Falle, wenn der eine Teil vor der Ehelichung nichts von dem Gebrechen in Erfahrung hatte bringen können; wußte er aber von dem Gebrechen und ist dennoch die Ehe eingegangen, so ist die Ehe gültig und kann nicht aufgelöst werden! Dergleichen Gebrechen aber, die eine volle Lösung einer schon geschlossenen Ehe zulassen, wären: Verborgene Besessenheit des einen oder des andern Teiles, ebenso ein periodischer Irrsinn, ein heimlicher Aussatz böser Art, Krebsbeulen, Läusesucht, eine unheilbare Lungenschwindsucht, Epilepsie, volle Stumpfheit von mindestens zwei Sinnen, Gichtbrüchigkeit und ein pestilenzialischer Leibes- oder Odemgestank.

5. Wenn der gesunde Teil vor der Ehebindung keine Kunde hatte, daß sein anderer Teil von einem der nun benannten Gebrechen behaftet sei, so kann er sogleich nach eingegangener Ehe wieder die vollgültige Lösung derselben verlangen, und sie muß ihm gewährt werden! Denn in diesen Fällen ist der gesunde Teil ein Betrogener, und der Betrug löset jeden Vertrag auf und somit auch den der Ehe.

6. Wollen aber solche Gatten sich nicht scheiden lassen nach dem Willen auch des gesunden Teiles, so ist die Ehe als gültig zu betrachten und kann späterhin außer von Tisch und Bett nicht mehr geschieden werden; denn da gilt euer Satz: VOLENTI NON FIT INIURIA!

7. Außer diesen Fällen aber gibt es nahe wohl keinen mehr, der als Grund einer vollgültigen Ehescheidung könnte angenommen werden.

8. In allen andern mißlichen Ehefällen müssen die Eheleute Geduld miteinander haben bis in den Tod; denn hatte den jungen Eheleuten der Ehe Honig gemundet, so müssen sie dann schon auch mit der Galle der Ehe sich zufriedenstellen.

9. Der Ehe Honig aber ist ohnehin der schlechteste Teil derselben; erst mit dem gallichten Teile der Ehe nimmt des Lebens goldner Ernst seinen Anfang. Dieser aber muß überall sich einstellen; denn käme dieser nicht, da ginge es mit der Saat für die Himmel schlecht.

10. Im oft bittersten Lebensernst beginnt erst der geistige Same sich zu beleben und zu entfalten, der im beständigen Honigleben also erstickt wäre wie eine Fliege, die sich mit aller Gier in den Honigtopf stürzt und vor der zu großen Süßigkeit des Honigs ihr Leben einbüßet. – Bist du nun völlig im klaren?“

Kapitel 071. Verhaltungswinke für Eheleute und Richter.

1. Sagt Cyrenius: „Ja, Herr und Meister von oben! Etwas gäbe es aber wohl noch, und darüber ein Wörtlein noch, und alles, was die Ehe in sich faßt, ist dann erschöpft.

2. Sieh, es hätte irgendein Mann, der sonst in allem eine gute Ordnung hält, ein Weib, das da einer sehr fleischlich sinnlichen Natur wäre – wie es in der Tat solcher nimmer satt werden wollender Weiber nur leider viele gibt. Ein solch geiles Weib verlangt vom Manne am Tage sogar zu öfteren Malen die Zufriedenstellung und Beruhigung ihres Fleisches. Der Mann sagt zum Weibe freilich: ,Du hast empfangen und bedarfst nun für die Zeit, die von Gott dazu bestimmt ist, Ruhe, auf daß du in deinem gesegneten Stande keinen Schaden und kein unnötiges Leiden dir zuziehest durch die nutzlose Befriedigung deines Fleisches.‘

3. Das sinnliche Weib aber will von solch einer guten Lehre nichts hören und wissen und verlangt vom Manne mit Ungestüm, ihrem Verlangen nachzukommen. Erfüllt der Mann des Weibes Willen, so treibt er mit demselben doch offenbar Unzucht und begeht sogestaltig nach deinem Worte eine Sünde wider die göttliche Ordnung; hält er sie aber zurück, so sündigt er wider seines Weibes Willen und nötigt dasselbe zu allerlei unnatürlichen Befriedigungen oder zum Ehebruche und zur Hurerei mit andern Männern.

4. Desgleichen aber gibt es anderseits auch derart geile Böcke von Männern, die ihrem armen sittsamen Weibe oft noch wenige Stunden vor der Entbindung keine Ruhe gönnen wollen. Darüber kommen oft laute Klagen vor; was aber soll da ein weiser Richter für einen rechtskräftigen und vor Gott und vor aller besseren Welt gültigen Ausspruch tun?

5. Wenn der ordentliche Mann oder das sittliche Weib der Ordnung und des Reiches Gottes wegen eine Ehescheidung verlangt, soll sie gegeben werden oder nicht?“

6. Sage Ich: „Ja, da kann nach Verlangen des einen oder des andern Teiles eine Ehescheidung gegeben werden, jedoch keine gänzlich, aber immerhin mehr als allein von Tisch und Bett, sondern auch von der gegenseitigen Versorgungsverpflichtung und vom Erbrecht, welche zwei Dinge in einem minderen Scheidungsgrund erst dann erlöschen, wenn der eine Teil sich über drei Jahre hinaus völlig von dem nur von Tisch und Bett geschiedenen andern Teil ohne einen haltbaren Grund entfernt und sich nicht mehr gekümmert hat um den hinterlassenen Teil, sondern da seinem Vergnügen nachgegangen ist.

7. Bei der Scheidung aber, die da bei deinem vorgebrachten Fall auf Verlangen des guten Teiles zu erfolgen hätte, erlischt auch in einem (zugleich) jeder weitere wie immer geartete Anspruch auf Recht.

8. Aber es ist sehr darauf zu sehen, daß die Scheidung erst dann zu geben ist, wenn sie vom guten Teile verlangt wird und der schlechtere Teil darein einwilligt; willigt dieser nicht ein und verspricht dafür Besserung, so ist da auch dem guten Teile die Scheidung nicht zu geben, sondern ihm bloß eine Vormerkung zu machen, und er werde darauf zur Geduld ermahnet.

9. Wollen aber in diesem Falle geschiedene Gatten in guter Eintracht wieder zusammengehen, so bedürfen sie keines neuen Ehebündnisses, sondern es tritt da nach dem Willen beider Teile das alte Bündnis in seine volle Kraft, und eine allfällig zum zweitenmal verlangte Scheidung kann sie nicht mehr trennen, außer im Notfalle von Bett und Tisch.

10. So aber ein Mann ein sehr begehrendes Weib hat und gewähret mit Nüchternheit seines Herzens dem Weibe ihr Verlangen, so ihm solches seine Kraft gestattet, so begeht er dadurch gerade keine zu grobe Sünde wider die Ordnung Gottes; denn eines solchen Weibes Natur gleicht einem trockenen Boden, den der Gärtner in der heißen Sommerzeit zu öfteren Malen begießen muß, so er seine Pflanzen erhalten will. Wenn aber dann kommt der feuchte Herbst, so wird ein jeder Boden der Feuchtigkeit in Genüge haben. Aber dabei soll der nüchterne Mann sein Weib auch fleißig geistig bearbeiten und bilden, und es wird ihm das gute Früchte tragen.

11. Geduld ist aber stets besser als das allerbeste Recht.

12. Mehr Recht jedoch, die Scheidung zu begehren, hat ein sittsames Weib wegen der zu großen Geilheit ihres Mannes, als ein Mann wegen der großen Geilheit seines Weibes; denn das einmal gesegnete Weib bedarf der Ruhe für die Zeit, die Gott in der Natur des Weibes verordnet hat. Dem Manne aber ist keine Zeit verordnet worden, und er bedarf darum weniger der Ruhe seiner Natur denn das gesegnete Weib; darum ist bei einem Gerichte ein gesegnetes Weib auch eher anzuhören denn ein nüchterner Mann.

13. Bei einem Manne ist noch sehr darauf zu sehen, welch ein Leben er vor der Verehelichung geführt hat, ob ihn nicht etwa eine ausschweifende Jugendzeit durch vieles Sündigen nüchtern und untüchtig gemacht habe. Bei einem sehr begehrenden Weibe aber fällt diese Frage nahe von selbst weg. Denn hatte es schon als Maid sich einem unzüchtigen Leben des Gewinnes wegen in die Arme geworfen, so ist dadurch ihre Natur schon sehr abgestumpft worden, und soll sie später noch irgendeines Mannes ordentliches Weib werden, so wird es in seinem Begehren ganz eisig aussehen; ist aber ein Weib als noch seiende Jungfrau sehr züchtig bei einem heißen Blute gehalten worden, so ist da auch nicht der allenfalls strafbare Grund in dem ledigen Jungfrauenstande, sondern lediglich in des Weibes Natur zu suchen, auf welchen Grund in diesem Falle das Gericht kaum zu merken hat.

14. Gegen die Gewalt der Natur aber ist jeder noch so weise richterliche Spruch eine hohle Nuß, und so wären bei einem heißblütigen Weibe auch entsprechende Mittel aus dem Bereich der Natur anzuwenden und mit denselben eine entsprechende Belehrung an das Herz des Weibes, und es möchte dann wohl besser mit demselben werden. – Siehe, also ist sich in diesem Falle zu verhalten. Hast du aber etwa noch ein Bedenken, so laß es hören!“

Kapitel 072. Prüfung der Brautleute.

1. Sagt Cyrenius: „Du hast soeben von einem natürlichen Mittel etwas erwähnt; worin könnte das wohl bestehen?“

2. Sage Ich: „In der natürlichen Lebensmäßigkeit! Ein heißes Blut ist stets mehr verzehrender Natur denn ein kühles; daher sind heißblütige Menschen auch gefräßiger denn die kühlblütigen und haben eine stets wachsende Lust zu vielen und wohlschmeckenden Speisen und Getränken.

3. Wenn sich solche Menschen aber in die Mäßigkeit begeben oder zur Mäßigkeit angehalten werden, indem man ihnen mit freundlichem Herzen das auch erläutert, warum man so etwas für sie tut und ihnen die Mäßigkeit und größere Magerkeit im Essen anempfiehlt, so wird das Blut bald kühler zu pulsen und der sinnliche Trieb sehr an seiner Kraft zu verlieren anfangen, ohne den geringsten Nachteil für die sonstige Gesundheit des Leibes und der Seele.

4. Sollte aber bei einem sehr begehrenden Weibe auch durch längere Beachtung der goldenen Mäßigkeit die Natur noch keinen fühlbaren Umschwung erhalten haben, so soll es bei abnehmendem Monde abends das Wasser von gekochten Sennesblättern mit etwas Aloesaft zu sich nehmen, etwa vier Eßlöffel voll, aber nicht alle Tage, sondern nur jeden dritten oder vierten Tag, und es wird dadurch sicher besser mit der hitzigen Natur des Weibes auszusehen anfangen.

5. Sollte aber dies alles samt daneben erhaltenen guten Lehren wenig oder nichts fruchten, so kann dann erst auf Verlangen des Mannes die früher für diesen Fall besprochene Ehescheidung von Tisch und Bett eingeleitet werden.

6. Jedenfalls aber ist da das nüchterne und vom geilen Manne geplagte Weib zehnmal eher anzuhören – besonders, so es schon in gesegneten Umständen sich befände – als ein von seinem geilen Weibe geplagter Mann; denn ein nüchterner Mann hat außer den Moralmitteln noch eine Menge natürlicher Disziplinarmittel, mit denen er des Weibes Glut sehr heilsam kühlen kann, und es wird dem zu heißblütigen Weibe nicht zum Schaden gereichen, so der Mann aus seinem geheimgehaltenen guten Willen demselben so manches Mal ein wenig von einem guten Ernste etwas zeigt. Nur muß solcher nie aus einem hintergründigen Gram oder Zorn, sondern stets aus der hintergründigen wahren Nächstenliebe abstammen, ansonst er nicht nur nichts nützen, sondern nur schaden würde.

7. Darin aber besteht nun alles in allem, was da betrifft die Ehe und der Sünden nach allen Richtungen hin, und es solle sich in der Welt danach gerichtet werden an allen Orten.

8. Es soll aber darüber sogar vom Staate aus eine gesetzliche Vorschrift dahin getroffen sein, daß die einmal geschlossenen Ehen moralisch so gut als möglich gehalten werden sollen, und daß Menschen, die irgend mit leiblichen und seelischen Gebrechen behaftet sind, zur Ehe nicht zugelassen werden sollen; denn aus solchen Ehen kann nie eine völlig gesegnete Zucht hervorgehen.

9. Es soll aber auch mit den sonst Gebrechenlosen eine Prüfung vorgenommen werden, bei der es sich zeigen soll, ob der junge Bräutigam und die junge Braut füreinander taugen.

10. Findet da ein bevollmächtigter, weiser Prüfer irgend leidige Knoten, so soll er mit der Bewilligung zum vollen Ehebündnisse zurückhalten und den sich verehelichen Wollenden die argen Folgen recht lebendig ans Herz legen, und ihnen bedeuten, daß die gültige Bewilligung zum vollen Ehebündnisse so lange nicht erteilt werden könne, als die verderblichen Knoten fortbestehen.

11. Auch soll so ein vom Staate aus bevollmächtigter Eheschließer den Heiratslustigen den Lebensernst der geschlossenen Ehe und den himmlischen hohen Zweck derselben recht helle machen.

12. Zeigt es sich, daß dadurch die Ehelustigen sich nüchterner und nüchterner zu zeigen anfangen, ihre Weltknoten beiseite schaffen, so daß sie sich nur des gegenseitigen Menschenwertes wegen ehelich verbinden wollen, dann erst soll so ein Bevollmächtigter die Bewilligung zum vollgültigen Ehebündnisse erteilen. Er soll das Treugelöbnis in ein Buch zum Zeichen des unauflösbaren Ehebündnisses aufzeichnen mit Untersetzung des Jahres und Tages des begangenen Ehebündnisses und soll stets in der Kenntnis der nachfolgenden Eheverhältnisse – wie sich diese etwa gestalten, ob gut oder schlecht – bleiben.

13. Es sollen darum solche weise Bevollmächtigte zur Schließung der Ehen keine fremden, in eine Gemeinde eingeschobenen Menschen, sondern allenthalben nur Einheimische sein, die die Menschen, jung und alt, nahe so gut wie sich selbst kennen; so werden dadurch sicher die vielen Mißehen verhindert, und es wird dann viel Segens geben in einer solchen gereinigten Gemeinde.

14. Es wäre darum gut, in jeder größeren Gemeinde eine Matrimonialgerichtsbarkeit (Ehegericht) zu stellen, die stets über alle die Ehesachen zu wachen hätte. Freilich müßte solch eine Gerichtsbarkeit von einem höchst unbescholtenen Charakter sein, und es sollte an deren Spitze allenthalben ein Mann gleich einem Mathael stehen.

15. Dieser Mann sollte auch vor allem bei Ehebündnissen darauf sehen, daß ein junger Mann nie unter vierundzwanzig Jahren und eine Maid nie unter zwanzig Jahren ein gültiges Ehebündnis schließen solle. Denn diese Zeit ist mindestens bedungen zur nötigen Reife für ein gutes und auch im Geiste haltbares Ehebündnis. Denn zu junge Eheleute verderben sich durch gegenseitigen sinnlichen Genuß, werden sich gegenseitig bald zum Ekel, und die Ehenot ist fertig.

16. Darum soll künftighin alles wahre Glück der Ehen von dem besprochenen Eheoberrichter abhängen; in welcher Gemeinde da ein weisester Oberrichter sein wichtiges Amt führen wird, in der wird es auch bald am gesegnetsten aussehen.

17. Ein solcher Oberrichter wird dann auch die Erziehung und die gute Zucht der Kinder der ihm anvertrauten Gemeinde im Auge und Herzen festhalten und wird allen Ärgernissen mit den entsprechenden Mitteln vorzubeugen verstehen; die Widerspenstigen wird er züchtigen und die Eifrigen für alles Gute und Wahre zu beloben und dadurch zu belohnen verstehen, daß er sie auf den Segen ihrer Haushaltung einleuchtend aufmerksam machen wird.

18. Aber er solle da nicht, wie es hie und da schon der Fall war, gewisse Prämien aussetzen, denn solche äußeren Motive taugen für die geistige Bildung einer Gemeinde durchaus nicht; denn da werden die Glieder derselben dann nur der materiellen Prämie wegen sich wetteifernd des Guten bestreben, aber nicht des Guten wegen allein, das da den Menschen allein bestimmen soll.

19. Es braucht kaum nebenher noch erwähnt zu werden, daß endlich daraus – abgesehen davon, daß solche Ehen dann reiner in der Ordnung Gottes gehalten werden und ihre Früchte des Segens von oben sich allzeit werden erfreuen können – auch für einen noch so großen Gesamtstaat und dessen gesalbtes Oberhaupt die größten sittlichen und natürlichen Vorteile hervorgehen müssen; denn will ein Staat gute Untertanen haben, so muß er sich solche schon in der Wiege zu bilden anfangen. Wollen Eltern gute Kinder haben, so müssen sie dieselben auch schon in der Wiege zu bilden anfangen, sonst werden aus ihnen Wildlinge und werden ihren Eltern zur Qual, anstatt zum Trost und zur Stütze in den alten Tagen.

20. Werden aber die Ehen in guter Ordnung gehalten, so werden aus solchen Ehen auch Kinder in guter Ordnung hervorgehen, und aus ordentlichen Kindern werden dann auch ordentliche Staatsbürger, und solche werden dann auch ganz Bürger des Gottesreiches in ihrem Herzen werden; und damit ist dann alles erfüllt, was die göttliche Ordnung nur immer von den Menschen dieser Erde verlangen kann! – Ist dir nun dieses alles klar und einleuchtend?“

Kapitel 073. Raphael zeichnet Jesu Rede über das Geschlechtsleben auf.

1. Sagt Cyrenius: „Ja, Herr und Meister in Deinem Geiste von Ewigkeit! Nun habe ich keine weitere Frage in dieser Hinsicht zu machen. Nur wäre es sehr wünschenswert, daß das alles von Wort zu Wort wäre aufgezeichnet worden; denn darin liegt eine ganze und beste Staatsverfassung zugrunde.“

2. Sage Ich: „Siehe, der Raphael wird dir solches tun; laß ihm darum Schreibmaterial bringen!“

3. Cyrenius befiehlt darauf sogleich seinen Dienern, Schreibmaterial herbeizuschaffen, und diese gehen und bringen gleich eine rechte Menge leerer Pergamentrollen, wie auch einige Kupfertafeln zum Gravieren. Als solches alles herbeigeschafft ist, berufe Ich den Raphael, und dieser verfügt sich schnell an unsern Tisch und fragt den Cyrenius, wie er es lieber geschrieben hätte, ob auf Pergament oder auf die Kupfertafeln.

4. Sagt Cyrenius: „Auf Pergament wäre die Sache wohl besser zum Gebrauch, aber auf den Kupfertafeln wäre sie für die späten Nachkommen besser und haltbarer aufzubewahren; aber habe ich die Sache nur einmal auf dem Pergamente, so werde dann schon ich eine Abschrift auf die Kupfertafeln besorgen.“

5. Sagt Raphael: „Weißt du was, da es mich weder mehr noch minder Mühe und Arbeit kostet, ob ich die Sache nun einfach oder doppelt niederschreibe, so werde ich zugleich die Rollen und die Tafeln anschreiben!“

6. Die zwölf am anstoßenden Tische machen große Augen und sind nun sehr begierig zu schauen und zu sehen, wie der junge Jünger nun mit beiden Händen zugleich schreiben werde.

7. Suetal sagt noch eigens zu Ribar: „Na, auf diese Doppelschreiberei bin ich sehr neugierig! Der große Meister aus Nazareth muß also auch ein tüchtiger Schulmeister sein; denn so eine Schreiberei ist mir noch nicht vorgekommen. Aber bis er das, was der wahrhaft sehr weise Grieche – der sicher auch ein älterer Jünger des Nazaräers ist – nun geredet hat, alles wird niedergeschrieben haben, wird etwa wohl die Sonne sich eher empfehlen!“

8. Sagt Ribar: „Das kommt erst sehr darauf an, wie geläufig er zu schreiben imstande ist! Vielleicht hat er auch im Schreiben irgendeinen magischen Vorteil, von dem wir ebensowenig wissen, wie wir von dem irgend etwas wissen, wie er die früheren Wunderfakta zustande gebracht hat. Gesehen haben wir sie und auch empfunden, aber wie und durch was sie zustande gebracht worden sind, davon haben wir sicher keinen Dunst! Darum sollen wir ein vorgenommenes Faktum auch nie zum voraus in irgendeinen Zweifel ziehen bei diesen Menschen, die vor unsern Augen schon so Großes geleistet haben, als bis wir durch irgendein Mißlingen irgendeines vorgenommenen Werkes eines andern belehrt werden!“

9. Sagt Suetal: „Ja, ja, dieser Meinung bin ich wohl auch, aber es ist hier nur, daß man irgend auch etwas redet!“

10. Sagt Ribar: „Bruder, es ist hier im Ernste besser, gleichfort zu schweigen, und dafür allein zu schauen und zu horchen! Sieh, der Junge richtet sich die Rollen und die Tafeln zurecht! Darum nur fein aufgepaßt; denn er wird nun sicher sogleich zu schreiben beginnen!“

11. Suetal steht nun auf und beobachtet genau, wie der vermeintliche junge Jünger schreiben werde; als er aber schärfer zu schauen beginnt, so entdeckt er, daß bereits alle Rollen sowie die Tafeln alle vollgeschrieben sind. Darüber im höchsten Grade erstaunt, ruft er laut: „Nein, über dieses Wunder steht kein zweites mehr auf! Wir warteten, wann der Jünger seine Doppelschreiberei beginnen werde, und seht, er ist schon mit allem fertig! Ah, das geht einmal vollkommen über alle die menschlichen Begriffe himmelweit hinaus, und ist nie etwas Ähnliches erhöret worden!“

12. Auf diese Exklamation (Ausruf) des Suetal stehen nun alle die zwölf auf, sehen hin nach den offenen Rollen und nach den klein beschriebenen Tafeln, und alle überzeugen sich, daß sowohl die Rollen als auch die Tafeln voll angeschrieben sind mit guter, reiner und wohlleserlicher Schrift, und fragen sich ganz stumm: „Wie kann solches möglich sein?“

13. Raphael aber bemerkt wohl solches Staunen seiner Tischgenossen und sagt zu Suetal: „Sieh, das machen die acht von mir verzehrten Fische, um die du mir etwas neidig warst; man muß ja eine Kraft sich sammeln, wenn man eine solche Arbeit gut vollenden will! – Oder meinst du hier etwas anderes?“

14. Sagt Suetal: „Liebster, wunderbarster Freund, dir beliebt es, mich so ein wenig zu hänseln; aber es macht das ja nichts mehr, denn ich sehe, daß du eine ungeheure Dosis der göttlichen Allmacht innehast, und es ist mit dir nicht zu rechten! Aber die acht Fische haben dir solche Allmächtigkeit sicher nicht gegeben, sondern allein der große göttliche Meister aus Nazareth hat dir das gegeben! Darum mache du, daß wir diesen bald irgend zu sehen bekommen! Denn nun gibt uns unser Herz keine Ruhe mehr; wir müssen ihn sehen und sprechen! – Denn nun möchten auch wir ihn einmal sehen und sprechen!“

15. Sagt Raphael: „Geduldet euch nur noch eine Zeit, bis ich die Schriften hier ganz geordnet habe, dann werden wir erst nachsehen gehen, wo etwa für die Blinden und Tauben der große Meister steckt!“ Mit diesen Worten stellen sich die zwölfe zufrieden und verlangen nun vorderhand nichts Weiteres.

16. Raphael aber macht nun die Rollen in eine gute Ordnung zusammen und übergibt sie samt den Tafeln dem ebenfalls nicht wenig erstaunten Cyrenius, der sie gleich durchzuschauen beginnt und sich über die Korrektheit gar nicht genug erstaunen kann.

Kapitel 074. Suetals Ungeduld und Neugier, Jesus zu sehen.

1. Während Cyrenius aber mit der größten Freude seine Rollen nur so flüchtig als möglich durchschauet und dabei auch stets eine ehrerbietigere Miene um die andere macht, sage Ich zum Raphael, daß er nun wieder die Jarah und den Josoe ihrer einstweiligen, kurzen Verbannung ledig machen und sie nun zum Tische bringen solle. Solches bewirkt nun ganz schnell der fertige Diener aus den Himmeln, und als die Jarah ankommt, so sagt sie etwas betrübt: „Aber, o Herr, Du Meine ewig alleinige Liebe, war aber das doch eine ganz entsetzlich lange Unterredung, von der ich nichts hören durfte! Ich meinte schon, daß sie vor der Nacht nimmer enden werde! Aber Dir allein alles Lob, es ist nun alles vorüber, und ich habe Dich wieder!“

2. Der Engel aber begab sich unter (während) der Zeit wieder zu den zwölfen, von denen Suetal der erste ist, der sich über die Jarah hoch verwundert und sagt: „Aber höre du, mein junger schönster Jünger, was hat denn das etwa kaum vierzehn Frühlinge zählende Mädchen mit dem weisen Griechen? Das scheint ja in den guten Mann bis über die Ohren verliebt zu sein!? Als du dich hineinbegabst, dachte ich, du werdest da schon den Meister der Meister in die Sicht stellen; dabei brachtest du dies verliebte Mägdlein! Das heißt sich etwa doch in seiner Hoffnung täuschen! Ist das etwa auch schon so eine wundertätige Jüngerin des großen Meisters, und hat sie im Hause nun etwa in einer verborgenen Kammer irgendeinen Unterricht empfangen? Wahrlich, es tauchen bei euch immerwährend Erscheinungen auf, aus denen man statt klüger nur stets dümmer wird, je mehr man bei sich so recht reiflich nachdenkt. Auf der einen Seite Wundertaten der allerunerhörtesten Art, auf der andern Seite gleich wieder Erscheinungen ganz gewöhnlich menschlicher Art; da sage du mir, wie ein ehrlicher Mensch unserer Art diese Sache aufnehmen solle, so wie ich auch nun im Ernste nicht verstehe, warum wir den großen Meister, der sich früher durch den weisen Griechen uns förmlich aufdrängen wollte, wo wir ihn eigentlich, wie es wahr ist, gar nicht zu sehen wünschten, sich nun gar nicht will sehen lassen! Was haben wir denn getan, daß wir seiner Anschauung so lange entbehren müssen, oder werden wir ihn am Ende gar nicht zu sehen bekommen?“

3. Sagt Raphael: „Ja, meine Freunde, wenn ihr so blind seid, daß ihr am hellsten Mittage nicht einmal die Sonne wahrnehmet, dann ist euch nicht zu helfen! So jemand einmal zu dumm ist, so nützt es nichts, so man zu ihm auch sagte: ,Sieh, dieser oder jener ist es!‘ Er wird es dennoch nicht glauben; denn zum Glauben gehört ein geweckter Verstand, der sich im Notfalle auch von sich selbst heraus zurechtfindet. Wo aber irgendeines Menschen Verstand noch zu stark mit der dicksten Materie vernagelt ist, da nützt dann auch kein Hinweisen auf eine Sache irgend etwas, sondern da muß so einer sich erst zehnmal die Nase blutig stoßen, dann erst wird er darüber nachzudenken anfangen, warum er sich die Nase wund gestoßen hat! Und gerade also wird es auch euch ergehen müssen! Bis ihr nicht aus dem eigenen Schaden klug werdet, wird euch kein Gott klug machen!

4. Was wollt ihr denn nun mit (oder von) dem großen Meister aus Nazareth? Fehlt euch irgend etwas, daß Er euch helfe, oder wollet ihr nur aus purer Neugier sehen, gleichwie die dummen Menschen sich hindrängen, einen tanzenden Bären anzugaffen? Wahrlich, darum ist der große Heiland nicht da, um Sich von dummen und eingebildeten Leuten aus purer Neugier angaffen zu lassen! Wahrlich, so euer Herz Ihn nicht findet aus der Menge hier, so wird Ihn euer eingebildet hoher Verstand noch um vieles weniger finden, – dafür stehe ich euch!

5. Demütiget euch zuvor in eurem Herzen, ansonst ihr den heilig großen Meister nicht zu sehen bekommen werdet; denn Sein Wesen ist erfüllt mit der Fülle des Geistes Gottes sogar körperlich!

6. Er ist ein Herr über Himmel und Erde, und vor Seinem Namen sollen sich beugen alle Knie im Himmel, auf Erden und unter der Erden; denn Sein Name heißet heilig über heilig!“

7. Auf diese ziemlich scharfen Worte erhebt sich der Engel, verläßt der zwölfe Tisch und nimmt wieder an unserem Tische Platz, wo ihm Cyrenius noch einmal in Meinem Namen freundlichst dankt für die außerordentliche Gefälligkeit; denn es war in den Schriften alles enthalten von Wort zu Wort, wie er Mich gefragt und wie Ich ihm seine Fragen beantwortet habe.

Kapitel 075. Suetal spricht mit Ribar über das Verhalten des Raphael.

1. Den zwölfen aber will die Rede des Raphael nicht wohl munden, und sie fangen darum an, auf Mittel zu sinnen, wie sie sich etwa so ganz heimlich empfehlen könnten, um doch wieder nach Jerusalem, wennschon unverrichteterdinge, zurückzukehren; „denn“, sagt Suetal, „wir haben bis jetzt noch nichts Strafbares wider den Tempel unternommen. Was die Gewalt mit uns verfügte, dafür können wir nicht; unser innerster Sinn aber kann von allen Templern ewig nicht erforscht werden, und so müssen wir im Tempel ganz gut wieder aufgenommen werden, und wir werden in dessen Gunst sicher steigen, so wir ihm so manches mitteilen werden, was uns auf unseren gefahrvollsten Wanderungen alles für Außerordentliches begegnet ist! Die Hohen werden uns mit den geneigtesten Ohren von der Welt zuhören und werden uns wohlwollend werden, und unser Glück ist gemacht. Wir werden dann vielleicht wieder hinausgesandt werden in die Fremde; aber es wird uns solches nimmer genieren, denn wir sind feine Käuze und wissen nun genau, was wir zu tun und für wen wir das Volk zu bearbeiten haben!

2. Hier in dieser sonderbaren Gesellschaft von Zauberern oder Göttern aber ist es fürwahr nicht mehr zum Bestehen! Es wird immer von der Liebe gesprochen, wie solches aus der wahrlich weisen Rede des Griechen zu entnehmen war; fragt man aber so einen Wundertäter um etwas, so gibt er einem stets nur eine ausweichende Antwort und wird dabei grob wie ein Stoppelfeld! Na, der soll mir noch einmal von der Demut, Sanftmut und Liebe etwas vorzusagen anfangen, so wird er von mir eins aufs Dachel bekommen, daß er mir dagegen sicher nicht vieles zu erwidern imstande sein wird!

3. Wer seinen Bruder zur Demut ermahnt, muß zuerst selbst demütig sein, ansonst soll er sich zuvor eine ellenlange Predigt von der Demut machen, ehe er einen seiner Brüder zur Demut ermahnt! Da schaue der Mensch einmal so einen jungen Wunderschliffel an, wie schön grob er am Ende mit uns allen geworden ist! Was geht uns seine Wundertatskunst an, und was solle sie uns nützen, so wir sie ihm nicht nachmachen können?! Braucht er darum mit uns denn grob zu werden?

4. Daß ich wegen des Mägdleins meine ganz natürliche und durchaus nicht anzügliche Bemerkung gemacht habe nach dem, was doch ein jeder Mensch hier mit offenen Augen selbst sehen kann, das kann doch keinen nur einigermaßen weisen Menschen beleidigen; denn was ich bemerkte, ist wenigstens für unsereins eine ganz gewöhnliche menschliche Erscheinung und entbehrt jedes prophetischen Anstrichs. Ich berührte nur den sicher jedem von uns auffallenden Kontrast, daß es hier einerseits, was die Taten betrifft, offenbar göttlich wunderbar zugeht; was aber die sittliche Sphäre des Lebens betrifft, da ersieht doch kein gewöhnliches Menschenauge was anderes als etwas ganz Gewöhnliches und Natürliches, – und solche meine ganz unschuldige Bemerkung brachte das Muster von Demut und Sanftmut derart auf, daß er uns fürs erste so recht armdick beschimpfte und fürs zweite den Rücken kehrte, damit er ja einer Erwiderung von unserer Seite entging! Wahrlich, ein solches Benehmen gehört offenbar in ein Tollhaus, aber nicht unter Menschen von einiger Bildung, und am allerwenigsten in die Gesellschaft von lauter Liebe-, Demuts- und Sanftmutspredigern! Darum möchte ich wahrlich nicht für lange bei dieser Gesellschaft sein; denn es gibt kein fataleres Sein als eines unter solchen Menschen, bei denen man nie bis auf den Grund sehen und auch nie wissen kann, wie man mit ihnen daran ist, und inwieweit man ihnen trauen soll! Wahrlich, diesen Meistern möchte ich um alles in der Welt keinen noch so dummen Jünger abgeben! – Habe ich recht oder nicht? Was meinst den du da in dieser Hinsicht, Bruder Ribar? Was glaubst du, – sollen wir gehen oder noch bleiben, da wir nun frei sind und können von nun an in die Legion der Fremden eintreten oder aber auch heimkehren?!“

5. Da antwortet Ribar, sagend: „Ich meine, daß wir dennoch bleiben sollen; denn wir sind ja doch im Grunde von keinem bärtigen Manne, sondern von dem noch stark unbärtigen Wunderjungen – wahrscheinlich wegen deiner Zudringlichkeit von wegen des großen Meisters, daß wir ihn einmal sähen, – so ein bißchen zurechtgewiesen worden!

6. Meine Meinung darin ist die: Der Junge hat von seinem Meister sicher noch ein Verbot auf dem Rücken, demzufolge er aus was immer für Gründen uns den Meister nicht vor der Zeit verraten darf; nun bist du ihn aber scharf angegangen darum, und er hat sich dadurch aus deiner Schlinge gezogen, daß er uns allen, weil du ihm ein wenig zugesetzt hast, den Rücken kehrte. Meine Meinung ist darum denn doch diese, daß wir bleiben sollen und doch sehen, ob wir mit dem großen Meister nicht eine Bekanntschaft machen können!

7. Es wird einem hier freilich wohl ganz sonderbar zumute, wo man sich einesteils fast wirklich wie unter lauter Göttern befindet, andernteils es aber doch wieder ganz natürlich-menschlich zuzugehen scheint! Von einem Fasten vor dem Sabbat ist da natürlich keine Rede; denn es sind ja fast die meisten Anwesenden lauter Römer und Griechen. Also sieht man auch wenig beten; aber was da gesprochen wird, strotzt nicht selten von übersalomonischer Weisheit. Kurz, es waltet hier alles sonderbar durcheinander; wir stehen unter Menschen, die wie von Gott berufen zu sein scheinen, Himmel und Welt enger aneinanderzuziehen, um mit der Zeit den Menschen dieser Erde ein weiteres Feld zur Ausbildung ihrer geistigen und der dazu nötigen materiellen Kräfte zu bereiten! Ich kann darum dem Jünglinge trotz aller seiner Grobheit dennoch nicht gram werden; denn es ist oft ein solcher Rüttler gar nicht schlecht, weil man durch ihn oft schneller zu einer Einsicht gelangt als durch hundert bescheidene Belehrungen.“

8. Fragt Suetal etwas nachdenkend: „Wie meinst und verstehst du das?“

9. Sagt Ribar: „Das sollst du von mir nun gleich so ganz unverhohlen vernehmen!“

Kapitel 076. Ribars Ahnung von der Anwesenheit Jesu.

1. (Ribar:) „Siehe, der Junge hat uns meines Erachtens nicht ganz – ohne Grund taub, blind und dumm genannt; auch der Esel, den er früher an unsere Seite gestellt hatte, sagte uns durch die Tat im Grunde dasselbe!

2. Siehe, mir kommt es immer mehr vor, und jetzt ganz besonders, daß eben jener überaus gemütlich aussehende Grieche der große Nazaräer ist! Ich habe ihn stets im Auge behalten, und es ist mir an ihm nun schon so viel aufgefallen, daß ich fast keinen Augenblick mehr zweifeln möchte, daß er es ist! Alles wendet ihm allein Auge, Ohr und Herz zu; der mächtige und sonst so unerbittlich stolze Oberstatthalter betet ihn förmlich an; der Junge tut alles nur auf seinen Wink und sein Geheiß, und seine Rede ist klar und voll Weisheit! Danebst merkte ich, wie er dem Oberstatthalter gegen die zu große Brunst der jungen Weiber auch natürliche Arzneimittel angab; siehe, das kann ja nur ein Heiland tun! Zudem mußte dann erst seine Lehre, die er vorgetragen hatte, schnellst niedergeschrieben werden, und das auf die wunderbarste Art von der Welt! Halte du das alles so hübsch fein gegeneinander, und du wirst es selbst finden, daß ich nicht ganz unrecht haben dürfte, und der Junge auch nicht, darum er uns taub, blind und dumm nannte! – Was meinst du da, und was meinet in dieser Hinsicht ihr alle?“

3. Sagt Suetal: „Weißt, ganz unrecht dürftest du aber auch fürwahr nicht haben; denn mir fängt darüber nun selbst an, ein Lichtlein aufzugehen! Wenn das aber der Fall ist, dann hat uns der Junge wahrlich nicht unrecht getan; denn da wären wir im Ernste so blind, daß wir den Wald vor lauter Bäumen nicht entdeckt hätten! Aber nun warte du, ich werde auf den Griechen von nun an ein schärferes Auge legen, und es soll sich sogleich zeigen, inwieweit du etwa doch in allem Ernste recht haben dürftest!“

4. Von da an beobachtet Mich Suetal mit großer Aufmerksamkeit und daneben aber auch das Verhalten aller der andern Gäste und sagt nach einer Weile zum Ribar: „Bruder, du möchtest wohl sehr recht haben: er wird es unfehlbar sein! Denn aus allen Gesichtern geht es ja ganz klar hervor, daß sie ihn sicher als den Vorstand der ganzen, großen Gesellschaft verehren und sich ohne seine Zustimmung nicht einmal der Oberstatthalter etwas zu tun getraut! Es müßte dieser scheinbare Grieche im Ernste bloß nur ein innigster und weisester Freund des großen Meisters sein, als was er sich eigentlich bei uns aufgeführt hat, und da würde man ihm darum auch sicher die größte Aufmerksamkeit schenken!? Hätte er sich bei uns ehedem nicht bloß nur als ein intimster Freund des großen Meisters aufgeführt, so hätte ich ihn schon lange als den großen Meister begrüßt! Aber es wäre denn doch auch sonderbar von uns gewesen, so wir den biedern Mann für etwas anderes gehalten hätten, als für das nur, als was er sich uns selbst aufgeführt hatte; denn das kann man Rechtens von dem so von Gottes Geiste durchdrungenen Manne doch nicht füglichermaßen annehmen, daß er vor uns ganz harmlosen Juden das Verstecken spielen solle oder werde!?“

5. Sagt Ribar: „Das finde ich wieder ganz anders, denn dadurch, daß er sich uns als des großen Meisters innigsten Freund aufgeführt hat, hat er uns durchaus keine Unwahrheit gesagt, so er auch der eigentliche Meister selbst es war; denn siehe, ein jeder kennt sich selbst stets sicher am besten und ist daher auch sein allernächster und sicher bester Freund! Wenn nun jemand in einer gewissen guten Laune so etwas von sich selbst aussagt, so ist von einer Unwahrheit sicher keine Spur; zudem kann so ein weisester Mann wohl auch noch einen irgend verborgenen Grund haben, warum er sich oft manchen Menschen nicht gleich aufs Gesicht hin enthüllt, und wir werden später sicher darauf kommen. Siehe du nur den weisen Mathael an, wie er fast allzeit zu Tränen gerührt wird, sooft er den Griechen nur anschaut! Bruder, das hat sicher seinen guten und sehr bedeutungsvollen Grund!

6. So scheint mir auch die große Liebe, die das sonst überaus geistreich aussehende Mägdlein zu diesem Griechen zeigt, mehr für als wider meine Behauptung zu sprechen. Denn sieh du einmal die wahrhaft überhimmlische Schönheit unseres jungen Wundertäters an! Ich meine, daß sich in den doch auf einem Flecke tausendmal tausend Weiber und Mädchen bis zur Verzweiflung verlieben müßten!? Und doch achtet das Mägdlein seiner kaum, obschon er als Jüngling wohl um tausend Male schöner ist denn das Mägdlein; aber dem Griechen möchte sie ja gerade ins Herz hineinsteigen! Ich sage es, Bruder, das ist auch nicht – ohne! Dies Mägdlein muß also einen ganz andern Grund haben, aus dem sie in den scheinbaren Griechen gar so verliebt ist; mir kommt es bei genauerem Beobachten also vor, als wäre das Mägdlein in das Göttliche in ihm nur verliebt und nähme da nahe gar keine Rücksicht auf seinen Leib! Betrachte du nur einmal ihr mehr von einer gewissen Ehrfurcht als von irgendeiner sinnlichen Liebe durchstrahltes Auge, und du wirst es leicht merken, daß in dem Mägdlein keine Spur von irgendeiner sinnlichen Liebe waltet!“

7. Sagt Suetal: „Bruder, du trägst deinen Namen wahrlich nicht umsonst; denn ein Fischer muß ein scharfes Auge haben! Mir fallen jetzt selbst schon hundert Dinge auf, die ich früher gar nicht beachtet habe; sie deuten alle auf deine Behauptung hin. Mir fällt aber nun auch an unserem Jünglinge etwas auf! Er ist nun ein paar Male von dem nun es nahe sicher seienden großen Meister ins Haus gesandt worden; ich sah ihn aber nicht, wie er ging, sondern – er war dir dort und da! Sein Gehen ist wie sein Schreiben: wo er sein will, dort ist er auch schon! Bruder, das kommt mir auch nicht ganz richtig vor! Würde er nicht stets nur das tun, was ihm der scheinbare Grieche gewisserart befiehlt, so möchte ich nahe ihn selbst für den Meister halten; aber indem er nur stets das tut, zu was er von dem scheinbaren Griechen beheißen wird, so kann man ihn dennoch nur für einen Diener und für keinen Herrn halten! Aber es ist wohl im höchsten Grade merkwürdig, wie weit es dieser junge Mensch in der gewissen rein göttlichen Magie gebracht hat!“

8. Sagt Ribar: „Was du nun an dem Jünglinge bemerkt hast, das ist mir an ihm schon früher stark aufgefallen; aber ich habe, weißt du, so ganz bei mir auch ehedem beim Verzehren seiner acht Fische das sehr Sonderbare bemerkt, daß er eigentlich keinen Fisch uns gleich mit dem Munde verzehrt hat; er brachte den Fisch nur bis zum Munde, – und gar war es! Der Fisch verschwand samt Haut und Knochen, ebenso verzehrte er das Brot und also den Wein; alles verschwand in dem Augenblicke als er es bis zu den Lippen gebracht hatte! Mir ist es ordentlich unheimlich an seiner Seite geworden! Fürwahr, ich habe so ganz unbemerkt ein paar Male mich unter dem Tische nach seinen Füßen umgesehen; aber diese waren stets so rein und himmlisch schön, wie ich so schöne und reine Füße noch in meinem Leben nie bei einer Jungfrau, geschweige bei einem Jünglinge gesehen habe! Das beruhigte mich wieder, und ich hätte, so ich mich nicht geniert hätte, seine wunderreizend schönsten Füße mit der seligsten Lust eine Ewigkeit in einem fort ansehen und bewundern können! Fürwahr, wenn jetzt ein Engel aus den Himmeln käme, so könnte er unmöglich auf noch schöneren Füßen stehen!“

9. Sagt Suetal: „Sieh, das ist wieder etwas, was ich nicht bemerkt habe; aber nach seiner sonstigen Wunderschönheit zu urteilen, müßte man gerade schon nahe zu urteilen anfangen, daß er irgendein höheres geistiges Wesen wäre, – denn seine Gestalt und seine sonderbaren Wundertaten scheinen nahezu laut schreiende Zeugen dafür zu sein! Aber hier tritt uns wieder der Umstand entgegen, daß er uns nur als ein jüngster Jünger des großen Meisters aufgeführt wurde, der es in der göttlichen Magie schon so weit gebracht habe, welche Aussage natürlich so viel sagt als: Wenn dieser jüngste schon so viel leistet, was werden dann erst die älteren Jünger alles zu leisten imstande sein!? Bei solcher ganz natürlichen Annahme aber fällt der Gedanke an ein höheres Wesen in dem Jungen von selbst weg; denn wäre er dennoch das, so hätte der seiende große Meister uns zuvor ja offenbar angelogen, und das läßt sich von solch einem Manne denn doch wohl füglich nicht annehmen! – Was meinst du da?“

10. Sagt Ribar: „Ja, also scheint die Sache wohl; aber es scheint da in dieser Sphäre, daß vor unsern Augen der alte Isisschleier noch nicht gelüftet ist! Wenn aber der große Meister etwa doch das wäre, was früher Mathael von ihm ausgesagt hat, dann könnte ja auch ein Engel der Himmel sein Jünger sein! – Habe ich recht oder nicht?“

Kapitel 077. Wie Gott Sich erkennen läßt.

1. Sagt Suetal: „Ja, ja, da ginge die Sache schon ganz gut überorts zusammen! Nur mit dem Ausdrucke ,jüngster‘ hätte es noch einen starken Haken; denn so ein halbe Ewigkeiten durchlebt habender Engel könnte doch gegenüber den Menschen dieser Erde unmöglich ein jüngster Jünger sein!? So ein Engel war sicher schon lange eher mit der himmlischen Magie vertraut, bevor noch eine Sonne am Firmamente leuchtete?! – Was meinst du in dieser Hinsicht?“

2. Sagt Ribar: „Das ist freilich ein bedeutender Haken, an dem auch ich hängenbleiben kann; aber dennoch fällt mir nun etwas ein: Sieh, das kann der Meister bloß dahin gedeutet haben, daß er uns den Jungen, bloß für diese Zeit Bezug habend, als den jüngsten seiner Jünger vorgeführt hat aus dem Grunde, weil dieser Junge vielleicht erst etliche Tage, mit irdischer Hülle bekleidet, sich in der Gesellschaft der Menschen befindet!“

3. Sagt Suetal: „Ja, wenn das möglich wäre, dann hättest du freilich wieder recht; aber weißt, so etwas anzunehmen ist denn doch ein wenig gewagt! Entweder das oder Moses; denn beide können bei solchen Umständen nicht nebeneinander bestehen!“

4. Sagt Ribar: „Das sehe ich nicht ein! Konnte doch ein Engel, wie man sich noch heute von Mund zu Mund erzählt, sieben Jahre lang ein Führer des Tobias sein; warum sollte dieser nicht etliche Tage auf der Erde aushalten können?! Diese Erde ist ja doch ebensogut ein Werk Gottes, als er selbst es ist!“

5. Sagt Suetal: „Ja ja, wenn du da in der Wahrheit stehst und Mathael auch unbestreitbar recht hat, dann kann, irdisch genommen, dieser Junge wohl allerdings des ewig großen Meisters jüngster Jünger sein! Die Gestalt und seine Taten bekunden offenbar ein höheres Wesen aus den Himmeln; so aber dieses Wesen selbst von sich aussagt, daß es ein jüngster Jünger des großen Meisters aus Nazareth sei, so muß dieser Meister seinem Geiste nach doch offenbar ein Herr über alle Himmel sein. Ist aber das, dann entsteht für uns die große Frage, was wir dergestalt im Angesichte des leibhaftig Allerhöchsten und Allmächtigsten tun können und tun werden! Denn das wäre wahrlich keine Kleinigkeit!“

6. Sagt Ribar: „Allerdings; aber könnten wir es anders machen, wenn es, wie es mir nun stets mehr zweifelsohne zu sein scheint, also wäre? Siehe, die Gottheit ist frei und tut, was Sie will, und die Sterblichen können Ihr keine Schranken setzen! Wäre Sie als ein Richter zu uns gekommen, da wären wir sicher sehr arg daran; aber Sie kam als ein sanftester Wohltäter zu uns Sterblichen, um uns sicher aus der alten schon vom Vater Henoch gepredigten Liebe näher an Sich zu ziehen, und unter solchem Umstande ist Sie nicht fürchterlich. Aber wie es mir so vorkommt, so gibt Sie Sich nur der Liebe allein in Ihrer Echtheit zu erkennen, weil die Liebe sicher das einzige Motiv Ihrer Hierherkunft war. Aber mit dem Verstande und mit aller unserer hochgepriesenen Vernunft läßt Sie Sich durchaus nicht erkennen.

7. Und sieh, es wird mir jetzt so manches heller! Der vermeintliche Grieche kam ehedem gar so liebfreundlich zu uns und fragte uns noch obendrauf, ob wir mit dem großen Meister aus Nazareth nicht Bekanntschaft machen wollten; wir aber sprachen uns aus einer Art Furcht entschieden dagegen aus und kamen ihm mit allerlei nichtigen Vernunftgründen entgegen. Wir fürchteten den Meister, weil der Jünger es uns schon gezeigt hatte, wie verdammt seicht unsere Vernunftgründe waren.

8. Bis jetzt kalkulierten wir noch immer mit der Vernunft und haben noch sehr wenig herausgebracht; und die ziemlich starke Mutmaßung, die nun in unserem Gemüte lauter und lauter zu werden beginnt, haben wir rein dem Rippler zu verdanken, den uns der weise Junge, da ihm offenbar die Geduld etwas zu kurz werden mochte, versetzt hat. Denn, wie ich es nun so ziemlich klar zu merken beginne, hatte er uns vor der langen Rede des Meisters doch so ziemlich dick auf den Mund gestrichen, daß eben jener Grieche der Meister sein müsse und kein anderer! Aber unsere echte Schweinevernunft hatte da stets noch eine Dreidecke vor die Augen unserer Seele gezogen, und wir sahen somit stets den Wald vor lauter Bäumen nicht.

9. Jetzt, wo wir wegen des starken Ripplers einige Vorliebe zu dem Griechen faßten, scheinen uns ein paar Decken von den Augen unserer Seele genommen worden zu sein, und wir fangen jetzt darum auch an, lichte Mutmaßungen zu schöpfen. Und ich bin nun der Meinung, daß wir unsere Vernunft rein über Bord ins Meer werfen und dafür rein dem Gefühle unserer Herzen folgen sollen, so werden wir dadurch sicher eher an einem Ziele sein als durch unsere Vernunft, die dem Menschen nur darum verliehen ward, als man zum Kochen einer Speise einen Kochlöffel dem Speisekochtopfe verleihet, nämlich zum Herumrühren der Speisen. Sind die Speisen im Topfe aber einmal gekocht, so ist der Rührlöffel für weiterhin entbehrlich! – Was ist darüber nun deine und euer aller Meinung?“

10. Sagt, große Augen machend, Suetal: „Freund, ich sehe schon, daß du für den Griechen stets mehr und mehr eingenommen bist. Solches ist zwar auch bei mir der Fall, und ich teile darin ganz deine Meinung; aber mit der Verwerfung der Vernunft bin ich vorderhand noch nicht einverstanden. Denn legen wir diese eines in uns aufsprudelnden Gefühles wegen beiseite, was haben wir dann noch vor den Tieren des Waldes, die ohne Vernunft sind und darum ihrem Gefühlsinstinkt folgen müssen, voraus?

11. Siehe, der Mensch wird gar oft von allerlei Gefühlen übermannt; würde er da, ohne seine reinere Vernunft zu Rate zu ziehen, gleich unbedingt seinen Gefühlen folgen, wohin käme er dabei! Darum ist es meiner Einsicht nach nur vor allem nötig, die Vernunft soviel als möglich zu reinigen. Denn nur durch die geläuterte Vernunft geleitet, können uns unsere besseren Gefühle zum wahrhaftigen Segen werden.

12. Die Gefühle im Menschen sind gleich einem vielarmigen Polypen im Meere, der seine vielen Arme stets nach dem Fraße ausstreckt; aber es ist in diesem Tiere sonst durchaus keine andere Intelligenz wahrzunehmen.

13. Wenn nun der Mensch seine Vernunft beiseitegelegt, so gliche er offenbar einem solchen Tiere; denn der bloße rohe Gefühlsmensch ist fraß- und genußsüchtiger denn jedes andere Tier. Nur die gebildete und gereinigte Vernunft regelt und ordnet des Menschen Gefühle, scheidet die schlechten aus, behält dann nur die guten und reinen und macht sogestaltig aus dem Scheinmenschen einen wahren Menschen.

14. Darum mußt du die göttliche Vernunft ja nicht über Bord werfen wollen; denn ohne die Vernunft beherrscht uns ein jeder Esel und ein jeder Ochse!“

15. Die zehn andern geben hier dem Suetal vollkommen recht und sind alle seiner Ansicht; aber Ribar zuckt da bedenklich mit seinen Achseln, und der Suetal sagt: „Na, da kannst du doch fürwahr nichts zum Gegensatze haben?! Denn da steht mein Ausspruch vor Gott und aller Welt so fest wie der Berg Sinai, auf dem Moses die Gesetze für ein mit Vernunft mächtig begabtes Volk erhielt!“

Kapitel 078. Vernunft und Gefühl.

1. Sagt nach einer Weile Ribar: „Freund, da ließe sich noch gar mancher Gegensatz zu dem finden, was du nun ausgesprochen hast! Aber weil du noch ein sehr starker Vernunftheld bist, so würdest du mir dennoch gleich wieder mit etwas entgegenzukommen wissen. Ich will dir in der diesweltlichen Hinsicht in keinem Falle unrecht geben, und es muß in der Weltmenschenbildung also vor sich gehen, wie du dich nun ausgesprochen hast. Diese Bildung muß stets ein notwendiger Vorläufer zu der späteren höheren Bildung des Geistes sein; aber sie soll nicht schon ein Ultimum der Bildung sein und kann es auch bei aller noch so raffinierten Verfeinerung nie werden.

2. Denn so die Vernunft uns als ein ursprünglicher Regulator unserer Gefühle gegeben wurde zur möglichsten Veredlung derselben, so muß dann ja in den dadurch reif gewordenen Gefühlen irgend etwas entsprechend Ähnliches liegen wie in einer reif gewordenen Frucht am Baume. Damit die Frucht aber hat zu einer Reife gelangen können, war freilich das Licht der Sonne samt der Wärme nötig und ebenso dann und wann ein befruchtender Regen. Wenn aber die Frucht einmal reif geworden ist, so wird man sie vom Baume nehmen und sie in der guten Speisekammer bestens aufbewahren, damit sie aus sich heraus noch reifer und lebensschmackhafter werde; wirst du aber die reife Frucht gleichfort am Baume hängen lassen, so wird sie dadurch nicht nur nichts mehr gewinnen, sondern nur gänzlich verderben!

3. Und also ist es sicher auch mit den Gefühlen des Menschen der Fall. Haben sie einmal die gewisse Reife erlangt, so müssen sie dann der äußeren Vernunftpflege enthoben und zu einer höheren Lebensreife aus sich selbst heraus gebracht werden, ansonst die ganze vorangehende Reifmachung der Gefühle eine rein vergebliche war. Aus diesem Grunde sagte ich denn auch, daß wir, da wir mit der Vernunft nichts Weiteres mehr erreichen können, eben diese äußere Vernunft über Bord werfen und uns nunmehr unsern reif gewordenen Gefühlen zur weiteren Lebensleitung überlassen sollen!“

4. Sagt Suetal: „Bruder, in dich muß von irgendwoher ein göttlicher Hauch dringen! Denn ich kenne dich; das ist nicht deine Sprache! Du gehst ja schon ganz in die Mathaelische Weisheit über! Ja, sieh, da kann ich dir durchaus nichts mehr einwenden; denn ich fühle es durch und durch, daß du im Ernste vollkommen recht hast und in der Wahrheit stehst! Ich bin zwar noch nicht soweit, aber ich fühle es, daß es nun auch bei mir vorwärtsgeht.“

5. Es sagen aber nun auch die andern zehn, daß sie dasselbe bei sich zu empfinden anfangen.

6. Nach diesen Gesprächen kehrt Raphael wieder zu den zwölfen zurück, klopft mit seiner Hand beiden beifällig auf ihre Achseln und sagt: „So, so ist es recht, Freunde; so gefallet ihr mir besser denn ehedem mit eurer räudigen Vernunft, und ich darf euch nun sagen, daß ihr euch vollkommen auf dem rechten Wege befindet!“

7. Nach diesen Worten Raphaels steht Ribar auf, umfaßt Raphael mit aller Kraft seiner Liebe drückt ihn an sein Herz, und sagt mit großer Bewegung: „O du Himmel und du, mein Himmlischer! Warum konnte ich dich denn nicht schon früher mit aller Glut meines Lebens lieben!?“ – Denn seit Ribar den Fuß und die Hand und die Augen des Engels näher besehen hatte, ward er sogleich doppelt bis zum Sterben verliebt in ihn.

8. Raphael aber sagt: „Freund, die Liebe ist wohl besser als gar keine Liebe; aber sie taugt dennoch nicht in den Bereich der Seele und ihres innersten Lebens. Du liebst an mir nur die Form, die nun mein natürlich Alleräußerstes ist; die Liebe ist aber das eigentlich Innerste des Menschen und solle sich nie an etwas Äußerstes hängen; denn dadurch wird bald das Innerste zum Äußersten und somit zum Abbilde der Hölle. Dadurch wird die göttliche Lebensordnung verkehrt, der Geist der Seele, welcher die Liebe ist, wird nach außen gekehrt, und es geschieht dadurch, daß er also verkümmern muß, als wie da eine Frühgeburt verkümmert, die durch einen gewaltsamen Stoß von außen viel vor der Zeit aus dem Mutterleibe abgetrieben ward.

9. Meine Außengestalt darf dich sonach nicht fesseln, sondern nur die Wahrheit, die du aus meinem Munde vernimmst. Diese wird dir bleiben und dich allenthalben frei und in deiner Seele wahrhaft glücklich machen; meine einstweilige Außengestalt aber diene dir bloß zu einem Beweise dafür, daß du siehst, wie schön die volle Wahrheit gepaart mit der Liebe in ihrer Reinheit ist! – Verstehest du solches?“

10. Sagt Ribar, von seiner gewaltigen Umarmung abstehend: „Ich verstehe es wohl; aber bei deinem Anblicke wird unsereinem der Verstand wahrhaft zu einer Bergeslast!“

11. Sagt darauf Suetal zu Raphael: „Das ist schon ein altes Übel bei meinem Freunde Ribar. Eine schöne Gestalt, ob männlich oder weiblich, kann er, ohne leidenschaftlich zu werden, nicht vertragen; mir wieder ist das ganz einerlei. Mir gefällt wohl auch eine schöne Gestalt offenbar besser denn eine häßliche, aber leidenschaftlich werde ich darum nie! Darum haben auch bis zur Stunde alle noch so schönen Weiber und Mägde vollkommen vor mir Ruhe gehabt!“

12. Sagt Raphael: „Solches gehört aber nicht dir zu irgendeinem Verdienste, sondern deiner Naturbeschaffenheit! Denn ein Blinder kann kein Verdienst haben, daß er von irgendeiner Schönheit der Welt nicht verlockt wird, und dem Tauben gereicht es nicht zur Tugend, so er sein Ohr nicht an den Mund der Ohrenbläser legt. Aber Menschen deinesgleichen sind denn auch in ihrer Seele um vieles schwerer zu wecken als solche, deren Gemüt im Anfange der geistigen Entwicklung offener ist als irgendein anderes am Ende derselben.

13. Siehe, beim Ribar steht Geistiges, wenn auch noch ungeläutert, schon durch sein Fleisch ausgegossen, daher ihn denn auch sogleich irgend etwas Schönes und in seiner Art Vollkommenes anzieht, da alles äußerlich Schöne offenbar irgendeinen geistig vollendeteren Grund in sich haben muß; und so ist das gewisse äußerliche Verliebtwerden in einen schönen Gegenstand ein zwar stummes, aber dennoch gegenseitig geistiges Erkennen und Erwärmen. Nur muß es frühestens schon einer guten Leitung anvertraut werden, durch die es auf den eigentlichen Lebensgrund gewisserart zurückgeleitet wird, was eben keine zu schwere Arbeit ist, da der eigentliche Lebensgeist, der sich durch die Liebe kundgibt, das eigentlich intelligente Wesen im Menschen ist und somit das seiner Natur und Ordnung Entsprechende leicht faßt und werktätig begreift.“

Kapitel 079. Grund der Verschiedenheit der menschlichen Talente.

1. (Raphael:) „Das sogenannte äußere Verliebtwerden in einen schönen Gegenstand ist darum an und für sich durchaus keine Sünde, kann aber zur Sünde werden – das heißt zu einem Fehler in der Ordnung des Lebens –, wenn es ungeleitet stets mehr und mehr an den äußeren Formen hängenbleibt, wo es dann natürlich schwerer wird, solch einen Geist von der schönen Äußerlichkeit zu trennen und ihn auf den Ort seiner Ordnung zurückzuführen.

2. Es werden vom Herrn aus in solchen Fällen dann allerlei schmerzliche Mahnungen und sogar Geißelungen zugelassen, durch die ein also verirrter Geist mit der Zeit doch wieder in die alte Ordnung zurückkehrt und alles Äußere verläßt, das Edlere davon in seine Ordnung verkehrt und somit wahrhaft belebt.

3. Es ist darum ein großer Unterschied zwischen Menschen deiner Art und Menschen in der Art des Ribar. Was du jahrelang suchen magst, um es zu erhalten, das kann ein Mensch, dem Ribar gleich, in wenigen Tagen, ja oft in wenigen Stunden erreichen, wenn er dazu nur eine rechte Leitung bekommt und selbst recht ernstlich will. – Verstehst du solches?“

4. Sagt Suetal, etwas mürrisch scheinend: „Ja, wohl begreife ich es, sehe aber auf einer andern Seite den Grund nicht ein, warum der Schöpfer einen Menschen so reif und geistig empfänglich und einen andern wieder so stumpf wie ein Stück Holz in die Welt setzt!“

5. Sagt der Engel: „Ja, mein Lieber, wenn du so zu fragen beginnst, da werden wir gar lange nicht fertig; denn dein Geist steckt noch zu tief unter der Haut deines Fleisches, während der Geist des Ribar schon weit über seine Haut hinausgedrungen und mit ihm sonach leicht reden ist. Du könntest ebensogut fragen, warum Gott auf der Erde so viele Steine erschaffen hat und warum nicht lauter sanftes, fruchtbares Erdreich, warum soviel Wassers, über dessen weite Flächen sich keine Äcker und Weingärten anlegen lassen, warum so viel Dorngestrüpp und so viele Distelarten, auf denen wahrlich keine Trauben und keine Feigen wachsen. Aber ich sage es dir, daß da alles im höchsten Grade notwendig ist und das eine ohne das andere nicht bestehen könnte; aber dir davon die weisen Gründe alle zu zeigen, würde nur so ganz kurz und oberflächlich hin einen Zeitraum von vielen Jahrtausenden benötigen, während alles das unendlich Viele ein geweckter und reifer Geist in wenigen Augenblicken vollkommen innehaben kann, so er sich dafür interessiert. Da aber ein vollkommener Geist ganz höhere und bessere Dinge des Lebens vor sich hat, als den Grund der Steine, des Wassers, der Dornen und Disteln zu erforschen, so überläßt er solches gar gerne der weisesten Fürsorge des Herrn der Unendlichkeit.“

6. Sagt Suetal: „Wenn so, da ist es aber dann doch auch nicht meine Schuld, wenn ich begriffsstutziger bin denn so ein Ribar, der meines Wissens trotz seines offener liegenden Geistes die himmlische Weisheit noch lange nicht mit dem Löffel in sich gebracht hat!“

7. Sagt Raphael: „Menschen, wie du, müssen ja einen scharfen Verstand besitzen, auf daß daran ihre viel stumpfere Seele einen Weg zu ihrem Geiste habe, der freilich ein viel längerer und holperichterer ist als der, welchen die Geister der Liebe zu durchwandeln haben; denn ein Geist der Liebe hat das ja schon als offenes Lebenselement in und vor sich, was die stumpfere Seele erst PER LONGUM ET LATUM mittels richtigen Gebrauches ihrer scharfen Außensinne erreichen kann.

8. Siehe, welche Mühe wird es dich noch kosten, bis du zur Liebe gelangen wirst! Ribar aber ist schon ganz Liebe. Diese braucht nur ein wenig geregelt und geordnet zu werden, und er steht dann fertig da; du mußt aber erst durch deinen langweiligen Verstand zur Liebe kommen, um sie dann zu besitzen, ohnedem sie unmöglich zu regeln und zu ordnen ist! – Verstehst du das?“

9. Sagt Suetal: „Wenn so, da ist Gott ja ungerecht und sehr parteiisch!“

10. Sagt der Engel: „In einer gewissen Hinsicht allerdings, aber natürlich nur aus dem Gesichtskreis des kurzsichtigsten Menschenverstandes betrachtet; aber wenn du ein Haus bauest, warum gräbst denn du ein Fundament und legst dann die größten, schwersten und härtesten Steine hinein?

11. Was haben dir denn diese Steine zuvor getan, darum du sie zuerst in den finstern Baugraben schobst und dazu noch alle Last auf ihren Rücken legtest? Hattest du denn da kein Erbarmen mit den armen Steinen? Welchen Druck müssen die Steine unter der ungeheuren Last eines Berges aushalten?

12. Oder erbarmen dich die Wurzeln eines Baumes nicht, darum sie stets in dem finstern Modergrunde der Erde stecken müssen, während des Baumes Äste gar stolz im Luftäther und im alles erquickenden Lichte prangen?

13. Siehe, sind das nicht lauter ,Ungerechtigkeiten‘ schon in den untersten Schichten des geschaffenen Naturlebens?! Wie konnte ein so weiser Gott als Schöpfer da wider allen gesunden Verstandessinn gar gleichgültig und gefühllos darüber hinausgehen?

14. Ebenso könnten sich ja auch deine Füße gegenüber deinen Händen tiefst beklagen und sagen: ,Warum sind denn gerade wir, so gut Fleisch und Blut als ihr, euch herumzutragen verdammt, während ihr euch ohne Mühe in der freien Luft gar lustig herumbewegen könnet?‘

15. Und so könnten noch eine Menge anderer Glieder des Leibes gegen das Haupt eine ganz gerecht scheinende Klage erheben; aber wer würde da die Dummheit einer solchen Beschwerde nicht augenblicklich einsehen?

16. Sieh, in gleicher Weise hat der Herr denn auch die Menschen dieser Erde mit verschiedenen Fähigkeiten begabt, einige mit größeren und einige mit minderen; aber keinem ist das Tor in den großen Tempel der Vollendung verschlossen, sondern einem jeden der Weg gegeben, und es kann sich demnach niemand beschweren und sagen: ,Herr, warum gabst Du denn nicht auch mir die Talente, deren sich mein Bruder im Vollmaße zu erfreuen allen Grund hat?!‘ Denn da würde der Herr zu ihm sagen: ,Fühlst du einen Mangel, so gehe zu deinem Bruder, und er wird dir aushelfen! Hätte Ich allen Menschen ein Vollgleiches gegeben, da hätte keiner gegenüber dem andern einen Mangel, der Bruder würde des Bruders nimmer benötigen! Womit sollte dann die alles belebende Nächstenliebe im Menschen erweckt und gestärkt werden?‘

17. Was wäre aber ein Mensch ohne die Nächstenliebe, und wie würde er ohne diese dann erst die reine Liebe zu Gott finden, ohne die an ein ewiges Leben der Seele gar nicht zu denken ist?!

18. Siehe, damit ein Mensch aber dem andern dienen und sich dadurch dessen Liebe erringen könne, muß er ja doch irgend etwas zu leisten imstande sein, was ein anderer nicht so leicht kann, weil ihm dazu die erforderlichen Talente mangeln; dadurch aber wird dann ein Mensch dem andern zu einem Bedürfnisse, und durch den gegenseitigen nötigen Dienst wird die Liebe zunächst erweckt und durch das Gute solcher gegenseitigen Dienstleistung stets mehr und mehr gestärkt.

19. In der Stärke der Nächstenliebe aber liegt allezeit die innerste Offenbarung der reinen, göttlichen Liebe und in dieser das ewige Leben.

20. Wenn du nun aber von dir selbst behaupten kannst, daß dich gewisserart nichts zu irgendeiner Liebe reizen kann, weder eine schöne Gestalt noch irgendeine ausgezeichnet gute Handlung, da möchte ich selbst von dir dann erfahren, durch welch ein drittes mir ganz unbekanntes Mittel der Mensch die Liebe in seinem Herzen erwecken kann und durch was sie stärken bis zur Kraft der Offenbarung der göttlichen, reinsten Liebe im Herzen!?

21. Wo aber diese sich nicht offenbart in Wort oder Tat, da sieht es mit dem ewigen Leben der Seele nach des Leibes Tode doch sicher auch noch sehr düster und trübe aus!

22. Kurz, so in deinem Herzen noch irgend Zweifel über das Fortleben der Seele nach des Leibes Tode obwalten, da ist die Lebensoffenbarung noch nicht erfolgt; was der Mensch aber nicht hat, daran zweifelt er stets, daß er es je haben werde, wenn er es auch haben möchte. Hast du aber einmal das ewige Leben der Seele durch die Offenbarung der reinen, göttlichen Liebe in deinem Herzen also gefunden wie einen verlorenen Groschen, dann wirst du darob auch keinen Zweifel mehr haben über den vollen Besitz dessen, was du aller Wahrheit und Wirklichkeit nach besitzest!

23. Aber solches kann nur durch die Nächstenliebe erreicht werden; und es ist deshalb der Ribar dem wahren Lebensziel um sehr vieles näher als du, der du wohl deinen Gehirnkasten mit dem Naturlichte dieser Welt erhellt hast, aber dafür dein Herz ohne Feuer und Licht gleich einem Wild im finstern Dickicht der Sumpfwälder Europas umherirren lässest!

24. Ich rate darum dir, dies dir von mir nun Gesagte wohl zu beachten, sonst gehst du hohl mit allem deinem Verstande, und die goldene Frucht an deinem Lebensbaume wird lange vor der Reife von den Würmern zernagt werden; und die Würmer heißen Zweifel, die am Ende deinen gesamten Gehirnkasten durchfressen werden und aus deiner Lebensfrucht wird ein stinkendes Aas werden, das den Raubvögeln zu einem schnöden Fraße dienen wird! – Hast du mich verstanden?!“

Kapitel 080. Ein Verstandesmensch sucht die Liebe.

1. Sagt Suetal: „Verstanden wohl, aber es wäre mir beinahe lieber, so ich dich nicht verstanden hätte! Wie kann ich mich denn zur Liebe nötigen, wenn ich derer von Natur aus nahe gänzlich unfähig bin? Ich kenne nur einen Beifall meines Verstandes bei Erscheinungen und Handlungen; aber eine Liebe im Herzen ist mir fremd! Sage mir denn doch, wie es einem Menschen wird, – oder woran erkennt er, daß Liebe in seinem Herzen wach geworden ist? Es muß da ja doch irgendein Zeichen der Wahrnehmung im Leben des Menschen geben, sonst ist ihm die ganze Liebe umsonst; denn er kann sie vielleicht in aller Fülle besitzen, weiß aber nicht, daß ein solcher Zug seines Lebens ,Liebe‘ heißt. Was ist ihm da mit der ganzen Liebe geholfen und gedient!?“

2. Sagt Raphael: „Erinnerst du dich denn gar nicht mehr so weit zurück, als du noch ein Kind warst? Was fühltest du damals zu deinen Eltern, die dich sehr liebten und dich als ihren Liebling mit allerlei Wohltaten überhäuften?“

3. Sagt Suetal: „Ist wohl schon lange her; aber ich kann mich noch so mancher Begebenheit erinnern, wo ich so recht gerührt war, daß mir darob Tränen in die Augen kamen. Sollte etwa ein solch kindliches Gefühl Liebe sein?“

4. Sagt Raphael: „Ja, ja, das ist Liebe; wem diese mangelt, dem mangelt am Ende alles, was zum Leben gehört, und so ein Mensch ist dann nur eine Maschine seines naturerleuchteten Gehirns und weiß kaum von dem Wesen seiner höchst eigenen Seele etwas!

5. Die Liebe der Kinder muß daher wieder wach werden im Herzen bei jedem, der dir gleicht, ansonst es unmöglich ist, einen bloßen Verstandesmenschen einzuführen in das innere Reich des Lebens.

6. Was nützt es dir, so du auch alles begreifst mit deinem Verstande und magst aber doch dein eigenes Leben nicht fassen und sehen, wie es ist, und wie es sich gestaltet und ausbildet?!

7. Was nützt es einem Gärtner, in fremden Gärten das üppige Wachstum von allerlei edlen Pflanzen zu bewundern, dabei aber seinen eigenen Garten brachliegen und nur das Unkraut darin nach Belieben wuchern zu lassen?! Man bestelle die Beetlein des eigenen Gartens, reinige sie vom Unkraute, dünge sie mit dem rechten Dünger und besäe sie mit Samen von edlen Pflanzen, auf daß man dann zur rechten Zeit auch eine rechte Freude wird haben können an dem üppigen Pflanzenadel des eigenen Gartens! – Aber nun nichts mehr weiter von dem; denn es wird nun von seiten des großen Meisters etwas Neues unternommen werden, und da heißt es Herz und Kopf am rechten Flecke haben!“

8. Sagt Ribar: „Aber sage uns, du Himmlischer, ob wir nicht eher (vorher) uns zum Meister hinbegeben sollen und Ihm danken für all das Gute, was wir hier sicher nur durch Seine große Güte und Gnade leiblich und geistig zum Genusse bekommen haben!“

9. Sagt Raphael: „Er sieht nur aufs Herz; ist das in der Ordnung, so ist dann alles in der Ordnung. Wenn Er euch aber reif finden wird, dann wird Er euch schon berufen und euch die gemessene Weisung geben, was ihr in der Zukunft zu tun haben werdet.

10. Aber jetzt heißt es, sich im Herzen, sich im ganzen Wesen bereit halten; denn so Er etwas tut, da gilt das nicht nur für uns hier auf diesem Flecke, ebenso auch nicht für dieses Land oder für diese ganze weite Erde, sondern das gilt gleich unter einem für die ganze Unendlichkeit und Ewigkeit! Daher heißt es da alles wohl fassen in seiner tiefsten Tiefe! Solches verstehet und beherziget es wohl! Denn jedes Wort aus dem Munde, der vom ewigen Geiste Gottes in die Bewegung gesetzt wird, und jede darauf erfolgte Handlung hat stets die unendlichste Tragweite! – Jetzt aber muß ich eure Gesellschaft wieder auf eine Zeitlang verlassen und muß mich fügen dem Willen des großen Meisters.“

11. Darauf verließ der Engel die Gesellschaft der zwölf und begab sich wieder zu seinem Josoe, der nun schon so manches mit ihm zu verhandeln hatte; denn die vielen Reden von allen Seiten haben den Josoe etwas verwirrt gemacht, und Raphael hatte nun zu tun, um seinen Jünger in allem zurechtzubringen.

Kapitel 081. Jesus kündet eine Sonnenfinsternis an.

1. Ich aber sagte nun: „Freunde, unser leibliches und geistiges Mittagsmahl hat diesmal gut bei vier Stunden angedauert, und es ist darum Zeit, daß wir uns vom Tische erheben! Wir wollen hinaus aufs Meer schauen, ob sich da nicht irgend etwas zuträgt, das da unserer allseitigen Aufmerksamkeit wert ist!

2. Zugleich mache Ich euch alle darauf aufmerksam, daß wir von jetzt an in einer halben Stunde eine gänzliche Verfinsterung der Sonne erleben werden. Allein, niemand aus euch mache sich da etwas daraus; denn es geht solch eine Verfinsterung ganz natürlich vor sich!

3. Der Mond, vom Abende (Westen) her schwebend in einer Höhe über der Erde 98000 Stunden Weges, wird als ein massiver, undurchsichtiger Körper geradlinig über die Sonne ziehen und dadurch verhindern, daß das Sonnenlicht auf einen Teil dieser Erde einfalle; die gänzliche Verfinsterung wird nur einige Augenblicke währen; darauf wird sich über dem Rande des Mondes gleich wieder die Sonne zeigen, und es wird dann lichter und lichter auf der Erde werden. Während der vollen Verfinsterung aber werdet ihr die schönen Sternbilder des Winters zu sehen bekommen, die man sonst im Sommer nie sehen kann.

4. Ich sage euch das, um euch bei solchen Erscheinungen alle törichte Furcht zu benehmen, und um euch die volle Natürlichkeit solcher Erscheinungen zu zeigen; darum keine Furcht sonach, wenn die Erscheinung eintreten wird!

5. Aber zu gleicher Zeit werden wir drei Handelsschiffe auf der Höhe des Meeres entdecken; diese müssen vor dem Eintritt der Erscheinung ans Land gebracht werden, weil der böse Aberglaube sonst die Schiffsknechte nötigen würde, eine gar selten schöne und tugendsame Tochter eines biederen Griechen samt ihrem sie begleitenden Vater ins Meer zu werfen.

6. Denn beide reisen nach Jerusalem, um den Tempel zu sehen und sich mit der Lehre der Juden an der Quelle vertraut zu machen, und führen zu dem Behufe auf den drei Schiffen eine Menge großer Schätze mit, die nachher als eine gute Prise (Beute) in die räuberischen Hände der argen griechischen Schiffsknechte fallen würden.

7. Es ist darum keine Zeit zu verlieren; denn die Weltkörper gehen nach ihrem Gesetze den gezeichneten Weg unaufhaltbar fort. Würde man sie in ihrem Gange hemmen, so würde dadurch der Erde ein größter Schaden zugefügt werden, den ein Jahrtausend nicht verwischen würde; werden aber die drei Schiffe etwas wunderlich schnell ans Ufer gebracht, so erleidet dadurch niemand irgendeinen Schaden, sondern es kann für viele Arme dieser Gegend ein recht großer natürlicher und geistiger Gewinn herausschauen. Darum nun schnell ans Werk!“

8. Alles eilt nun ans Ufer und stellt sich am selben in einer weitlaufenden Linie auf. Aber Ich habe dabei auch Meine Not; denn Cyrenius mit seinem Gefolge, Meine zwölf Jünger und einige, die uns schon lange begleiteten – bei sechzig an der Zahl –, die dreißig jungen Pharisäer und Leviten unter ihren Rednern Hebram und Risa, die fünf unter dem weisen Mathael und die zwölf unter ihren Suetal, Ribar und Bael drängen sich alle an Mich und möchten alle, so gut es nur gehen kann, ganz in Meiner Nähe sein, während Ebahl mit der Jarah und Raphael mit dem Josoe ohnehin ganz fest bei Mir sind und die Jarah sogar Meinen Rock gar nicht mehr ausläßt. Der alte Markus mit seinem Weibe und Kindern möchte nun auch in Meiner nächsten Nähe sein, und so ist die kleine Platznot erklärlich, in der Ich Mich befinde. Aber der Raphael bringt bald alles in die beste Ordnung, da er in einem Augenblicke alle die Ufergäste auf bequeme Plätze verteilt, Ich aber mit dem Cyrenius und dem alten Markus ein Schiff besteige und im Angesichte der vielen Gäste knapp am Ufer auf- und abfahre, womit die Gäste und auch Meine Jünger ganz einverstanden sind.

9. Aber nun naht der Mond sich schon stark der Sonne, und Ich berufe den Raphael, sagend: „Du weißt, was nun not tut, daher kein Säumen mehr!“

10. Und der Raphael sagt, eigentlich der Gäste wegen: „Herr, auf Eins oder mit einiger Weile?“

11. Sage Ich: „Nach zwölf Augenblicken auf Eins!“

12. Die drei Schiffe aber standen so weit, daß man sie kaum bemerken konnte; in der Linie mochten es wohl bei vier Stunden Weges sein.

Kapitel 082. Raphael als Lotse rettet bedrängte Griechen.

1. Cyrenius strengte vergebens seine Augen an; er konnte von keinem Schiffe etwas wahrnehmen. Ebensoschlecht ging es dem Markus; aber andere sehr scharf sehende Augen bemerkten die Schiffe wie drei Mücklein groß im Meere dahinziehen und sagten: „Herr! Die haben bei günstigem Wind gute zwei Stunden bis an dieses Ufer!“

2. Sage Ich „Sorget euch nur nicht darum; Mein Schiffsmann wird die Sache zur rechten Zeit am Ufer haben!“

3. Fragen die dreißig jungen Pharisäer: „Wo und wer ist der, dem solches möglich ist?“

4. Sage Ich: „Ihr kennet ja den jungen Mentor (Erzieher) des Cyrenius' Ziehsohnes; der ist es!“

5. Fragen ängstlich die dreißig: „Wo ist denn ein Schifflein für ihn bereit?“

6. Sagt nun Raphael: „Ich brauche deren keines!“ und verschwindet in diesem Augenblick. Alle erschrecken in der Meinung, der Jüngling sei ins Wasser gesprungen und werde nun den Fischen gleich schnell nach den Schiffen im Wasser hinschießen. Denn es wußten das noch viele nicht, daß Raphael eigentlich ein Engel und somit ein ganz reiner Geist sei; viele hielten ihn für den Mentor des Josoe, während er nur ein Mentor der Jarah war. Aber da er sich hier mehr mit dem Josoe denn mit der Jarah abgab, so galt er hier bei vielen als ein junger Mentor des Josoe.

7. Ehe sich aber die Frager noch recht umsahen, war Raphael auch schon am Ufer mit den drei ziemlich großen Schiffen und stand an Bord desjenigen Schiffes, darin der fromme Grieche mit seiner noch frömmeren Tochter sich voll Staunens und Entsetzens befand; denn fürs erste kam ihm die unbegreiflich schnelle Landung an einer ihm ganz unbekannten Küste wie ein Traum vor, und fürs zweite wußte er nicht, was er aus dem jungen Schiffsmanne machen sollte und konnte sich über diese wunderbare Erscheinung auch keine Rechenschaft geben; denn die Veränderung ist zu schnell erfolgt und hat ihn zu wunderlich überrascht.

8. Auch die Schiffsknechte standen bei ihren Rudern voll Staunens wie Bildsäulen und getrauten sich ihre Ruder nicht mehr ins Wasser zu stoßen. Nach einer kleinen Weile des tiefsten Staunens und Wunderns erst fragte in tiefster Ehrfurcht der Grieche den Jüngling, sagend: „Wer bist du, mächtiges Wesen? Wer hieß dich uns so schnell an ein gutes Ufer bringen und aus welchem Grunde?“

9. Spricht Raphael: „Frage nicht, sondern sieh nach der Sonne, die nun bald auf einige Augenblicke ihren Lichtglanz verlieren wird! Wärest du auf des Wassers Höhe, so hätte der Schiffsknechte böser Aberglaube dich samt deiner Tochter über Bord ins Meer geworfen und dann deine mitgenommenen Schätze unter sich geteilt; solches sah aber unser großer, göttlicher Meister zum voraus und sandte mich darum dir zu deiner schleunigsten Rettung. Du bist nun schon in vollster Sicherheit, aber dennoch werden dir noch unangenehme Sachen vorkommen, und ich muß darum während der finsteren Katastrophe bei dir im Schiffe verbleiben, ansonst du noch immer mit den rohen Schiffsknechten viel Ungemach zu bestehen hättest.“

10. Der Grieche sieht sich nun nach der Sonne um und bemerkt zu seinem und seiner Tochter Entsetzen, daß von der Sonne nur noch ein ganz schmaler Rand übrig ist, erhebt sich von seinem Sitze und donnert einen Fluch dem bösen Drachen empor, der die Sonne nun total zu verschlingen drohe.

11. Es war das einiger Heiden von Kleinasien fromme Sitte, bei Gelegenheit einer Sonnenfinsternis dem argen Drachen eine Menge der härtesten Flüche emporzusenden, auf daß er sich davor erschrecke und die verschlungene Sonne wieder ausspeie und sie dann wieder weiterhin fortleuchte. Aber der Alte war mit seinen frommen Flüchen noch nicht zu Ende, als die Sonne ganz vom Monde verdeckt wurde.

12. Da entstand ein plötzliches, wildes Geheul unter den Schiffsknechten, aber auch am Ufer unter den römischen Soldaten, und die nahe vor Angst wütenden Schiffsknechte fielen über den Griechen her und wollten ihn samt der Tochter und samt dem Raphael ins Meer werfen; denn sie gaben den dreien die Schuld dieser schrecklichsten Geißel der Götter und wollten diese dadurch versöhnen. Aber Raphael hob alle Schiffsknechte aus den Schiffen und setzte sie ans Land; den Ärgsten aber warf er ins Meer, und dieser hatte zu tun als ein guter Schwimmer, um ziemlich weit unter den Schiffen ganz ermattet das Land zu erreichen.

Kapitel 083. Folgen der Sonnenfinsternis.

1. Während dieser Katastrophe brach die Sonne wieder hinter dem Monde auf dessen anderer Seite hervor, und es trat wieder die alte Heiterkeit in die Gemüter aller Anwesenden; einzig der Cyrenius und auch Julius blieben während der totalen Verfinsterung vollkommen ruhig neben Mir.

2. Selbst Meine Jünger wurden etwas unruhig, und die Jarah und der Josoe sprangen hastig in Mein ans Ufer stoßendes Schiff und zitterten vor Furcht; aber ihre Furcht war dennoch mehr eine Folge des wilden Geheules der Schiffsknechte denn der Finsternis. Denn die Jarah und der Josoe wußten recht gut den Grund der Verfinsterung der Sonne, aber auf das wildeste Geheul waren sie nicht vorbereitet und sprangen darum in großer Angst in Mein Schiff und drängten sich da zu Mir so knapp als möglich hin. Cyrenius und Julius aber haben sich unterdessen an den schönen Sternbildern des Winters ergötzt, die sie im Sommer noch nie geschaut hatten.

3. Nach und nach ward es immer heller, und der alte frohe Mut kehrte wieder in die erschütterten Gemüter der Menschen, und die Schiffsknechte kehrten wieder zu ihren drei Schiffen und baten den Jüngling um Vergebung, darum sie ihn ehedem so hart angegangen.

4. Auch den Griechen baten sie um Vergebung, und dieser (der Grieche) sagte: „Was jemandem sein Glaube gebietet, solle er tun, so er in sich keinen weiseren Gegengrund findet; aber es soll sich in der Folge euer Glaube heller gestalten, und ihr werdet dann einsehen, daß die hohen Götter aus unseren Händen durchaus keine Menschenopfer verlangen, indem sie selbst zahllose Mittel in den Händen haben, sich Menschen zu Hunderttausenden nach Belieben von dieser Erde zu nehmen.“

5. Mit dieser Belehrung von seiten unseres Griechen sind die Schiffsleute zufrieden und geloben, daß sie in der Zukunft bei einer ähnlichen Erscheinung seiner weisen Belehrung vollends eingedenk sein und bleiben werden. Darauf fragen die Schiffsknechte den Griechen, ob er nun seine Reise weiter fortsetzen werde, oder ob er hier zu verweilen gedenke.

6. Der Grieche aber sagt: „Seht ihr nicht diesen mächtigen Jüngling unter uns?! Er hat mir Gutes erwiesen und mich gerettet aus eurer blinden Glaubenswut; ihm schulde ich mein und meiner einzigen, allerliebsten Tochter Leben. Er allein ist nun mein Gebieter, und was er sagen wird, das werde ich auch tun; ohne sein Wort und seinen Willen aber wird von hier auch in zehn Jahren nicht um ein Haar breit weiter gereist!

7. Dazu sagt mir eine gute innere Stimme, daß ich auf diesem unansehnlichsten Flecke mehr denn in ganz Jerusalem schon jetzt gefunden habe. Ich werde darum hier verbleiben. Ich werde nun nur mit dem Wirte dieses Ortes reden, ob ich hier verweilen kann. Ist solches hier tunlich, so lasse ich dann gleich meine Lasttiere ans Ufer setzen und dann alle meine mitgenommenen Schätze, und ihr könnet dann wieder eure Schiffe flottmachen.“

8. Während dieser Unterredung kommen aber auch schon Ich, Cyrenius, Julius, Markus, der alte Wirt und die Jarah und der Josoe in das Schiff, in welchem sich der Grieche befand, und Markus spricht ihn sogleich an und sagt: „Freund! Du siehst, daß ein ehrlicher Hauswirt nie einen Mangel an Gästen hat. Sieh, ich bin der Wirt dieses Ortes und beherberge in meiner kleinen Hütte und unter meinen Zelten alle die lieben Gäste, die du hier siehst; aber für dich ist auch noch Raum, so du hier verbleiben willst!“

9. Sagt gar freundlich der Grieche: „Freund, ich brauche nur einen Geviertfleck von dreißig Schritten in die Länge und zehn in die Breite, da laß ich sogleich meine drei guten und kostbaren Zelte durch meine mitgenommenen Diener aufrichten, und ich bin dann schon versorgt; denn Speisen und Getränke führe ich in großer Menge mit mir und besitze viel Goldes und Silbers, um mir welche zu erkaufen, so mir die mitgenommenen ausgehen sollten. Also besitze ich auch Futter für meine Lasttiere und bin so und so mit allem möglichen bestens versorgt; nur einen Platz, um alles das unterzubringen, habe ich nicht und werde ihn sonach von dir auf eine Zeit mieten. Was verlangst du für den ausgesprochenen Flächenraum von Tag zu Tag?“

10. Sagt ganz freundlich Markus: „Wohl weiß ich, daß bei euch Griechen stets genaue Rechnung geführt wird; aber bei uns Römern und besseren Juden ist das nicht üblich. Du bleibst hier, solange es dir beliebt, und es wird von dir nichts verlangt werden als deine wahre und aufrichtige Freundschaft; willst du aber danebst irgendeinem armen, sich hierher verirrten Menschen etwas tun, so wird das deinem Ermessen ohne alle Rechnung anheimgestellt sein. Laß du demnach nur auspacken und mache dir es bequem wie im Hause deiner Stadt; denn solange du hier verweilen willst, steht dir nicht nur der von dir verlangte Fleck Landes, sondern mein ganzer eben nicht ganz kleiner Grund zu Gebote, und auf meinen Tischen wird auch für dich gedeckt sein! – Sage, ob du damit zufrieden bist!“

11. Sagt der Grieche: „Ja, Freund, wenn du so redest, dann beschämst du mich ja, und ich bin in einer großen Verlegenheit, so ich dir deine große, höchst uneigennützige Freundschaft gewisserart mit nichts vergelten kann, und ich getraue mir kaum, einen Gebrauch von deiner wahrsten Großmut zu machen!“

12. Sagt Markus: „Freund, deine Freundschaft wird doch mehr wert sein als alle die großen Erdschätze, die du mit dir führest, deren ich nicht benötige, da ich nun vielleicht noch größere denn du besitze; aber freilich nicht so sehr materiell als vielmehr geistig!“

13. Sagt der Grieche: „Da hast du demnach also schon lange das, was ich und diese meine Tochter schon lange vergeblich suchen in allen Winkeln der Erde?“

14. Sagt Markus: „Was dir nun die ganze Erde und alle Sterne und die Sonne und der Mond nicht, kein Tempel und kein Orakel geben können, das findest du hier auf diesem Flecke. Darum lasse nur gleich auspacken, denn du bist nun schon am rechten Flecke!“

15. Der Grieche befiehlt nun sogleich seinen vierzehn Dienern, die Hände ans Werk zu legen.

Kapitel 084. Götter und Menschen.

1. Ich aber sage zum Griechen: „Höre du, Mein Freund! Wohl mögen auch deine vierzehn Diener recht fleißige und geschickte Leute sein; aber da du viele Sachen mit dir hast, so dürfte es deinen vierzehn Leuten doch eine ziemliche Zeit kosten, bis sie alles in eine gute Ordnung brächten.

2. Sieh, dieser anscheinende Jüngling aber ist einer Meiner vielen Diener und richtet in einem Augenblick mehr aus als alle deine vierzehn Diener in vollen hundert Jahren; darum sollen deine Diener für diesmal ruhen, und dieser Mein einziger hier anwesender Diener wird mit all deinen Sachen augenblicklich also in der Ordnung sein, nach deiner altgewohnten Sitte, wie deine vierzehn Diener kaum in drei Tagen!

3. So du willst, will Ich ihn dazu beordern!“

4. Sagt der Grieche: „Freund, wenn so etwas auf der Erde möglich ist, so bitte ich dich darum! Denn meine Diener sind ohnehin schon äußerst reisemüde und dürften darum mit dem Auspacken und Aufrichten der Zelte hübsch lange zu tun haben!“

5. Sage Ich zu Raphael: „Zeige, was einem reinen Geiste in einem schnellsten Augenblick möglich ist!“

6. Hier machte Raphael eine tiefe Verbeugung und sagte: „Herr, Du hast es befohlen, und sieh, es ist bereits schon alles in der besten Ordnung!“

7. Sage darauf Ich zum Griechen: „Nun, Freund, erhebe dich und siehe nach, ob die Arbeit nach deinem Sinne ausgefallen ist!“

8. Hier erhebt sich der Grieche, schlägt dreimal die Hände über dem Haupte zusammen und sagt im höchsten Grade erstaunt: „Ja, um aller Götter willen! Was ist denn das?! Der Junge hat uns ja noch nie verlassen, und meine Zelte sind schon bestens aufgerichtet, und alles scheint schon in der besten Ordnung zu sein! Nein, nein, nein! Da geht es durchaus nicht mit natürlichen Dingen zu! Nun muß ich nur in die Zelte und sehen, wie darin die gute Ordnung beschaffen ist!“

9. Darauf verläßt er das Schiff und begibt sich, von uns und seiner Tochter geleitet, in seine Zelte und findet zu seiner größten Verwunderung im Ernste alles in der besten Ordnung.

10. Nun ist es aber erst recht aus bei ihm. Wie von einer Art Verwunderungsschwindel ergriffen, sagt er (der Grieche) nach einer Weile seines nimmer enden wollenden Staunens: „Entweder bin ich unter die Erzmagier Ägyptens oder unter lauter Götter geraten; denn was ich hier erlebt habe, ist unerhört und seit Menschengedenken nie dagewesen! Und du, Freund, (sich zu Mir wendend) scheinst der Meister, oder der Zeus selbst, unter diesen vielen zu sein!? Das Fleisch hat dich nicht gezeugt, sowie auch diesen Jungen nicht; du mußt aus dem Geiste von Ewigkeit her gezeugt sein! O Götter, o Götter, welche Kraft muß euch innewohnen, daß ihr solche Dinge zu leisten imstande seid, und was Elendes ist der arme Mensch, der blinde Wurm im Staube gegen euch?! Ihr vermöget alles, aber der sterbliche Wurm im Staube seiner Nichtigkeit vermag nichts! Freund, der du ein Gott bist und dir alles zu Gebote steht, was kann ich Sterblicher dir unsterblichem Gotte tun? Was soll ich dir geben, der du über die ganze Erde, über Sonne, Mond und alle Sterne gebietest?“

11. Sage Ich: „Freund, du hast viel natürlichen Lichtes und beurteilst das geschehene, dir scheinende Wunderwerk eben mit einem richtigen Takt, aber du mußt den Menschen nicht zu tief unter den Begriff deiner Götter setzen; denn Ich sage es dir: Alle Götter, die du als solche kennst und verehrst, sind eigentlich gar nichts gegen einen vom wahren Geiste Gottes erfüllten Menschen.

12. Siehe, diese vielen Menschen, die du hier siehst, sind zumeist schon ebenso mächtig wie dieser Junge hier und sind doch nur Menschen von Fleisch und Blut!

13. Fühle Mich an, und du wirst es wahrnehmen, daß auch Ich aus Fleisch und Blut dem außen erscheinlichen Leibe nach bestehe; aber dies Fleisch und Blut ist erfüllt vom Geiste Gottes, der allein allmächtig ist, und dem sich alles fügen muß unter die Macht Seines Willens.

14. Und sieh, also wirken wir hier lediglich aus der Kraft des Geistes Gottes, der in uns ist, in uns denkt und will, was Seine allsehende und allfühlende höchste Weisheit für nötig und gut erkennt.

15. Nun, diese Eigenschaft besitze für jetzt wohl Ich Selbst nur im höchsten Grade und bin darum ein Meister darin; aber Ich kann auch einen jeden Menschen dazu befähigen, der irgendeines guten Willens ist.

16. Natürlich aber kann einem Menschen, der einen bösen, widrigen Willen hat, solche Fähigkeit nicht und nie verliehen werden; denn da heißt es, zuvor in der heiligen Ordnung des Geistes Gottes völlig eingeweiht sein, bevor einem die Machtfähigkeit des ewigen Gottesgeistes erteilt wird, und diese kann in nichts anderem bestehen als eben in dem, daß der reine Mensch in seiner Seele ganz vom Geiste Gottes durchdrungen wird. Die vom Geiste Gottes durchdrungene Seele will nun nur das, was der Geist Gottes will; was aber Der will, das muß geschehen, weil Er allein die ewige Urkraft und Macht ist in der ganzen Unendlichkeit!

17. Denn alles, was im endlosen Raume ist, lebt und denkt, ist dieses ewigen Geistes in der von Ihm Selbst gestellten Ordnung festgestellter und unwandelbar gehaltener Gedanke, dem geistig lebendigen Teile nach, und daraus formulierte Idee, die aber nach der Art ihres Seins ebenfalls ins selbständig Geistige übergangsfähig ist.

18. Siehe, Freund, also stehen in aller Kürze berührt, die Dinge! Du bist ein guter Denker und wirst bald vieles fassen; aber für jetzt genüge dir dies wenige!

19. Ich werde dir aber einen gewissen Mathael, einen Mann voll Weisheit, zum Gesellschafter geben; von dem wirst du vieles erfahren, und wirst Mich Selbst nachderhand besser verstehen denn jetzt!“

20. Damit ist der Grieche, voll tiefsten Staunens über Meine Weisheit, ganz zufrieden und wünscht sehr, den Mann zu sehen.

21. Ich aber berufe sogleich den Mathael und sage: „Da, lieber Freund, ist ein etwas baufälliges Haus; du bist ein guter Zimmermann und wirst wissen, was dabei auszubessern ist!“

22. Sagt Mathael: „Herr, mit Deiner Hilfe wird das Haus gut und fest werden!“

Kapitel 085. Ouran erhält Mathael als Lehrer zugewiesen.

1. Nach diesem Akte schwieg Ouran (also hieß der Grieche, und dessen Tochter hieß Helena) und fing an, sich zu sammeln, um mit dem ihm aufgeführten Mathael, der ihm durch ein paar Worte schon zu verstehen gab, daß er mit der höheren Weisheit wohl versehen ist, als ein Mann von so mancher Lebenserfahrung Worte tauschen zu können und bei jeder Gelegenheit das SAPIENTI PAUCA zu beachten, um sich nicht als ein Mensch zu zeigen, dem alles bessere Wissen mangelt. Als sich Ouran so ziemlich erholt hatte und auch in eine rechte Fassung gekommen war, so fragte er nach einer ziemlich langen Pause den Mathael, ob dieser ihn auf seinen Weltreisen allenthalben begleiten wollte, und was er dafür fordern würde.

2. Spricht Mathael, auf Mich hindeutend: „Sieh hin, dies ist ein Heiland für Leib, Seele und Geist! Es sind noch kaum zwölf Stunden her, als ich noch ein elendstes Wesen dieser Erde war. Meine Eingeweide waren derart von den allerbösesten Geistern besessen, daß dadurch mein ganzes Wesen zu einem irdischen Teufel ward. Unter einer Horde von den ärgsten Straßenräubern war ich der Schrecken der ganzen Gegend, denn alle meine Glieder mußten den Teufeln zu Diensten stehen; aber meine Seele war gelähmt und wußte es nicht, was da vorging mit ihrem armen Leibe. Freund, du siehst aus dem, wie sehr elend ich war! Wer hätte mir aber helfen sollen?! Ich war ja am meisten der Schrecken für jeden, der sich mir nahte; leichter wärest du mit zehn hungrigen Tigern ausgekommen denn mit mir allein. Nur eine Kohorte der verwegensten römischen Krieger konnte meiner und meiner Gefährten Meister werden; wie ein Faß gebunden und gefesselt, ward ich samt meinen vier ärgsten Gefährten hierher zum Todesgericht gebracht.

3. Aber dort ersiehst du den großen Heilmeister, der aus den Himmeln zu uns elenden Würmern dieser harten und teufelvollsten Erde kam, um auch uns leibhafte Teufel zu heilen durch Wort und Tat; Der hat mich und meine Gefährten geheilt, und für solch eine Heilung verlangte Er nicht nur völlig nichts von uns fünfen, sondern Er erwies uns dazu noch übergroße Wohltaten leiblich und besonders geistig!

4. Nun hat dieser mein göttlicher Heiland mich zum ersten Male zu einem Dienste berufen, für den du mich gefragt hast, was ich darum für einen Lohn von dir fordern möchte. O Freund, bevor ich nicht meine Schuld diesem großen Einen werde bezahlt haben, könnte ich ja doch unmöglich von dir etwas verlangen; denn ich diene dadurch ja nur Ihm, der mich berufen hat, und nicht dir!

5. Ihm aber werde ich in Ewigkeit ein stets größter Schuldner verbleiben und nur durch mein Dienen meine große Schuld in etwas mindern. Darum wirst du, Freund, für einen dir erwiesenen Dienst mir auch nie etwas schuldig werden – außer deine wahre Freundschaft und Bruderliebe!

6. Denn umsonst habe ich es empfangen, und um denselben Preis werde ich es auch dir wiedergeben! Gold, Silber und Edelsteine wirst du von mir zwar nicht bekommen; aber was ich habe, das soll dir auch also frei gegeben werden, wie ich es empfangen habe. Darum wolle du mich fürderhin mit jeder ähnlichen Frage verschonen!“

7. Sagt Ouran: „Freund, du bist einer der edelsten Menschen, die mir je irgend entgegengekommen sind! Darum mußt du mein und meiner Tochter weiser Führer werden und bleiben durch mein ganzes Leben!

8. Ich werde dich zwar, nach deinem Willen, nie mehr fragen und sagen: ,Was forderst du dafür?‘; aber daß du bei mir auch keine Not leiden sollst als ein Freund und als ein echter Bruder, das wirst du von mir wohl annehmen?!“

9. Sagt Mathael: „Es fragt sich noch, ob du von mir etwas oder alles oder am Ende gar nichts annehmen wirst! Denn meine Gaben schmecken dem Sinnengaumen, wie ich es schon ein wenig erfahren habe, eben nicht so süß wie ein mit reinem Honig versüßter Wein nach der Art, wie ihn die Griechen hie und da gerne genießen, sondern oft bitterer als Galle und frischer Saft einer alten Aloe! Und das nehmen süßgeschmäckige Gaumen nicht gerne zum Genuße! Darum wollen wir erst sehen, wie sich unsere gegenseitigen Gaben werden austauschen lassen!“

10. Sage inmitten Ich: „Wißt ihr was, da wir nun noch eine volle Stunde Sonne haben und der Abend sich auch recht angenehm machen wird, so machen wir nun allesamt einen Gang auf den Hügel des Markus; dort wollen wir uns ein wenig näher kennenlernen! Deine Zelte aber lasse einstweilen bewachen von deinen Dienern; denn du wirst sie erst nach Mitternacht wiedersehen und von ihnen Gebrauch machen!“

11. Sagt der Ouran: „Es sind freilich viele und große Kostbarkeiten darin! Aber ich meine, daß dieser Ort ein sicherer ist!“

12. Sage Ich: „Freund, als du erst vor einer Stunde in der größten Gefahr schwebtest und es mit dir dahin stand, dein Leben und alles zu verlieren, wer errettete dich da?“

13. Hier stutzte Ouran; nach einer Weile erst sagte er: „Ja, ja, großer Meister! Du hast recht, ich bin nur so in meiner alten Gewohnheit ein wenig steckengeblieben und sehe nun eben auch die volle Dummheit meiner Furcht ein; sie soll zum zweiten Male nicht wieder zum Vorschein kommen, und ich gehe nun gleich ohne alles weitere Bedenken mit dir, wohin du willst!“

Kapitel 086. Helena, des weisen Griechen edle Tochter.

1. Hierauf tritt etwas schüchternen Schrittes die Tochter Helena zu Mir hin und sagt bittend: „Herr, du unbegreiflich großer Meister und Heiland! O verarge es meinem alten Vater nicht; denn sieh, ich kenne ihn als seine Tochter doch schon mein ganzes Leben hindurch und kann dir ein treuestes Zeugnis geben, daß er ein guter, sanfter und sehr nachgiebiger Mann ist, und ich weiß mich nie noch zu entsinnen, daß er sogar oft ein gutes Recht, das sicher auf seiner Seite war, je vor jemandes andern Recht gestellt hätte, und war das auch vielmehr irgendein Unrecht denn ein wahres Recht. Nie noch hat er darum mit jemandem gestritten oder über irgendein ihm zugefügtes Unrecht sich geärgert und gemurret! Aber die hohen Götter ließen ihn darum auch nie sinken, und des Glückes holde Göttin war ihm stets freundlichst zugetan.

2. Darum wirst auch du, der du auch so ein wenig ein Gott zu sein scheinst, meinem Vater solche seine ausgesprochene Besorgnis ja auch nicht als irgend etwas deine Hoheit Beleidigendes aufnehmen! Solltest du aber dennoch so hart sein, so nimm mir mein Leben als Sühne für meinen Vater, den ich über alles liebe!“

3. Sage Ich zu allen Umstehenden: „Habt ihr schon einmal ein solches Beispiel von einer Kindesliebe in ganz Israel erfahren? Wahrlich! Das ist eine Heidin zwar, aber sie beschämt ganz Israel, das doch durch Moses von Gott das Gesetz erhalten hat, Vater und Mutter zu achten, zu ehren und zu lieben!“

4. Alle sagen: „Nein, Herr und Meister! So etwas ist in Israel noch nicht erhört worden!“

5. Sage Ich zur Helena: „Fürchte dich nicht, Meine Tochter, denn Ich kenne deinen Vater schon gar lange und dich auch; und kennete Ich ihn und dich nicht, so wäret ihr beide in diesem bösen Meere begraben worden!“

6. Sagt Helena: „Aber du überaus weiser, mächtiger und dennoch sehr freundlicher Meister! Wie kannst du meinen Vater und mich schon seit lange her kennen? Kennen wir dich ja erst seit einer Stunde kaum?“

7. Sage Ich: „O Helena, da sieh hinaus, das Meer und die ganze Erde; siehe, das sind schon sehr alte Dinge, und dennoch war Ich eher denn alles das!“

8. Hier erschrickt Helena und fragt Mich ehrfurchtängstlichst: „Am Ende bist du gar der höchste Zeus selbst?“

9. Sage Ich: „Zarteste Taube, ängstige dein Herz nicht mit leeren Dingen! Zeus bin Ich nicht, weil es in der Wahrheit nie einen Zeus gegeben hat. Aber Ich bin die Wahrheit und das Leben; die an Mich glauben, werden den Tod in Ewigkeit nicht sehen, fühlen und schmecken! – Weißt du nun, wer und was Ich bin?“

10. Sagt Helena: „So du aber allein die kalte Wahrheit bist und das reine Leben aus ihr, wie kommt es denn dann, daß ich soeben anfange, sehr viel Liebe zu dir zu empfinden?“

11. Sage Ich: „Taube! Das soll dir auf dem Berge erst geoffenbaret werden! Jetzt aber gehen wir, sonst geht die Sonne eher (zuvor unter)!“

12. Darauf verließen wir die wahrhaft königlichen Prachtzelte und begaben uns auf den Berg, den wir seiner unbedeutenden Höhe wegen bald erstiegen.

13. Als wir auf der Höhe waren, bemerkte Cyrenius, wie herrlich und schön sich die ganze, weitgedehnte Gegend ausnehme, und daß er nun solche Herrlichkeit stundenlang betrachten könnte, ohne nur im geringsten müde zu werden. Es sei nur ewig schade, daß der Tag nunmehr gar zu kurz daure.

14. Nach einer Weile kam Simon Juda zu Mir und sagte: „Herr, heute könntest Du wohl auch gleich einem Josua zur Sonne sagen: ,Stehe still, Sonne!‘, auf daß die Kinder hier länger des Abends Herrlichkeit genießen können und hoch preisen Den, der sie geschaffen hat!“

15. Sagt Cyrenius: „O Simon, du alter treuer Fischer und nun Jünger unseres großen Meisters und Herrn, das war ein guter Gedanke von dir, und unserem Herrn und Meister wäre so etwas aus wohlbekannten Gründen noch um sehr vieles leichter, als es dem Josua war!“ – Darauf wandte sich auch der Cyrenius in dieser Angelegenheit zu Mir, und Jarah unterstützte solche Bitte.

Kapitel 087. Die Scheinsonne.

1. Ich aber sagte: „Ihr seid wohl noch sehr unerfahrene Kinder und bittet um etwas, das durchaus nicht geschehen darf in der Art, wie ihr es verstehet und meinet; denn seht, die Sonne geht ja nicht, sondern steht stets stille gegenüber der Erde! Wohl hat die Sonne auch eine große Bewegung, aber die geht die Erde ebensowenig an, als einen Staub auf eurem Rocke eure Bewegung von einem Orte zum andern angeht.

2. Was aber euch gibt den Tag und die Nacht, das bewirkt der Erde sehr rasche Umdrehung um ihre eigene Achse; denn Ich habe es euch bei Gelegenheiten ja erklärt, daß die Erde eine große Kugel ist und sich vom Abende bis nach Morgen hin dreht und darum stets einen Teil nach dem andern der Sonne zukehrt. Auf der ganzen Erde ist darum stets an irgendeinem Orte Morgen, auf einem früheren Orte zu gleicher Zeit Mittag, auf einem noch weiter gen Morgen liegenden Orte zu derselben Zeit Abend und noch tiefer nach Morgen hin Mitternacht, und diese benannten vier Punkte schieben sich immer unaufhaltsam vorwärts, also, daß binnen nahe 24 Stunden auf jedem Punkte der Erde einmal Morgen, einmal Mittag, einmal Abend und einmal Mitternacht wird. Das ist eine Ordnung, an der, bei Gefahr einer völligen Vernichtung alles auf der Erde Seienden, was die Bewegung betrifft, nie ein Haarbreit geändert werden darf!

3. Denn sollte Ich nun die Sonne der vollen Wahrheit nach noch eine Stunde lang über dieser Gegend leuchten lassen, so müßte Ich die ganze Erde in ihrem Umschwunge – der bei dem großen Kreise ihres Umfanges so heftig ist, daß ein paar Augenblicke schon einen Weg wie von hier bis Jerusalem zurücklegen –, natürlich augenblicklich hemmen. Dadurch aber würden alle freien Körper, die nicht zu fest mit der Erde im Verbande stehen, einen derart heftigen Stoß bekommen, daß dadurch nicht nur alle lebenden Wesen, als Menschen und Tiere, samt ihren Häusern und Hütten und Palästen stundenweit mit der größten Heftigkeit gegen Osten hin geschleudert werden würden, sondern ein solcher Stoß triebe auch die Meere aus ihren Tiefen über die Berge hin, und die Berge würden wie Sperlinge durcheinanderfliegen!

4. Aus diesem euch nun bekanntgegebenen ganz natürlichen Grunde kann Ich der naturgemäßen Wahrheit nach eurer Bitte kein Gehör geben; aber Ich kann, wie zu den Zeiten Josuas, euch auf ein paar Stunden lang eine Scheinsonne hinstellen, die ebenso leuchten wird wie die echte naturwahre. Diese Sonne aber wird dann natürlich nach ein paar Stunden wieder vollkommen zunichte werden, weil sie nur eine pure Luftspiegelung sein wird.

5. Darum gebet nun alle wohl acht darauf! Wenn die rechte Sonne untergehen wird, da auch wird die unechte von Westen her aufgehen und darauf volle zwei Stunden über dem Horizonte leuchtend verweilen.

6. Aber auch für das Erscheinen dieser nun besprochenen Scheinsonne werden keine überirdischen, sondern ganz natürliche Mittel in Anwendung kommen, obschon dazu angeregt und konstatiert (hervorgebracht) durch außerordentliche Kräfte aus den Sphären der Himmel durch Meinen innersten Willen. – Verstehet ihr dies Gesagte nun wohl so ein wenig?“

7. Sagt Cyrenius: „Ich wenigstens verstehe es vollkommen; denn ich besitze noch die wunderbare Pomeranze aus Ostracine! Herr, Du verstehest Mich!? Aber ob das gar alle hier Anwesenden verstehen werden, möchte ich fast bezweifeln!?“

8. Sage Ich: „Das macht auch nichts! Wer es jetzt noch nicht völlig versteht, der wird es wohl später einmal verstehen; denn davon hängt das Heil der Menschenseelen durchaus nicht ab. Menschen, die die Erde zu gut erkennen, bekommen mit der Zeit zuviel Lust, die ganze Erde – was mit der Zeit ohnehin nicht ausbleiben wird – in allen Punkten zu durchwandern, und ziehen dadurch ihre Seelen zu sehr nach außen; diese werden dabei sehr materiell und gewinnlustig.

9. Darum ist etwas weniger Kenntnis über die Natur der Materie-Erde, aber dafür mehr Kenntnis seiner selbst besser.

10. Denn wer einmal sein Inneres vollends kennt, der wird auch früh genug zur Kenntnis nicht nur der ganzen Erde, sondern aller andern Weltkörper im endlosen Schöpfungsraume gelangen materiell und geistig, welch letzteres allein von Belang und der größten Wichtigkeit ist; aber die bloß äußere Kenntnis der Natur dieser Erde wird keiner Seele den Weg zur Unsterblichkeit bahnen.

11. Aber nun gebet acht darauf; sogleich wird die Natursonne unter dem Horizonte sein, und die Scheinsonne wird in dem Augenblick an ihre Stelle treten!“

Kapitel 088. Der Griechen Furcht vor dem Heilande.

1. Nun richten alle ihre Augen nach der natürlichen Sonne, die bereits ihre halbe Scheibe hinter die Berge gesenkt hatte; aber im Augenblick des Untersinkens erhebt sich die Scheinsonne mit einem gleich starken Lichte für diese Gegend und auch noch für die nächst angrenzenden Ländereien und Gegenden. Natürlich bis zu den Sternen dringt solch ein Licht nicht; daher konnten einige der anwesenden Gäste besonders gen Morgen hin, da das Firmament etwas dunkel blieb, weil das Licht der Scheinsonne bis zu den fernen Morgengegenden nur schwach gelangen konnte, mehrere Sterne erster Größe entdecken und wunderten sich sehr darüber.

2. Nun kam denn auch Ouran mit seiner Tochter Helena in tiefster Ehrfurcht zu Mir hin und sagte mit einer etwas vor lauter Ehrfurcht stotternden Stimme: „Wenn mich nicht alles trügt, was mich umgibt, und ich mir selbst keine Truggestalt bin, so bist Du ein Gott der Götter, der Geister und aller Menschen, aller Tiere, aller Lande, aller Meere, aller Seen, aller Flüsse, Bäche und Quellen, und alles dessen, was darin ist und lebt! Dir scheinen untertan zu sein auch die Winde, die Blitze und der fürchterlich rollende Donner; auch die Sonne, der Mond und alle die Sterne merken auf Deinen Willen!

3. Wenn aber Du, obschon gestaltlich ein Mensch wie ich, solches alles allein durch Dein Wort und Deinen allmächtigen Willen vermagst, da frage ich denn doch alle Weisen der Welt, was Dir zu einem ersten und vollkommensten Gott der Götter noch abginge!?

4. Ich, Ouran, ein kleiner Fürst aus den Gegenden des großen Pontus, erkenne Dich dafür; und kämen nun selbst Zeus und Apoll hierher und sageten ein lächerliches Nein, so würde ich sie selbst der dicksten Dummheit zeihen!

5. Und nun tritt du, meine liebe Tochter Helena, näher und sieh an den Gott der Götter, – sieh an, was noch nie früher jemals eines Sterblichen Auge geschauet hat!

6. Siehe, bei uns Griechen und auch bei andern Völkern ist einem höchsten, unbekannten Gott ein heiligster Tempel erbaut, der aber nie geöffnet wird! Man nannte zuweilen diesen unbekannten Gott auch das nie erforschliche Fatum (Schicksal), vor dem sogar der große Zeus nach unserer Lehre bebt wie das Espenlaub im Sturme.

7. Und sieh, dieser furchtbare Gott steht nun vor uns und gebot eben zuvor dem Apoll, mit dem Sonnenwagen innezuhalten nach dem Wunsche jenes ehrwürdigen, greisen Römers, der wahrscheinlich auch so ein kleiner Fürst irgendeiner glücklichen Provinz ist!

8. Und siehe, Tochter, Apollo rührt sich nicht weiter, bis er nicht den geheimen Wink erhalten wird von dem höchsten, unbekannten Gott, den bloß die Diener des Tempels zu Jerusalem näher kennen sollen, – was aber auch ganz gut sehr unwahr sein kann; denn so sie Diesen nicht als den allein Wahren erkennen, so sind sie auf dem schändlichsten Holzwege von der Welt!“

9. Sagt die schöne Helena: „Sie werden wohl vielleicht etwas Näheres kennen von Ihm, aber sicher nur in symbolischen Bildern; daß sie aber diesen Wundermann ganz gewiß nicht für das halten, für was du Ihn hältst, und was Er auch aller Wahrscheinlichkeit nach zu sein scheint, dafür wollte ich viel auf ein Spiel setzen! Nur das einzige begreife ich noch nicht so ganz recht, daß mein Herz stets mehr und mehr von wahrer, ernster Liebe zu Ihm erfüllt wird; und doch soll jeder Mensch einen Gott nur fürchten, verehren und Ihm Opfer darbringen!

10. Du weißt, wie strenge unser Priester, der dem Apollo zu dienen hatte, mir die Liebe zu einem Gotte untersagt hat; denn solche Liebe sei fürs erste zu unheilig für einen ersten Gott wie Apoll, und fürs zweite würde man, so sie sehr gesteigert würde und im Ernste einen ersten Gott anzöge, alsbald die allerstrafendste Eifersucht der Göttinnen erwecken und dann unfehlbar das herbe Los einer Europa, Dido, Daphne, Eurydike und Proserpina an den Hals für ewig bekommen –, und das wäre ja etwas höchst Erschreckliches.

11. Ich habe es nach der wahrhaft weisen Lehre unseres Apollopriesters in meinem Gemüte – wie dir bekannt – dahin gebracht, daß ich mich vor einer möglichen Erscheinung eines auch des allerschönsten Gottes um nichts weniger entsetzt haben dürfte als vor dem erschrecklichsten Haupte einer Medusa, Gorgo oder Megära!

12. Von einer Liebe zu einem Gott konnte also bei solchen Umständen keine Rede mehr sein! Und sieh, ich gestehe es dir offen, daß ich trotz alles meines innersten Kampfes und trotz der allerfurchtbarsten Vorstellungen, die ich mir wegen der erwachten Liebe zu einem Gott in einem fort ins Gedächtnis rufe, diesen Gott dennoch stets mehr und mehr liebe! Ja, ich möchte aus Liebe zu Ihm in den bittersten Tod gehen, so Er mich dafür nur eines freundlichen Blickes würdigen würde!

13. O Himmel der Himmel! Wie unaussprechlich liebenswürdig ist Er trotz Seines Ernstes! Oh, da haben die Götter nicht gut getan, daß sie uns Menschen sie zu lieben verboten haben!“

14. Sagt Ouran: „Ja, meine Tochter! Die Götter sind höchst weise und wissen, was sie den Menschen zu gewähren haben! Wir müssen durch unser Leben auf dieser Erde uns erst so rein machen, daß an unserer Seele kein Makel mehr zu finden ist auch durch das schärfste Gericht der drei unerbittlichsten Richter Äakus, Minos und Rhadamanthys; sind wir von diesen als völlig rein erklärt vor den Ohren und Augen aller Götter, dann erst wird uns im ewigen Elysium als größte aller Seligkeiten gestattet sein, die hohen Götter wenigstens ganz geheim lieben zu dürfen!

15. Aber hier auf der Welt im unlautern Fleische mußt du dich ja über alles hüten, gar in diesen allerhöchsten und allerersten Gott dich etwa gar zu verlieben! Denn das wäre wohl das Erschrecklichste des Allererschrecklichsten! Fühlst du wirklich schon eine Art Liebe zu Ihm, so wird es geraten sein, uns so schnell als nur immer möglich von diesem Orte zu entfernen!“

16. Sagt Helena: „Das wird aber mir sehr wenig mehr nützen; denn ich habe Ihn schon zu sehr in meinem Herzen und kann Ihn nicht mehr hinausbringen! Sieh aber du nur jenes noch sehr zarte Mägdlein an, das scheint Ihn auch sehr stark zu lieben, und doch geschieht ihm dem Ansehen nach nichts Arges!“

17. Sagt Ouran: „Liebe, weißt du denn, ob das nicht irgendeine Göttin ist? Nicht so sehr Ihn, aber um desto mehr sie hättest du dann zu fürchten! Wer weiß es denn, ob sie nicht wenigstens eine zehnfache Juno ist?!“

18. Sagt Helena, ganz trübsinnig und mit Tränen im Auge: „Ja, ja, du könntest da wohl sehr recht haben! Oh, wie glücklich sind doch die Götter und unglücklich dagegen die Menschen! Ein Herz, das nicht lieben darf, ist wohl das Unglücklichste, was ein Mensch in der Welt nur immer unglücklich nennen kann! Ärgert mich mein Auge, so kann man es blenden; ärgert mich eine Hand, so kann ich sie mir abhauen lassen, desgleichen einen Fuß, und ärgert mich meine ganze zarte und weiße Haut, so kann ich sie mit Ruten züchtigen lassen und dann beschmieren mit Kot; aber was kann man mit dem Herzen tun, so es mich gar sehr zu ärgern beginnt? Hat man einen Druck im Magen, so hat dafür Äskulap den Saft der Aloe zu nehmen geraten, und es werde dann bald besser mit dem Magen; aber gegen den Druck im Herzen hat er meines Wissens kein Mittel angeraten!

19. Aber nun fällt mir etwas ein: Siehe, dieser Gott ist ja auch ein Heiland aller Heilande! So wir Ihn darum bäten, so würde Er mir vielleicht wohl helfen?! Denn Er half uns ja, als wir Ihn darum unmöglich bitten konnten, da wir Ihn nie gekannt haben; so dürfte Er mir ja nun auch helfen, da wir Ihn kennen und Ihn darum bitten und sicher bereit sind, Ihm jedes verlangte Opfer zu bringen!?“

20. Sagt Ouran: „Siehe, das war ein guter Einfall von dir, und er wird uns vielleicht auch gute Früchte tragen! Aber da uns der höchste Gott Selbst den weisen Mathael zugeteilt hat zu unserer Belehrung, so können wir uns nur durch ihn an den Gott wenden! Mathael selbst aber scheint auch so zum wenigsten ein sehr mächtiger Halb-Hauptgott zu sein, gleichwie jener Jüngling, den ich, weißt du Helena, zwar geheim, aber dennoch unfehlbar für den Gott Merkur halte.“

21. Sagt die Helena: „Ja, ja, ja, das wird ganz so recht sein, und der Junge ist Merkur! Aber, mir fällt nun wieder etwas ein! Am Ende sind wir auf der Erde schon gestorben, haben das scharfe Gericht wohl bestanden, haben Lethe getrunken und dadurch die Erinnerung verloren, daß wir auf der Erde gelebt haben und vielleicht erst vor kurzem gestorben sind?! Wir sind vielleicht schon im Elysium, aber die Götter wollen uns solches nicht gleich offenbaren und lassen durch allerlei Umstände uns solches selbst erkennen!?

22. Sieh du nur die unbeschreibliche Herrlichkeit dieser Gegend an! Kann, frage ich, das Elysium wohl noch herrlicher sein?! Eine Sonne geht unter, und eine andere geht an derselben Stelle auf, und auch die Sterne fehlen dem herrlichen ewigen Morgen nicht! Wenn das, Vater, – da wäre meine Liebe dann wohl kein Arges mehr!“

23. Sagt Ouran: „Kind! Diese deine Bemerkung hat sehr viel für sich, obschon ich sie gerade noch nicht gleich als eine volle Wahrheit unterschreiben möchte! Kurz, der Mathael ist uns nicht umsonst beigegeben worden, der wird uns schon den rechten Aufschluß geben!

24. Sind wir schon im Elysium, so sind wir darin Neulinge und kennen uns in dieser neuen Welt noch lange nicht aus; aber der Führer Mathael wird uns beide schon zurechtbringen! Jetzt sieht es hier allerdings sehr elysäisch aus; doch früher, während der gänzlichen Sonnenverfinsterung, hat es eben nicht sehr elysäisch ausgesehen, sondern eher ein wenig orkisch. Aber jetzt, ja; doch, wie ich es vernommen habe, wird diese elysäische Herrlichkeit nur kaum zwei Stunden mehr andauern, – und dann, man kann's zwar nicht wissen, dürfte es hier vielleicht wieder sehr gemein tellurisch aussehen!? Aber kurz, wir haben ja den Mathael, – der wird uns schon in allem den richtigsten und möglich wahrsten Bescheid darüber geben! Aber rede du, Helena, ihn an; denn ich habe noch nicht so den rechten Mut dazu! Euch Weibern gelingt das immer besser als uns Männern!

25. Er ist zwar nun sehr in ein Gespräch mit dem alten Fürsten vertieft, und der Gott spricht auch mit einem römischen Hauptmann! Wie gesagt, ich habe den Mut für diesen Augenblick nicht, und man könnte mir es am Ende doch etwas übelnehmen; aber du bist ein weibliches Wesen, man wird dir irgendeine kleine Zudringlichkeit gar nicht für ein Übel nehmen, – daher versuche nun zuerst nur du dein Glück!“

26. Sagt die Helena: „Wird mir nun wohl auch etwas ängstlich zumute, und ich weiß es nicht, wie ich die Sache so recht klug anstellen soll; aber laß mir jetzt nur ein wenig Zeit, es wird sich dann diese Sache etwa wohl geben!“

27. Sagt Ouran: „,Eile mit Weile!‘ ist ein alter Orakelspruch von Dodona, dessen Erfinder der weise Plotin gewesen sein soll, der noch vor Homer gelebt habe; darum magst du dir schon überall ein wenig Zeit lassen!

28. Was immer ein Mensch tut, das solle er klug anstellen und dabei stets denken, welche Folgen daraus entstehen können; man vermeide darum jeden voreiligen Schritt, und man wird leicht einer Fallgrube ausweichen! Langsam, aber darum sicher an ein Werk gehen ist stets besser, als mit mutiger Hast über einen tiefen Graben springen, dessen Breite man vorher zu wenig bemessen hatte und darum in den Abgrund stürzt! Oh, der alte Ouran ist in seiner Art auch klug und weise und hat bisher noch keinen Schritt zu bereuen gehabt; vielleicht werden ihn die guten Genien auch in der Folge davor bewahren!“

Kapitel 089. Mathaels Teilnahme und Aufklärung.

1. Nach diesem heidnisch klugen Zwiegespräch verstummen beide, Ouran und Helena, und warten den Mut ab, der da wenigstens die Helena beseelen solle für die beabsichtigte Anrede an den Mathael ums Vorwort bei Mir; aber je länger beide warten, desto mehr Bedenklichkeiten tauchen in ihren Gemütern auf, und diese vermindern den kommen sollenden Mut, anstatt ihn zu beleben und zu kräftigen. Beide betrachten zwar des Abends Herrlichkeit, aber stets mit einiger Furcht; denn das etwas fabelhafte Licht der Scheinsonne, der fremde wenig kultivierte Ort, die außerordentlichen Taten und Meine Gegenwart lassen der beiden Gemüter zu keiner solchen Ruhe gelangen, in der sie so ganz gemach des Abends Ruhe hätten genießen können.

2. Als Mathael solches gar bald merkt, tritt er zum Ouran hin und sagt: „Freund, du bist nicht heiter, und deine schönste Tochter sieht etwas leidend aus! Sage es mir, ob euch irgend etwas fehlt!“

3. Sagt Ouran ganz geheim zur Helena: „Er hat uns schon! Nun nur klug, recht, wahr und gerecht, sonst machen wir noch gar leicht einen schrecklichen Gang nach dem Orte, den Zerberus bewacht und der unerbittliche Pluto beherrscht! Rede wenig und langsam, überdenke wohl ein jedes Wort, sonst ist's gefehlt um uns!“

4. Hier klopft Mathael dem sehr furchtsam gewordenen Ouran auf die Schulter und sagt: „Aber Freund, warum schweigst du denn? Hast doch ehedem recht mutig mit mir reden können!? Was ist dir denn nun auf einmal durch die Sinne gefahren?“

5. Sagt nach einer ganz zitternden Weile Ouran: „Ah – ah – ahahah – das war ein mörderischer Schlag! Es – fehlt – mir, – gerade herausgesagt, zwar nichts, aber ich und diese – meine Tochter, wie uns erst jetzt ein Licht aufgegangen ist, sind als sterbliche Elende zu euch unsterblichen Göttern gelangt, und wie es scheint in den wahrhaftigsten Olymp, als einem Hauptwohnort der ewigen, unsterblichen Götter!

6. Es geht hier schon zu unmenschlich wunderbar zu! Die zu große Heiligkeit dieses Ortes erfüllt uns mit Angst und Schrecken, und das darum um so mehr, da sich meiner Tochter Herz gar mit Liebe zu dem großen Gott aller Götter, wie sie es sagt und klagt, zu füllen anfängt.

7. Nach unseren griechischen Göttergesetzen ist eine solche Liebe eines der schwersten Verbrechen gegen die unbegrenzte Heiligkeit der Götter, besonders gegen den unbekannten allerhöchsten Gott aller Götter! Meine arme Tochter aber kann sich nun solcher schrecklichen Liebe nimmer erwehren! Sie will nicht, und ihr Herz sagt ein unerbittliches: ,Du mußt!‘

8. Die aufrichtige Arme vertraute mir solches, und ich habe darum den Entschluß gefaßt, durch dich den großen Gott zu bitten, daß Er allergnädigst das Herz meiner armen Tochter von solch einer Liebe befreien möchte; denn es rührt solche Liebe ja nicht von ihrem Willen, sondern sicher allein von fremden, uns total unbekannten Umständen her! Möchtest du, als sicher auch ein erster Halbgott, uns solche Gnade erweisen? Möchtest du den großen Gott um die Heilung des krank gewordenen Herzens meiner Tochter bitten und mir zugleich ein Opfer für solche Gnade gebieten?“

9. Das bringt unsern Mathael zum ersten Male seit seiner Genesung zu einem wohlwollend mitleidigen Lächeln, und er sagt darauf zum Ouran: „Du bist zwar ein echter und dabei möglichst reiner Heide! Du suchest in der halben Welt Wahrheit und ein rechtes Licht; und findest du es, so erkennst du es vor lauter heidnischer Dummheit nicht!

10. Ich sage es dir, daß ich dich sehr bemitleide und deine Kurzsichtigkeit recht von Herzen bedaure; aber ich hoffe, daß es mit deiner alten Narrheit hier bald ein Ende nehmen wird!

11. Sieh, was deine Tochter als Liebe zu unserem großen, heiligen Meister in ihrem Herzen fühlt, ist ja eben das einzige und wahre Lebenszeichen des eigenen göttlichen Geistesfünkleins in ihrer Seele! Wird dies Fünklein zur Flamme in ihrer Brust, dann erst wird sie die vollste Nichtigkeit eures alten Vielgöttertums völlig erkennen, aber auch die einzig wahre, ewige Göttlichkeit Dessen, der nun dies Fünklein in ihrem sonst reinsten Herzen angefacht und belebt hat.

12. Ich sage es dir: Die Liebe ist ja das einzige Band, durch das Gott Seine Geschöpfe zu Kindern an Sein allmächtiges Vaterherz ziehet und sie am Ende denselben gleichstellet, – und du, alter blinder Heide, bittest nun um die Befreiung von jener höchsten göttlichen Gnade, die euch Gott Selbst in Seiner großen Erbarmung hier zur Erweckung des innern Lebens in eure Herzen gießet!?

13. Laß ab von deiner alten Dummheit und werde ein Mensch, dem es möglich wird, das ewige Leben in sich selbst und aus der ihm von Gott dazu verliehenen Kraft zu erwerben, sich und Gott wahrhaft zu erkennen und dadurch erst in die wahre, ewige Glückseligkeit einzugehen!“

Kapitel 090. Entstehung und Erklärung der Götternamen der Griechen.

1. (Mathael:) „Damit du aber erfahrest, woher deine Götter stammen, und wie sie an und für sich gar nichts sind, so sage ich es dir im Namen des Herrn, der hier unter uns weilet, daß sie nun nichts als leere für euch gar nichts sagende Namen sind; früher aber waren sie bezeichnende Ausdrücke von den Eigenschaften des einen, allein wahren Gottes, dessen Geist nun in aller Fülle in diesem nun vor euch stehenden Meister waltet.

2. ,Ceus‘ ist jene Bezeichnung, welche zu den Zeiten der Urpatriarchen stets vor einem gegebenen Gesetze stand, das immer von dem in die Gemüter der Väter einfließenden Geiste Gottes herrührte und soviel besagte als: ,Der Vater will es!‘ Denn durch Ce, auch Ze, war der Begriff des festen, unwandelbaren Willens, und durch us, besser uoz oder uoza, der Begriff des stets schaffenden und alles regierenden Vaters im Himmel dargestellt.

3. Ebenso war der Begriff ,Jupiter‘, besser Je u pitar, das, wodurch die alten Väter den Kindern ein entsprechendes Gefäß zur Aufnahme der Liebe und Weisheit aus Gott darstellten; denn Je u pitar heißt dann soviel als: Das U, welches Zeichen die Linie der Außenseite eines offenen Herzens darstellte, ist das wahre Lebenstrinkgefäß; denn pit heißt trinken, pitaz ist ein Trinker, und pitar, auch pitara, ein heiliges Trinkgefäß, und pitza, auch piutza, ein gemeines Trinkgeschirr.

4. Wie aber also euer Ceuz oder Jeupitar nichts anderes für euch ist als ein leerer Name, weil euch die Kenntnis der Bedeutung dieser Urbezeichnungsbegriffe fremd geworden ist, ebenso und oft eigentlich noch nichtssagender und somit noch mehr nichtsseiender sind die leeren Namen aller eurer andern Götter und Göttinnen.

5. Zum Beispiel eure Venuz oder Avrodite (Venus oder Aphrodite), die bei euch eine Göttin der weiblichen Schönheit ist, besagte nach den sehr bezeichnenden Begriffen der alten Väter wohl eine sehr schöne Weibsperson, aber eben nicht zu ihrem geistigen Vorteile; denn auch die Alten hat schon die Erfahrung gelehrt, daß ein sehr schönes Weib mit seltener Ausnahme gewöhnlich dumm ist und keinen Reichtum an Wissenschaft in sich birgt, weil es eitel ist und stets mit der Bewunderung der eigenen Schönheit sich beschäftigt und darum wenig Zeit findet, sich andere nützliche Kenntnisse zu erwerben. Darum nannten die Altväter eine solche weibliche Schönheit eine wahre Ve nuz, auch Ve niz, was soviel besagt als: ,Die weiß nichts!‘ oder: ,Sie kennt nichts!‘

6. Eben nahe dasselbe besagte denn auch der Ausdruck a v rodite. Stand irgend O V rodite, so bezeichnete das soviel als: die reine, göttliche Weisheit gebären, und slou rodit: die menschliche Weisheit gebären; a v rodit aber heißt: die irdische Dummheit gebären, und Avrodite bezeichnete dann soviel als irgendein schönes geputztes Weib, das stets eine Gebärerin der Dummheit ist, weil es zumeist selbst dumm ist.

7. Unter V stellten die Alten stets das Zeichen eines Aufnahmegefäßes dar. Stand nun ein heiliges O vor dem V, welches O als Nachbildung des Sonnenrundes und entsprechend denn auch Gott in Seinem Urlichte darstellend bezeichnete, so stand das V zur Aufnahme des Weisheitslichtes nach dem Gott bezeichnenden O; stand aber ein A, durch das die Alten alles rein und eitel Irdische bezeichneten, vor dem V, so stellte dies Gefäßzeichen die Aufnahme der nichtigen, irdischen Dummheit dar. Rodit aber heißt: gebären, und A V rodit nichts anderes als: die Dummheit gebären.

8. Sage, ob dir über das eigentliche Wesen deiner Götter nun nicht anfängt, so ein wenig dämmerig zu werden!“

9. Das Gesicht des Ouran und der Helena fängt nun an, sich sehr aufzuheitern, und es ist nun der Helena nimmer bange um ihre Liebe zu Mir.

10. Ouran aber sagt darauf zum Mathael: „Freund! Deine Weisheit ist groß! Denn was du nun an mir mit wenig Worten ausgerichtet hast, das hätten alle Schulen Ägyptens, Griechenlands und Persiens in hundert Jahren nimmer zustande gebracht! Du hast mir nun mit einem Zuge alle Götter Ägyptens, Griechenlands und Persiens rein hinausgewischt bis auf den einen, unbekannten Gott, den ich aber, wie es mir nun stets klarer wird, hier gefunden habe und hoffentlich noch stets mehr und mehr finden werde. Kurz, du bist mir nun ein Mann, der mit keinem Golde zu bezahlen ist! Fürs erste danke ich dir als Mensch und Freund aus meinem ganzen Herzen – alles andere wird nachfolgen.“ – Auch die Helena dankt dem Mathael für solch eine weise Belehrung.

Kapitel 091. Mathael als Mauerbrecher der Heidentempel.

1. Mathael aber geht darauf wieder zu Mir und fragt Mich, ob er mit seiner freiwilligen Erklärung der Namen der heidnischen Götter wohl recht getan habe, – ob solches nicht etwa zu früh geschehen ist.

2. Sage Ich: „O mitnichten! Solches ist dir sehr gelungen der vollsten Wahrheit gemäß, und du hast nun wirklich dadurch mit wenig Worten mehr geleistet zum Auslöschen des finstern Heidentums, als so mancher weise Lehrer in vielen Jahren! Denn wer da einen Menschen verständig und weise ziehen will, der muß zuvor alle seine alte Dummheit aus ihm schaffen. Ist der Mensch dadurch ein zwar nun noch leeres, aber dadurch reines Gefäß geworden, dann hat man ein leichtes, solch ein gut brauchbares Gefäß mit allerlei Weisheit aus den Himmeln anzufüllen; das wird nun auch bei den zweien der Fall werden.

3. Ich sage es dir, aus diesen zweien werden nun leichtlich in aller Kürze zwei Menschen werden, über die Mein Herz mehr Freude haben wird als über zehntausend Juden, die sich nach Moses für sehr gerecht halten, dabei aber als Menschen Meinem Herzen fremder sind als jene, die erst nach tausend Jahren auf die Erde geboren werden.

4. Und weiter sage Ich dir: Wenn du dir auf der Erde je ein Weib nehmen solltest, so solle es die Helena sein! Aber es sei ferne von Mir, daß Ich dich dadurch dazu bemüßigen möchte, sondern das wird dir dein eigenes Herz verkünden, und dem wirst du dann auch folgen.

5. Gehe nun aber wieder hin und sei freundlich; der Alte, der sonst ein kenntnisreicher Mann ist, sowie auch dessen wahrlich zum Verwundern doppelt schöne Tochter, wird von dir nun noch so manche Erklärungen über die Namen des Altertums verlangen. Du bist nun ein Grundweiser, und es wird dir ein leichtes sein, den beiden auf jede Frage die schlagendste Antwort zu geben.

6. Zugleich wird solche deine Unterredung auch auf die Römer einen guten Eindruck machen, und es werden dadurch die ersten Mauerbrechwerkzeuge an die vielen heidnischen Tempel gelegt werden; und es werden darauf, wenn auch noch immer mit manchen Anstrengungen, in etlichen Dezennien (Jahrzehnten) größere Effekte unter dem Heidentume zustande gebracht werden, als solches sonst kaum erst in einem Jahrtausend könnte bezweckt werden.

7. In der Nacht bleibt es stets eine schwere Sache, vom Lichte zu predigen; hat man aber einmal den Tag gewonnen, dann ist ohnehin nahe jede Lehre vom Lichte des Tages von selbst entbehrlich; denn der Tag gibt dann schon das Licht von selbst. Der Alte aber wird dir mit sehr gewichtigen Fragen kommen, und dir sei es darum gegeben, auch mit sehr gewichtigen Antworten entgegenzukommen. Gehe nun denn in Meinem Namen hin und mache deine Sache gut!

8. Wir alle werden einen ganz aufmerksamen Teil an deinen Verhandlungen nehmen; daß dich aber auch die Fernstehenden verstehen werden, dafür soll schon von Mir gesorgt sein!

9. Ich werde die Scheinsonne nun noch ein paar Stunden leuchten lassen, was viele Menschen aus der Stadt ins Freie ziehen wird, teils aus Verwunderung und teils aus Angst über solch ein Nimmerendenwollen des Tages. Aber in der Kürze dieser Zeit wirst du mit den beiden viel ausgerichtet haben.

10. Nachdem Ich aber die Scheinsonne werde ausgelöscht haben, werden wir dann alle hier auf der Höhe ein gutes Abendmahl nehmen, bei dem dann noch gar manches wird verhandelt und besprochen werden. Nun weißt du für diesen Augenblick alles, was nun zu tun von Nutzen ist; das Weitere wird die spätere Zeit geben!“

11. Mathael dankt Mir für diesen Auftrag – und so ganz geheim auch für den Antrag der schönen Helena, die ihn schon beim ersten Anblick in seinem Herzen sehr überrascht hatte, so daß er sich heimlich im Herzen selbst zuflüsterte: ,Bei allen Himmeln, – solch eine weiblich schönste Gestalt ist in ganz Israel noch nie gesehen worden!‘

12. Es hatten aber auch alle Römer, selbst Cyrenius nicht ausgenommen, ihre Augen auf die schöne Griechin geworfen, und es kostete sie eine rechte Mühe, irgendwoanders hinzuschauen denn nur auf die schöne Helena, deren Leib wie aus einem reinsten Lichtäther geformt zu sein schien und darum nun fast mehr Anziehung hatte als die ganze wunderbare Scheinsonne.

13. Mathael nahm sich denn hier auch besonders zusammen; doch was er so ganz geheim fühlte, das merkte außer Mir wohl niemand.

Kapitel 092. Unterschied der Schönheit der Gottes- und der Weltkinder.

1. Er (Mathael) ging darum sehr ernsten Schrittes zum Ouran und zu der schönsten Helena hin und fragte beide, ob sie nun wohl schon so recht reiflich über seine ihnen gegebenen Erklärungen nachgedacht hätten.

2. Darauf sagt die Helena gar freundlichen Angesichtes: „Aber sieh, man sagt, daß ich auch ein schönes Mädchen sei, ja man nannte mich schon oft eine zweite Venus; meinst du, daß dieser Name auch für mich ein nach deiner Erklärung bezeichnender ist? Sag' es mir, du lieber, weiser Freund!“

3. Diese Frage machte unsern Mathael anfangs ein wenig verlegen, weil er darin gleich auf den ersten Blick eine kleine Beleidigung des Herzens Helenas entdeckte; aber er faßte sich bald und sagte: „Liebste Schwester in Gott! Was ich dir sagte, das gilt nur von den Kindern der Welt; die wahren Kinder Gottes aber können noch so schön sein auch dem Außen nach, so sind sie aber dennoch weise in ihren Herzen.

4. Bei diesen ist die äußere Schönheit nur Aushängeschild von ihrer inneren geistigen Schönheit; aber bei den Kindern der Welt ist sie eine trügerische Tünche der Gräber, die dann, wenn sie übertüncht werden, recht schön und einladend aussehen, aber von innen sind sie voll Moders und Ekelgeruches.

5. Du aber suchest Gott, – darum bist du auch ein Gotteskind. Die Kinder der Welt aber suchen nur die Welt und sind darum auch deren Kinder. Sie fliehen das Göttliche und suchen nur die Ehre und das Ansehen der Welt.

6. Wenn sie die Welt groß, herrlich und schön nennen, so ist ihre Glückseligkeit auch schon beisammen; so man aber anfinge, über göttliche Dinge mit ihnen zu reden, da wissen sie nichts, und damit sie ihre Schande verbergen, umhüllen sie sich mit allerlei Flitter der Welt, mit Hoffart und mit Hochmut und verfolgen mit Zorn, Haß und Hohn alle Weisheit, die aus Gott in die Herzen der Gotteskinder gegossen wird.

7. Es ist darum ein großer Unterschied zwischen der Schönheit der Kinder Gottes und der Kinder der Welt. Die erste ist, wie gesagt, ein Aushängeschild der inneren Seelenschönheit, und die zweite ist eine Tünche des Grabes, und diese stellt die Venuz dar, – aber nicht die deine, die du Gott suchst und Ihn auch bereits gefunden hast; daher hast du meine frühere Venus-Erklärung auch durchaus nicht auf dich zu beziehen. – Hast du mich nun wohl verstanden?“

8. Sagt die Helena: „O ja, aber daß ich ein Gotteskind wäre, das kommt mir wohl als etwas sehr Gewagtes vor! Wir sind wohl alle sicher Geschöpfe eines und desselben Gottes; aber von der sicher endlosesten Erhabenheit der wahren Gotteskinder kann ja doch bei uns keine Rede sein, die wir als grobe und schwerfällige Materiemenschen doch ersichtlich mit allerlei Schwächen und daraus hervorgehenden zahllosen Unvollkommenheiten behaftet sind! Da wirst du, liebster und sonst weisester Freund, dich wohl ein wenig zu hoch verstiegen haben!“

9. Sagt Mathael: „Oh, mitnichten; denn siehe, das, was ich dir gesagt habe, habe ich von dem großen Einen! Was aber Er mich gelehret, ist und bleibt ewige Wahrheit!

10. Siehe, du habest eine Taube, die da wohl fliegen kann; damit sie dir aber nicht in einem fort davonfliege und schön zahm und traulich werde, so stutzest du ihr die Flügel. Da kann die Taube dann nicht mehr auf- und davonfliegen nach ihrem Flattersinne, sondern muß dir bleiben und sich von dir zähmen lassen.

11. Sage, ob die Taube in der flügelgestutzten Zeit weniger Taube ist denn zuvor, da ihr die Flügel noch nicht gestutzt waren! Werden der lieben Taube die Flügel etwa nicht wieder in kurzer Zeit wachsen? Ja, in kurzer Zeit wird die Taube ihre Flügel wiederhaben und so gut wie zuvor fliegen können; aber sie wird gezähmt sein und gerne bei dir bleiben. Und wird sie auch von Zeit zu Zeit einen Ausflug machen, so wirst du sie nur zu rufen brauchen, und sie wird dich in hoher Luft hören und zu dir ihren Schnellflug nehmen und sich von dir liebkosen lassen.

12. Wohl haben auch die Kinder Gottes auf dieser Welt so manche Schwächen, die sie sehr daran hindern, sich zu Gott, ihrem Vater, zu erheben; allein, diese Schwächen hat der heilige Vater den Kindern für die Lebensdauer in dieser Welt nur darum zukommen lassen, als (darum) du deine Taube auch flugschwach gemacht hast.

13. Die Kinder sollen aber eben in solcher ihrer Schwäche ihren Vater erkennen, sie sollen sanftmütig und demütig werden und den Vater um die rechte Kräftigung und Stärkung bitten; und Er wird ihnen dann diese schon geben, wenn es für sie an der rechten Zeit sein wird.

14. Aber wegen (trotz) der Schwächen, die auch den Kindern Gottes innewohnen, sind sie nicht minder Seine Kinder, als die Taube darum gleichfort eine Taube ist und bleibt, wenn ihr auch auf eine kurze Zeit die Flügel gestutzt werden der Zähmung wegen. – Verstehst du, holdeste Helena, nun dieses?“

Kapitel 093. Zweierlei Liebe zu Jesus.

1. Sagt die Helena: „Ja, ja, mit einigem Grauen zwar wohl noch immer, aber es fängt mir die Sache an heller zu werden, und ich hoffe, daß ich es mit der Zeit noch immer heller einsehen werde. Aber sage uns, du lieber Freund, wie denn das nun kommt, daß ich deinen großen Einen nun noch immer stärker liebe, aber mein Herz ist frei vom Schmerze!? Denn seit ich durch dich es gründlich weiß, daß solche Liebe kein Laster, sondern nur eine über alles nötige Tugend eines jeden Menschen Gott gegenüber ist, verursacht mir die nun viel stärkere Liebe durchaus keinen Schmerz im Herzen mehr, und alle Beklommenheit meiner Brust ist wie weggehaucht! O sage es mir, worin so etwas doch den Grund haben kann!“

2. Sagt Mathael: „Aber Liebste, das liegt ja doch offen am Tage! Früher hattest du eine verzehrende Furcht, weil dein Herz einen Gott mit Liebe umfaßte, was nach eurer törichten Götterlehre im höchsten Grade als verdammlich dargestellt wird. Nun aber hast du handgreiflich eure alte Torheit einsehen gelernt und hast an der Quelle den Willen Gottes erkannt und siehst nun, daß solche Liebe eine erste und größte Tugend eines jeden Menschen sein muß; und so ist es ja doch leicht begreiflich, warum dir deine Liebe keine Schmerzen mehr verursacht in deinem Herzen, sondern notwendig nur das blankste Gegenteil! – Verstehst du solches denn nicht von dir selbst?“

3. Sagt Helena: „O ja, jetzt verstehe ich es wohl; aber ohne diese deine Erklärung wäre mir die Sache noch lange nicht völlig klar geworden! Ah, jetzt bin ich in der Ordnung!“

4. Sagt Mathael: „Nun, so du in der Ordnung bist, da wirst du denn auch nicht gar vieles mehr zu erfahren vonnöten haben; das gerechte Wachstum der Liebe in deinem Herzen wird dir das Abgängige geben. Jetzt aber genieße auch das Herrliche dieses Tages, den der Herr aus Seiner endlosen Liebe, Weisheit und Macht uns über das Maß hinaus schenkt; denn es werden später nach uns wieder Tausende von eitlen Jahren vergehen, und die Menschen werden nimmer schauen die Herrlichkeit eines solchen Tages!“

5. Sagt Ouran: „Da hast du, edler Freund, wohl wahr gesprochen; am Abende eine solche Tagesverlängerung ist über die Maßen wunderbar und im höchsten Grade denkwürdig! Am Morgen würde so etwas weniger auffallen, indem es besonders in den Pontusgegenden von Menschen schon zu öfteren Malen bemerkt worden ist, daß da nicht selten eine, zwei bis drei Sonnen nacheinander vor der rechten Sonne aufgegangen sind und dadurch eine bedeutende Verfrühung des Morgens bewerkstelligt haben. Es war solch eine Morgenerscheinung auch sehr interessant und merkwürdig, aber doch bei weitem nicht in diesem hohen Grade als nun die Abendtagesverlängerung durch das am Firmamente Stehenbleiben einer der natürlichen ganz gleichsehenden und -leuchtenden Sonne. Ja, ja, so etwas ist meines Wissens noch nie erlebt worden und dürfte auch schwerlich je wieder erlebt werden!

6. Aber das eigentlich Merkwürdigste bei dieser Erscheinung sind dennoch die sichtbaren Sterne im Osten; und doch scheint diese gewisserart göttlich künstliche Sonne um nichts schwächer denn die natürliche. Sage mir, du lieber Freund, sind das im Ernste die natürlichen Sterne, oder sind das etwa auch nur Scheinsterne!? Es wäre die Zeit freilich schon lange da, in der die Sterne das Firmament einnehmen; aber warum allein nur im Osten, und warum nicht am ganzen Firmamente?“

7. Sagt Mathael: „Freund! Das ist eigentlich heute einmal berührt worden, aber du wirst es überhört haben, und so will ich es dir, so gut ich es verstehe, wohl erläutern.“

Kapitel 094. Mathael spricht über die Bewegung der Sterne.

1. (Mathael:) „Siehe, diese gegenwärtig am Himmel leuchtende Sonne ist in der geraden Linie von uns kaum so weit entfernt, wie weit ein guter Reiter in einem halben Tage käme; die wirkliche Sonne aber steht in gerader Linie von der Erde so weit ab, daß, so es möglich wäre, ein guter Reiter, so er ohne Rast Tag und Nacht fortritte, die überaus lang gedehnte Linie kaum in zehntausend Jahren zu Ende brächte. Wie weit reichen da die Strahlen der natürlichen Sonne und welch einen unmeßbaren Raum erfüllen sie, und wie kurz sind dagegen die Strahlen dieser Scheinsonne! Sie reichen bis gen Osten nur mehr ganz schwach hin, was man auch aus der größeren Dunkelheit des Ostens recht gut abnehmen kann, und es ist darum dort die Luft nicht so glühhelle durchleuchtet als bei der natürlichen Sonne. Das glühhelle Durchleuchten der diese Erde weithin umgebenden Luft aber macht es eben, daß wir am Tage nie einen Stern sehen können.

2. Wäre das Licht der Sonne nicht gar so stark, so würden wir auch am Tage wenigstens die großen Sterne sehen; aber zufolge des zu starken und zu unmeßbar weit ausgegossenen Sonnenlichtes ist das Sehen selbst der größten Sterne am Tage nicht möglich. – Verstehst du das so ein wenig?“

3. Sagt Ouran: „Jawohl, ich verstehe das wohl nun so halb und halb, aber vom Ganzverstehen kann bei mir noch hübsch lange keine Rede sein; denn bei den Sternen und bei ihren Bewegungen habe ich mich stets von jeher am wenigsten ausgekannt. So kann ich das nie so recht übereinanderbringen, wie das geschieht, daß bald nach dem Untergange der Sonne über das ganze Firmament eine Menge bekannter Sterne zum Vorschein kommen. Aber nachher kommen von Osten immer noch mehrere zum Vorschein, und die schon dagewesenen gehen im Westen dafür wieder unter; dabei aber bleiben einige dennoch winters und sommers gleichfort mit kleiner Veränderung ihres ersten Standpunktes am Firmament. Besonders ist das mit den Sternen der Fall, die den nördlichen Himmel schmücken; aber dafür sind die schönen Sterne des mittäglichen Himmels sehr veränderlich, und man erblickt zu jeder Jahreszeit andere. Darunter gibt es noch gewisse Wandelsterne, die den sonst wohlbekannten und sich gleichbleibenden Sternbildern nie getreu verbleiben, sondern ganz so mir und dir nichts von einem festen Sternbilde zum andern wandern.

4. Also scheint auch der Mond bei seinem Auf- und Untergange keine Ordnung zu haben; bald geht er stark nördlich und bald wieder stark südlich auf. Nun, Freund, so du sicher etwas mehr verstehst denn ich und meine Tochter, so erläutere uns diese Himmelsrätsel!“

5. Sagt Mathael: „Weißt du, um dir das alles so recht wohl begreiflich zu machen, wäre die Zeit hier wohl etwas zu kurz, und du hättest offenbar nicht die Geduld, mich bis ans Ende zu vernehmen. Darum verlegen wir solches auf eine gelegenere Zeit; aber etwas weniges kann ich dir zu deiner Beruhigung immerhin kundgeben, und so wolle du mich recht aufmerksam anhören!

6. Siehe, nicht die Sterne, die Sonne und der Mond gehen auf und unter, sondern nur die Erde, die kein Kreis der Fläche nach, sondern nur eine sehr große Kugel von mehreren tausend Stunden Umfanges ist, dreht sich nach unserem Sanduhrenzeitmaße in ungefähr 25 Stunden um ihre Mittelachse, wie solches der Herr Selbst ehedem erklärt hat. Durch diese Drehung wird alles das bewirkt, um was du mich ehedem gefragt hast. Da hast du nun ganz kurz die Erklärung beisammen.

7. Sterne, die du stets als feststehende Bilder ersiehst, stehen nach der Erläuterung des Herrn Selbst und nach meiner höchst eigenen, mir verliehenen Anschauung als selbst Sonnen so endlos weit von der Erde entfernt, daß wir weder von ihrer Größe noch von ihrer Entfernung und ebensowenig von ihrer Bewegung irgend etwas merken können. Nur viele Jahrtausende können bei den Feststernen irgendeine Veränderung erkennen lassen; aber etliche hundert Jahre geben da keinen Unterschied in der Stellung der Feststerne.

8. Jene Sterne aber, die stets ihren Stand verändern, stehen viel näher dieser Erde, sind auch nur kleinere Weltkörper als eine Sonne, bewegen sich um unsere Sonne und können darum ihre Bewegung gar wohl merken lassen. Darin besteht nun das Wesentlichste; alles andere sollst du bei einer nächsten Gelegenheit von mir erfahren! – Bist du damit zufrieden?“

9. Sagt Ouran: „Zufrieden wohl allerdings, aber nur bin ich schon so ziemlich ein alter Baum geworden, der sicher recht schwer zu beugen ist, und darauf mußt du stets ein wenig Rücksicht nehmen.

10. Siehe, man hatte von der frühesten Kindheit an bis zu meinem nun wohl schon ziemlich greisen Alter sich so recht ehrlich und gewissenhaft in die alten Dummheiten hineingelebt und fand, da man nie von etwas Besserem gehört, darin manchmal ganz denkwürdige Bestätigungen dessen, was man geglaubt hatte; hier aber tritt alles so ganz neu auf, und alles Alte muß rein über Bord ins Meer der vollsten Nichtigkeit geworfen werden, – und das geht denn doch etwas schwer bei mir.

11. Wenn ich denn hier nun in was immer eine ganz neue, früher nie geahnte Lehre bekomme, so kostet es mich denn doch stets eine gewisse Anstrengung, bis mir das Nichtige des Alten und die Wahrheit des Neuen völlig klar wird; du mußt daher besonders mit mir schon eine kleine Geduld haben. Nach und nach werde ich dir noch einen ganz leidlichen Jünger abgeben trotz meines schon sehr vorgerückten Alters.

12. Mit meiner Tochter wirst du dafür schon eine viel geringere Mühe haben; denn dies Mädchen hat eine leichte Auffassungsgabe. Aber es wird sich mit mir schon auch noch machen, nur natürlich etwas langsameren Schrittes; ich werde wohl keinen Hirsch mehr einholen, aber so mit einem ganz bescheidenen Ochsen werde auch ich noch so ziemlich gleichen Schritt halten.

13. Ja, die Sterne, die Sterne, lieber Freund, die Sterne, die Sonne und der höchst unbeständige Mond! Das sind ganz sonderliche Dinge, und dazu unsere Erde auch; wer sich da einmal so recht auskennen würde, der stünde wohl in einem höchsten Grade der menschlichen Weisheit! Aber bis man da alle die undurchdringlichen Geheimnisse und Verdecktheiten ans offene Tageslicht bringen wird, besonders unsereiner, o Freund, da wird der gute Mond noch oft über den Horizont herauf weiligen Zuges zu steigen haben! Ich fühle, daß das, was ich von dir nun vernommen habe, vollkommene Wahrheiten sind; aber sie liegen noch so vereinzelt und bandlos in meinem Kopfe herum wie die ersten Bausteine zu einem werden sollenden neuen, großen Palaste. Jeder Stein für sich ist fest und gut, also eine kernfeste Wahrheit; aber wie diese ersten Grundbausteine später von dem Baumeister zum Grunde des Palastes verbunden werden, das, Freund, ist bei mir noch in einem sehr weiten Felde, und ich meine, daß dies für dich selbst kein leichtes Stück Arbeit abgeben wird!“

Kapitel 095. Über die Erziehungsmethode im alten Ägypten.

1. Sagt Mathael recht aufgeräumten Gemütes, da ihn des Alten recht triftige Bemerkung sehr angesprochen hatte: „Liebster Freund Ouran! Du hast nun als Mensch aus deiner Außennaturseite wahrlich so weise und so wahr als möglich gesprochen, und es verhält sich mit dem Begreifen neuer, vorher nie dagewesener Wahrheiten genau also, wie du dich darüber ausgesprochen hast. Aber dagegen muß ich dir folgende Gegenbemerkungen machen: Sieh, in Ägypten, und zwar in dieses Reiches alten Schulen, war in Hinsicht der Erziehung jener Kinder, die dem Priesterstande angehörten, eine höchst eigentümliche Erziehungsweise, die im Grunde gar nicht schlecht war.

2. Die neugeborenen Kinder wurden sogleich in unterirdische, sehr geräumige Gemächer gebracht, in die nie das Tageslicht dringen konnte. Sie wurden da gut gepflegt und erblickten kein anderes Licht als das künstliche irgendeiner wohlkonstruierten Naphthalampe, worin die alten Ägypter bekannt unnachahmlich große Meister waren. In solchen unterirdischen Gemächern mußte dann der Mensch bis in sein zwanzigstes Jahr verweilen und bekam darin den Unterricht von der schönen Ober- oder eigentlichen Außenwelt, die er aber noch nie zu Gesichte bekommen hatte.

3. Er machte sich in seiner Phantasie Bilder davon, so gut es nur immer gehen konnte; aber von der weiten Ausdehnung der Gegenden, vom Großlichte, in einem unermeßlich tiefen und freien Raume sich befindend, nämlich von der Sonne, vom Mond und von den zahllos vielen Sternen, sowie von der Stärke des Lichtes und dessen Wärme konnte er sich doch unmöglich irgendeinen wahren Begriff machen.

4. So ein ganz gemütlicher Jünger der unterirdischen dunklen Schulgemächer hatte sonach auch nur lauter Bruchstücke von Wahrheiten über die Oberwelt und deren Verhältnisse in seinem Gehirne, aber er konnte sie bei all seinem Fleiße und bei all seiner Aufmerksamkeit dennoch nicht, wie man zu sagen pflegt, unter ein Dach bringen.

5. Das waren denn alsonach auch lauter einzelne kernfeste und wahrheitsvolle Bausteine, deren Zusammenfügung zu einem großen Palastgebäude noch sehr bedeutend auf sich warten ließ und natürlich in den unterirdischen Gemächern rein unmöglich war.

6. Wenn aber dann ein solcher Unterweltsjünger nach der Beurteilung seiner Lehrer den erforderlichen Grad der Bildung erreicht hatte, da ward ihm bedeutet, daß er nun durch die Gnade Gottes bald und unversehens auf die lichtvolle Oberwelt gelangen werde, in deren Lichte er in einem Augenblick mehr erfahren und lernen werde als in der dunklen Unterwelt in gar vielen Stunden.

7. Darauf freute sich der Unterweltsjünger natürlich gar sehr, obschon er eigentlich vorher noch auf eine ganz eigentümliche Art werde sterben müssen. Das Sterben bestand in einem recht tiefen Schlafe, währenddem man den Jünger dann in einen herrlichen Palast der Oberwelt brachte.

8. Welche Augen voll Staunens machte dann solch ein Jünger, wenn er zum ersten Male aus seinem Schlafe erwachte und sich im göttlichen Lichte der Sonne befand! Wie kam er sich selbst vor in weißen Kleidern, die mit roten und blauen Streifen verbrämt waren! Wie mußten ihm die freundlichen, ebenfalls schön gekleideten Menschen beiderlei Geschlechtes vorkommen! Wie schmeckten ihm die gut bereiteten neuen Speisen! Was aber mußte seine Seele erst empfinden, wenn er von den freundlichsten Menschen hinaus ins Freie kam, da die herrlichen Gärten durchwandelte und deren ambrosische Düfte einatmete, wenn er zum ersten Male die ganze Natur vor seinen über alle menschlichen Begriffe wonnetrunkenen Augen in konkreter Fülle, von der Sonne erleuchtet, vor sich sah!

9. Sieh, aus diesem Bilde, das du dir in deiner Phantasie noch selber weiter ausmalen kannst, ersiehst du dein eigenes gegenwärtiges Begriffsverhältnis in bezug auf alle die neuen Wahrheiten, die dir hier offenbart wurden!

10. Was du jetzt noch in den dunklen Gemächern, in denen sich nun noch deine Seele befindet, vernimmst, sind freilich nur Bruchstücke und können kein Ganzes und in sich schon Vollendetes, sein; aber wenn dein Geist durch die wahre Liebe zu Gott dem Herrn, und aus dieser Liebe auch durch die Liebe zum Nächsten, in deiner Seele erweckt sein wird, dann wirst du in deines Geistes hellstem Lebenslichte alles das im vollsten Zusammenhange schauen und dort ein unermeßliches Lichtmeer voll der höchsten Wahrheit erschauen, wo du jetzt kaum einzelne Tröpfchen zu erschauen imstande bist.

11. Unsere erste und vorzüglichste Arbeit wird daher diese sein, den Geist in der Seele frei zu machen und die Seele in sein Licht zu bringen; haben wir das erreicht, Freund, dann werden wir nicht mehr Tröpfchen zu sammeln vonnöten haben, sondern da werden wir es gleich mit den unermeßlichen Meeren voll des höchsten Weisheitslichtes aus Gott zu tun bekommen.

12. Dann, Freund, wirst du mich sicher nicht mehr um die Verhältnisse des Mondes, unserer Erde, der Sonne und all der Sterne fragen; denn das alles wird dir von selbst auf einen Blick klarer werden als die Sonne am hellsten Mittage.

13. Aber es wird dann für uns eine andere Schule beginnen, von der du jetzt freilich noch keine Ahnung haben kannst. – Sage, Freund, ob du dieses Bild nun so ein wenig begriffen hast! Wie hat es dir gefallen?“

Kapitel 096. Helenas Erwägungen über die Weisheit der Menschen.

1. Sagt Ouran: „Weißt du, liebster Freund, gefallen hat mir das alles sehr und überaus gut, und es muß mit uns Menschen also sein und geschehen; und wäre es nicht also, und müßte es anders geschehen, so wärest du nicht zu deiner Weisheit gekommen!

2. Du bist sicher auch zuvor sehr in der finstern Unterwelt deines Fleisches erzogen worden, bist dann auch in deiner Seele für dein Fleisch abgestorben und bist nun in den Lichtpalast deines Geistes und in dessen wahrhaft elysäische Gärten lustwandeln gegangen. Bei dir sind die früher einzelnen Tröpflein zu einem Meere geworden; aber bei mir ist das sicher noch lange nicht zu gewärtigen. Und ich verstehe daher den Sinn jeder deiner einzelnen Reden, aber der große Zusammenhang wird mir auch erst dann werden, wenn meine Seele die finsteren Katakomben des Fleisches verlassen wird und wird eingeführt werden in den Lichtpalast ihres Geistes und in dessen Gärten, dessen ambrosisch duftende Früchte im Lichte und in der Wärme der ewigen Lebenssonne reifen.

3. Sieh, eine gewisse süße Ahnung fange ich wohl an in mir zu fühlen, wie es sein kann und sicher auch werden wird; aber für das liebe Wann gibt es da keine bestimmte Frist, und man hat auch nicht einmal ein Wahrzeichen in sich, durch das man erführe nur etliche Tage vorher, wann die arme Seele aus den finsteren Katakomben geführt wird!

4. Aber was kann da ein Mensch machen? Nichts, als sich in aller Geduld dem Willen jenes allmächtigen Führers ergeben, der auch deine Seele, ohne es deinem Fleische vorher angezeigt zu haben, aufgeweckt hat im Lichtpalaste deines mächtigen Geistes.

5. Aber jetzt möchte ich auch von meiner Helena vernehmen, wie etwa ihr dein Bild gefallen, und was sie alles darüber in sich für Reflexionen (Erwägungen) gemacht hat!“

6. Sagt gleich die Helena: „Oh, die besten von der Welt! Das Bild war herrlich und sehr treffend, und wenn die alten Ägypter solche Erziehungsanstalten hatten, da waren sie sicher keine dummen Leute, wie ihnen in dieser Hinsicht ihre großartigsten Werke ein sehr sprechendes Zeugnis geben. Aber nur wäre es sehr zu wünschen gewesen, daß sie dergleichen weise Schulen weiter fürs ganze Volk ausgedehnt hätten; denn ich kann es mir nicht einbilden, daß es im Plane des großen, weisesten Schöpfers liegen kann, daß ein Teil der Menschheit, und zwar der größte, zeitlebens dumm und total blind bleiben solle. Aber es ist in der Welt einmal also, auf einen Weisen kommen stets mehr als zehntausend Dumme und Blinde; es ist allenthalben also. Warum es aber also sein muß, das ist natürlich eine andere und sicher sehr schwer zu beantwortende Frage.

7. Wir sind unser nun in allem sicher bei vierhundert Menschen auf diesem breitköpfigen Hügel versammelt, aber es werden darunter kaum fünfzig recht Weise sein; alle andern dürften mehr oder weniger kaum Jünger der Weisheit sein! Die römischen Soldaten und des Oberstatthalters zahlreiche Dienerschaft werden nicht einmal zu der selbst allerletzten Jüngerschaft zu zählen sein!

8. Von hier aus sieht man recht gut bis zur nahen Stadt hin, und das Auge entdeckt Massen von Menschen, die nach der stets auf einem und demselben Flecke weilenden und prachtvollst leuchtenden Scheinsonne hinstarren und sicher nicht wissen, was sie aus solch einer Erscheinung machen sollen. Unter diesen Massen von Menschen ist sicher nicht ein Weiser, obschon sich vielleicht so mancher unter ihnen einbildet, es zu sein, was eigentlich schlechter ist, als so er sich in der rechten Demut seines Herzens einbildete, daß er unter allen seinen Gefährten der Allerdümmste sei. Wie muß solchen Menschen solch eine ungewöhnliche Erscheinung vorkommen!? Wie werden die sich nun kreuz und quer durchfragen und sagen: ,Was ist das?! Was bedeutet das?! Was wird das für Folgen haben?!‘

9. Wer aber wird ihnen auf alle diese Fragen antworten? Dumm und blind kamen sie heraus aus ihren Häusern, und noch dümmer und blinder werden sie in dieselben zurückkehren! Muß das also sein, müssen jene Massen denn im Ernste dumm und blind verbleiben?!

10. Die hier anwesenden Menschen, wenn auch gerade keine Jünger, haben wenigstens eine Wissenschaft (das Wissen), daß dies nicht die wirkliche, sondern nur eine durch die ihnen schon bekannte Macht des großen Meisters hervorgerufene Scheinsonne ist, und machen zu solch einer Erscheinung, wie Figura (der Augenschein) zeigt, ganz fröhliche und heitere Gesichter. Sie verstehen die Erscheinung zwar auch sowenig wie ich; aber sie wissen, daß sie eine Folge der wunderbaren Willensmacht des ihnen bekannten großen Meisters ist. Und wenn Er diese große Leuchte etwa nach einer Stunde auslöschen wird, so wird sich da niemand etwas daraus machen; denn es wird ein jeder wissen, wer diese Leuchte ausgelöscht hat.

11. Aber wenn die andern Menschen, die von hier nichts wissen, diese Sonne etwa nach einer Stunde werden plötzlich erlöschen sehen auf dem Flecke, wo sie nun steht, da wird sie großer Schrecken, Furcht und eine verzweifelnde Angst ergreifen, und alle werden ganz bestimmt des Glaubens werden, daß sich die Götter im höchsten Grade erzürnt haben und die Erde auf das Furchtbarste heimsuchen werden!

12. Es wäre demnach sogar nötig zur Beruhigung der Menschen, daß von hier Boten ausgesendet würden, die den aufgeregten Gemütern in aller Kürze verkündigten, was da geschehen werde, und daß dies nur eine Scheinsonne ist. – Was meinst denn du, guter, lieber Freund?“

Kapitel 097. Über die rechte Zeit und Wirkung der Volksbelehrung.

1. Sagt Mathael: „O Liebeste! Das wäre nun sehr zur Unzeit; später darauf ja, aber jetzt als im Moment der höchsten Aufregung wäre solch ein Unternehmen gerade das in der seelischen Lebenssphäre, als so man in ein siedend heißes Öl kaltes Wasser gösse. Da ginge dir alles in lichterlohe Flammen über!

2. Aber in etlichen Tagen nach dieser Erscheinung werden die Menschen in dieser ganzen, weiten Umgegend für etwas Höheres aufzunehmen ganz gut zu brauchen sein; natürlich auch nicht alle, aber der größere Teil sicher.

3. Am meisten wird die Erscheinung die jüdischen Priester hart mitnehmen. Fürs erste hat sie die heute stattgehabte totale, natürliche Sonnenfinsternis sehr mitgenommen; denn diese Menschen nehmen alles materiell und haben von einem inwendigen, geistigen Sinne um so weniger irgendeine Ahnung, da sie nicht einmal mehr die entsprechende Bildersprache verstehen, in der ein Moses und noch eine Menge anderer Seher und Weiser geschrieben haben zu ihren Zeiten.

4. Es steht nämlich in einem Propheten, der Daniel hieß, eine Rede von einem gewissen Greuel der Verwüstung, und es wird da von der Verfinsterung der Sonne und von noch einer Menge anderer Schrecknisse gesprochen, was alles nur einen tiefgeistigen Sinn hat.

5. Da aber, wie schon früher bemerkt, eben die jüdischen Priester in dieser Zeit ganz materiell geworden sind und deshalb die Schrift auch nur ganz materiell auffassen, so setzt sie jede Sonnenfinsternis in einen mehr als panischen Schrecken wegen des vermeinten Unterganges der Materiewelt. Während der alte Weise dadurch nur den sehr erwünschten Untergang der sittlichen Materiewelt im Menschenherzen anzeigt, meinen sie den Untergang der stofflichen Materiewelt und haben darum stets eine ganz entsetzliche Furcht, wenn da eine Sonnenfinsternis zum Vorschein kommt!

6. Wenn denn nun nach einer kleinen Stunde diese Sonne so hübsch geschwinde erlöschen wird, so wird sie eine große Angst befallen; denn den Mond werden sie heute auch nicht zu sehen bekommen, da er schon untergegangen ist. Die große Angst aber wird in ihren Augen eine Erscheinung in der Art bewirken, wie solches bei den Vollsäufern der Fall ist, da sie die Sterne zufolge ihres Gehirnschwindels durcheinanderfahren sehen. Diese Erscheinung wird sie auf den Gedanken bringen, daß eben die Sterne vom Himmel, nach der Weissagung, auf die Erde fallen werden, und der Tag des Schreckens wird für die vielen blinden Dummköpfe wie geschaffen dasein. Du wirst es bis hierher vernehmen, wie beim plötzlichen Erlöschen dieser unserer Scheinsonne die Massen vor jener Stadt gar gräßlich werden zu heulen beginnen, aber es schadet ihnen solches nicht im geringsten, denn sie werden dadurch weicher und sanfter und für die reine Wahrheit empfänglicher gemacht.

7. Der morgige reine Tag wird sie schon wieder zu einer ruhigeren Besinnung bringen, und es wird sich da vieles mit ihnen machen lassen! Denn morgen werden sie scharenweise heraus ans Meer kommen und sehen, ob etwa das Meerwasser nicht zu Blut geworden ist, und bei dieser Gelegenheit wird sich mit vielen gar manches gescheite Wort reden lassen.

8. Und unser heiliger Herr und Meister hat namentlich diese Erscheinung hauptsächlich dieser eben nicht im besten Lichte stehenden Stadt wegen werden lassen! Was Er tut, hat allzeit einen endlos vielseitigen, guten Zweck, nur was die Menschen ohne Ihn tun, taugt für nichts und ist zu nichts nütze.“

Kapitel 098. Ourans Gedanken beim Bewußtsein der Gegenwart Jesu.

1. Nach diesen Worten Mathaels sagt Ouran: „Ich muß es dir, du mein nun stets achtbarerer Freund, aber auch offen gestehen, daß mich bei dem Gedanken an das plötzliche Erlöschen dieser Sonne selbst eine Art Furcht anwandelt; denn ich ersehe dabei die gänzliche Ohnmacht eines Menschen gegen die unbegrenzte Allmacht Dessen, der zwar in unserer Mitte weilt, aber im Grunde des Grundes dennoch zu heilig und endlos erhaben ist, als daß sich unsereiner, der Seine Wesenheit einmal kennt, Ihm nahen könnte! Oder daß ich mit Ihm also wie mit dir oder wie mit einem andern Menschen in einem so recht vertrauten Tone zu reden mich getraute!

2. Es ist ein ganz sonderbarer Gedanke und geht einem durch Mark und Bein: Er ist alles in allem, und wir alle sind vollkommen nichts gegen Ihn!

3. Freilich tröstet unsereinen das wieder, daß Er in Sich Selbst die höchste und reinste Liebe ist und darum mit uns armseligen, sterblichen Menschen die größte Geduld, Nachsicht und Erbarmung hat.

4. Aber Gott ist Er einmal und für ewig unveränderlich und vollkommen unsterblich, und die ganze Unendlichkeit in ihrem Sein hängt wie ein Tautropfen an einer losen Grasspitze an Seinem Willen; ein leisester entgegengesetzter Hauch Seines Mundes könnte die ganze Unendlichkeit also vernichten, wie da ein nur ganz leiser Hauch den sehr lockern Tautropfen von der Spitze des Grashalmes herabweht.

5. Weißt du, wenn man solche Dinge mit nüchternem Gemüte so ganz ruhig bei sich überlegt, so kann man sich dieses Gedankens unmöglich entschlagen: Es ist und bleibt ein gewisses Etwas in der sichtbaren Nähe des Allmächtigen, das man einerseits wohl die höchste Seligkeit nennen könnte; andererseits aber möchte man doch lieber so hübsch weit von Ihm abstehen. Ihn aus einer gewissen Ferne anbeten, wäre ein großer Genuß für Seele und Geist und würde den ganzen Menschen gewiß sehr erbauen, aber hier in der Nähe kann man das doch nur so mehr geheim in seinem Herzen tun.

6. Also möchte ich nun auch reden mit Ihm. Es giert mich ganz gewaltig danach, aber man kann ob Seiner zu unendlichen Geistesgröße den Mut dazu nicht fassen, obschon Er dem Außen nach einem ganz anspruchslosen und vollauf gemütlichen Menschen gleichsieht! Der gewisse, rein göttlich allmächtige Typus aber bleibt Ihm dennoch, und man sieht es Ihm an Seinen Augen auf ein Haar an und auf Seiner Stirn, daß sich Himmel und Erde unter Seinem Willen beugen müssen, aus Seinen Augen gehen förmliche Lichtstrahlen, und Seine Stirne gebietet in einem dem, das nie war, zu sein.

7. Ja, Freund, das ist ein zermalmender Anblick, den Schöpfer der Welten und Himmel in der Person eines schlichten und völlig anspruchslosen Menschen vor sich zu sehen! Wahrlich, da ist von irgendeinem Scherze gar keine Rede mehr! Aber, es ist nun einmal also, und dem Herrn allein alles Lob, daß es nun also ist, denn ohne Ihn würden wir bei den heutigen Tagesumständen ganz verzweifelt schlecht daran sein!“

8. Sagt Mathael: „Das sicher, ich und du ganz besonders; denn mich hätten die Bösen erwürgt, und dich hätte die Sonnenfinsternis verzehrt! Aber nun geben wir acht; denn von nun an wird es mit der Scheinsonne nicht gar zu lange mehr dauern, und es wird beim plötzlichen Erlöschen dieser ganz seltenen Sonne Spektakel absetzen!“

9. Darauf wird nun alles still und sieht nach der Scheinsonne.

Kapitel 099. Das Erlöschen der Scheinsonne und dessen Wirkung.

1. Einige Augenblicke vor dem Erlöschen sage Ich laut zu allen: „Machet euch gefaßt aufs Erlöschen, und du aber, Markus, zünde nun zuvor alle Öllampen und Pechfackeln an, sonst würde die auf dies starke Licht plötzlich erfolgende starke Finsternis eure Augen schädlich und schmerzhaft berühren!“

2. Markus und seine Diener zünden nun eiligst die Lichter aller Gattung an, und Cyrenius und Julius befehlen den Soldaten, Reisig anzuzünden, und als alles im gehörigen Brande steht, sage Ich laut: „Erlösche, du Scheinlicht der Luft, und euch dabei tätigen Geistern werde Ruhe!“

3. Nach solch Meinem Rufe erlosch die Scheinsonne plötzlich, eine überstarke Finsternis bedeckte im Augenblick die ganze Gegend, und man vernahm deutlich das große Angstgeheul aus der ziemlich nahe gelegenen Stadt.

4. Die Menschen sahen wohl die vielen Lichter auf dem Berge, darauf wir uns ganz gemütlich befanden, aber keiner aus den Tausenden faßte den Mut, auch nur einen Fuß weiterzusetzen; denn die Juden sahen in ihrer großen Angst schon im Ernste die Sterne vom Himmel fallen und mehrere auf unserem Berge liegen; die Heiden aber meinten, Pluto habe durch seine Furien dem Apollo, der sich vielleicht in irgendeine weibliche Schönheit verschaut hatte, die Sonne geraubt, und es werde nun einen abermaligen Götterkrieg auf der Erde absetzen.

5. Ein Götterkrieg aber war nach der Mythe (Sage) der Heiden eben auch keine wünschenswerte Erscheinung auf der Erde, weil der einst schon stattgehabte gar so fürchterlich ausgesehen habe, in dem die riesenhaften Unterweltsgötter gegen den Olymp nur gleich ganze brennende Berge mit großer Kraft geschleudert haben, wogegen es Zeus natürlich an einer gehörigen Gegendotation (Gegengabe) von zahllosen Blitzen und bergegroßen Hagelschloßen nicht habe fehlen lassen und die bösen Mächte der Unterwelt dadurch besiegt habe.

6. Da von der Stadt aus die Scheinsonne gerade dem Scheine nach über dem Berge, auf dem wir uns befanden, stehend zu sehen war, nach dem Erlöschen aber der Berg vor lauter Lichtern und Wachtfeuern zu glühen schien, so meinten die Heiden, daß die Sonne von den Furien gerade in diesen Berg versteckt worden sei und die Fürsten der Unterwelt nun da Wachen aufgestellt haben mit brennenden Orkusfackeln, und wehe dem, der sich nahen würde diesem Berge, der nach allen Seiten wirklich mehrere unterschiedlich tiefgehende Höhlen und Grotten hatte, an deren einer eben des Markus Behausung angebaut war, und die, wie bekannt, dem Markus als ein sehr geräumiger Keller und als sonstige Aufbewahrungskammer diente.

7. So gingen die Juden aus Furcht, von den auf den Berg niederfallenden Sternen erschlagen oder verbrannt zu werden, und die Heiden aus Furcht vor den Furien nicht zu dem Berge und zogen sich, als ihre Augen sich an die Finsternis mehr gewöhnt hatten, nach und nach in ihre Wohnungen zurück. Einige schliefen bald ein, andere aber blieben die ganze Nacht wach unter Furcht und Angst vor der Erwartung der schrecklichen Dinge, die nun nach der Prophezeiung Daniels über den Erdkreis kommen sollten; und die Heiden warteten auf die ersten Blitze und Donnerkeile des Zeus und auf den furchtbaren Weltenlärm, den Apollo gegen den Räuber Pluto beginnen werde.

8. Kurz, es war in der ganzen, bedeutenden Stadt eine Verwirrung, die dem einstigen großen Babylon (bei der Sprachenverwirrung) keine Schande gemacht hätte. Aber bei uns auf dem Berge ging es dafür ganz gemütlich her; denn wir ließen uns das gut bereitete Abendmahl auf den Berg bringen. Raphael besorgte in einem Momente, daß alle die Speisetische auf den Berg zu stehen kamen und danebst auch die Speisen, ohne irgendeine große Mühe des Markus und seiner Familie, die zuvor mit der Bereitung der Speisen genügend zu tun hatten. Auch die römischen Soldaten bekamen genügend zu essen und wurden darob bald recht vergnügt.

Kapitel 100. Des Menschen hohe Abkunft und Berufung.

1. Als wir das Abendmahl eingenommen hatten, kam Ouran, der auch auf der Höhe genachtmahlt hatte, zu Mir hin und sagte: „Herr, für dessen Größe und Erhabenheit die sterbliche Zunge keinen Namen kennt, der Deiner würdig wäre, wie soll ich, ein elender Wurm des Staubes, Dir danken für die ewig unschätzbaren Güter, die mir Deine göttliche Gnade hier beschert hat, und wie soll ich Dich, Du ewig Erhabenster, loben, preisen und ehren!?

2. O Herr, was sind wir Sterblichen denn, daß Du unser also achtest?! Was können wir denn tun, um Dir wohlgefällig zu werden?“

3. Sage Ich: „Geh, Freund, und mache nun kein so gewaltiges Aufsehen! Denn sieh, du bist, was du bist, ein Mensch mit einem zwar wohl sterblichen Leib, in dem aber dennoch eine unsterbliche Seele mit einem noch unsterblicheren Geist aus Gott wohnt; und Ich bin auch ein Mensch, in dem ebenfalls eine göttlich unsterbliche Seele und der Geist Gottes wohnt in Seiner Fülle, so weit, als es für diese Erde notwendig ist, und das ist der Vater im Himmel, dessen Sohn Ich bin und dessen Kinder auch ihr seid.

4. Aber ihr alle waret blind und seid es noch in vieler Beziehung; aber Ich kam sehend in die Welt, um euch allen den Vater zu zeigen und euch Mir gleich sehend zu machen.

5. Ich habe die Fülle des Lebens vom Vater überkommen und kann jedermann, der das Leben will, auch das Leben geben; denn es hat der Vater Mich also schon vor der Welt verordnet, daß in Mir alle Fülle des Lebens wohne und durch Mich alle Menschen leben sollen. Und dieser Verordnete bin Ich Meiner Seele nach; dem Geiste nach aber bin Ich eins mit Dem, der Mich verordnet hat.

6. Sieh, Ich bin sonach der Weg, die Wahrheit und das Leben! Die an Mich glauben, werden den Tod nicht sehen, noch fühlen und schmecken, und könnten sie auch mehr als einmal dem Leibe nach sterben; die aber an Mich nicht glauben werden, die werden sterben, und hätten sie auch ein tausendfaches Leben!

7. Denn ein jeder Mensch hat einen Leib, und der muß einmal sterben – das wird auch diesem Meinem Leibe nicht ausbleiben; aber die Seele wird mit der Ablegung des Leibes nur freier, heller und lebendiger, und vollends eines mit Dem, der sie vor aller Welt verordnet hatte zum Heile aller, die an den Sohn des Menschen glauben werden und halten Seine Gebote.

8. Daher denke du ordentlich, und halte die leichten Gebote, die dir werden kundgegeben werden, dann brauchst du Weiteres nicht mehr; denn Ich bin nicht ausgegangen, um von den Menschen Ruhm und Ehre zu nehmen! Es ist genug, daß Mich der Eine lobet, der über alle ist im Himmel und auf Erden; so Mich aber jemand schon ehren, loben und preisen will, der liebe Mich in der Tat durch Werke und halte Meine Gebote, und sein Lohn im Himmel wird dereinst groß sein.

9. Sei du daher nun nur ganz heiter, überschätze Mich (nicht), und unterschätze dich selbst nicht zu sehr, dann wirst du ganz auf dem rechten Wege wandeln und wirst dich und Mich erst nach und nach vollkommener kennenlernen.

10. Für jetzt halte dich aber nur hauptsächlich an den Mathael, der wird dich samt deiner Tochter am ehesten recht weit auf dem rechten Wege vorwärtsbringen! Hast du und deine Helena aber ein besonderes Anliegen, da kommet nur zu Mir, und Ich werde euch allzeit anhören; aber die großen Exklamationen (Huldigungen) müßt ihr beiseite lassen.

11. Denn siehe, wir müssen hier nur als Menschen, Freunde und Brüder miteinander reden und handeln, denn es hat ja ein jeder Mensch einen göttlichen Geist in sich, ohne den er kein Leben hätte, und solcher Geist ist nicht minder göttlich denn der urgöttliche selbst.

12. Darum sei du nur ein rechter Jünger des Mathael, und du wirst Mir dann in deinem Lande einen ganz tüchtigen Apostel abgeben können! – Verstandest du Mich?“

13. Sagt Ouran: „Ja, Herr, ich verstand Dich, erkannte aber auch erst jetzt so ganz, was man mir und meiner Tochter über den wahren Gott gesagt hat. Ehedem hätte ich es mir nie zu denken getraut!“ Darauf schwieg der Grieche; denn sein Gefühl übermannte ihn, und er weinte vor Liebe zu Mir.

14. Ich aber ergriff sanft seine Hand und fragte ihn, sagend: „Worin bestand denn hernach das, was Mathael über Gott gesagt hat?“

15. Ouran schluchzte noch, sagte aber dennoch, indem er Mir liebend ehrfurchtsvoll in die Augen sah: „Oh, daß Gott in Sich die reinste Liebe ist! O Du Heiligster, laß mich sterben in dieser meiner Liebe zu Dir!“

16. „Nein“, sagte Ich, „das sollst du noch lange nicht; denn du sollst Mir noch ein tüchtiges Rüstzeug werden auf dieser Erde! Und wird einst die Zeit des Fleisches auch für dich zu Ende sein, dann wirst du nicht sterben, sondern noch in deinem Fleische von Mir erweckt werden. Darum sei du nur getröstet; denn du hast schon den rechten Weg gefunden!

17. Wer da suchet, wie du schon lange gesucht hast, der findet; wer da bittet wie du, dem wird es gegeben, und wer da an die rechte Tür klopfet, wie du nun soeben angeklopft hast, dem wird sie aufgetan. Gehe aber nun hin zu deinem Mathael, und sage ihm alles, was Ich dir nun gesagt habe!“

18. Ouran weinte nun noch mehr vor lauter Liebe und höchster lebendigster Dankbarkeit zu Mir, eilte zurück zum Mathael und erzählte ihm, noch lange schluchzend, wie Ich ihn aufgenommen, wie gut Ich gegen ihn war, und was Ich ihm alles gesagt habe.

19. Mathael und Helena aber wurden von der sehr weihevollen Erzählung des alten Ouran selbst so gerührt, daß sich keines der Tränen erwehren konnte; und Mathael sagte nach der Erzählung Ourans: „Das ist eben das allein Unbegreifliche des Unbegreiflichen, daß Er, als das höchste Gottwesen Seinem Geiste nach, mit uns Menschen redet und handelt, als wäre Er nicht der Herr der Unendlichkeit, sondern ein Mensch uns gleich, wie ein bester Freund zum besten vertrautesten Freunde, ja, wie ein wahrer Bruder zum Bruder; kurz, Er läßt förmlich mit Sich spielen, und doch ist jeder Blick, jede Bewegung Seiner Hände, jeder Tritt Seiner Füße und jedes noch so unbedeutend klingende Wort aus Seinem Munde eine übertiefe Weisheitslehre. Seine Taten geben Zeugnis von Seiner unbestreitbaren Göttlichkeit, und alles was Er tut, ist schon wie von Ewigkeit für die Erreichung der besten Zwecke vorgesehen. Oh, du wirst in Kürze noch vieles sehen, hören und erfahren!“

Kapitel 101. Helenas Meinung über die Apostel.

1. Sagt die Helena, auch noch schluchzend vor Liebe zu Mir: „Aber saget mir doch, wer denn jene zwölf sehr ehrwürdigen Männer sind, die nahe gar nichts reden, aber dennoch gleichfort um Ihn sind! Das müssen ja sehr weise Männer sein! Einer sieht Ihm ganz ähnlich, einer aber ist noch ein Junger, hört Ihm aber auch stets am eifrigsten zu und zeichnet manches auf eine Tafel. Wer sind sie denn?“

2. Sagt Mathael: „Das sind meines Wissens Seine ältesten Jünger und sind bis auf einen alle sehr weise und mächtige Herren über ihr Fleisch und über die Natur! Aber der eine scheint mir ein verschmitzter Lump zu sein! Wahrlich, den möchte ich mir nie zu meinem Freunde wählen; das scheint eine verfrühte Geburt eines armen Teufels ins Menschenfleisch zu sein! Der Herr wird wissen, warum Er ihn duldet! Teufel sind ja auch Geschöpfe Seiner Macht und hängen am Hauche Seines Willens. Darum haben wir nicht zu fragen, warum Seine Liebe solche Wunder auch vor den Augen eines Teufels ausübt! Aber ein sonderbares Wesen ist er! Ich möchte ihm denn doch so einmal auf den Zahn fühlen, um zu sehen, wessen Geistes Kind er sei! – Aber lassen wir das! Es ist genug, daß ihn der Eine kennt! Aber mit den andern möchte ich wohl selbst recht gerne einige Worte bei guter Gelegenheit wechseln; die müssen schon sehr tief Eingeweihte sein!“

3. Sagt Helena: „Ja, natürlich, das müssen sehr weise Männer sein und schon gleich vom Anfange viel Geschick zur Weisheit an den Tag gelegt haben, sonst hätte Er sie sicher nicht zu Seinen Jüngern angenommen! Auch ich wäre nicht abgeneigt, mit ihnen über so manches ein paar Worte zu wechseln; aber es wird nicht so leicht sein, ihnen auf irgendeine gute Art beizukommen! – Was meinst du, lieber Freund Mathael?“

4. Mathael zuckt die Achseln und sagt: „Gott der Herr hat mich zwar völlig erweckt, und mein Geist ist eins mit mir; ich kenne darum mich selbst und Gott insoweit, als es mir gegeben ist, solches aus dem Grunde aller Lebenstiefe zu erkennen der vollen Wahrheit nach; aber in der innersten Lebenstiefe der Menschenherzen zu lesen wie in einem offenen Buche und daraus ihre innersten Lebensgesetze zu erkennen, das kann nur der Eine allein, und der, dem Er es offenbaren will.

5. Ah, bei einem puren Weltmenschen, dessen innerste Lebenstiefe noch ganz wie leblos und völlig tot verschlossen ist und dessen ganzes Denken und Wollen aus seinem Gehirne und aus seinen Außensinnen stammt, kann man wohl bis auf ein Haar bestimmen, wie und was er denkt, fühlt und will. Aber nicht also ist es mit Menschen, die nunmehr als vollgeweckten Geistes vom innersten Lebensgrunde aus denken, fühlen und wollen; denn solche Menschen tragen dann schon Unendliches in sich, und das kann nur von Gott in der Wahrheitstiefe erkannt werden.

6. Darum kann man denn mit solchen Männern auch nicht also wie mit einem ganz gewöhnlichen Alltagsmenschen ein Gespräch anfangen. Wenn es uns not tun würde, da würde der Herr es sicher anordnen und zulassen; tut es uns aber nicht not, nun, so können wir es ja auch für geraten halten, solch ein Vergnügen zu entbehren. – Aber wie gefallen dir, holdeste Helena, die nun gar so herrlich glitzernden Sterne am hohen Firmamente?“

7. Sagt Helena: „Die Sterne haben mich schon von meiner frühesten Kindheit an im höchsten Grade interessiert, und ich merkte mir bald eine Menge der sogenannten Sternbilder. Die des Zodiakus (Tierkreises) wurden mir als die wichtigsten zuerst gezeigt. Ich lernte sie im Verlaufe von einem Jahre vollkommen kennen, und nachher ging es auch mit den andern wunderschönen Sternbildern und selbst mit den einzelnen großen Sternen. Ich kenne dir die Sterne alle beim Namen, weiß, wie sie stehen, und wann sie in jedem Monate auf- und untergehen; aber was nützt dir alles das!? Je mehr ich mich mit diesen herrlichen Himmelslichterchen abgab, desto mehr wurden sie für mein Gemüt jene harten Fragezeichen, auf die bis jetzt noch kein Sterblicher eine befriedigende Antwort gefunden hat. Da ich aus den lieben Sternen aber nichts herausbringen konnte, so beschäftigten mich um desto mehr ihre Namen, die natürlich schon uralt sein müssen.

8. Wer entdeckte zuerst den Zodiakus und gab den zwölf Bildern die Namen? Warum bekamen sie gerade diese Namen, die wir kennen, und warum keine andern nicht so sonderbarer Art und Gattung? Was hat der Löwe mit einer Jungfrau zu tun, was ein Krebs mit den Zwillingen, was ein Skorpion mit einer Waage, was ein Steinbock mit dem Schützen? Wie kommen ein Stier und ein Widder ans Firmament, wie ein Wassermann mit den Fischen?

9. Es ist überhaupt merkwürdig, daß sich im Tierkreise auch vier Menschenbilder und das Bild einer Sache befinden. – Kannst du mir davon irgendeinen Grund angeben, so wirst du mich dir sehr verbindlich machen!“

10. Sagt Mathael: „O holdeste Helena, nichts leichter als das! Habe du nur eine kleine Geduld während meiner Erklärung, und es wird dir die Sache hernach ganz klar sein!“

Kapitel 102. Mathael erklärt die Namen der drei ersten Sternbilder.

1. (Mathael:) „Die Erfinder des Zodiakus waren offenbar die Urbewohner Ägyptens, die fürs erste ein viel höheres Alter erreichten als wir, fürs zweite einen stets allerreinsten Himmel hatten und die Sterne viel leichter und anhaltender beobachten konnten als wir bei unserem öfters dichtumwölkten Himmel, und fürs dritte schliefen den heißen Tag hindurch fast die meisten Menschen und begaben sich erst abends ins Freie und verrichteten ihre Arbeiten die kühle Nacht hindurch, wo sie dann stets die Sternbilder im Angesichte hatten, sich die unveränderlichen Figuren derselben denn auch bald merkten und ihnen auch Namen gaben, die mit irgendeiner in einer bestimmten Zeit eintretenden Naturerscheinung oder mit einer Verrichtung dieses Landes übereinstimmten.

2. Vielfaches Betrachten des Zodiakus führte die Betrachter bald auf die Wahrnehmung, daß der Zodiakus ein großer Kreis ist, der in zwölf nahe gleiche Teile geteilt, in jedem dieser Teile ein für sich stehendes Sternbild hat.

3. Schon die ältesten Menschen hielten die Sterne von der Erde entfernter als die Sonne und den Mond und ließen darum die Sonne samt dem Monde innerhalb des großen Tierkreises bahnen.

4. Aber der Tierkreis bewegte sich auch also, daß die Sonne, die zwar alle Tage um die Erde kam, durch die große Tierkreisbewegung in dreißig Tagen unter ein anderes Zeichen zu stehen kam. Daß aber auch der Mond in ein paar Tagen stets unter ein anderes Zeichen kam, erklärten sie aus seinem langsameren täglichen Laufe um die Erde, wodurch er nie zur selben Zeit wie die Sonne auf dieselbe Stelle wieder kam, – daher man den Mond denn auch oft ,das saumselige Gestirn‘ nannte.

5. Es gab aber einige Weise, die vom Monde gerade das Gegenteil behaupteten; doch war die Lehre von des Mondes Saumseligkeit vorwiegender.

6. Sieh, so entstand der alte Zodiakus, und nun sollst du auch in aller Kürze noch erfahren, wie die bekannten zwölf Sternbilder zu ihren sonderbaren Namen kamen!

7. In der Jahreszeit der kürzesten Tage, die besonders in Ägypten stets vom Regen begleitet wird (und mit dieser als einer dadurch leicht merkbaren Zeit von dreißig Tagen ließ man stets auch ein neues Jahr beginnen), befand sich nach der Rechnung der Alten die Sonne gerade unter dem Sternbild, das uns als ,Wassermann‘ bekannt ist; darum gab man dem Sternbild fürs erste eine Gestalt der eines Hirten ähnlich in dem Moment, so er mit seinem Wassereimer zum zur Tränke der Haustiere angefertigten Wasserkasten kommt und den vollen Wassereimer in den Tiertränkkasten ausschüttet. Die Alten nannten solch einen Menschen einen Wassermann (Uodan), und so benannten sie fürs zweite das Sternbild also und fürs dritte auch diese Zeit. Später machte die eitle Phantasie der Menschen auch bald einen Gott aus diesem an und für sich recht guten Sinnbild und erwies ihm eine göttliche Verehrung, weil er als der Beleber der verdorrten Natur angesehen ward. – Siehe, holdeste Helena, also bekamen das bewußte erste Sternbild und die erste dreißigtägige Regenzeit ihren Namen. Gehen wir nun zum zweiten Zeichen über, das man die ,Fische‘ nennt!“

8. Als Mathael dies zweite Zeichen zu erklären begann, sagte Simon Juda zu den andern Jüngern: „Des Mathaels Erläuterungen werden sehr belehrend, wir wollen sie näher behorchen!“

9. Sage Ich: „Gehet hin und höret; denn Mathael ist einer der ersten Chronisten in dieser Zeit!“

10. Darauf drängen sich alle Jünger in die Nähe Mathaels hin, was den Mathael anfänglich ein wenig verlegen machte; aber Simon Juda sagte zu ihm: „Lieber Freund, fahre du nur fort! Denn wir kamen dir nur näher, um von dir etwas recht Nützliches zu erlernen!“

11. Sagt Mathael ganz bescheiden: „Für euch, meine lieben allweisesten Freunde dürfte meine Weisheit wohl noch ein wenig zu schwach sein; denn ihr seid schon alte Jünger des Herrn, und ich bin erst kaum sechzehn Stunden lang unter euch!“

12. Sagt Simon Juda: „Das beirre dich nur nicht; denn du hast schon Proben abgelegt, durch die wir in mancher Hinsicht schon sehr in den Hintergrund gestellt sind. Das aber kommt alles also vom Herrn. Was Er oft einem gibt in einem Jahre, das kann Er einem andern geben in einem Tage. Darum fahre du nur fort mit deiner Erklärung des Tierkreises!“

13. Sagt Mathael: „Mit eurer großen Geduld und unter eurer ebenso großen Nachsicht will ich gleichwohl fortfahren; und so vernimm mich denn weiter, du liebholdeste Tochter des Pontus!

14. Nach dreißig Tagen hat der starke Regen in Ägypten gewöhnlich ein Ende, und es befinden sich da im noch stark angeschwollenen Nil sowie in den Seitenlehnen (Wasserläufe) stets eine große Menge von Fischen, die um diese Zeit gefangen werden müssen, wovon ein großer Teil sogleich verzehrt, ein noch größerer Teil aber eingesalzen und in der Luft, die in dieser Zeit in Ägypten stets heftig weht, getrocknet und also fürs ganze Jahr aufbewahrt wird.

15. Diese Manipulation mit den Fischen ist in dem erwähnten Lande von der Natur geboten und muß gehandhabt werden, bevor der Nil zu sehr sinkt und die vielen bedeutenden Seitenlehnen vertrocknen, wobei da eine große Masse von Fischen in die Verwesung übergehen müßten und dadurch die Luft mit dem übelsten Geruche verpesten würden.

16. Was in Ägypten noch jetzt Sitte ist, das war als eine Notwendigkeit schon bei den ältesten weisen Bewohnern dieses gesegneten, großen Landes. Da aber solche Zeit schon im Anfange der Bewohnung dieses Landes zum Fischen verwendet ward und die Sonne gerade zu Anfang dieser Fischzeit unter ein neues Sternbild zu stehen kam, so nannte man dieses Sternbild das Zeichen der ,Fische‘, und man nannte dann auch die Zeit also und benamste sie Ribar, auch Ribuze.

17. Da aber die Menschen in dieser Zeit auch sehr leicht vom Fieber befallen wurden, teils wegen des Genusses der sehr fetten Fische, und teils auch infolge der mit vielen unreinen Dünsten geschwängerten Luft, so war diese Zeit späterhin auch die ,Fieberzeit‘ genannt, und die eitle Phantasie der Menschen machte aus dieser Zeitbeschaffenheit denn auch bald eine Göttin und erwies ihr für die Abwehr dieser Magenkrankheit gleich auch wieder eine Art von göttlicher Verehrung. – Nun hast du denn auch die ganz natur- und wahrheitsgetreue Geschichte von der Benamsung des zweiten Tierkreiszeichens; und so gehen wir nun zum dritten über!

18. Dies Zeichen heißt der ,Widder‘. Auf die Fischzeit wandten die Urbewohner dieses Landes die Sorge auf die Schafe. Die Männlein wurden lebendig, und es war Zeit, die Schafe zu scheren, man nahm ihnen die Wolle. Gut bei dreißig Tagen dauerte im ganzen hauptsächlich diese Arbeit. Natürlich verrichtete man in der Zwischenzeit auch manche andere tägliche Arbeit; aber die vorerwähnte war für die bezeichnete Zeit eine Hauptarbeit, und weil die Sonne da wieder unter ein neues Zeichen zu stehen kam, so nannte man dieses Zeichen den ,Widder‘ (Kostron).

19. In der Folge aber weihte man wegen der meisten Stürme in dieser Zeit, wo alles in einem Kampfe, ein Element gegen das andere und die Hitze gegen die Kälte oder besser Kühle dieses Landes sich befindet, diese Periode dem Kampfe, für dessen Erregung die menschliche Phantasie bald ein Sinnbild ersann, dem man später auch bald eine göttliche Verehrung erwies und es in den noch späteren Kriegszeiten gar zu einem Hauptgott machte. Zerlegen wir aber den Namen ,Mars‘, und wir bekommen das uralte Mar iza, auch Maor' iza. Was besagt aber das? Nichts anderes als: Das Meer erwärmen.

20. In den vorhergehenden zwei Zeichenzeiten wird das Meer abgekühlt, was die Küstenbewohner gar wohl merken mußten; aber durch die größere Kraft der Sonne, durch den Kampf der warmen Südluft mit der kalten Nordluft, dann durch die in dieser Zeit zumeist wach werdenden Vulkane und unterseeischen Feueradern wird das Meer nach und nach wärmer. Und weil dies als eine Folge der zu dieser Zeit vorkommenden Stürme angesehen ward, so bedeutet der Ausdruck maor izat auch so viel als ,kämpfen‘; und diese Zeit war, wie gezeigt, sinnbildlich dann auch als ein geharnischter Krieger dargestellt, den man später gar zu einem Gott machte. – Da hast du nun das dritte Himmelszeichen und kannst daraus klar entnehmen, was da hinter eurem Kriegsgott Mars steckt.“

Kapitel 103. Erklärung des vierten bis sechsten Zeichens des Zodiakus.

1. (Mathael:) „Gehen wir nun aber zum vierten Zeichen über! Wieder sehen wir ein Tier, nämlich einen recht mutigen ,Stier‘. Nach der Besorgung der Schafe lenkten die alten Hirtenvölker ihre Sorge vor allem auf das Rindvieh. In dieser Zeit fingen die Kühe meist an zu mannen, und man schied da das Starke vom Schwachen und trug die Hauptsorge um eine gute Zucht.

2. Der Stier, der dem Ägypter über alles galt, ja sogar sein Schreibmeister war durch seine Natureigenschaft, weil er durch sein Blasen oft verschiedene Figuren in dem lockeren Sande formierte, ward in einer sehr mutigen Stellung, nahe auf den zwei Hinterbeinen stehend, dargestellt; und was war da natürlicher, als daß man das Sternbild, unter das die Sonne um die vorbenannte Zeit trat, und das dazu noch so ziemlich die äußersten Umrißlinien einer Stiergestalt vorwies, ,Stier‘ nannte!?

3. Selbst der römische Taurus stammt von da ab und ist durch Zeitenfolge nur abgekürzt von dem uralten T a our sat, oder Ti a our sat, was soviel besagt als: Des Stieres Zeit (sat) = auf den Hinterbeinen zu stehen.

4. Man nannte später diese Zeit, namentlich bei den Römern, auch Aprilis, was aber nach der altägyptischen Zunge wieder nichts anderes heißt als: A (der Stier) uperi (tue auf) liz oder lizu (das Gesicht), auch: ,Stier, öffne das Tor!‘ – der freien Weide nämlich. Daß mit der Zeit auch der alte Stier der Ägypter zu einem Gott ward, braucht kaum näher mehr noch durch etwas gezeigt zu werden. – So hätten wir nun auch die Entstehung des vierten Tierkreiszeichens naturgetreu und wahr vor uns, und wir wollen nun sehen, wie denn das fünfte Zeichen unter dem Namen und unter der Gestalt der ,Zwillinge‘ als Castor und Pollux entstanden ist!

5. Dieses wird sich sehr leicht verständlich dartun lassen, so wir bedenken, daß das alte Hirtenvolk Ägyptens mit der Besorgung des Rindviehes des Jahres Hauptsorge und Mühe hinter dem Rücken hatte. Nach dieser Zeit traten die Häupter der Gemeinden zusammen und wählten einen oder zwei Sachkundige und möglich verständigste Beurteiler und gleichsam Richter auf diese Zeit hindurch, die sich umzusehen und zu prüfen hatten, ob alle bisherige Mühe auch allenthalben gut und segenbringend vollbracht ward. Nach dem Amte war denn auch so ein Erkundiger benennet. ,Ka i e stor'?‘ war die Frage und hieß verdolmetscht: ,Was hat er getan?‘ Darauf folgte die ernste Mahnung mit dem gebietenden Satze: ,Po luxe men!‘ – auch ,Poluzce men!‘ – ,Gib mir darüber Licht, Aufklärung!‘

6. Daraus sind die späteren ,Zwillinge‘ entstanden; im Grunde aber waren die Zwillinge nur zwei Sätze, nämlich ein Fragesatz und darauf der Aufforderungssatz. Gingen auf solche Erkundigungen zwei solche Amtsboten in die Gemeinden aus, so hatte einer den Fragesatz und der andere den Aufforderungssatz zu stellen, natürlich nicht nur bloß dem Worte, sondern der Tat nach.

7. Da aber eben um solche Erkundigungs- und Nachsehezeit die Sonne gerade unter das bekannte Zweisternbild trat, so nannte man es auch ,Zwillinge‘ und nach römischer Zunge Gemini oder auch Castor et Pollux, die natürlich später durch die eitle Phantasie der Menschen ebenfalls vergöttert worden sind. –

8. Wir hätten nun das fünfte Tierkreisbild abermals ganz wie die früheren treu und wahr erläutert vor uns; aber nun kommen wir zum sechsten Zeichen, und da erblicken wir auf einmal den ,Krebs‘! Wie kam denn der in den großen Gestirnkreis? Ich sage euch, ganz leicht und natürlich so wie die früheren!

9. Seht, in dieser Zeitperiode hat der Tag seine höchste und längste Dauer bekommen; darauf fängt er an, in seiner Dauer rückgängig zu werden, und die Alten verglichen diese rückgängige Dauer des Tages mit dem Gange eines Krebses. Zugleich aber war es diese sechste Zeitperiode von dreißig Tagen, in der zur Nachtzeit der Tau in diesem Lande besonders in der Nähe des Stromes sehr mächtig wird. In solcher Zeit entstiegen die Krebse zur Nachtzeit ihren Sumpflöchern und statteten den nahen gras- und taureichen Wiesen einen sie sehr erquickenden und nährenden Besuch ab. Das haben ganz leicht und natürlich die alten Einwohner des Landes am Nil bald bemerkt und waren anfangs bemüht, die ungeladenen Gäste von den fetten Wiesen zu vertreiben, was besonders für die ersten Bewohner dieses Landes keine leichte Arbeit war, da in der Zeit die Anzahl dieses großen Schlamminsektes ins Zahllose überging. Mit Feuerbränden begegnete man ihnen zuerst, sammelte sie haufenweise und verbrannte sie, was aber für die große Menge dieser Tiere nichts ausgab. Beim Verbrennen gab es aber stets einen recht guten und sehr einladenden Geruch ab, und es meinten schon die Alten, daß die Tiere vielleicht gar zu essen wären. Aber es wollte dennoch keiner mit solchem Bratengenusse den Anfang machen.

10. Später siedete man sie in großen Töpfen und fand die Brühe recht köstlich; aber es wollte sich doch niemand daran wagen. Man gab sie den Schweinen, die auch von den Alten schon gezüchtet wurden, und diese delektierten (ergötzten) sich daran und wurden sehr fett, was den alten Ägyptern eine sehr willkommene Erfindung war, denn sie benützten sehr das Fett dieser Tiere, sowie die Häute und die Gedärme; das Fleisch aber genossen sie nicht und gebrauchten es zum abermaligen Futter für die Schweine.

11. Als aber mit der Zeit arbeitsscheue Menschen anfingen auszuarten und sich zu versündigen an alten und weisen Gesetzen, die noch vom vorsündflutlichen Gotteslehrer Henoch herrührten, da erbaute man bald mächtige Gefängnisse und steckte die Übeltäter hinein. Diese wurden mit gesottenen Krebsen und abwechselnd mit gesalzenem und gebratenem Schweinefleisch und danebst nur mit wenig Brot gespeist. Man merkte aber, daß sich die Verbrecher bei dieser Kost sehr wohl befanden, und in einem schlechten Jahre versuchten später auch die freien Menschen die schrecklich scheinende Arrestantenkost und fanden, daß sie besser schmeckte als ihre altgebräuchliche Hauskost. Diese Wahrnehmung war dann bald Ursache, daß die ehemals so ungeheure Anzahl der großen und fetten Nilkrebse sich bald sehr verringert hatte, da man auf sie zu viel Jagd machte.

12. Später aßen auch die Griechen und die Römer dieses Schlamminsekt und befanden sich sehr wohl dabei; nur die Juden essen es noch bis zur Stunde nicht, obschon es ihnen Moses nicht gerade untersagt hat.

13. Aus alledem aber geht nun schon sicher mehr als handgreiflich hervor, daß die alten Ägypter für das Himmelszeichen dieser sechsten Zeitperiode von dreißig Tagen sicher kein besseres Sinnbild wählen konnten als eben dasjenige Tier, das ihnen in dieser Zeitperiode gar soviel zu schaffen machte. Es läßt sich auch bei dem Bilde von selbst denken, daß es mit der Zeit eine Art göttlicher Verehrung erhielt. Griechen und Römer weihten später diese Zeitperiode der Göttin Juno und benannten ihr zur Ehre auch diese Zeit also.

14. Aber es fragt sich nun, wie denn so ganz eigentlich diese Göttin erfunden worden ist, und wie sie zu ihrer göttlichen Persönlichkeit kam. Darüber bestehen bei den Weisen verschiedene Ansichten, die im Grunde eben nicht ganz ohne sind. Aber der eigentliche Grund ist dennoch der, welcher mit der Zeit ebenso wie die Persönlichkeiten des Castor et Pollux ausgeheckt wurde.

15. Eben um die Zeit der Krebse ward es für materielle Arbeiten schon zu heiß, und man schenkte darum diese Zeit geistigen Forschungen in großen schattigen Tempeln, von denen etliche schon von den Urbewohnern dieses Landes erbaut worden sind.

16. Eine Hauptfrage des Beginnens aller geistigen Forschung bestand darin, ob die reine Gottheit auch irgend in einem materiellen Verbande zu suchen sei.

17. Wie alle Fragen der Weisen nur ganz kurz waren, aber eine sehr lange Antwort brauchten, so war es auch mit dieser gewichtigsten Frage der Fall. Sie lautete: ,Je È Ç (un) o?‘ Verdolmetscht: ,Ist das einmal in sich getrennte Göttliche, so man es nebeneinander stellt, noch ein Ganzgöttliches?‘

18. Ihr fraget: Wie konnten denn diese einfachen Buchstaben den ausgesprochenen Satz bedeuten? Gleich sollet ihr den ganz natürlichen Grund davon erfahren! – Das U ward bei den alten Ägyptern mittels einer oben offenen und an diesen Enden gestreckten Halbkreislinie dargestellt (È) und bezeichnete auf diese Weise zugleich ein Aufnahmegefäß für alles Göttliche, das von oben zu den Menschen auf die Erde kommt. Es versteht sich von selbst, daß die weisen Alten darunter hauptsächlich geistige Gaben des Lichtes für die Seele des Menschen verstanden.

19. Das N ward durch einen ähnlichen, aber nach unten gekehrten Halbkreis (Ç) dargestellt und bezeichnete die tote, an und für sich gänzlich geist- und lichtlose Materie. Die Runddächer so mancher Häuser und besonders der Tempel hatten darum die Gestalt eines umgekehrten Halbkreises und zeigten an, daß in solchen Orten das Göttliche sich mit der Materie verbindet, in ihr ein zeitweises Leben schafft und dem Menschen sich auf Momente offenbart. Daraus formulierte sich denn auch die alte, wichtige Frage: ,Je È Ç o?‘, weil das O die volle Gottheit in ihrer Reinheit darstellte.

20. Die Antwort auf diese alte, gewichtige Frage lautete dahin, daß sich alle geschaffene Materie zu Gott nahe so verhalte wie ein Weib zu ihrem Manne und Gebieter. Gott zeugete in und durch die Materie in einem fort Seine Myriaden Kinder aller Art. Er befruchtete die Materie in einem fort mit Seinem göttlich- geistigen Einflusse, und die Materie gebärt Ihm dann in einem fort die zahllos in sie eingezeugten Kinder. – Das war doch sicher ein sehr erhabener Gedanke, den die alten Weisen auf die bekannte, gewichtige Frage als Antwort aufgestellt hatten!

21. Mit der Zeit, besonders bei den späteren nach aller Sinnlichkeit lüsternen Nachkommen, blieb kaum mehr ein Dunst von der alten ägyptischen Weisheit, und man machte aus dem Fragesatze Je un o und aus der erklärten Weiblichkeit aller Materie gleich lieber ein persönliches Gottweib und gab demselben gleich dumm und finster zur Genüge den Namen anfangs Jeu no, später bloß Juno, und vermählte sie mit dem ebenso nichtigen Gott Zeus.

22. Die alten Weisen hielten aus wohlweisen und ganz natürlichen Gründen die Materie für hart, unbeugsam, ungefügig und meinten, man könne ihr nur durch großen Fleiß und durch große Mühen etwas abgewinnen. Die alten von den alten Weisen an der Materie entdeckten Unvollkommenheiten unterschoben die späteren Nachkommen dem Gottweibe Juno, mit dem darum Zeus stets seine Not hatte. – Begreift ihr nun eure Göttin Juno?“

23. Sagt Helena: „Ich bitte dich, du mein allerliebster Mathael, fahre du nur fort; ich könnte dich also tagelang ohne Unterbrechung anhören! Deine Erzählung ist zwar nicht so bilderreich und geschmückt wie die eines Homer; aber sie ist weise und wahr, und das ist mehr wert und anziehender um tausend Male als alle die zauberhafte Blumenschminke der großen Volkssänger! Darum fahre du nur ungestört fort in deiner Erzählung!“

24. Sagt Mathael: „Sagst du mir doch keine Schmeichelworte!? Denn sieh, die Wahrheit will verstanden, aber nie geschmeichelt sein! Aber ich weiß es, daß du nicht mir, sondern nur der Wahrheit schmeichelst, die nicht von mir, sondern von Gott kommt, und so kann ich schon wieder fortfahren.“

Kapitel 104. Das siebente, achte und neunte Zeichen des Tierkreises.

1. (Mathael:) „Höre denn! Nach dem Krebse ersehen wir den ,Löwen‘ im großen Zodiakus. Wie kommt denn diese wilde Bestie unter die Himmelszeichen? Ganz ebenso natürlich wie alles andere, das wir bis jetzt haben kennengelernt!

2. Nach der Krebsjagd, die ihre dreißig Tage anhielt und manchmal auch einen oder zwei Tage darüber – weil bei den alten Ägyptern nicht der Fischmonat (Februar), sondern der Krebsmonat (Juni) als Ausgleichungsmonat bestimmt war –, fing eine andere Kalamität an, die den Alten sehr viel Sorge und Kummer machte. Um diese Zeit werfen die Löwen gewöhnlich ihre Jungen und sind da, voll Hungers, am meisten auf den Raub bedacht und ziehen weit und breit über Wüsten, Berge und Täler in Gegenden hin, wo sie irgend fette Herden wittern.

3. Da des Löwen Vaterland eigentlich das heiße Afrika ist, auch das Hinterägypten schon häufig von diesem Tierkönige beherrscht wurde, so ist es begreiflich, daß es ihm gar nicht schwer war, bis nach Mittel- und Unterägypten vorzudringen, und dort Verheerungen unter den friedlich weidenden Herden anzurichten. Wie die Wölfe eine große Kälte in die von Menschen bewohnten Gegenden treibt, ebenso treibt des Julius (Juli) große Hitze den Löwen in die etwas kühleren nördlicheren Gefilde, wo es für ihn eine Beute abgeben kann.

4. In diesem Monate aber wird in Oberägypten die Hitze am stärksten und am unerträglichsten und treibt darum den Löwen oft bis zum Mittelmeere nordwärts, wo es da offenbar kühler ist als im Bereiche der glühheißen Sandwüsten. Kurz zu Anfang dieser Zeit bekommen die Bewohner Ägyptens stets Besuche von diesen gefürchteten Gästen und mußten sich gegen sie ganz tüchtig rüsten, um sie von den Herden abzuhalten. Und da die Sonne in dieser Zeit gerade unter ein Sternbild trat, das so wie jenes des Stieres mit seinen Sternen so ziemlich die Gestalt eines ergrimmten Löwen darstellt, so benamsten die Alten dieses Gestirn denn auch mit dem Namen eines Löwen, und in Ägypten nannte man diese Zeit auch mit den Namen: ,der Löwe‘ (Le o wa), Le der Böse oder des Bösen Abstämmling, im Gegensatze zum El der Gute oder des Guten Sohn, O die Gottessonne, wa, auch wai flieht; Le o wai heißt demnach: Der Arge flieht die Sonne.

5. Die Römer benannten ihrem Helden Julius Cäsar zu Ehren erst vor wenigen Dezennien diese Zeit mit dessen Namen, weil er so schlau und mutig zu kämpfen verstand wie ein Löwe. – Da habt ihr nun das siebente Himmels- oder Tierkreisbild, das bei den späteren Nachkommen ebenfalls in eine Art Vergöttlichung geriet.

6. Aber auf den Löwen sehen wir eine ,Jungfrau‘ folgen; das scheint auf das Frühere denn doch nicht so ganz zu passen?! O ja, es paßt ganz und recht natürlich darauf! Mit der Besiegung der Löwenzeit waren die Hauptbeschwerden des Jahres gewisserart beendet, und man ergab sich hier einer größeren Heiterkeit und veranstaltete Feste, die besonders dazu dienten, den braven und sittlich reinen Jungfrauen Geschenke zu machen, um sie dadurch zur ferneren Sittlichkeit anzueifern; auch war es in dieser Zeit Sitte, Hochzeit zu begehen. Nur eine als rein befundene Jungfrau konnte zum Weibe genommen werden; eine aber, die ihre Jungfräulichkeit nicht wohl bewahrt hatte, ward von der Ehe ausgeschieden und konnte im äußerst günstigen Falle nur mehr ein Kebsweib irgendeines Mannes, der schon ein oder mehrere ordentliche Weiber hatte, werden, – sonst aber blieb nur der verächtliche und niedere Sklavenstand übrig. Und so hatte diese Zeit eben auch eine gar gewichtige Bedeutung, und weil um diese Zeit wieder ein recht nettes Sternbild des Zodiakus über der Sonne zu stehen kam, so benannte man es die ,Jungfrau‘. Aber erst vor wenigen Jahren gaben die eitlen Römer, ihrem Kaiser Augustus zu Ehren, dieser Zeit auch des Kaisers Namen. – Und so weißt du, liebe Helena, nun auch, wie nach dem Löwen eine Jungfrau unter die Sterne kam. – Aber nun weiter!

7. Wir haben nun gesehen, wie da auch eine Jungfrau unter die Sternbilder des Zodiakus kam; aber nun kommt gar eine Sache hinein, wie wir das sogleich sehen werden. Eine ,Schalwaage‘ ersehen wir, wie sie die Krämer und Apotheker zum Abwiegen ihrer Spezies und Arzneien brauchen. Wie kam denn dieses Gewichtserprobungsinstrument unter die Sterne? Ich sage es euch: Ganz leicht und eben wieder also natürlich wie alle die früheren!

8. Seht, nach der Zeit der Jungfernerprobung und der Hochzeiten, durch die diese vorhergehende Zeit am meisten und ordnungsmäßig ausgezeichnet war, kam die Zeit der Erprobung der meisten Ernte, des Getreides – dessen Anbau schon die ältesten Einwohner dieses Landes stark betrieben haben, natürlich neben der Viehzucht –, der Früchte, als der Feigen, der Datteln, des Öles, der Granatäpfel, der Orangen und dergleichen mehr.

9. Jede Gemeinde hatte ihren Ältesten zum Vorstande und Leiter aller Geschäfte und ebenso einen Priester, der sich bloß mit dem Geistigen zu beschäftigen hatte und zu unterrichten das Volk an den bestimmten Tagen und zu weissagen bei wichtigen Angelegenheiten. Daß sich der Priesterstand bald sehr vermehrte, braucht kaum näher erwähnt zu werden, wie auch, daß dieser Stand sich mit der groben, materiellen Arbeit eben nicht sehr abgab, außer mit neuen Versuchen und Verbesserungen in jeder möglichen Hinsicht.

10. Der Priesterstand war es auch, der die Metalle der Erde erforschte, sie sammelte und zum Gebrauche tauglich machte. Zu allen den vielen technischen Dingen aber brauchte er auch viele Handlanger und wohlunterrichtete Werkführer, die alle keine Zeit hatten, sich mit dem Ackerbau und mit der Viehzucht abzugeben, und es mußten daher alle solche Menschen von den Gemeinden erhalten werden. Wie aber sollte das bemessen werden, auf daß ein jedes Gemeindeglied eine seiner Ernte entsprechende Gabe an die Priesterschaft und deren Helfer verabreiche?

11. Man bestimmte den Zehent, und jedes Gemeindeglied mußte den zehnten Teil aller Ernte dem Priesterstande abliefern. Wie bemaß man aber den Zehent? Ganz einfach: mit der Waage! Man hatte zu dem Behufe große und kleine Waagen in der Art, deren schon früher erwähnt wurde. Jede Gemeinde besaß mehrere solche Waagen, und unter den Augen des Gemeindevorstandes wurde alle Ernte genau abgewogen in der Art, daß da stets beide Schalen vollgefüllt wurden; neunmal wurden die gefüllten Waagschalen in den Kasten des Gemeindegliedes ausgeleert, das zehnte Mal aber in den Kasten der Priesterschaft. Der Oberpriester war zugleich auch des ganzen Volkes Hüter oder Hirte mit dem Ausdruck Vara on (,er hütet‘ oder: ,er ist der Hirte‘). In der späteren Zeit wurden die Varaonen wirkliche Könige des Landes, unter deren Botmäßigkeit auch das Priestertum stand.

12. Wir aber ersehen nun aus dieser geschichtlich wahren Darstellung, daß die Zeitperiode, als erste nach der der Jungfrau, hauptsächlich zum Abwiegen der Ernten wegen der Zehentabgaben an das Priestertum bestimmt war; und weil gerade um diese Zeit die Sonne abermals unter ein neues Zeichen trat, so nannte man dieses Zeichen im Zodiakus die ,Waage‘. Das wird jedermann einleuchtend sein, der nur einigermaßen mit den Sitten und Gebräuchen der alten Ägypter ein wenig vertraut ist.

13. Daß man mit der Zeit der Waage allerlei entsprechende Bedeutungen beilegte, sie auch als Symbol der göttlichen wie der weltlichen Gerechtigkeit benützte, ja, daß man sie bei einigen noch tief unten stehenden Völkern sogar auf eine gleiche Weise anbetete, wie die Indier hie und da den Pflug, braucht wohl kaum näher beleuchtet zu werden. Die Phantasie der Menschen einesteils und die stets wachsende Gewinnsucht der sich immer mehrenden Priester und Volkslehrer andernteils vergöttlichte mit der Zeit, was ihr nur immer irgend altehrwürdig und für die gesamte Menschheit als nützlich vorkam. –

14. Wir hätten sogestaltig nun gesehen, wie auch ein menschliches Werkzeug in den großen Zodiakus kam, und wollen darum auch weiter sehen, wie denn das höchst unansehnliche Insekt ,Skorpion‘ in den großen Zodiakus kam!“

Kapitel 105. Erläuterung der drei letzten Tierkreisbilder.

1. (Mathael:) „Nach der Zeit der Waage kam eine sozusagen recht müßige Periode. Die Herden begaben sich mehr und mehr zur Ruhe, das heißt, sie weideten wohl, sprangen aber auf den Weideplätzen nicht mehr also mutig herum wie im Frühjahre; auch die Fruchtbäume zeigten keine solche Tätigkeit mehr, als das im Frühjahre der Fall war; die Äcker lagen brach, und so hatten da auch die Menschen eine gewisse Arbeitsvakanz (Ferien, Ruhezeit). Sie würden da dem lieben Nichtstun sicher noch mehr gehuldigt haben, wenn der Herr Himmels und der Erde gerade in dieser Faulzeit sie nicht durch ein äußerst lästiges Insekt, dessen Heimat hauptsächlich Ägypten ist, ein wenig aufgestachelt hätte.

2. Die Skorpione fingen gleich zu Anfang dieser Zeit an, sich allenthalben zu zeigen und vermehrten sich bis gegen die Mitte dieser sonst faulen Zeit wie die Fliegen in einem Speisesaale. Bekanntlich aber ist der Schweifstich dieses Insektes nicht nur sehr schmerzhaft, sondern auch recht gefährlich, wenn man nicht sobald nach dem Stiche mit dem rechten Gegenmittel bei der Hand ist.

3. Da die alten Ägypter aber sowohl die Schädlichkeit als auch die Lästigkeit dieses Tierleins nur zu bald mußten kennengelernt haben, so fehlte es auch nicht, auf Mittel zu sinnen, durch die sie dieses Wesens wenigstens einigermaßen Meister werden konnten. Allerlei Vertreibmittel wurden versucht; aber sie halfen alle zusammen wenig, bis man endlich auf die Rinde eines Nilgesträuchs kam, sie kochte und mit deren Dampf wenigstens die Zimmer von diesem stachligen Schmarotzer befreite. Auch befeuchtete man die Rinde des erwähnten Gesträuchs, streute sie am Boden aus und legte sie in die Betten, hielt dadurch das stachlige Geschmeiß fern und tötete es damit auch.

4. Nach diesem dies Insekt vertreibenden und tötenden Mittel nannte man auch das Insekt selbst, das natürlich früher keinen Namen hatte, Scoro (= Rinde) pi oder pie (= trinkt) on (= er).

5. Man machte durch diesen Namen die Nachkommen gleichsam wie durch ein Rezept aufmerksam, durch welches Mittel man dieser Plage am wirksamsten begegnet. Noch heutzutage bekommen wir sowohl aus Ägypten, aus Arabien und Persien ein Pulver, durch das man ohne den geringsten Schaden für die Gesundheit des Menschen nicht nur die Skorpione, sondern fast alle andern sehr lästigen Insekten vertilgen kann; und dieses Pulver wird nebst noch einigen Beigaben hauptsächlich aus der obberührten Rinde angefertigt. – Und nun wieder zu unserer Hauptsache!

6. Beim ersten Auftauchen des Skorpions in dieser Faulzeit trat die Sonne unter ein neues Sternbild im großen Kreise, und man nannte es wie das lästige Insekt, das sich gerade in dieser Zeit am meisten ausbreitete und Vieh und Menschen belästigte. Diesem Zeichen erwies man bis jetzt noch am wenigsten irgendeine Verehrung, außer daß man es gewisserart als ein altes Rezept gegen dies lästige Insekt stets als wirksam ehrte.

7. Die Faulenzzeit ging mit der Vertilgung der Skorpione zu Ende, auch die in dieser Zeitperiode in Ägypten häufig vorkommenden Donnerwetter, vor denen die Ägypter stets einen großen Respekt hatten; denn sie sagten: ,Das Geschoß des Zeus ist schneller und sicherer treffend denn das elende der Menschen!‘

8. Um die Zeit nach dem Skorpion fing auch allerlei Wild an, sich in die Täler von den Bergen herabzumachen, darunter aller Art reißende Tiere, jedoch nicht von der schlimmsten Art.

9. Diese Erscheinung forderte die Menschen, und namentlich die Männer auf, den Bogen zu spannen und sich auf die Wildjagd zu begeben. Kaninchen, Hasen, Gazellen, kleine Bären, Dachse, Füchse, Panther, eine Menge Geier und Adler, auch das Krokodil und das Nilpferd (Hippopotamos; altägyptisch Je pa opata moz = das Nilpferd fängt an, seine Gewalt zu entfalten), fingen an sich zu rühren, und darum war da für die Jagd keine Zeit mehr zu verlieren; zur Vertilgung möglichst vieler Krokodile war auch ein ganz bedeutender Preis ausgesetzt.

10. Es gehört hier gar nicht weiter zur Sache, wie da die allerlei Jagden geführt wurden, sondern es genügt hier ganz vollkommen zu wissen, daß in Ägypten um diese Zeit allerlei Jagden geführt worden sind, und wir wissen alles, was wir zu wissen benötigen.

11. Um diese Jagdzeitperiode trat die Sonne schon wieder in ein neues Sternbild im großen Zodiakus, und man nannte es den ,Schützen‘, weil diese Zeit eben den Schützen die meiste Beschäftigung bot. Dem Schützen ward mit der Zeit wohl auch eine Art göttlicher Verehrung zuteil, aber keine gar zu große, außer dem Apollo, der auch als ein Gott der Jagd verehrt ward. –

12. Mit dem Schützen wären wir sonach auch fertig und kommen nun zum eigentlich seltensten Himmelszeichen im großen Zodiakus! Siehe, ein Steinbock, der Bewohner der höchsten Felsspitzen, schimmert im südlichsten Teile des großen Kreises! Wie kam denn dieser Bewohner der Hochgebirge in den großen Sternenkreis? Ich sage es euch, eben also wie alle die früheren auf eine ganz natürliche Weise!

13. In dieser eines Jahres letzter Periode sucht alles Wild einmal die Täler heim, um da ein gewisses Nährfutter zu suchen, nach dem seine Natur ein Verlangen trägt.

14. Der Steinbock war für die Ägypter etwas zu Kostbares, als daß sie ihn so mir und dir nichts seinen kecken Talbesuch hätten gewähren lassen können! Kurz, da wurden allerlei Wachen ausgestellt, wie sich nur die Zeit zu nahen begann, in der dies Tier schon in früheren Zeiten öfter auf den einsamen Triften weidend und umherspringend entdeckt worden war. Sowie nur einer irgend bemerkt ward, da war nach den empfangenen Zeichen alles, was nur Füße hatte, auf den Beinen.

15. Es war aber das kein leichtes Stück Arbeit, so einen Steinbock zu fangen, und es gab da manche Steinbockperiode, in der kein Steinbock gefangen worden war; wurden aber in einer günstigen Zeit etliche gefangen, so war das ein förmlicher Triumph für ganz Ägypten! Denn von so einem Steinbock war alles als eine wunderbarste Arznei angesehen, und man heilte mit einem Minimum schon einmal alle Krankheiten, und die Hörner waren selbst des Königs von Ägypten erste und kostbarste Zierde, mehr denn Gold und Edelgestein. Ja in der Urzeit taxierte man sogar den Wert eines Varaon nach der Anzahl der Steinbockhörner, die selbst die Oberpriester später zum Zeichen ihrer Hochweisheit und obersten Macht vergoldet bei sich trugen.

16. Da aber der Steinbock bei den Ägyptern in einem so großen Ansehen stand, wie man sich in diesem Lande noch heutigentags überzeugen kann, so ist es wohl auch mehr als begreiflich, daß die alten Ägypter schon diese Zeitperiode, in der sie Besuch vom Steinbock bekamen, zuerst dem kostbaren Tiere weihten, sie auch danach benannten, sowie auch das Sternbild, unter das die Sonne in dieser Zeitperiode trat.

17. Und wir haben nun auf diese Weise alle zwölf Zeichen des großen Zodiakus durchgesehen und nirgends etwas anderes als nur etwas ganz Natürliches gefunden, und haben danebst aber auch gesehen, wie und auf welche Art alle die vielen Heidengötter entstanden sind, und daß da hinter ihnen gar nichts steckt außer das ganz Natürliche, das wir eben gesehen haben.

18. Und so wird es denn hoffentlich fürder nimmer schwer sein, den wahren Gott allein im rechten und wahrsten Lichte zu erkennen. Nie hat irgendeine erdichtete Gottheit etwas von all den Wunderdingen geleistet, die man ihr unterschob, und die wenigen weisescheinenden Worte, die von den Göttern an die Menschen sollen zu Zeiten gesprochen worden sein, haben die alten Weisen des größeren Gewichtes wegen den nichtigen Göttern in den Mund geschoben.

19. Hier aber sind Taten zu sehen und Worte zu hören, die zuvor in der Wirklichkeit nie erlebt worden sind, – und da auch sind wir endlich einmal auf dem Platze angelangt, den wahren Gott in Hülle und Fülle kennenzulernen. Helena und du auch, alter Ouran, saget, ob euch diese meine Erläuterung des Zodiakus einleuchtend war oder nicht!“

Kapitel 106. Helena fragt nach der Schule des Mathael.

1. Sagt Helena: „O du allerliebster Mathael! So klar und einleuchtend ist mir auf dieser Erde noch nie irgend etwas durch pure Worte gemacht worden! Ich war infolge deiner lebendigen Darstellungsweise gerade wie selbst bei all dem Tun und Handeln der alten Ägypter ganz mithandelnd gegenwärtig und sah die armdickste Wahrheit vor meinen Augen ordentlich niederhageln.

2. Aber nur das einzige sage du mir nun noch: auf welche Weise oder in welcher Schule du hinter alles gar so tüchtig gekommen bist! Denn bei allen Himmeln, so etwas kann man denn doch wohl nicht sich aus den Ärmeln beuteln, wie aus einem Sacke etliche darin verborgene Weizenkörner! Wie also lerntest du das alles gar so gründlich kennen?“

3. Sagt Mathael: „O Helena! Gestern war ich noch um mehrere tausend Male blinder und unwissender denn einer deiner letzten und dümmsten Diener und war dazu noch derart krank, daß mich von solcher nie erhörter Krankheit nur Gott allein heilen konnte; keiner menschlichen Kunst wäre solch eine Heilung je möglich gewesen!

4. Aber nachdem ich geheilt worden bin, bekam ich nicht nur alle meine Leibeskräfte fast augenblicklich wieder, sondern der Herr Himmels und der Erde erweckte unter einem auch meinen Geist in meiner sehr betrübten Seele. Und siehe, dieser Geist lehret mich nun alle Dinge in ihrem Grunde kennen, die da waren und jetzt sind, und schon so manches, das erst werden wird!

5. Sieh, alles das ist sonach eine pure Gnadengabe des Herrn, dem allein du und ihr alle Lob, Ehre, Dank, Liebe und Preis schuldet, und ich habe so etwas nie vorher irgendwo in einer allfälligen Schule gelernt!

6. Der Herr allein ist darum mein alles, meine Schule und alle meine Weisheit; was ich weiß und kann, das weiß und kann ich nur vom Herrn!

7. Und ich sage es euch: Der um irgend etwas, sei es, was es nur immer wolle, nicht von da aus weiß, der weiß nichts; denn es ist da all sein Wissen ein eitles, völlig nichtiges und unbrauchbares Stückwerk!

8. Befleißiget ihr euch daher alle der einzigen Schule des Herrn, der nun in aller Seiner göttlichen Fülle unter uns körperlich wandelt, so werdet ihr in Ewigkeit keiner andern Schule bedürfen! – Verstehest du, holdeste Helena, solches?“

9. Sagt Helena: „O ja, ich verstehe dich wohl; aber wie kann ein schwacher sterblicher Mensch, wie zum Beispiel ich und mein Vater, in die Schule Gottes gelangen?“

10. Sagt Mathael, ganz wie erregt: „O Helena! Du Holdeste des ganzen großen Pontus, wie kommst denn du nun zu solch einer blind-dummen Frage? Du mußt es mir schon vergeben, so ich dir auf solche deine gar nicht im geringsten überdachte Frage eine recht derbe Antwort gebe! Du und dein Vater seid ja nun schon in solcher Schule; wie möglich kannst du da fragen, wie und wann du in solch eine Schule gelangen werdest? Ja, siehst du denn das nun noch nicht ein, indem doch gerade euretwegen der Herr hier solche gar große Zeichen gewirkt hat?!“

11. Sagt die Helena etwas verlegen: „Aber ich bitte dich, liebster Mathael, werde du mir darob nur nicht grämlich! Ich sehe meine Dummheit nun wohl ein und werde dir mit solch einer Frage sicher nimmer wieder kommen; du aber habe nur Geduld mit uns und bedenke stets, daß da mit einem Hiebe noch nie ein großer Baum zum Fallen gebracht worden ist! Nach und nach wird sich schon alles noch machen! Ist auch mein Vater alt, so bin doch ich noch jung. Und sieh, ich bin kein schwer lenksames Mädchen; das bezeugten alle meine Lehrer, und mein Vater weiß es auch! Oh, ich werde dir, du liebster Mathael, sicher keine Schande machen; aber nur manches Mal darf es dir um ein wenig mehr Geduld denn jetzt nicht leid sein! Ich bitte dich darum!“

12. Sagt Mathael, ganz von der großen Sanftmut der Helena eingenommen: „O holdest sanfte Helena, nimmer wirst du mich noch einmal um Geduld zu bitten vonnöten haben! Ich meine es nie unlieb, wenn ich auch manchmal ein wenig ernst aussehe, und durch ein ernsteres Wort will ich jemand nur noch schneller zum Ziele bringen, als solches mit ganz gelinden Worten geschehen kann. Aber ich sehe, daß du in deinem Gemüte sanfter bist als die zahmste Taube, und so hat es bei dir auch fürder nicht not, dich mit ernst tönenden Worten zu wecken.“

13. Sagt Helena: „Habe darum dennoch keine Rücksicht mit mir! Kannst du mich mit ernsten Worten irgend schneller weiterbringen, da sei du nur immerhin so ernst wie der große Pontus, wenn seine bergehohen Wogen mit den Orkanen in einen tobendsten Kampf treten; kannst du mich und meinen Vater aber mit sanften Worten und Lehren ebensoweit bringen in einer gleichen Zeit, so wird mir das um vieles lieber sein. – Aber nun doch wieder von etwas anderem! Eine ganz kurze Frage noch, und ich habe dann auf eine geraume Zeit zur Genüge zu denken!

14. Sage du mir noch, wer denn da alle die vielen andern Sternbilder benamset hat und auf was für Veranlassungen!“

Kapitel 107. Allgemeines über den Zodiakus.

1. Sagt Mathael: „O du meine allerliebste Helena! Deine Frage ist wirklich sehr kurz; aber eine vollständige Antwort darauf dürfte mich wohl wenigstens mehr als ein volles Jahr kosten! Darum wollen wir die Beantwortung dieser deiner kurzen Frage auf spätere Gelegenheiten verschieben und für jetzt davon nur so viel sagen, daß die Namen aller Sternbilder ganz denselben Ursprung haben wie die zwölf des großen ,Zodiakos‘, welche griechisch klingende Benennung eben dieses Kreises auch ganz irrig der Tierkreis genannt wird, weil darin auch Menschen und Sachen vorkommen, natürlich nur dem Namen nach.

2. Nach altägyptischer Zunge bezeichnet die Silbe Zo oder Za soviel als ,für‘, dia auch diaia ,Arbeit‘ und kos ,ein Teil‘, auch die ,Teilung‘; und heißet ganz gut verdolmetscht Za diaia kos (auch kose) einmal wörtlich: für die Arbeit die Teilung, oder: Einteilung der Arbeit.

3. Du siehst nun, daß die Sache sich nie anders im Anfange hat verhalten können, und so muß meine dir nun gemachte Erklärung des Zadia-kos (Zodiakus) eine vollkommen richtige sein! Denn anfangs teilten die Alten den großen Kreis nach dem periodischen Vorkommen ihrer Arbeiten ein; bei den späteren Nachkommen aber bestimmte hernach der schon eingeteilte Kreis die Arbeiten; denn jedes darin vorkommende Sternbild mahnte die Ägypter schon zum voraus, mit welcher Arbeit sie sich in der nächsten Periode würden zu beschäftigen haben. Und somit war die Benennung dieses Kreises auch eine ganz richtige, – aber nur nicht im falschen Sinne der Griechen und Römer.

4. So wie aber die Weisen diesen Kreis und seine Bilder ganz richtig benannten, also benannten sie auch viele, wenn auch nicht gar alle andern Sternbilder und waren auch die ersten Entdecker von den dir bekannten Planeten außer dem Monde und der Sonne, die im Grunde, wenigstens für unsere Erde, durchaus kein Planet ist, indem nicht die Sonne sich um die Erde, sondern die andern Planeten samt der Erde sich nur um die große Sonne in verschiedenen Zeiträumen bewegen, darunter aber nicht die scheinbar tägliche Umlaufszeit, die von der Umdrehung der Erde selbst um ihre Mittelachse herrührt, zu verstehen ist, sondern jene, die die Erde binnen einem Jahre durchmacht, die Venus und der selten sichtbare Merkur in einer noch kürzeren Zeit; Mars, Jupiter und Saturn aber brauchen zu ihrem Umlaufe eine längere Zeit als die Erde.

5. Der Mond aber gehört ohnehin der Erde an und bewegt sich mit derselben im Jahre einmal um die Sonne, während er als steter Begleiter unserer Erde noch dazu alle 27 bis 28 Tage einmal um die Erde in einer Entfernung von einhunderttausend Stunden Weges sich bewegt.

6. Allein, das sind nun noch Dinge, die du so mir und dir nichts auf einmal nicht fassen kannst; wenn aber der Geist Gottes in deiner Seele wach wird, dann wirst du alles das und viel anderes mehr von selbst erkennen ohne allen äußeren, schwerfälligen Unterricht.

7. Darum tut nun vor allem nur eines not, und das ist: sich selbst und Gott erkennen und Ihn über alles lieben; alles andere kommt dann schon von selbst.

8. Übrigens hätten wir beide nun geredet zur Genüge, und es wird sehr gut sein, so wir nun ein wenig ausruhen, auf daß die andern Freunde, die um vieles weiser sind denn wir, auch vielleicht einige gute Bemerkungen über uns machen können.

9. Man muß nie selbst zu viel über eine Sache reden, sondern darüber auch andere reden lassen und sie anhören; denn kein Mensch auf der ganzen Erde ist so weise, daß er dann und wann nicht auch sogar von einem Minderweisen etwas lernen könnte, geschweige denn erst von den noch um vieles Weiseren – als man selbst ist! Und so wirst du, allerliebste Helena, mir schon vergeben, so ich nun eine Zeitlang selbst nichts reden, sondern die andern anhören werde, – natürlich vorausgesetzt, daß sie etwas reden wollen.“

10. Sagt darauf Helena: „Oh, ganz gut, ganz gut! Ruhe du nun nur ein wenig aus; denn du hast nun ja ohnehin fast ein paar Stunden hindurch in einem fort allein geredet.

11. Vielleicht sagt uns bei dieser Gelegenheit doch einer etwas Näheres von dem großen Meister, der nun unter uns ist und dabei kaum merken läßt, daß Er eben das ist, was Er ist!“

Kapitel 108. Die Meinungen über die Ausbreitung der neuen Lehre.

1. Sagt hierauf Simon Juda: „Ich bewundere des Mathael wahrlich große Weisheit und die darin verborgene Wissenschaft über das Altertum! Ja, solch eine Weisheit tut in dieser Zeit auch ebenso not wie die tiefe Erkenntnis der aus dem Munde Gottes kommenden Lebenswahrheiten! Wahrlich, wir könnten uns die Zunge krumm reden vor den Ohren eines Volkes, das schon seit mehr denn einem Jahrtausend im allerabsurdesten Schmutze des finstersten Aberglaubens begraben schmachtet! Da ist ein Wort wie hunderttausend der schönsten Worte rein vergeblich; die eigene Dummheit und Blindheit erkennt es nicht, und die ihm gepredigte schönste und reinste Wahrheit noch weniger.

2. Was sollte man da mit einem solchen Volke noch weiteres anfangen? Wunder wirken? Dadurch wird ein Volk noch dümmer und abergläubischer! – Es strafen? Oh, ein solches Volk ist ohnehin gestraft zur Genüge!

3. Aber man suche die Zugänglicheren aus dem Volke und predige nach der Art unseres Mathael wider das Heidentum, und in längstens hundert Jahren besteht mit der Gnade des Herrn kein Götzentempel mehr!

4. Urteilet, Brüder, ob ich recht geredet habe oder nicht! Ein einfältiger Sinn der Kinder ist wohl mehr wert als der Verstand aller Verständigen der Erde; aber hier ist auch der Verstand völlig an seinem Platze. – Was ist da eure Meinung, liebe Brüder?“

5. Sagen alle bis auf Judas: „Da sind wir ganz einverstanden, und es läßt sich dagegen nichts einwenden!“

6. Hier tritt Judas in den Vordergrund und sagt: „Doch, doch, so manches noch!“

7. Sagt Simon: „Was denn? Rede! Ich wüßte hier wahrlich um nichts, was sich dagegen einwenden ließe!“

8. Sagt Judas: „Man gewinne die Mächtigen, und man wird mit den Ohnmächtigen dann auch ohne diese Wissenschaft ganz wirksam reden können!“

9. Sagt Mathael, sich etwas erregt nach dem Judas umsehend: „Aha, du möchtest somit gerne den Armen am Geiste und an den irdischen Gütern die Friedensbotschaft aus den Himmeln mit Rute und Schwert verkünden! Bist ja ein gar seltener Mensch, du! Mir scheinst du auch sonst so ein eigenes Wesen aus der Unterwelt zu sein, daher diese deine Ansicht, die wahrlich keinem Teufel eine Unehre machen würde! Du bist ein ganz rarer Teufel!

10. Sage mir aber doch, wie du dich in diese sonst rein himmlische Gesellschaft hast einschmuggeln können!

11. Aber ich sage dir: Willst du als Teufel mit Menschen reden und handeln, so mußt du dich besser vermummen in Lämmerfelle, damit man unter ihnen nicht gleich auf den ersten Blick den reißenden Wolf ersieht!

12. Siehe, daß du mir aus dem Gesichte kommst, sonst könnte ich über dich Enthüllungen zu machen versucht werden, die anzuhören du vielleicht eben jetzt nicht am besten aufgelegt wärest; denn mein Geist kennt dich nun aus- und inwendig!“

13. Als Judas von Mathael solches vernimmt, macht er große Augen und sagt: „Du irrst dich an mir, Mathael; denn auch ich gehöre zu der Zahl der Erwählten, habe schon Botendienste im Namen des Herrn verrichtet und bin gleich meinen Brüdern erst vor etlichen Wochen von den Engeln durch die Lüfte getragen worden!“

14. Sagt Mathael: „Oh, das alles weiß ich, und dennoch nehme ich nicht eine Silbe von meinen einmal ausgesprochenen Worten zurück! Wohl gehörst du unter die Zahl der Zwölfe, aber mein Geist sagt es mir: ,Darunter ist einer ein Teufel!‘ – und wisse: Der Teufel bist du!

15. Mit diesem Zeugnisse, das mir mein Geist gab über dich, kannst du vorderhand zufrieden sein, – willst du aber ein mehreres noch, so kann dir damit aufgewartet werden; denn soeben entdecke ich eine ganze große Kammer voll arger Zeugnisse über dich, und du darfst gar nicht viel machen, so bekommst du sie alle ins Gesicht! Denn du bist auch ein Dieb! – Verstehst du mich?!“

16. Als Judas solche Donnerworte aus des weisen Mathael Munde vernahm, durchlief ihn ein gewaltiger Schauder, und er zog sich ganz bescheiden zurück und bekam beim Rückgehen auch noch vom Thomas einige leise Rippenrüttler mit den Worten: „Hat dich deine Hölle denn schon wieder einmal gejuckt?! Fahre nur also fort, so wirst du schon noch mehr hören als jetzt! Mit dem Mathael, den der Herr so wunderbar geheilt hat an Leib, Seele und Geist, wirst du armer Hascher nie irgend etwas aufnehmen können!

17. Siehe, sogar der Engel des Herrn wagt es nicht, sich ihm zu nahen, und du willst ihm widersprechen in irgend etwas, was er aus seiner tiefsten, nach Moses gar nie dagewesenen Weisheit aufgestellt hat?!

18. Siehst du denn solch eine über alle Himmel hinaus schreiende Dummheit deines allereselhaftesten Herzens noch nicht ein?! Kannst du denn nicht ruhig sein, hören und in einem fort lernen?!

19. Hier ist alle Weisheit aller Himmel und aller Erde auf einem Punkte beisammen, wir sitzen hier im Zentrum des göttlichen Herzens beisammen, Worte und Taten gehen an uns vorüber, die selbst die Engel in ein größtes Erstaunen setzen, und du als der größte Esel unter uns kannst deinem wahrhaft argen Gelüste nicht widerstehen, nicht nur Mit-, sondern auch sogar Gegenreden aus deiner Dummheitspfütze an das nun gottvollste Tageslicht zu fördern! O du Hauptesel du!“

20. Sagt Judas ganz trotzig: „Ei – laß mich! Bin ich schon ein Esel, so bin ich es ja für mich und nicht für dich! Und hat mich Mathael auch nun gar so sehr verhauen, so wette ich doch, was du willst, daß diese an sich noch so reine, göttliche Lehre nicht mit sanften Worten des Friedens, sondern mit Schwert und allerlei tödlichem Geschosse den armen Heiden wird verkündet werden!

21. Man wird keinen fragen, ob er das verstanden habe, sondern man wird ihn zu dem neuen Glauben schwören lassen! Und wird er mit der Zeit von dem nie verstandenen Glauben abfallen, so wird er als des schändlichsten Meineides schuldig erklärt und dafür zum allerwenigsten lebendig verbrannt werden!

22. Und wird man bei der Weiterverbreitung dieser an und für sich noch so göttlichen Lehre nicht vor allem darauf sehen, gleich zuerst die Machthaber dafür zu gewinnen, dann möchte ich wahrlich, trotzdem ich ein Teufel bin, die Menge der Blutzeugen nicht zählen, die da unter dem Schwerte der großen heidnischen Machthaber verbluten werden! Göttlich hin, göttlich her! Der Teufel ist auch göttlich! Mit der Zeit wird selbst das reinste und erhabenste Göttliche auch teuflisch!

23. Sehen wir zum Beispiel nur die göttlichste Lehre Mosis an! Was ist sie nun im Tempel des einst so himmelweisen Salomo?! Darum sage ich als Mathaelischer Teufel und als dein Hauptesel noch einmal: Mathael hat recht, und ich erkenne seine Weisheit so gut an, als du sie anerkennst; aber so gut Mathael recht hat, habe auch ich recht!

24. Ich sage es dir: Diese Friedenslehre aus den Himmeln wird in gar nicht zu langer Zeit über den ganzen Erdboden den größten Unfrieden ausstreuen und Völker untereinander in den größten, unversöhnlichsten Hader, Zank und Krieg stürzen!

25. Im Leibe wirst du das wohl noch nicht so sehr erleben; aber dein Geist wird dereinst ein desto sicherer Zeuge von all dem sein, was ich dir jetzt gesagt habe, und du wirst erst dann eingestehen, daß der Teufel und Dieb Judas auch einmal geweissagt hat! – Nun frage ich dich, ob du mich wohl verstanden hast!?“

Kapitel 109. Das Wesen des Judas.

1. Sagt Thomas: „Du meinst nun wohl, daß du eine große Weissagung getan hast und wir sie ohne dich nicht herausgebracht hätten?! Bist wohl bei all der nun seit mehr denn einem halben Jahre angehörten höchsten Weisheit ein armer, dummer Tropf!

2. In welcher Zeit sind sich etwa Licht und Finsternis nicht feindlich begegnet? Wann sind je noch Leben und Tod in brüderlicher Eintracht miteinander lustwandeln gegangen? Wann haben der grimmige Hunger und die volle Sättigung zum Frieden des Paradieses sich die Hände gereicht? Tor! Das versteht sich von selbst: So von hier aus das höchste und klarste Licht aus dem Himmel in die dickste Finsternis der Erde dringen wird, so wird es ohne Gegentätigkeiten nicht abgehen!

3. Sieh an die unermeßlichen Eisfelder des überhohen Ararat! Sie schmelzen nicht bei den geringen Wärmegraden, wie solche die weisen Ägypter bestimmen nach der Farbe und Dichtigkeit des Eises und Schnees; laß aber einmal die Sommerhitze Hinterägyptens auf solche Eisfelder dringen, so wird wohl in Kürze all das Eis zu Wasser werden! Aber wehe den Tälern, die dann von solchem Wasser hoch überflutet werden!

4. Und siehe, was da materiell unvermeidbar wäre, das wird in der Folge geistig sicher um desto weniger ausbleiben!

5. Fangen aber wir schon mit dem Schwerte in der Hand das Evangelium Gottes zu predigen an, so werden wir das Schwert der Welt um desto eher gegen uns erwecken; fangen wir solches mit der Waffe des Friedens an, welche Waffe da Liebe heißt, so werden wir auch vielfach den Frieden finden.

6. Daß es bei solch einer Gabe aus den Himmeln mit der Zeit Kriege und allerlei Kämpfe absetzen wird, solange die Welt der Materie infolge der göttlichen Ordnung das verbleiben wird, was sie allzeit war, noch ist und also sein und bleiben wird, das versteht sich ganz leicht von selbst, und es bedarf da keiner Weissagung; aber eben dadurch, daß den Menschen von irgend reiferer Einsicht das Heidentum auf die Art und Weise des Mathael aus dem handgreiflichen Fundamente lächerlich und dumm in seiner vollsten Leerheit gezeigt wird, werden wenigstens die zu mächtigen und verderblichen Gegenkämpfe nicht in der alles verheerendsten Intensität (Stärke) gegen uns hervorgerufen werden!

7. Wenn du dies von mir dir nun Gezeigte nur ganz wenig gewürdigt hast, so muß dir der vollste Unsinn deiner mir gemachten Weissagung wie eine Mittagssonne einem Siebenjahrschläfer in die Augen fallen!“

8. Sagt Judas: „Ja, ja, du bist wohl stets der weise Thomas, und alles, was ich sage, muß dumm sein! Du hast freilich recht; aber es ärgert mich, daß ich nie recht haben kann! Ich kann mir die Sache schon noch so gut überdenken, bevor ich sie in Worte kleide, – und siehe da, nur den Mund aufgemacht, und alles fällt mich wegen der ausgesprochenen Dummheit an wie der Löwe ein Lamm! Ja, da möchte einer denn doch zerplatzen vor Ärger gleich wie ein aufgeblähter Laubfrosch! Aber ich werde von nun an keine Silbe mehr reden, sondern stumm sein wie ein Stock, dann werdet ihr mir ja etwa doch nichts einzuwenden haben?!“

9. Sagt Thomas: „Ja, tue du das, dann wirst du ein Weiser sein!“

10. Hier beruft Mathael den Thomas und sagt zu ihm: „Ich danke dir im Namen der guten Sache, daß du dem Bruder Judas einen so bescheidenen Verweis gegeben hast. Denn es hat ihm das durchaus nicht im geringsten geschadet, und vielleicht wird ihm das erst einmal in der andern Welt zunutze werden, was er hier als eine Beleidigung seines Verstandes betrachtet; denn von einer inneren Weisheit ist bei ihm noch lange keine Spur und wird höchst wahrscheinlich in diesem seinem Leben auch nie eine sein.

11. Aber für die Folge lasset ihn; denn seine Seele ist nicht von oben her, und sein Geist ist zu klein und zu schwach, um seine weltsteife Seele zu erweichen und zu beleben gleich der eurigen!“

12. Hier trete Ich hinzu und sage zu Mathael: „Wahrlich, ein Rüstzeug, wie du Mir bist, gibt es wenige, und Ich muß dir darum nun Mein Lob erteilen! Fahre du nur also fort, und du wirst für einen andern Apostel, den Ich erst später aus Meinen Feinden erwecken werde, ein tüchtiger Vorläufer sein bei den Heiden! Und nun erst gebe Ich dir die vollste Versicherung, daß du und deine vier Brüder nimmer zurückfallen werdet in die von euch schwer ausgestandene Krankheit! Deine vier Brüder aber wirst dann du zu verteilen haben und ihnen auch zeigen den vollends rechten Weg.

13. Wir werden aber von nun an noch ein paar Tage hier verziehen, und morgen als am Sabbat wird sich hier so manches ereignen, wobei du Mir ganz gute Dienste wirst leisten können; denn du bist einer, der keine Welt fürchtet und keinen Tod, und eben darum bist du Mir ein tüchtiges Rüstzeug.

14. Nun aber führe du Mich zu der Helena hin; denn sie hat eine übergroße geheime Sehnsucht nach Mir, und somit wollen wir sie besuchen und sie stärken!“

15. Sagt Mathael: „O Herr, welch endloseste Gnade für mich! Du, mein Schöpfer, lässest Dich von mir führen zu der hin, die so gut wie ich Dein Geschöpf ist! Aber das Mägdlein ist rein und voll guten Willens; es weiß sicher von keiner Sünde etwas, und es lohnt sich da wohl der Mühe, solch ein Herz zu stärken, durch das späterhin tausendmal Tausende können gestärkt werden!“

Kapitel 110. Das Suchen nach Gott.

1. Nach diesen Worten begeben Ich, der Mathael und unsere Jarah, die nicht von Meiner Seite weicht, uns zu der Helena und zu ihrem Vater Ouran hin.

2. Als Helena Mich auf sich zukommen ersieht, bricht sie in einen Strom von Freudentränen aus und sagt nach einer Weile: „Schon zweifelte ich sehr daran, daß mir diese Gnade zuteil werde, Dich, den Herrn meines Lebens, bei mir zu sehen und zu sprechen! Aber nun ist alles gut! Denn Du, den mein Herz und mein Verstand erst hier gar so endlos wunderbar hat kennengelernt, bist Selbst zu mir gekommen! Oh, nun juble, du mein sonst so armes Herz, laut auf; denn Der, dessen Geist dir deine Pulsschläge von der Wiege bis zum Grabe vorgezählt hat, steht vor dir und bringt dir jene heilige Stärkung, in der dir dereinst dein Tod süßer denn Honigseim schmecken wird!“

3. Darauf wird sie wieder still, und Ich sage zu ihr: „Helena! Herzen, die so lieben wie das deinige, haben ewig keinen Tod zu fürchten und werden solchen nie schmecken, weder süß noch bitter!

4. Denn sieh, Ich Selbst bin ja das Leben und die Auferstehung, und die an Mich glauben und Mich lieben wie du, werden den Tod in Ewigkeit nicht sehen, nicht fühlen und nicht schmecken!

5. Wohl wird dir dereinst der schwere Leib genommen werden; aber dich wird es nicht schmerzlich und wissentlich berühren, sondern in einem Augenblick wirst du verwandelt werden von diesem schweren, unfreien Leben in das hellste Leben deiner Seele durch Meinen Geist der Liebe, der in dir ist und wächst bis zur Vollähnlichkeit mit Meinem ewigen Geiste! – Verstehst du, liebste Helena, solches nun schon?“

6. Helena aber kann vor lauter Ergriffensein kein Wort hervorbringen und weint nun in der lautesten Entzückung ihres Herzens. Es dauert eine geraume Weile, und immer noch ist Helena in ihrem Gemüte so ergriffen über die Freude, daß Ich zu ihr kam, daß sich stets von neuem wieder in Tränen der Freude ihre Zunge lähmt, sooft sie zu Mir weitere Worte des Dankes sprechen möchte.

7. Aber Ich sage darauf abermals zu ihr: „Meine liebste Tochter, mühe dich nicht zu reden; denn diese Sprache deines Herzens ist Mir lieber um vieles denn eine noch so gewählte deines Mundes!

8. Denn sieh, es gibt nun auf der Erde schon einige, und es wird in der Folge noch mehrere geben, die zu Mir sagen werden: ,Herr, Herr!‘ Und Ich werde ihnen erwidern und sagen: ,Was rufet ihr, Fremdlinge?! Ich kenne euch nicht und habe euch noch nie erkannt! Denn ihr seid noch allzeit Kinder des Fürsten der Lüge, des Hochmuts, der Bosheit, der Nacht und aller Finsternis gewesen! Darum weichet von Mir, ihr allzeitigen Täter des Übels!‘ Und Ich sage es dir, daß dann unter ihnen viel Heulens und Zähneknirschens sein wird!

9. Sie werden ihren Gott suchen in endlosen, nie erreichbaren Fernen und Tiefen und werden Ihn nicht finden, dieweil sie es für sich zu gemein fanden, Mich zu suchen in ihrer nächsten Nähe, nämlich im Herzen!

10. Wahrlich, wer Gott nicht sucht, wie du Ihn gesucht hast, der wird Ihn nicht finden, auch in alle Ewigkeit nicht!

11. Gott ist in Sich die reinste und höchst endlos mächtigste Liebe und kann darum nur durch die Liebe gefunden werden!

12. Dich trieb gleich anfangs die Liebe dazu, obschon du zu sündigen wähntest, so du Mich liebtest; und siehe, du fandest Mich. – Ich kam dir mehr denn auf dem halben Wege entgegen, so wie deinem Vater Ouran. Ebenso aber sollen Mich in der Zukunft auch alle, die Mich finden wollen, suchen, und sie werden Mich finden, wie du Mich gefunden hast.

13. Aber die Mich suchen werden mit ihrem hochmütigen Verstande, die werden Mich nicht finden in Ewigkeit!

14. Denn die Mich suchen mit dem Verstand, gleichen einem Menschen, der ein Haus kaufte, von dem er hörte, daß unter dessen Mauern ein großer Schatz verborgen liege. Als das Haus sein ward, fing er an, im selben zu graben bald hier und bald dort; aber er nahm sich keine rechte Mühe, grub ganz leicht nur und fand darum den Schatz nicht, der tief vergraben war. Da dachte er: ,Aha, ich weiß, was ich tun werde; von außen werde ich ums Haus zu graben anfangen und werde so sicher eher auf des vergrabenen Schatzes Spur kommen!‘

15. Und so fing er an, außerhalb des Hauses zu graben, und fand natürlich den Schatz nicht, indem derselbe in der Mitte der Tiefe seines Hauses vergraben war; und je weiter vom Hause er des Schatzes wegen neue Gruben schlug, destoweniger fand er den Schatz, um dessentwillen er doch das ganze Haus gekauft hatte. Denn wer etwas dort sucht, wo es nicht ist und nie sein kann, der kann das Gesuchte auch unmöglich finden.

16. Wer da Fische fangen will, der muß mit dem Netze ins Wasser; denn in der Luft schwimmen keine Fische. Wer Gold graben will, der muß es nicht mit dem Netze im Meere suchen, sondern in der Tiefe der Berge.

17. Mit den Ohren kann man nicht sehen und mit den Augen nicht hören. Jeder Sinn hat seine eigentümliche Einrichtung und ist daher für eine gewisse Verrichtung bestimmt.

18. Ebenso hat das Herz des Menschen, das mit Gott zunächst verwandt ist, allein die Bestimmung, Gott zu suchen und auch zu finden und dann aus dem gefundenen Gott zu nehmen ein neues, unverwüstliches Leben. Wer aber Gott mit einem andern Sinne sucht, der kann Ihn ebensowenig finden, als ein Mensch, der sich die Augen fest verbindet, mit dem Ohre oder mit der Nase die Sonne finden und schauen kann.

19. Der rechte und lebendige Sinn des Herzens aber ist die Liebe. Wer demnach diesen innersten Lebenssinn recht erweckt und mit ihm Gott zu suchen beginnt, der muß Gott auch ebenso bestimmt und beschaulich finden, als ein jeder Mensch, so er nicht völlig blind ist, mit seinem Auge die Sonne alsogleich finden muß und schauen ihre Lichtgestalt.

20. Wer aber ein weises Wort hören will, darf sich nicht die Ohren verstopfen und mit dem Auge hören wollen; denn das Auge sieht wohl das Licht und alle die erleuchteten Formen, aber die geistigere Form des Wortes läßt sich nicht beschauen, sondern nur anhören mit dem Ohre. – Verstehst du alles das wohl?“

Kapitel 111. Das Vereinigtsein mit Jesus.

1. Sagt endlich Helena, die sich von ihrer zu großen Herzensfreude ein wenig erholt hatte: „O ja, ich habe das alles wohl verstanden; denn Deine Worte haben alle Licht, Kraft und Leben und entströmen Deinem heiligen Mund so hell und klar wie die reinste Quelle der Trift eines Hochgebirges, erleuchtet von der Morgensonne. Aber was soll ich tun, um mein Herz nur um ein weniges mehr zu beruhigen!? Herr, töte mich, wenn ich frevle; aber meine Liebe zu Dir überschreitet nun alle meine Lebensgrenzen! Oh, laß doch nur zu, daß ich Deine Hand anrühre!“

2. Sage Ich: „O tue das immerhin! Was dir dein Herz aus seiner Tiefe heraus gebietet, das tue du, und es wird das nie gefehlt sein; dessen kannst du vollends versichert sein!“

3. Hierauf ergriff die Helena Meine linke Hand und drückte sie mit aller Gewalt an ihr Herz, weinte abermals vor noch größerer Freude und sagte schluchzend: „Oh, wie glücklich müssen die sein, die immer um Dich, o Herr, sein können! O könnte doch auch ich also stets um Dich sein!“

4. Sage Ich: „Wer im Herzen bei Mir ist, um den bin Ich immer, und er ist auch immer um Mich, und darin liegt eigentlich die Hauptsache! Denn was nützt es einem, der wohl persönlich nun auf dieser Erde stets um Mich ist, sein Herz aber dennoch stets ferne von Mir hält und es lieber an die tolle Welt hängt?! Wahrlich, der ist dennoch entfernter von Mir als alles, was du dir nur immer am allerweitesten entfernt denken kannst!

5. Wer aber im Herzen Mir so nahe ist wie du, Meine lieblichste Helena, der ist und bleibt Mir auch dann stets gleich nahe, so Mich äußerlich erscheinlich noch ein viele tausend Male größerer Raum von ihm trennte, als der da ist zwischen uns nun und dem letzten und kleinsten Sterne, den dein Auge auf Augenblicke nur aus der endlosen Ferne herabschimmernd erblickt.

6. Ja, Ich sage es dir, wer Mich liebt wie du und lebendig glaubt, daß Ich es bin, auf dessen Darniederkunft die Väter harrten, der ist also völlig eins mit Mir, wie Ich, wie du Mich hier fühlst, völlig eins bin mit Meinem Vater im Himmel! Denn die Liebe vereinigt alles; Gott und Geschöpf werden eins durch sie, und kein Raum kann das mehr trennen, was die wahre und reine Liebe aus der tiefsten Tiefe der Himmel heraus vereinigt hat.

7. Durch deine Liebe wirst du also stets in der nächsten Nähe um Mich sein, wenn dich auch in dieser Welt auf eine kurze Zeit der Raum von Meiner Person trennen wird; einst aber, drüben in Meinem Reiche des reinsten Geistes und der vollsten Wahrheit, wirst du dann ohnehin ewig nimmer von Mir getrennt werden! – Hast du, Meine lieblichste Helena, nun das Gesagte wohl so ein wenig verstanden?“

8. Sagt Helena: „Wie sollte ich das nicht!? Denn es ist nun in mir ja also licht und hell, als wäre in mir eine wahre Sonne aufgegangen, und es kommt mir darum auch alles überhell verständlich vor, was Du, o Herr, zu mir redest, und mein Herz faßt Deiner Rede tiefsten Sinn. –

9. Aber nun kommt eine andere hochwichtige Frage aus einem noch nicht ganz völlig erleuchteten Winkel meines Herzens, und diese lautet: Wie wirst du denn je Dem danken können, der dich denn nun mit einer so überschwenglichen Gnade über alle die Maßen überhäuft hat? Die noch so mächtige Liebe kann ja doch nicht als ein Dank gelten; denn sie ist ja selbst, wie das ganze Leben, ein Gnadengeschenk von Dir! Welch ein Opfer und welche Deiner würdige Gegengabe kann ich als Geschöpf Dir, meinem Schöpfer, als den gebührendsten Dank für so viel unschätzbare Gnaden darbringen? Siehe, o Herr, da ist es bei allem Sonnenlichte in meinem Herzen dennoch dunkel, und es will sich keine Antwort auf solch eine höchst wichtige Frage finden lassen! O Herr, möchtest Du da nicht auch durch ein gnädiges Wörtlein meinem Herzen aus der Verlegenheit helfen?“

Kapitel 112. Wie man Gott danken kann und soll.

1. Sage Ich: „O du liebe Helena! Was von der Welt solltest du Mir opfern, das nicht ohnehin Mein wäre, und das Ich zuvor etwa der Welt nicht gegeben hätte?!

2. Siehe, das wäre denn doch eine sehr eitle Forderung von Mir und stünde im vollsten Widerspruch mit Mir und Meiner ewigen Ordnung!

3. Siehe, die Liebe tut alles! Wer Mich über alles liebt, der bringt Mir auch das größte Opfer und den Mir allerwohlgefälligsten Dank; denn der opfert Mir gleich die ganze Welt.

4. Nebst der Liebe zu Mir aber gibt es noch eine andere Liebe, die Nächstenliebe nämlich. Die Armen am Geiste und an den zeitweilig nötigen irdischen Gütern sind die wahren Nächsten; was jemand in Meinem Namen denen tut, das tut er Mir.

5. Wer einen Armen aufnimmt in Meinem Namen, der nimmt Mich auf, und es wird ihm vergolten werden am jüngsten Tage; und wer einen Weisen aufnimmt um der Weisheit willen, der wird auch eines Weisen Lohn ernten; und wer einem Durstigen auch nur einen Becher frischen Wassers reicht, der wird ihm mit Wein vergolten werden in Meinem Reich.

6. Wenn du aber Wohltaten an den Armen übst, da tue solches im verborgenen mit aller Freundlichkeit und zeige es nicht der Welt; denn der Vater im Himmel sieht es, und des freundlichen Gebers Gabe wird ihm angenehm sein, und Er wird sie dem Geber ersetzen hundertfach.

7. Wer aber mit seinem Wohltun nur vor der Welt prunken will, der hat seinen Weltlohn sich auch schon genommen und hat fürder keinen mehr zu erwarten.

8. Siehe, darin besteht die Mir allein wohlgefällige Opfer- und Dankesart, und außer der gibt es gar keine mehr; denn alle die Brand- und sonstigen Opfer sind ein Ekelgeruch vor den Nüstern Gottes, und alles Lippengebet ist ein Greuel vor Gott, wo (bei dem) die Herzen ferne sind von der wahren Liebe zu Gott und den nächsten armen Brüdern!

9. Wem kann das unsinnige Geplärr in den Tempeln etwas nützen, wenn man der tausend armen und hungrigen Brüder außerhalb der Tempel nicht gedenkt?!

10. Gehet und stärket zuerst die Notleidenden, speiset die Hungrigen, tränket die Durstigen, bekleidet die Nackten, tröstet die Traurigen, erlöset die Gefangenen und prediget den im Geiste Armen das Evangelium, dann werdet ihr besser tun um endlos vieles, als so ihr Tag und Nacht plärrtet in den Tempeln mit euren Lippen, eure Herzen aber wären kalt und unempfindlich gegen eure armen Brüder!

11. Sieh an die Luft, die Erde, das Meer; sieh an den Mond, die Sonne, die Sterne; sieh an die Blumen der Felder und die Bäume, und betrachte die Vögel in der Luft, die Fische im Wasser und all das Getier auf den Festen der Erde; sieh an die hohen Berge und alle die Wolken und die Winde; siehe, alles das verkündet laut die Ehre Gottes, und doch sieht Gott nicht und nimmer eitel wie ein Mensch auf all das, sondern allein nur auf ein Menschenherz, das Ihn erkennt und liebt als den allein wahren, guten, heiligen Vater. Wie soll Ihm dann ein verkehrtes Herz gefallen oder eine eitle Zeremonie mit allerlei Lippengeplärr, dahinter nichts als die bellendste Selbstsucht, Ehrsucht, Herrschgier, allerlei Hurerei und Lüge und Betrug lauern?!

12. Daher weißt du nun, daß fürs erste Gott nicht vonnöten hat, die Ehre von den plärrenden Menschen zu nehmen; denn die ganze Unendlichkeit ist Seiner Ehre voll.

13. Welche Ehre aber will dann der dumme, blinde Mensch Gott geben, da er doch selbst keine andere hat als die nur, die er zuvor von Gott empfing durch die Gnade, ein Mensch zu sein?! Oder kann das Gott zu irgendeiner Ehre gereichen, wenn die Menschen Ihm einen Ochsen opfern und behalten dafür ihre ungeschlachten Herzen und sind nach dem vollbrachten Opfer noch zehnmal ärger, als sie vor dem Opfer waren?!

14. Oh, Ich nehme von den Menschen keine Ehre; denn da ist der Vater im Himmel, der Mich ehret zur Übergenüge! Wenn aber die Menschen Meine Gebote halten und Mich dadurch über alles lieben, so ehren sie dadurch Mich und Meinen Vater, und Ich und der Vater aber sind vollkommen eins.

15. Wenn also, wie es der vollsten und ewigen Wahrheit nach ist, so kann der Mich nicht verunehren, der da tut den Willen Gottes, wie solchen Moses und alle die Propheten verkündet haben, und wie Ich Selbst ihn euch allen laut verkünde.

16. Verstehst du nun, wie man Gott zu danken hat und wie zu loben für all das empfangene Gute?“

Kapitel 113. Die Zukunft der reinen Gotteslehre.

1. Sagt Helena, ganz durch und durch ergriffen von der Wahrheit dieser Meiner Belehrung: „O Herr, jedes Deiner heiligen Worte hat in meinem Herzen einen tausendfachen Widerhall gefunden, und wie ein Ton stimmte es in meiner Seele: Das ist die reinste und göttlichste Wahrheit!

2. Aber solch eine Lehre kann auch nur ein Gott den Menschen geben; denn dahin reicht kein menschlicher Sinn! Ja, nun weiß ich viel und weiß es genaust, was ich für die Zukunft werde zu tun haben!

3. Oh, wie gar so herrlich ist es, den Willen des alleinig wahren Gottes zu erfahren und mit allen Lebenskräften danach zu handeln; aber wie bitter handeln ist es, wo der menschliche Hochmut Gesetze gibt und darunter setzt: Das ist Gottes Wille!

4. Immer dachte ich mir's, daß ein wahrer Gott auch nur einen vollkommen wahren Willen haben kann, der mit sich ewig in keinem Widerspruche stehen kann wie die menschlichen Gesetze, von denen oft eins das andere aus dem Fundamente total aufhebt; hält man es, so fällt man in die Strafe zufolge eines früheren sanktionierten Gesetzes, und hält man es nicht, so straft einen das neue Gesetz! Frage: Wer kann da Mensch sein und leben?!

5. Nehmen wir unsere alten Göttergesetze! Da hieß es aus dem Munde der schlauen Priester: ,So du opferst dem Pluto, so erzürnst du den Zeus, und opferst du dem Zeus, so erzürnst du den Pluto; aber so du opferst deren Priestern, die es allein wissen, den Zorn der Götter zu beschwichtigen, so tust du wohl!‘ Denn sie allein seien die effektreichen Vermittler zwischen den Göttern und den Menschen. Da haben die Priester dann alles Opfer an sich gezogen und ließen sich vom armen, blinden Volke, das von ihnen um nichts und wieder nichts ausgesogen ward, dazu noch eine göttliche Verehrung erweisen, und alles Volk mußte zittern vor ihrer Macht. Oh, das kann, das wird diese reinste Lehre wohl sicher ewig nimmer gestatten!“

6. Sage Ich: „Das kümmere dich nicht! Aber es ist am Ende mit allem, was von oben noch so rein kommt, ob Geistiges oder Materielles, ein Gleiches; wie es nur den Boden der Erde berührt, da wird es auch schon unrein und unlauter.

7. Siehe an einen Regentropfen! Kein Diamant könnte reiner sein als so ein Regentropfen; sowie er aber den Boden der Erde berührt, ist es mit seiner Reinheit schon gar!

8. Geh auf einen Berg, und du wirst dich über die Reinheit der Luft nicht genug verwundern können; siehe aber hinab ins Tal, und du wirst in der Reinheit zwischen oben und unten einen großen Unterschied finden!

9. Wie rein fallen die Schneeflocken aus den Wolken! Siehe den früher so blendend weißen Schnee nach zwei Monden an, und du wirst ihn schon sehr bedeutend schmutzig finden!

10. Siehe an den Wind, wenn er von der Höhe in die Täler herabweht, wie sehr er gleich durch den lästigen Staub getrübt wird, und sogar die Sonne und der Mond und die Sterne verlieren viel von dem Glanze, wenn sie sich dem Horizonte nähern; ja, selbst der Lichtstrahl der Mittagssonne wird oft nur zu leicht und zu sehr durch die Dünste der Erde getrübt, so daß man am Ende die ganze Sonne trotz ihres allerhellsten Lichtes nicht mehr insoweit sehen kann, daß man mit einiger Sicherheit sagen könnte: Siehe, hier oder dort steht sie!

11. Und so geht es auch stets mit allen Geistesgaben aus den Himmeln; mögen sie in ihrem Entstehen noch so rein sein, so werden sie mit der Zeit durch die weltschmutzigen Interessen dennoch also getrübt wie alles, was Ich dir soeben gezeigt habe.

12. Und so wird es wohl auch dieser Meiner allerreinsten Lehre ergehen; da wird kein Häkchen unbekrittelt und unbenagt verbleiben!

13. Den Tempel, den Ich nun aufbaue, werden sie ebenso zerstören, wie in nicht gar zu ferner Zeit die Römer den Tempel zu Jerusalem zerstören werden, wo kein Stein auf dem andern bleiben wird!

14. Aber diesen Meinen Tempel werde Ich wieder erbauen; aber den steinernen zu Jerusalem nimmer! Aber um das alles kümmere du dich nicht; denn Ich weiß um alles, und warum es also geschehen muß!

15. Denn sieh, kein Mensch achtet das Licht am Tage und die Wärme im Sommer für etwas; wenn aber dann kommt die Nacht, dann wird das Licht teuer, und man lernt die Wärme erst im kalten Winter schätzen.

16. Und ebenalso geht es auch mit dem geistigen Lichte und mit der geistigen Wärme. Wer im Freien umherwandelt, der achtet der Freiheit kaum; wenn er aber gefesselt im Kerker schmachtet, oh, da weiß er erst, welch ein großes Gut die Freiheit ist!

17. Und siehe nun, du Meine allerliebste Helena, darum werden denn auch Trübungen alles Reinen zugelassen, auf daß der Mensch erst in größter Trübsal den Wert des reinen Lichtes kennenlernt!

18. Kommt dann in der großen Nacht das reine Licht wieder zum Vorschein, so wird bald alles, was da atmet und lebt, sich zum Lichte hinziehen, wie im Winter der Lieblosigkeit der Menschen sich bald alles um ein warmes Herz wird zu lagern beginnen, gleichwie die von der Winterkälte durchfrorenen Armen um das angemachte Feuer eines Kamins.

19. Das aber sage Ich nur dir und noch wenigen andern. Dies behalte aber ein jeder bei sich und trage es nicht weiter aus; denn in diesem besteht Meine Lehre nicht! Ich habe es dir, du lieblichste Helena, nur gesagt zu deiner eigenen Beruhigung; aber einen Dritten soll das wenig oder gar nichts angehen! Für alles das notwendige Äußere wird schon von Mir aus gesorgt, und es genügt für jeden Menschen, so er nur sorgt für die Reinigung des höchst eigenen Herzens; ist das in der Ordnung, so wird dann schon auch alles Äußere wie von selbst in die beste Ordnung kommen. – Hast du, Meine Helena, nun auch dieses alles ganz wohl und ordentlich verstanden?“

20. Sagt Helena: „O ja, Herr! Es ist leider eben nicht sehr erheiternd, solches im voraus zu erfahren; aber es hat dennoch alles wieder seinen guten und höchst weisen Grund, und Du sorgst sicher stets nur für das geistige Beste der Menschen, und es muß darum schon also kommen, wie Du, o Herr, in Deiner unendlich gnädigen Herablassung es mir nun geoffenbart hast! Dein Wille geschehe in aller Zeit wie auch in aller Ewigkeit!“

21. Nach diesen Worten kam die Helena in einen förmlichen Liebesschlummer und behielt Meine Hand fest an ihre Brust gedrückt, was Meine Jarah fast ein wenig zu schmerzen begann, weil Ich während der Unterredung mit der Helena zu ihr nichts gesagt hatte; aber der Schmerz legte sich gleich wieder, als Ich sie freundlich ansah.

Kapitel 114. Aufschluß über das Erwachen im Geist.

1. Nach einer kurzen Weile aber sagte die Jarah, durch Meinen freundlichen Blick mehr in sich gerückt: „Herr, Du meine alleinige Liebe! War ich etwa doch nicht, Dich beleidigend, ein wenig zu vorlaut mit meiner anscheinenden Eifersucht wegen dieser herrlichsten Helena? Und war ich's, so vergib es mir, Du meine alleinige Liebe!“

2. Sage Ich: „Sei ruhig, Meine Tochter! Kann doch selbst ein böser Mensch durch die Liebe nicht beleidigt werden, wie möglich dann erst Ich! Liebtest du Mich weniger, so würdest du dich nicht fürchten, daß etwa Meine Liebe zu dir darum schwächer werden könnte, so Ich auch diese Helena mit aller Liebe ergreife; aber weil du Mich wirklich über alles liebst, so hatte dich auf einige Augenblicke solch eine Furcht angewandelt, und das geschah dir bloß aus dem Grunde, weil du auf eben ein paar Augenblicke aus den Augen deiner Seele verloren hast, wer Ich so ganz eigentlich bin. Nun du aber darin wieder ganz helle geworden bist und nun wohl weißt, wer Ich bin, so beirrt dich die Helena nicht mehr.

3. Sieh an die Sonne am Firmament, wie sie die Blumen des Feldes beleuchtet! Sage: Wäre es nicht töricht von irgend einer Blume, so sie darum grämlich würde auf die Sonne, weil sie auch ihrer Nachbarin ein gleiches Maß Lichtes zukommen läßt?

4. Sieh an die großen Sterne, von denen es dir vergönnt war, ein paar in der Nähe und in ihrer Natur zu besehen! Siehe, diese alle und noch endlos viele mehr, die keines Menschen fleischlich Auge je schauen wird, bestehen und leben aus Meiner Liebe! So aber Meine Liebe für diese endlos vielen und großen Kostgänger ausreicht für Ewigkeiten der Ewigkeiten, wie kannst du, Mein liebstes Töchterlein, je in eine Art Furcht kommen, als könntest du ob der Helena bei Mir in der Liebe zu kurz kommen?! Siehst du nun das Eitle deiner ein paar Augenblicke lang währenden Furcht, als könntest du in der Liebe bei Mir verkürzt werden?“

5. Sagt die Jarah: „Ja, Herr, Du meine Liebe, Du mein Leben, ich will von nun an eine rechte Freundin der lieben Helena sein und will von ihren Tugenden welches und welches (so manche) mir zu eigen machen. Ach, wären doch meine älteren Schwestern auch so gestimmt wie diese Helena, was wäre das für eine Freude für mich! Aber die sind weltlich gesinnt, und es ist mit ihnen von geistigen Dingen nicht viel zu reden; da sind die Töchter des alten Markus viel brauchbarer denn meine Schwestern! Wenn es nur da ein Mittel gäbe, meine Schwestern geistiger zu machen!“

6. Sage Ich: „Ei, laß das, und wenn du nach Hause kommst, so wirst du deine Schwestern schon auch fürs Geistige empfänglicher finden, als sie früher waren! Zudem bleibt dir ja dein Raphael zur Seite, und mit ihm wirst du deine Schwestern und Brüder schon auch noch zurechtbringen.

7. Übrigens geht das bei mehr weltlich gesinnten Menschen eben nicht so schnell, als man sich's vorstellt. Es gehört oft viel Zeit und Geduld dazu, um eine Seele von aller Schlacke zu reinigen.

8. Bevor aber solch eine totale Reinigung nicht erfolgt ist, läßt sich mit dem Grundgeistigen nicht viel machen; denn damit den Verstand beschäftigen, heißt ein Haus auf dem Sande bauen.

9. Da muß das Herz die Sache ergreifen; ist aber dieses noch voll Materie, so kann ja darin das Reingeistige keinen Anhaltspunkt finden! Daher mußt du bei deinen Schwestern auch vor allem darauf sehen, daß ihre Herzen von allem, was materiell ist, völlig frei werden, dann wirst du eine leichte Arbeit mit deinen Schwestern haben, derer du dich nun gar kümmerst; aber Ich lobe deinen Kummer und sage es dir, daß er nicht mehr lange andauern wird! – Hast du, Meine allerliebste Jarah, auch das nun so ganz wohl und klar begriffen?“

10. Sagt Jarah: „O ja, insoweit ein Mädchen von vierzehn Jahren so etwas Geistiges begreifen kann! Es mögen hinter dem von Dir nun mir Gesagten wohl noch endlose Tiefen verborgen sein, die mein Gemüt noch lange nicht ergründen wird; aber was sich für den Augenblick des Erdenlebens zwecklich begreifen läßt, das glaube ich wohl begriffen zu haben, und Du, o Herr, wirst den Verstand meines Herzens sicher nicht zuschanden werden lassen. Aber unsere liebste Helena ist nun fest eingeschlafen, und ich werde mit ihr sonach nicht viel reden können!“

11. Sage Ich: „Das macht ja nichts; denn wir haben ja noch Menschen genug um uns, mit denen wir uns ganz gut besprechen können, so wir schon durchaus mit jemand sprechen müssen! Es wird sich aber bald etwas ereignen, das wieder alle unsere Aufmerksamkeit in den vollsten Anspruch nehmen wird, und es wird dann wieder wenig Zeit zum leeren Reden übrigbleiben!“

12. Fragt schnell Jarah: „O Herr, was wird denn geschehen?“

13. Sage Ich: „Sieh, das brauchst du zum voraus ja gar nicht zu wissen; wenn es geschehen wird, dann wirst du es noch immer früh zur Übergenüge erfahren!“

14. Fragt Mich nun gleich auch der Mir gegenüber mit dem Mathael auf einer Rasenbank ruhende Ouran: „Herr, wird uns allen irgendeine anscheinende Gefahr drohen?“

15. Sage Ich: „Uns wohl kaum, aber andern Menschen, die nicht bei Mir sind auf diesem Hügel! Richtet eure Augen nur nach Cäsarea Philippi hin, und ihr werdet es bald entdecken, von wannen der Wind kommen wird!“

Kapitel 115. Die Folgen der Naturereignisse in Cäsarea Philippi.

1. Die Cäsaräer waren in großer Furcht ob der Erwartung der schrecklichen Dinge, die da nach ihrer Meinung über den Erdkreis kommen sollen. Die Juden erwarteten das Danielsche Gericht und die Heiden den Götterkrieg, und das gemeine Volk empörte sich, indem es seinen Vorgesetzten allen weiteren Gehorsam versagte und selbst alles zu zerstören begann, was ihm nur unterkam; kurz, es entstand in der Stadt nach ein paar Stunden die größte Anarchie, an der aber zumeist die dummen Priester schuldeten.

2. Denn es gab einige in der ägyptischen Weisheit und Erfahrung Unterwiesene unter ihnen, die sich aus der plötzlich verschwundenen Scheinsonne eben nicht gar zuviel machten, weil sie es vernommen hatten aus den alten ägyptischen Sagen, daß solche Phänomene (Erscheinungen) schon zu öfteren Malen ohne weiteren Schaden für die Erde stattgefunden hatten; und einige jüdische Pharisäer wieder meinten bei sich, daß etwa irgendein zweiter Josua auferstanden sei und irgendeiner wichtigen Handlung wegen wieder der Sonne länger als sonst zu leuchten befahl!

3. Auch war bei einer gewissen Sekte der Juden der Glaube, daß die Sonne zum ewigen Gedächtnisse alle hundert Jahre am Tage der gänzlichen Besiegung Jerichos länger am Himmel verweile ohne irgendeinen weiteren bösen Einfluß auf die Erde; diese Pharisäer hatten sonach auch fast gar keine Furcht bei der stattgefundenen Erscheinung.

4. Etliche morgenländische Magier, die bei Gelegenheit ihrer Reisen auch in der Stadt zugegen waren, sagten, daß die Sonne allzeit, sooft sie am Tage völlig verfinstert werde, dafür hernach des Abends länger leuchte, um der Erde den Schaden wieder zu ersetzen, den sie derselben durch ihre Tagesverfinsterung verursacht habe. Diese hatten darum auch keine Angst vor der stattgehabten Erscheinung; aber allesamt wollten sie sich diese Erscheinung zunutze machen, daß sie dem Volke eine rechte Höllenangst eintrieben.

5. Das Volk griff zwar nach dem Erlöschen der Scheinsonne zu allen Versöhnmitteln, die ihm die Priesterschaften anrieten; aber für die bodenlose Habsucht der Priester war das alles noch viel zuwenig, denn das Volk gab denn doch noch nicht gar alles her, was es irgend an Köstlichkeiten und andern wertvollen Dingen besaß.

6. Solche Lumperei aber merkte ein alter, ehrenhafter Grieche, der auch ein tüchtiger Naturweiser war, nahm schnell einige mehr Nüchterne zu sich in sein Haus und erklärte ihnen, so gut es nur immer möglich war, in aller Kürze die ganz natürliche und gänzlich unschädliche Möglichkeit einer solchen Erscheinung, – machte sie aber danebst auf die gewissenloseste Lumperei der Priesterschaften aufmerksam mit dem Beisatze: „Seht, wenn von der stattgehabten seltenen Erscheinung etwas zu befürchten wäre, so würden die pfiffigeren Priester nicht so emsig mit ihren Säcken in den Gassen herumrennen und allerlei unerhörte Opfer erpressen! Wenn dann nach etlichen Stunden die Sonne ganz sicher wieder wie stets ganz rein aufgehen wird, so werden diese Menschenbetrüger abermals durch alle Gassen rennen und von den Menschen Dankopfer verlangen! Geht und saget das dem armen, betrogenen Volke, daß der alte, weise Grieche ihm das sagen lasse!“

7. Nun, dieser alte, griechische Naturweise hatte einen guten Ruf beim gemeinen Volke, und seine Aussage ging wie ein Lauffeuer unter das Volk. In kaum einer Stunde darauf kehrte sich das jüngste Gericht um, und die Priesterschaften mußten alle Opfer wieder herausgeben und darauf so geschwind als nur immer möglich das Weite suchen; denn das Volk wurde immer bitterer, und es war kein gesalbter Diener der Götter mehr seines Lebens sicher.

8. Das sah Ich natürlich zum voraus ein und machte darum den Ouran gerade im Momente darauf aufmerksam, als man eben etliche Augenblicke darauf schon die unverkennbaren Spuren des Volksaufstandes gegen das Priestertum zu entdecken begann, – obschon es dennoch viele gab, die da außer der Stadt auf schreckliche Dinge unter großer Angst warteten.

9. Bald nach Meiner Ankündigung bemerkte man, wie auf einmal mehrere Gebäude zu brennen anfingen und ein großes Geheul sogar bis zu unsern Ohren zu dringen begann.

10. Hier kam eiligst der Cyrenius mit dem Julius zu Mir und fragte Mich ängstlich, was es etwa in der Stadt gäbe; denn die ganze Geschichte scheine ihm einem Volksaufstande sehr ähnlich! Ich aber erzählte ihm und dem Julius ganz kurz den ganzen Sachverhalt, wie Ich ihn soeben enthüllte.

11. Als Cyrenius und Julius solches vernahmen, wurden sie wieder ganz ruhig und fragten Mich bloß, ob daraus nur keine andern, schlimmen Folgen zu gewärtigen sein würden.

12. Und Ich sagte: „Nicht die geringsten für euch, wohl aber für die dortigen Priesterschaften; denn nun versöhnt das kluge gemeine Volk die Götter mit den Brandopfern, indem es die Wohnhäuser der Priester und die Tempel der Götter verbrennt! Und um diese Priester wird euch etwa doch nicht leid sein, denn diese zu arge Schlangenbrut muß einmal ausgerottet werden! Die Scheinsonne hatte ein gutes Licht; denn es deckte dem blinden Volke die Schändlichkeiten seiner Gottesdiener auf, und diese bekommen nun ihren schon wohlverdienten Lohn!“

Kapitel 116. Des Markus Freude über die Züchtigung der Priester.

1. Hier erwachte auch Helena wieder aus ihrem sanftesten und seligsten Liebesschlummer und erschrak nicht wenig, als sie die starke Regsamkeit unter den Menschen auf dem Berge bemerkte und zugleich die in Flammen stehende Stadt. Aber die Jarah faßte sie gleich bei der Hand und erklärte ihr den ganzen Sachverhalt, worauf Helena sich schnell beruhigte und sagte: „Es ist mir im Gemüte schon vor einer guten Stunde also vorgegangen, als stünde dieser Stadt bald nach dem schnellen Verschwinden der Scheinsonne ein solches Los nahe unvermeidlich bevor; und siehe da, es ist schon der Vollzug solcher meiner etwas trüben Ahnung vor unseren Augen und Ohren! Du, Herr, hast aber solches sicher auch schon mit der Scheinsonne vorgesehen, und es kommt erst jetzt der eigentliche Grund zum Vorschein, warum Du sie hast leuchten lassen!“

2. Sage Ich: „Ja, ja, du Mein liebes Kindlein, es möchte sich die Sache wohl also verhalten! Ein Licht, das Ich an das Firmament gestellt habe, hat stets eine Menge guter Zwecke und nicht bloß den des Leuchtens, was eigentlich nur ein sehr untergeordneter Nebenzweck ist.

3. Sieh an das Licht der Sonne! Das Leuchten für sich wäre wohl etwas höchst untergeordnet Geringes; aber betrachte du alle die freien und unfreien Geschöpfe der Erde ihrer äußeren Natur nach, und du wirst da Wirkungen des Lichtes und der Wärme der Sonne entdecken, von denen es noch keinem Naturweisen der Erde etwas geträumt hat! Alles Wirkungen des Sonnenlichtes!

4. Schon diese Erde hätte dir so viele und mannigfache Wunderdinge als Wirkungen des Sonnenlichtes aufzuweisen, daß du sie in vielen tausend Jahren mit den fleischlichen Augen nicht überschauen und noch weniger überzählen könntest!

5. Aber um diese Sonne, deren Licht schon auf dieser Erde so große Wunderdinge hervorruft, kreisen noch viele andere und noch größere Erdkörper, auf denen dasselbe Licht ganz neue und auf dieser Erde unahnbare Wunder hervorruft, und das auf jedem von dieser Sonne beleuchteten Weltkörper ganz neue und auf keinem andern Weltkörper vorkommende! Und siehe, alles Grund und Wirkung eines und desselben Lichtes!

6. Und so kannst du schon ganz sicher annehmen, daß Ich die Scheinsonne auch nicht bloß des etwas längeren Leuchtens wegen scheinen ließ! – Was meinst du da, Meine lieblichste Tochter?“

7. Sagt Helena: „O Herr, Du Großer, Du allein Heiliger, da hört wohl jede menschliche Meinung für ewig auf! Denn zu endlos groß und weise bist Du, und wer kann ergründen die Tiefen Deiner Allmacht?!

8. Es ist schon etwas endlos Großes, daß ich Dich über alles lieben kann und kann seligst sein in solcher Liebe, deren mein Herz freilich ewig nicht völlig wert sein wird! Aber dein heilig göttlich unerforschbares Wesen weiter erforschen wollen, würde ich für die größte Raserei eines menschlichen Herzens halten! Das, o Herr, ist meine Meinung!

9. Über alles zu lieben bist Du wohl, und das halte ich schon für die höchste Seligkeit; aber zu erforschen bist Du von keinem Geiste in Ewigkeit!“

10. Nach diesen von der großen Liebe zu Mir noch ganz trunkenen Worten der schönen Helena kommt der alte Markus und sagt: „Herr, bei dem Feuer werden etwa wohl die vielen und schönen Fische, welche ich an die jüdische Priesterschaft als Zehent abgeben mußte, auch ganz gehörig abgesotten und gebraten werden!? Du weißt es, o Herr, daß ich aus meinem ganzen Herzen gegen jedermann nach meinen Kräften gastfreundlich bin. Wahrlich, mir hat es als Geber, so ich jemand etwas geben konnte, noch allzeit vielleicht mehr Freude gemacht als dem, der es von mir empfangen hatte; aber der Zehent an die Pharisäer hat mich in die Seele hinein geärgert! Und wie ich es bemerke, so stehen zumeist die Judenpriesterhäuser in den allerschönsten Flammen! Das ist ein guter Zahltag für diese allergewissenlosesten Müßiggänger und Volksbetrüger! Das ist mir nun lieber, als wenn mir jemand zehn der schönsten Häuser in der Stadt geschenkt hätte! Ich bin wahrlich nie ein schadenfroher Mensch gewesen; aber diesmal – vergib es mir, o Herr – bin ich es im Vollmaße!

11. Denn jemandem, der bedürftig ist, etwas geben, ist eine Seligkeit für ein gutes Menschenherz, und einem Arbeiter den verdienten Lohn und noch darüber darreichen, ist eines Menschen heiligste Pflicht. Und einem Landesherrn die bemessenen rechtlichen Steuern bezahlen, ist auch eine heilige Pflicht eines jeden biederen Staatsbürgers; denn der Landesherr hat große Sorgen und Auslagen für die Ordnung und Sicherheit in seinen Landen, und die Untertanen sind verpflichtet durch die Nächstenliebe, alles gerne zu tun, was der Landesregent für den ganzen Staat als heilsam erkennt und von den Untertanen verlangt.

12. Es kann unter den Regenten wohl auch selbstsüchtige Tyrannen geben, die das Volk völlig aussaugen; aber auf einen Tyrannen kommt gewöhnlich wieder ein guter Regent, und das Volk erholt sich bald wieder.

13. Das Priestertum aber bleibt sich gleich; es tyrannisiert vampirartig ein Jahrtausend hindurch das Volk, besteuert es oft auf eine unerhört schmähliche Weise und gibt dem Volke nichts dafür als den dicksten Betrug, und das womöglich nach allen nur erdenklichen Richtungen hin! Ja, da muß ein Ehrenmensch denn doch Gott den Herrn loben und preisen, so Er einmal über diese siebenfachen Menschenhasser und Menschenbetrüger ein Gericht ergehen läßt! Und so tut es meinem Herzen nun ordentlich balsamisch wohl, so ich die schönen Wohnhäuser und Synagogen besonders der jüdischen Pharisäer von den schönsten Flammen zugedeckt ersehe und das gerade dazu noch an einem Vorsabbate. Morgen ist Sabbat, und die Kerle dürfen da weder sammeln noch etwas anderes tun; oh, diese schöne Lektion haben diese alten, unersättlichen Bösewichte schon lange verdient!“

14. Sage Ich: „Aber weißt du es denn, daß diese Beleuchtung der Stadt gerade den Pharisäern und auch den heidnischen Priestern gilt?“

15. „Oh“, sagt Markus, „ich war ja nun unten im Hause und habe für morgen etwas angeordnet wegen der Armen, die mich morgen besuchen dürften, und da kamen dir drei junge Griechen, denen ich Brot und Wein geben ließ, und erzählten mir im Fluge, wie es nun in der Stadt zugeht; und ich hätte ihnen ein jedes Wort mit einer großen Perle bezahlen mögen, so eine Freude habe ich darüber gehabt! Die Scheinsonne hat diese schöne Wirkung hervorgebracht!“

16. Sage Ich: „Aber morgen wirst du deine Freude dennoch bezahlen müssen; denn viele von den Pharisäern werden an deine Tische kommen.“

17. Markus: „Recht gerne, wegen dieser Freude will ich die Kerle acht Tage lang verköstigen, vielleicht wird dabei doch einer oder der andere ein Mensch; – bei Dir, o Herr, sind alle Dinge möglich!“

Kapitel 117. Tadel der Schadenfreude.

1. Nach diesen und noch einigen Beifallsbezeigungen von seiten des Markus und von mehreren, die den alten Markus angehört hatten, bemerkt Helena eine außerordentlich weißhelle Flamme hoch emporschlagen, so daß davon die ganze Gegend hell erleuchtet war; auch Cyrenius bemerkt diese Flamme aus der Mitte der Stadt emporgehen, und die Flamme ward stets heller und größer und höher.

2. Nun, in der Nacht aber hat ein jedes Licht die gesichttäuschende Eigenschaft, daß es einem in der Schaulehre unbewanderten Menschen stets näher zu kommen scheint, je stärker, größer und heller es auf dem stets gleich entfernten Flecke wird. Zum Beweise dessen strecken die kleinen, noch unmündigen Kinder gar oft die Hände nach dem Vollmonde aus, weil er ihnen wegen seiner Helle ganz nahe zu stehen scheint, und die Hunde bellen ihn oft aus demselben Grunde an.

3. Also kam es denn auch hier der Helena vor, daß die stets größer und heller werdende Flamme uns näher käme, und sie bat Mich daher, der bösen Flamme zu gebieten, daß sie nicht näher käme und uns einen Schaden zufüge.

4. Da sagte Ich: „Seid nur nicht gar zu kindisch! Das Näherkommen der Flamme ist ja nur eine ganz gewöhnliche Sehtäusche; die Helle der Flamme aber rührt daher: Das Feuer ist in dem großen Wohnpalaste des jüdischen Pharisäerobersten in die große Speisekammer gedrungen. In dieser waren bei hundert Zentner des reinsten und besten Öles in gebundenen Fässern aufbewahrt, auch mehrere Fässer von reinster Naphtha zum Beleuchten seines Palastes, und nebstbei war darin noch ein großer Vorrat von Butter, Milch und Honig. Diese Dinge haben Feuer gefangen und brennen nun gar so schön und hell, und bei dieser Gelegenheit werden, wie du, alter Markus, vorher heimlich gewünscht hast, auch deine Zehentfische so hübsch gut gebraten werden; denn in der großen Speisekammer lagen schon eine große Menge für morgen hergerichtet in der Bereitschaft. – Was sagst du, Markus, nun dazu?“

5. Sagt Markus: „Herr, der Du in mein Herz ebenso rein und gut schauen kannst wie in die große Speisekammer des Pharisäerobersten, Du weißt es, daß ich weder jetzt noch jemals ein schadenfroher Mensch war. Ich war als Krieger wohl sehr strenge in meinem Dienste, doch habe ich aus meinem Willen nie jemanden in einen Schaden gebracht außer den, den das Gesetz zuvor verdammt hatte, – wofür ich natürlich nicht konnte. Doch habe ich dabei nie eine gewisse Freude empfunden, so des Gesetzes Schärfe jemand verschlungen hatte. Also habe ich auch hier keine so ganz eigentliche Herzensfreude über das Unglück selbst, und daß meine schönen und guten Fische nun dort bloß für die Luftgeister gebraten werden, aber daß nun diese alten Menschenquäler endlich einmal wieder eine überaus ausgiebige Lektion nach allen Seiten hin erhalten, macht mir eine rechte Freude!

6. Denn das Verzehren der Schätze durchs Feuer wäre das wenigste; aber der dadurch gänzlich mitverzehrte Glaube an ihre Lehren ist der eigentlich unersetzliche Schaden, der ihnen dadurch zuteil wird, aber dabei auch ein übergroßer Nutzen für das betrogene Volk. Denn das wird nun zur Aufnahme für die reine, göttliche Wahrheit sicher ein sehr geneigtes Ohr und Herz haben, und das ist es, worüber ich mich so ganz eigentlich freue. Und es kann vielleicht sogar möglich werden, daß die verunglückten Priesterschaften, wenn sie nicht zu sehr im Kopfe und Herzen vernagelt sind, nun für die Wahrheit zugänglicher werden, als sie es in ihren Reichtümern gewesen wären. Ich meine, der morgige Tag wird so manches denkwürdige Pröbchen uns erleben lassen! – Sage es mir, Herr, ob ich recht habe, oder ob auch solche meine Freude vor Deinen Augen etwa verdammlich ist!“

7. Sage Ich: „Oh, mitnichten; denn hätte Ich nicht denselben Grund gehabt, dieses geschehen zu lassen, darüber du dich so ganz eigentlich freust, so hättest du die Scheinsonne nicht gesehen, und diese Feuerszene wäre unterblieben. Aber du hattest anfänglich wohl so ein wenig eine kleine Schadenfreude darum in deinem Herzen, weil du den Pharisäern wegen des herz- und gewissenlosen Zehents gram warst. Und siehe, das war es eigentlich, was Ich dir vorher so ein wenig ausstellte und darum du morgen mehrere abgebrannte Priester abspeisen wirst; aber es wird auch das dein Schaden nicht sein!

8. Sieh, ein rechter und vollkommener Mensch muß in allen seinem Fühlen, Denken und Handeln vollkommen sein, ansonst er noch lange nicht geschickt ist fürs Himmelreich Gottes!

9. Wir sehen zum Beispiel einen recht derben, mutwilligen Übertreter des Gesetzes der guten menschlichen Bestandsordnung, so einen rechten Auswurf aller besseren Gesittung, kurz, so einen Kerl, der ganz gut ein Bruder des Satans sein könnte. Lange Zeit übt der Mensch ungestraft seine allerderbsten Bosheiten aus; denn man kann seiner nicht habhaft werden, weil seine echt satanische Schlauheit ihn davor beschützt. Wie viele Menschen wünschen da nichts sehnlicher, als daß der Bösewicht doch ehestens von dem strafenden Arme des Gerichtes irgend bald erreicht werden möchte!

10. Endlich gelingt es dem Gericht, den kecken Frevler mit fester Hand zu ergreifen und ihn zu der lange verdienten schärfsten und peinlichsten Strafe und Verantwortung zu ziehen! Nun frohlockt groß und klein, daß der Bösewicht endlich einmal zur lange verdienten Strafe gezogen wird; ja, es wird dabei ganz biedere Menschen geben, denen es leid tut, daß ihnen bei dieser Strafgelegenheit nicht die gesetzliche Befugnis zusteht, bei dem allgemein verhaßten Verbrecher selbst Scharfrichter sein zu können, um den Auswurf von einem Verbrecher so recht nach aller erdenklichen Herzenslust peinigen zu können!

11. Nun aber frage man sich im reinen Herzen, aber auch bei einem ebenso reinen Verstande, ob solche Freude auch für einen vollkommenen Menschen sich ziemt! Und ein reines Herz und ein reiner Verstand wird da auch sicher also antworten: „Daß die durch diesen Bösewicht Jahre hindurch geplagte Menschheit von diesem Unhold endlich einmal erlöst wird und nun wieder ruhig leben kann, darüber freue ich mich wohl; aber noch mehr und eine noch viel größere Freude hätte ich, so der Unhold seine Bosheit erkannt, sie bereut, sich also gebessert, zu einem nützlichen Menschen umgewandelt und so nach Möglichkeit getrachtet hätte, den irgend zugefügten Schaden wieder gutzumachen!

12. Saget, welche Gesinnung gefällt euch wohl besser: die erste Straffreude oder die zweite, gesellt mit einem reinen und wahrhaft menschenfreundlichen Wunsche?“

13. Sagt Markus: „Da bleibt ja gar keine Wahl übrig; denn das zweite geziemt sich für Menschen, und das erste ist nach meiner Ansicht noch sehr roh, selbstsüchtig und tierisch!“

Kapitel 118. Mathael wird Vizekönig.

1. Sagt Ouran: „So herrliche und im höchsten Grade menschenfreundliche Gesinnungen habe ich noch nie vernommen! Ich bin selbst Mensch und ein Herrscher über viele Hunderttausende von Menschen, und man sagt weit und breit, daß meine Untertanen die glücklichsten seien am Pontus; aber dennoch mußte ich das Gesetz walten lassen, wie es mir aus Rom zukam bis auf nur wenige zulässige Milderungen, für die mir als einem regierenden Lehensherrn von Rom aus die Bewilligung erteilt war. Aber hart kamen mir nun alle die von mir sehr gemilderten Gesetze dennoch immer vor!

2. Wie wenig wird dabei auf die Natur der Menschen irgend Rücksicht genommen, und wie gar nicht beachtet wird das, ob manchem Menschen ein Gesetz zu beachten möglich ist oder nicht, seiner Natur und Eigenschaft nach! Wie töricht wäre es zu behaupten, daß ein Schuh auf alle Füße passen solle, und wie noch törichter erscheint ein Gesetz, das auf die Naturen und Eigenschaften gar keine Rücksicht nimmt!

3. Aber danach, wie Du, o Herr und Meister, die Lebensgesetze nun ausgesprochen hast, kann ein jeder Mensch, welcher Natur und Eigenschaft er auch sei, sich leicht richten und solch ein überaus menschenfreundliches Gesetz sehr leicht beachten! Wenn ich nun wieder nach Hause kommen werde, da wird es bald anders aussehen in meinem Lande!

4. Der Mathael und seine vier Gefährten, die nun zwar alle ganz römisch gekleidet sind, werden von mir griechische Staatskleidung bekommen und mit meinen kleinen Staat bestens einrichten helfen; und den Mathael ernenne ich schon hier zu meinem ersten Ratgeber und, da ich keinen Sohn habe, zugleich zum Vizekönig.“

5. Hier tritt Cyrenius hinzu und sagt: „Und ich als der römische Oberstatthalter über ganz Asien und einen Teil von Afrika, versehen mit allen Vollmachten aus der Hand des Kaisers Cäsar Augustus, der mein Bruder war, und nun auch von seinem Sohne, bestätige diese vortrefflichste Wahl! Du, Ouran, hättest wohl in der Welt keinen Würdigeren finden können! DIXI! – Cyrenius.“

6. Sage darauf Ich: „Und Ich bestätige ihn auch, denn Meine Salbung im Geiste hat er schon länger dazu; aber du, Ouran kannst ihn daheim schon auch mit dem Nardusöle vor dem Volke und vor allen Großen deines Reiches salben, auf daß sie es wissen, mit wem sie zu tun haben, und was sie ihm schuldig sind. Er wird dein Reich vor den Einfällen der Skythen besser schützen denn ein großes Heer von den auserlesensten Kriegern. Ich werde ihm dazu auch eine außerordentliche Macht geben, so er das Amt wird zu verwalten beginnen; für jetzt aber bedarf er deren noch nicht, und es genügt ihm seine Weisheit!“

7. Sagt Ouran: „Herr, wäre es denn noch nicht an der Zeit und nicht möglich, die sehr gefährlichen Skythen zur besseren Erkenntnis Deines Wesens zu bekehren? Es ist gerade ewig schade für den sonst so herrlichen Menschenschlag, daß er sich gleichfort in einem allerungebildetsten Zustande befindet. Man ersieht unter ihnen leiblich so herrlich gestaltete Menschen, wie sonst vielleicht nirgends auf der weiten Erde; aber ihr Geistiges ist eine barste Null.

8. Es ist oft zum Staunen, wenn so eine majestätische Mannsgestalt oder eine mehr als paradiesisch schöne Dirne daherkommt, und beide kennen oft gar keine Sprache, sondern grunzen oft nur den Schweinen ähnlich daher, was sicher weder sie selbst verstehen und hernach um desto weniger jemand anders. Nicht aus irgendeiner Eroberungssucht möchte ich diese Skythen unter mir haben, sondern um aus ihnen Menschen zu bilden. Könnte denn so etwas, und zwar ohne Schwert, nicht geschehen?“

9. Sage Ich: „Dazu werden dir Mathaels Gefährten gute Dienste leisten, und dein Wunsch wird noch vielfach in die Erfüllung gehen; aber alle Skythen wirst du wohl schwerlich je unter dein Zepter bringen, denn ihr Reich hat eine übergroße Ausdehnung. Aber die um den Pontus (Schwarzes Meer) wohnenden kannst du für dich haben und sie bilden nach deinem Gutdünken.“

10. Sagt Ouran: „Herr, ewig Dank Dir darum in meinem und aller Menschen Namen, die durch Deine Lehre im Geiste geweckt werden! Wahrlich, an meiner Mühe und an meinem beharrlichen Willen wird es sicher nie fehlen; gib Du mir deshalb nur Deine Gnade dazu!“

11. Sagt Cyrenius: „Und ich sage es dir, daß du dein eigen nennen kannst, was dir von den Skythen untertan wird! Willst du es heimlich an Rom einbekennen, so soll dir dafür auf zehn aufeinanderfolgende Jahre der Lehenszins für dein ganzes, großes Land erlassen werden, und deinen Nachkommen soll das volle Erbrecht zugestanden sein; und es wird fürder nach dem Ablaufe von vollen dreißig Jahren dein Land nicht an einen Meistbieter hintangegeben werden. Solche Bestätigung von all dem, was ich dir nun gesagt habe, sollst du morgen schon von mir auf Pergament geschrieben für ewige Zeiten zu deinen Händen bekommen. Nur ein fremder, auswärtiger Feind könnte es dir durch Gewalt entreißen; aber von Rom aus bleibt es dir für alle Zeiten.“

12. Sage Ich zum Cyrenius: „So gib ihm das heute noch schriftlich; denn morgen ist Sabbat, und wir wollen den Schwachen im Geist kein Ärgernis geben!“

13. Sagt Cyrenius: „Herr! Wie kann ich jetzt hier in der Mitternacht die gemachte Bestätigung schreiben? Morgen aber will ich's vor dem Aufgange tun, und das wird doch niemandem ein Ärgernis geben!“

14. Sage Ich: „Siehe da, Mein Raphael ist damit schon fertig; hier nimm diese Urkunde, und lies sie, ob sie deinem Willen vollends entspricht!“

15. Cyrenius nimmt die Urkunde, stellt sich an eine Fackel hin und liest sie, findet sie von Wort zu Wort getreu und sagt darauf: „Wäre dies das erste, so würde es mich unendlich wundernehmen; aber ich habe ja vom Raphael schon mehrere Beweise, und so wundert es mich auch gar nicht mehr, denn solches ist ihm ebenso leicht möglich, wie es jedem Menschen möglich ist, mit seinem Blicke plötzlich bis zu den entferntesten Sternen zu dringen. Nun, da die Urkunde fertig ist, so soll sie mein Ouran auch gleich in seinen Besitz nehmen.“

16. Hier überreicht Cyrenius augenblicklich dem Ouran die Urkunde mit den Worten: „Nimm sie zu deiner und deiner Nachfolger Deckung, und siehe die Menschen zu gewinnen für das Reich Gottes, fürs Reich der Liebe, fürs Reich der ewigen Wahrheit, welche in Jesu, dem Herrn aus Nazareth, gar so wundervoll aus den Himmeln zu uns Sterblichen herabgekommen ist! In Ihm sind wir, und in Ihm leben wir nun und werden leben in Ewigkeit!“

Kapitel 119. Helena wird Gemahlin des Mathael.

1. Ouran dankt Mir und dem Cyrenius gar sehr herzlich, und also auch die Helena, die aber die Frage hinzusetzt und sagt: „Aber mein Vater hat keinen männlichen Nachkommen! Wer wird ihm in der Regierung folgen?“

2. Sage Ich: „Aber Meine allerliebste Helena, habe Ich euch denn nicht einen allerweisesten Nachkommen gegeben, den dein Vater zum Vizekönig ernannt hat!? Ist euch der nicht recht?“

3. Sagt Helena, fast weinend vor Freude: „Nun, ob der uns recht ist?! Aber fragen mußte ich ja doch, um bestimmt Deinen mir allein heiligen Willen zu erfahren! Herr, vergib es mir darum, so ich Dich etwa durch die Frage beleidigt habe!“

4. Sage Ich: „Sei du darum ganz ruhig, denn Mich kann ewig kein Mensch beleidigen und schon am wenigsten du! Aber weil du Mich jetzt gefragt hast um etwas, um das du ganz gut auch ohne die Frage hast wissen können, so frage Ich dich nun denn auch um etwas, das Ich allenfalls etwa auch vor deiner Antwort weiß!

5. Siehe du an den Mathael! Er ist nun von deinem Vater zum Vizekönig ernannt und als solcher von Cyrenius und Mir bestätigt. Er ist noch ein junger Mann von kaum achtundzwanzig Jahren; möchtest du ihn wohl zum Gemahle?“

6. Hier schlägt Helena ihre Augen ein wenig verschämt nieder und sagt nach einer Weile: „Aber Herr, so ist vor Dir doch nichts sicher, was man noch so verborgen in seinem Herzen verwahrt hält! Du hast in mein Herz geschaut und hast darin sicher gefunden, daß ich dem Mathael über die Maßen gut bin, und hast mich jetzt verraten, bevor ich mich eigentlich gerne hätte verraten gehabt: aber weil mein Herz nun denn schon einmal verraten ist, so kann ich auf Deine heilige Frage doch nichts anderes als ein vollwahrstes Ja zur Antwort bringen. Ich liebe den Mathael wohl gar sehr; aber es fragt sich eben auch sehr, ob er mich lieben wird!“

7. Sage Ich zum Mathael: „Von da an, Freund, kannst du nun ganz gemütlich weiterreden!“

8. Sagt Mathael: „O Herr, Du Allererhabenster! Nie bist du größer in meinem Herzen, als wenn Du so ganz menschlich mit uns Menschen redest! Ob ich diese reine Jungfrau, die in ihrem ganzen Wesen Dir ergeben ist, lieben könnte auf eine so intensive Weise wie ich Dich, o Herr, liebe!? Aber sie ist eine herrlichste Königstochter und ich ein armer Bürgersohn, eigentlich nicht völlig von Jerusalem, sondern aus der Umgebung dieser großen Stadt, die hundert Tore zählt und mehr denn zehnmal hunderttausend Einwohner, zu denen ich und meine Angehörigen nicht einmal gezählt sind! – Da, da steckt der Haken!“

9. Sage Ich: „Nun – was weiteres? Wer war denn David von Geburt? Wer war denn Saul? Wer hat diese denn zu Königen von Israel gesalbt?

10. Wenn Ich aber nun dir tue, was Ich einst den beiden getan habe, wie solltest du da der Helena nicht ebenbürtig sein? Meinst du denn, daß Ich nicht Macht genug besäße, dich im Augenblick auf den Kaiserthron in Rom zu setzen?

11. Die Macht und Kraft des einen hier zu unseren Diensten anwesenden Engels Raphael kennst du, und Mir stehen augenblicklich tausend Legionen solcher Engel zu Gebote; wer wird sich mit ihnen in einen Kampf einlassen wollen?! Denn da genügt Raphael allein, um diese ganze Erde in einem Augenblick in Staub zu verwandeln, geschweige einen Kaiser von Rom zu entthronen und einen andern ganz wohlgemut auf den Thron zu setzen. Aber so etwas geschieht nun nicht, obschon es Mir an Macht dazu nie gebrechen würde; denn Ich weiß, warum Ich auch die gegenwärtigen Kaiser auf dem Throne zu Rom belasse. Aber ebenalso habe Ich auch die allerunbeschränkteste Macht, dir zu geben, was Ich will, und dich zu machen, zu was Ich will; wer wird dawider rechten mit uns?!

12. Siehe, Gottes Macht geht weiter denn die Macht eines Erdenkönigs! Oder liegt das Leben eines Königs nicht ebensogut in Meiner Hand als das eines Bettlers? Ein leisester Willenshauch Meines Geistes, und die ganze Schöpfung ist aus dem Dasein! Sei du, Freund, darum unbesorgt! Was Ich sage, das ist gesagt für die Ewigkeit, und zu was Ich jemand erwähle, das ist und bleibt er unangefochten und unantastbar; denn Ich allein bin der Herr und tue alles nach Meiner höchst eigenen Liebe und Weisheit, und niemand kann zu Mir wirksam sagen: ,Herr, warum tust Du dieses und jenes?‘ Ja, der Mich in der Liebe seines Herzens fragt, dem werde Ich wohl eine sein Herz belehrende Antwort geben; wer aber mit Mir rechten wollte, dem wird keine Antwort, sondern ein Gericht nur erteilt! Darum sei du demnach ruhig; so Ich dich zu einem Könige mache, so bist du auch wahrhaft ein König, und wer gegen dich zu Felde ziehen würde, der wird zermalmt werden! Darum nimm du die Hand der Helena, und siehe, sie ist und bleibt dein liebes Weib!“

13. Hier erhebt sich Ouran und sagt, vom höchsten Dankgefühle durchdrungen: „O Herr, Du Allmächtiger von Ewigkeit, wie werde ich als ein armer, sündiger Mensch je nur einigermaßen mich Dir, Deiner würdig, dankbar erweisen können? Du überladest mich ja mit den höchsten Gnaden und Wohltaten! Welch eine große und schon lange andauernde Sorge hast Du mir vom Herzen genommen!

14. Wie schwer ist es für einen fühlenden Vater, für seine einzige, liebe Tochter einen Mann zu bestimmen, von dem man nur mit einiger Gewißheit zum voraus behaupten könnte, daß er für die Tochter völlig tauge und sie mit ihm glücklich sein werde! Was haben oft Eltern für Opfer in den Hymentempeln niedergelegt zum Wohle ihrer verheirateten Töchter und meinten, daß sie dadurch eine glückliche Ehe erzielen würden; aber es waren nur zu oft alle Opfer vergebens! Die Ehen wurden dennoch glücklos, und die verheiratete Tochter ward nur zu bald und zu oft eine wahre Sklavin anstatt eine Freundin und treueste Lebensgefährtin ihres Gatten.

15. Aber hier ist das, was ich von den Alten gehört habe, daß die wahren Ehen von den Göttern in den Himmeln geschlossen werden. Es versteht sich nun von selbst, daß der irrige Begriff ,Götter‘ ganz wegzubleiben hat; denn hat man einmal den einen und allein wahren Gott gefunden, dann haben die erdichteten Götter aufgehört.

16. Diese Ehe ist demnach hier von Dir, o Herr, Selbst bestimmt und gebunden worden, und ich kann nun in der ruhigsten Hoffnung erwarten, daß sie auch Deines Segens, o Herr, nicht entbehren wird, der aber freilich durch die genaue Beachtung Deines heiligen Willens verdient werden muß, ansonst er nicht gegeben werden würde.

17. Helena, meine lieblichste Tochter, hättest du dir's gedacht, als wir unsere weite Reise antraten in der Absicht, die wahre Weisheit und den unbekannten Gott aller Götter zu suchen und solches alles dann unsern Völkern beizubringen und sie dadurch so glücklich als möglich zu machen, daß wir beide hier auf diesem verlassenen, wüsten und höchst unansehnlichen Plätzchen gar so unaussprechlich glücklich gemacht würden?

18. Siehst du, Tochter, wie nun meine dir oft vorgesagte Lehre: ,Wer alles finden will, der suche nichts denn Gott allein!‘, hier in die herrlichste Erfüllung gegangen ist! Du hast geseufzt, als wir unsere Stadt verließen mit dem geheimen Vorsatze im Herzen, nicht eher heimzukehren, als bis wir die Wahrheit und den allein wahren Gott werden gefunden haben, und sagtest wehmütig: ,Vater, da werden wir diese unsere Stadt und dies schöne Land wohl nimmer irgendwann mehr zu Gesichte bekommen!‘ Und ich sagte dir: ,Sei ruhigen Herzens, meine Tochter, wir gehen ja nicht auf einen Raub aus und auch nicht, um einen von unsern Nachbarn mit einem Kriege zu bedrohen, sondern wir gehen, für uns und für unser Land das höchste Glück zu suchen! Kein Gott und keine Macht der Welt kann diesen unsern Plan irgend schlecht heißen!‘ Da wardst du ruhiger, und wir traten unsere Reise mutig an. Aber eben von diesem Momente angefangen, frage ich dich, ob du wohl auch nur eine leiseste Ahnung von dem hattest, was alles überschwenglichst Gutes und Glückliches wir hier gefunden haben!“

Kapitel 120. Helenas Dank und gute Vorsätze.

1. Sagt Helena: „O Vater, welcher Sterbliche hätte denn je davon auch nur eine allerleiseste Ahnung haben können! Zudem waren wir noch bei allem unserm besseren Denken zu tief im Heidentume begraben und waren somit keiner so reinen Idee fähig, um mit deren Hilfe uns nur eine kleinste Möglichkeit von dem vorzustellen, was alles wir durch die alleinige Gnade Gottes des Herrn hier unmittelbar von Ihm Selbst empfangen!

2. Wir können Ihm aber auch jetzt und ewig nichts anderes dafür tun, als Ihn fort und fort lieben über alles. Und unsere Brüder und Schwestern, die wohl unsere Untertanen sind, wollen wir dadurch lieben wie unser eigenes Leben, daß wir ihnen treu und wahr den Namen des erhabensten und heiligsten, allein wahren Gottes verkünden werden und ihnen sorgsamst eine solche Verfassung geben, durch die sie auf dem Wege der wahren Liebe und Demut erst zu wahren, Gott dem Herrn wohlgefälligen Menschen werden. Und Mathael, nun mein geliebtester Gemahl, wird uns mit seinen Brüdern seinen kräftigen Arm und sein mächtig weisestes Herz dazu bieten, und so wird unser Wohl im Namen des Herrn auch das seine und sein Wohl das Wohl aller unserer vielen Untertanen sein und werden.

3. Das ist alles, was ich hier als treu und wahr vor Gott dem Allerheiligsten aus der dankbarsten Tiefe meines nun ganz zerknirschten Herzens bekennen kann. O Herr, sei Du mir armen Sünderin vor Dir aber auch stets gnädig und barmherzig; denn Du allein weißt es ja am besten, wieviel der irdischen Lebenslasten ich zu ertragen imstande sein werde! Nicht ohne Bürde will ich durch dies Leben gehen und will tragen nach der von Dir, o Herr, mir verliehenen Kraft; aber darüber hinaus wolle Du, Herr, mich nicht versuchen!“

4. Sage Ich: „Mein Joch ist sanft und Meine Bürde leicht; aber dann und wann so ein kleines Zugewicht wird dir ewig keinen Schaden bringen, sondern nur einen großen Nutzen für Seele und Geist.

5. Dein Gemahl Mathael wird es dir schon mitteilen zur rechten Zeit, welche Bürden er zu tragen bekommen hatte, um alles, was Welt heißt, aus sich hinauszuschaffen, auf daß sein Herz zu solcher Kraft hat emporwachsen können. Was er nun hat, kann ihm keine Macht und keine Ewigkeit mehr nehmen; aber was du nun bloß so von außen her in dich aufgenommen hast, gleicht noch sehr dem erst jüngst ins Erdreich gesäten Samen, und das muß noch so manches bestehen, bis es zu einer wahren, gesegneten, reifen Frucht wird.

6. „Darum habe du nur ja keine Scheu vor den mannigfachen Lebensbürden, die dir auf diesem irdischen Lebenswege hie und da begegnen werden; denn Ich werde sie zu dir senden zur Stärkung deiner Seele und deines Geistes!

7. Wenn demnach dann und wann etwas über dich kommen wird, dann denke, daß Ich es bin, der dir eine solche Stärkung zukommen läßt! Denn je mehr Ich einen Menschen liebe, desto mehr auch wird er versucht von Mir. Denn ein jeder soll Mir gleich vollkommen werden; dazu aber wird viel Selbstverleugnung, Geduld, Sanftmut und vollste Ergebung in Meinen Willen erfordert.

8. Wer sich aber dann ganz in Meinen Willen bewegen wird, der wird auch so vollkommen sein in seinem Geiste, wie Ich Selbst vollkommen bin, weil ein solcher Geist dadurch völlig eins wird mit Mir. – Sage Mir nun, ob du dies alles nun wohl so ganz klar und gut einsiehst!“

9. Sagt Helena: „O ja, insoweit es einem sterblichen Menschen möglich ist, die Worte Gottes in seiner zeitlichen, tiefen Beschränktheit einzusehen!“

10. Sage Ich: „Nun wohl denn, und wir wollen nun nach der getanen Arbeit ein wenig ausruhen! Wer ein wenig schlafen will, der schlafe; wer aber mit Mir wachen und beten will, der wache und bete!“

11. Darauf rufen viele: „Herr, wir wollen mit Dir wachen und beten!“

12. Sage Ich: „So tuet, was ihr wollet! Auf den morgigen Tag aber heißt es sich wohl vorbereiten; denn es wird das ein heißer Tag werden. – (Mich zum Cyrenius wendend:) Morgen werden auch dein Bruder Kornelius und der Hauptmann Faustus hierherkommen, um zu sehen, was hier in dieser Gegend mag vorgefallen sein; denn sie vermuten es nicht, daß du hier seist, und noch weniger, daß Ich Mich etwa hier aufhalte. Aber es muß dennoch dafür gesorgt sein, daß sie mit ihrem Gefolge hier Unterkunft finden. In der Stadt wird sich für diesmal keine Wohnung finden lassen, denn das Feuer wird die Stadt übel zurichten, weil bei dieser Tempel- und Synagogenverbrennungsangelegenheit nebst den Tempeln und Synagogen auch einige andere Gebäude und bürgerliche Wohnhäuser sehr hart mitgenommen werden. Morgen heißt es darum die Gedanken beisammen haben, und es ist darum nötig, daß man sich darauf allseitig wohl vorbereite. Wer aber einen Schlaf hat, der schlafe; aber Ich muß wachen und beten!“

13. Mit diesen Worten verließ Ich die Gesellschaft und ging auf dem Berge fürbaß, um allein zu sein, und um Meinen ewigen Vatergeist inniger zu vereinen mit Meinem ganzen Wesen.

Kapitel 121. Über das Wesen Jesu.

1. Es fingen sich aber an zu fragen viele, die auf dem Berge waren und diese Meine Anordnung vernommen hatten; auch Helena und Ouran wunderten sich ein wenig und fragten gleich mit vielen andern, sagend: „Sonderbar! Jetzt geht Er hin, um zu beten und Sich auf morgen vorzubereiten! Wen kann Er denn noch anrufen, und zu wem kann Er beten? Ist Er denn vielleicht ungeachtet Seines allein tiefsten Wissens dennoch nicht das höchste Gottwesen? Sich Selbst wird Er ja doch nicht anbeten!? Und täte Er es, so möchte man denn doch sehr fragen und sagen: Wozu denn das? Sonderbar! Er geht beten und Sich auf morgen vorbereiten, als ob Er als das höchste Gottwesen nicht schon von Ewigkeit dazu in Hülle und Fülle vorbereitet gewesen wäre! Sonderbar, sonderbar! Hm, hm, hm; was soll das nun auf einmal heißen!? Hat Er doch zuvor geredet, wie nur ganz allein immer ein wahrer Gott reden kann! Vom leisesten Hauche Seines Willens hängt es ab, ob die Welt besteht oder nicht, und nun geht Er Selbst beten, heißt uns schlafen und ruhen oder auch beten und uns vorbereiten auf den morgigen Tag! Nun, wenn Er Selbst irgendein Ihm sicher allein bekanntes Gottwesen anbeten geht, wen sollen denn hernach wir anbeten? Ihn oder das uns völlig unbekannte Gottwesen, das Er nun anbetet?! Nein, das ist doch mehr, als was man sich in einem dümmsten Traume hätte können träumen lassen!“

2. Hier erhebt sich plötzlich Mathael, etwas erregt, und sagt mit lauter Stimme, so, daß es viele hören können: „Was urteilet ihr denn hier wie die Blinden von den Farben! O ihr Blinden alle, wie ihr hier seid, mit Ausnahme des Engels Raphael, und ihr Seine alten Jünger auch, die ihr auch noch sehr blind und somit dumm seid!

3. Trägt Er hier auf Erden nicht, gleich wie wir alle, Fleisch und Blut, aus dem Seine Seele wie die unsrige sich entwickelt hat, um fähig zu sein, in den Vollverband mit dem ewigen, grundgöttlichen Geiste zu treten?

4. Nur der Geist in Ihm ist Gott, alles andere ist Mensch, wie wir da Menschen sind. So Er betet, so heißt das mit andern Worten: Er läßt Seinen Menschen ganz durchdringen von Seinem urewigsten Grundgeiste Gott, von dem alle andern Geister ebenso herrühren wie das kleine Abbild der Sonne in einem Tautropfen von der wirklichen Sonne.

5. Er ist Seinem Geiste nach die wirkliche Sonne, wir und alle Geister aber sind nur lebendige Abbilder von dieser ewigen Urgrundsonne Gott. – Verstehet ihr nun wohl, was es heißt, so Er sagt, daß Er bete?“

6. Die Jarah und die Helena begriffen das zuerst; aber die andern konnten sich noch nicht völlig orientieren, weil sie noch immer Seele und Geist untereinander warfen wie Kraut und Rüben! Aber dann fing Mathael an, sie ordentlich zu belehren, und es fanden sich darauf viele zurecht. Alle aber lobten die wirklich grundtiefe Weisheit des unerschrockenen Mathael, und die Helena ergriff des Mathael Hand, drückte sie an ihre Brust und sagte: „Ja, du mein allerherrlichster und von Gott mir gegebener Gemahl, wenn es mit deiner Weisheit also stets herrlicher fortgeht, so möchte ich denn doch wissen, wie stark ich dich am Ende noch lieben werde! Wärest du uns allen nun mit deiner Weisheit nicht zu Hilfe gekommen, so hätten wir am Ende alle an der Göttlichkeit des großen Meisters zu zweifeln angefangen, abgesehen von all den nie erhörten, von Ihm vor unsern Augen verübten wundervollsten Taten. Aber jetzt ist alles wieder in der vollsten Ordnung, und wir wissen nun alle zur Genüge, wen wir anzubeten und in vollstem Vertrauen anzurufen haben!“

7. Sagt Cyrenius: „So sehr es mich auch freut, dich, meinen lieben Freund und nun Bruder Mathael, so gut als möglich gestellt zu wissen, so hätte es mich aber noch mehr gefreut, dich beständig um mich zu haben! Denn unter uns allen mit Ausnahme des Engels, der nun mit seinem Suetal sich bespricht, ist keiner, der also vom Grunde aus in allen Dingen erleuchtet wäre wie du! Wie gesegnet ist ein Volk, dessen Regent du sein wirst und eigentlich der Wesenheit nach schon bist! Aber sehen werden wir uns dennoch öfter; denn entweder werde ich zu dir kommen, oder du kommst zu mir!“

8. Mathael ergreift des alten und greisen Cyrenius Hand und sagt: „Edelster Cyrenius, wir werden Hand in Hand wirken, und unser Grundsatz sei, das Volk im Namen des Herrn so weise und glücklich als möglich zu machen! Zwar werden wir stets unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich auf das geistige Wohl der uns von Gott zur Leitung anvertrauten Völker richten, aber auch in naturmäßiger Hinsicht soll sich niemand über irgendeine drückende Not zu beklagen haben, besonders, wenn er einmal geistig in der Ordnung ist.

9. Im großen römischen Reiche würde solch eine Volksleitung wohl mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben; aber in einem kleinen Lande ist das schon ganz leicht möglich in den Vollzug zu bringen, und glückliche kleine Staaten werden dann gewöhnlich zu einem Spiegel, in dem sich die großen beschauen, ob sie keinen Schmutz im Gesichte haben, und ob ihre Haare in der Ordnung sind.

10. Ein Spiegel ist gewöhnlich nur so groß wie eine Handfläche, und doch kann sich der Mensch, so er will, nach und nach ganz vom Kopfe bis zur letzten Zehenspitze beschauen; also kann denn auch leicht ein kleines Land einem ganzen großen Reiche zum Spiegel werden. Wollte sich aber ein kleines Land ein großes Reich zum Muster nehmen, so würde es dabei wohl sehr eingehen und alle seine Untertanen in das größte Verderben stürzen! Daher wollen wir lieber ein kleiner Spiegel als ein Riese sein, der sich darin beschaut! – Habe ich recht oder nicht, hoher Cyrenius?“

11. Sagt Cyrenius: „Nur den möchte ich noch kennen, der dir unrecht geben könnte! Du hast allzeit recht; denn aus dir spricht ja gleichfort der geweckte Geist Gottes. –

12. Aber sieh du einmal nach der Stadt hin! Mir kommt das Feuer immer stärker vor. Am Ende brennt doch die ganze bedeutende Stadt ab? Unser Raphael könnte da wohl helfen, wenn es ihm darum zu tun wäre!?“

Kapitel 122. Vom Wesen der Engel.

1. Sagt die Jarah: „Oh, der wohl, der! Wenn er einen Wink vom Herrn auf eine für uns freilich unsichtbare Weise bekommt, – sonst tut er nichts! Er ist mir ja gegeben zu einem Lehrer und Beschützer; aber so ich zu ihm etwas sage, daß er mir dies oder jenes tun soll, da tut er es schon am allerwenigsten! Und möchte ich von ihm etwas erfahren, so sagt er nicht nur nichts, sondern fragt dann gleich mich darum, und ich soll nun ihm erzählen, was ich von ihm nur erfahren wollte. Darum wäre es da für ein jedes Wort schade. Ich habe ihn zwar sehr lieb und hätte ihn noch um tausend Male lieber, – wenn er nur ein bißchen gefügiger wäre! Er ist zwar stets äußerst freundlich, aber bitten darf man ihn um nichts; denn da ist alles eine vergebliche Mühe.“

2. Sagt Mathael: „Das wollte ich denn doch auch sehen, ob er nicht zu bewegen wäre, wenigstens einige bürgerliche Wohnhäuser vor den Flammen zu beschützen! Ich werde ihn herrufen und sehen, ob die holdeste Jarah in allem recht hat!“

3. Darauf beruft Mathael den Raphael und sagt zu ihm: „Freund, siehe hin nach der Stadt! Mir scheint es, daß nun auch einige ärmliche Hütten im Brande stehen; wenn das, so könntest du das wohl verhüten!?“

4. Sagt der Engel: „Allerdings, wenn ich dürfte; aber mein Wille ist ganz des Herrn, und ich kann nur das wollen, was Er allein will. Will der Herr es, so kannst du dir keinen so schnellen Augenblick denken, als ich mit dem Löschen des Brandes fertig werde! Ohne des Herrn Willen aber vermag ich aus mir selbst ebensowenig wie du; denn alle die von mir ausgeführten Wundertaten habe nicht ich, sondern hat nur des Herrn Wille durch mich ausgeführt.

5. Wir Engel sind unserer Wesenheit nach ja nichts als Ausflüsse des göttlichen Willens, oder wir sind der personifizierte Wille des Herrn und können und vermögen aus uns nichts, weil wir als selbständige, des göttlichen Willens bare Wesen eigentlich gar nicht als bestehend und seiend gedacht werden können, wie du dir für deine Augen in einem Spiegel kein wirkendes Abbild der Sonne der Wahrheit nach denken kannst, wenn nicht aus der wirklichen Sonne zuvor ein Strahl auf des Spiegels Fläche fällt.

6. Um mein Wesen aber noch besser zu begreifen, mache ich dich auf eine Art Hohl- oder Brennspiegel aufmerksam, welche der von altersher berühmte Mechaniker Archimedes so ganz eigentlich zufällig erfunden hat. Diese Spiegel haben die ganz natürliche Eigenschaft, eine Menge auf ihre Fläche fallende Sonnenstrahlen auf einen Punkt hin in einer bestimmten Entfernung zusammenzudrängen. Diese auf einen Punkt zusammengedrängten Sonnenstrahlen haben dann sowohl im Lichte als in der Hitze eine so oftmal größere Kraft als der einfache Strahl, als wie oft der in seiner größten Konzentration kaum zwei Daumenbreiten im Durchmesser habende Brennpunkt in der ganzen oft eine Mannshöhe im Durchmesser habenden Spiegelfläche quadratisch genommen enthalten ist.

7. Ein solcher Brennpunkt hat dann freilich eine ums mehr als tausendfache größere Kraft, sowohl im Leuchten als im Brennen, als der natürliche einfache Sonnenstrahl, ist aber ohne die Sonne doch nicht denkbar.

8. Er, der Spiegel nämlich, vereinigt nur die Strahlen der Sonne zu einem heftig und schnell wirkenden Brennpunkte; aber ohne die Sonne ist er jeder Kraft und Wirkung bar und besitzt für bleibend nur die Eigenschaft, die Strahlen der Sonne zu verdichten, wenn diese auf seine Fläche fallen; aber ohne die Sonne ist des Brennspiegels Wirkung gleich einer Null.

9. Also sind auch wir Engel, wie gesagt, an und für sich nur Brennspiegel zur Aufnahme und zur Verdichtung des göttlichen Willens, und wo wir dann handeln, da handeln wir durch den Brennpunkt des in uns verdichteten göttlichen Willens, und du kannst dann nichts als Wunder über Wunder sehen. – Verstehst du das?“

10. Sagt Mathael: „Oh, das verstehe ich nun ganz überaus wohl, nur wußte ich nicht, daß Archimed der Erfinder von den Brennspiegeln war; denn man schreibt solche ganz ursprünglich einem gewissen Hamerod und dann dem bekannten Thales zu, der da auch eine Blitzmaschine soll verfertigt haben!“

11. Sagt Raphael: „Ganz recht, aber Archimed war ein Drechsler und hatte aus sich selbst sowohl das Wesen der sehr brauchbaren Brennspiegel, der Blitze erzeugenden Zylinder und Scheiben, sowie hauptsächlich der Hebemaschinen durch eine glückliche Benutzung seiner eigens dazu erfundenen und wohl berechneten Schraube entdeckt, nach deren Erfindung er gesagt hat: ,Gebet mir außer (außerhalb) der Erde einen festen Punkt, und ich hebe euch die ganze Welt aus ihren Angeln!‘

12. Aus dem Ganzen aber geht hervor, daß ich aus mir selbst deinem guten Begehren keine Folge leisten kann. Wenn mich aber der Herr dazu ausersehen wird, dann wird alles schnell beendet sein. Wendet euch darum nur an den Herrn!“

13. Sagt die Jarah: „Den Herrn kann man jetzt nicht beunruhigen; denn Er hat uns Ruhe empfohlen oder auch zu beten, so wir wach bleiben. Und das sollen wir tun; denn was Er sagt, das hat seinen Grund. Was kümmert es uns, ob auch die ganze Stadt abbrennt?! Der Herr hat schon Seine Ursache, warum Er dieses über diese Stadt hat kommen lassen, und die Ursache kann noch eine höchst gute und voll der göttlichen Liebe und Erbarmung sein. So wir nun daran etwas ändern wollten, da würden wir darum die Sache nicht besser, sondern nur offenbar schlechter machen; zur rechten Zeit wird schon der Herr das Seinige ohne unsere Vorworte tun. Mit meinem Raphael aber ist und bleibt nichts; denn ohne des Herrn Willen ist er ein leerer Schlauch.“

Kapitel 123. Die Weisheit der Jarah.

1. Sagt Mathael: „O du kleine Jarah du! Schau, diese Weisheit hätte ich in deinem Fleische, beim Himmel, nicht gesucht! Schon recht also, meine liebste Genezaretherin; aber nun möchte ich von dir erfahren, wie du eigentlich betest!“

2. Sagt Jarah: „Ich versetze mich mit allen meinen Gedanken und Gefühlen in die tiefste Tiefe meines Herzens, worin die Liebe zu Gott zu Hause ist. Dadurch bekommt diese heilige Liebe ebenalso Nahrung, als wenn du auf eine stille Glut, die nicht mehr flammt, gutes, dürres und sehr leicht brennbares Holz legst.

3. Das Holz wird die stille Glut gar bald dahin erwecken, daß sie über sich ganz kleine Flämmchen wird zu treiben anfangen; diese Flämmchen werden dann alsbald das Holz ergreifen, und darauf wird das Ganze in die hellsten Flammen übergehen, und es wird dann überlicht und vollends lebenswarm werden im Herzen. Dann erst spricht der dadurch erweckte gottähnliche Geist im Herzen:

4. ,O Du mein heiliger Vater in den Himmeln! Dein Name werde geheiligt! Zu uns armen tot- und nachtvollen Sündern komme Deine Vaterliebe! Dein allein heiliger Wille geschehe hier auf dieser Deiner Erde wie in allen Deinen Himmeln! Haben wir gesündigt wider Deine ewige, heilige Ordnung, so vergib uns solche Torheit und habe Geduld und Nachsicht mit uns, wie auch wir mit denen Geduld und Nachsicht haben, die sich gegen uns irgend versündigt haben! Laß es ja nicht zu, daß wir in unserer fleischlichen Schwachheit irgend über unsere Kraft von der Welt und vom Teufel versucht werden, sondern erlöse Du uns durch Deine große Gnade, Liebe und Erbarmung von den tausenderlei Übeln, durch die unsere Liebe zu Dir, o heiliger, großer, lieber Vater, getrübt und geschwächt werden könnte! Wenn es uns aber hungert und dürstet, geistig und leiblich, dann gib uns, Du guter, lieber Vater, nach Deinem heiligen Ermessen, was wir täglich vonnöten haben! Dir allein alle meine Liebe, alle Ehre und alles Lob ewig, ewig!‘ –

5. Sieh, das heiße ich beten, welches Beten aber vor Gott erst offenbar nur dann etwas gilt, wenn zuvor in aller Tiefe des Herzens auf die vorbeschriebene Art und Weise die Liebe zu Gott in die lichten und heißen Flammen übergeschlagen hat durch die Einung aller Gedanken und Gefühle im göttlichen Zentrum des Herzens; fehlt dieser Vorakt (Vorgang), so ist jedes Gebet mit bloßen, noch so schönen Worten vor Gott ein Greuel und wird nicht angesehen und nicht angehört.

6. Denn Gott in Sich ist ein Geist und muß darum im Geiste der Liebe und im flammenhellsten Lichte der Wahrheit angebetet werden. – Verstehst du nun, was da der vollsten Wahrheit nach Beten heißt nach meinem Sinne und nach meinem Verstande?“

7. Sagt Mathael: „O du holdseligstes Mädchen! Wer hätte denn in dir je eine solche Weisheitstiefe gesucht!? Wahrlich wahr, da könnte ja ich noch ganz gut dein Jünger sein, und ich schäme mich nicht im geringsten, solches hier vor allen ganz laut und offen zu bekennen! Ja, jetzt begreife ich erst deine unbesiegbare Anhänglichkeit zum Herrn und vice versa (umgekehrt), wie die Römer sagen! Du scheinst auch in kürzester Zeit vom Herrn gleich mir erweckt worden zu sein?!“

8. Sagt Jarah: „Wer Gott den Herrn über alles liebt, der wird bald und leicht erweckt; wer Ihn aber mit dem Verstande sucht, um Ihn zu lieben, wenn er Ihn mit dem Verstande erst so recht kernfest gefunden hat, der hat sich eine große und sehr vergebliche Arbeit vorgenommen, mit der er nimmer zum erwünschten Ziele auf dieser Welt gelangen wird. Also bist auch du so schnell zum intensivsten Lichte der Gnade aus Gott gelangt; denn im Herzen deiner Seele muß es doch stets sehr flammend hergegangen sein, obschon du deinem Leibe nach auf eine Zeitlang ganz von den argen Geistern der Hölle belagert warst!“

9. Sagt Mathael: „Ja, göttliches Kind, da dürftest du wohl sehr recht haben! Ich liebte Gott von meiner Kindheit an über alles, darum mich meine Alten denn auch dem Tempeldienste weihen ließen, allwo mein Fleisch erst zu einer wahren Höllenmaschine gemacht ward, aber meine Seele trotzdem blieb, was sie vom Uranbeginn ihres Seins war. Davon aber auch kein Wort mehr weiter; denn ich erinnere mich nicht gerne daran. – Und nun sage du, meine geliebteste Helena, wie denn dir dies weise Mädchen behagt! Ist das nicht staunenswert, in welch hoher Weisheit sich dieses Kind befindet!?“

10. Sagt Helena: „Wo und wer sind denn ihre Eltern?“

11. Sagt Mathael: „Na, na, das ist ja schon alles bekannt, und du hast ihren hier eben auch anwesenden Vater Ebahl, Gastwirt aus Genezareth, auch schon abends unten in euren drei Hütten gesehen und gesprochen! Hast du denn das schon vergessen? Sage mir lieber, wie dir die überaus markige Weisheit dieses Mädchens gefällt, und ob du nicht den Wunsch lebendig fühlst samt mir, ebenso weise zu sein wie sie, diese allerliebste, holde Kleine! Wahrlich, ich weiß viel, – aber dies Kind weiß mehr! Ich sehe sie in meinem Gemüte, wie ihre keusche Brust Dinge birgt, von denen wir noch gar keinen leisen Dunst haben. Aber der Raphael scheint bei ihr nicht in einem ganz besonderen Ansehen zu stehen! Wie gefällt dir denn das alles, du meine holdeste Gemahlin Helena?“

12. Sagt Helena ganz wehmütig, statt heiter und fröhlich: „O mein Mathael, dahin wird es die arme Helena wohl ewig nicht bringen! Es scheint ja, als ob des Allmächtigen Herz geradewegs in dieses Mägdleins Herzen stecke; denn das ist ja eine Erfahrenheit in der Sphäre des innersten Gottlebens im Menschen, wie man solche nur aus dem Munde des Schöpfers erfahren kann! Da ist es dann freilich begreiflich, warum sie auf den Engel eben nicht gar zu große Stücke hält; denn sie muß ihm an der wahren Weisheit so ähnlich sein wie ein Auge dem andern. Daß der Engel wohl eine unendliche Macht und Kraft aus dem Herrn besitzt, daran ist nicht zu zweifeln; ob er aber in der wahren Weisheit aus Liebe zum Herrn stärker ist denn dies Mägdlein, möchte ich schier bezweifeln.

13. Ich möchte mich wohl in irgendein Gespräch mit ihr einlassen, wenn ich nicht einen gar so großen Respekt vor ihrer Weisheit hätte! Denn unsereins dürfte vor dem Mägdlein etwa nur ein dummes Wort auslassen, und man würde etwa leichtlich eine Korrektion aus ihrem Munde erhalten, daß man sein ganzes Leben hindurch sich nicht mehr getraute, auch nur ein Wort mehr über die Lippen gehen zu lassen.

14. Wenn das Mädchen eine Arme wäre, so möchte ich es beschenken mit allen meinen Schätzen, die ich bei mir habe; aber es scheint dem ziemlich kostbaren Anzuge nach ein Kind von wohlhabenden Eltern zu sein, und es würde ein Geschenk von mir bei ihr sicher keine gute Aufnahme finden, besonders bei ihrer ungeheuren Weisheitstiefe, die ohnehin jeden Weltprunk noch tiefer verachten wird als wir und besonders ich, die ich ihr nicht auch nur den kleinsten Wassertropfen einer Weisheit zu reichen imstande wäre!

15. Ich habe das Mädchen unbeschreiblich lieb; aber es wird mir in ihrer Nähe dennoch ordentlich angst und bange.

16. Aber für die Bescheidung, wie man zu Gott wohlgefällig beten soll, bin ich ihr dennoch zu einem großen Danke verpflichtet; aber wie werde ich diesem Kinde den gebührenden Dank an den Tag legen können?“

17. Sagt die Jarah, die sich einstweilen mit dem Raphael über etwas besprach: „Holdeste, hohe Königin, liebe mich, wie ich dich liebe, – ein mehreres bedarf es nicht! Was mir aber aller Welt Schätze sind, das weißt du ohnehin und hast es auch ehedem ganz weise ausgesprochen; und käme es wirklich darauf an, daß wir uns gegenseitig mit den groben Materieschätzen begrüßen sollten, so könnte ich dir ganz sicher größere bieten, denn du mir. Was aber ist alle diese Weltpracht gegen nur einen kleinsten Funken der wahren, lebendigen Liebe zu Gott in unserem Herzen!? Freundin, dies Juwel müssen wir treu bewahren, hüten und pflegen in unserm Herzen, damit es uns nicht entfremdet wird! Besitzen wir das in stets größerer Pracht, in der Reinheit sowohl als in der Lebensintensität, so besitzen wir mehr, als was alle Himmel zu fassen imstande sind! – Verstehst du solches?“

Kapitel 124. Helena über die Priestermacht.

1. Sagt Helena: „Was du nun gar so wahr geredet hast, habe ich gar wohl verstanden; nur das einzige verstehe ich nicht, wie du gar so weise geworden bist!“

2. Sagt die Jarah: „Das kümmere dich nicht; denn das ist eine Sache des Herrn, der da den Menschen je nach ihren Fähigkeiten verschiedene Gnadengaben erteilt und unter sie wie ein Sämann den Weizen auf einen aufgelockerten Acker ausstreut. Wo der Same auf einen guten Boden fällt, da bringt er auch leicht und bald viele Frucht. Ich meine, daß dein Herz auch ein guter Acker ist!?“

3. Sagt Helena: „Sollte es wohl sein; aber ich lebte zu lange im stockblinden Heidentume, das in mir noch immer nachklingt wie ein schlecht gestimmter Ton auf einer Windleier! Wohl kenne ich nun die Wahrheit, und sie ist nun mein Leben geworden; aber bedenke mein großes Volk daheim, das noch nagelfest am Heidentume und an dessen Götzen hängt! Welche Mühe wird es uns nun kosten, dem Volke ein anderes Licht zu geben und ihm den alten Aberglauben zu nehmen! Wenn des Herrn allmächtiger Wille uns da nicht gar gewaltig unterstützt, so werden wir wenig oder nichts ausrichten!“

4. Sagt die Jarah: „Aber du warst ja auch samt deinem Vater eine Heidin, und es hat denn doch nicht gar so viel Mühe und Arbeit gekostet, dich zur reinen Wahrheit herüberzubringen!“

5. Sagt Helena: „Wohl kann ich es nicht aufnehmen mit deiner Weisheit in rein geistigen Dingen; aber auf der Welt gibt es auch gar verschiedene Dinge, und zwar zumeist im Verbande mit den verschiedenen Religionen der Menschen, die bei weitem schwerer zu beseitigen sind als die Irrtümer einer Irrlehre selbst.

6. Zuerst hast du es mit der Priesterschaft zu tun, die sich eine Götterlehre gerade so eingerichtet hat, wie sie ihr am meisten einträgt und sie dabei überaus gut bestehen kann. Die Tempel aber brauchen eine Menge Sachen und beschäftigen stets eine Menge Künstler und Handwerker, und sonstige Diener und Knechte. Alle diese Menschen leben von den Tempeln und verlieren mit dem Aufhören der Tempel ihren Verdienst und ihr Brot. Welchen Lärm werden diese schlagen!?

7. Könnte man diesen Menschen irgendeinen andern Verdienst geben, so ginge die Sache vielleicht besser und leichter; aber woher in einem nicht zu großen Reiche geschwind für Tausende eine neue Erwerbsquelle schaffen, und woher das Brot nehmen für so viele Menschen!? Für etliche Tage wohl würden wir in keine Verlegenheit kommen; aber für viele Jahre hindurch! Wo hernehmen und dabei gut und redlich bleiben!?

8. Nebstbei aber besitzt die Priesterschaft beim Volke stets den größten Glauben und steht bei ihm im höchsten Ansehen; es dürfen die bösen Priester dem Volke dann nur sagen, daß die Götter uns verflucht haben, und wir werden dann schauen können, wie wir mit heiler Haut aus unserem Lande kommen werden. – Siehe, Freundin, das sind wohl Dinge, die uns sehr zu denken zwingen! Wie gesagt, nur eine wunderbare Hilfe des Herrn kann da Rat schaffen!

9. Es wird schwer sein, hier im Judenreiche dieses reinste Licht aus den Himmeln auszubreiten, weil die alte Lehre Mosis schon zu sehr mit derartigen Falschheiten und Betrügereien unterspickt ward, bei denen die Priesterschaft zu reich geworden ist und nun zu gut lebt. Zugleich versteht die Priesterschaft sich allzeit prächtig darauf, mit den Machthabern gemeine Sache zu machen und sich denselben aus allerlei politischen Rücksichten unentbehrlich zu machen.

10. Die Machthaber erteilen ihr dann gewöhnlich zu viel Freiheiten und Privilegien, mit denen die Priester dann das blinde Volk durch allerlei Blendwerk bald ganz für sich gewinnen und die Machthaber am Ende zum bösen Spiele noch eine gute Miene machen müssen, wenn sie nicht ganz verloren sein wollen. Unter solchen Umständen ist es dann schwer, Herr eines Volkes zu sein. Man muß am Ende sogar zufrieden sein, daß man noch einen Herrn spielen kann und darf, wenn man auch schon lange der Wirklichkeit nach keiner mehr ist.

11. Glaube du mir, die eigentlichen Herren des Volkes und der Völker sind schon lange die Priester, und die Kaiser, die Könige und Fürsten sind bloß ihre heimlich sehr verdrießlichen Handlanger, und es möchten sich viele die Sache anders und besser einrichten und alle die feisten und wohlgenährten Götterdiener zum Plunder schicken, wenn es ginge! Aber es geht nicht, und auf eine humane Art schon am allerwenigsten; und sieh, wenn ich nun daran denke, so steigen mir ordentlich die Haare zu Berge! – Siehst du diese Schwierigkeiten wohl ein?“

12. Sagt die Jarah: „Allerdings, und ich weiß aber auch, daß sich nicht alles, was Holz heißt, übers Knie brechen läßt; dazukommt aber als sehr zu berücksichtigen auch das, daß bei uns Menschen gar vieles nicht möglich ist, was bei Gott und mit Seiner Hilfe gar leicht möglich sein kann!

13. Darum tue du soviel nur, als du kannst, und überlasse alles andere dem Herrn, es wird dann schon alles zum erwünschten, guten Ziele gelangen!

14. Dann hast du den Mathael, der vom Herrn mit vieler Weisheit, Kraft und Macht versehen ist, und seine fast ebenso weisen und mächtigen Gefährten; diese alle werden mit der Zeit schon auch etwas ausrichten, und so kannst du nun schon ganz ruhig sein!

15. Und wenn der Mathael seine Belehrungen in deinem Lande also beginnt, wie er es bei dir gemacht hat, so dürfte es ihm eben nicht zu schwer werden, vor allem sogar die Priesterschaft für sich zu gewinnen, die er dann mit dem neuen Amte versehen kann; und sie wird das Weitere beim Volke schon einzuleiten verstehen. Was aber dann weiter die Künstler und Handwerker betrifft, so werden sie von der umgewandelten Priesterschaft schon auch zu andern Zwecken zu verwenden sein!

16. Aber so du, liebste Freundin, nun bei deiner Heimkehr alles Alte, wenn auch noch Irrtümliche, über den Haufen stürzen möchtest, da freilich wäre es wohl begreiflich, wie dir eine solche Mühe und Arbeit sicher sehr schwer belohnt werden würde.

17. Die rechte Weisheit aus Gott muß auch überall die rechten Mittel zu schaffen wissen; weiß sie das nicht, so ist sie auch noch lange keine rechte Weisheit aus Gott. Was sich mit einem Menschen tut, das muß sich auch mit Tausenden tun lassen, nur gehört dazu natürlich mehr Zeit und Geduld als bei einem Menschen; aber gehen kann alles mit der Zeit und mit den dazu tauglichen Mitteln. Auf einen Streich fällt kein Baum um, und mit einem Eimerzuge schöpft man keinen Brunnen aus. Und so geht es überall; der gute Wille, die Zeit und die rechten Mittel können Berge versetzen und ein Meer trockenlegen!

18. Bei Gott ist kein Ding unmöglich; wo Er hilft geistig und natürlich, da geht alles! Daher sei du nur ganz getröstet, und vertraue fest auf den Herrn, und es wird dann schon alles um vieles besser gehen, als du es dir nun vorstellst! – Sage du, lieber Mathael, ob ich recht habe oder nicht!“

Kapitel 125. Ouran zeigt, wie unbegründet die Furcht der Helena ist.

1. Sagt Mathael: „Allerdings, wer wird das verkennen wollen; aber meine allerliebste Gemahlin stellt sich die Sache gar zu riesig schwer vor! Ja, es wird das wohl keine gar zu leichte Arbeit sein, – aber noch lange kein Augiasstall, den der Riese Herkules soll gereinigt haben in einer bedungenen kurzen Zeit! Ich habe gar keine Angst und meine, daß die Sache mit der Hilfe des Herrn ganz leicht gehen wird!“

2. Sagt Helena: „Das hoffe auch ich; aber ich kenne mein Volk und alle die altherkömmlichen Einrichtungen des Landes und sage dir, daß es unter ihnen, das heißt unter den Menschen meines Reiches, sehr schwer Mensch sein und bleiben heißt!

3. Gegen so manche Irrtümer der Menschen zu Felde ziehen, ist ein leichtes, aber eine Riesenarbeit gegen den Fanatismus des diamanthart gewordenen Aberglaubens, den die Priesterschaft durch allerlei Scheinwunder ganz gehörig zu beleben verstand.

4. Man müßte nur ungeheure Gegenwunder zu wirken imstande sein, und da fragt es sich erst, ob man dadurch mit dem Volke etwas gewönne! Man würde es dadurch nur von einem Aberglauben in den andern hineintreiben, so man ihm nicht auch dazu das rechte Licht gäbe, ein echtes Wunder von einem Scheinwunder zu unterscheiden; wie aber kann man das, wenn man die Scheinwunder ihrer eigentlichen Wesenheit nach viel zuwenig kennt?!

5. Die alten Priester aber, die vor den Augen des Volkes zur Beglaubigung ihrer Betrügereien schon so viele Scheinwunder gewirkt haben, werden sich zum Widerrufe nie verstehen! Denn tun sie das, so wird das ganze Volk über sie herfallen und wird sie zerreißen in Stücke; denn ein ganzes, großes Volk läßt sich nie und nimmer so schnell bilden als ein einzelner Mensch.

6. Für die alte Priesterschaft muß demnach ganz anders gesorgt werden, und das Volk muß auf solch eine gewaltige Umwandlung ganz unversehens vorbereitet werden, und wir können von vielem Glücke reden, wenn wir nach zehn Jahren es so weit werden gebracht haben, daß das Volk mit sich über geistige Dinge wird reden lassen!

7. Weißt du, mein allerliebster Gemahl Mathael, ich zweifle keinen Augenblick an deiner großen Weisheit, wie auch nicht an der nötigen außerordentlichen Hilfe des Herrn; aber ich kenne auch die Schwierigkeiten alle, die sich uns wie Riesen entgegenstellen werden, und es steht sehr dafür, ob wir nicht noch einmal das Weite und Fremde werden zu suchen bekommen!

8. So göttlich rein und herrlich auch diese Lehre ist, und wie unendlich beseligend noch dazu; aber es liegt die Welt zu sehr im argen, und es wird darum meiner Ansicht nach eine stets sehr schwere Arbeit sein, den Teufeln in dem Orkus das Friedensevangelium Gottes zu predigen!“

9. Sagt Mathael: „Oh, allerdings wird das keine leichte Arbeit sein; aber wir werden eine desto größere Freude haben, wenn sie uns mit der Hilfe des Herrn gelingen wird! Gelingen muß sie uns aber, und wenn darüber auch die ganze Welt in Trümmer zerfallen sollte! Denn da bin ich ein ganz eigener Mensch; was ich mir einmal vornehme, das muß ausgeführt werden! – Und nun reden wir wieder von etwas anderem!“

10. Sagt Ouran: „Habt wohl recht, wenn ihr euer Gespräch einmal auf etwas anderes lenket! Ich habe zwar unterdessen ein kleines, mich sehr stärkendes Schläfchen gemacht und habe im Traume gar wunderliche Dinge gesehen, aber mitunter habe ich doch auch von eurem Diskurse welches und welches (etwas) vernommen und sage es euch, daß die Kleine (Jarah) da ganz recht hat, und du, mein Sohn Mathael, hast auch recht; aber die Furcht meiner guten Tochter, wennschon nicht ganz unbegründet, ist doch etwas zu eitel!

11. Ich kenne ja mein Volk so gut wie mich selbst! Zum größten Teile ist es handeltreibend, macht mit allerlei Völkern Bekanntschaft und daneben auch mit ihren Sitten, Gebräuchen und Religionen. Im Innern des Landes gibt es wohl Gemeinden, die noch ganz fest an ihren Orakeln hängen; aber an den Küsten könnet ihr ihnen das ganze Göttertum um wenige Groschen abkaufen. Das Priestertum steht bei den meisten schon seit langem im übelsten Rufe, und die Philosophie hat schon lange das eigentliche Göttertum aus dem Sattel gehoben.

12. In Taurien, über dessen südliche Seite ich auch zu gebieten habe, ist es aber mit dem Göttertume schon lange gar, wozu der einige Zeit sich dort aufhaltende römische Dichter Ovid durch seine Metamorphosen – durch die er das Göttertum auf eine honette und dichterische Art ins Lächerliche zog – nicht wenig beitrug. Plato, Sokrates und Aristoteles sind nun die Götter dieser Zeit, und bei denen greift diese Lehre ganz leicht Wurzel; denn diese drei Weisen predigen ja auch nur einen wahren Gott und verwerfen das Vielgöttertum als etwas im eigentlichsten Sinne Reelles ganz und gar und betrachten dasselbe nur als etwas Eigenschaftliches des einen und einzig ewig wahren Gottes.

13. Wären wir selbst ja doch kaum je hierher in das Judenland gezogen, so wir nicht davon gehört hätten, daß im Tempel zu Jerusalem eben der einzig wahre Gott als fast ersichtlich gegenwärtig sei, den besonders Plato in seinem Symposion beschreibt, und wie man sich mit diesem einzig wahren Gott geistig vereinen kann! Davon ist mein ganzes Volk nicht in der Unkenntnis, und es läßt sich darauf dann schon etwas Ehrliches bauen!

14. Ich hätte mich natürlich in Jerusalem in alles einweihen lassen, und hätte ich dort etwas mich Befriedigendes gefunden, so hätte ich es von dort dann gleich zu meinem Volke gebracht. Daß wir aber hierher gekommen sind, gleich zum Schmiede selbst anstatt zu den Schmiedleins – was nun bei all dem, was wir erlebt, gehört und gesehen haben, wohl keinem Zweifel mehr unterliegt –, das ist wahrscheinlich für unsern ernst guten Willen ein freier und außerordentlicher Gnadenakt Gottes des Herrn, dessen wir uns nie als etwa würdig rühmen wollen und werden. Aber eine um desto leichtere Arbeit werden wir nun daheim haben, weil wir dabei der hier erprobten göttlichen Hilfe bei jeder Gelegenheit ganz vollkommen gewärtig sein können!

15. Wir haben, meine allerliebste Tochter, bei weitem nicht so viel gesucht, als wir gefunden haben. Hätten wir nur etwas mehr gefunden als in Platos Symposion, so wären wir schon unendlich zufrieden nach Hause gezogen. Was nun, was jetzt, wo wir etwas gefunden haben, wovon Plato in seinem Symposion nie etwas geträumt hatte?! Jetzt werden wir mit großem Jubel nach Hause ziehen und werden es den staunenden Völkern laut verkünden, was wir bei unserem Suchen alles erlebt, gehört und gesehen haben! Ich muß es euch sagen, daß ich mich nun schon recht von ganzem Herzen darauf freue!

16. Ich begreife darum noch nicht, wie du, Helena, in eine Furcht darüber hast geraten können!

17. Ich stelle es zwar nicht in Abrede, daß du dazu etwas Gegründetes hast; aber das taugt nicht für unser Land, sondern vielleicht viel eher fürs Judentum, das, wie ich es jetzt schon etwas näher kenne, voll Trugs, voll Herrschsucht und voll bösen Willens ist. Da, da dürfte deine Furcht viel eher einen triftigen Grund haben denn bei meinen wahren Lämmern von Menschen! – Was meinst du da, mein geliebtester und geehrtester Sohn Mathael?“

18. Sagt Mathael: „Bin ganz deiner Meinung; denn im Tempel zu Jerusalem geht es nun so ganz eigentümlich ungeheuer zu, und es wäre sehr gewagt, dort mit dieser Lehre aufzutreten! Im Tempel, wo einstens wohl Jehovas Geist sichtlich gegenwärtig war im Allerheiligsten, herrscht alles, was man nur schlecht und böse nennen kann; nur von etwas Göttlichem ist in der Realität keine Spur mehr vorhanden, sondern allein nur leere Namen! Und die Priester sind Wölfe und Hyänen in Schafspelzen. Wenn wir einmal unter uns sind, werde ich euch gar vieles davon zu erzählen wissen, da ich selbst ein Templer war! Aber für jetzt lassen wir das; denn hier gibt es von etwas viel Besserem zu reden als von dem nun völlig gottlosen Tempel zu Jerusalem!

19. Meiner liebsten Jarah muß ich nun schon besser zusetzen; denn die birgt in ihrer Brust noch Geheimnisse, von denen uns allen noch nichts in irgendeinen Sinn gekommen ist! Jarah, erzähle uns doch etwas von deinen Erlebnissen!“

Kapitel 126. Jarah erzählt von ihren Erfahrungen über die Sterne.

1. Sagt die Jarah: „Oh, recht gerne, – aber ihr würdet sie mir wohl kaum glauben! Du, lieber Mathael, kennst dich in den Sternen auch recht gut aus; aber ich vielleicht noch besser, was aber freilich nicht mein Verdienst, sondern eine pure außerordentliche Gnade des Herrn ist. Warte, ich werde dich um etwas fragen! Kannst du mir darüber eine genügende Antwort geben, so verstehst du ebensoviel als ich; bleibst du aber mit der Antwort im Hintergrunde, dann erst werde ich so frei sein, dir manches, was ich weiß, mitzuteilen. – Für was hältst du die kleinen Sterne am Firmamente?“

2. Sagt Mathael: „Meine allerliebste Jarah, das ist eine etwas stark sonderbare Frage! Was da betrifft die Sonne, den Mond und noch etliche Planeten, da könnte ich dir wohl vielleicht eine dir nicht ungenügende Antwort geben; aber bis zu den Fixsternen ist die Sehe meiner Seele noch nicht gedrungen. Ich vermute, daß es auch ferne Welten sind, wie der Herr auch schon einmal darauf hingedeutet hat; aber wie sie etwa so ganz eigentlich beschaffen sind, und was ihre Natur und Beschaffenheit ist, das natürlich kann ich dir wohl nicht sagen und möchte dich darum recht sehr bitten, wenn du mir darüber irgendeine Belehrung geben wolltest!“

3. Sagt die Jarah: „Lieber Mathael, wenn du nicht glauben kannst, daß ich einige dieser Sterne mit meinem Fleische und Blute bereist habe, so nützt dir mein Erzählen wenig oder nichts! Kannst du das aber glauben, so kann ich dir davon schon etwas kundgeben!“

4. Sagt Mathael: „Mein allerliebstes Kind, da wird der Glaube wohl auf eine überaus harte Probe gestellt, weil dazu keine physische Möglichkeit denkbar ist. Im Geiste, in einer Art Entzückung (Verzückung) deiner Seele ist so etwas schon möglich, und ich will es dir gerne glauben, was du mir von den weit entfernten Fixsternen sagen und erzählen wirst; aber wenn du mir sagst ,mit Fleisch und Blut‘, da, Liebste, kann ich schon das erste nicht glauben, und die Erzählung, vielleicht an und für sich ganz wahr und richtig, verliert dadurch sehr an effektiver Wahrheit, wenn schon der bedingende Vorsatz als rein unmöglich erscheinen muß.“

5. Sagt die Jarah: „Warum soll es denn unmöglich sein, daß ich mit Haut und Haaren und mit meinem Fleische und Blute in einigen dieser Sterne gewesen bin? Sind denn bei Gott nicht alle Dinge möglich?“

6. Sagt Mathael: „Oh, allerdings, bei Gott ist kein Ding unmöglich; aber Gott hat alles in eine gewisse Ordnung gestellt, und diese Ordnung ist ein Gesetz, das Er Selbst am allergewissenhaftesten beachtet und auch beachten muß, ansonst die ganze Schöpfung im nächsten Augenblick nimmer bestände. Der Herr wirkt hier viele Wunder, aber dennoch für den genauen Beobachter alle stets innerhalb Seiner ewigen, heiligen Ordnung.

7. Als man an diesem Abend den Tag verlängert zu haben wünschte, ließ Er nicht die Erde oder scheinbar die wirkliche Sonne stehen – was nach Seinen höchst eigenen Worten wider Seine Ordnung wäre –, und würde Er so etwas tun, so würde alles Leben auf der Erde in die höchste Todesgefahr gelangen. Was da nicht durch den zu ungeheuer mächtigen Wurfstoß vernichtet würde, das fände dann um desto sicherer den Tod in den alles Festland überflutenden Wogen.

8. Siehe, wie ich nun die Erde und ihre Luftregionen kenne, so weiß ich, daß in einer Höhe von nur zehn Stunden über uns kein lebendes Wesen mehr bestehen könnte, so wie kein Fisch außer dem Wasser, obschon ein Fisch doch noch länger außer dem Wasser lebend erhalten werden könnte als ein Mensch zehn Stunden Weges hoch über dem Boden der Erde. Nun denke dir aber die endlose Ferne von dieser Erde bis zu einem nächsten jener Fixsterne!

9. Es ist schon der Abstand der Sonne von uns, den meine freie Seele genau bemessen kann, etwas Furchtbares; ein abgeschossener Pfeil hätte bei gleicher Schnelligkeit über fünfzig Jahre zu fliegen, bis er in der Sonne ankäme. Nun aber ist nach dem freilich nicht völlig verläßlichen Gefühle meiner Seele ein nächster Fixstern schon um zehnmal hunderttausend Male entfernter von uns als die Sonne nur einfach von uns entfernt ist, und es gäbe da für den Flug eines abgeschossenen Pfeiles eine Zeit von zehnhunderttausend mal fünfzig Jahren! Würde sich aber ein Mensch so schnell bewegen wie ein frisch abgeschossener Pfeil, so würde ihn die entgegenstrebende Luft ja augenblicklich zerreißen; was würde aber erst mit ihm geschehen, so er, ein Mensch nämlich, in wenigen Augenblicken den furchtbaren Raum durchschnitte?! Was würde da aus seinem Fleische und Blute?!

10. Siehe, die Naturgesetze sind auch von Gott gegeben und können nur mit der Natur selbst aufgehoben werden; aber solange eine Natur besteht, solange währt auch das unabänderliche Naturgesetz fort. Da kann es keine Ausnahmen geben; denn eine noch so geringe Ausnahme müßte eine unberechenbare Störung in der ganzen Natur der Dinge hervorbringen, die da alle wie die Glieder einer Kette ineinanderhängen. Es darf bei einer Kette aber nur ein Glied reißen, und die ganze Kette ist ihrer bindenden Wirkung bar! Da hast du nun meine Gründe, aus denen es mir wohl vorderhand nicht leicht möglich wird, zu glauben, daß du im Ernste mit Fleisch und Blut einige Fixsterne solltest bereist haben.

11. Es kann bei Gott wohl gar sehr vieles noch möglich sein, was ich jetzt trotz aller meiner Weisheit noch lange nicht einsehen kann; aber deine Behauptung, meine liebste Jarah, geht denn doch ein wenig zu sehr in das ungeheuerst Außerordentliche über, und ich kann das nicht eher als wahr annehmen, bis du mir dafür nicht die Möglichkeitsgründe, die mit der von Ewigkeit gesetzten göttlichen Ordnung im Einklange stehen, begreifbar gezeigt hast.

12. Mußt darüber aber ja nicht etwa ungehalten sein, denn in Abrede stelle ich das darum dennoch nicht völlig; nur kann ich die Sache aus den dir gezeigten Gründen, die doch auch nicht aus der Luft gegriffen sind, nicht als für mich belehrend wahr annehmen. Vielleicht hast du aber schlagend wahre Beweisgründe dafür, was ich nicht so ganz wissen kann! Hast du solche, so laß sie mir hörbar werden, und ich werde für die Folge an nichts mehr zweifeln, was du mir sagen wirst!“

13. Sagt die Jarah: „Ja, ja, bist wohl im Ernste ein sehr weiser und über alle Maßen kluger Mann; aber alles siehst denn doch auch du noch lange nicht ein! Sieh, wenn mit dem Raphael etwas zu machen wäre, so könnte er gar leicht in einem Augenblick mir einige Naturstücke herschaffen, die ich aus diesen Sternen mit auf diese Erde herübernahm zum Andenken und zum Zeugnisse, daß ich wirklich dort war; aber es ist mit ihm nichts zu machen, und daher kann ich dir solchen handgreiflichen Beweis nicht liefern. Zwar könntest du als ein bloßer Naturmensch auch da noch an der Echtheit zweifeln; aber deine mit dem göttlichen Geiste erfüllte Seele würde daran wenigstens leicht erkennen, daß die mitgenommenen Gedenkzeichen nicht dieser Erde angehören. Denn es ist daran eine Pracht und Kostbarkeit, gegen die alles, was die Erde Kostbares hat, ein barstes Aas ist. Das wäre ein Kaiserschmuck von nie schätzbarem Werte! – Aber lassen wir das nun; es beginnt im Osten zu grauen! Der Sabbat ist im Anzuge, und es heißt, sich auf diesen Tag des Herrn vorbereiten!“

14. Sagt Mathael: „Da hast du vollkommen recht; aber wir werden demnach heute nicht gleich hinsichtlich einer weiteren Beweisführung bezüglich deiner leiblichen Durchwanderung etlicher Fixsterne etwas zu hören bekommen!?“

15. Sagt Jarah. „Wie sollen wir das? Deine Gegenbeweise sind zu fest und zu gegründet in der bestehenden, unwandelbaren göttlichen Ordnung, und ich kann dir für meinen wirklichen Besuch der Fixsterne keinen andern Beweis liefern als den, daß bei Gott alle Dinge, die dem menschlichen Verstande noch so unmöglich scheinen, dennoch möglich sind.

16. Hast du die Zeit gezählt und gemessen, in der der Herr durch meinen Raphael die Ouran-Schiffe vom Mittenmeer (von der Meeresmitte) ans Ufer herübersetzen ließ? Wem ist bei solcher geschwindesten Übersetzung auch nur ein Haar gekrümmt worden? Wieviel Zeit brauchte denn Raphael, um des Ourans große Wohnzelte und alle seine mitgenommenen, zum Teil sogar sehr gebrechlichen Habseligkeiten von den Schiffen in der größten Ordnung ans Ufer zu stellen?

17. Hast du nicht bemerkt Raphaels Schnellschreiberei?! Kontrastiert das nicht, auch nur einigermaßen streng genommen, mit den gewöhnlichen Naturgesetzen, und doch hast du es vor deinen Augen geschehen sehen?! Kannst du nach deinen Gründen behaupten, daß solches unmöglich sei?!

18. Sieh, ich kann es dir sagen, weil ich, wie noch kein Sterblicher auf dieser Erde, es leiblich erfahren habe, daß es im endlosesten Weltenraum so ungeheuer große Sonnenweltkörper gibt, die, so sie hohl wären, in sich einen größeren Raum hätten, als da ist dieser ganze Himmelsraum, den du hier ersiehst bis zu den Fixsternen der ersten, zweiten und dritten Entfernung! Diese ungeheuren Sonnenweltkörper, um die sich ganze Sonnengebiete mit den zahllos vielen Zentral- und Planetarsonnen bewegen, bewegen sich der Nahrung wegen aber ebenfalls wieder um einen noch endlos größeren Zentralsonnenkörper, und die Bewegung ist eine so schnelle, daß du sie nicht einmal mit deinem Gedankenflug einzuholen imstande wärest!

19. Von hier bis zu jedem Fixstern erster, zweiter, dritter und sogar vierter Entfernung würde der Flug kaum sieben Augenblicke lang dauern, und wir machen mit unserer Sonne und mit unserer Planetarzentralsonne, die mit der vorerwähnten und bezeichneten Sonnengebietszentralsonne die gleich schnelle Weitkreisbewegung mitmacht, ganz vollkommen dieselbe Bewegung unausgesetzt mit, und das ist naturgesetzlich und aller höheren Rechnung nach gewiß! Verspürst du etwas davon, oder beirrt das irgendeinen Weltkörper oder uns selbst, so wir nun in einem Augenblick eine solche unmeßbare Weite des unendlichen Schöpfungsraumes durchfliegen?

20. Wenn aber so ungeheure Weltkörper mit solch einer undenkbaren Schnelle unbeschadet ihrer Wesenheit dahineilen können, um wieviel leichter, wenn es der Herr will, ein Körper wie der meinige!?

21. Hast du nun so einen etwas dichteren Begriff von der Möglichkeit, daß ich im Ernste mit meinem Leibe einige der nächsten Fixsterne bereist habe?“

22. Sagt Mathael: „O Mägdlein, in dir ruht ein ganzer Himmel voll Weisheit, und ich fange nun wirklich an, die Möglichkeit dessen zu glauben, was du von dir sonderbarsterweise ausgesagt hast! Aber rede nun nichts mehr davon, denn unsere Seelen sind noch nicht erweitert zur Genüge, um solche Größen zu fassen; dazu brauche ich selbst noch mehrere Jahre, so offen auch meine Seele ist.“

Kapitel 127. Reden über die merkwürdigen Vorkommnisse.

1. Darauf schweigt Mathael in stiller Betrachtung über das von der Jarah Gesagte, und die Helena und der Ouran betrachten die Jarah ganz stumm, vom tiefsten Erstaunen hingerissen; die Jarah aber betrachtet die noch stark brennende Stadt und harrt mit größter Sehnsucht Meiner Rückkunft. Es ist nun völlig still auf dem Berge, nur im Hause des Markus ist es lebendig für die fremden angesagten Gäste, für den Kornelius und Faustus nämlich, und der Morgen wird heller und heller.

2. Gut bei einer Stunde lang ward es also ganz ruhig am Berge, außer, wie schon gesagt, daß es im Hause des Markus sehr lebendig herging wegen der angesagten neuen Gäste, aber auch wegen der sicher zu erwartenden neuen Ankömmlinge aus der verunglückten Stadt.

3. Bei der Ruhe aber schliefen auch mehrere gegen den Morgen hin ein. Sogar Cyrenius, Julius, der Knabe Josoe und mehrere mit Cyrenius hier anwesende hohe Staatsdiener schliefen ein; aber die dreißig jungen Pharisäer, die am aufmerksamsten den Brand der Stadt beobachteten, blieben wach und besprachen sich viel über das Gesehene und Gehörte, ebenso auch die zwölf mit ihrem Suetal, Ribar und Bael.

4. Mathael, Helena, Jarah, Ouran und an Mathaels Seite seine vier Gefährten als der Rob, Boz, Micha und Zahr blieben zwar auch wach und waren voll großer Gedanken; aber sie schwiegen alle und dachten über das nach, was die Jarah zu ihnen alles geredet hatte, und getrauten sich nicht, sie weiter um irgend etwas zu fragen. Die Jarah aber dachte auch darüber nach, ob sie diesen Menschen nicht etwa zuviel auf einmal gesagt habe.

5. Nach einer langen Weile erst, als sich der Horizont schon zu röten begann, öffnete der sonst sehr schweigsame Rob den Mund und sagte: „Liebe Freunde, noch kann ich bei all meinem Nachdenken in mir selbst zu keiner Ruhe gelangen. Es ist hier wahrlich alles so außerordentlich seltsam, daß man sich stets also vorkommt, als träumte man, und man kann schon tun, was man nur immer will, so kann man mit all dem Gesehenen und Vernommenen sich nimmer also befreunden, daß man sich darin einheimisch fühlen könnte! Und dieses sich stets mehr und mehr Fremdfühlen ist noch in sich das Natürlichste, womit eines Denkers Gedanken sich beschäftigen können. Alles nichts als Wunder über Wunder von der kolossalsten Art!“

6. Du, Bruder Mathael, bist hier zum Könige eines großen Landes geworden, wir zu deinen Konsuln! Der große, heilige Meister darf nur hinblicken über die weite Erde, und sie bebt wie ein Kind vor der Rute! Dazu kommt noch der junge Hauptmagier aus den Himmeln und verrichtet Dinge, vor denen unsereinem geradewegs die Haare gen Berge steigen! Nun kommt noch dies Mägdlein und erzählt einem abermals Dinge, ob welchen man mit der leichtesten Mühe von der Welt ein Narr werden könnte! Sage, ob es da wohl möglich ist, sich mit diesen Dingen in irgendeiner Art befreunden zu können! –

7. Wo Er aber eigentlich nun so lange bleibt? Es werden nun schon gut bei drei Stunden sein, daß Er uns verließ, und noch kommt Er nicht wieder!“

8. Sagt ein zweiter der vier Gefährten Mathaels, der Boz hieß und auch kein Vielredner war, zum Rob: „Was du fühlst, das fühle auch ich und kann mich um alles in der Welt hier nicht mehr heimisch zu fühlen anfangen! Es kommt mir alles, was da kommt, so unerwartet als möglich, und ist in seiner Art aber schon allzeit so exzentrisch großartig, daß man sich nichts Großartigeres vorstellen kann. Jede Tat, jedes Wort und jede Erzählung schlägt alles, was das menschliche Ohr bis jetzt gehört und das Auge je geschaut hat, schon derart in den nichtigsten Staub nieder, daß davon samt Moses und allen seinen Wundertaten nichts als Staub zurückbleibt.

9. Es unterliegt wohl nicht dem Zweifel, daß durch den höchst merkwürdigen guten und großen Meister, der, aus Nazareth gebürtig, dem Leibe nach ein Sohn eines dortigen Zimmermanns ist, die ganze Fülle des göttlichen Urgeistes wirkt; aber welcher Sterbliche kann sich neben einer solchen Größe heimisch fühlen? Redet Er, so redet nicht Er, sondern der ewige Geist Gottes aus Ihm, und handelt Er, so möchte ich von einem größten Weisen doch vernehmen, was Gott noch über das möglich sein solle, das Dem unmöglich wäre! Er ist vollkommen Gott in Wort und Tat, Sein Wille beherrscht tatkräftigst die ganze Unendlichkeit, und doch wandelt Er nur als Mensch vor und mit uns und ißt und trinkt gleich wie wir!

10. Wo sind nun alle die Weisheitssätze eines Salomo, der bei der Weihe des Tempels sprach: ,Herr, wohl weiß ich, daß Dich Himmel und Erde nicht umspannen können – wo alle Schöpfung aufgehört hat, da bist Du noch ewig und unendlich mächtig –; aber dennoch haben wir Dir, o Herr, ein Haus erbaut, um uns darin mit reinen und reuevollen Herzen zu vereinen, um Dir, o Herr, für alle Deine Wohltaten und Segnungen zu danken und in Drangsalen Dir unsere Not und unser Elend vorzutragen!‘ (1. Kön. 8,12 ff.)

11. Wenn das auch nicht gerade von Wort zu Wort also steht, so ist dies aber doch in Kürze der Sinn dessen, was der weise Erbauer des Tempels bei der Einweihung desselben in großen, weisen Worten gesprochen hat; hätte er wohl also gesprochen, so er unsern Meister, aus Nazareth gebürtig, gesehen und gesprochen und Ihn gleich uns kennengelernt hätte?

12. Für Seine Persönlichkeit ist der Tempel noch um mehrere tausend Male zu groß, und der überall waltende, allmächtige Wille unseres Meisters ist ja nicht der Meister, der Gott Selbst, sondern nur eine unbegreifliche Kraft des einen und desselben Meisters, den wir sehen, hören und sprechen können und dabei aber dennoch Sein persönliches Maß so gut kennen als das unsrige. Wie macht Er es, daß Sein Wille die ganze Unendlichkeit und Ewigkeit beherrscht und Sein Auge und Sein Ohr allenthalben vollauf gegenwärtig ist? Sieh, das alles sind nun Dinge, in denen sich kein Geist völlig zurechtfinden kann, und die Folge ist, daß man darin auch nicht heimisch werden kann!

13. Ja, wäre des geistig großen Gottmeisters Person die eines Simson oder Goliath, da wäre die Sache etwas heimischer, denn man könnte da sagen: so ein allmächtiger Geist muß auch einen entsprechenden Leib haben; aber so ist unser Meister mehr klein als groß zu nennen, was dessen Person betrifft, und doch spielt Sein Geist mit der Unendlichkeit wie ein Knabe mit einem Apfel! Das ist das Unbegreifliche, und alle Weisen mit ihren Lehren über das Wesen Gottes erleiden hier den allergewaltigsten Schiffbruch; aber wir können uns nun dennoch, obgleich wir hier eines andern praktisch belehrt worden sind, nicht sogleich heimisch fühlen!

14. Kurz, ich träume eigentlich auch noch mehr, als daß ich mich völlig wach und heimisch fühlte. Meine Seele sieht nun wohl vieles ein, ja, ich übersehe der ganzen Erde Gestalt, bis in ihre tiefsten Tiefen dringt mein Blick; ich übersehe den Mond als eine recht traurige, elende, kleine Welt, für noch kleinere und elendere Menschen und anderartige Geschöpfe bestimmt; ich sehe den Merkur, die Venus, den Mars, den Jupiter, den Saturn und sehe darüber aber noch ähnliche Weltkörper klein und groß. Der Saturn sieht gar wunderseltsam aus; er ist um sehr vieles größer als unsere Erde und schwebt in der genauesten Mitte eines ungeheuren Ringes, über welchem sich, sage, sieben Monde, größer als der unsere, herumtummeln wie die Bienen um ihren Stock; ich sehe auch die wunderherrlichen, überweit gedehnten Gefilde der großen Sonne; aber bei all dem fühle ich mich bei weitem nicht so fremd als hier in der merkwürdigst sonderbarsten Nähe des Schöpfers aller der zahllosen Welten und ihrer Wunder!

15. Vielleicht fühlet ihr andern euch heimischer, da ihr vielleicht diese Sache nicht so ruhig und so tief fasset als ich und der Bruder Rob; aber wenn man die Sache recht mit aller Ruhe und in der möglichsten Tiefe zu betrachten anfängt, vergleichend mit allem, was man in dieser Welt je gesehen, gehört und in den alten Büchern gelesen hat, so wird es einem immer unheimlicher und fremdartiger zumute. Ja, man verliert sich am Ende so ganz mit seinem eigenen Dasein, daß es einem als ein ganz fühlbarstes Nichts vorkommt! – Saget es mir, ob ich recht habe oder nicht!“

16. Sagt darauf Micha: „Recht habt ihr beide, und auch ich habe das gleiche Gefühl; aber es beseligt mich dennoch gar sehr.“

17. Sagen Rob und Boz: „Ja, von dem ist keine Rede! Uns beseligt es auch sehr und überaus; aber das hebt das Sich-völlig-fremd-Fühlen in dieser Sache durchaus nicht auf! Gott ist und bleibt Gott, und wir können denken und fühlen, wie wir nur immer wollen, so werden wir die Kluft nie ausfüllen!“

Kapitel 128. Michas lebensweise Auffassung der Vorkommnisse.

1. Sagt Micha: „Ist auch gar nicht notwendig! Seien wir froh, daß wir das sind, was wir sind, und daß wir endlich einmal das vor uns körperlich haben in aller der endlosesten Wirkungsumfassung, wovon die Alten vergeblich nach irgendeinem haltbaren Begriffe strebten, sich aber mit demselben auch stets gleich ins Blaue verloren!

2. Betrachtet Moses und alle die Propheten, nehmet noch die Weisen Ägyptens und Griechenlands dazu, fasset ihre ungeheuer mystisch geistigen Begriffe vom Wesen Gottes zusammen, und ihr habt noch kein Sandkorn groß von dem, was wir hier in Hülle und Fülle handgreiflich körperlich vor uns haben!

3. Moses, der größte Prophet, wollte am Berge Sinai Gott sehen, bekam aber aus der feuerschwangersten Wolke mit einer Donnerstimme, daß darob der Erdkreis erbebte, zur Antwort: ,Gott kann niemand sehen und leben!‘ Wir aber schauen nun denselben Gott, reden mit Ihm, sind fröhliche Zeugen von Seiner Weisheit und Allmacht und leben ganz gut und ganz gemütlich dabei! Wenn es dem guten Moses auf dem Berge manchmal etwas unheimlich zumute geworden ist, besonders wenn um sein Haupt in einem fort tausendmal tausend allergewaltigst krachende Blitze ihr Spiel trieben, so ist das gar wohl begreiflich; aber wenn wir hier von einer besonderen Unheimlichkeit reden in Gegenwart des so überaus guten und allergemütlichsten Gottes, so sind wir vollauf des derbsten Auslachens wert!

4. Schwärmten nicht unsere Alten von einem heiligen Vater im Himmel, konnten aber dennoch nie zu irgendeinem Begriffe von Ihm gelangen!? Wir haben denselben heiligen Vater in aller handgreiflichster Wahrheit nun vor uns auf dieser Erde, die nun der Himmel aller Himmel ist, und wir fühlen uns unheimisch!

5. Es ist schon wahr, daß man sich hier ganz ungewohnt und anders fühlen muß als ein Kind daheim bei seinem eitlen Spielzeuge; aber dafür befinden wir uns nun auch in einer ganz kuriosen Schule des Lebens! Wenn ein Kind das erstemal in eine Schule kommt, wird es sich auch sicher nicht so heimisch fühlen als bei seinem Spielzeug daheim im Hause seiner Alten; aber wenn es die Schule einmal ein Jahr lang besucht, dann wird es sich auch darin so heimisch fühlen als daheim beim Spielzeug.

6. Wie aber Er, unser Gott, Meister, Herr und Vater mit Seinem allmächtigen Willen dennoch in der ganzen Unendlichkeit vom Größten bis zum Kleinsten alles wirksamst durchdringt und Sich gleich aller Seiner end- und zahllos vielen Geschöpfe vom Größten bis zum Kleinsten als klarst gegenwärtig bewußt ist, das, Brüder, geht uns gar nichts an und weiter sicher nicht, als daß wir wissen und einsehen, daß es also ist und sein muß, ansonst alle Dinge offenbar augenblicklich ihr objektives Dasein verlieren müßten.

7. Haben wir nur Geduld! Heute wissen wir einmal so viel, morgen werden wir offenbar wieder mehr wissen, und in einem Jahre dürften wir schon viel mehr wissen als eben jetzt im Anfange unserer geistigen Entwicklung, in der wir aber dennoch schon jetzt bei weitem höher stehen, als vor uns Moses und alle die großen, Namen habenden Propheten standen, die in ihren allerheiligsten Gesichten das kaum allergeistigst geahnt und darauf mit höchst mystischen Worten und Zeichen niedergeschrieben haben, was wir jetzt ohne alle Mystik mit unseren Händen greifen können. Bedenken wir das nur so recht lebendig, und wir werden uns gleich um vieles weniger unheimisch fühlen, als sich einst Saul unter den Propheten gefühlt hat!“

8. Sagen die andern: „Ja, ja, du hast vollkommen recht, und uns allen ist nun schon um vieles heimischer zumute! Was ein vernünftiges Wort eines Menschen doch alles zu bewirken imstande ist!“

9. Sagt Zahr, der bis jetzt noch immer geschwiegen hatte, aber sonst stets voll Heiterkeit in seinem Gemüte war: „Es ist zum Lachen, was oft die gescheitesten Männer für dummes Zeug zusammenbringen! Micha, der Schwächste unter uns, hat dennoch die allergescheiteste Ansicht zutage gefördert! Wie könnte es einem aber hier nur im geringsten fremd und unheimlich vorkommen? Gerade das Gegenteil! Wir sind ja nun erst so ganz am rechten Flecke! Wir sind bei Gott, unserem ewigen Schöpfer und Vater. Von da sind wir ausgegangen und sind nun wieder soweit als möglich dahin zurückgekehrt; was reden wir da von Sich- fremd-Fühlen? Da sind wir ja erst so recht zu Hause! Nein, was die Brüder Rob und Boz doch für sonderbare Ansichten haben! – Was sagst denn du, Mathael, dazu?“

Kapitel 129. Mathael gibt Aufklärungen über die Denkwürdigkeiten.

1. Sagt Mathael: „Du hast recht, aber die beiden auch; diese Sache ist da höchst individuell! Du und Micha seid euren Seelen nach aus einem Lichtsterne; jene beiden sind Kinder dieser Erde, aber mit der gleichen Berechtigung auf die Liebe und Gnade des Herrn als ihr! Eure Seelen aber waren schon vom Urbeginne dem rein Geistigen näher denn die Seelen des Rob und Boz, und es ist sich darum durchaus nicht zu verwundern, wenn sie hier, in solcher Nähe des allerreinst Geistigen sich befindend, sich fremder und unheimlicher fühlen als wir, die wir schon vom Urbeginne an dem Geiste näher standen denn die beiden. Sie werden sich nach und nach schon auch heimlicher (heimeliger) zu fühlen anfangen und fühlen sich jetzt schon um vieles heimischer; aber ein Tag kann das nicht geben, was da gibt ein Jahr. Nach einem Jahre werden sie ganz anders fühlen und reden denn nun, wenn ihr Geist mehr und mehr eins wird mit ihren Seelen. – Verstehst du solch eine Weisheit?“

2. Sagt Zahr: „Oh, das verstehe ich nun ganz wohl; denn meine Seele ist ja auch durch die großen Leiden, die wir ausgestanden haben, sehr helle geworden, und ich verstehe nun alles leicht. Nur das Mägdlein mit ihrer Bereisung der Fixsterne geht mir noch nicht so recht in OPTIMA FORMA ein, obschon ich es dem Kinde glaube und ihm gewisserart glauben muß. Aber das Wie, das ist eine andere Sache!

3. Na, wir sind ja aber nun gewisserart im Zentrum des allerhöchsten, göttlichen Wirkens; warum sollen sich in solcher Nähe des allerhöchsten Gottes nicht Dinge ereignen können, die sonst irgend in der ganzen Unendlichkeit nicht zum Vorschein kommen?!“

4. Sagt Mathael: „Bei deiner stets heiteren Laune bringst du doch oft Sachen zum Vorschein, die einem mehr sagen als ein ganzer salomonischer Tempel voll der allergediegensten Weisheit! Auch unser Micha hat ehedem eine ganz brauchbare Rede von sich gegeben, und wir können ihm dafür alle recht verbunden sein. Und so hast auch du, Bruder Zahr, nun die Möglichkeit der leiblichen Reise dieses Mädchens in etliche ferne Fixsterne auf eine Weise dargetan, daß ich nun an der Möglichkeit gar nicht mehr zweifeln kann. Ist wirklich klassisch wahr; wir dürfen ja nur denken, wo wir nun eigentlich sind, und die Möglichkeit für alles liegt ja offenkundig vor unseren Augen, Ohren, Händen und Füßen!

5. Die Bemerkung aber, die einer aus euch gemacht hat, daß man sich die unendliche Macht des göttlichen Geistes leichter in einem auch leiblichen Riesen vorstellte als in der mehr klein-männlichen Gestalt des Herrn, ist zwar für die bloß sinnliche Wahrnehmung wohl etwas, weil etwas Kolossales auf die menschlichen Sinne stets einen mächtigeren Eindruck macht als etwas Kleines; aber für eine rein geistige Auffassung ist das dennoch ein barster Unsinn. Denn die göttliche Kraft bedarf der Materie nicht, um dadurch etwa erst nach Maßgabe der materiellen Quantität mehr oder weniger wirkend zu werden, sondern die Materie selbst ist ja an und für sich nur ein zeugender Ausdruck von der geistigen Kraft des göttlichen Willens, dem es einerlei ist, eine ganze Welt oder ein Sandkörnchen aus sich ins Dasein zu rufen. Wozu wäre da eine leibliche Riesengestalt gut? Der göttliche Wille bedarf ja nur in sich eines ewig unwandelbaren Stützpunktes, um vom selben aus in endlosen Radien (Strahlen) allenthalben in der endlosen Welten- und Wesenräumlichkeit in gleicher Kraft und Stärke zu wirken, und zur Bergung dieses heiligen, ewig gleich allmächtigen Stützpunktes bedarf es wahrlich keines Gigantenleibes.

6. Wohl haben die Ägypter nahe alles, was auf die Gottheit irgendeinen Bezug hatte, in oft erschrecklich riesigen Formen dargestellt, um das blind bleiben sollende Dienervolk so recht breitzuschlagen; das sollte die Gottheit fürchten bis zum Entsetzen und vor dem Ausspruche der Priester erbeben in aller Zerknirschtheit wie Laubblättchen vor dem Sturme! Aber haben diese riesenhaften Gottgestalten das gemeine Volk etwa besser gemacht? O nein, mit der Zeit hatte sich das Volk an die schrecklichen Gestalten gewöhnt und machte sich aus einem bei dreißig Mannshöhen über den Erdboden ragenden Sphinxkopfe gar nichts mehr und bewunderte mehr die Geduld irgendeines alten Bildners, der gleich aus einem ganzen Granitfelsen einen Kopf ausgemeißelt hat.

7. Daher seien wir froh, daß der Herr Selbst nun in der vollsten und unverhülltesten Wahrheit als ein ganz schlichter, durch nichts Äußeres irgend besonders ausgezeichneter Mensch uns besucht hat und uns alle auf die einfachste Art von der Welt unsere Bestimmung, uns selbst und Ihn der vollsten Wahrheit nach erkennen lehrt! Dieses alleinige tut uns not, und über alles andere kann für ewig Rat gehalten werden.“

8. Sagt Zahr: „Dank dir, Bruder, das ist sehr wahr und gut! Wir haben uns jetzt gegenseitig im Namen des Herrn und Meisters von Ewigkeit recht fruchtbringend aufgerichtet, und es ist dabei schon recht hübsch licht geworden. Aber wie ich merke, so ist nun gegen den Aufgang alles eingeschlummert bis auf uns, – und ich muß eingestehen, daß ich aber auch nicht eine leiseste Spur von irgendeiner Müdigkeit in mir verspüre, und ihr alle werdet auch ganz munter sein!“

9. Sagen alle: „Ganz vollkommen! So gestärkt haben wir uns eigentlich noch nie gefühlt!“

Kapitel 130. Die Missionen und Leiden der Engel.

1. Hier tritt Raphael hinzu und sagt: „Ich schlafe ja auch nicht, und doch habt ihr gesagt, daß außer euch nun alles schläft!“

2. Sagt Zahr: „Freund, daß du nicht schläfst und auch gar nie und nicht schlafen kannst, das wird etwa wohl einem jeden Menschen klar sein, der dich so gut kennt wie wir! Daher hättest du dir diese Bemerkung ganz füglich ersparen können. Siehe, du lieber Engel, es ist ganz genug, daß wir Menschen hier noch manchmal etwas dumm sind, und wir bedürfen darin von deiner Seite durchaus keiner Unterstützung, um noch dümmer zu werden, als wir von Natur aus sind; wohl aber kannst du uns zufolge deiner immensen (unermeßlichen) Weisheit und Erfahrung, die älter als das Weltgebäude ist, in so manchen Stücken recht herrlich unterweisen!“

3. Sagt Raphael: „Wer bin ich denn hernach, daß ich darum keinen Schlaf haben sollte?“

4. Sagt Zahr: „Aber ich bitte dich, du mein himmlischer Freund, rede und frage uns doch nicht gar so geschwollen! Du bist ein Engel des Herrn aus den Himmeln, hier nur zur Not vom Herrn aus mit einem leichten Leibe versehen! Diesen Leib kannst du mehr als in Blitzesschnelle von dir werfen und zunichte machen!

5. Du bist ganz ein anderes Wesen als wir dem Leibe nach noch immer sterblichen Menschen dieser Erde. Du bist nie geboren worden, hast nie außer Gott dem Herrn einen Vater und eine Mutter gehabt, aus deren Leibe du hervorgegangen wärest, gleich uns. Du kennst nur eine nie ermeßbare Seligkeit seit den undenkbarsten Zeiten; Schmerz, Leid und Trauer und die bittere Reue kennst du nur dem Namen, nicht aber auch aus eigener Erfahrung dem Wesen nach und kannst mit Menschen daher der vollsten Wahrheit nach ja gar nicht reden von irdisch menschlichen Dingen; du kannst mit uns nur von rein geistigen Dingen reden, die wir von dir auch sehr dankbar annehmen werden, denn darin mußt du völlig zu Hause sein; aber von leiblichen Dingen kannst du nicht reden, weil du noch nie in einem Leibe gejammert hast!“

6. Sagt Raphael: „Schau, schau, was du doch alles weißt! Wäre ich auch nie in irgendeinem Leibe gesteckt, so weiß ich dennoch besser, was der Leib ist und wozu jede Fiber in ihm, als du solches in tausend Jahren bei allem Fleiß erlernen könntest!

7. Sind nicht wir Engel es, die wir für alles zu sorgen haben, was nur immer das Sein eines Menschen von seinem Entstehen bis zu seinem Scheiden von dieser Erde betrifft?!

8. Sind nicht wir es, die eure Seelen durch die in eurem Fleische bewirkten Leiden und Schmerzen läutern und zur Aufnahme des Geistes aus Gott fähig machen, und wir sollten dann nicht wissen, was eure verschiedenartigen Leiden und Schmerzen sind?! Was denkst du denn in deinem Verstande, wenn du mir so etwas zum Vorwurfe machen kannst!?

9. Glaube es mir, daß auch wir Engel nicht schmerz- und leidunfähig sind! Und ich sage es dir, daß wir oft mehr Schmerzen und Leiden ausstehen denn ihr, so wir nur zu oft erleben müssen, wie die hartnäckigen Menschen alle unsere großen Mühen unter Hohn und Spott mit den schmutzigsten Füßen zertreten und uns stets den Rücken zuwenden.

10. Freund, hättest du wohl soviel Geduld mit einem Menschen, über den dir alle Gewalt eingeräumt wäre, wenn du ihn stets mit den größten Wohltaten überhäuftest, der Mensch dich aber für all das über alle Maßen verachtete und von dir nichts hören und wissen wollte und dabei nur stets darauf all sein Denken und Trachten richtete, von dir als seinem größten Wohltäter und Freunde loszuwerden, dir für alle deine Sorgen und Mühen um sein Heil womöglich noch zu schaden, dich um deinen guten Ruf und Namen zu bringen und an dir einen arglistigen Verräter zu machen!? Sage mir, wenn du nur so ein Cyrenius wärest, was du solch einem Menschen tun würdest! Hättest du wohl die Geduld, so einen Bösewicht bis zu seinem Ende mit aller Geduld und Mäßigung und Zartheit zu behandeln?“

11. Sagt Zahr, über diese Worte des Engels große Augen machend: „Nein, Freund! Diese Geduld hätte ich in meinem Leben nie! Da hätte ich schon ohne Macht keine Geduld, geschweige erst mit Macht!“

12. Sagt Raphael: „Sieh, und ich habe so viel unverantwortliche Macht und Kraft, daß ich ganz allein diese ganze Erde, den Mond, die Sonne und alle deinem Auge sichtbaren Sterne, die lauter ungeheuer große Weltkörper sind, mit allem, was sie tragen, im schnellsten Augenblick zerstören und gänzlich vernichten könnte; und doch habe ich aus freiem Willen stets eine solche Geduld mit den unbändigen Menschen dieser Erde!

13. Aber alles das wäre nichts, und wäre ein leicht zu ertragendes Übel; denke dir aber nun das fortwährend allerwiderspenstigste Betragen Satanas und deren Engel, die, als selbst sehr mächtige Geistwesen, stets mit dem ,löblichen‘ Plan umgehen, nicht nur uns, sondern auch Gott zu verderben und Ihm alle Seine Macht zu nehmen!

14. Solches kann freilich ewig nie geschehen! Aber genug, der unvertilgbare böse Plan ist einmal da, und sie lassen nicht ab, ihn in den Vollzug zu bringen, erleiden dafür wohl stets die größten Schmerzen und Peinen, die sie sich durch ihre böseste Disziplin (Wollen) selbst bereiten; aber das beirrt sie im ganzen dennoch nie, von ihrer großen Bosheit für bleibend abzustehen.

15. Sieh, wir sehen das alles und haben die Macht, sie nicht nur auf das empfindlichste zu züchtigen, sondern sie auch für ewig gänzlich zu vernichten, und das alles ohne Verantwortung vor Gott dem Herrn!

16. Und dennoch behandeln wir sie als unsere gefallenen Brüder mit aller Geduld und Nachsicht und leiten die Sache streng also, daß ihr freier Wille von uns aus nie irgendeine Schranke bekommt, sondern allzeit frei ist und bleibt; nur verhindern wir stets mit aller Sorgfalt die Fernwirkung desselben. Freund, was wohl würdest du tun bei solchen Verhältnissen?“

17. Sagt Zahr: „Da schlüge ich wie ein Bär drein und würde sehen, ob mir solche Geisterbestien nicht Obedienz (Gehorsam) leisteten, besonders wenn ich deine Macht und Gewalt unverantwortlich besäße!“

18. Sagt Raphael: „Siehst du aber nun wohl ein, daß ein Engel Gottes sein kein so leichtes Ding ist, wie du dir' s vorgestellt hast, und daß ich vom eigentlich Menschlichen doch auch ein wenig etwas einsehe und kenne und darum auch mit euch davon reden kann?!“

19. Sagt Zahr: „O ja, das sehe ich nun nur zu gut ein; aber nur das sage mir nun noch, ob du hier sein mußt, oder ist auch das dein freier Wille?“

20. Sagt Raphael: „O ja, ich könnte euch auch alsogleich verlassen nach meinem eigenen freiesten Willen; aber ich will bei euch bleiben, weil solches dem Herrn wohlgefällt. Des Herrn Wohlgefallen ist aber so ganz eigentlich mein Wille, und wider den kann auch Gott Selbst nicht und niemals handeln; denn darin besteht die Erhaltung aller Schöpfung, von der du mit all den für dich zahllos vielen Sternen nicht einmal den äonsten Teil siehst, geschweige die endlose Ganzheit und das Wesen derselben! – Aber nun naht sich die Sonne schon stark dem Aufgange, und der Herr kommt zurück; darum heißt es nun wieder vollauf aufmerksam sein auf jeden Seiner Winke!“

Kapitel 131. Aller menschliche Sorgengeist wird von Raphael verscheucht.

1. Sagt Zahr: „Sollen wir die Schlafenden nicht wecken?“

2. Sagt Raphael: „Sie werden schon wach werden, wenn der Herr erst vollends wieder bei uns sein wird!“

3. Springt die Jarah eiligst auf und fragt mit einer leidenschaftlich liebevollsten Heftigkeit: „Von wo, von wo kommt Er, die Liebe aller Liebe!? Meine Augen sehen noch nichts!“

4. Sagt Raphael lächelnd: „Macht nichts; wenn nur dein Herz Ihn sieht, so werden bald darauf deine Augen auch nicht zu kurz kommen! Er wird mit dem vollen Aufgange hier sein!“

5. Sagt Helena, die auch wach blieb: „Jarah, eilen wir Ihm entgegen! Oh, welch eine Seligkeit, Ihm entgegenzugehen!“

6. Sagt Jarah: „Ja, ja, Freundin, gehe du nur fein mit! Oh, welch eine Freude wird das sein, wenn wir Ihn schon irgend von weitem her werden auf uns zugehend erblicken!“

7. Darauf eilen die beiden flugs gegen den Wald gen Westen zu und verlieren sich bald in demselben.

8. Ouran, der auch wach war, sah den beiden nach und sagte, als sich diese im Walde verloren: „Am Ende verirren sie sich? Das Gebirge steigt von da, wie es scheint, sich gen Süden beugend, ziemlich stark an und dürfte mehrere Stunden fortziehen!? Sie werden in ihrer Hast fortlaufen, und der Meister kann von einer andern Seite herkommen, und die werden Ihn suchen und am Ende doch nicht finden!“

9. Sagt Raphael: „Sorge dich um etwas anderes! Diese beiden werden sich ebensowenig verirren, als ich mich verirren würde oder könnte. Wo das Herz vor Liebe einmal in solch einem allerheftigsten Lichte ist, da ist ein Verirren in was immer fürder reinst unmöglich! Sie werden freilich hübsch tief in den Wald kommen; aber finden werden sie den Meister!“

10. Mit dem beruhigt sich Ouran, richtet seine Blicke abermals nach der noch stark brennenden und auch sehr stark rauchenden Stadt und entdeckt mit seinen weitsehenden, scharfen Augen, wie aus der Stadt eine Menge Wanderungen beginnen nach allen Richtungen hin. Auch gegen unsern Berg hier ersieht er ganze Prozessionen und sagt: „Nun, wohl bekomme es jedem! – Wenn die alle zu uns stoßen, woher wird sich für so viele Brot herbeischaffen lassen? Diese essen den alten Markus ja samt seiner Behausung ganz vollkommen und rein auf!“

11. Sagt Raphael: „Sorge dich auch da um etwas anderes! Die ganze Erde und alle Geschöpfe auf ihr brauchen doch sicher auch sehr viel von allerlei in jedem Augenblick, und der Herr sättigt dennoch die große Erde selbst und alle auf ihr seienden Wesen! Was ist aber die Erde gegen die Sonne, die mehr als um zehnmal hunderttausend Male größer ist denn diese Erde und stets unmeßbar viel Nahrung zur Erhaltung ihres mächtigen Lichtes und zur Erhaltung der zahllosen Geschöpfe auf ihren weiten Lichtgefilden braucht; und der Herr sorgt für sie so wie für dich, edler Freund!

12. Nun denke dir aber erst den ewig nie zu ermessenden endlosen Schöpfungsraum voll Sonnen und Erden noch viel größerer Art, als diese Erde und die ihr leuchtende Sonne es sind! Alle werden von einem und demselben Herrn stets gleich mit allem auf das reichlichste versehen, das zu ihrer Existenz taugt. Nirgends ein Mangel, sondern allenthalben der größte Überfluß! Wenn aber also und ewig unmöglich anders, wie magst du dich hernach sorgen, woher man Brot nehmen werde für so viele, die nun von der Stadt zu uns her auf dem Wege sind?“

13. Sagt Ouran: „Ja, ja, nun hast du schon recht! Ich bin ja kein Weiser, sondern ein Mensch, und vergesse oft auf Augenblicke, wo ich mich nun befinde; bin aber schon wieder ganz in der Ordnung!“

14. Kommt Hebram herzu, der aus seinen dreißig Gefährten auch wach geblieben ist, und sagt: „Aber das wird heute als an einem strengen Sabbate eine große Verwirrung absetzen! Wäre dieser Brand an einem Werktage vor sich gegangen, so könnte man diese Abbrandler, die zu uns kommen werden, mit Rat und Tat unterstützen; aber so wird das für heute sogar für den großen Meister eine schwere Aufgabe werden!“

15. Sagt Raphael: „Sorge auch du dich um etwas anderes! Hast du schon einmal die Sonne den Sabbat feiern sehen, oder den Mond, oder die Sterne, oder den Wind, den Regen, oder das Wachstum der Pflanzen und derart mehreres? Warum aber feiern diese Geschöpfe keinen Sabbat? Weil des Herrn gleichfort allertätigster Wille nie und nimmer einen Sabbat, dessen Herr Er ist, feiert!

16. Oder wie kannst du Gott ein lästig Gesetz zumuten, das eben Gott nur den Menschen zu ihrer Heiligung angeordnet hat auf so lange, als es Ihm rätlich schien?!

17. Wenn Gott dir aber den Sabbat und dessen Feier nachsieht, was willst du hernach bezwecken mit deinem törichten Sabbate? Möchtest du nicht auch mir den Sabbat hinaufdisputieren? Soll etwa auch ich den Sabbat heiligen durch einen nutz-, zweck- und sinnlosen Müßiggang? Oh, warte, gerade heute als an einem Sabbate, werde ich euch ein Wetter machen, daß euch darob Hören und Sehen auf Monate lang vergehen wird!“

18. Sagt Hebram: „O du überirdischer Freund, mußt mir meine Frage nicht für übel annehmen! Denke dir nur stets, daß wir Menschen sind und selbst bei unserm möglichst besten Willen bei außerordentlichen Gelegenheiten doch stets noch in das Altgewohnte, wie die Sau in eine Pfütze, hineinfallen! Du aber, o mächtiger Diener und Engel Gottes, beschütze uns alle in der Folge davor; denn wir sind alle zumal lauter schwache und sehr gebrechliche Menschen!“

19. Sagt Raphael: „Gehe hin zu deinen Brüdern und beruhige sie; denn sie schweben alle in derselben dummen Sabbatsorge, mit der du hierhergekommen bist! Zeige ihnen die große Dummheit ihrer Besorgnis! Sie werden nun nach und nach wach.“ – Hebram geht und tut mit gutem Erfolge, was ihm Raphael geboten.

20. Als das in der Ordnung ist, erwacht Ebahl aus Genezareth und fragt den Ouran gleich um seine Jarah; dieser aber bescheidet ihn, was da geschehen ist, und wie die Jarah mit der Helena den Herrn suchen gegangen seien in den Wald.

21. Sagt Ebahl: „Ei, ei, das hätten sie nicht tun sollen! Der Wald wird wahrscheinlich schon von Cäsarea aus mit allerlei Gästen bevölkert sein! Wie leicht kann den beiden etwas begegnen, das sie höchst unangenehm berühren könnte!“

22. Sagt Raphael: „Sorge auch du dich um etwas anderes! Die beiden sind schon lange am rechten Orte und werden bald wieder hier sein. Mit dem vollen Aufgange kommt der Herr, und die beiden werden nicht ferne von Ihm sein!“

23. Sagt Ouran: „Wie lange haben wir noch bis zum vollen Aufgange?“

24. Sagt Raphael: „Bei einer kleinen halben Stunde noch!“

Kapitel 132. Die Schwierigkeit einer Bekehrung von Priestern.

1. Damit geben sich nun alle zufrieden, und es ist wieder alles ruhig auf dem Vorberge, der durch eine kleine Einsattlung von dem sich weiter nach Süden ziehenden höheren Gebirge getrennt ist; aber unten am Meere wird es schon sehr lebendig, denn es sind schon mehrere Gesellschaften aus der Stadt beim alten Markus eingetroffen und klagen da natürlich mit sehr grellen Farben ihre Not und ihr unverschuldet erlittenes Unglück.

2. In der Küche des Markus geht es schon sehr tätig zu, und die beiden Söhne mit dem alten Markus bereiten mehrere Feldherde, um für so viele Gäste erklecklich viele Speisen zu bereiten.

3. Einige von den von Cäsarea Angelangten begeben sich auf den Berg, weil sie schon von weitem darauf Menschen ersehen haben. Als sie aber Römer erblicken, da ziehen sie sich gleich wieder zurück; denn sie meinen, daß diese hier auf der scharfen Wache stehen, um die Flüchtigen in Empfang zu nehmen und sie wieder nach der noch brennenden Stadt zum Löschen zu bescheiden, was den Erzjuden an diesem Sabbate ganz besonders ungelegen käme. Denn es lebten in Cäsarea einige Erzjuden, die es mit den Satzungen Mosis, ohne gerade Pharisäer zu sein, ganz entsetzlich strenge nahmen. Und das war ein Neumondssabbat, der allzeit strenger gehandhabt ward als ein gewöhnlicher! Daher waren sie, auf die verhängnisvollen Erscheinungen des Vorabends, wie neu aufgefrischt mit Asche auf dem geschorenen Haupte und mit zerrissenen Gewändern noch um vieles strenger als sonst je an einem Neumondssabbate. Es wäre für diese höchst strengen Sabbatisten sonach höchst fatal gewesen, so sie von den unsabbatischen Römern wären zum Löschen zurückbeschieden worden; daher hielten sie sich auf dem Berge ob dem Anblicke der Römer, obgleich diese noch schlummerten, gar nicht lange auf und empfahlen sich, wie gesagt, gleich wieder.

4. Raphael schmunzelte und sagte zum Mathael: „Hast sie bemerkt, die Scharfsabbater? Die haben sich schnell aus dem Staube gemacht beim Anblicke der Römer! Aber freue dich, die werden uns heute noch sehr vieles zu schaffen geben!“

5. Sagt Mathael: „Freund, mit Liebe, Weisheit und Geduld wird sich etwa und besonders mit der Hilfe des Herrn schon alles machen! Mich dauern sie! Blind im Herzen, nackt am Verstande, – gleich alten, verrosteten Nägeln in einem Balken stecken sie in ihrer Dummheit, die Armen! Na, vielleicht heilen wir sie alle!“

6. Sagt Raphael: „Freund, solange der Mensch bloß dumm ist, da macht sich die Sache leichter; aber wenn mit der Dummheit werktätig Hochmut, Herrsch- und Genußsucht in einen festen Verband treten, dann geht es mit der Besserung schwer und am schwersten beim Priesterstande hochstehender Art und Gattung!

7. Nimm du her, welche Stellung eines Menschen du willst, zum Beispiel die eines Feldherrn oder sonst eines hohen kaiserlichen Dieners! Solange er in seiner Würde steht, wird er auch auf die ihm schuldige Achtung und Ehrung Anspruch machen, und sie wird ihm gezollt; aber er kann mit der Zeit dienstuntüchtig werden und man setzt ihn in den Ruhestand, und er ist de facto (tatsächlich) nichts mehr und kümmert sich auch um sein ganzes früheres, beschwerliches Amt nicht mehr! Der hohe Priester aber behält seinen Nimbus (Ansehen) bis zum Grabe, und nach seinem Tode lassen ihm die lebenden Priester ihrer eigenen Ehre und Erhöhung wegen ein tempelartiges Grabmal setzen und erweisen ihm eine göttliche Verehrung! Das Priestertum weiß sich demnach die Würde für lange Zeiten als unantastbar zu erhalten und zu wahren in allen denkbaren Lebensstellungen.

8. Tritt du nun hin zu solch einem eingefleischten Priester, bei dem du gar wohl merken kannst, wie sehr er im Falschen und Lügenhaften steckt, und du wirst nichts ausrichten mit ihm! Seine Würde hält er weit über die eines Kaisers, weil er sich als einen Stellvertreter Gottes auf Erden dünkt; er vertauscht darum seine Würde mit keiner in der Welt.

9. Willst du ihm etwa mit viel Gold und Silber seine Würde veräußerlich machen, so wird er dir sagen: ,Gold und Silber habe ich ohnehin; meine Würde aber ist mehr wert denn alle Schätze der Welt, denn ich bin ein Beamter Gottes und kein Beamter eines Weltfürsten, und mein Amt bleibt in Ewigkeit!‘ Nach solcher Entgegnung hast du dann kein Heft mehr in deinen Händen und mußt am Ende noch tanzen nach der Pfeife so eines eingefleischten hohen Priesters! Darum meine ich hier, daß sich mit diesen Erzjuden gar nicht viel wird machen lassen! Im übrigen ist dein Sinn ein ganz vollkommen gotteswürdiger; Gott dem Herrn ist aber gar vieles möglich, was uns Engeln und euch Menschen oft für unmöglich scheint.“

10. Sagt Mathael: „Ich danke dir für diese Worte; aber nun geht die Sonne auf, und wir müssen uns für die Ankunft des Herrn im Herzen bereit halten!“

11. Sagt Raphael. „Hast ganz recht; denn der Herr ist ja die rechte Sonne aller Sonnen! Wenn Der aufgeht im Menschenherzen, so ist für dieses der Tag der Tage geworden. – Siehst du Ihn schon aus dem Walde kommen, weil du gemessen hinschaust?“

12. Sagt Mathael: „Die Sonne ist zwar schon ganz überm Horizont; aber vom Herrn und von den beiden, die Ihm entgegengeeilt sind, ist noch nichts zu entdecken. Mir scheint, die Sache so ganz genau nach deinerAussage genommen, daß du dich diesmal in deiner himmlischen Weissagung selbst ein wenig verrechnet hast! Mit dem Vollaufgange der Sonne und mit der Wiederankunft des Herrn geht es diesmal nicht so ganz auf ein Haar zusammen! Siehe, die Sonne steht schon ziemlich hoch über dem Horizonte, und noch ist vom Herrn keine Spur! Sage mir nun, wie ich deine uns gemachte Weissagung deuten soll!“

13. Sagt Raphael: „Du mußt aber deine Augen auch dorthin richten, von wannen Er kommt, und nicht nach dorten hin, von wannen Er nicht kommt! Sieh dich um, und du wirst dich gleich überzeugen, daß ich euch keine falsche Weissagung gemacht habe!“

Kapitel 133. Vom rechten Gottsuchen.

1. Mathael, Ouran, Ebahl und Mathaels vier Gefährten sehen sich alle schnellst um und sehen Mich mit dem alten Markus auf den Hügel heraufkommen und eilen Mir entgegen.

2. Als sie bei Mir anlangen, grüßen sie Mich zwar alle auf das liebfreundlichste und danken Mir für die Wiederkunft; aber da sie die Jarah und Helena nicht bei Mir ersehen, so wird es ihnen bange, und Ebahl, um seine Jarah äußerst besorgt, fragt Mich etwas ängstlich, ob die beiden nicht im Walde zu Mir gekommen seien, da sie Mir nach dem Worte Raphaels am Morgen entgegengeeilt wären. Und da sie nun nicht bei Mir wären, so dürften sie Mich im Walde noch suchen; Ich möchte sonach doch den Raphael ihnen nachsenden, daß er sie wieder unbeschädigt zur Gesellschaft brächte!“

3. Sage Ich: „Warum sorget ihr euch denn um diese, die Mich suchen? Meinet ihr denn, daß Ich jemand nur dann vor Gefahren beschützen kann, so Ich leiblich in seiner Nähe bin? Als du, Ouran, in großer Gefahr warst, wer sagte es Mir denn, daß Ich dich ansah und rettete? Weiß Ich etwa nicht, wo die beiden nun sind und Mich suchen? Lasset sie nur, sie werden schon wiederkommen!

4. Die beiden haben Mich auch gefunden in ihren Herzen, was da ein leichtes ist für jedermann. Wer aber Mich äußerlich suchen geht, obgleich er weiß, daß Ich nur innerlich zu suchen bin, der muß auch diese Lektion bekommen, hier freilich beispielsweise nur die, daß ihn ein bloß äußeres Suchen und Mir-Entgegengehen nicht in den Stand setzt, Mir näher zu kommen, sondern Mich nur mehr und mehr zu verlieren! Das könnt ihr als am Morgen des Sabbats euch recht wohl zu Gemüte nehmen! – Im übrigen sind die beiden Mir doch auf die Spur gekommen und werden nun bald da sein.“

5. Sagt Ebahl: „Nun, wenn nur das, dann ist ja schon alles wieder in der Ordnung! Sie wären sonst wohl sicher bei uns geblieben, wenn Raphael sie nicht durch seine Worte so schnell zum Entschlusse gebracht hätte! Der gute Junge sieht alles in der Nähe, wenn etwas noch so entfernt ist, und man kann ihm ganz leicht aufsitzen! Abraten wird er nie jemand leichtlich von etwas, und wenn's am Ende sogar etwas Schlechtes wäre; denn da will er dann jemand durch gemachte bittere Erfahrungen auf den rechten Weg bringen. Und so hat er ehedem den beiden nicht etwa von ihrem Dir-Entgegengehen abgeraten, sondern sie dazu sicher nur mehr angeeifert, und darum sitzen sie nun irgendwo ermüdet und wissen aus sich nicht, wie sie daran sind! Geschieht aber meiner Jarah schon ganz recht; denn sie kennt Raphaels Art und Weise und weiß, was sie zu tun hat! Sie ist ihm wieder einmal aufgesessen, und das ist ganz gesund; aber freuen kann er sich, wenn sie wiederkommt, da wird er wieder eine ganz auserlesene Vorlesung bekommen und wird sich wieder wundern über Jarahs Zungenfertigkeit!“

6. Hier kommt gerade Raphael herbei, der unterdessen die Schlafenden aufgeweckt hatte, und Ebahl sagt zu ihm: „Du bist nun schon wieder Ursache von einem etwas verunglückten Unternehmen der Jarah und mit ihr auch der Helena! Muß dir aufrichtig gestehen, daß mir die Art und Weise, wie du mit den dir anvertrauten Menschen umgehst und sie leitest, durchaus nicht gefällt! So ein Jünger von dir etwas tun will, was nicht ganz in der Ordnung ist, so mußt du ihn ja davon ablenken durch Rat und Tat, nicht aber, ihm gewisserart noch anratend, ihn die Sünde begehen lassen und ihn endlich erst durch die böse Folge auf dem Wege der Selbsterfahrung vor einer künftigen Sünde bewahren! Das mag wohl für Geister deiner Art recht gut und zweckmäßig sein; aber für Menschen taugt so etwas nimmer nach meiner eben auch nicht letzten Erkenntnis!“

7. Sagt Raphael: „Bist zwar ein durchaus ehrlicher und rechtlicher Jude; aber was die geheimen Wege des Herrn betrifft, da bist du dumm wie ein Fisch! Meinst du denn, daß ich das, was ich tue, aus mir selbst tue?! Ich bin ein Finger des Herrn und tue, wie des Herrn Geist mich nötigt! Hättest du irgend mehr Einsicht, so würdest du das wohl einsehen; aber ich weiß, wie weit sich deine Einsicht in geistigen Dingen erstreckt, und sehe dir darum solche Schwäche nach. Daß sich aber die beiden nicht verirrt haben, kannst du daraus ersehen, daß sie nun ganz gesund und wohlbehalten über den Berg von Markus' Hütte her zu uns kommen, begleitet von einer Tochter des Markus, die uns die Nachricht bringt, daß das Morgenmahl für uns fertig ist!“

8. Sagt Ebahl: „Ja, aber wie sind denn die beiden da hinabgekommen, ohne von uns gesehen worden zu sein!?“

9. Sagt Raphael: „Sagte nicht der Herr zuvor, daß sie Ihm auf die Fährte gekommen sind?“

10. Sagt Ebahl: „Nun, nun, ich bin schon wieder still; weil sie nur wieder dasind, so ist nun bei mir wenigstens schon alles wieder gut!“

Kapitel 134. Grund der Zerstörung von Cäsarea Philippi.

1. Nach diesem Gespräche verkündet Markus, daß das Morgenmahl in Bereitschaft steht und alle Tische bereits mit Speise und Trank besetzt sind. Darauf begeben wir uns hinab vom Berge und an die Tische, die sich am Morgen alle wieder in der alten Ordnung befinden, und keiner fehlt.

2. Hier sagt Ouran zur Helena: „Als du unten warst, sahst du wohl, ob unsere Zelte noch stehen und in der Ordnung sind? Und haben unsere Diener wohl auch zu essen und zu trinken, – und sind unsere Lasttiere alle versorgt?“

3. Sagt Mathael zum Ouran: „Freund und Tochtervater, in Gegenwart des Herrn ist jede Sorge eitel! Denke nun an nichts als an den Herrn; denn Er denkt für uns und für die ganze Unendlichkeit!“

4. Als wir nach dieser Bemerkung Mathaels an den Ouran uns hinab vom Berge zu den Tischen begaben, fragte Mich unterm Wege Cyrenius: „Herr, soll ich etwa eine Abteilung meiner Krieger zum Löschen nach der Stadt beordern? Denn wenn wir der Stadt keine Hilfe bringen, so ist sie bis auf den heutigen Abend hin ein glühender Schutthaufen!“

5. Sage Ich: „Lieber Freund, so Ich das wollte, hätte Ich schon lange Meinen Raphael dahin gewiesen, und das Feuer der Stadt wäre in einem Momente gelöscht; aber Ich will, daß diese für Gott und Kaiser schlechte Stadt gedemütigt werde, und Ich lasse darum alles vom Feuer zerstören bis auf die Häuser der Armen und Nüchternen. Alles andere aber soll zu Asche werden! In der Folge sollen hier bessere Menschen sich ansiedeln, und unseres alten Markus Nachkommen sollen über diese Stadt und Gegend mit des Kaisers Bewilligung ein gerechtes Zepter führen, und sie soll ihnen als Erbe verbleiben von Kind zu Kind und von Enkel zu Enkel; wenn sie aber Gottes vergessen werden, dann wird es ihnen geschehen, wie es nun den Bewohnern dieser Stadt geschieht.

6. Wäre der Brand an einem Werktage über diese Hurereistadt gekommen, so wäre er schon lange gelöscht; aber am Sabbate, und besonders an einem Neumondssabbate rührt dir kein Erzjude auch nur mit der Spitze des kleinen Fingers irgend etwas an, in der Furcht, vor Gott verunreinigt zu werden.

7. Da ist der Erzjuden Gewissen sehr zartfühlend; aber die Unterlassung der guten Werke beunruhigt ihr Gewissen nicht im geringsten, also auch nicht der materielle und geistige Ehebruch und allerlei Betrug.

8. Sie sind sogar der Meinung, daß eine Sünde wider das Gebot Gottes an einem Werktage fast gar keine Sünde sei, und man könne sich bis zum Abende hin lang wieder rein machen; aber am Sabbate müßte man bis zum Abende unrein verbleiben, in welcher Zeit der Fürst der Nacht zu herrschen beginne. Und da wäre es dann gar leicht möglich, daß da ein Abgesandter des Satans käme, jemand unrein träfe und sogestaltig Besitz nähme von der unreinen Seele!

9. Die Sünde schade dem Menschen nur in der Nacht, und das etwa nur bis nach Mitternacht, weil in der Zeit dem Satan gewährt sei, auf den Fang auszugehen. Bei Tage habe er keine Macht, und man könne da sündigen, wie man wolle, so mache das nichts; nur solle man wohl darauf bedacht sein, sich vor dem Untergange der Sonne zu reinigen nach der von Moses vorgeschriebenen Weise, und man habe sich dann wegen der am Tage begangenen Sünden in der Nacht nicht im geringsten zu fürchten.

10. Wegen Gott ist diesen Blinden nichts, und wenn sie gegen Seine Gebote am Tage noch so viele Sünden begangen hätten! Nur daß sie dem Satan nicht verfallen, daran liegt ihnen alles; und weil solches an einem Sabbate, an dem sie keinen Bock, kein Lamm und kein Kalb schlachten, ja, sich nicht einmal sieben Male waschen dürfen, am leichtesten geschehen kann, so hüten sie sich, was möglich, den Sabbat hindurch sich rein zu erhalten, damit der Teufel keine Gewalt über sie bekommen kann, wenn die Sonne untergegangen ist!

11. Darin hast du nun den Grund, warum diese Finsterlinge in allen Dingen lieber ihre guten Häuser an einem Sabbate zu Asche werden lassen, als daß sie Hand anlegten und löschten. Darum wird dereinst ein römischer Feldherr, dem solche grobe und unwegbringbare Narrheit dieses Volkes nicht unbekannt sein wird, ein leichtes Spiel haben, dies Geschlecht, wenn es aufständisch wird, besonders an einem Wintersabbate mit einem Schlage aus allen Fugen zu treiben und seine große Stadt in einen Schutthaufen zu verwandeln.

12. Aber jetzt nehmen wir das Morgenmahl ein, sonst kommen uns eine Menge eben nicht sehr erfreuliche Besuche über den Hals, mit denen wir zu tun haben werden, um ihrer auf irgendeine gute Art loszuwerden!“

13. Darauf begab sich alles an die Tische, und das gute Morgenmahl ward diesmal mit großer Eßlust verzehrt, und da war niemand, der dem alten Markus nicht ein vollstes Lob erteilt hätte. Auch Ouran und Helena bemerkten, daß sie noch nie so wohlzubereitete Fische genossen hätten und ein so geschmackvolles Brot. Markus aber wies alles Lob auf Mich und sagte: „Das ist das Salz und die beste Würze von allen Speisen, von allen Getränken und von allen Dingen; Ihm allein bringet euer gerechtes Lob dar!“

14. Es war aber nicht einer unter den vielen Gästen, der da nicht begriffen hätte, was Markus gesagt hatte, und alle priesen Mich still in ihrem Herzen. Mathael aber sagte laut: „Ja, ja, alter Markus, wo der Herr alles Lebens Küchenmeister und alles in allem ist, läßt sich unvergleichbar gut leben; denn da muß Geist, Seele und Leib die beste Kost bekommen! Du hast ganz wohl getan, daß du das dir gespendete Lob an den Herrn zurückgewiesen hast; aber eben darum wird auch dein Name nicht sterben in dem Herzen derjenigen Menschen, die dich als einen Freund des Herrn haben kennengelernt!“

15. Markus dankt Mir darum, daß Ich seinem Hause eine so überschwenglich große Ehre angetan habe; dann dankt er aber auch dem Mathael für dessen gutes Wort und erklärt sich für alles das als völlig unwürdig.

Kapitel 135. Cyrenius und die Abordnung der Erzpharisäer aus dem abgebrannten Cäsarea.

1. Nach dem eingenommenen Morgenmahle fragen Mich Cyrenius und Julius, was nun zu tun sein werde.

2. Sage Ich (zu Cyrenius): „Warten wir ein wenig hier, und es wird sich gleich etwas zu tun vorbereiten! Sehet hin ans Ufer! Dort schleichen gleich faulen Nebelgebilden mehrere alte Erzpharisäer mit ihren Erzjüngern. Diese wissen bereits, daß du dich hier aus ihnen freilich unbekannten Gründen aufhältst. Sie vermuten, du inspizierest die Orte am Galiläischen Meere, haltest aber hier dennoch eine Art Lager. Die Prachtzelte des Ouran bestätigen sie in ihrer dunstigsten Meinung. Sie passen nun darauf, ob du etwa auf einem Schiffe übers Meer her oder vielleicht aus dem Zelte kommen werdest. Da wollen sie dir dann eine Entschädigungsbitte ans Herz legen, da sie der Meinung sind, daß die Heiden ihre Wohnung angezündet haben.

3. Aber sie werden es nun bald und leicht in die Erfahrung bringen, daß du dich hier befindest, und wir werden sie am Halse haben. Da kannst du dir schon vorstellen, welche Arbeit sie uns geben werden! Nur das sage Ich dir und euch allen, daß Ich nicht verraten werde vor der Zeit! Sie müssen erst ganz ordentlich ins Bockshorn getrieben worden sein, dann erst soll ihnen der Schrecken des Schreckens durch Meine Bekanntwerdung kundgemacht werden. Du wirst dich aber überzeugen, was wir mit dieser ehebrecherischen Art werden zu tun und zu verhandeln bekommen!

4. Mathael und Raphael werden uns gute Dienste tun; aber bis über des Tages Mitte werden wir ihrer kaum loswerden. Seien wir nun darum nur eine kurze Zeit ruhig, und sammle du dich; denn du weißt nun, was über dich kommen wird!“

5. Darauf wird alles stille, nur die Soldaten und die Dienerschaft tummeln sich etwas laut am Berge herum.

6. Nach einer Weile fragt Mich Mathael, ob er mit den Erzfinsterlingen so ganz ohne irgendeinen Vorhalt reden dürfe.

7. Sage Ich: „Allerdings; aber du wirst dich auch ganz besonders zusammenzunehmen haben! Glaube ja nicht, daß sich mit diesen gepanzerten Helden der Nacht gar zu leicht wird verhandeln lassen; denn diese sind für gar viele Fälle bis an die Zähne bewaffnet!“ Darüber fing Mathael auch an, sich sehr zu sammeln.

8. Es fragen Mich aber auch Meine Jünger, wie sie sich bei dieser Sache zu verhalten haben werden.

9. Sage Ich: „Ihr habt dabei weder etwas zu reden, noch etwas zu tun; beobachtet die ganze Sache als stumme Zeugen, und fragt euch jemand von den Pharisäern um etwas, so weiset ihn an den Cyrenius und bekennet, daß euch diese Sache gar nichts angeht, und sie werden euch in Ruhe lassen. Ich Selbst werde anfangs dasselbe tun.“ Mit diesem Bescheide waren die Jünger auch zufrieden, und wir harrten darauf in Ruhe der lästigen Ankömmlinge.

10. Nach einer Weile von einer kleinen halben Stunde bekamen die am Meeresufer des Cyrenius Harrenden durch einen an uns vorübergehenden Juden aus der Stadt, der den Cyrenius kannte, die Kunde, daß er sich im Garten des alten Soldaten befinde. Auf diese Nachricht kehrten alle die Erzpharisäer und die andern Erzjuden um und begaben sich ganz schnell zu uns herüber.

11. Als Mathael sie auf sich zugehen sah, sagte er: „Nun, mein hoher Freund Cyrenius, mache dich gefaßt; jetzt geht der Sturm los! Bin doch sehr begierig zu erfahren, was diese Kerle alles zum Vorscheine bringen werden!“

12. Sagt Cyrenius: „Ich nicht minder, obschon ich offen gestehe, daß ich mit diesen Menschen am unliebsten verhandle; denn wie man ihnen nur halbwegs den kleinen Finger zeigt, so wollen sie schon gleich die ganze Hand, und das geht denn doch nicht, da es noch andere Menschen gibt, die wirklich arm sind und darum sehr vonnöten haben, daß man ihrer gedenkt.“

13. Mit dem waren die Petenten, natürlich mit ihrem Synagogenobersten an der Spitze, auch schon herangekommen. Dieser erkannte sogleich den Oberstatthalter und sprach ihn folgendermaßen an: „Hochgestellter, erleuchteter und allbevollmächtigter Herr Oberstatthalter von Cölesyrien, ja vom ganzen Judenlande, vom übrigen Klein- und Großasien und von einem Teile Afrikas! Es wird dir nicht unbekannt sein, welch nie erhörtes Unglück uns, allzeit Gott und dem Kaiser ergebene, Bewohner der Stadt Cäsarea Philippi in dieser Nacht heimgesucht hat. Wäre uns darob nur irgendeine kleinste Schuld beizumessen, da könnten wir unsere Fahrlässigkeit nun verwünschen und tief beweinen und ertrügen weiter mit Geduld, was Gott der Allmächtige über uns hat kommen lassen; so aber haben wir zu diesem Unglücke unseres Wissens nicht irgendeine geringste Veranlassung gegeben, sondern die Bosheit einiger mutwilliger Heiden hat das an uns getan! Darum sind wir denn auch so ganz eigentlich da, um von dir uns eine entsprechende Entschädigung zu erbitten!

14. Du wirst uns solche sicher um so eher nach Recht und Gebühr zufließen lassen, als wir fürs erste völlige Untertanen Roms sind gleich den mutwilligen Heiden, fürs zweite aber wir Priester und Diener des allein wahren Gottes das Volk in unserer Gewogenheit für Rom mehr kaiserlich zu stimmen imstande sind als viele tausend Schwerter und Lanzen. Sind wir aber einmal antirömisch (gegen Rom), so wirken unsere Zungen in wenigen Stunden mehr denn hunderttausend Krieger in einem Jahre. Hier wäscht eine Hand die andere!

15. Gewähre uns unsere Bitte, entreiße uns dem momentanen Bettelstabe und laß uns auf Unkosten des Staates unsere zerstörten Gebäude, unsere Lehr- und Bethäuser wieder aufbauen, und du wirst im Namen des Kaisers an uns keine undankbaren Unterstützten finden, ja, wenn es nicht anders geht, so verpflichten wir uns auch dazu, dem Staate solch einen Vorschuß nach zwanzig vollen Jahren mit Zinsen zurückzuerstatten. Überlege, du hoher Oberstatthalter, wohl unsere Bitte und gewähre sie uns! Es wird das weder dein noch des Kaisers Nachteil sein; denn wir wissen, wer und was wir sind, und was wir vermögen! Sind wir des Kaisers Freunde, so wird er sein weites Reich leicht regieren; sind wir aber in unseren verschlossenen Gemütern des Kaisers Feinde, so dürften ihm Krone und Zepter bald zu einer äußerst lästigen Bürde werden! Daher bedenke unsere dermalige Not, bedenke unsere Bitte als ein Kluger und handle nach deinem Gutdünken!“

16. Sagt Cyrenius, seine innere bittere Aufregung kaum verbergend: „Bevor ich ein Ja oder ein Nein ausspreche, werde ich eher alles genaust untersuchen lassen, wie und auf welche Veranlassung die Stadt und eure Häuser in den Brand gesetzt worden sind. Ob ihr so ganz unschuldig dabei seid, wüßte ich kaum; denn ich habe eben in dieser Nacht von jemandem vernommen, wie ihr eigentlich infolge der gestrigen totalen Sonnenfinsternis und später noch mehr infolge des plötzlichen Verschwindens der abendlichen Nachsonne das Volk wegen dem bevorstehenden und nun erfolgen sollenden Gerichte Gottes, das von einem eurer Propheten vorhergesagt ward, habt zu harangieren angefangen. Dabei haben ihrerseits auch die Priester der Griechen nicht gefehlt, das sonderbare Naturspiel zu ihren Gunsten auszubeuten. Ihr beiden priesterlichen Parteien habt die bewußte Naturerscheinung mißbraucht, um das Volk wegen Vorschutz von wirksamen und eures Gottes Willen erreichenden Gebeten zu den unerhörtesten Opfern zu zwingen. Das von euch schon von Kindheit an taub- und blindgemachte Volk tat nach Kräften alles, was es nur tun konnte, um dem von euch verkündeten Jüngsten Gerichte zu entgehen.

17. Glücklicherweise fand sich ein vernünftiger und erfahrener Mann vor, der einige ihm bekannte Bessere aus dem Volke zu sich rief und ihnen dann mit aller Ruhe und Gelassenheit die stattgehabte Erscheinung aus sehr natürlichen Gründen und als von ihm schon öfter gesehen erklärte. Er machte sie aber auch weisermaßen zur Bekräftigung seiner Erklärung darauf aufmerksam, daß die Priester, so an ihrer Aussage etwas gelegen wäre, es sicher bleiben ließen, sich für noch einige Augenblicke Seins auf dieser Welt voll Lug und Trug vom Volke so massenhafte Opfer zu erpressen! Die unersättlich habgierigen und herzlosen Priester wüßten so gut wie er, daß an der ganzen Sache nichts gelegen sein könne als höchstens eine natürliche, nächsttägige Witterungsveränderung. Sie kenneten aber des Volkes Aberglauben und sündigten nun bei dieser Gelegenheit auf das gewissenloseste darauf los!

18. Sehet, solches ist mir in der Nacht noch von einem allergetreuesten Zeugen kundgegeben worden! Nun, was war die Folge von diesem weisen und sehr zeitgemäßen Unterrichte? Die etlichen mit wenigen Worten Wohlunterrichteten eilten darauf zum verzweifelten Volke hinaus und schrieen heiter aus vollem Halse: ,Trost, Trost, Trost über Trost! Höret uns zu eurem Besten ruhig an!‘ Hierauf unterwiesen sie das Volk auf eine leicht begreifliche Weise. Das Volk, solches einsehend, ward von Zorn und Wut gegen euch ergriffen und bereitete dann euch so ein bißchen etwas von einem jüngsten Tage Daniels. Da ich aus dieser treuen Kundgabe nun wohl nur zu gut einsehe, daß eigentlich nicht der Mutwille der Heiden, sondern gerade nur ihr selbst daran schuldet, daß in dieser Nacht die sonst recht schöne und bedeutende Stadt zu Asche wird auf Grund des gerechten Ärgers des Volkes über euren betrügerischen Sinn, so werdet ihr es hoffentlich wohl einsehen, daß ich eurer sehr frech gehaltenen Bitte nicht nur kein Gehör geben kann, sondern daß ich im Gegenteile als Vizeregent hier zum Besten meines Kaisers und zum Besten des Volkes euch zur strengsten Verantwortung und zum vollständigen Ersatze des Volksschadens, den ich genaust werde erheben lassen, ziehen und verurteilen werde, – vorausgesetzt, daß sich alles also verhält, wie ich's in dieser Nacht von einem nur zu glaubwürdigen Zeugen vernommen habe! – Was habt ihr dagegen vorzubringen? Redet, so ihr etwas gegen das vorbringen könnt!“

19. Schon während der Erzählung des Cyrenius wechselten die schwarzen Petenten ihre Farben gleich den Chamäleons, und man bemerkte leicht ihren innern Zorn aus ihren echten Wolfsaugen glühen; und als sie sich nun rechtfertigen sollten, konnten sie schon vor lauter Grimm kein Wort mehr herausbringen.

20. Cyrenius wartete eine Weile, und als da noch niemand reden wollte, ward er durch die Zorngrimassen der Petenten erregt und sagte im düstern Ernste so ganz nach der die vollste Unerbittlichkeit anzeigenden Sitte eines echten Römers: „Redet bald, sonst bin ich genötigt, euer zornglühendes Schweigen als ein volles Geständnis dessen, wessen ihr beschuldigt seid, anzunehmen und darüber gleich ohne alle weitere Rücksicht das von euch wohlverdiente Urteil auszusprechen und euch der Exekution (Vollstreckung des Urteils) zu überantworten! Redet, denn ihr wisset, daß wir Römer nie zu scherzen pflegen!“

21. Sagt endlich der Oberste: „Herr, die Verleumdung ist zu groß! Da kann man sich nicht so schnell fassen und dagegen reden, sondern da heißt es, sich tief fassen und denken, wie eine solche Verleumdung möglich ist, und erwägen die kräftigsten Mittel, dieselbe in den Staub aller Nichtigkeit niederzuschlagen. Wer kann uns beweisen, daß wir das Volk zu Opfern zwangen?! Wir predigten, was wir selbst empfanden und fürchteten! Wer beweist uns, daß wir anders handelten, als wir es laut der Prophezeiung auch also empfinden mußten?! Waren die Zeichen nicht danach?! Oder weist die Geschichte uns nicht der Beispiele in die Menge, wo Gottes Geduld ein Ende nahm und plötzlich ein erschrecklichstes Gericht über die Menschen kam?! Aber wir haben auch der Beispiele in die schwere Menge, wo Gott trotz einem bestimmt und unausweichlich verkündeten Strafgerichte, so das Volk zur wahren Buße und Reue zurückkehrte, wieder Seine große Gnade und Erbarmung den Gebesserten zukommen ließ.

22. So aber dein weiser Mann, der die wenigen wider uns unterwies, gar so ehrlichen Sinnes war, warum kam er denn nicht auch zu uns und zeigte uns das, was er einigen Mißvergnügten, die uns stets anfeindeten, gezeigt hat? Nur ein Mensch, der unsere erhabenste Gotteslehre nicht kennt und keine Ahnung von einem Worte Gottes durch den Mund eines Propheten und von dessen Wirkung in einer durch Zeichen am Himmel bedrängten Zeit hat, kann wider uns also schändlichst böse verleumdend auftreten! Und solch einem Menschen kann ein Oberstatthalter Roms eher einen vollen Glauben schenken denn uns!? Man wird uns wohl sagen: ,So jener weise Mann zu euch gekommen wäre und hätte euch also belehrt, wie er das verzweifelte Volk belehrt hat, so hättet ihr ihn nicht angehört und ihn noch gerichtet oder gar gesteinigt!‘ Wer aber kann so etwas eher von uns behaupten, als bevor er es an uns versucht hat!? Erst nach der Tat pflegen wir zu urteilen und zu richten, aber vor der Tat, nach dem Scheine und nach irgendeiner bösen Mutmaßung, nie! Für unser Benehmen spricht unsere Gotteslehre; wer aber kann auftreten und uns beweisen, daß wir anders glauben und anders handeln?! Böswillige Verleumdung oder eine arge Mutmaßung beweist bei uns nichts, und dein Zeuge mag dir gesagt haben, was er gewollt hat, so erklären wir seine Anklage für so lange als völlig null und nichtig, bis er uns erweisen kann, daß wir wirklich anders handelten, als wir selbst des Glaubens waren, und daß wir den weisen Mann, der das Volk mit seiner Weisheit wider uns aufgewiegelt hat, ungehört entlassen hätten, so er zu uns gekommen wäre!

23. Wir teilten des Volkes Angst lebendig; und wenn das Volk zur Sühne seiner Sünden Massen von Opfern uns zuführte, im Glauben, Gott dadurch zu versöhnen, hätten wir die Opfer nicht annehmen sollen?! Wo steht da das Gegenteil geschrieben?!

24. Edler Oberstatthalter, bedenke wohl, daß du es hier mit wahren Erzdienern Gottes zu tun hast und nicht mit Templern neuer Art, die sich leider nur schon zu wohl darauf verstehen, ihren Mantel allzeit nach dem Winde zu drehen! Wir wissen das wohl, und der Tempel ist uns darum auch nicht geneigt; aber bei uns leider wenigen sitzt noch der alte Glaube fest, an dem die Nachtfliegen, die dir etwas falsch Beurteiltes ins Ohr raunten, nichts locker machen werden! Wir haben heute wohl einen herrlichen Tag des Herrn, und es ist nirgends eine Spur von einem Gottesgericht, außer daß unsere Stadt ein Raub der Flammen wird, – aber nicht durch ein Gottesgericht, sondern durch die leider finstere Bosheit einiger uns stets feindlicher Heiden. Wäre es aber etwa bei Gott gar so etwas Unmögliches gewesen, mit dieser Gegend geschehen zu lassen wie einst mit Sodom und Gomorrha? Wer kann hier auftreten und sagen, daß es nach den vorhergegangenen Zeichen nicht also hätte geschehen können?! Wir wollen gar nicht sagen, als hätte etwa Gott unserer vielen Gebete und Seufzer wegen diese Gegend von Seinem angedrohten Gerichte verschont; Gott kann das wegen irgendeines uns völlig unbekannten Frommen getan haben, weil denn doch auch unsere Gebete mit dem Gebete des einen Frommen bis zu den Stufen Seines Thrones gedrungen sind. Aber wer beweist uns gegen unsern Glauben und gegen unsere Überzeugung, daß es nicht also, sondern völlig ganz anders sei?! – Ich habe nun geredet im Namen der Meinen, und du, hoher Herr, urteile nun ein vor Gott und allen Menschen gerechtes Urteil!“

Kapitel 136. Des Markus Anklage wider den Obersten der Pharisäer.

1. Auf diese Entgegnung war natürlich der Cyrenius nicht gefaßt und wußte nun nicht, was er dem Obersten darauf für eine Einwendung machen sollte. Er berief darum den Mathael und sagte halblaut zu ihm: „Jetzt rede du weiter; denn ich bin mit meiner Weisheit schon am Ende! Denn diese sind mit mehreren Salben gesalbt, als ich es mir anfangs vorgestellt hatte!“

2. Sagt Mathael: „Hoher Freund! Da wird es uns wahrlich schwer werden; denn ihnen etwas zu beweisen, was sie getan hätten, wenn sich der Umstand so gefügt hätte, ist eine schwere Sache. Und hätten sie auch, was ich nicht in Abrede stellen will, heimlich die böseste Absicht gehabt, so fehlt dazu sogar der Versuch, sie zu vollbringen. Wo ist da dann erst die allein vollends strafbare Vollbringung der bösen Absicht, die sie wohl haben, aber auch gar nicht haben konnten? Was kann sich aber in einem Menschengemüte alles als Gedanke formieren, wenn dasselbe von allen möglichen Seiten bedrängt wird?!

3. So es im Herzen stürmisch tobt, da hält kein Mensch gar zu leicht eine Läuterung seiner schnell wechselnden Gedanken aus, die da wie Sturmwolken gewitterschwanger durcheinanderrennen; und hat sich mit der Zeit der Sturm im Herzen gelegt, da erinnert sich der ruhig gewordene Mensch selten völlig mehr, was alles im Sturme seiner Leidenschaften durcheinandergeflogen ist. Es mag darunter viel Verdammliches gegeben haben; welcher Gott aber, sage ich sogar, wird sich darüber zu einem Richter aufwerfen wollen?! Sind das wirklich erzgläubige Menschen, und haben sie die Furcht des Volkes aus einem und demselben Grunde geteilt, was wir so lange annehmen müssen, bis wir ihnen nicht einem Gott gleich das Gegenteil beweisen können, so muß ihnen ihre Bitte gewährt werden, vorausgesetzt, daß die Gewährung solcher Bitten bei so außerordentlichen Fällen, wie der vorliegende ist, vom Kaiser aus verordnet ist! Wir können hier nur über das, was offen vor uns liegt, ein Urteil fällen, solange wir dem nichts Haltbares entgegenzustellen imstande sind; unsere Gedanken dagegen aber können da nie als ein Gegenbeweis dienen, und so wir auch die ganze Stadt abhören, so werden wir darauf auch nicht mehr wissen, als wir jetzt wissen.“

4. Diese Worte hatte Mathael auch nur so halblaut dem Cyrenius zugeflüstert, und Cyrenius, sich hinter den Ohren kratzend, sagte zu Mir: „Und was sagst denn Du dazu?“

5. Sage Ich: „Meine Zeit ist noch nicht da, darum verhandelt nun nur ihr beide miteinander und mit ihnen; ziehet aber den alten Markus bei, der sie samt seinen beiden Söhnen besser kennt denn ihr! Auch der Ebahl aus Genezareth kennt sie, und der Julius kennt sie auch so ziemlich. Laß diese herbeirufen, und du wirst gleich eine andere Sprache hören!“

6. Cyrenius sendet sogleich nach dem Julius, der einstweilen mit dem Ebahl auf den Berg zu den Soldaten nachsehen ging, um den noch immer sehr mächtigen Brand zu beobachten. Die beiden kamen bald, wie auch der alte Markus. Als alle die Gerufenen zugegen waren, trug ihnen Cyrenius ganz kurz die Petition (Bitte, Bittschrift) der Erzpharisäer und die Rede ihres Obersten vor, sowie auch das, was der Oberste als eine unwiderlegbare Einwendung vorbrachte.

7. Als Markus solches vernommen, verwunderte er sich hoch über die enorme Keckheit des Obersten und sagte zu ihm: „Du nun gar so überehrlich und erzfromm dich machender Oberpharisäer! Du bist mir nun wie gerufen und gewünscht gegen alle meine schon lange gehegte Erwartung in mein großes Netz gekommen! Denke du von jetzt an bloß etwa drei Jahre zurück, welche Mühe du dir da gegeben hast, mich zu deinem Glauben zu bringen! Du sahst mir sogar die für einen alten Menschen immerhin etwas lästige und auch schmerzliche Beschneidung nach. Wenn ich mich nur mit meinem Hause zu deinem Glauben einschreiben lasse, so genüge das schon vollkommen! Du versprachst mir eine Menge Vorteile im Handel und Wandel, als ich dir dagegen einwendete, daß ich ein gewissenhafter Mann sei und die Religion meiner Väter nicht gerne mit einer andern vertausche, deren Grundsätze ich viel zuwenig kenne, und von der ich nicht weiß, welche neuen Verpflichtungen sie mir auferlegen kann. Ich sagte dir dann ganz offen, daß ich zwar nicht völlig dagegen sei, meine etwas holperichte Religion mit einer besseren zu vertauschen, nur müßte ich zuvor in das ganze Wesen der neuen anzunehmenden Religion vollends eingeweiht sein.

8. Da sagtest du aber, daß das bei deiner Religion gar nicht nötig sei; denn jede Religion sei ohnehin nichts anderes als eine Wiegenphilosophie der Kinder und müsse der Kinder wegen auch erhalten werden. Hat der Mann einmal seinen ausgebildeten Verstand, so braucht er keine Wiegenphilosophie der Kinder mehr und hält sich äußerlich nur der Kinder wegen daran; er für sich aber wäre als ein blinder Narr zu schelten, so er bei sich im Ernste etwas darauf hielte! Aber das könne denn ein Mann wie ich doch auch beurteilen, ob es nicht klüger sei, sich dem Äußern nach zu einer Religion zu bekennen, die einem die allerwenigsten Hindernisse im Handel und Wandel in den Weg lege.

9. Ich ging darauf ein und verschrieb mich samt meinem ganzen Hause zu deiner Religion. Aber bald darauf erst gingen mir die Augen recht weit auf, als ich bald von euch aus zu allerlei lästigen Steuern kondamniert (verurteilt) wurde, und ich sah es dann immer besser und besser ein, welch einen schnöden Tausch ich mit der Annahme eurer Religion gemacht hatte.

10. Von allem mußte ich euch den Zehent und von allen Früchten die Erstlinge geben. Gar oft führte ich Beschwerde darüber bei der römischen Behörde, richtete aber nichts aus; denn man rupfte es mir überall vor und sagte: ,VOLENTI NON FIT INIURIA! Warum hast du dich als ein alter vernünftiger Römer fangen lassen? Büße nun für deine unüberlegte Dummheit!‘

11. Kam ich aber zu dir und trug dir mein Elend vor, so hörtest du mich gar nicht an und sagtest stets in deinem großen Hochmute: ,Also steht es geschrieben!‘, und ich konnte unverrichteterdinge mit traurigem und verdrußvollstem Gesichte und Gemüte fein wieder abziehen.

12. Wollte ich von euch eure Schrift näher kennenlernen, so ward mir gesagt: ,Wir sind die Schrift und das lebendige Wort Gottes! Daher hat da niemand weiter um etwas zu fragen, sondern jeder tue das, was wir lehren und verlangen! Etwas Weiteres braucht niemand!‘

13. Siehe, du altes, böses Orakel der Juden aus Cäsarea Philippi, das sind deine Worte und dein Benehmen! Und du willst dich nun auf einmal weiß waschen?! Ich schwöre es dir bei allem, was mir nun heilig ist, daß du mir nun nicht von der Stelle kommen wirst, bevor du wenigstens mir nicht jeden höchst ungerecht zugefügten Schaden wirst gutgemacht haben! Dir kann der würdevollste Oberstatthalter auf meine Verantwortung das Kreuz auf den Rücken anheften lassen, und es wird dir dadurch kein Unrecht widerfahren! – Verstanden, du altes, schlechtes Orakel?!“

14. Sagt Cyrenius: „Ah, so stehen die Sachen?! Na, na, etwas haben wir bereits! – Nun, du weiser Herr Oberster der finsteren Volksbedrücker, was hast du dagegen einzuwenden?“

15. Sagt der Oberste: „Kennst du Moses ganz und alle die von Gott erleuchteten Propheten?“

16. Sagt Cyrenius: „Moses kenne ich so ziemlich; aber die Propheten kenne ich bloß dem Namen nach.“

17. Sagt der Oberste: „Ganz gut; so gehe hin und lerne vorerst alle meine bitteren Verpflichtungen daraus erkennen und strafe mich, wenn du mir erweisen kannst, daß ich einer derselben nicht nachgekommen sei! Willst du lesen, – wir haben die Schrift bei uns als das einzige Gut, das wir an dem heutigen hohen Tage des Herrn mit uns tragen dürfen, wenn Gefahr vorhanden ist, die es zerstören könnte!“

Kapitel 137. Verhandlung mit den Pharisäern.

1. Sagt Mathael geheim zum Cyrenius: „Das ist schon wieder eine Nuß, die aufzuknacken unsere Zähne zu schwach sein dürften! Markus hat seine Sache sehr gut gemacht; aber was können wir tun, so wir ihnen aus ihren Satzungen keine Pflichtverletzung erweisen können? Hören wir aber noch den Ebahl und den Julius an! Aber viel wird uns auch das, was sie vorbringen werden, nicht nützen; denn der Alte ist zu sicher in seiner Sphäre und ist imstande, jede seiner noch so schmählichen Handlungen aus der Schrift vollkommen zu rechtfertigen. Was läßt sich dagegen dann tun?“

2. Sagt Cyrenius: „Gut, so verdamme ich aus meiner Machtvollkommenheit alle jene Schriftstellen, die wider die gesunde Vernunft des Menschen lauten, und wir haben ihn dann am Bande!“

3. Sagt Mathael: „Es wird sich nicht tun, weil er dann sagen kann: ,Die gesunde Menschenvernunft verlangt aber auch, daß man ein Gesetz zuvor gibt und es sanktioniert, bevor man nach demselben jemand richten will.‘ Was wirst du dann dem einzuwenden haben? Da heißt es sich ganz absonderlich fassen, um gegen diese Kerle von menschlicher Seite aus etwas ausrichten zu können! Es dürften nun bald der Kornelius, der Faustus, der Kisjonah aus Kis und ein gewisser Philopold aus derselben Gegend dasein; diese werden uns sicher sehr gute Dienste leisten! Ich freue mich sehr auf ihre Ankunft!“

4. Nach einer mäßigen Weile des Nachdenkens über das Gesagte sowohl von seiten des Obersten als auch über das etwas mehr geheim Bemerkte vom Mathael und über dessen Freude über die beansagte Ankunft des Kornelius und Konsorten fordert Cyrenius den Ebahl auf, etwas Haltbares über die Erzpharisäer vorzutragen.

5. Und Ebahl erhebt sich und sagt: „Hoher Freund! Füchse und eure Proteusse (wetterwendische Menschen) sind schwer zu fangen; die Füchse, weil sie stets zwei Ausgänge haben, und die Proteusse, weil sie sich in alles verwandeln können, selbst in die Elemente. Daher ist hier meine Meinung diese: Da du zufolge dessen, was dir von dem wahrhaftigsten und getreuesten Zeugen, den du so gut als ich kennst, über diese Menschen gesagt wurde, durchaus keinen Zweifel haben kannst über das, ob es also stehe oder nicht, anderseits als weltlicher Richter aber der Welt gegenüber dennoch nur nach dem ein Urteil fällen kannst, wovon sich dein Ohr und dein Auge nach außen hin überzeugen kann, so wäre mein Rat hier folgender: Entlasse du diese lästigen Petenten ohne die geringste Gewährung dessen, was sie haben wollen, und ohne sie durch ein Urteil zu irgendeiner Strafe zu verdammen! Du hast dadurch der inneren geistigen Wahrheit und den Sinnen der Welt vollends Genüge geleistet! Das wäre so meine Meinung!

6. Ich könnte dir über die vielfachen Volksbetrügereien und gewissenlosesten Volksbedrückungen Hunderte von Fakten (Tatsachen) erzählen, die ich bei so manchen Gelegenheiten mit diesen sein wollenden Gottesdienern erlebt habe; aber was wird dir das nützen? Die finden dir sicher noch ein Loch, durch das sie ins Freie schlüpfen können! Sie decken sich sorgsam gegen jeden äußern ihnen schädlich werden könnenden Wind mit den Decken Mosis und mit dem Mantel Aarons und der Propheten zu, und kein noch so kalter Wind kann ihnen auch nur einen Schnupfen verursachen!

7. Was aber aus den Schriften der Propheten der äußere Verstandessinn alles machen kann, das wissen wir ganz gut; denn die taugen für gar alles, solange man ihren inneren, geistigen Sinn nicht kennt, und das ist ein Haupversteck für diese Leute. Darum wird da nicht viel anderes zu machen sein, als was ich dir angeraten habe.“

8. Sagt Cyrenius: „Ja, ja, du hast ganz recht, ich erkenne das ganz aus dem Fundamente; aber dennoch meine ich, daß man diesen Menschen vielleicht gar mit etwas erweislich Kriminellen entgegenkommen könnte, wo sie mir dann sicher nicht mehr auskämen!“

9. Sagt Ebahl: „O je, mit allem eher als mit dem; denn diese Kerle kennen dir ein jedes Jota des römischen Gesetzes und verstehen sich darauf mehr denn jeder Advokat, das Gesetz so zu umgehen, daß ihnen kein Satan an den Leib kann. Sie werden derlei Vergehen entweder persönlich oder teilhabend in Menge begangen haben. Vor Gott werden sie sich freilich nicht verbergen können; aber wir kommen ihnen nicht an den Leib, so wir gesetzlich mit ihnen vorgehen wollen! Vielleicht der Kisjonah, Kornelius, Faustus oder der Grieche Philopold? – aber von uns, außer dem Herrn und dem Engel Raphael, kommt ihnen keiner an den Leib!“

10. Cyrenius schüttelt den Kopf und sagt: „Ich könnte sie als verdächtige Leute dennoch bewachen lassen; vielleicht würde solch ein Ernst auf ihr Gewissen denn doch ein wenig erschütternd einwirken!?“

11. Sagt Ebahl: „Versuche es; aber ich stehe dir dafür, daß du nach den ersten Protestationen des Obersten die Wächter nicht schnell genug wirst können abziehen lassen! Wir haben für die Außenwelt ja gar keinen Dunst von irgendeiner CAUSA CRIMINIS. Da gibt es keinen Kläger, und es kann daher auch keinen Richter geben! Des Herrn stille Aussage können wir aus doppelter Hinsicht nicht als Klage ansehen. Fürs erste ermangelt sie jedes weltlichen Überführungscharakters, und fürs zweite wäre der Herr Selbst vor der Welt nur als ein halber Zeuge anzusehen; denn wenigstens für jetzt könnte man sich nicht auf Seine Göttlichkeit, ja nicht einmal vollgültig auf Seine Weissagungsgabe gesetzlich beziehen, ANTE FORUM ROMANUM! Wir freilich wissen es genau, wie wir mit ihnen daran sind; aber das trockene römische Gesetz kennt unsern Herrn und Meister noch lange nicht und somit auch Seine Aussage aus Seiner Weisheit nicht, und doch kannst du nun trotz aller deiner innersten Überzeugung über diese Menschen nur nach dem urteilen, was du von Menschen äußerlich als Beschuldigungsbeweis aufbringen kannst. Und dazu gehört doch vor allem einmal ein Kläger, und dann kommen erst die eidlichen Zeugen! Oder gilt bei euch der Ausspruch eines Propheten oder eines Orakels irgend etwas, wenn beide nicht zu eurer Religion gehören?“

12. Sagt Cyrenius: „In außerordentlichen Fällen wohl, besonders wenn der Prophet sich vorerst vor einem ordentlichen Gerichte als jedes Glaubens würdig erwiesen hat! So das Gericht gegen ihn kein Bedenken trägt, kann er für sich, sowie ein Ausspruch eines erprobten Orakels als ein vollgültiger, ganzer Beweis dienen! Denn nur der Richter hat allein das Recht, die Gültigkeit des Zeugen anzunehmen oder nicht anzunehmen, oder anzuerkennen und zu bestimmen, ob er zulässig oder nicht zulässig ist!“

13. Sagt Ebahl: „Gut, wie aber dann, wenn ein Prophet sich weder als Kläger und ebensowenig als Zeuge gebrauchen läßt? Durch was wirst du ihn dazu zwingen können?! Zum Zeugen meinetwegen noch eher; aber zum Kläger schon gar nie! Hier haben wir freilich einen; aber womit wirst du diesen großen Einen zwingen und womit den Engel Raphael, daß sie entweder als Kläger oder als Zeugen auftreten?“

14. Sagt Cyrenius: „Da läßt sich freilich nirgends ein Zwang anbringen! Warten wir somit ab; denn die Angemeldeten werden ja etwa doch nicht zu lange mehr auf sich warten lassen! – Mir kommt es vor, als sähe ich in einer noch ziemlichen Ferne auf dem Meere Ruder spielen!“

15. Sagt Mathael: „Das bemerkte ich auch seit einer halben Stunde Zeit; aber es bleibt die Geschichte nahe gleichfort auf demselben Flecke! – Nun, wie steht es mit dem Verhöre? Seid ihr noch auf demselben Flecke?“

16. Sagt Cyrenius: „Nicht um ein Haarbreit weiter! Du hattest recht, und Ebahl hat auch recht, und ich sehe es ein, daß wir mit aller unserer Machtvollkommenheit in Weltdingen mit ihnen wenig oder nichts ausrichten, und die Ankommenden werden höchstwahrscheinlich auch nicht viel helfen.“

Kapitel 138. Cyrenius läßt Zeugen gegen die Pharisäer aus Cäsarea holen.

1. (Cyrenius:) „Aber mir fällt gerade jetzt etwas ein! Ich werde sogleich einen Boten an den Bezirkspfleger abgehen lassen, der muß mir aus der Stadt allerlei Kläger und Zeugen senden. Diese werden über diese Füchse schon etwas zu sagen wissen, und wir werden sie dann schon in die Enge treiben!“

2. Sagt Mathael: „Der Gedanke läßt sich hören! Wenigstens gewinnst du damit das, daß du sie dann unter die Wachen kannst nehmen lassen. Aber das muß schnell ins Werk gesetzt werden!“

3. Cyrenius läßt sogleich zwei Reiter vorkommen und erklärt ihnen, was er vom Bezirkspfleger will. Diese sprengen sogleich nach der Stadt.

4. Als aber die untereinander murmelnden Erzpharisäer solches merken, tritt der Oberste wieder hin zum Cyrenius und sagt: „Herr und Gebieter, warum ließest du die Reiter nach der Stadt gehen? Sandtest du sie etwa um unsertwillen dahin? Willst du dadurch etwa unsere durch euer Gesetz sogar sanktioniert rechtlichen Ansprüche zunichte machen? Herr, das wird schwer gehen; denn wir haben da ja das Gesetz und Gott für uns! Du müßtest nur neue Gesetze geben, die dir für den Augenblick ebensowenig nützen könnten als die alten; denn eines neuen Gesetzes Wirkung kann ja doch nie hinter sich nach rückwärts wirken!“

5. Sagt Cyrenius etwas ärgerlich: „Ihr redet, wenn ihr gefragt werdet! Euer Anliegen kenne ich und eure Verantwortung auch! Es kommt nun allein auf mich an. Ich muß mit mir und mit meinen Amtleuten Rat halten, ob ihr der kaiserlichen Gewährung eurer Petition wert seid!

6. Werdet ihr bei der strengsten Durchprüfung als wert befunden, so wird eurem Verlangen auch Gewährung geleistet werden; werdet ihr aber als unwert befunden, so hebt sich nicht nur jegliche Gewährung von selbst auf, sondern es folgt noch eine Strafe ob der Frechheit, daß ihr euch unterfangen habt, als strafbare Menschen vom Staate noch eine Gnade zur Deckung eurer Sünden zu begehren! Merket es euch wohl! Ein Oberstatthalter Roms urteilt ganz anders denn ihr! Er urteilt nie nach der Gunst und nach dem äußern Ansehen der Person, sondern stets ohne Unterschied allen Standes streng nach den Gesetzen und nach den Rechten.

7. Darum sehet euch wohl vor, wie ihr allergeheimst mit eurem Gewissen vor Gott und vor den Menschen stehet! Denn von euch als sogenannten Gottesdienern – obschon Gott keiner Dienerschaft benötigt, indem Seine Allmacht und Allweisheit, Seine Allgegenwart und Allwissenheit Ihm ohnehin schon von Ewigkeit her die besten Dienste leisten – und von euch als Volkslehrern wird eine viel strengere Rechnung verlangt als von dem ungelehrten Volke, das oft kaum zur höchsten Not nur einige alleräußerste Gesetze kennt und selbst bei diesen keine Ahnung hat, welchen Geist sie so ganz eigentlich in sich bergen.

8. Ihr aber kennet Gesetz und Geist und müßt es kennen und müßt eingeweiht sein in alle Wahrheit. Daher werdet ihr es auch einsehen, warum von meiner Seite schon des Volkes wegen um vieles strenger mit euch verfahren wird als mit einem Privatmenschen! Denn entweder müßt ihr so rein wie die Sonne dastehen, oder ihr seid eures Amtes nie und nimmer wert gewesen! Daher habt ihr euch auch durchaus nicht zu kümmern darüber, was alles ich, entweder zu eurer Beschuldigung oder zu eurer Entschuldigung, unternehme! Gehet aber hin und bringet eure Petition irgend zu Pergament, und reichet sie dann ein, auf daß ich ein Argument (Beweismittel) mehr, entweder für oder wider euch, in meinen Händen habe!“

9. Sagt der Oberste: „Hoher Herr und Gebieter! Heute ist ein Neumondssabbat, an dem uns jede Tätigkeit untersagt ist. An diesem geheiligten Tage hat der Mensch in aller Ruhe seines Fleisches sich mit nichts als allein im Geiste mit Gott zu beschäftigen; nur reden dürfen wir, aber schreiben nicht bis zum Untergange der Sonne. Nach dem Untergange aber wollen wir dir die Petition schon auch schriftlich hinterlegen.“

10. Fragt Cyrenius: „Hat euch Moses das Gesetz von der besonderen Haltung eines Neumondssabbats gegeben?“

11. Sagt der Oberste: „Moses gerade nicht, aber dessen Nachfolger, durch dessen Mund auch zu öfteren Malen der Geist Gottes geredet hat wie durch den geheiligten Mund Mosis.“

12. Sagt Cyrenius: „Daran möchte ich wohl einen starken Zweifel hegen! Denn aus den rein Mosaischen Gesetzen und Anordnungen schaut der göttliche Geist oft mit Händen zu greifen heraus; aber was da eure Neumondsfeier betrifft, da schaut nichts heraus als ein dickster Aberglaube und eine ganze Schiffsladung voll der derbsten menschlichen Dummheit. Was ist der Neumond? Ihr wisset es nicht, aber wir wissen es und müssen darum über eure Neumondsfeier aus vollem Halse lachen. Und unsere Weisen, die vieles begreifen, staunen darüber, wie es etwa doch möglich ist, daß es in der nächsten Nachbarschaft der Griechen, Römer und Ägypter solche Dummköpfe und krasseste Finsterlinge geben kann, die nicht einmal wissen, was überhaupt der Mond und was ein Neumond ist! – Sagt ihr mir doch, welche Vorstellung ihr euch vom Monde machet!“

13. Sagt der Oberste: „Sage lieber du uns, was du, hoher Herr und Gebieter, vom Monde hältst, dann wollen auch wir dir sagen, was wir vom Monde halten!“

Kapitel 139. Vom Wesen der Erde und des Mondes.

1. Sagt Cyrenius: „So höret! Der Mond ist ein ungefähr um fünfzig Male kleinerer Weltkörper, als da ist unsere Erde, und begleitet die Erde stets auf ihrer großen Bahn um die Sonne; während die Erde einmal in 365 Tagen den großen Weg zurücklegt, hat sie der nahe Mond nahe dreizehn Male umkreist.

2. Bei diesen Umkreisungen muß der Mond notwendig auch verschiedene Stellungen durchgehend annehmen. Da er sonst ein ebenso finsterer Körper als unsere Erde ist, so wird er auch ebenso wie unsere Erde von der großen Sonne beleuchtet. Steht die Erde nahe zwischen der Sonne und dem Monde, so sehen wir den Mond ganz beleuchtet, und es ist da Vollmond; kommt aber darauf der Mond in ungefähr vierzehn Tagen infolge seiner raschen Bewegung nahe zwischen die Sonne und die Erde zu stehen, und bekommen wir dadurch nur sehr wenig von seiner beleuchteten Oberfläche zu Gesicht, so ist es Neumond.

3. Tritt aber der Mond irgendwie zufällig genau zwischen Sonne und Erde, wie das gestern der Fall war, so verdeckt er die Sonne und hält ihr Licht auf, auf einen gewissen Teil unserer Erde zu dringen, das heißt auf den, von dem aus durch den Mond hin bis zur Sonne sich eine ganz gerade Linie ziehen ließe, und da entsteht dann ganz natürlich eine Sonnenfinsternis; aber jene Teile der Erde, die sich nicht genau in der obbezeichneten geraden Linie befinden, werden von solch einer Finsternis nichts zu sehen bekommen, namentlich aber diejenigen schon gar nichts, die auf der uns entgegengesetzten Halbkugel unserer Erde sich befinden. Denn diese Erde, die wir bewohnen, ist ebensogut eine Kugel als die Sonne und der Mond und erzeugt nur dadurch Tag und Nacht, daß sie sich einmal um ihre Achse dreht und das im ganzen binnen vierundzwanzig Stunden, in welcher Zeit sie nach und nach alle ihre Länder und Meeresstriche vom Nord- bis zum Südpol unter die Sonne schiebt und sie beleuchten und erwärmen läßt.

4. Das ist allein die von den Weisen im geheimen wohlberechnete und klar eingesehene Wahrheit, wovon der Laie freilich nichts weiß, weil ihm zu solcher Einsicht die nötige Vorbildung mangelt und an der Seite solcher Lehrer, wie ihr es seid, auch mangeln muß; denn was man selbst nicht hat, kann man auch keinem andern geben. Und hättet ihr es auch, so würdet ihr es auch keinem Laien geben, weil euch der Laien Dummheit mehr einträgt als die triftigste Weisheit! Ich habe euch nun klar gezeigt, was der Neumond ist; aber nun zeiget auch ihr mir, was bei euch der Neumond ist!“

5. Sagt der Oberste: „Was du, hoher Herr und Gebieter, uns nun gesagt hast, haben wir auf geheimen Wegen wohl auch schon in Erfahrung gebracht, und ich für meine Person bin auch sehr dafür; aber betrachte du dagegen die Schöpfungsgeschichte Mosis, und es läßt sich darin keine Spur von all dem entdecken, was du nun mir eröffnet hast und was mir nicht unbekannt war schon seit zwanzig Jahren.

6. Wir aber sitzen vor dem Volke natürlich notgedrungen als erste Hauptbekenner und Verkünder der Lehre Mosis, die dieser ganz begreiflich wahren Ansicht ex diametro (entgegen) ist, auf dem Stuhle Mosis und Aarons. Was können wir da anderes tun, als höchstens ganz im stillen die bessere Überzeugung für uns behalten, dem Volke aber dennoch das vortragen, was wir von Moses überkommen haben!?

7. Es sollte heute einer aus uns nur versuchen, dem Volke eine andere Lehre als die Mosaische zu verkünden in was immer für einer Beziehung, und ich stehe dir dafür, daß er gesteinigt wird!

8. Freilich sagen manche: dem, was Moses sagte, liege ein ganz anderer Sinn zugrunde, und es besage ganz etwas anderes, als was sich aus dem toten Buchstaben ersehen läßt. Auch das gebe ich für meine Person recht gerne zu; aber wie wäre solches dem großen Volke, das nicht erst wir, sondern unsere Vorfahren schon über alle Steine dumm gemacht haben, ohne Schaden beizubringen?! Fürs erste ist der geistige Sinn so tief verborgen, daß man ihn am Ende wohl selbst nicht klar genug herausfinden kann, und fürs zweite fragt sich's, wie man einem überfinsterst dummen, höchst abergläubischen Volke, dem alle höheren Wissenschaftselemente fremder als der Nordpol sind, etwas beibringen soll, von dem man sich, ganz offen gestanden, selbst noch nie eine ganz klare Vorstellung hat verschaffen können!

9. Darum ist da doch allervernünftigstermaßen nichts anderes zu tun, als das Volk beim alten Glauben zu lassen und selbst als Vorsteher der alten Lehre und Gesetze wenigstens im Angesichte des Volkes die Lehren und Gesetze strengst zu beachten; ist man aber allein, ohne dumme Zeugen, so tue und glaube man bei sich, was man als stetig wahr erkennt! Tut man anders, so wirst du diese schönen Lande nur zu bald im gräßlichsten Aufstande erschauen! – Nun magst du wieder reden und kannst mich zurechtweisen, so ich etwas Falsches in meiner Rede vorgebracht habe!“

Kapitel 140. Bericht eines Boten von der Empörung in Cäsarea.

1. Cyrenius erstaunt über des Obersten Weisheit und sagt zu Mathael: „Freund, mit dem ist nicht gut Kirschen essen! Denn da bekommt man alle Stengel ins eigene Gesicht! Mit was alles für Kenntnissen der im geheimen angestopft ist, und wie prächtig er seine gegenwärtige Lage zu rechtfertigen versteht! Ah, das ist noch gar nicht dagewesen! Man kann ihm am Ende gar nicht gram werden! – Aber nun müssen wenigstens die aus der Stadt gleich dasein, und es wird sich zeigen, was sie alles zum Vorscheine bringen werden.“

2. Sagt Mathael lächelnd: „Gar nichts, das sage ich dir; denn diese Erz – sind zu sehr mit allen Salben gesalbt und finden überall ein Loch zum Durchkommen! Kurz, um diesen Menschen auf eine verfängliche Art und Weise beizukommen, gehört mehr dazu als pur menschliche Kräfte und menschliches Wissen! Griechen und Römer getraue ich mir in einem Tage Hunderte zu heilen von ihrer Dummheit; denn was ich ihnen vortragen werde, wird ihnen neu sein, und sie werden es sogar mit sehr dankbarer Begierde aufnehmen. Aber bei diesen Menschen gibt es nichts, das man ihnen als etwas Neues vorbringen könnte; sie sind zumeist in alles Wissen eingeweiht und wissen ihre Sache auf eine so schlaue Weise zu vertreten, daß sich dagegen sehr schwer etwas entgegnen läßt.

3. Darum, meine ich auch, hat der Herr Sich ein wenig zurückgezogen, weil Er das schon im voraus eingesehen hat, daß sich mit diesen Zeloten (Glaubenseiferern) nicht gut handeln und reden läßt! Und so bin ich auch der Meinung, daß bescheidenermaßen die Kläger und Zeugen aus der Stadt mit ihnen ebensowenig als wir etwas ausrichten werden.“

4. Sagt Cyrenius: „Nun, so gibt es doch für den Augenblick eine sehr denkwürdige Verhandlung, die etwa unter solchen Umständen auf der ganzen Erde nicht zum zweiten Male vorkommen dürfte! Wenn der Unterpfleger nur bald herauskäme!“

5. Kommt ein Bote außer Atem und sagt zur ganzen Gesellschaft, ohne darauf zu achten, wo Cyrenius sich befände: „Freunde, machet euch alle eiligst aus dem Staube; denn es ist eine fürchterliche Revolte ausgebrochen! Alles sucht die entflohenen Spitzbuben von den Erzjuden und Pharisäern, und die Römer und Griechen metzeln alles nieder, was nur halbwegs einem Juden gleich sieht! Ich bin ein armer Grieche, habe nur heute aus Not einen Judenrock über meinen nackten Leib gehängt und bin damit nur mit der genauesten Not mit meinem Leben davongekommen!“

6. Sagt Cyrenius: „Bursche, ich bin der Oberstatthalter! Erkläre dich genauer! Wie und warum ist eine Revolte ausgebrochen?“

7. Sagt der Bote etwas verlegen ob der unerwarteten Gegenwart des Oberstatthalters: „Hoher und allmächtigster Herr! Die Sache ist ganz einfach diese: Als gestern die Sonne oder eine sonstige Lichterscheinung nahe ein paar Stunden länger den Abend erhellte, als es normal der altgewohnte Fall ist, und hernach aber plötzlich am Firmamente verschwand – eine zwar seltene, aber darum keine neue Erscheinung auf dieser großen und weiten Erde –, da fingen die jüdischen Priester, die solches sicher ebensogut als unsereiner aus dem Fundamente der menschlichen Erfahrungen und des menschlichen Wissens einsahen, nun an, anstatt dem Volke ihres Glaubens reinen Wein zu bieten, dem blinden, abergläubischen Volke von irgendeinem ungeheuren Strafgerichte Gottes aus ihren mystischen Prophetenbüchern das nun Eintreffende zu verkünden. Dadurch entstand unter den dummen Juden ein fürchterliches Geheul; ihre Priester als vermeinte Freunde und Diener Gottes wurden nun beschworen, bei Gott gegen jedes verlangte Opfer dahin zu wirken, daß Er Seine strafende Rechte gnädigst zurückzöge.

8. Als die pfiffigen Juden so ein gewaltiges Wasser auf ihre Mühlen nur zu klar und wahr vernahmen, antworteten sie in priesterlich richterlich mystischem Pathos: ,So ihr das unfehlbar nun einzutreffende schärfste Weltgericht Gottes von euch abgewendet haben wollet, so müsset ihr nun alles, was ihr an Gold, Silber, Edelsteinen und Perlen besitzet, sowie auch eure besten Mastochsen, die milchreichsten Kühe und die fettesten Kälber uns zum Opfer bringen, auf daß wir es dann auf eine würdige Weise Gott opfern können!‘

9. Die jüdischen Hauptspitzbuben von Priestern haben das kaum ausgesprochen, so kam schon ein förmlicher Wolkenbruch von den verlangten Opfern! Das sahen unsere ebenfalls nicht gerade aufs Gehirn gefallenen Priester und suchten, ob sie ihr Volk etwa durch einen glücklichen Wurf nicht auch könnten zu so ergiebigen Opfern stimmen. Auch sie fanden aus der alten Götterlehre etwas, das ihnen zu dem Opferzwecke recht gute Dienste leistete. Sie ließen den guten Apollo sich in irgendeine neue Daphne vergaffen und ihr einen etwas schmutzigen Besuch machen. Das merkte gleich sein Feind, der Herr Pluto, und stibitzte unterdessen die Sonne; und die Gäa, der Apollo und seine neue Schöne befänden sich nun in der grimmigsten Patsche! Daß daraus ein allergräßlichster Götterkrieg entstehen müßte, könne ein jeder Grieche und Römer wohl einsehen! Vielleicht, wenn der mächtigste Zeus durch Opfer und Bitten recht angegangen würde, könnte er diese gefahrvollste Sache noch schlichten! Diese Erfindung trug unseren Priestern auch recht viel ein, aber bei weitem nicht das, was das von den jüdischen Priestern ihren Schafen verkündete Gottesweltgericht eintrug.

10. Ein recht weiser, Herz und Kopf auf dem rechten Fleck habender Grieche belehrte einige nüchterner Denkende, und diese belehrten, so gut als es in der großen Verwirrung nur möglich war, die bedrängten Griechen und Römer über die Naturerscheinung und zeigten ihnen so hübsch handgreiflich die schnöde Gewinnsucht der Priesterkasten, denen wohl auch die Lust zum Opferfordern und –nehmen vergehen möchte, so an ihren ominösen Verkündigungen nur ein wahres Wort hinge. Sie sollten überhaupt beide Verkündigungen, nämlich die förmlich beschworene jüdische und dann die griechische und römische miteinander vergleichen, und sie würden es ja doch einsehen, daß beide nicht effektuiert (verwirklicht) werden könnten! Denn entweder müßte das geschehen, was die Judenpriester, oder das, was die Griechen verkündigt haben! Die Götter aber werden doch nicht so dumm sein und nun für eine jede Nation eine höchst eigene Wurst braten gehen, indem sie doch sonst ihre Himmelsgaben stets ganz gleich unter alle gläubigen und ungläubigen Menschen verteilen!

11. Solche und ähnliche Belehrungen brachten das Volk gleich zur besseren Besinnung. Man richtete auch an die bekannten besseren Juden ähnliche Belehrungen; aber da warf man Erbsen an die Mauer. Diese Gotteskälber stießen im Gegenteile noch Drohungen aus und beschuldigten das Heidentum als Ursache an dem bevorstehenden Übel!

12. Solches führte bald zu Tätlichkeiten, und die Griechen und Römer zündeten den dummen Juden bald ein jüngstes Gericht über ihren Häuptern an und forderten von den Priestern die Herausgabe der allerungerechtest bei solcher Bedrängnis erpreßten Opfer. Als solches einer ganz bescheidenen Aufforderung nicht gewährleistet werden wollte, kam man mit Gewalt besonders zu den Judenpriestern, die dann der Gewalt wohl wichen und sich durch den Qualm der auf allen jüdischen Ecken brennenden Stadt aus dem Staube machten.

13. Der weise, römische Stadtpfleger aber hatte darauf gleich noch gar wichtige Erhebungen von weiter Verzweigung über die jüdischen Erzspitzbuben von Priestern gemacht und dann dem Volke gezeigt, wie sie ganz allein die Ursache an solcher verheerenden Katastrophe wären. Da erst erhob sich die Revolte von unserer Seite gegen alles Judentum und ist bereits zu einer recht abscheulichen Wirtschaft geworden; denn die Juden werden dir nun nach der Elle massakriert, und in der Stadt gibt es ja schon nahe mehr Blut als Milch und Wein.

14. Wie es mir vorkommt, so stehen ja dort unter der großen Zypresse eben die entwischten Judenpriester! Na, guten Tag, denen wird's bald schlecht gehen, wenn sie nicht augenblicklich das Fersengeld nehmen, wozu ich den Hauptlumpen sicher keinen Rat erteilen werde! Mit diesem Wurfspieße, der mir in der Meinung, daß ich ein Jude sei, nachgeschossen wurde, als ich hierher floh, mich aber zum Glücke nicht traf, werde ich noch selbst ein paar niederstoßen! Die zwei Reiter sind mir am Stadttore begegnet und werden zu tun haben, zum Unterpfleger zu gelangen! Herr Herr, nun weißt du alles; und was ich dir sagte, ist reine und nackte Wahrheit, für die ich dir mein Leben einsetze!“

15. Sagt Cyrenius: „Ich bin dir für diese Nachricht sehr verbunden; du hast deine Sache gut gemacht! Aber jetzt bleibe du hier, und hast du Hunger und Durst, so nimm hier Brot und Wein! Ich werde unterdessen ein paar Kohorten nach der Stadt beordern zur Schlichtung des Aufstandes; darauf wirst du mir als ein guter Zeuge gegen jene jüdischen Priester dienen!“

16. Der Bote nimmt diesen Antrag sehr gerne an, da er schon sehr hungrig und durstig war; und Cyrenius winkt dem anwesenden Julius nur, und dieser weiß schon, was da zu geschehen hat, da er selbst den ganzen Vortrag des Boten auch mit angehört hat.

Kapitel 141. Der Bote Herme erzählt sein Erlebnis in der Stadt.

1. Als Julius den Willen des Cyrenius erfüllt hat und die beiden Kohorten abgehen, kommen auch die beiden früher abgesandten Reiter zurück und sagen dasselbe aus, was soeben der Bote ausgesagt hat. Zugleich berichten sie von seiten des Stadtpflegers die alleruntertänigste Versicherung, daß er, sobald sich der Sturm nur ein wenig gelegt haben wird, herauseilen und dem hohen, hohen Gebieter die genauesten und gewissenhaftesten Berichte über alles erteilen werde. Cyrenius beschenkt die beiden Reiter und heißt sie Ruhe nehmen, und sie salutieren den Cyrenius und begeben sich zu ihren Gefährten. Cyrenius aber wendet sich darauf wieder zum Boten und fragt ihn, wer ihn denn so ganz eigentlich als Boten herausgesandt habe.

2. Sagt der Bote, nun etwas mutiger denn früher: „Herr Herr, die Notwendigkeit! Ich selbst, ein Bürger der Stadt, habe bei der Gelegenheit, da das Feuer am Ende zwischen unsern und den jüdischen Häusern keinen Unterschied machte, meine ganze Habe eingebüßt und bin nun ein Bettler. Diesen Mantel, der nun zur Not meinen Leib bedeckt, zog ich einem erschlagenen Juden vom Leibe und warf ihn über meine Schultern, sonst wäre ich nackt, so wie mein Weib und meine drei schon ziemlich erwachsenen Töchter, die sich nun alle vier mit einem großen Leintuche hinter dieses alten Markus Hütte befinden.

3. Ich aber erließ einen Ruf zur Flucht für allenfalls hier anwesende Juden aus der Stadt, damit sie flüchtig würden und ich sie daraus leichter erkannt hätte, um mich dann nach meiner Herzenslust an diesen Hauptspitzbuben mit diesem scharfen Spieße zu rächen. So sie aber fliehen würden, da könnten sie nur per mare (auf dem Seeweg) weiterkommen; sonst sind von der Stadt aus schon von seiten des Pflegers überall Wachen ausgestellt, und diese würden die Spitzbuben in den Empfang nehmen, worauf es ihnen wahrlich nicht gut ergehen möchte!

4. Herr Herr! Ich bin ein Grieche und kenne mich noch so ein wenig in der Kriegslist aus; aber jetzt ist es schon gut, von da gehen uns diese Spitzbuben nimmer durch! Es würde übrigens auch gar nicht schaden, so ein paar Wachen ans Meeresufer zu stellen; denn sonst könnten die Kerle etwa doch ein Schiff schnell in den Besitz nehmen und damit abfahren.“

5. Sagt Cyrenius: „Sorge dich darum nicht; für das ist bereits bestens gesorgt!“

6. Hierauf wendet sich Cyrenius zum Mathael und sagt: „Nun, was sagst du jetzt zu dieser Nachricht dieses Boten?! Ich werde nun aber dennoch zuvor den Stadtpfleger abwarten und bin sehr begierig zu vernehmen, was diese Erz – – dagegen einwenden werden.“

7. Sagt Mathael: „Viel wirst du dadurch nicht gewinnen; denn du kennst alle die tausend Löcher noch viel zuwenig, durch die sie in die schönste Freiheit gelangen können. Aber besser bist du nun daran denn früher!

8. Aber jetzt muß vor allem dafür gesorgt werden, daß des Boten Weib und Kinder versorgt werden! Helena, du wirst wohl einige Tageskleider bei dir haben, und wenn es nur Hemden sind, damit man sie nur vorderhand vor der Nacktheit schützt!“

9. Helena ruft sogleich eine ihrer Dienerinnen und befiehlt ihr, das Gehörige zu verfügen. Die Dienerin begibt sich gleich in ein Zelt des Ouran und bringt vier gute Hemden und vier kostbare griechische Frauenröcke. Als sie damit zur Helena kommt, sagt diese: „Laß dich von dem Boten hinführen zu dessen Weib und Töchtern, bekleide sie und führe sie hierher zu diesem Tische!“

10. Dem Boten kommen über diese Güte der Helena Tränen des Dankes in die Augen, und er führt freudigen Herzens die Dienerin dahin, wo sein weinendes Weib und seine traurigen drei Töchter seiner harren. Als er aber zu den noch in das Leinentuch eingewickelten Weinenden sagt: „Weinet nicht mehr, meine Teuersten; denn seht, wir haben schon einen mächtigsten Retter gefunden! Der Oberstatthalter Cyrenius ist hier, und wahrscheinlich seine Tochter überschickt euch feinere und kostbarere Kleider, als ihr je ähnliche nur gesehen habt!“, da springen Weib und Töchter vor Freuden hervor und bekleiden sich schnell. Der Bote aber legt das Leinentuch zusammen und steckt es unter seinen Judenrock. Darauf führt er sie alle zur Helena, und sie benetzen ihre Kleider mit Tränen des wärmsten Dankes.

11. Helena läßt die vier Weiblein an ihrer Seite Platz nehmen und bewirtet sie sogleich mit Brot und Wein; denn auch die vier Weiblein waren schon sehr hungrig und durstig. Helena und Ouran unterhalten sich mit den vieren, und die erzählen ihnen so manches von den Bedrückungen der Pharisäer gegen ihre Gläublinge. Darauf sagt Cyrenius zum Boten: „Freund, ich habe dich gleich anfangs mit dem etwas entehrenden Namen ,Bursche‘ etwas hart angeredet; da ich dich aber nun besser kenne, so reut es mich, dich auf solche Weise auch nur einen Augenblick lang entehrt zu haben. Dafür sollst du von mir nun aber auch gleich mit einem Ehrenkleide angetan werden!“

12. Hierauf befahl Cyrenius seinen Dienern, sogleich ein feinstes römisches Ehrenkleid hervorzuholen, bestehend in einem feinsten, faltenreichen Hemde aus Byssus, bis an die Knie reichend, dann aus einer Toga, die mit Goldborten verbrämt und aus indischer Seide in schönster blauer Farbe gewebt und angefertigt war, und aus der edelsten römischen Fußbekleidung und aus einem feinsten ägyptischen Turban mit Federschmuck und Agraffe, die aus einem wertvollen Smaragd bestand. Dazu ließ unser Cyrenius dem Boten noch sechs feinste Unterhemden und hundert Pfunde Silbers zukommen. Der Bote war dabei freilich außer sich vor Freude und wußte kaum, wie er für alle diese Wohltaten dem Cyrenius hätte sollen zu danken anfangen.

13. Cyrenius lächelte aber selbst vor Freude und sagte zum Boten, der Herme hieß: „Gehe hin ins Haus meines Markus, wasche dich, zieh dich dann an und komme als ein edler Römer wieder; da wird es gerade an der Zeit sein, daß wir die Pharisäer zu einem Hauptverhöre herziehen werden! Denn diesmal kommen sie mir nicht mehr aus, dafür stehe ich! Und du, mein edler Freund Herme, wirst mir einen guten Dienst leisten!“

14. Herme sagt: „Mein Wille ist es, und an der Kriegslist hat es mir noch nie gemangelt! Aber diese Menschen sind für die Furien zu schlau, geschweige für uns auf dem Wege einer ordentlichen Gerichtsverhandlung! Wenn man diese Menschen fangen will, muß man nur auf das halten, was sehr verläßliche Zeugen über sie aussagen; denn wie man auch sie anhört, so wird man verwirrt, hält sie am Ende noch für unschuldig und willigt in ihr Begehren. Darum wäre meine Meinung, diese Hauptspitzbuben zusammenzufangen und ins Meer den Fischen zum Fraße vorzuwerfen, daß darauf kein Hahn mehr nach ihnen krähen kann! Da hat man als Richter allem Rechte genug getan! Wenn in einer Gegend sich Tiger, Hyänen und Wölfe niederlassen und dadurch die Menschheit in große Ängste und Schaden kommt, soll man darüber etwa noch diese Bestien vorher ordentlich ins Verhör nehmen?! Nein, sage ich! Ihre Schädlichkeit ist zu bekannt; darum hinweg mit ihnen, wo sie sich der menschlichen Gesellschaft zu gefährlich zu zeigen anfangen! Herr Herr! Diese Menschen sind Proteusse, die gar nicht zu fangen sind! Je mehr wir uns bemühen, sie zu fangen auf dem politischen Wege, desto mehr werden wir selbst gefangen werden von ihnen! Ich kenne sie, wenn ich auch ein Grieche bin! – Aber nun, du gnädigster Herr Herr, erlaube mir noch eine Frage!“

15. Sagt Cyrenius: „Was ist es denn? Rede!“

Kapitel 142. Weitere Untersuchungsfragen des Cyrenius.

1. Sagt Herme: „Herr Herr, dort bei zehn Schritte von diesem Tische steht mit einem Mägdelein ein Mann von wunderbar freundlichem und dabei doch höchst weisem Aussehen; ein Mägdlein gar lieb und herzlich bespricht sich mit ihm, und sagt er etwas, so äußert sie eine unbeschreibliche Wonne darüber! Wer ist doch dieser gar liebe Mann? Ach, welch eine Würde strahlt doch förmlich aus seinem ganzen Wesen! Wie edel ist doch des Menschen Form in solch einer wunderherrlichen Gestalt! Es sind fast auch aller Augen auf ihn gerichtet! Der Tracht nach ist er offenbar ein Galiläer! Kannst du mir über diesen Mann eine Auskunft geben? O Götter, je mehr ich den Mann betrachte, desto mehr werde ich ja förmlich verliebt in ihn! Ich verdenke es meinem Weibe und meinen drei Töchtern nicht, so sie ihre Augen von ihm nahe gar nicht mehr wegwenden können! Da setze ich wohl mein Leben zum Pfande, daß dieser Mann ein guter, edler und weiser Mensch ist! Aber wer, wer, wer und was ist er! Gib Herr Herr, mir darüber einen Bescheid, und wir wollen dann gleich die Hauptspitzbuben zu bearbeiten anfangen! Oh, diese kommen uns in keinem Falle mehr aus; nur dürfen wir ihre Aussagen nicht in irgendeine bedenkliche Erwägung ziehen!“

2. Sagt Cyrenius: „Freund Herme, was jenen Mann betrifft, so sage ich dir vorderhand so viel, daß Er unter uns Menschen so gut als ein Gott dasteht! Er ist zwar vorderhand nur ein Arzt aus Nazareth, – aber was für ein Arzt! Einen ähnlichen hat diese Erde noch nicht getragen! Alles andere wirst du schon noch später erfahren! – Jetzt aber machen wir uns an unser Geschäft, und du sage künftighin zu mir nicht mehr ,Herr Herr‘, sondern ,Freund und Bruder‘!“

3. Sagt Herme: „Ganz gut, ich weiß jedes Gebot zu ehren und möchte für dieses aus Dank sterben in der allerhöchsten Achtung und Liebe zu dir! Aber nun sage mir noch zuvor, du hoher Freund, wer denn jener gar so schöne Jüngling in der Nähe des Arztes ist! Ist das etwa sein Sohn und das Mägdlein seine Tochter?“

4. Sagt Cyrenius: „Ja, ja, Freund, da hast du schon recht geurteilt; – aber jetzt an unser Geschäft!“

5. Nach diesen Worten läßt Cyrenius den Pharisäerobersten wieder in die Nähe treten und fragt ihn, ob er den Boten kenne.

6. Sagt der Oberste: „Wer sollte den berühmten Sänger und Zitherspieler nicht kennen?! Wir haben uns schon oft wundersam vergnügt an seinen Gesängen! Es ist nur ewig schade, daß er nicht zur Religion unserer Väter zu bewegen ist; wahrlich, der würde unsern großen David übertreffen! Er ist ein äußerst ehrlicher, biederer und gefühlvollster Mensch; nur ist er uns nicht geneigt, was wir ihm aber gerne nachsehen, da wir ja doch nicht verlangen können, daß er unsere oft stark inhuman (unmenschlich) scheinenden Satzungen in ihrem Geiste fassen und begreifen soll!“

7. Sagt Cyrenius: „Dieser Herme aber ist euer stärkster Ankläger und hat mir nun zum zweiten Male das nur zu unumwunden bestätigt, was ehedem ein glaubwürdigster Zeuge über euch ausgesagt hat! Ihr stehet nun dadurch als gar schändliche und gemeinste Verbrecher vor mir, besitzet aber dabei noch die allerschändlichste Keckheit, mich um einen Schadenersatz dafür anzugehen, daß ihr durch eure höchst eigene, böse Habgier zu den verworfensten und abgefeimtesten Mordbrennern geworden seid! – Was sagt ihr dazu?“

8. Sagt der Oberste ganz gelassen: „Herr, was den Herme betrifft, so haben wir darum nicht den geringsten Groll auf ihn; denn das wissen wir schon lange, daß ein Mensch, der in einer Sache nicht die nur irgend ein wenig hinreichende oder eine andere Kenntnis besitzt, nicht anders urteilen kann, als die Sache seinem beengten Verstande vorkommt. Wer würde je einem Menschen grollen können, der vom Dache fällt und durch seinen Fall einen unter dem Dache sitzenden Menschen erschlägt?! Will der gute Sänger Herme nun auch unser Feind sein, so sei er es; wir aber werden ihm dennoch nie zu Feinden werden! Im Grunde ist auch alles vollkommen wahr, was er von uns ausgesagt hat. Aber es soll in Europa bei Sizilien eine gefährliche Meeresstelle geben, die man die Szylla und Charybdis nennt; wer die Szylla glücklich umschifft, den verschlingt dann die Charybdis! Wir aber schwebten heute nacht auch in einer wahren moralischen Szylla und Charybdis und wir fragen dich nun: Was hätten wir denn eigentlich tun sollen, das euch Römern vollends recht gewesen wäre?“

9. Sagt Cyrenius: „So ihr aber wohl wußtet, was an der gestrigen Erscheinung gelegen war, warum erklärtet ihr denn euren Glaubenskindern nicht den wahren Sachverhalt, wodurch offenbar alle Gemüter wären beruhigt worden?! Warum lüget ihr das Volk an und legtet dadurch den Grund zur größten Bestürzung und Verwirrung und zum gegenwärtigen Aufstande wider euch?! Warum erpreßtet ihr die unerhörtesten und allertyrannischsten Opfer vom Volke, da ihr doch wußtet, was an der Erscheinung war, und daß sie keine Spur von der Weissagung Daniels in sich barg?!

10. Gebet mir darüber einen Aufschluß und rechtfertiget solch ein unerhörtes Benehmen von eurer Seite gegen das arme, blinde und durch euch dumm und abergläubisch gemachte Volk!“

11. Sagt der Oberste: „Ich habe dir soeben von eurer Szylla und Charybdis Meldung gemacht; allein du scheinst die Sache nicht begriffen zu haben! Sieh, als gestern die Sonne wie zu Josuas Zeit ungewöhnlich lange den Abend erhellte, so fiel das vielen von unseren angesehensten Glaubensgenossen auf. Sie kamen zu mir in die Synagoge, fragten mich um Bescheid und verkündeten es mir auch, daß darob alle Juden sehr bestürzt seien. Ich redete ihnen, so gut es ging, die Sache auch beim ersten Besuche aus und erklärte ihnen diese Erscheinung als etwas in dieser Zeit der Annäherung zur Tag- und Nachtgleiche ganz Natürliches. Sie gingen, vermochten aber das Volk nicht zu beruhigen; denn das wollte gen Osten hin Sterne vom Himmel fallend gesehen haben und verwies die Beruhiger gleich auf Daniels Weissagung. Zugleich drohte das Volk, wenn ihm so etwas verheimlicht werden würde! Nach einer Zeit aber verschwand die Sonne oder die Lichterscheinung plötzlich, und es ward zum Entsetzen stockfinster! Nun war es aber auch aus mit allen Beruhigungsversuchen! Nun mußte das Ende der Welt da sein; ein Wort von unserer Seite dawider hätte uns einen augenblicklichen Garaus gegeben!

12. Siehe, das war die Szylla! Wir waren also durch solche Umstände genötigt, den Daniel nun vollauf zu predigen und nach der sichtlichen Größe des Umstandes auch die stärksten Bußmittel zu verlangen, um dadurch im Volke wenigstens einige Hoffnung zur Nachsicht Gottes in den Volksgemütern zu erhalten! Wir sahen aber gar wohl ein, daß wir am heutigen, reinen Morgen in die Charybdis geraten werden; aber wenn man zwischen zwei Übeln zu wählen hat, wählt man lieber das erste und kleiner scheinende als das zweite, das uns den Untergang sogleich bringen muß. Wir handelten also nach den sich ergebenden, von uns nicht hervorgerufenen Umständen recht und gerecht, weil es unmöglich war, anders zu handeln. Wie magst du als ein gerechter Römer uns dafür nun richten wollen? Erkläre uns das!“

13. Sagt Cyrenius: „Ja, ja, die Sache läßt sich hören; aber es fragt sich, was ihr mit den eingenommenen Totalopfern gemacht hättet! Denn das Ende der Welt, für dessen Verhütung ihr die Opfer verlangtet und nahmt, ist, wie zu sehen, heute nicht gekommen! Hättet ihr sie dem armen Volke je wieder zurückerstattet?“

14. Sagt der Oberste: „Hoher Gebieter! Das ist wohl eine sonderbare und höchst überflüssige Frage! Das versteht sich ja doch von selbst, was aber jedoch mit aller Klugheit und Vorsicht der Blindheit des Volkes wegen hätte geschehen müssen; aber jetzt stelle du diese Frage an das Feuer, das alle Opfer und alle unsere Vorräte verzehrt hat, was dieses nachderhand tun werde!

15. Wegen unserer durch Umstände und Not geforderten Predigt der Weissagung Daniels hat es als Folge gar nicht nötig gehabt, unsere Häuser und Synagogen zu verbrennen, was von deinen weisen Glaubensgenossen aus altem Groll gegen uns ist bewerkstelligt worden. Wir kamen darum nicht nur für uns, sondern auch für unser Volk zu bitten, indem wir nun ohne unser Verschulden zu Bettlern geworden sind. Wie magst oder wie kannst du uns dafür nun, statt uns zu helfen, richten und gar strafen wollen?! Bedenke die ganze Sachlage, den Grund und das Faktum, und du müßtest mit mehr als mit siebenfacher Nacht geschlagen sein, so du hier uns eine Schuld beimessen wolltest!“

Kapitel 143. Urteil des Pharisäerobersten über den Heiland.

1. Sagt Cyrenius: „Das sei ferne von mir; aber woran mir alles liegt und alles gelegen sein muß, ist, daß ich euch nur vom Grunde aus bessern und zu wahren Menschen machen möchte! Ihr könnt zwar euer Inneres durch äußere, wohlüberdachte kluge Worte sehr verdecken, und hier um so leichter, weil die Umstände sich in einer gewissen Beziehung zu euren Gunsten gestaltet haben und keiner aus uns mit erweisbarer Sicherheit behaupten kann, was ihr, wenn zum Beispiel der Brand nicht erfolgt wäre, mit den einmal eingenommenen Opfern getan haben würdet. Aber ich sage euch nun etwas anderes und frage euch, ob ihr wohl mit dem reinsten und ruhigsten Gewissen das, was ihr mir vorgeredet habt, auch einem allkundigen Propheten Elias oder einem Engel Gottes, der euer Herz und eure Nieren durchprüft, also vorgeredet hättet?

2. Wahrlich wahr, bei meinem kaiserlichen Ehrenworte, das wahr und mächtig ist, ich sage es euch: es gibt etliche Weise hier in meiner Gesellschaft – nicht von meinem, sondern von eurem Glauben –, denen des Menschen geheimste Gedanken so hell und klar sind als eine alleröffentlichst vollbrachte Tat! Wenn euch diese prüften, würdet ihr ihnen wohl mit so leichtem Gewissen zur Rede stehen als mir, da ihr wohl wisset, daß es mir, wennschon nicht am Verstande und Scharfsinne, so aber doch an der Allwissenheit mangelt?! Ich habe diese Menschen scharf geprüft und habe gefunden, daß mit ihnen durchaus nicht zu scherzen ist! Durch diese werde ich auch euch prüfen lassen. Verhält sich die Sache also, wie ihr sie mir nun vorgetragen habt, dann soll euch auch alles und noch viel mehr gewährt werden, als um wieviel ihr eure Bitte gestellt habt; wo aber die erwähnten Weisen etwas anderes von euch aussagen, dann wird des großen Kaisers Bruder und Oheim des nun auf dem Throne sitzenden Herrschers wohl auch recht gut wissen, was er tun wird!“

3. Sagt der Oberste: „Wodurch aber kannst du uns die Versicherung geben, daß diese von dir erwähnten Weisen unsere Freunde und nicht unsere Feinde sind, und ob sie nicht uns gegenüber einen Mißbrauch ihrer Weisheit machen werden? Denn wir sind einmal Pharisäer und sind als solche in Galiläa verhaßt, weil wir uns streng an die Satzungen halten und nur Moses und die Propheten predigen, während sich geheim schon fast ganz Galiläa zur ägyptisch-griechischen Philosophie bekennt. Wenn nun deine Weisen Galiläer sind, so werden sie ihre Weisheit über uns nicht gut reden lassen, und wir verwahren uns daher schon im voraus gegen alle galiläischen, uns feindlichen Weisen!

4. Zudem steht es auch geschrieben, daß aus Galiläa nie ein Prophet aufsteht und aufstehen kann, weil eben die Galiläer als Judenketzer zu weit von der alten, mosaischen Weisheit entfernt sind! Sind es aber Weise aus Judäa, dann wollen wir sie auch anhören!“

5. Sagt Cyrenius: „Die Weisen, deren ich erwähnt habe, sind so gestellt in meinem Glauben und in meinem Herzen, daß jedes Wort aus ihrem Munde für mich so gut als rein aus den Himmeln kommt, obschon ich gerade nicht darauf sehe, ob etwas, das wahr sein soll, geradewegs darum aus den Himmeln kommen sollte; denn jede Wahrheit bleibt auf der Erde so gut Wahrheit als auf den Schwingen des Lichtes aus allen Himmeln! Denn eine Birne und noch eine Birne müssen ja im Himmel ebensogut als auf der Erde zwei Birnen ausmachen, – wenn nicht, da ist der Himmel eine Lüge!

6. Unter andern noch eine Frage an euch! Ihr habt euch soeben vor den galiläischen Weisen verwahrt, und ich habe daraus entnommen, daß ihr vielleicht noch einen andern Grund dazu habt als gerade die griechische Philosophie! Es soll ja um Nazareth ein Mann aufgestanden sein, der große Dinge von der wunderbarsten Art verrichtet, den Menschen eine neue Lehre, angeblich aus den Himmeln, lehrt und ihre Echtheit durch nie erhörte Wunder bestätigt! – Saget es mir, ob ihr von diesem Menschen noch nichts gehört habt, und was ihr von ihm haltet!“

7. Bemerkt heimlich Mathael: „Jetzt hast du sie beim rechten Fleck gepackt! Jetzt werden sie auch gleich ihre Farbe und ihre Worte zu wechseln anfangen!“

8. Antwortet darauf der Oberste: „Sind denn die Betrügereien jenes uns sehr übel berüchtigten Quacksalbers, dem das Zimmermannsbeil zu schwer geworden ist, und der lieber im süßen Müßiggang sein Fortkommen sucht als in irgend solider Arbeit, auch bis zu deinen Ohren vorgedrungen? Sieh, uns als gesetzliche Priester willst du nun um jeden Preis richten, wie wir es aus jedem deiner Worte und Mienen nur zu deutlich entnehmen; aber so ein Galiote, so ein Volksverführer mit Hilfe einiger erlernter morgenländischer Zaubereien hat von dir gewisserart einen Freipaß, kann tun, was er will, und sein Wort dürfte vor dir ein viel größeres Gewicht haben denn das unsrige, für dessen Wahrheit doch der Verstand, die bessere Vernunft und ein in der gesetzlichen Ordnung seiendes Menschengefühl laut sprechen! Ich kenne jenen Galioten, den du meinst, und habe dir hiermit aber auch schon alles gesagt!“

9. Sagt Cyrenius, ob dieser Äußerung sichtlich erregt: „Ganz gut; ihr habt mir nun eure Meinung über einen Mann ausgesprochen, wie sie zu eurem Nachteile nie besser hätte ausfallen können! Aber diesmal habt ihr wenigstens dahin die Wahrheit geredet, daß ihr mir euer Innerstes gerade also zeigtet, wie es ist. Ich kenne jenen euren Galioten nur zu gut und weiß, was an ihm ist; aber ich kenne nun auch euch vollkommen und weiß es nun, was alles an euch ist! Daß ich nicht jedermann sogleich per Bausch und Bogen als eine bare Münze annehme, bis ich ihn nicht bis auf ein Atom durchgeprüft habe, davon liefere ich soeben an euch den sicher unleugbarsten Beweis!

10. Hier vor euch steht der nunmalige König vom Pontus. Gestern morgen stand er noch als ein klein gefesselter Verbrecher vor mir und hätte leicht zum Kreuze verdammt werden können; aber ich prüfte alles genau, fand seine gänzliche Unschuld und machte ihn als einen sehr weisen Mann zu dem, was er nun ist!

11. Ich bin strenger als jeder andere Richter, bin aber voll Gerechtigkeit gegen jedermann. Ist jemandem während des nötigen Examens ein Leid geschehen, und ich fand seine Unschuld, so verstehe ich, ihm dann, soviel es nur in meinen Kräften steht, sein ausgestandenes Leid in Freud' und Glück umzugestalten, wofür euch dieser neue König zu einem Beweise dienen kann.

12. Ärger denn jeden andern aber habe ich eben jenen Nazaräer geprüft und gefunden, daß er ein so vollendeter Mensch ist, wie dieser Erde Boden weder je vor ihm von jemand betreten ward, noch je jemand wieder nach ihm betreten wird. Er ist aber darum auch vom wahren Gottesgeiste ganz erfüllt und durchdrungen und handelt und redet auch nur aus endloser, nie ermeßbarer Kraft und Allmacht. Also habe ich den Nazaräer kennengelernt und bin nun von der höchsten Achtung und Liebe zu ihm durchglüht, obschon er im eigentlichsten Sinne des Wortes und der Bedeutung ein Erzjude ist.

13. Oh, auch wir Römer verstehen das Judentum zu achten, wenn es ist, wie es nach Moses und nach allen Propheten sein soll: voll Geist, Kraft, Liebe, Wahrheit und Weisheit; aber ein Judentum, wie es von euch nun gepflegt wird, ist für uns Geist und Wahrheit liebende Römer ein Greuel der vollsten Verwüstung auf der heiligen Stätte, wie ihn euer Prophet Daniel vorausverkündet hat! Nun habt ihr mein Zeugnis über den von euch so tief verachteten Nazaräer. – Was könnt ihr mir nun dagegen einwenden?“

Kapitel 144. Die Pharisäer urteilen über ihren Obersten und Jesus.

1. Hier machen alle die Erzpharisäer große Augen, und einer macht ganz leise die Bemerkung, sagend: „Na, das ist unserm scharfsinnigen Obersten wieder einmal gelungen! Ein Hauptkamel das! Jetzt können wir zusehen, wie wir uns aus dieser Pfütze werden erheben können! Hätte das Kamel von einem Obersten den Nazaräer ins Angesicht des mächtigsten Gebieters nicht loben können über einen Glückstag, und die ganze Geschichte hätte nun ein ganz anderes Gesicht?! Das Kamel mußte es ja doch so gut wie unsereins dem Cyrenius schon an der Nasenspitze angesehen haben, daß er für den wundertätigen Nazaräer über Hals und Kopf eingenommen ist, und doch zieht er gegen den Liebling des Oberstatthalters los, als wäre er wirklich Gott weiß wie stark von seiner allfälligen Schändlichkeit überzeugt, und hat ihn aber nie gesehen, gesprochen und geprüft! Ah, dieses Vieh von einem Obersten können wir durchaus nicht mehr brauchen! Er werde abgesetzt! Denn führt er noch eine Zeitlang das Wort, so kommen wir alle noch heute ans Kreuz! Es ist da mit dem Oberstatthalter kein Scherz zu treiben!“

2. Nach dieser Bemerkung sagen geheim die andern zu ihm: „Gehe du und bitte den Oberstatthalter ums Wort; aber der Esel von einem Obersten darf kein Wort mehr reden! Vielleicht hauen wir uns noch durch! Und du sollst unser Oberster werden, wenn du uns hier aus dieser Schlinge frei machst!“

3. Sagt der Bemerker: „Gut, ich will's versuchen, – auch ohne darum ein Oberster werden zu wollen!“

4. Darauf tritt er aus der Schar vor den Cyrenius hin und bittet, daß auch er reden dürfe.

5. Sagt Cyrenius: „Ich warte noch auf ein zweites Urteil über den Nazaräer von seiten des Obersten!“

6. Sagt der Bemerker, auch ein Pharisäer, der seinesgleichen sucht: „Hoher Gebieter, der ist schon fertig; seine Klugheit hat Schiffbruch gelitten, und darum schweigt er wie ein Kamel in der Wüste! Er hat sich verhauen und verwickelt ins Fanggarn und weiß nun nimmer, wie er sich frei machen soll. Der gute Nazaräer hat ihm wahrscheinlich unsichtbar eine Maulschelle versetzt, und er hat darauf die Mundsperre bekommen und macht es nun, wie er es noch immer gemacht hat!

7. Du, hoher Gebieter, mußt dich bei deiner Verstandesschärfe schon lange überzeugt haben, daß dieser unser Oberstmensch ein Hauptvieh ist! Hätte ich oder ein anderer aus uns das Vorwort führen dürfen, so hätte der Prozeß schon lange ein Ende; darum horche du, hoher Gebieter, nun ja nicht mehr auf ihn, sondern laß mich reden!“

8. Sagt Cyrenius: „Gut, so rede du! Wir wollen sehen, was du zum Vorscheine bringen wirst!“

9. Sagt der Bemerker weiter: „Hoher Gebieter! Was da betrifft die Anschuldung, als wären wir die eigentliche Ursache des Feuers, so kann das wohl zur Not gelten, was der Oberste dir gesagt hat, obschon ich dir dagegen offen bekennen muß, daß wir trotz der sehr kitzlichen Umstände dennoch nicht gar so schneeweiß und unschuldig sind, als sich eigentlich unser Oberster weiß zu waschen versucht hat; denn das Abfordern der Totalopfer war sein Gebot. Ob es aber zur Herstellung der Ordnung und Ruhe gerade nötig war, den armen Glaubensgenossen alles bis aufs Hemd wegzureißen, wenn sie es nicht gleich freiwillig hergaben, das ist nun eine ganz andere Frage! So ist es auch wegen der Zurückgabe der einmal dem Volke entrissenen Opfer eine ganz schwer zu beantwortende Frage! Man hätte ihnen etwa wohl gegen bedeutende Zinsen Geld und auch Sachen geliehen; aber mit der Zurückgabe, die der Oberste wie von selbst verständlich erklärte, dürfte es wohl sehr die geweisten Wege gehabt haben! Uns hat es schon alle bis ins Innerste empört, als wir unser Kamel von einem Obersten gar so hirnlos darauflosschwätzend anhören mußten; wir konnten jedoch nichts dagegen einwenden, weil an einem hohen Sabbate nur der Oberste allein reden kann und darf. Für solch eine dümmste Fürrede aber, durch die wir alle gar leicht ans Kreuz kommen könnten, soll unsern Obersten der Satan auch an einem Sabbate holen!

10. Ich rede nun ganz offen, wie mir und allen andern ums Herz ist. Hat etwa unser kamelweiser Oberster eine besondere Vorliebe zu solch einer Erhöhung, so soll er sie an seiner kreuzschlechten Person nur vollführen lassen! Wir werden uns darum nicht in unsern Tränen um ihn ersäufen; aber wir schaffen von solch einer besonderen römischen Auszeichnung vorderhand nichts!

11. Nun, was aber jenen von dir, hoher Gebieter, uns erst näher bekanntgegebenen Nazaräer betrifft, so können wir ja aus ganz natürlichen Gründen um Jehovas willen doch unmöglich etwas pro noch contra (für noch gegen) sagen; denn wir haben nur von weiter Ferne her so manches wispeln hören. Eines klang sehr löblich, anderes wieder, wahrscheinlich von seinen Feinden herrührend, freilich sehr abenteuerlich, wennschon geradewegs nicht schlecht. So soll er wirklich Tote ganz vollkommen wieder ins Leben zurückgerufen haben! Nun, wir sahen es nicht und hörten davon nur reden; wenn man aber bedenkt, was das sagen will, einen wirklichen Toten ins Leben zurückrufen, so wird es, glaube ich, doch sehr verzeihlich sein, so man aus höchst handgreiflichen, natürlichen Ursachen daran zweifelt! Ich will aber damit die Möglichkeit nicht in Abrede stellen, sondern so nur die große Schwierigkeit darstellen, und daß dazu mehr als selbst die ausgebildetsten und vollendetsten physischen und geistigen Lebenskräfte eines Menschen erforderlich sind.

12. Wohl sagt man vom Propheten Elias, daß er einst einen Haufen Totengebeine befleischt und belebt habe; aber wir waren nicht dabei. Auch ist dieses nur eine Sage von Mund zu Mund und steht in keinem Buche geschrieben, nicht einmal in den apokryphischen Teilen der Schrift! Wie schwer ist demnach für einen denkenden Menschen ein Glaube daran!

13. Die Essäer erwecken wohl auch die Toten ums Geld, und das gewöhnlich um viel Geld; aber hinter dieses Geheimnis ist man bereits gedrungen und weiß, was daran ist.

14. Da nun aber du selbst von dem Nazaräer ein so günstiges Zeugnis abgibst, und das als ein höchst gebildeter und mit aller Erfahrung bereicherter Mann, der vor tausend andern Weisen allen Glauben verdient, so kann ich und auch alle diese meine besseren Kollegen nicht umhin, dem Nazaräer alle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

15. Das ist nun meine Antwort auf deine Frage, hoher Gebieter. Es ist ein reiner Wein, und es verhält sich alles also, wie ich dir's nun treulichst ausgesagt habe. Diese alle bis auf unsern Obersten stehen dir dafür als Zeugen, und du, hoher Gebieter, aber laß uns Gnade für Recht widerfahren!“

16. Sagt Cyrenius: „Offenbar bin ich mit deiner Aussage zufriedener als mit der des Obersten, der ein sehr schlauer Fuchs sein wollte und meinem Fanggarne so lange auswich, als es nur immer möglich war; da ich aber die Umgarnung vermehrte, so verwickelte er sich dennoch und steht nun da als ein abgefeimter, arger Lügner. Jedoch eine wahre Reue und volles, treuwahres Eingeständnis kann alles wieder gutmachen; denn er gehört zu jenen Menschen, die geheime Freunde von allerlei Lüge und Betrug sind, vor den Menschen aber dennoch zufolge ihrer Stellung in einem hohen und allerehrbarsten Ansehen stehen möchten. Sie wollen für sich das Ansehen eines Propheten; aber handeln möchten sie wie ein räuberischer und umherziehender Skythe!

17. Darum kann eine wahre Reue, volle Lebensänderung, Besserung und offenes Geständnis von dem wahren Sachverhalte alles noch gutmachen; denn ich bin nicht hierher gezogen, um das in meiner Macht stehende unerbittlich strengste Gericht über wie immer geartete Sünder zu halten, sondern ihnen nur auf den rechten Lebensweg zu helfen. Aber sie dürfen bei meinem höchst menschenfreundlichen Bemühen mir keine Steine unter die Füße legen! Wie kann man aber als ein weise sein wollender Mann, und gar als ein Priester- Oberster, gar so infam lügen?!

18. Mein Oberster, rede du nun und sage die volle Wahrheit aus; denn deine Gefährten haben noch nicht alles ausgesagt, was der ganzen, vollen Wahrheit gemäß gewesen wäre! Sie wollten sich eigentlich auf Kosten der deinigen ihre eigene Haut sicherstellen, und das lobe ich an ihnen gar nicht! Ich weiß, was ich weiß, aus dem Grunde des Grundes, und magst du lügen, wie du willst und kannst, so nützt dir das nichts; denn mich kannst du unmöglich hinters Licht führen. – Rede sonach nun die Wahrheit!“

Kapitel 145. Des Cyrenius tiefernste Rede.

1. Hier simuliert der Oberste und ist sehr unschlüssig, ob er wohl mit der Wahrheit ans Tageslicht treten soll oder nicht. Nach einer ziemlichen Weile erst sagt er: „Hoher Gebieter! Viele Hunde sind des Hasen Tod! Ich überzeuge mich stets mehr, daß nun die Zeugen wider mein Wort sich mehren wie nach einem feuchten Wetter die Pilze. Was will ich dann noch weiter dem, was du wissen willst und auch zu wissen behauptest, Beweise aus meiner Überzeugung entgegenstellen?! Ja zu sagen vermag ich nicht zu etwas gegen meine Überzeugung, und das Nein nützt mir nichts! Darum nimm du nur immerhin das Zeugnis wider mich an; ich werde mir keinerlei Mühe mehr geben, was immer für gerechte oder ungerechte Anwürfe von seiten der vielen Zeugen von mir hinwegzuweisen! Findest du an mir eine Schuld, nun gut, da hast du ja alle Macht, mich darum zu züchtigen und zu strafen nach deinem Sinne; ich habe dir nun als ein total armer Mensch keine Macht entgegenzustellen!“

2. Sagt Cyrenius: „Es steht in euren Büchern geschrieben: ,Wehe dem, der sich an einem Gesalbten Gottes vergriffe!‘ Darum weiß auch ich, solange es nur immer tunlich ist, dies euer Gesetz gar wohl zu beachten.

3. Saul, euer erster gesalbter König, war am Ende ein Täter alles Übels, und David, als ein vom Samuel noch Zweitgesalbter zum König über Israel, hatte den ihm nach dem Leben stellenden Saul oft völlig in seiner Gewalt und hätte ihn vernichten können; aber Gottes Geist sprach aus dem Herzen Davids: ,Wehe dir, so du dich vergriffest an dem Haupte Meines Gesalbten!‘

4. Und sieh, obschon ich ein Römer und resp. Heide bin, so vernehme ich aber doch auch desselben Geistes Stimme, die da spricht: ,Prüfen kannst du wohl jeden Meiner Gesalbten, und sind sie auf dir wohl erkennbare Abwege geraten, so leite sie auf den rechten Weg zurück durch Rat und Tat; aber wehe dir, so du aus ihnen auch nur einen richten möchtest!‘

5. Getraute sich ein Erzengel Michael den Satan ob des verlorenen dreitägigen Kampfes nicht selbst zu richten, sondern übergab ihn dem Gerichte des Herrn, wie sollte ich mich im Angesichte Gottes getrauen, dich zu richten; aber erforschen will ich dich, dir zeigen die große alles Gewissens und aller Liebe bare Handlung an deinen Brüdern und dich darauf erst setzen auf die Bahn des Lebens! Da du aber weißt, daß ich nur solches will, warum redest du denn nicht offen mit mir?“

6. Sagt der Oberste: „So du ohnehin alles weißt, da sehe ich wahrlich nicht ein, warum du nun noch ein offenes Geständnis von mir verlangst! Ich ersah dich vorher über mein sicher ganz offenes Bekenntnis sehr vom Eifer ergriffen, weil ich dem bewußten Nazaräer dasselbe günstige Zeugnis nicht zu geben imstande war wie du, der du schon irgend seine volle Bekanntschaft gemacht hast; und so werde ich es wohl bleibenlassen, dir noch mehr offene Geständnisse zu machen! Ich habe dir nun ohnehin schon alles gesagt, und du sagst es auch, daß du alles weißt; wozu sollen wir da noch mehr leere Worte verlieren?!

7. Was übrigens mein Bekenntnis über den Nazaräer betrifft, so ist es nicht auf meinem Grund und Boden gewachsen, und ich könnte dir doch nichts anderes sagen, als was ich selbst von andern über ihn vernommen habe! Nun ich aber von dir ein anderes Zeugnis vernahm, so denke ich denn nun auch anders über ihn! Oder soll ich noch etwas anderes tun?! Wer kann mir denn vorschreiben, über einen Menschen irgend etwas Gutes auszusagen, so mir zuvor nur üble und keine gute Kunde über ihn zu den Ohren gekommen ist? Da mir aber erst jetzt bloß durch dich allein die beste Kunde über den Nazaräer zugekommen ist, so kann ich ihm nun selbst ja auch ein ebenso gutes Zeugnis wie du geben, und obschon ich bei ihm noch keine Erfahrung dir gleich gemacht habe, so genügt mir dennoch dein Zeugnis, und ich denke nun so wie du über den Nazaräer. – Ist das nun denn auch noch nicht recht?“

8. Sagt Cyrenius: „Ja, das wäre wohl allerdings recht, wenn dein Herz auch also spräche wie dein Mund; aber dein Herz dürfte, so man es vernehmen könnte, eine ganz andere Sprache führen! Denn euer Pharisäertum ist mir nur zu wohl bekannt! Ich weiß es zu bestimmt, daß ihr eigentlich gleich den Essäern gar nichts glaubt, aber das blinde Volk zu eurem materiellen Besten alles glauben machen wollt, was euch nur in den Sinn kommt, daß es euch Zinsen abwerfen könnte.

9. Kommt nun ein Mann, der ein inneres, wahres Licht aus Gott hat, und zeigt den in aller Nacht und großen Finsternis umherirrenden Menschen den rechten und lichten Weg des Lebens, wobei es freilich nicht zu vermeiden ist, daß eure alten Betrügereien dabei offenkundig werden, so werdet ihr gegen einen solchen Lichtpropheten aus Gott ergrimmt und suchet ihn auf jede mögliche Art total zu verderben; denn dies ist ein alter Schandruhm von euch, daß ihr mit Ausnahme des Elias und Samuel noch nahe alle von Gott euch zugesandten Propheten mit Steinwürfen getötet und dabei zum Volke gepredigt habt, daß ihr dadurch Gott einen angenehmen Dienst erwiesen habt.

10. Nach hundert Jahren erst habt ihr den Propheten – aber nie um euretwillen, sondern nur, weil ihr seine Aussagen, die eingetroffen waren, zum Volkschrecken recht gut gebrauchen konntet – aufgenommen, und habt sein Grab, ob echt oder unecht, das war eins, zu übertünchen und zu zieren angefangen!

11. Siehe, das war zu allen Zeiten eure Handlungsweise, die mir nur zu bekannt ist! Wenn sich aber mit euch die Sache der Wahrheit nach allzeit also verhielt, wie möglich könnte ich wohl deinen Mundworten nur irgendeinen geringsten Glauben schenken?! Sage mir, ob es sich mit euch der Wahrheit nach je anders verhielt! Glaubst du in deinem Herzen der vollen Wahrheit nach auch nur ein Jota von dem, was du je dem Volke zum Glauben vorgepredigt hast?“ –

12. NB.: Daß Cyrenius hier also reden konnte, rührte daher, daß Ich ihm die Worte ins Herz und in den Mund legte; was er dann so sprach, ist so gut als von Mir Selbst gesprochen, jedoch in der individuellen Weise des Cyrenius.

Kapitel 146. Der Charakter des Obersten.

1. Nach einer Weile tiefen Besinnens sagte der Oberste: „Wie kannst du mir aber vor aller Welt beweisen, daß ich im Herzen anders denke, als ich mit dem Munde rede, und daß ich das nicht glaube, was ich das Volk lehre?! Wenn meine Vorfahren an den Propheten sich vergriffen haben, was ich nicht leugnen kann und werde, welche Schuld kann denn da mir darob zur Last gelegt werden, der ich alle die heiligen Seher Gottes stets im höchsten Grade geehrt habe?! Wenn Tausende von meinen Kollegen allenfalls keinen Glauben an das haben, was sie lehren, wo liegt denn darin ein Beweis, daß auch ich so etwas nicht glauben sollte?!“

2. Sagt Cyrenius: „Der Beweis, mit Händen und Füßen zu greifen, liegt darin, daß du, nach deiner Rede zu urteilen, ein viel zu kluger Mann bist, um einen allerdicksten Unsinn als eine aus Gott kommende Wahrheit annehmen zu können! Du verstehst die hohe Rechenkunst, und die Rechenkundigen sehen doch nicht gar so leicht eine Mücke für einen Elefanten an, was du mir nie in irgendeine Abrede wirst zu stellen imstande sein!“

3. Sagt der Oberste: „Aber wo ist denn der Unsinn hernach, den ich als ein Rechenmeister unmöglich glauben könnte?!“

4. Sagt Cyrenius: „Glaubst du zum Beispiele in deinem Herzen wohl an die wunderbare Düngewirkung des Tempelmistes, den du meines Wissens selbst alle Jahre in der Regel gar so hoch angepriesen hast?! Glaubst du an die Heilwirkung des allzeitigen Neumonds?! Glaubst du wohl, daß in der neuangefertigten Bundeslade Jehova auch also wohne, wie Er in der von euch schon lange verworfenen alten, mosaischen gewohnt hat?! Glaubst du an die Identität (Gleichheit) der Naphthaflamme auf eurer Lade mit jener merkwürdig heiligen Feuer- oder Rauchsäule über der Bundeslade, die dem Moses aus Ägypten geleuchtet hat?! Glaubst du wohl, daß es dem Menschen nützlicher sei, im Tempel zu opfern, als nach den Geboten Gottes seine Eltern zu lieben und ihnen in allen guten Dingen gehorsam zu sein?!

5. Sage es mir offen, ob du das nebst noch tausend andern ähnlichen, aller menschlichen Vernunft baren Sätzen eurer Lehre glaubst! Denn glaubst du wirklich selbst daran – was mir unmöglich dünkt –, so bist du im Ernste dümmer als ein Kamel und taugst für alles eher als für einen Volkslehrer; glaubst du es aber nicht, und lehrst du dem armen Volke dennoch solch einen bösen Unsinn mit Mord, Brand und Schwert, an den du als ein Mann von vielen sonstigen Kenntnissen und Wissenschaften nie glauben kannst, so bist du ein allerverächtlichster Volksbetrüger und taugst schon aus politischen Staatsrücksichten viel eher in ein ewiges Strafgefängnis als Sträfling denn zu einem Volkslehrer!

6. Siehe, da ist mit dir ja offenbar die Szylla und Charybdis fertig! Ich will dich mit einem kaiserlichen Ehrenzeichen schmücken, so du mir irgendeinen zu entschuldigenden Mittelweg in Vorschlag zu bringen imstande bist!“

7. Hier fängt der Oberste an, sich ganz gewaltig hinter den Ohren zu reiben, und weiß nun nicht mehr, wo aus und wo ein.

8. Sagt Herme, der Sänger – oder wie vorher, der Bote aus Cäsarea Philippi –, zum Cyrenius: „Hoher Gebieter! Jetzt erst ist man ganz vernäht und findet keinen Ausweg mehr aus dem Garne! Oh, das geschieht diesem Wüterich gegen alles Gute und Wahre vollkommen recht! Kennete ich ihn nicht so gut, wie ich ihn kenne, so könnte ich ihn sogar bedauern, denn mich erbarmt bald ein noch so arger Sünder, so er in eine große Verlegenheit gerät; aber den Kerl könnte ich bei lebendigem Leibe braten sehen, und es würde mir geradewegs ein Vergnügen machen! Es ist hier nicht an der Zeit und am Orte, davon zu reden, was man sich von diesem Herrn Obersten alles schon so im Vertrauen erzählt hat; aber dessen kannst du sicher sein, daß auf seinem ganzen Leibe kein gutes Härchen steckt!

9. Es werden von euren Gerichten viele zum Kreuzestod verurteilt, die als Menschen noch um sehr vieles besser stehen als dieser allergewissenloseste Hauptlump da! Allein ich bin kein Richter und habe darum auch niemand zu verurteilen; aber eine recht große Freude habe ich nun dennoch darüber, daß dieser Kerl so schön ins Hauptgarn gegangen ist!“

10. Sagt Mathael lächelnd: „Aber es ist noch sehr darauf achtzuhaben, daß er nicht das Garn durchreißt und uns am Ende noch allen ins Gesicht lacht! Bis jetzt hat er mit seiner Sprache sich noch sehr auf dem gemäßigten Wege gehalten; wenn er aber einmal so recht in die Enge getrieben wird, so wirst du, Cyrenius, schon sehen, wie er zu parieren anfangen wird! Ich kenne ihn nun erst so ganz, obschon ich ihn schon vom Tempel aus ebenfalls kenne! Sieh, dieser ist es, der vor dreißig Jahren die Hand an den Oberpriester Zacharias gelegt und ihn zwischen dem Opferaltare und dem Allerheiligsten, durch den Vorhang getrennt, ermordet hat! – Aber nun nichts Weiteres mehr davon!“

11. Sagt Herme voll Freuden: „Oh, derart Stücklein kenne ich noch eine Menge von ihm; aber sie sind nicht strenge genug erweisbar, und so läßt sich da wenig oder nicht viel machen!“

12. Sagt Cyrenius, ganz erstaunt über die Aussage des Mathael: „Ah, was sagst du mir da?! Also dieser Kerl von einem Obersten hätte jenem aller Menschen Zeugnisse nach höchst frommen und weisen Oberpriester im Tempel das Lebenslicht ausgelöscht? Na gut, daß ich davon nur so einen Wink habe; alles andere werde dann schon ich besorgen!“

13. Hier gab Cyrenius dem Hauptmanne Julius einen Wink, Wachen auszustellen, damit von den Erzpharisäern ihm niemand entkomme.

14. Julius gab sogleich geheimen Befehl, und es geschah sogleich, was Cyrenius befohlen hatte; aber der Oberste merkte dennoch etwas davon und fragte den Cyrenius: „Wem gilt diese Bewegung?“

15. Antwortet Cyrenius: „Danach hast weder du noch irgendeiner von deinem Gelichter zu forschen; denn Menschenungeheuern deiner Art gibt Cyrenius keine Antwort mehr! Denn du bist nicht nur ein elendester Volksbetrüger, sondern auch ein Volksmörder geistig und leiblich. Ich warte nun nur noch auf des Pflegers Bericht aus der Stadt und auf die Ankunft des Kornelius, Faustus und des Jonah aus Kis; dann werde ich dir schon sagen, warum ich nun die Wachen habe ausstellen lassen!“

16. Sagt der Oberste: „Gut, dann werde aber auch ich dir erst sagen, warum ich so ganz eigentlich hier bin!“

17. Hier zieht der Oberste aus dem Rocke eine Pergamentrolle, zeigt sie dem Cyrenius und sagt: „Kennst du dies Sigill und diese Unterschrift?!“

18. Hier stutzt Cyrenius, sagend: „Das ist des Kaisers Siegel und seine Unterschrift! – Was soll es damit?“

19. Sagt der Oberste: „Wenn es nötig sein wird, sollst du den Inhalt kennenlernen! Ich rate dir darum, von jeder weiteren Untersuchung gegen mich abzustehen, sonst dürfte dir diese Rolle sehr bedeutende Unruhen bereiten! Noch ehre ich dich als einen Biedermann; aber treibe mir die Sache, wohlgemerkt, nicht zu weit, sonst könnte ich etwa doch von dieser Rolle, die du so gut wie jedermann höchst zu respektieren hast, einen dir sicher sehr unliebsamen Gebrauch machen!

20. Wahrlich, ich hätte diese furchtbare Waffe nicht aus meiner Rocktasche gezogen, so du mich dazu nicht genötigt hättest; aber du fingst an, mich wie einen Wurm zu treten, und da ist es sehr an der Zeit, dir zu zeigen, daß du noch lange nicht allein Herr in diesem Territorium (Hoheitsgebiet) bist! Ich meine nun, daß es besser wäre, die Wachen einzuziehen, weil ich sonst genötigt werden könnte, trotz des Sabbats neben die deinigen auch die meinigen hinzustellen!

21. Gelt, diese meine nun sehr veränderte Sprache geniert dich so ein wenig?! Kann dir aber wahrlich nicht helfen; denn es hat die deinige mich ehedem auch etwas geniert! Kurz, ich kenne nun dich, und du kennst nun auch mich! Tue nun, was dir klug und gut dünkt, und ich werde desgleichen tun! – Hast du mich wohl ganz verstanden?!“

22. Auf diese Worte kehrt der Oberste dem Cyrenius wie ein Herrscher den Rücken, begibt sich mit den Seinigen ans Ufer des Meeres und tut dort als einer, dem vom Kaiser aus im Notfalle eine große Macht zugestanden ist; Cyrenius aber befindet sich nun in einer großen Verlegenheit und weiß nun nicht, was er machen soll.

23. Nun sagt Mathael: „Siehst du, Liebster, wie dir so ein Kerl mit allem, was zu seiner Sicherheit taugt, physisch und moralisch schon lange, und das wie eine Festung, bestens versehen ist?! Darum ist es da höchst schwer und eigentlich ganz fruchtlos, einen Richter zu machen, weil sich diese Menschen – der Herr weiß es, auf welchen Schleichwegen! – die allerhöchsten geheimen Privilegien zu verschaffen gewußt haben, gegen die sich nun höchst schwer zu Felde ziehen läßt!“

24. Sagt Cyrenius: „Aber sage mir doch, lieber, weiser Mathael, wie möglich kam denn diese Menschen-Hydra ohne mein Wissen und Wollen zu einem Sicherheitsdokumente aus der Hand des Kaisers?! Ja, da läßt sich nun freilich nichts anderes tun, als zum bösen Spiele irgendeine gute Miene machen! Da bin ich denn nun doch auf den Herrn neugierig, was Der dazu sagen wird!“

25. Sagt Mathael: „Er wird jetzt darüber etwa auch nicht gar zu gerne eine rechte Rede und Antwort geben; denn Er hat es schon zum voraus gewußt, warum Er dir diesen Klub zur Prüfung übergeben hat, und scheint auf unsere ganze Verhandlung wenig aufgemerkt zu haben!“

26. Sagt Cyrenius: „Aber um einen Rat müssen wir nun denn doch wohl fragen!“

27. Sagt Mathael: „Allerdings; daran ist nun schon die höchste Not!“

Kapitel 147. Die gefälschte Urkunde.

1. Am Ufer aber sagt der Oberste zu seinen Kollegen: „Ihr habt die Sache gut gemacht; denn das Auftreten scheinbar wider mich war gerade zur rechten Zeit, zu der ich euch durch mein Schweigen das Zeichen gab! Nun sind sie vernagelt und wissen nimmer, wo aus und wo ein! Wenn nur die drei Beansagten nicht kämen, die allein uns ein wenig Mucken machen könnten! Oder sie brächten gar etwa den berühmten Nazaräer mit! Ja, wenn das, dann sind wir aber großartig verlesen! Da hilft uns nichts mehr!

2. Daher wäre meine Meinung diese, wir sollten nun trachten, uns frühzeitig auf dem Wasser zu empfehlen, und linea recta (geradewegs) uns nach Jerusalem zu wenden; denn kommen die Beansagten einmal an, dann dürfte es sehr zu spät werden! Cyrenius hat die Wachen eingezogen, wir haben kein Hindernis! Ziehen wir uns daher längs dem Ufer am Meere etliche Morgen aufwärts, da werden wir wohl etwa mit einem Fahrzeuge eines griechischen Fischers zusammenkommen, auf dem wir uns in die Sicherheit können bringen lassen!“

3. Sagt der frühere Bemerker: „Aber die Volkswachen aus der Stadt! Wie werden wir diesen entgehen? Denn die werden hinter den Gebüschen auf uns lauern, und haben sie uns, da sind wir auch verlesen!“

4. Sagt der Oberste: „Das ist freilich eine ganz verzweifelte Geschichte! – Wie wäre es denn, so wir ganz gebieterisch keck ein sicheres Geleite vom Cyrenius verlangen würden?! Auf das kaiserliche Dokument hin kann und darf er es uns nicht vorenthalten! Gehe du, Sprecher, hin und tue das!“

5. Der Bemerker tut das; aber Cyrenius hat sich zuvor bei Mir schon Rates geholt, und Ich sagte ihm natürlich alles das, was die Pharisäer am Ufer geredet und beschlossen hatten, und Cyrenius wußte nun, woran er war, und was er vorderhand zu tun und zu verfügen habe.

6. Als der Bemerker seine Forderung so keck und gebieterisch als möglich an den Cyrenius stellte, sagte Cyrenius: „Mein Freund, es erschreckte mich wohl vorher die gewisse Urkunde; denn ich wußte ja noch nicht, daß sie eine falsche ist! Da ich aber nun in dieser Sache ein ganz anderes Licht erhalten habe, so erschrecke ich mich nun nicht mehr und werde dem Verlangen deines Obersten durchaus nicht nachkommen!

7. Übrigens gehe du hin und sage es dem Obersten, daß er mir die bewußte Urkunde alsogleich ausliefern soll, sonst wird sie ihm mit Gewalt abgenommen werden; sollte er aber etwa sich bemühen, das Dokument zu vernichten, so kann er heute noch die Kreuzigung für gewärtig halten! – Gehe hin und sage ihm das!“

8. Der Bemerker macht nun seine tiefe Verbeugung und entfernt sich mit großem Beben am ganzen Leibe. Wie er sich dem Obersten naht, sagt er vor großer Angst stotternd: „Wir sind – verloren! Das verfluchte, falsche Dokument – hat unseren – Lumpereien – die Krone – aufgesetzt! – Wenn heute – etwa noch nicht, – so morgen sicher – 's Kreuz! – Händige sogleich ohne Zaudern und Zögern das verfluchte Dokument dem Oberstatthalter ein, sonst hängst du heute noch am Kreuze! – Ein Satan muß dich verraten haben! – Cyrenius weiß um alles!“

9. Als die schwarze Gesellschaft samt dem Obersten solches vernimmt, wird ihr und ihm etwas sonderbarlich zumute, und der Oberste nimmt das Dokument, übergibt es dem Sprecher und sagt: „Da nimm es, und trage es hin; wir sind verloren, denn mit dem ist unsere letzte Stütze gebrochen!“

10. Der Sprecher tut das, bringt das Dokument dem Cyrenius und sagt: „Hoher Gebieter, hier ist das Dokument! Wir alle sind große und grobe Verbrecher und appellieren nun allein an dein Menschenherz!“

11. Cyrenius nimmt das Dokument, liest es durch und sagt nach einer Weile: „Schau, wie fein und schlau! Sage du mir nun nichts anderes, als bei welcher Gelegenheit der Oberste zu dieser CHARTA ALBA gekommen ist!“

12. Sagt der Bemerker: „Hoher Herr, ich weiß vieles; aber das weiß ich im Ernste nicht! Er hat das als Oberster schon von Jerusalem mit hierhergebracht; wer es ihm aber dort wohl verschafft hat, weiß ich nicht!“

13. Sagt Cyrenius: „Weißt du es aber wohl gewiß, daß er dieses Dokument schon von Jerusalem mit hierhergebracht hat?“

14. Sagt der Sprecher: „Er hat es uns gezeigt und gesagt und hat uns darauf in solche seine Macht einverleibt. Das ist alles, was ich weiß; mehr wird auch keiner von uns wissen!“

15. Fragt Cyrenius weiter: „Wie hat er sich denn sonst als Mensch benommen?“

16. Antwortet der Sprecher: „Ich weiß nichts Arges über ihn; er vertrat sein Amt stets strenge und dem jüdischen Geiste angemessen. Daß er übrigens seine Renten oft auf eine eben nicht sehr barmherzige Art eintrieb, ist bekannt; doch wüßte ich kaum, daß er sich je gegen jemand zu hart benommen hätte. Er mag vielleicht von früher her so manches auf seinem Gewissen haben, was er uns freilich nie enthüllte; aber seit seiner Amtierung hier wissen wir nichts, außer daß er gestern im Ernste bei der wunderlichen Gelegenheit etwas zu stark auf Opferungen drang. Freilich gab dazu das Volk selbst den meisten Anlaß!“

17. Fragt Cyrenius weiter: „Hat der Oberste etwa zu öfteren Malen mit diesem Dokumente einen Mißbrauch gemacht?“

18. Antwortet der Sprecher: „Bis auf heute haben wir nie etwas davon bemerkt.“

19. Fragt Cyrenius: „Ist das alles reinste Wahrheit, was du mir nun kundgegeben hast?“

20. Sagt der Sprecher: „Hoher Herr, dafür will ich sterben, so daran ein mir bekanntes unwahres Jota hängt!“

21. Sagt Cyrenius: „Gut denn! Gehe hin und sage es dem Obersten, daß ich nun mit ihm reden will und er darum zu mir kommen soll; denn ich will sehen, was sich in dieser Sache noch zu eurem Wohle tun lassen kann!“

22. Diesmal geht der Sprecher schon mit mehr Mut und weniger Fieber zum Obersten hin und überbringt ihm solches. Der Oberste bedenkt sich eine Weile und sagt dann: „Je nun, was wollen wir hier anders mehr machen – als zum bösen Spiele ein freundlich Gesicht?! Es ist immerhin besser, nur etwas zu verlieren denn alles!“

Kapitel 148. Das Bekenntnis des Obersten.

1. Mit dem begibt sich der Oberste zum Cyrenius hin und sagt: „Hier steht nun ein Machtloser vor dir. Dieser bildete sich eine Zeitlang ein, daß er als Mensch dieser Erde auch von allen jenen Rechten, deren sich auch nur Menschen dieser Erde bedienen, für sich einen Gebrauch machen könne; aber er verrechnete sich, als selbst ein Künstler im Rechnen, und kam zu der Überzeugung, daß die Hohen keine andern Hohen neben sich haben wollen! Darum will ich von nun an ein Allerniedrigster sein; vielleicht werde ich dadurch den Hohen angenehmer sein!“

2. Sagt Cyrenius: „Daran wirst du sehr wohl tun! Aber nur das einzige sage du mir nun, aus welchem Grunde du dich vor mir anders zeigtest, als du warst! Habe ich dir doch wie einem Freunde die Hand geboten, und du schlugst sie aus! Was wolltest du damit denn so ganz eigentlich erreichen?“

3. Sagt der Oberste: „Denke dir eines Menschen hohe Stellung! Neben dieser ruht stets ein geheimer Hochmutsbrief; dieser heißt ,Ehre und Macht des Amtes‘! Darauf fängt man gar leicht an zu sündigen; ist man im Sündigen aber einmal so recht darin, da wird man blind und taub und sündigt sich immer höher hinauf. Leider kommt man einmal sicher so hoch, wo es dann heißt: ,Bis hierher nur und nun keinen halben Schritt mehr weiter!‘ Ich bin nun auf den Punkt gekommen und werde sehr froh sein, mich so bald als möglich ganz tief unten zu befinden! Achtundsiebzig Jahre zähle ich bereits und habe wenig mehr darüber zu erwarten! Von nun an, so du mir den kurzen Lebensrest meiner Lebenszeit noch hinzuschenken willst, will ich mich nur mit dem rein Göttlichen befassen!“

4. Sagt Cyrenius: „Gehe hin, – dort nahe am Hause des Markus wirst du an einem Tische Brot und Wein finden! Stärke dich damit, und wir wollen dann die Sache schlichten, ehe die Beansagten etwa anlangen!“

5. Der Oberste macht nun ein fröhliches Gesicht, dankt und begibt sich schnell zum besetzten Tische hin. Der Alte war schon sehr hungrig und durstig, und es kam ihm die Sache äußerst erwünscht.

6. Während der Alte aber sich stärkt, gehe Ich zum Cyrenius und sage zu ihm: „Also ist es recht; du hast die Sache ganz gut geleitet. Auch das Zeugnis, das du dem Nazaräer gegeben hast, war ganz in der besten Ordnung; aber Mich mit diesen Menschen völlig bekannt machen, wäre noch zu früh. Wenn die Sache in der Ordnung fortgeführt wird, wie es bis jetzt der Fall war, so könnte es sogar möglich sein und werden, diese Menschen ganz für uns zu gewinnen; aber eine Übereilung könnte die ganze Sache verderben.

7. Ich werde dir nun den Raphael zur Disposition (Verfügung) stellen. Er wird tun, was du ihm sagen wirst; aber sei bei einer Wundertat vorsichtig! Für die Herstellung der hie und da noch glühenden Stadt lasse nichts tun, obschon der Engel gar wohl imstande wäre, die ganze Stadt in einem Augenblick wieder herzustellen. Denn Ich will es, daß dieser Ort eine Zeitlang in der gedemütigten Stellung verbleibe und endlich Markus und seine Kinder diejenigen sein sollen, durch die dem Orte wieder aufgeholfen werden soll. Alles andere aber kann er dir tun – aber dennoch stets mit einer gewissen und sicheren Vorsicht!“

8. Sagt Cyrenius: „Herr, was wirst denn Du unterdessen tun?“

9. Sage Ich: „Ich werde in deiner Nähe verbleiben und tun wie ein Fremder, wie bis jetzt. Wenn du aber nun gen Mittag ein Schiff wirst ankommen sehen, so gehe hin ans Ufer und empfange die Angekommenen in Meinem Namen; aber sage es ihnen, daß auch sie Mich dieser Menschen willen nicht vor der Zeit ruchbar machen sollen, damit die Sache mit den Pharisäern nicht verdorben werde. Den Boten und Sänger Herme aber laß zu Meinen Jüngern kommen; diese werden ihm für unsere Sache den nötigen Unterricht erteilen. Ich aber werde Mich mit dem Ouran über die künftige Einrichtung seines Staates besprechen und ebenalso mit dem Mathael und mit dessen Gemahlin. – Nun weißt du, woran du bist, und was du zu tun hast!“

10. Sagt Cyrenius: „Jawohl, Du mein Herr und mein Gott; aber woran werde ich es erkennen, daß diese etlichen fünfzig Erzjuden für Dich reif sein werden?“

11. Sage Ich: „Das wirst du schon zur rechten Zeit nach dem Mittagsmahle, das wir heute um eine Stunde später einnehmen werden, erfahren. Sei darum ganz unbesorgt, und mache alles andere gut und Meiner ewigen, göttlichen Ordnung gemäß!“

12. Cyrenius war mit diesem Auftrage höchst zufrieden und voll Freude, daß Ich mit seiner Behandlung der Pharisäer völlig zufrieden war; Ich aber berief nun zugleich auch den Raphael und stellte ihn zur Verfügung unter den Willen des Cyrenius.

13. Raphael kam schnell herbei und sagte: „Ich stehe hier, Gott, dir und allen Menschen, die eines guten Willens sind, in der Kraft und Macht und im Namen des Herrn zu dienen. Sei aber vorsichtig, was du anordnest; denn ich werde alles ausführen!“

14. Sagt Cyrenius: „Freund aus den Himmeln! Würde ich handeln nach meinem Verstande, so möchte da wohl nichts als eine Torheit um die andere herauskommen. Daß es mir bisher mit den über die Maßen schlauen Pharisäern also gelungen ist, habe ich nur allein dem Herrn zu danken; denn Er gab mir Worte und den rechten Sinn ins Herz. Mein Verdienst dabei ist gleich null. Also hoffe und glaube ich, daß es auch bis ans Ziel gehen werde! Unter solchen Auspizien (Vorzeichen), Freund, können wir miteinander nach dem Willen des Herrn die weitere Durchführung des begonnenen Werkes mit den Pharisäern wohl wagen! Was meinst du da, mein Freund aus den Himmeln?“

15. Sagt Raphael: „Ah, das ist ganz etwas anderes; bei diesem Sinne ist eine Sünde in der zu vollführenden Angelegenheit gar nicht denkbar! Und so wollen wir denn das Werk mit vereinter Gotteskraft in uns wieder beginnen!“

16. Mittlerweile hatte sich der Oberste Stahar gestärkt, kam wieder zum Cyrenius zurück und dankte ihm recht von Herzen für solche ihm erwiesene Wohltat.

Kapitel 149. Der Oberste Stahar gibt seine Glaubensansichten kund.

1. Cyrenius schob den Dank von sich, sagend: „Freund! Dem Herrn Himmels und der Erde gebührt allein aller Dank und alles Lob; du aber wirst mir nun als höchst Eingeweihter im ganzen Judentume und als ein völliger Schriftgelehrter zu meiner Belehrung die Aufklärung geben, welchen Sinn du mit dem Begriffe ,Engel‘ verbindest! Was sind denn so ganz eigentlich die Engel Gottes, und wie dienen sie Gott und wie den Menschen?“

2. Sagt Stahar: „Hoher Gebieter, das ist eine sehr kitzliche Frage, zumal es denn doch noch immer nicht vollauf erwiesen ist, daß es im Ernste wirklich Engel gibt! Die Schrift erwähnt ihrer wohl bei verschiedenen Gelegenheiten; aber dessen erwähnt sie nirgends auch nur mit einer Silbe, was und wer eigentlich die Engel in sich selbst sind, und wie und in welcher Weise sie Gott und den Menschen dienen!

3. Nach dem Dahahlmud sollen darunter nur die vom Gottwesen ausströmenden Kräfte in der Form von Flammenbündeln, die sich in der undenklichsten Gedankenschnelle nach allen Richtungen vom ewigen, unerforschlichen Zentrum Gottes wirkend bewegen, ungefähr wie die von der Sonne ausgehenden Lichtstrahlen, zu verstehen sein. Das kommt mir auch noch am annehmbarsten vor; ob nun aber das eine richtige und der Wahrheit gemäße Definition (Erklärung) ist, das ist eine andere Frage, worüber wahrscheinlich schwer je ein sterblicher Mensch eine wahre Antwort zu geben imstande sein wird.

4. Man habe nach der Schrift die Engel auch zu öfteren Malen als Jünglinge von ungemeiner Schönheit auf der Erde den Menschen dienen sehen! Nun, das ist für starke Denker auch wohl ein starkes Stück Glaubens; ich und alle meine Kollegen haben wenigstens nie etwas Ähnliches zu Gesichte bekommen! Kann sein! Aber es kann das auch ebensogut eine alte, lyrische Redensart sein, durch die man der größeren Versinnlichung wegen die geistig wirkenden Kräfte personifiziert hat, ihnen die volle, jugendlich muntere, kräftige Form eines schönsten Jünglings gebend; denn einer Engelin hat noch nie ein Vers erwähnt, – wahrscheinlich weil die begeisterten Dichter sich in einer noch so vollkommenen und reizenden Jungfrau nie die große Kraft dachten wie in einem vollen, gesunden Jüngling.

5. Sieh, hoher Gebieter, also sind da der reineren Vernunft nach die Meinungen sehr verschieden! Etwas Reelles scheint überall an der Sache zu liegen; aber was daran das eigentlich Wahre ist, läßt sich von uns Menschen wohl nicht ermessen. Da heißt es, das Volk schon beim Sinnenglauben lassen und erhalten, weil man ihm im Grunde denn doch nichts Besseres dafür bieten kann! Das ist aber nun auch schon alles, was ich dir auf deine sehr gewichtige Frage als eine allerbeste Antwort geben kann; denn dir kann ich doch nicht mit dem kommen, was man darüber dem Volke lehrt!“

6. Sagt Cyrenius: „An die Möglichkeit einer leibhaftig persönlichen Erscheinung eines Engels glaubst du also nicht völlig?“

7. Sagt Stahar: „Nicht nur nicht völlig, sondern gar nicht; denn ich habe noch nie die Ehre und das Glück gehabt, etwas Ähnliches selbst nur in einem Traume zu sehen, geschweige irgend in der Wirklichkeit. Ebenso konnten mir alle meine Kollegen, mit denen ich je in dieser Sache eine offene Besprechung geführt habe, nichts anderes sagen, als was ich selbst schon lange erfahren haben.

8. Ich will zwar damit nicht gerade die äußerste Möglichkeit in eine volle Abrede stellen, außer für mich allein; aber das ist sicher, daß sich ein solcher Engelsgeist unseren Sinnen noch viel weniger als etwas formell Seiendes darstellen kann ohne ein naturmäßiges Medium, als sich der Lichtstrahl irgend als solcher manifestieren kann, wo er durchaus kein rückwirkendes Medium findet.

9. Der Lichtstrahl der Sonne durchzieht sicher eher die Luft, als er wirksam den Boden der Erde berührt. In der Luft aber, als in einem noch zu geringen Medium, kann er kein Gras werden; aber am Boden der Erde kann er sich gleich einem Proteus schon in alles verwandeln, wozu er in der Materie nur irgendeine Disposition findet.

10. Und so meine ich, da man in der großen Natur aller Dinge überall eine gewisse Mußordnung entdeckt, aber nie etwas entstehen sieht, wo nicht ein tauglicher Grund voranginge, und wo zu irgendeinem Effekte nicht ein taugliches Medium schon im Vordergrunde da wäre, da man ferner auch bei der sorgfältigsten Beobachtung der Naturdinge nirgends irgendeinen Sprung entdeckt, so bin ich denn auch gegen alle sogenannten Wunder und gegen das formell persönliche Auftreten eines Geistes unter was immer für einem Begriffsnamen, – sei es nun ein Engel oder ein Teufel, ein Gott oder sein Gegenpol.

11. Ja, ein höherer Geist kann sich manifestieren, aber nie anders als im Fleische und Blute; was darüber ist, ist entweder eine Phantasie eines geistreichen Menschen, oder es ist eine bare Lüge!

12. Leider, daß gerade wir, die wir die Wahrheit schon lange erkannt haben, mystisch aussehende und tuende Verbreiter und Erhalter der Lüge und des dicksten Aberglaubens sein müssen! Wir müssen da fromme Gesichter schneiden, wo wir über eine zu große Dummheit aus Ärger geradewegs zerbersten könnten! Aber da ist Moses, da sind die Propheten, – lauter herrschgierige Menschen, die das Volk zuerst mit allerlei natürlichem Spukwerk breitschlagen mußten, damit dieses sie dann für alle Zeiten zu ihren Beherrschern krönte und ihnen das Recht einräumte, es zu tyrannisieren mit allem, was nur immer ,Übel‘ heißt!

13. Ist ein Volk aber einmal breitgeschlagen und gehörig durch lauter Wunder bis in den tiefsten Lebensgrund verfinstert, dann gib solch einem Volke nur Licht, aber ein wahres Licht, und das wird über dich wie ein Tiger herfallen und dich in Stücke zerreißen!

14. Darum ist es noch immerhin besser, so man ein einmal sehr verdummtes Volk beim uralten, dummen Glauben läßt und denselben durch falsche Wunder neu auffrischt und belebt, als so man solch ein Volk aufzuklären sich bemüht, weil ein einmal sehr verdummtes Volk im allgemeinen gar nicht mehr aufzuklären ist!

15. Es hat für mich eine Zeit gegeben, in der ich jeden Menschen, der mir mit einem Wunder die ohnehin schon höchst verdummte Menschheit offenbar noch dümmer zu machen sich bemühte, wie ein Tiger voll Grimm und Wut für sein schändliches Unternehmen anfiel und ihn womöglich sogar tötete; aber mit der Zeit erst kam ich nach vielen sublimen Versuchen zu der Überzeugung, daß die einmal zu verdummte Menschheit gar nicht aufzuklären ist, und fand dabei aber auch, daß ich sehr unrecht hatte, gegen jene Menschen zu Felde zu ziehen, die durch künstliche Wunder das Volk in seinem alten Aberglauben auf das wirksamste zu bestärken suchten.

16. Ich meine mich dir nun offen gezeigt zu haben. Daß ich mich natürlich gegenüber dem Volke ganz anders zeigen mußte, wirst du hoffentlich auch ohne Ärger einsehen! Daß ich aber für mich stets anders dachte, dafür bürgt dir meine innere, bessere Überzeugung, die ich dir nie hätte zeigen können, wenn sie nicht in mir vorhanden wäre! Nun mache ich mir aus den Wundertätern aber nichts mehr; nur sollen sie gegen geweckte Menschen meinesgleichen nicht wie gewöhnlich, aus Brotneid zu Felde ziehen, sondern sie sollen uns schön unter die Arme greifen, und wir werden dabei alle gut bestehen.

17. Denn man muß es die unaufhellbare Menschheit nie merken lassen, daß eigentlich hinter uns gar nichts steckt, sondern man muß sie durch künstliche Wundertaten in der Meinung und in dem blinden Glauben erhalten, daß hinter uns unergründliche Geheimnisse stecken, die nur ein vom Gottesgeiste durchdrungener Priester und ein von Gott eigens erweckter Prophet bis auf den Grund verstehen kann.

18. Es genügt, daß da nur wenige einsehen, daß alle Lehren über irgendein Gottwesen nichts als – unter uns gesagt – eitle, alte Fabeln sind, die in der menschlichen Phantasie und sonst nirgends einen Grund haben.“

Kapitel 150. Raphael und Stahar.

1. Sagt Cyrenius: „Der Meinung bin ich wieder durchaus nicht; denn ich glaube fest daran, daß es einen Gott gibt, der alle Geister- und Sinnenwelt aus Seiner höchst eigenen Machtvollkommenheit, und zwar aus Sich heraus, erschaffen hat, nur natürlich in einem etwas längeren Zeitraume als in dem von Moses, schlecht oder gar nicht verstanden, angegebenen. Es gibt aber hier Männer, die Moses besser verstehen denn du!

2. So glaube ich auch an ein ewiges Leben aller Menschen, die aus gutem Willen das Gebot Gottes tatsächlich erfüllen, glaube auch vollkommen an die formelle Persönlichkeit aller Geister und somit auch der Engel Gottes, glaube fest an eine wirkliche Offenbarung Gottes durch den Mund der Propheten und glaube sogar an eine gottmenschliche Persönlichkeit!

3. Und ich glaube dies alles nicht bloß nur vom Hörensagen, sondern aus meiner innersten und lebendigsten Überzeugung, und es befremdet mich darum sehr, daß du von all dem gar nichts glaubst!

4. Was würdest du denn sagen, so ich ganz ernstlich zu dir spräche: ,Siehe, dieser liebliche Jüngling hier ist eben solch ein von dir nie geglaubter Engel Gottes und kann sich dir auch als solcher allzeit durch die Taten erweisen?‘ – Was wirst du mir dagegen einwenden können?“

5. Sagt Stahar: „Hoher Herr, darauf kann ich nichts anderes sagen als: Dir ist es nun gefällig, mich ein wenig vor allen Menschen durchzulassen! Dieser liebliche Junge ist sicher nur ein hoffnungsvoller Sohn von dir, und es wird sich nicht fehlen, daß du ihn schon von frühester Kindheit an in allen möglichen Künsten und Wissenschaften hast unterweisen lassen, und es sollte da schon alles zur Null werden, wenn der Junge nicht gewisse Fertigkeiten besäße, von denen unsereinem noch nie etwas geträumt hat.

6. Wenn ich so ein leichtgläubiger Ochse wäre, so könntest du mir damit schon so einen frommen Bären anhängen; aber so dürfte es sich wohl schwer machen. Denn ich weiß, was ich weiß, und bei dir wird's geheim auch derselbe Fall sein, – nur scheinst du mich hier wieder auf eine neue Probe stellen zu wollen.“

7. Sagt Cyrenius: „Nun, wenn du es dafür hältst, als hätte ich dich zum besten, so stelle im Namen Gottes des Herrn mit ihm eine Probe an, und es wird sich dann ja zeigen, ob ich dir recht berichtet habe oder nicht!“

8. Stahar sagt: „Gut, wenn du mir das zugestehst, so werde ich dir mit deinem Engel sogleich die dreifache Mosisdecke vom Gesichte heben, daß du darauf gleich wirst klar sehen können, wie es mit dem Engel steht! – Komm demnach her, du mein holder, junger Engel!“

9. Raphael tritt hin zum Stahar und sagt: „Was willst du, Glaubensloser, das ich dir tun soll?“

10. Sagt Stahar: „Sieh, in diesem Meere hausen eine Menge Fische; könntest du mir wohl einen besten aus der Tiefe herausholen und mir ihn aber auch zugleich schon gebraten und recht wohl zugerichtet auf einer Schüssel vorstellen?“

11. Stahar hatte dies noch kaum ausgesprochen, als Raphael ihm schon den verlangten Fisch auf einer großen Schüssel vorhielt und ihn dazu einlud, den Fisch nun auch zu verzehren.

12. Als Stahar solches ersah, da wurde er ganz entsetzlich verlegen und wußte nicht, was er auf diese unbegreifliche Erscheinung sagen sollte.

13. Raphael aber ladet auch Cyrenius dazu ein, den Fisch, der sehr wohl zugerichtet ist, zu verkosten. Der Fisch ward in Stücke zerteilt. Cyrenius nahm sich gleich ein gutes Stück heraus, aß es und rühmte überaus den Wohlgeschmack. Darauf versuchte auch Stahar ein Stück, aß es und fand das Lob des Cyrenius bestätigt, und endlich nahmen noch mehrere Gäste sich Portionen vom Fische und fanden sie überaus wohlschmeckend.

14. Als sogestaltig der ganze Fisch verzehrt war, wandte sich Stahar erst ganz demütig an den Raphael und sagte: „Bist du wirklich ein Engel des Herrn, oder bist du nur so ein junger, außerordentlicher Zauberer aus Europa oder Afrika oder aus dem großen Hinterasien? Die Tat ist zwar unbegreiflich und nie dagewesen wunderbar; aber es gibt auch Zaubereien und große Zauberer unter den Menschen, durch die ein Laie in derlei Dingen sehr leicht irregeführt werden kann. Darum sage du mir vollwahr, ob du wohl möglicherweise ein Engel des Herrn bist – oder vielleicht doch ein Zauberer?!“

15. Sagt Raphael: „Was würde dir da mein Ja oder Nein nützen?! Der Zweifler braucht handgreifliche Beweise! Prüfe mich und erkenne daraus, ob das, was ich tue, auch irgendein Zauberer tun kann!“

16. Sagt Stahar: „Ja, ja, es wäre gut prüfen, wenn man nur wüßte, womit man mehr mit so etwas – hm, – ja, mir fällt nichts ein, womit ich dich, du holdester Junge, noch weiter prüfen könnte, und zudem ist die Effektuierung des von mir eigentlich lächerlich verlangten ersten Probestückes schon so außerordentlich, daß sich etwas noch unmöglicher Ausführbares gar nicht mehr denken läßt! Deiner unendlich lieblichen Gestalt zufolge aber möchte ich schon wahrlich nun eher glauben, daß du im Ernste ein Engel Gottes denn ein Zauberer seiest! Nur scheinst du wirklich einen Leib zu haben, und da schaut denn doch kein so rechter Geist heraus. Laß dich doch von mir anfühlen, ob du auch Knochen hast!“

17. Der Engel läßt sich nun von Stahar anfühlen, und Stahar findet alles gediegen und kompakt beim Raphael; da zuckt er gewaltig mit den Achseln und sagt: „Hm, hm, da strotzt ja alles in der ganz verzweifelt üppigsten Fleischesfülle; da sieht es eben nicht sehr geistig aus! Die Tat, ja, gegen die läßt sich nichts einwenden; aber der ganz verzweifelt schöne, volle, weit über alle Jungfrauen hinaus üppige Leib, dieser wunderherrliche Arm, und so gediegen und kompakt, ja, da schaut denn doch gar nichts Geistähnliches heraus! Man könnte in dich, ganz offen zu gestehen – abgesehen, daß man schon ein alter Esel ist, und abgesehen, daß du dem Männerstande angehörst –, sogar mit der größten Leichtigkeit ganz mörderisch verliebt werden und so sinnlich als nur immer möglich! Und siehe, da schaut denn schon wieder nichts von so etwas heraus, das man mit vollstem Rechte rein und himmlisch Geistiges nennen könnte! Es müßte denn nur also sein, daß du, gleich einem jungen Tobias geheim uns sterblichen Menschen unsichtbar, von einem Engel unterstützt wirst, das heißt, so du schon von Geburt an gleich einem Samuel ein überaus frommer Knabe warst! Wäre aber dies nicht der Fall, so könntest du auch ebensogut im geheimen Verbande mit dem ,Jehova-steh-uns-bei‘ stehen, was ich freilich um so weniger vermute, da du sonst ein zu himmlisch frommes und schönes Aussehen hast, und weil ich, offen gestanden, an den ,Jehova-steh-uns-bei‘ eigentlich noch nie so recht fest geglaubt habe. Es ging mir sogar mit dem Vollglauben an einen Gott schlecht, um so mehr dann erst an dessen Gegenpart!

18. Daher bin ich trotz meiner äußerlichen Strenge bei mir selbst dennoch kein Zelote, sondern ein vernünftiger Naturalist und nehme darum so lange irgendeine Erscheinung nicht als geistig an, als sie sich nur im geringsten noch natürlich erklären läßt!

19. Deine nun vollbrachte Tat läßt meinem Verstande freilich wohl keine natürliche Erklärung zu; aber ich habe es mir auch noch nie eingebildet, alles zu verstehen, was irgendwo im großen Gebiete der Natur zum Vorschein kommt. Es kann daher deine Wunderkunst auch noch irgendeinen natürlichen Grund haben, der dir wohlbekannt sein wird und vielleicht noch manchem andern. Mir wirst du ihn schwerlich kundgeben; allein das macht eben nichts, denn es geschieht in der Natur gar manches, das an und für sich auch ein Wunder ist, dessen Grund wir nicht einsehen. Sollten wir es darum sogleich etwa als ein volles Wunder ansehen?!“

Kapitel 151. Stahars Erlebnis mit indischen Magiern.

1. (Stahar:) „Sieh, holdester, zauberkunstgewandter Junge! Vor ungefähr drei Jahren kamen nach der Stadt etliche Morgenländer, wie sie angaben gar aus Hinterindien, wo es etwa so hohe Berge geben soll, daß deren Spitzen nahe den Mond, wenn er vorüberzieht, berühren. Nun, das mag sein; aber die Fremden, um recht viel Aufsehen zu erregen, übertrieben alles und somit auch die Höhen ihrer Berge!

2. Lassen wir aber das; denn daran liegt nichts, ob ihre Berge etwa auch um etliche Ellen niederer sein dürften! Diese äußerst merkwürdig aussehenden Hinterindier baten mich um die Erlaubnis, ihre wahren Wunder gegen eine mäßige Bezahlung vor dem Volke ausführen zu dürfen.

3. Ich sagte aber durch einen Dolmetsch zu ihnen: Bevor ich mich nicht selbst unter vier Augen, wie man zu sagen pflegt, überzeugt habe, worin ihre Wundertaten bestünden, und ob es geraten sei, solche dem blinden Volke vorzuführen, könnte ich ihnen, trotzdem ich selbst ein großer Freund alles Außerordentlichen bin, nicht die Erlaubnis erteilen, was immer für noch so unschuldige Wunder vor allem Volke zu produzieren!

4. Die Wundermänner waren mit diesem meinem Bescheide um so mehr zufrieden, als ich ihnen für ihre Produktion bloß vor mir und vor ein paar vernünftigen Kollegen ein gutes Honorar zusicherte.

5. Sie gingen in ihre in der Stadt genommene Herberge und kamen nach einer Stunde mit allerlei von mir früher nie gesehenen Zauberrequisiten zurück; da waren Stäbe, Steine, sonderbar aussehende Metalle, große und kleine verschieden geformte Gefäße, von denen mir auch keines von einer schon bekannten Form war.

6. Ich fragte ihren Obersten, wozu er alles das brauchen würde, und er sagte: Eigentlich zu gar nichts; aber es müßte etwas Einheimisches in seiner Nähe sein, ansonst er nicht so gut und sicher ein verlangtes Wunder auszuführen imstande wäre. Er fragte mich darauf, was ich von ihm zu sehen oder zu wissen wünsche.

7. Ich sagte: ,Gut, wenn ich nur zu verlangen brauche, da wirst du mit deinen Zaubereien keine weiten Sprünge tun!‘ Ich fragte ihn, ob er mir sagen könne, was ich mir nun denke. Ich dachte mir Rom und des Kaisers Namen. Er legte darauf seine beiden Hände über die Brusthöhle und sagte mir meinen Gedanken. Daß mich das in ein nicht viel minderes Staunen versetzte als deine Tat nun, kannst du dir leicht einbilden!

8. Darauf setzte ich ihm einen Krug Wassers vor und sagte: ,Verwandle mir dieses Wasser in Wein!‘ Da ging er hin, machte mit seinen Händen einige Striche und Züge über den Krug und über das Wasser und sagte darauf: ,Versuche, Herr, wie dieser Wein dir schmeckt!‘ Ich verkostete das Wasser sogleich, und sieh, es war ganz vollkommen Wein! Hierdurch mußte ich eigentlich noch mehr zum Staunen kommen.

9. Darauf nahm er ein irdenes Gefäß, das vollkommen leer war, goß des Weines Rest hinein, vorgeblich zur Stärkung auf der baldigen, weiten Heimreise. Als ich aber hernach sogleich das Gefäß, das sonst ganz rein aussah, betrachtete, fand ich es nicht einmal naß, geschweige etwas darin; wohl aber roch es stark nach Wein, und der Zauberer bemerkte, daß er den Wein wegen leichter Verschüttung lieber im trocken-geistigen Zustande mitnähme.

10. Ich fragte ihn, ob er denn nun aus diesem Geruche nach Wein wohl sogleich oder je wieder einen flüssigen, trinkbaren Wein zustande bringen könnte. Er fragte darauf mich und meine drei Kollegen, ob wir noch zu trinken wünschten. Wir bejahten solches, und er nahm das sichtlich leere Gefäß, das sichtlich kleiner war als mein Wasserkrug, und goß darauf so viel Weines in meinen Krug, daß der Wein überzufließen begann!

11. Ja, junger, holder Freund, da fingen uns denn doch die Haare an gen Berge zu steigen; denn das ging doch schon zu weit über unsern Weisheitshorizont hinaus! Ich wußte nicht, was ich dazu hätte sagen sollen! Wir tranken darauf recht wacker den sehr guten Wein, und – wieder ein neues Wunder! – der Krug wurde nicht ums Kennen (erkennbar) leerer!

12. Als wir uns, vom Weine schon recht begeistert, darüber hoch und teuer verwunderten, sagte der Magier: ,Aber, meine Herren, Wein ohne Brot geht denn doch nicht ganz gut! Sehen Sie hier etliche Steine; wie wäre es denn, so ich sie in Brot verwandelte?‘ Sagte ich: ,Tue das!‘ Darauf bestrich er die Steine mit seinen Händen und sagte darauf: ,Nimm ein Messer und schneide das Brot auf!‘ Ich tat das, und sieh, es war Brot, gutes, schmackhaftes Brot!

13. Ich sagte darauf: ,Aber Freund, wenn du solches zu leisten imstande bist, so möchte ich nun denn doch wissen, wozu du noch eine Zahlung für deine außerordentliche Kunst benötigst?‘ Sagt der Magier: ,Bloß der Rarität wegen, und um an Orten, da man nicht Wunder wirken kann und darf, ein Mittel zu haben, sich materiell zu versorgen.‘

14. Ich war mit dieser Antwort zufrieden, versorgte den Magier mit zwei Pfunden Silbers, die er dankbar annahm, konnte ihm aber wegen der zu großen Außerordentlichkeit nicht die Erlaubnis geben, seine Kunst auch öffentlich vor dem blinden Volke zur Schau zu stellen; denn dem hätte das Volk gleich eine göttliche Verehrung erwiesen, besonders die Griechen und die etlichen Römer.

15. Er sagte mir, daß er noch eine große Menge von allerlei Wundern zu leisten imstande wäre, die noch um vieles denkwürdiger wären als das bereits Geleistete! Ich aber hatte wahrlich keinen besondern Wunsch mehr, noch weiteres zu verlangen und anzusehen. Mir hatte das bereits Gesehene den Kopf schon zu heiß gemacht, und ich war recht froh, daß diese Hinterindier sich wieder von der Stadt gänzlich entfernten; denn diese hätten das ganze Volk ordentlich rebellisch gemacht.

16. Ich fragte den Magier am Schlusse, ob er mir gegen Geld und gute Worte nur eine seiner Künste erläutern wolle. Er schlug es mir zwar gerade nicht trocken ab, verlangte aber so viel Geldes darum, daß mir darob geradewegs zu schaudern begann, und ich entließ darauf den Künstler noch um vieles leichter.

17. Siehe, du mein allerholdester Junge! Der Magier aus Hinterindien war gewiß auch so wenig ein Engel des Jehova als ich und hatte dennoch erstaunliche Taten vollbracht; warum solltest du mit deinem freilich, wie man sagt, ganz himmlisch schönen Leibe darum ein Engel sein, weil auch du für meinen groben Menschenverstand Außerordentliches zu leisten imstande bist?!

18. Du mußt mir sonach schon mehr rein geistige Beweise von deiner göttlichen Engelschaft geben, ansonst ich dich für keinen Engel Gottes ansehen kann, und würdest du mir hundertfach größere Wunder vormachen, als das bereits verzehrte (gemeint ist der Fisch) war! Und ich meine, daß gegen diese meine höchst vernünftige Anforderung kein wahrhaft nüchtern Vernünftiger mir eine Einwendung wird zu machen imstande sein!“

Kapitel 152. Stahar erzählt die Ermordung des Hohenpriesters Zacharias.

1. Sagt Raphael: „Es handelt sich nun nur darum, ob du wohl die Wahrheit geredet hast oder nicht! Ich kann es dir bestimmt sagen, daß du nun, bloß um mein Geistiges näher zu prüfen, ganz abscheulich und stinkend gelogen hast nach deiner ungebundensten Phantasie, und daß von all dem, was du nun ganz gut erzählt hast, nicht eine Silbe wahr ist!

2. Der fingierte Magier soll dir deinen Gedanken erraten haben; und ich habe es nun erraten, daß du uns alle nun nach der Elle angelogen hast! Und da ist denn nun die Lüge von den Magiern an mir für dich zur Wahrheit geworden!

3. Der fingierte Magier hat nach deiner Lüge Wein aus Wasser gemacht; siehe, auch das kann ich dir in der Tat zeigen! Siehe, da steht auch ein leerer Krug; lassen wir ihn mit Wasser füllen! (Der Krug ward mit Wasser gefüllt. ) Sieh, hier steht er voll Wassers! Ich habe den Krug nicht berührt, und doch ist das Wasser zum besten Weine geworden! – Koste ihn, ob er dir schmeckt!“

4. Stahar kostet das Wasser und findet nun im Ernste, daß es zum besten Weine geworden ist.

5. Spricht der Engel weiter: „Der Magier aber machte darauf den Wein in einem andern Gefäße verschwinden; und sieh, ich rühre das Gefäß nicht an, und doch ist nun auch kein Tropfen Weines mehr darin! (Der Krug war trocken leer.) Aber dein fingierter Magier machte darauf bloß aus dem Geruche wieder Wein; und sieh, dieser Krug riecht gar nicht mehr nach Wein, und ich will dennoch, daß er abermals voll des besten Weines werde! – Sieh, der Krug ist voll!

6. Aber du hast ja kein Brot zum Weine und magst den puren Wein nicht leicht trinken! Dein Magier bedurfte etlicher Steine, um sie in Brot zu verwandeln; ich brauche nichts als meinen Willen, – und sieh, schon liegt vor dir eine Menge Brotes! – Verkoste es, ob es nicht besser schmeckt als dein erlogenes!

7. Du beschenktest darauf deinen Magier mit zwei fingierten Pfunden Silbers; und ich schaffe dir hier aus der Luft zweihundert Pfunde wirkliches, gediegenes Silber als gute Zahlung für deine Lüge! – Sage, ob du nun damit zufrieden bist!“

8. Stahar macht hier übergroße Augen und sagt nach einer Weile: „Nein, da kann es unmöglich mit natürlichen Dingen und Kräften zugehen! Da wirkt offenbar mehr als irgendeine noch so unerforschliche Naturkraft! Da steckt ein allmächtiger Gotteswille dahinter, und du, Junge, bist entweder ein wirklicher, verkörperter Engel, oder du bist einer der größten Propheten Gottes wie Samuel oder wie Elias!

9. Ja, jetzt glaube ich, daß du ein Gottesbote aus den Himmeln zu uns armen, sündigen Menschen bist, um uns vom rechten Wege weit Abgewichene wieder auf denselben zu setzen!

10. Es ist wahr, großer, holdester Bote des Herrn, daß meine dir ehedem erzählte Historie (Geschichte) von den hinterindischen Magiern so gut als von mir ersonnen war, – aber dennoch nur nach dem Muster, wie sie mir selbst von jemand einmal erzählt wurde. Ich erzählte sie nur, um dich näher zu prüfen, fand aber, daß du im Ernste Herz und Nieren durchschaust, und daß deinem Willen wirklich das Unmöglichste gar spielend leicht möglich wird.

11. Und also glaube ich aber nun auch eisenfest, daß du trotz deines schönsten Leibes ein vollkommenster Bote Gottes bist, und habe nun eine große Freude in meinem Herzen, daß auch ich einmal erlebt habe, was da beschrieben ist im Buche, daß solches auch dann und wann in den alten Zeiten die frommen Väter erlebt haben!“

12. Sagt der Engel: „Du erlebtest aber nun nicht zum ersten Male etwas, das die alten Väter erlebt haben! Du hast ja vor dreißig Jahren auch schon etwas Ähnliches im Tempel erlebt, worauf dann eben der damalige Oberpriester hauptsächlich durch deine Hand zwischen dem Altare und dem Allerheiligsten fiel! Warum glaubtest du denn damals nicht dem offenbaren Wunder, und warum wurdest du grausam gegen einen Oberpriester sogar?!“

13. Sagt Stahar: „Liebster, allmächtiger Bote des Herrn, erinnere mich nicht an eine Zeit, in der ich sicher nur durch einen Fluch das Licht der Welt erblickte, und an eine Tat, die ich nachher mehrere tausend Male tiefst bereut habe! Aber es war damals für mein Gemüt und für mein Wissen nahe nicht anders möglich!

14. Ich war geheim in der Philosophie der Griechen schon durch und durch bewandert und wußte, warum ich ein Mensch ward. Plato und Sokrates, sowie auch Aristoteles, waren mir um tausend Male lieber als alle meine finsteren und höchst mystischen Propheten, die ich bis zur Stunde noch nicht verstehe und auch nie verstehen werde, weil sie eigentlich nicht zu verstehen sind, besonders aber die Hohenlieder Salomonis, die eher einem Wahnsinnigen als einem Weisen gleichsehen. Ich hatte darum eine ordentliche Wut gegen alles bekommen, was nur irgend im geringsten Streite mit der reinen Euklidischen Vernunft stand, nach dessen Werken ich so ganz eigentlich zu einem Rechenmeister geworden bin.

15. Mein allmächtiger, himmlischer Freund! So mir jemand sagt: 2 und 2 sind 4, und daß der Tag Licht hat und die Nacht Finsternis, dann hat er die volle Wahrheit geredet, und ich werde ihn als Freund an meine Brust drücken. Wenn einer aber kommt und mit starrem Sinne mir ins Gesicht behauptet, daß 2 und 2 = 5, und daß der Tag finster und die Nacht licht sei, so schlage ich einen solchen Ochsen gleich mit einem Schlage tot; denn so ein Geistesmörder ist bei mir ja bei weitem ärger als ein jeder Dieb und Straßenräuber und Mörder!

16. Und sieh, also war es damals im Tempel! Man fing schon an, das Unsinnigste zu behaupten, und setzte sogar Strafen darauf, so jemand gegen einen noch so salomonisch finstern und dummen Weisheitsspruch nur eine geringste Entgegnung zu äußern sich unterfinge!

17. Der besagte Oberpriester war so ein rechter Salomonianer und hielt streng auf die allermystischste Weisheit; er fing sogar an zu besingen ein hellstes Licht, das nun in die Welt käme. Dieses werde nun erleuchten alle Finsternis in der Nacht also mächtig, daß selbst die finstersten Löcher unter der Erde heller leuchten würden denn die Sonne des hellsten Mittags; aber aus dem Tage der Welt würde werden eine finsterste Nacht, und des Tages Finsternis werde so groß werden, daß daran sterben würden Menschen und Tiere. Das Licht der Nacht sei schon in der Welt und erleuchte bereits schon die Finsternis der Nacht, daß da sogar die Blindgeborenen sähen wie die Sehenden am hellsten Tage!

18. Dies nun Gesagte ist nur so ein ganz leiser Anfang, der natürlich vom ALPHA bis OMEGA kernfest erlogen ist, da ich noch bis zur Stunde durch volle dreißig Jahre außer dem Vollmonde kein Nachtlicht bemerkt habe, – die gestrige verlängerte Abendbeleuchtung auch ausgenommen, die aber ganz gut hätte ausbleiben können, wodurch viel Unglück wäre verhütet worden. Niemand durfte ihn fragen, was darunter zu verstehen sei, und dennoch verlangte er den vollsten Glauben.

19. Das in Jehovas Namen hätte ich noch ertragen – denn zu vielem Unsinn noch ein wenig mehr Unsinn, das macht nichts, weil man dabei noch immer für sich rein und wahr denken kann –; aber da fing er einmal an: Die 7 werden nun 1, und die 666 werden nun 111, und 777 und 1/2 und 1/3 und 1/4. Wer da rechnen kann, der soll nun anders rechnen; denn das Alte wird nun gerichtet und verdammt werden!

20. Dergleichen Unsinn noch mehr setzte mich und mehrere Schüler des Euklid in die allergrößte Besorgnis, Angst und Wut; wir verschworen uns und machten der zu beleidigenden Dummheit durch einige gut gezielte Steinwürfe ein Ende!

21. Aber wir haben damit eben nicht viel gewonnen; denn die Nachfolger des Getöteten waren hernach noch um hundert Male ärger. Da war es denn aber für unsereinen im Tempel auch gar nicht mehr zum Bleiben; ich besann mich, spielte einen Erzgleißner und ward infolgedessen bald hierher als ein Oberster gesetzt mit allen Rechten des Oberpriesters. Hier ließ ich mir nichts abgehen und spielte äußerlich den Strengen; aber innerlich war ich ganz gut und voll guter Dinge. Da hast du nun auch den Grund, warum der Zacharias getötet ward! – Was sagst du nun wohl dazu?“

Kapitel 153. Raphael gibt Erklärungen über die Messiasprophezeiungen.

1. Sagt Raphael: „Aber das hatte ja doch handgreiflich einen geistigen und keinen materiellen Sinn! Es hatte Bezug auf den in jener Zeit in die Welt kommenden Messias, von dem schon alle Propheten, ja sogar schon Adam und Henoch, wie auch Kenan in seiner Begeisterung, geweissagt haben!

2. Die Zeit ist nun herbeigekommen, in der alle die Weissagungen in die Erfüllung gekommen sind! Zacharias weissagte als ein letzter Prophet in geistiger Weise von der erfolgten Ankunft des Verheißenen, und ihr tötetet darum sein Fleisch und besiegeltet dadurch von neuem einen treuen Bund mit der Hölle, den zuerst Kain im Kampfe mit dem frommen Abel für die blinde, dumme und arge Menschheit eröffnet hatte.

3. Aber es kann der zu blinden und zu dummen Menschheit eben nicht zu hoch angerechnet werden, so sie in ihrer Blindheit Sünden aller Art von Grausamkeit begeht, und sollst auch du wegen Zacharias nicht gerichtet werden, und darum um so weniger, weil du solchen Frevel schon oft und oft recht ernstlich bereut hast, was dir sehr zugute gezeichnet ward; aber es fragt sich nun, was du tun würdest, so du im Angesichte des schon seit dreißig Jahren in dieser Welt unter den Juden wandelnden und lehrenden Messias stündest, und was deine fünfzig Kollegen tun würden! Würdest du Ihm die gebührende Ehre geben und Ihn als das in deinem Herzen anerkennen, was Er ist?“

4. Sagt Stahar: „Du mein allmächtiger Freund, das ist schon wieder eine Frage, über deren Beantwortung man sich Hals und alle Beine zerschmettern könnte! Wer ist der sehr mystisch verheißene Messias? Wo ist Er? Was will Er, und was lehrt Er? Bevor man das nicht weiß, kann man ja um Jehovas willen keine bestimmte Antwort von sich geben!“

5. Sagt Raphael: „Er ist Das, was David von Ihm sang, da er sagte: ,Machet die Tore hoch und die Türen breit, damit der Herr aller Herrlichkeit einziehe! Wer aber ist der Herr der Herrlichkeit? Es ist Jehova Zebaoth!‘ (Psalm 24,9-10). Siehe, solch ein Zeugnis gibt er dem Messias, der nun als heilig, heilig, heilig in dieser Welt Sich befindet körperlich wie wir!

6. Wenn aber nun David solches klar von Ihm aussagt, so sind in dem deine Fragen beantwortet, und du weißt nun schon, wie du mit dem Messias daran bist; aber nun fordere ich auch eine bestimmte Antwort auf meine dir gestellte Frage!“

7. Sagt Stahar: „Wenn also, was ich in meiner subjektiven Sphäre gar nicht bezweifeln will, dann frage ich aber: Wohin tun wir hernach Moses, bei dem es doch auch ganz kategorisch klar lautet: ,Jehova kann kein Mensch schauen und danebst behalten das Leben!‘? Zugleich finden wir in Moses ein förmliches Interdikt (Verbot) von seiten Jehovas an den großen Seher, laut dem sich nie jemand Gott unter irgendeinem noch so erhabenen Bilde vorstellen soll! Du aber sprichst, daß der Messias nach dem Ausspruche Davids nun selbst als ein Mensch in corpore (körperlich), somit also sehr formell, einherwandelt!? Wie sieht es dann mit dem Verbote Gottes in Moses aus; was soll mit dem geschehen?! Einer muß da verworfen werden, entweder Moses oder dein Messias, denn beide, Moses und David, können unmöglich recht haben!“

8. Sagt Raphael: „Weder Moses noch David! Denn beide verkünden den Menschen das Rechte, Gute und Wahre! Moses sagte nicht im Geheiße Jehovas, daß Dieser dereinst nicht als ein Mensch unter den Menschen erscheinen könne; er verbot nur, sich von Gott ein geschnitztes Bild zu machen, etwa nach der Art des goldenen Kalbes. Also sagte Jehova auch zu Moses, daß Ihn als Gott oder Geist niemand sehen und leben könne; gleich darauf aber sprach Jehova dennoch zu Moses: ,Siehe nach, – du aber bleibe hinter dem Felsen!‘, und Moses sah den Rücken Jehovas.

9. Was besagt aber das? Siehe, der Rücken des Jehova, den Moses sah, bezeichnet eben das Menschlich-Körperliche Desselben, unter dem Er dereinst den Menschen als Selbst der vollkommenste Mensch sichtbar werden werde! Wenn aber also, wie soll man da Moses verwerfen, so man Davids Zeugnis annimmt?

10. Habt ihr aber doch auch schon seit dreißig Jahren die alte Lade des Bundes auf die Seite gestellt, weil von der alten die Feuersäule und Rauchwolke verschwand, und setztet eine neue, ganz materielle an die Stelle der alten! Solches aber ist auch, ohne daß ihr es verstehet, ein Zeugnis für diese Zeit und besagt, daß Jehova nun nicht mehr nur als ein alleiniger Geist über aller Materie erhaben schwebe, wie einst über den Wässern der Nacht, sondern Er Selbst verließ solche Stellung, in der Er Sich als Schöpfer und Vater nur schwer und unsicher durch den erweckten Seher den andern Kindern zu erkennen gab. Er trat darum Selbst ins Fleisch eines Menschen und lehrt nun die Menschen Selbst und bespricht Sich mit Seinen Kindern!

11. Siehst du hier nicht auch eine neue Lade des neuen Bundes, von der die tote neue im Tempel wohl ein mahnendes Symbol ist? Aber das Geistleben Jehovas, das ehedem über der alten Lade schwebte, hat Jehova Selbst schon vor dreißig Jahren in den Gottmenschen gelegt, und Dieser ist nun hier in der Welt und lehrt die Menschen Selbst Ihn erkennen!

12. Wenn die Sachen sich aber also verhalten, kannst du da noch sagen: man müsse, um das anzunehmen, Moses oder den David verwerfen?

13. Auch steht es geschrieben: ,In jener Zeit aber werden die Himmel weit geöffnet offen stehen, und die Engel werden auf- und niedersteigen zu den Menschen, die eines guten Willens sind, und werden vor ihnen zeugen von dem fleischgewordenen ewigen Worte, das Gott Selbst ist!‘ Das geschieht nun soeben vor deinen Ohren und Augen! Wie magst und kannst du da wohl noch um etwas Weiteres fragen?! Oder hältst du mich noch immer nur für einen Menschen?“

14. Sagt Stahar, nun sehr nachdenkend über des Engels Worte: „Hm, es wird mir nun ganz sonderbar zumute! Es ist also ganz richtig, und die Wahrheit leuchtet aus jedem Worte deines himmlischen Mundes. Ich bin nun bekehrt; es handelt sich aber nun um meine Kollegen, daß auch sie bekehrt werden, und dann handelt es sich darum, wo wir mit dem großen Messias zusammenkommen können, um Ihn Selbst zu hören!“

15. Sagt Raphael: „Gehe hin und sage das deinen Brüdern, daß auch sie glauben und selig werden mögen; dann kommet und erfahret, wo ihr den Heiligsten sehen und sprechen werdet!“

16. Stahar begibt sich nun sogleich zu seinen noch finsteren Kollegen.

Kapitel 154. Stahar bekehrt seine Kollegen.

1. Des Stahar Kollegen aber befanden sich zum größten Teile zerstreut am Ufer des Meeres, etliche aber gingen im Hofraume umher. Stahar aber berief sie alle ans Ufer und sagte zu ihnen, als sie alle beisammen waren: „Freunde! Habt ihr jenen Jüngling reden hören und wirken sehen?“

2. Sagen die Kollegen: „Einiges, aber nicht alles; denn es deuchte uns die Sache zu fein vom römischen Statthalter angelegt zu sein, um uns alle in sein ausgespanntes Garn zu ziehen, und wir dachten: Weit weg vom Bogen ist man sicher vor dem Pfeile! Verloren haben wir ohnehin gleich alles, was wir hatten, – wir sind am Bettelstabe! Noch brennt die Stadt! Was wollen wir tun? Die Römer wissen es, was wir dem Volke sind; ohne unsere schwer zu erringende Gunst kommt ihnen ihr Regiment in Asia hoch zu stehen! Oh, so ein Römer wie Cyrenius, dem die reichsten Mittel von all den drei Weltteilen zu Gebote stehen, vermag alles!

3. Gib mir nur sehr viel Goldes und Silbers, und ich werde auch ein Wundertäter, vielleicht nicht in der Art wie jener Zauberjunge, – aber Wunder werde ich zuwege bringen von der erstaunlichsten Art!“

4. Sagt Stahar: „Freund, du bist unsinnig, wenn du hier also redest und weißt nicht einmal einen Unterschied zwischen einem echten und einem falschen Wunder zu machen! Was sich da einwenden und mit Grund entgegenstellen läßt, das habe ich alles aufgeboten, bin aber mit allen meinen Gegensätzen dadurch auf das schmählichste durchgefallen, als jener Junge anfing, mir meine geheimsten Gedanken aufzutischen! Daraus erst erkannte ich meinen alten, großen Irrtum und komme darum nun zu euch, um euch das zu hinterbringen, was ich gesehen und was ich gehört habe!

5. Der Junge ist unfehlbar ein Engel Gottes, und er zeugte, daß der verheißene Messias bereits in der Welt ist und die Blinden sehend und die Tauben hören und verstehen macht, und daß es sogar möglich ist, daß wir Ihn hier noch zu sehen und zu sprechen bekommen werden.

6. Ich glaube nun alles, und ihr alle werdet es auch glauben! Denn ich bin sicher nicht einer, der leichten Kaufes etwas annimmt und glaubt; ich muß dazu vom Grunde aus von etwas eher haarklein überzeugt sein, bis ich's annehme; habe ich aber einmal die Überzeugung, dann steht sie fest wie ein Granitfels, und niemand kann sie mir mehr nehmen!

7. Da aber bei mir die Sache sich also verhält, so könnet ihr es mir schon auch glauben ohne alles weitere Bedenken! Denn ihr seid alle zusammen nicht imstande, noch größere Zweifel gegen die Sache vorzubringen, als ich sie vorgebracht habe; aber alle meine Gegensätze (Einwände) wurden Lügen gestraft! Und da ich am Ende die Sache des Messias so gut einzusehen begann, wie ich einsehe, daß 1 und 1 = 2 sind, so könnet ihr es mir nun schon vollauf glauben!“

8. Sagen die Kollegen: „Ist alles recht; aber es handelt sich nun nur darum, was wir dir glauben sollen!“

9. Sagt Stahar: „Seid ihr denn taub?! Sagte ich euch denn nicht, daß jener Jüngling in aller Wahrheit ein Engel Gottes ist, daß der Messias in der Welt ist, und daß wir Ihn ehestens Selbst sehen und hören werden?! Das und nichts anderes habt ihr zu glauben!“

10. Sagen die Kollegen: „Ganz gut! Wenn du es glaubst und von dieser Sache sogar mathematisch überzeugt bist, so können wir daran nicht zweifeln; aber das muß man denn bei solchen neuen, nie dagewesenen Erscheinungen auch immer berücksichtigen, daß oft die besten Schwimmer am ehesten ertrinken, die kecksten Kletterer vom Berge stürzen und die sogenannten Festgläubigen am Ende früher in allerlei Zweifel übergehen als jene, die etwas Unbegreifliches nicht gar zu schnell begriffen haben und keinen alsogleich armdicken Glauben bekundeten!

11. Du bist uns bekanntermaßen wohl nie leichten Glaubens gewesen, und auf das nehmen wir dein Wort auch als wahr an; aber etwas zurückhaltende Vorsicht schadet nie! Denn wir wissen es ja aus der Schrift, wie schon mancher wundertätige Prophet gegen sein Lebensende ein ganz einfacher, schwacher Mensch geworden ist! Die Folge erst zeigte, wessen Geistes Kind so ein Prophet war. Also ist hier auch das sehr in die Erwägung zu ziehen.“

12. Sagt Stahar: „Das alles nehme ich hier auf meine Verantwortung. Wohl weiß ich, daß wir damit dem Tempel nicht kommen dürfen; aber wir werden uns dagegen auch zu schützen verstehen! Dem Außen nach bleiben wir – aber nur etwas vernünftigerermaßen –, was wir waren, und zahlen ihm den bedungenen Tribut; aber in unserem Innern muß es nun ganz gewaltig anders werden, und mit der Zeit wollen wir auch das Volk in etwas Besseres einweihen.

13. Wenn ihr nun alle meines Sinnes und meines Glaubens seid, so begeben wir uns nun alle hin, wo der Oberstatthalter mit dem Jungen sich befindet; dort soll uns noch mehr Lichtes gegeben werden!“

14. Die Kollegen sind damit einverstanden und begeben sich zum Cyrenius, und als sie da anlangen, sagt Stahar: „Da sind wir nun und stehen nun samt und sämtlich dir zu Gebote; was du willst, das wollen wir denn auch tun und sein, und niemand wird uns je mehr wider dich stimmen! Der liebe, allmächtige Bote Gottes aber wolle auch diese meine Brüder noch mehr befestigen im Glauben an alles das, was ich selbst am Anfange schwer geglaubt habe!“

15. Sagt Cyrenius: „Sieh nun, daß wir Römer keine so harten Richter sind, als ihr es lange gemeint habt; aber strenges Recht und volle Wahrheit wollen wir! Wer uns in dem genügt, der ist unser Freund, bekommt das römische Bürgerrecht, und kein Gericht außer das Gericht Roms darf wider ihn je ein Urteil schöpfen.

16. Das erste sonach, was ich euch zur Wohltat erweise, ist, daß ich einem jeden von euch einen römischen Bürgerbrief erteile! Ihr seid eurer samt dem Obersten fünfzig an der Zahl; sogleich sollet ihr damit bedient werden! Habt ihr einmal das, so wird sich dann schon zeigen, was sich für euch noch alles wird tun lassen!“

17. Hierauf befahl Cyrenius seinen Dienern, fünfzig gute Pergamentrollen herbeizuschaffen. Die Diener gingen nach den Gepäcksäcken des Cyrenius und brachten schnell die verlangten Rollen. Als diese sich auf dem Tische befanden, fragte Stahar den Cyrenius: „Hoher Herr, da werden wir ja doch zuvor unsere Namen dir bekanntgeben müssen?“

18. Sagt Cyrenius, auf den Engel deutend: „Seht, das ist mein Schnellschreiber, der weiß aber schon lange, was er zu tun hat und kennt auch eure Namen; er wird die Briefe in eurem Angesichte ausfertigen!“ Darauf ersuchte Cyrenius den Raphael, daß er solches tun möchte.

19. Da trat Raphael schnell an den Tisch hin, auf dem die fünfzig Rollen lagen, breitete sie, so gut es ging, auf dem Tische aus, nahm dann einen Schreibstift, der mit Schwärze gefüllt war, fuhr dann mit demselben in Blitzesschnelle über sämtliche Rollen und sagte darauf zum Cyrenius: „Hier, Freund, hast du die verlangten Briefe in römischer, griechischer und jüdischer Sprache; teile sie nun an die Betreffenden aus!“

20. Als Cyrenius nun die Briefe auszuteilen begann, fing alle die fünfzig an ein Grauen zu ergreifen. Denn dies Wunder war für die fünfzig gleich doch zu groß und mächtig, und alle fingen an zitternd einzusehen, daß sie nun in der Nähe Gottes sich befinden. Sie dankten dem Cyrenius für solche Doppelgnade; aber zu reden getraute sich keiner und um irgend etwas zu fragen.

Kapitel 155. Hebrams Rede über das "Neue Licht" von Ewigkeit.

1. Dies sahen aber auch die anwesenden dreißig jungen Pharisäer unter ihrem Hebram und Risa und hatten eine große Freude, daß es dem Cyrenius gelang, auch die fünfzig Hartnäckigen für die gute Sache umzugestalten.

2. Hebram trat nun zum Obersten Stahar und sagte: „Sieh, wir sind unser dreißig hier, so wie ihr aus dem Tempel in die Länder gesandt, um Heiden für den Tempel zu werben; ein saures Geschäft! Die Heiden sind den Tempeljuden, wie sie jetzt sind, ja allenthalben in der Bildung um zweihundert Jahre vor; nun sollen wir die Sehenden blind machen und sie unter des Tempels verfluchtes Wasser stellen!? Das geht nicht, und auch anderes geht nicht! Das sagte zu uns unser verständiges Herz, und wir sind deshalb sämtlich Römer geworden, und unser Zeugnis wider den Tempel wird vielen Menschen ein großes Licht geben. Wir aber haben noch ein großes, heiliges Zeugnis hier überkommen, das ein helleres Licht gibt denn tausend Sonnen auf einmal, und das ist ein Licht von Ewigkeit, das schon vor der Erschaffung aller Welt geleuchtet hat den Engeln, die da waren lebende Flammen aus der ewigen Flamme in Gott, die da heißt Liebe.

3. Dieses Urlicht alles Lichtes, diese ewige Liebe fanden wir hier; und ihr habt sie zum großen Teile auch gefunden und werdet sie aber noch viel mehr finden.

4. Uns aber macht es nun eine übergroße Freude, daß ihr hier auch das gefunden habt, was wir gefunden haben. Freilich wohl kostete es euch eure innegehabte äußere, gute Existenz; alle eure Habe hat das Feuer verzehrt und leckt noch daran; ihr kamet samt uns auf nichts! Aber es ist schon ein und für alle Male also der Wille Gottes: Wir Menschen, wenn wir uns Gott wahrhaft nahen wollen und den ernstlichen Wunsch und Willen in unserem Herzen tragen, ganz in allem und jedem von Gott aus versorgt zu sein, so müssen wir zuvor aus großer Liebe und aus dem kräftigsten Vertrauen zu dem allmächtigen Vater aller Welt vollkommen den Rücken zuwenden und alles, was uns auf der Welt als Weltliches lieb und teuer war, bis aufs letzte Atom verlieren; dann erst ist Gott der Herr und Vater bereit, uns von der Welt Verlassene und Geächtete zu Seinen Kindern anzunehmen und vollauf für uns zu sorgen, wo wir dann erst wahrhaft für die ganze Ewigkeit versorgt sind.

5. Sind wir aber einmal von Gott aus versorgt, so sehen wir dann aber auch erst so recht ein, wie sehr schlecht wir von der Welt versorgt waren!

6. Was nützen dem Menschen alle Schätze der Erde, die er nicht mitnehmen kann, wenn er von dieser Erde für ewig scheiden muß?! Wird er sie mitnehmen können? Gottes Schätze aber, die Er geistig geschaffen hat für Seele und Geist, diese nehmen wir auch mit hinüber ins große Jenseits, und sie werden uns alles in allem sein: Speise, Trank, Wohnung und Kleid und das vollkommene ewige Leben voll Klarheit, voll Licht und voll der höchsten Wonne!

7. Es sei euch darum ja nicht leid um alles das, was ihr von gestern bis zu dieser Stunde verloren habt; denn der Herr hat für euch schon gesorgt, bevor ihr Ihn noch also erkanntet, wie jetzt. Eure Liebe zu Ihm opfere Ihm das gerne; denn Er wird es euch im Geiste ersetzen tausendfach, was ihr in der Materie verloren habt!“

8. Sagt Stahar: „Ich danke dir im Namen aller dieser meiner treuen Kollegen und Brüder für diesen gar so trefflichen Trost, und sieh dort auf dem Tische den großen und gediegenen Klumpen Silbers, den uns der Engel aus der Luft gezaubert hat! Damit wären wir ja für unseren Schaden schon einigermaßen entschädigt; aber ich und wir alle legen nun schon sehr wenig Wertes auf diese Entschädigung. Denn das, was wir waren, werden wir nimmer, da der weise Oberstatthalter mit uns allen eine ganz andere Disposition treffen wird, wie ich es so bei mir vermute. So viel wird für uns doch sicher gesorgt werden, daß wir nicht verhungern werden und den Leib zur Not bekleiden können; für alles andere geben wir nun nichts mehr! Auch diesen zweihundert Pfunde schweren Silberklumpen werden wir hier dem Wirte Markus hinterlassen, teils als schuldige Zahlung für die Speise und für den Trank, die er uns hat zukommen lassen und uns noch fürder zukommen lassen wird.

9. Nur eines möchten wir hier in die Erfahrung bringen, und dieses ist: ob sich der schon in der Welt seiende, lange verheißene Messias wohl irgend hier in der Nähe des Ortes aufhält! Diesen zu sehen und vielleicht gar von Ihm ein Wort zu vernehmen, wäre für uns nun ein Gewinn alles Gewinnes!

10. Unter uns gesagt: Wir haben eine kleine Mutmaßung auf jemand, von dem wir schon gar manches Unglaubliche vernommen haben, das uns aber nun nicht mehr unglaublich erscheint, nachdem wir des Engels Taten gesehen haben!

11. Nun, dieser Mensch, eigentlich Gott Selbst im Menschenkleide, scheint uns jener Nazaräer namens Jesus zu sein, von dem sich auf einmal so höchst wunderbare Gerüchte im Volke von Ort zu Ort verbreitet haben, daß wir darob schon lange vor dem Volke in große Verlegenheiten gerieten, wenn wir von diesem um eine Beleuchtung dessen, was es mit eigenen Augen gesehen habe und mit eigenen Ohren gehört haben wollte, angegangen worden sind.

12. Der Oberstatthalter hat mir selbst darüber eine sehr verfängliche Frage gestellt, bei deren Beantwortung es mir sehr heiß geworden ist! Und so vermute ich nun nichts anderes, als daß jener wunderbare Jesus aus Nazareth unfehlbar der von dem Engel uns nun als in der Welt seiend bestätigte Messias ist; und dieser Messias ist vielleicht gar hier einer unter den vielen Anwesenden, der Sich aber uns aus sicher höchst weisen Gründen nicht eher zu erkennen geben will, als bis wir Seiner doch einigermaßen würdiger wären, als das bis jetzt der leidige Fall war!

13. Ich bin darum der Meinung und sage es nun ganz offen vor euch allen heraus: Wenn diese Sache sich also verhält, so kehren wir dem Tempel und seinem nichtigsten Heiligtume für immer den Rücken und schließen uns an den Messias der Juden an mit jeder Fiber unseres Lebens! – Welcher Meinung seid ihr da?“

14. Sagen die andern: „Sicher, wir haben da nun nichts einzuwenden! Was du als unser Oberster tust, das tun auch wir; denn das Wesen des Tempels kennen wir und wissen, daß in seinen Mauern kein Heil mehr ruht, weil keine Wahrheit, keine Liebe und keine Treue, sondern nur Herrschsucht, Hochmut, Zorn, Rache, Lüge aller Art, Fraß und Völlerei und allerlei Unzucht und Hurerei und Ehebruch in ihm zu finden sind! Das sind nun die Elemente des Tempelwesens! Welches Heil läßt sich von solch einer Anstalt erwarten? Fluch und Verderben, ja, soviel wir dessen nur zu haben wünschen; aber vom Heile kann da ewig keine Rede mehr sein!

15. Wir haben uns diese Sache während deiner Rede nun sehr reiflich überlegt und kehren samt dir dem Tempel für ewig den Rücken, und das mit allem Fug und Recht; denn wir haben nicht leichtgläubig etwas Neues angenommen. Wir haben alles zuvor einer intensiven Prüfung unterzogen; sogar die größten Wunder konnten uns nicht wie der Wind ein Blatt in der Luft umwenden.

16. Nun wir uns aber von der vollen Wahrheit völligst überzeugt haben, so können wir auch nicht mehr umhin, die Wahrheit, die aus den Himmeln kam, als das anzusehen, was sie ist, – und das nun um so mehr, da Zeit, Umstände und die Oberherrlichkeit Roms uns dabei günstiger sind, als wir je so etwas hätten erwarten können!

17. Wir sind nun nur auf den Messias, höchst sicher aus Nazareth, im hohen Grade gespannt! Ob es nicht der ist unter der großen Gesellschaft, der einen rosenfarbenen Leibrock und über demselben einen griechischen Merinomantel von hellichtblauer Farbe trägt und wohl die schönsten Haare hat, die wir je bei einem Manne gesehen haben?!“

18. Sagt Stahar: „Ja, da könntet ihr eben nicht ganz unrecht haben; denn auf den habe ich es schon lange scharf gehabt! Auch sah ich, wie sowohl der Engel als auch der Cyrenius sich bei ihrem Reden und Handeln stets nach ihm umsahen und ihn gleichsam fragten, ob das alles wohl recht sei, was sie reden und handeln!

19. Auch alle anderen bezeigen ihm eine gewisse verborgene Hochachtung, die aber meinem Auge dennoch nicht entging! Wenn das nicht etwa so ein kaiserlicher Prinz aus Rom ist, so möchte ich wohl nun schon darauf schwören, daß dieser Mensch der Messias ist, und kein anderer!“

20. Sagen die anderen: „Ah, da schaut mit so schönen, blonden Haaren ewig kein Römer heraus! Aber was könnte uns denn geschehen, so wir zu ihm hingingen und ihn fragten um eines und anderes?!“

21. Sagt Stahar: „Wir wollen uns da doch noch eher (vorher) an den Engel wenden, oder an den Oberstatthalter; wir sind nun römische Bürger und haben ein volles Recht dazu.“

Kapitel 156. Ein Pharisäer spricht über die Verantwortlichkeit des Menschen.

1. Hierauf bewegen sich alle ganz wohlgemut zum Cyrenius hin und fragen ihn, was in der Hinsicht zu tun wäre.

2. Und Cyrenius sagt: „Es ist schicklicher, so ihr die Sache noch ein wenig abwartet, aber dafür euch im Herzen so recht innig zu Ihm nahet, so wird Er dann schon Selbst zu euch kommen und wird es euch Selbst sagen, wer Er ist, und was ihr zu tun habt! Vorderhand kann ich euch immerhin das sagen, daß ihr auf einer ganz guten Fährte seid! Denn daß der große Gottmensch Sich sicher hier aufhalten müsse, habt ihr ja schon aus unserer Gegenwart abnehmen können! Denn um etwas Geringem willen würden wir uns hier nicht schon nahe drei Tage lang aufhalten!

3. Er ist also hier, dessen könnet ihr nun vollends versichert sein; aber nahet ihr euch Ihm zuvor im Herzen, und fasset auch den ernstlichen Willen, alle eure alten Gewohnheiten und Sünden vom Grunde aus abzulegen, so wird Er bald Selbst zu euch kommen und euch die göttliche Weisung geben, was ihr zu tun haben werdet für die Zukunft!

4. Jener aber ist es schon, von dem ihr selbst meinet, daß Er es sei! Betrachtet Ihn und denket es euch: Das ist Jehova Selbst als Mensch unter den Menschen! Das ist Der, der Himmel und Erde erschaffen hat und alles, was darinnen und darauf ist!

5. Ich sage es euch: Der ist der ewige Urgrund alles Seins und alles Lebens! In der nie erforschbaren Macht Seines Willens steht die ganze Unendlichkeit; alle Macht der Engel ist nur ein leiser Hauch Seines Mundes, und alles Licht strömt aus Ihm!

6. Kurz, denket es euch, daß dies wahrhaftigst eben Derselbe ist, der Moses auf Sinai die Gesetze gab für das Volk Israel; aber dieses Volk hat Seiner vergessen und verfiel wieder in alle Laster! Und Er kam nun, um Sein Volk Selbst wieder aufzurichten und es frei zu machen von allen Übeln der Seele.

7. Er trägt darum auch einen schön rosenroten Leibrock, um zu zeigen, wie ganz Er noch immer Sein Volk liebt. Aber durch den blauen, weiten Mantel zeigt Er an, daß Er auch zu uns Heiden gekommen ist, um auch uns zu Seinen Kindern umzugestalten! Der Mantel umfaßt die ganze Welt, und dazu gehören auch alle Heiden.

8. Denket nun denn nur über alles das nach, was ich nun zu euch geredet habe, und es wird sich nur zu bald in euch zu manifestieren anfangen, daß ich euch keine Unwahrheit gesagt habe!“

9. Stahar und alle seine Kollegen bedanken sich gar sehr über solchen unerwarteten Aufschluß von seiten des Cyrenius und ziehen sich ehrerbietigst zurück.

10. Als sie so ganz gemach wieder das Ufer des Meeres erreichen, sagt Stahar zu seinen Gefährten: „Es ist doch sonderbar; mir wird es auf die nahezu offene Eröffnung des Cyrenius über den Messias ganz sonderbar unheimlich wohl zumute! Es bemächtigt sich meiner ein gewisses Gefühl von Versorgtheit, als ginge uns allen in der lieben Welt nun nicht im geringsten irgend etwas mehr ab! Zugleich aber befällt mich dennoch so eine höchst eigentümliche Scheu und Furcht vor dem Herrn der Ewigkeit; denn wir können uns nun nach dem, was wir gesehen und gehört haben, nicht mehr verhehlen, daß Er vollwahr das ist, als was Ihn uns Cyrenius bezeichnet hat! Eine Unterredung mit Ihm wird in uns nun eine ganz sonderheitliche Empfindung bewerkstelligen! Es wird uns unsere sonst sehr geläufige Zunge sicher den Dienst versagen!“

11. Sagt so ein recht Beherzter aus der Mitte der fünfzig: „Ja, ja, du hast da wohl sehr richtig und wahr gesprochen; aber dennoch denke ich da also: Wir können ja doch nicht darum, daß wir Menschen sind, weil wir uns sicher nicht selbst in die Welt gesetzt haben! Auch können wir für alle unsere Lebensumstände nicht, durch die wir das geworden sind, was wir waren; unsere Alten, unsere Erziehung und die dadurch wach gewordenen Bedürfnisse aller Art und Gattung haben uns dazu gemacht.

12. Wären wir Kinder armer Landleute, so wären wir sicher auch das, was unsere Alten waren; aber es hat Gott gefallen, uns Kinder von sehr angesehenen und reichen Alten werden zu lassen. Diese ließen uns im Tempel erziehen und uns dann völlig dem Tempel weihen. Dafür können wir doch unmöglich etwas! Daß wir das geworden sind, was wir waren, dabei hat denn doch sicher auch der Wille des Allmächtigen etwas zu tun gehabt!

13. Daß wir uns dann manches erlaubten, was nach den Gesetzen nicht ganz in der Ordnung war, das ist freilich dann unsere Sache gewesen; aber ich denke mir dabei dann doch immer und sage: So deine Alten aus dir einen Fischer erzogen hätten, der sich nur kümmerlich seinen Lebensunterhalt hätte verdienen müssen, so dürfte wohl gar manches unterblieben sein, was man sich in der Wohlversorgtheit erlaubt hat, weil einen das wohlgemästete Fleisch und Blut dazu antrieb! Also sind auch unsere Gebrechen wider das Gesetz zum Teil eine Folge von den Umständen, in die wir durch Geburt und Erziehung gesetzt worden sind.

14. Wenn nun der große Messias zu uns kommen würde, so könnte ich gewisserart ganz ohne Furcht und besondere Scheu mit Ihm reden; denn ich kann nicht weniger sein, als ich bin, und Er sicher auch nicht mehr, als Er ist von Ewigkeit zu Ewigkeit!

15. Sage mir, ganz offen gesprochen: Kann ein Baum etwas dafür, so er vom Sturme ganz gewaltig hin und her bewegt wird?! Oder kann das Meer darum, wenn mutwillige Winde seinen glatten Spiegel aufwühlen und verursachen, daß eine Woge die andere wie ein Raubtier seine Beute verschlingt?! Oder kann das schwache Schilfrohr darum, so es von den Wogen nach allen Seiten hin gebeugt wird?!

16. Wir sind keine Urkraft und hängen von allerlei geheimen auf uns einwirkenden Kräften ab. Was nützt dir der gute und ernste Wille, nie zu fallen, so eine Brücke, über die du zu gehen hast, dir unbewußt irgend morsch geworden ist und im Momente einstürzt, als du eben ganz harmlos über dieselbe wandelst?! Was ist das Leben, welche Stützen hat es wohl, auf die wir mit Sicherheit bauen könnten?! Wer kennt die Fundamente des Denkens und Wollens?! Durch den tierisch stummen, nahe oft alles ernsten Denkens baren Beischlaf wird es von Tieren und Menschen auf eine und dieselbe Art gebildet! Weder das Tier, noch der Mensch hat ein Fünklein Bewußtseins von dem, wie durch den sinnlich stummen Beischlaf ein Lebensorganismus gestaltet wird, dessen bloß materiell technischer Teil schon so höchst kunstvoll zusammengestellt ist, daß ein großer Weiser daran tausend Jahre zu studieren hätte, um alle einzelnen Bestandteile und ihre ursächlichen Konjunkturen (Verbindungen) nur höchst oberflächlich zu durchschauen und zu erkennen! Aber dann hätte er erst die Maschine vor sich; wo ist aber dann noch das Prinzip des Lebens selbst, wie wirkt es in der Maschine, und wie bedient es sich aller der zahllosen Einzelteile in derselben?!

17. Wir wissen wohl, daß wir nun sind, und daß wir leben und denken und wollen, auch werden wir der verschiedensten Regungen und Triebe in uns gewärtig; aber wie entstehen sie in uns, wer ruft sie wach, und wohin kommen sie, wenn wir sie gesättigt haben mit dem, wozu sie uns gezwungen haben?

18. Siehe, das sind gar triftige Reflexionen, durch die vor jedem Gotte wenigstens vier Fünftel unseres Daseins nach jeder reinsten Vernunft zu entschuldigen sind, und ich fürchte darum auch keinen Geist und keinen Gott! Böses habe ich nie irgend begangen, außer daß ich dann und wann geradehin als Mensch an einer üppigen Maid ein Wohlgefallen fand; und daran war doch abermals wieder meine Natur schuld! Warum mußte mir die Üppigkeit einer schönen, jungfräulichen Maid denn gar so gefallen? Habe ich selbst solche vorwaltende Begierlichkeit in mein Wesen gelegt? Ich weiß nichts darum! Wer gab mir denn das Gefühl der schwer zu befriedigenden Liebe? Wer ist der Schöpfer des Durstes und des Hungers in mir? Weshalb muß ich denn essen und weshalb trinken? Siehe, das alles bewirken höhere Kräfte in uns, denen wir kein positives Gesetz entgegenstellen können! Wir können uns wohl bis auf einen gewissen Grad hin selbst verleugnen, aber darüber hinaus um kein Haar breit mehr! Wenn aber also, welche noch reinere Vernunft und Weisheit kann da wohl imstande sein, mich meines Standes und meines Handelns wegen vor ein strenges Gericht zu ziehen? Eine menschliche, die nur mir gleich helle denkt, nicht, – um soviel weniger eine allerhöchste und hellste göttliche! Warum sollte ich dann eine höchst läppische Furcht vor einem Gott haben?“

19. Sagt Stahar: „Aber es steht doch geschrieben, daß der Mensch Gott fürchten soll, indem Gott allmächtig und der Mensch höchst ohnmächtig ist, der sich nie Gott mit seiner Macht entgegenstellen kann!“

20. Sagt der Redner: „Ganz richtig! Er soll ja Gott fürchten; das ist aber nur gesagt zum moralischen Menschen, – aber nicht zum Totalmenschen in allen seinen Lebensfunktionen! Aber selbst diese Furcht ist nur eigentlich eine Liebefurcht, die des sittlichen Menschen in einer gewissen Hinsicht freiem Willen ein ähnlicher Lebensleitfaden sein soll, wie da ist die Kindesliebefurcht zu den Alten für die Kinder. Aber laß dir von einem Gott ein Gesetz geben, das dir das Atmen verbietet oder die Verdauung oder den Pulsschlag oder das Altern, das Wachsen der Haare, der Nägel oder das Riechen und das Schmecken und das Empfinden von Lust und Schmerz! Welch nur einigermaßen weiser Gott könnte das tun?! Wo haben wir denn den Maßstab, nach dem man genau ermitteln könnte, wo der Mensch in allen Richtungen des Denkens, Wollens und Handelns in seiner moralischen Absolutheit frei von allen den notwendigen Lebensfunktionen seinen positiv bestimmten Standpunkt hat und nimmt?!

21. Wer kennt die Fäden, mit denen das Naturleben mit dem reingeistigen, an sich völlig freien zusammenhängt, und inwieweit es sich, ganz absolut (unbeschränkt) von den Fäden, als selbständig bewegen kann?! Ja, man sieht es wohl, daß ein jeder Mensch in einer gewissen Hinsicht frei ist – er kann gehen, wohin er will, er kann stehen oder sitzen, er kann mit seinen Augen nach allen Richtungen beliebig hinschauen –; aber all dem geht dennoch eine Notwendigkeit voran, die vom begrenzten Naturleben ausgeht!

22. Es fragt sich darum sehr, wo der eigentlich freie Moralstandpunkt des Menschen zwischen dem notwendigen Naturleben und dem freien geistigen Wesen im Menschen gesetzt ist! Solange der nicht klar ermittelt ist, kann weder von einer Sünde noch von irgendeiner Tugend die Rede sein!“

Kapitel 157. Floran philosophiert über Gott.

1. Sagt Stahar: „Freund, ich weiß, daß du ein großer Weltweiser bist, und daß man dir schwer etwas entgegenstellt; aber die sonderbaren Taten des Engels können dir doch unmöglich entgangen sein! Wirkte er diese für unser Naturleben oder allein nur für unsern Geist?“

2. Sagt der Redner: „Wir sahen es mit unsern Augen; sahen es die zu Jerusalem auch? Nein! Weil sie es nicht sahen mit den sinnlich lebenden Augen und also auch gar nicht glauben können, so man sie auch davon benachrichtigen würde, können wir ihnen darum als vernünftige Menschen gram werden oder sie gar zu allerlei Strafen verdammen?!

3. Uns ist erst durch unsere Sinne des Glaubens Notwendigkeit aufgebürdet worden; ohne Augen wären wir so gut verlesen als die nun zu Jerusalem. Sage mir, wo hier der eigentlich sittliche Stand seinen Anfang nimmt! Streiche die Augen und ihre notwendige Sehkraft hinweg, und bestimme mir dann den absoluten moralischen Standpunkt!“

4. Sagt Stahar: „Freund, ich sehe es schon, daß wir nicht leichtlich je gleich werden! Solches muß uns ein höherer Geist völlig klarmachen! Ich sehe nun den Engel auf uns zukommen; mit dem mußt du reden, und ich wäre nun sehr begierig zu erfahren, wie ihr diese Sache miteinander abmachen werdet!“

5. Sagt der stets gleich nüchterne Redner: „Lieber Freund! Der Engel kümmert mich nicht um ein Haar mehr als du, und ich werde mit ihm reden wie mit dir, und werde ihm um so weniger etwas schenken als dir, indem er ein seligster Geist ist und sich jeglicher Vollendung erfreut, während wir noch als Würmer im Staube der Nichtigkeit den harten und schmutzigen Boden dieser Erde bekriechen müssen! Wahrheit gibt es nur eine, und die trifft einen Engel so gut wie den schmutzigsten Lumpen der Welt!“

6. Mit diesen Worten war der Engel auch schon bei der Hand und sagte: „Floran, du fürchtest mich alsonach gar nicht?“

7. Sagt der Redner: „Kennst du meinen Namen, so wirst du auch die Gründe in mir kennen, aus denen ich keine Furcht vor Gott haben kann, sowie auch vor dir nicht, und wenn du noch tausend der größten Wunder leisten würdest! Ich kann mir auch tausend Wunder denken, aber nicht effektuieren; was liegt denn da daran?! Könnte ich sie auch ausführen, so kämen mir dann die deinen sicher nimmer wunderbar vor! Ich bin schon mit dem Zuschauen zufrieden, – das Effektuieren geht mich nichts an! Oder sollte ich darum trauern, wenn ich nicht so glänze wie die Mittagssonne, oder daß ich nicht gleich einem Vogel in der Luft umherfliegen kann?! Ich bin mit dem zufrieden, was ich weiß, was ich bin, und was ich kann, und mehr brauche ich wenigstens für diese Welt nicht!

8. Was ich aber weiß, bin und kann, ist eine Gabe Gottes für mein Individuum, für die ich dem Schöpfer dankbar bin; mehr aber brauche ich nicht und beneide auch niemand, der mehr hat!

9. Sollte ich etwa darum eine Furcht vor dir haben, weil du endlos mächtiger bist als ich? Oh, mitnichten! Wärest du dümmer als ich, so hättest du entweder keine Macht oder sie wäre roh, der ich dann mit meiner reinen Vernunft so gut wie der Kraft des Sturmes begegnen könnte; du bist aber auch um ebensoviel weiser als mächtiger denn ich, und das gibt mir die Zuversicht, daß du mit mir keinen Mutwillen treiben wirst, zumal ich dir nirgends einen Schaden habe zufügen können und noch weniger wollen. Und wolltest du dir mit mir auch einen Scherz erlauben, so würde ich dir darum gerade nicht gram werden, aber dich auch nicht als einen Löwen in der Weisheit preisen, von dessen Ernst man sagt, daß er kein Mückenfänger ist. Gott ist aber noch endlos weiser und mächtiger denn du, darum fürchte ich Ihn noch weniger als dich.“

10. Sagt der Engel: „Weißt du aber nicht, daß Gott dich vernichten kann für ewig, oder daß Er über dich eine ewige, höchste Plage verhängen kann, so du Sein Gesetz nicht achtest?! Und in dieser Hinsicht sollte denn Gott auch nicht zu fürchten sein?!“

11. Sagt Floran: „Ohne deiner Weisheit nur im geringsten zu nahe zu treten, muß ich dir offenherzig bekennen, daß diese deine Frage an mich deiner Weisheit – geradeheraus geredet – keine besonders himmlische Ehre gemacht hat! Daß mich Gott als das grundallmächtigste Wesen vernichten kann, daran zu zweifeln wäre eine noch größere Torheit als deine stark ans Läppische streifende Erinnerung an meine sub- und objektive Nullität. Was wird's denn sein, wenn ich zu abermaligem Nichts würde, wie ich auch vor diesem Sein ein ewiges Nichts war?! Das Nichts ist nichts, braucht nichts und hat ewig für nichts zu sorgen! Also nur her mit der ewigen Vernichtung meines ohnehinigen Nichts, und ich gebe dir nun schon zum voraus die Versicherung, daß ich als ein reines Nichts dich darum nie vor ein Gericht fordern werde! Sollte es aber Gott, dem sicher allerweisesten Wesen, ein Vergnügen machen, mich ewig zu peinigen und zu martern, da ist Seine Weisheit auch gar nicht weit her; denn eine solche Sehnsucht würde man kaum bei einem Tiger von einem Tyrannen antreffen.

12. Die Geschichte weist uns aber kein Beispiel auf, daß je irgendein Tyrann ein Weiser gewesen sei; und was könntest du und dein Gott mir erwidern, so ich euch bewiese, daß ihr höchst unweise statt höchst weise wäret?! Das aber kann niemand von Gott behaupten, der nur je einen Blick in die höchst weise Einrichtung eines jeglichen Geschöpfes getan hat! Gott ist demnach höchst weise und darum sicher auch höchst gut.

13. Mit solchen allervollkommensten Eigenschaften ausgerüstet, kann Er aber auch unmöglich je irgend in der ganzen Unendlichkeit ein Geschöpf für eine ewige Qual geschaffen haben! Ah, durch allerlei bittere und schmerzhafte Erfahrungen ein Wesen reinigen, hier oder jenseits, das ist ganz etwas anderes; denn der Mensch ist ein Gotteswerk, das sich nach der weisesten Ordnung Gottes selbst in der sittlichen Sphäre zu vollenden hat, um das zu werden, wozu es vom Schöpfer bestimmt ist!

14. Aber solche nur kurz dauernden schmerzlichen Besserungsmomente läßt der Schöpfer nur zu und erschafft sie nicht eigens, um zu Seinem Vergnügen einen Menschen für einen Fehltritt dann eine Zeitlang zu plagen, sondern um ihn nur zur nüchternen Erkenntnis der Ordnung zurückzuführen und ihm dadurch die Selbstausbildung zu erleichtern. Aber als eine diktatorische Strafe kann ich solch eine rein göttliche Vorsichtsmaßregel, aus der nur Liebe und ein höchstes Wohlwollen strahlen, ewig nie ansehen!

15. Du kannst daher Gott nicht ärger beschimpfen, als so du Ihn als einen ewigen Tyrannen mir vorstellst! – Ich meine, daß du mich wirst verstanden haben!

16. Ich kann Gott nur über alles lieben und Ihn als das heiligst beste und weiseste Wesen anbeten; aber fürchten ewig nimmer!“

17. Hier klopfte der Engel dem Floran auf die Schultern und sagte lächelnd: „Gut hast du es gemacht, und glaube es ja nicht, als wollte ich mich mit dir in irgendeinen Wortkampf einlassen; denn du hast recht, wie auch ich recht habe! Ich wollte durch meine etwas seichten Fragen dir nur Gelegenheit bieten, deine Ansichten auch vor deinen Brüdern etwas offener auszusprechen, als so etwas bei dir ehedem der Fall war, und sage dir, daß du nun schon reif bist, dem Herrn zu begegnen! Folge mir darum, – ich selbst werde dich Ihm vorführen!“

18. Sagt Floran: „Es ist sonach vollster Ernst, daß hier die alte Weissagung erfüllt ist?“

19. Sagt der Engel: „Ja! Die vollste Wahrheit, wovon ich doch sicher ein sprechendster Zeuge aus den Himmeln bin; darum folge du nun noch allein mir!“

Kapitel 158. Über Demut und Hochmut.

1. Sagt Floran: „Warum denn Stahar, unser Oberster, und meine andern Brüder nicht? Sind sie denn irgend weniger Menschen denn ich? Ziehe hin allein! Sind meine Brüder nicht wert, dem Herrn der Ewigkeiten vorgestellt zu werden, so bin ich's um so weniger, weil sie meines guten Wissens besser sind denn ich!

2. Merke es dir, du Engel – so du dir auch etwas merken kannst –, daß ich ein Feind jeder Bevorzugung an meiner Person bin! Ja, ich will mich freuen an den Vorzügen meiner Brüder; aber ich will stets nur der Geringste unter ihnen sein! Ich liebe die Menschen wahrhaft; das man aber wahrhaft liebt, dem räumt man gerne jeden Vorzug und Vorteil ein und ist dennoch ganz selig dabei! Frage alle meine Brüder, ob ich je anders gedacht und gehandelt habe! Und ich sollte mich nun im Angesichte meiner Brüder das erste Mal in meinem Leben bevorzugen lassen?! Nein und ewig nein! Tausend Legionen solcher Machtgeister, wie du einer bist, und zehn allmächtigste Jehovas werden, solange mir der Gedanke und der Wille freigelassen wird, meinen Sinn ewig nicht umgestalten!

3. Siehe, du mein allmächtiger Freund, das ist auch eine Ordnung, aus der mich keine Verlockung, selbst von tausend offenen Himmeln, und keine Furcht vor ebenso vielen offenen Höllen heben wird!

4. Gehe nur allein hin zum Herrn! Ich folge dir mit freiem Willen nimmer! Und es nimmt mich überhaupt wunder, daß du als ein allwissender Geist solche meine diamantfeste Gesinnung nicht zuvor erspäht hast, als du mir den Vorzug gabst! Ich halte da fest an meinem Ausspruche! Du kannst zwar meinen Leib hintragen, wozu du Macht und Stärke in Überfülle besitzest; aber meines Herzens Sinn wirst du ewig nimmer überheben, außer – dir ist es möglich, mir solchen Sinn zu nehmen und einen andern hineinzulegen! Aber dann hast du mein gegenwärtiges Ich erst nicht im geringsten umgewandelt, sondern es nur vernichtet und dafür ein anderes in diese morsche Maschine gesteckt!“

5. Sagt der Engel gar freundlichen Angesichtes: „Aber lieber Freund und Bruder, wer sagt dir denn, daß ich dich dadurch irgend bevorzuge, daß ich dich nach dem Willen des Herrn als den schon am meisten Reifen vorerst zu Ihm bringen soll? Hast du denn schon je gesehen, daß auf einem noch so edeln Baume alle Früchte zu gleicher Zeit reif werden, und wem würde es vernünftigerweise je einfallen, einer zuerst reif gewordenen Birne darum einen Vorzug einzuräumen, weil sie zuerst reif geworden ist?! Man genießt sie wohl früher als die erst etwas später reif werdenden, – aber daß man sie darum für vorzüglicher hielte denn die später reif werdenden, von dem ist ja ewig keine Rede bei uns in den Himmeln! Da müßte Moses auch vorzüglicher sein als nun der Herr Selbst, weil er nahe über tausend Jahre vor Ihm berufen ward! Oh, das gibt dir keinen Vorzug, – im Gegenteil! Wer ist am Wege der Vorzüglichere: der, der den Weg angelegt hat, oder jener Heerführer und sein Gefolge, der den Weg darauf betrat und sein Heer weiterführte?

6. Siehe, Freund, das hast du mit deiner reinen Vernunft nicht gar zu gut herausgetipfelt! Ich kenne den ziemlich starren Sinn deines Herzens wohl, stellte es darum auf eine äußere Probe nur und fand aber im Hintergrund deines sonst bestsinnigen Herzens auch so ein verkapptes Hochmütlein, das die rechte Demut in sich selbst zu einer Vorzüglichkeit seines Ichs vor dem Ich der andern gestellt hatte, um dennoch in einer gewissen Hinsicht als Einziger und Unübertrefflicher dazustehen, dem in dieser Sphäre niemand gleicht! Und es ist am Ende eine gewisse Sache, wer unter den zweien der Hochmütigere ist: der, welcher unter allen Menschen der Letzte und Niedrigste oder der Erste und Höchste sein will!

7. Kennst du nicht die griechische Geschichte vom König Alexander aus Mazedonien und dem gewissen allerunansehnlichsten Menschen Diogenes? Sieh, dieser lebte jahrelang in einem Fasse, das er am Sandufer zu einem Wohnhaus aufgestellt hatte!

8. Eines Tages besuchte der große Held und König diesen Sonderling, der sicher einzig und allein in seiner Art dastand. Alexander stellte sich vors Faß hin; dieser Stoiker gefiel ihm, und er fragte ihn: ,Was willst du, daß ich dir tue?‘ Und Diogenes erwiderte flehentlich: ,Daß du mir von der Seite dich entfernest, von welcher die Strahlen der wohltätigen Sonne mich erwärmen!‘

9. Dieser stoische Gleichmut gefiel zwar dem großen Helden; aber dennoch sagte er: ,So ich nicht schon Alexander wäre, zöge ich es vor, ein Diogenes zu sein!‘

10. Was sagte Alexander aber hiermit? Siehe, das ist der Sinn: ,Die ganze Welt huldigt mir; aber welche Kämpfe hat es mich gekostet! Der genießt ein mich nahe überbietendes Weltansehen und macht sich auch unsterblich, – und es kostete ihn aller dieser unsterbliche Ruhm nur ein altes Faß!‘

11. Findest du hier nicht, daß zwischen dem Hochmut Alexanders und Diogenes' kein sonderlicher Unterschied war?! Im Gegenteil war Diogenes in seiner Art hochmütiger als Alexander!

12. Es ist ganz recht, der letzte sein wollen aus wahrer Liebe und Demut; aber die rechte Liebe und Demut schließt den Gehorsam besonders gegen den allerhöchsten Herrn Himmels und der Erde nicht aus. Daher, so du eines rechten Sinnes bist, da tue du nun das, was der Herr will, und es wird dann alles recht sein; denn der Herr weiß es am besten, warum Er etwas will!“

13. Sagt endlich Floran: „Ja, nun folge ich dir, weil du mich freundlichst überzeugt hast, daß ich im offenen Unrechte mit meinem Sinne war.“ – Und Floran folgte allein dem Engel, der ihn zu Mir hinbrachte.

Kapitel 159. Floran bei Jesus.

1. Als beide bei Mir anlangten, sagte der Engel, sich vor Mir bis zur Erde verneigend: „Herr, hier ist ein reifer Apfel! Sein Fleisch ist wie das aller Menschen; aber er als Geist ist stark und voll unverdorbener Kraft. Dir allein alles Lob und alle Ehre darum von Ewigkeit zu Ewigkeit!“

2. Sage Ich: „Gut, Mein Raphael, derlei Früchte sind Mir angenehm und sehr wert! Er ist zwar einer vom Stuhle Mosis und Aarons; aber er hat sich auch die Schule eines Plato, Sokrates, Pythagoras und Aristoteles zu eigen gemacht und ist darum kein Rohr, das vom Winde hin und her geweht wird, sondern eine feste Zeder auf Libanon, die den Stürmen zu trotzen versteht! Sie steht ruhig und still; aber wenn Stürme an sie stoßen, so beugt sie sich nicht! Diesen Baum aber werde Ich lassen bis zum Aufbaue des neuen Jerusalem; er soll da geben Dach und Giebel in Meinem Hause! –

3. Sage Mir nun du, Floran: Hast du eine Freude an Mir?“

4. Sagt Floran: „Herr alles Lebens! Wer sollte auch keine Freude an Dir haben?! Aber ich bin ein sündiger Mensch, und Deine Heiligkeit sagt mir: Weiche von Mir! Und siehe, das ist es, das mir keine Freude macht! Ich möchte nun Deiner würdig ohne Sünde vor Dir stehen; aber es ist das unmöglich, denn ich habe gesündigt, bin darum ein Sünder und schäme mich nun sehr vor Deiner Heiligkeit. Das aber zeiht in mir kein fröhliches Herz, sondern eine bittere Reue; diese aber ist nicht geeignet, ein Herz heiter zu machen. Und doch bin ich wieder Mann genug und habe Verstand, der mir eine Entschuldigung meiner Sünden vor Dir zeigt und auch zeigt, daß ich ein Mensch bin, aus sehr vielen Elementen bestehend, der seine Vollendung erst dann erreicht, wenn die vielen Elemente durch die sündige Gärung, wie die eines jungen Weines im Schlauche, sich geläutert haben und zu einem reinen, köstlichen Weine für jedermann geworden sind.

5. Du bist der Herr, und der Mensch ist die Frucht Deines ewigen Kampfes für ewig, also selbst nichts als Kampf mit Sieg und Niederlage, um einst aus beiden, gleich einem Phönix aus der Asche seines ihn vernichtenden Feuers, zu einem neuen Leben zu erstehen, das in sich wohl eins wird, aber nach außen hin dennoch ein ewiger Kampf bleiben wird und muß!

6. Vergib, Herr, mir darum nicht meine Sünde, denn sie war notwendig, um in mir den Kampf zur neuen Menschwerdung hervorzurufen; aber vergib mir die Schande meiner oftmaligen Niederlage, und ich will mich Deiner freuen, o Herr!“

7. Sage Ich zu den Jüngern: „Sehet hier einen Menschen, in dessen Seele auch kein Falsch wohnt! Diesen Menschen liebte Ich schon lange!“

8. Sagt Simon Juda: „Herr, das scheint ein zweiter Mathael zu sein!“

9. Sage Ich: „Meinst du, daß man nur in der Art Mathaels ein Weiser sein kann? Sieh, dieser Floran ist gerade das Gegenteil von Mathael, und dennoch ist er ebenso ein Weiser wie Mathael! Mathael ist ein Kundiger in den Dingen der Natur und in den Zungen der Alten; Floran aber ist ein Kundiger in aller Religion und in aller Weltweisheit und Klugheit der Alten. Und es ist darum schwerer mit ihm denn mit Mathael zu reden; aber da er nun einmal für uns gewonnen ist, so wird er ehest als ein rüstiges Werkzeug gegen allen Irrglauben, der unter den Menschen auf der Erde ist, dastehen und ihn bekämpfen mit viel Geschick und gutem Erfolge ohne Zutat von Wunderwerken. Und das ist besser bei den Kindern der Welt, auf daß sie das sie gefangenhaltende Gericht nicht noch ärger festnähme in der Seele! Für Kinder von oben sind die wunderbaren Werke wohl eine Gnade – aber nicht also für die Kinder der Welt.

10. Da ihr wisset in euren Herzen, wer Ich bin, so könnet ihr in eurer Seele wohl frei bleiben, so ihr Mich sehet Gottes Werke auf dieser Erde verrichten; aber nicht also die Kinder der Welt; denn diese werden dadurch genötigt und gefesselt und haben keinen freien Gedanken mehr und noch weniger irgendeinen freien Sinn.

11. Wenn aber Floran mit seiner Weltklugheit sie bearbeitet, so werden sie dadurch in ein gewisses Wortlicht versetzt, das ihnen zur Genüge die Stufen in den Tempel des Herzens erhellen wird; sind sie aber einmal darinnen, so sind sie dann schon auch völlig gewonnen für die ganze Ewigkeit! Aber ihr alle zusammen seid noch lange nicht so klug, als nun Floran allein es ist!“

12. Solches aber vernahm Floran nicht, da Ich davon nur im Herzen zu den Jüngern geredet hatte; er fragte Mich darum, was er tun solle.

13. Und Ich sagte: „Gehe nur hin zu deinen Brüdern, und sage es ihnen, daß Ich alsbald auch zu ihnen kommen werde!“

14. Floran sagt darauf kein Wort, sondern macht bloß eine Verbeugung und eilt zu seinen Brüdern.

Kapitel 160. Floran spricht mit Stahar und den Seinen über Jesus.

1. Als er nach wenig Schritten wieder bei den Seinen sich befindet, fragt ihn alsbald Stahar, sagend: „Nun, wie ist es? Sind wir auf dem rechten Wege?“

2. Sagt Floran: „Vollkommen! Das unterliegt keinem Zweifel mehr! Er ist zwar ein Mensch wie wir; aber es ist in Seinem Wesen ein Etwas, das sich nur fühlen, nie aber mit Worten beschreiben läßt. So Er spricht, da klingt es, als gelte gleich jegliches Wort für die ganze Ewigkeit! Man merkt es Seinem Worte ganz klar an, daß es mit noch einem ,Werde!‘ eine Welt voll Wunder aus sich oder auch aus nichts augenblicklich hervorrufen könnte!

3. Der kann Seine Vollgöttlichkeit nicht verbergen, und wäre ich statt allen früheren Vorbereitungen zu Ihm gekommen, so hätte ich Ihm auf der Stelle gesagt: ,Du bist kein gewöhnlicher Mensch, in Deiner Brust muß eine Fülle des göttlichen Urgeistes wohnen!‘

4. Aber es war denn doch auch die weisest gehaltene Vorbereitung gut dazu, daß wir nun ganz leicht und klar einsehen können, mit wem wir zu tun haben. Er werde bald nachkommen, so versprach Er es mir. Wenn Er aber dasein wird, werdet ihr euch selbst überzeugen, daß ich recht habe!

5. Aber nun wird es mir auch begreiflich, wer zuerst unser Benehmen in der Stadt dem Cyrenius verraten hat, das freilich wohl nicht sehr löblich war, – das heißt: unser Benehmen; nun aber ist alles ganz anders geworden! Der Zufall, von dem unser Messias-Jehova sicher eine bedeutende vorsichtliche Kenntnis wird gehabt haben – wenn die gestrige Nachsonne etwa nicht ganz Sein Werk war –, hat uns vom alten Joche der Dummheit mit einem Schlage frei gemacht, dessen wir nun wohl über alle Maßen froh sein können; denn was wird der leere Tempel in der Folge noch alles für die Menschheit belästigende und beleidigende Torheiten aushecken, für deren schnöde Effektuierung wieder wir im Vollmaße unsere Hände leihen müßten! Nun aber sollen sie uns nur kommen! Wir werden ihnen unser römisches Bürgerrecht sicher auf eine Art vor ihr Gesicht halten, daß ihnen darob das Hören und Sehen vergehen soll in der besten Gestalt!

6. Wir haben nun auf unserer Seite, mit ungeheuer groß Nummer eins, den Messias und einen Engel aus den Himmeln, der um vieles mächtiger zu sein scheint als jener, der einst den jungen Tobias geführt hat; und weltlich haben wir für uns, als eben von großer Bedeutung Nummer zwei, den Oberstatthalter von ganz Asien und einem Teile Afrikas, der ein leiblicher Oheim des gegenwärtig regierenden Kaisers in Rom ist. Es sollte da schon mit der ganzen Hölle von Jerusalem hergehen, und wir müßten ihrer dennoch auf die gleiche Weise Herr werden, wie der gereizte Löwe Herr jedes noch so schlauen Fuchses werden kann! – Was sagt ihr nun zu all dem?“

7. Sagt Stahar: „Nichts als das, daß es uns nun schon für die ganze Ewigkeit gut geht! Nun fürchte ich auch niemand mehr! Für Gott kämpfen ist gut und leicht; denn Gottes Kraft ist eine Schutzmauer, die kein Feind zerstören kann in Ewigkeit! Aber nur möchte ich nun noch von irgendwem aus euch in die Erfahrung bringen – wenn auch nur so annähernd hin –, was wir für die Zukunft für eine sicher neue Bestimmung antreten werden! Hat da aus euch niemand einen treffenden Gedanken? – Was meinst du, Floran?“

8. Sagt Floran: „Daran denke ich nicht und halte es unter den hier gefundenen Umständen wohl nicht der Mühe wert, nur mit einem flüchtigsten Gedanken mich dahin zu kehren! Wir sind nun bei Gott, und da sind wir versorgt nicht nur für diese Zeit, sondern für die ganze Ewigkeit! Also, diese Frage hättest du, Bruder, dir wohl ersparen können!

9. Mich kümmert nun nichts mehr in dieser Welt; denn Der, den wir hier fanden, ist mir alles über alles! Was Sein Wille sein wird, das wird meine Zukunft sein für alle Zeiten der Zeiten! Denn nur Er allein weiß es ganz, was wir sind, was wir werden sollen, und was wir zu tun haben für die Folge, um das zu werden, was Er aus uns haben will. Es ist darum nun jede eitle Vorsorge von unserer Seite eine Torheit; erst wenn Er zu uns sagen wird: ,Tut dies oder jenes!‘, dann erst kommt für uns die Zeit, zu sorgen, ob wir das wohl stets genaust nach Seinem Willen werden vollbringen können, was zu tun uns Sein heiliger Wille zur Pflicht machen wird. – Siehe, Bruder Stahar, das ist so meine Kernansicht!

10. Aber seien wir nun ruhig; denn ich bemerke, daß der Herr mit dem Cyrenius sich anschickt, zu uns herüberzukommen! Da heißt es fest beisammensein im Herzen, sonst ertraget ihr Seine Nähe nicht! Richtig, sie kommen! Auch der Engel und ein Mädchen gehen mit; das Mädchen wird auch ein Engel sein!“

11. Sagt Stahar: „Ah, das Mädchen kann kein Engel sein; denn weibliche Engel hat es nie gegeben, wird es nie geben und kann es auch nicht geben! Denn da müßte ja doch in irgendeiner Schrift etwas davon stehen! Also kann dies Mägdlein nur irgendeines reichen Juden Tochter sein. Eine Römerin ist sie nicht, was man aus ihrem Anzuge sehen kann; der Knabe wohl, den Cyrenius an der Hand führt, ist sicher ein Römer oder gar ein jüngster Sohn des alten Herrn. Aber das Mägdlein, so recht fest betrachtet, muß auch schon ganz entsetzlich weise sein; denn ihr fester und sprechend sanfter Blick ist dafür ein untrüglicher Beweis.“

12. Sagt Floran: „Ja, ja, du sollst recht haben; aber mit deiner Behauptung, daß es keine weiblichen Engel gebe, bin ich nicht völlig einverstanden! Es werden unter ihnen wohl keine geschlechtlichen Unterschiede vorkommen; aber Gemütsunterschiede wird es sicher in einer solchen Art und Weise geben, die sich zueinander also verhalten werden, wie auf dieser Erde ein lieber Mann zu seinem allerliebsten Weibe. Und siehe du den Engel an, und sage es dir selbst, ob er nicht viel eher einem allerzartesten Mädchen denn irgendeinem Jünglinge gleichsieht! Lege ihm weibliche Kleidung an, und du hast ein Mädchen NON PLUS ULTRA, wie die Römer sagen, vor dir! – Aber nun genug des Geredes für nichts und nichts! Sie werden gleich dasein!“

Kapitel 161. Florans Bekenntnis vor Jesus und Zeugnis über den Tempel.

1. Wir kommen langsamen Schrittes nun bei den fünfzig an, die sich sogleich allertiefst vor uns verbeugen. Ich heiße sie als Männer aufrecht stehen, und sie richten sich alsogleich vollends aufrecht.

2. Und Ich frage sie, sagend: „Glaubet ihr, daß Ich Der sei, von dem die Propheten alle geweissagt haben?“

3. Sagen alle: „Herr, keiner aus uns zweifelt; aber da Du Der bist, wie magst Du uns fragen darum, der Du doch unsere geheimsten Gedanken kennst, ehe wir sie noch zu denken angefangen haben?“

4. Sage Ich: Darob ärgere sich ja keiner aus euch an Mir; denn es handelt sich hier nicht um das, was Mir freilich wohl schon von Ewigkeit her bekannt ist, sondern um eure Entäußerung! Ihr könnet Mich nicht eher fassen, als bis euer Innerstes auch zu eurem Äußersten wird!

5. Ihr könnet Mich wohl mit euren Augen sehen und Meine Stimme hören mit euren Ohren; aber euer Herz kann Mich im Geiste und in aller Wahrheit dennoch nicht vernehmen und verstehen! Und darum gebe Ich euch Fragen; und eine Antwort, die ihr Mir gebet, hat eine ganz andere Wirkung für euer ganzes Leben als eine, die ihr einem Menschen eures Schlages gebet.

6. Daher frage Ich euch nun noch einmal, ob ihr wohl ganz ungezweifelt glaubet, daß Ich Der sei, von dem Moses und alle andern Propheten geweissagt haben! Saget es nun ohne Scheu heraus, wie ihr es euch denket in eurem Herzen!“

7. Sagt Floran: „Herr, Du verstehst besser denn wir unsere Naturen! Es ist dies alles so plötzlich vor sich gegangen: gestern die Nachsonne und ihr plötzliches Verschwinden; die Folgen dampfen noch und hüllen die ganze Gegend in Rauch ein; unser Verlust, – noch wissen wir von unsern Weibern und Kindern keine Silbe! Wir flüchten uns hierher, werden aufgegriffen und vors Gericht gestellt; darauf die Wundertaten des Engels, und nun Du Selbst, – und das alles in achtzehn Stunden! Es ist wahrlich kein Scherz, und man kann sich dabei doch nicht mit einem Wurfe jedes Bedünkens entheben!

8. Mir selbst und auch sicher allen meinen Gefährten kommt die Sache wie ein Traum vor! Es ist alles wahr und richtig, und niemals kann alles das, was hier geschah, in irgendeine Abrede gestellt werden; aber in der kurzen Zeit geschah hier so viel des Außerordentlichsten, daß man es nicht auf einmal auffassen kann. Wir glauben fest alles, was hier ist und geschieht; und daß Du offenbar der Messias bist, von dem alle Propheten geweissagt haben, ist so sicher und gewiß, als der alte Römer ganz gewiß und sicher der Oberstatthalter über ganz Asien ist, das heißt, soweit es von den Römern erobert ist. Aber bis wir alles das so in unser Leben werden aufgenommen haben, das wird wohl einer längeren Zeitdauer benötigen!

9. Auf einen Hieb bringt man keinen Baum zum Fallen, und wir können so etwas auch nicht auf einen Wurf ganz vollkommen begreifen; aber wir werden uns sicher alle Mühe geben und alles das, was hier namentlich unsertwegen geschehen ist, und was wir hier erlebten, gewiß in aller Tiefe der rechten Erkenntnis zu würdigen über alles bestrebt sein! Tieferes und Höheres kann ja doch wohl kein Mensch irgendwo auf dieser Erde erleben!

10. Also, wir glauben alle fest und ungezweifelt, daß Du der verheißene Messias bist, trotz Deiner uns mehr oder weniger bekannten höchst unansehnlichen Abstammung bezüglich der irdisch-besitzlichen Verhältnisse. Deine irdischen Eltern sind arm, und Dein Vater war unseres Wissens ein Zimmermann in Nazareth. Die Abkunft Deiner Mutter ist uns nicht bekannt, und es ist darum um so außerordentlicher, daß ein schon dem ersten Menschen dieser Erde verkündeter Retter aller Menschen in einer so außerordentlichsten Geringheit und Armut in diese Welt hat kommen mögen, da Ihm im Geiste doch schon von Ewigkeit alle Vorteile irgendeiner Hochgeburt zu Gebote haben stehen müssen.

11. Wärest Du aus dem Schoße einer Kaiserin in die Welt gekommen und tätest solche Zeichen, wo gäbe es ein Volk auf dieser Erde, das sich Dir nicht unterwürfe in allem!? Aber als ein allererster und größter Mensch, ja als der einige Gott Selbst in Menschengestalt in solch einer Geburtsniedrigkeit in diese Welt zu treten, ist etwas, das viele auch etwas stark ärgerlich berühren wird! Uns macht das freilich wohl nichts mehr, und wir sind also zufriedener; aber alle Menschen werden nicht also denken wie wir nun, – die stolzen Jerusalemer schon gar nicht, und am wenigsten die Templer! Denn diese kennen wir; diese kennen in der Welt nur einen Menschen, den sie lieben und achten – alles andere ist Mist –, und dieser Mensch ist für jeden Templer ohne die geringste Ausnahme – er sich selbst! Der allein wird von jedem über alles geliebt und geachtet, jeder andere, und wäre er ein Gott, aufs äußerste verachtet; nur ein außerordentlicher äußerer Glanz kann ihnen noch zuweilen ein wenig imponieren.

12. Kommst Du, o Herr, heute nach Jerusalem, und Du läßt es zu, so töten sie Dein Fleisch in den ersten drei Tagen; denn die Templer kennen niemand – als nur ein jeder aus ihnen sich selbst. Es möchte zwar ein jeder den andern töten; da aber ein jeder dem andern dienlich ist zur Erreichung seiner höchst selbstsüchtigen Zwecke, so duldet man sich gegenseitig unter der Larve der allererheucheltsten Freundschaft.

13. Keiner traut dem andern auch nur um eine Spanne weiter, als er ihn so fein als möglich durchschauen kann; aber dennoch heuchelt ein jeder dem andern ein unbedingtes Vertrauen vor. Braucht er ihn aber bei irgendeinem Geschäfte, so kann ihm sein Nachbar nicht Kautionen zur Genüge hinterlegen, auf daß er genötigt sei, ehrlich zu handeln. Aber selbst die Kautionen nützen nichts! Sieht sich der mit einer Geschäftsmission Betraute bei abgemachtem Geschäfte so hübsch über die geleistete Kaution im Vorteile, so läßt er die Kaution fahren und steckt dafür den noch viel größeren Vorteil ganz gemütlich ein.

14. Es wäre da viel zu reden vor Menschen; aber da Dir, o Herr, ohnehin alles gar wohlbekannt sein wird, so wäre jedes weitere Wort aus meinem Munde eine eitle Torheit, und ich sage es Dir, daß wir auch darum fest glauben an Dich; denn Du mußtest kommen, um allen solchen Greueln ein Ende zu machen für alle Zeiten.“

Kapitel 162. Die Wege der göttlichen Führungen.

1. Sage Ich: „Höre, du Mein lieber Floran, da hast du dich noch viel tiefer ausgebeutet vor Mir, als Ich es von dir verlangt habe; aber es macht das nichts, und es war schon recht also!

2. Ja, Ich werde den Greueln zu Jerusalem und anderorts ein Ende machen, aber es müssen viele deiner Überzeugung sein! Noch gibt es viele, die in ihrer großen Blindheit noch gar mächtig hängen am Tempel und erwarten alles Heil und jegliche Hilfe aus seinen Hallen; nähme man diesen Blinden nun von heute auf morgen den Tempel weg, so würden diese das ja nicht etwa für einen großen Segen von oben, sondern für ein schrecklichstes Gericht halten und in die fürchterlichste und tobendste Verzweiflung geraten, die dann eine viel ärgere Nachfolge hätte denn die gegenwärtige noch so dicke Blindheit. Nun aber geltet ihr beim Volke als die Vertreter des Tempels, und es hält euch für die Ausspender des Heiles, von dem der Tempel erfüllt sei.

3. Was will Ich euch aber damit sagen? Nichts anderes als: Ihr sollet dem Volke so nach und nach und, wo sich guter Anklang zeigt, auch plötzlich zeigen, was der Tempel nun ist, was seine Diener machen, und wie sie unter sich beschaffen sind!

4. Zugleich aber sollet ihr das Volk auf das sehr aufmerksam machen, was ihr hier gesehen und gehört habt, so wird dadurch die arge Wirtschaft des Tempels und der Tempel selbst ganz in der besten und wirksamsten Ordnung untergraben, und wird am Ende von selbst in die vollste Nichtigkeit versinken und somit aufhören das zu sein, was er ist; und an seine Stelle werden treten die neuen Tempel des Geistes Gottes, aus denen ein ganz neues Jerusalem im Himmel erbaut wird.

5. Freilich müßtet ihr dieses gute Geschäft so unvermerkt als möglich anfangen; ihr könntet das um so leichter tun, indem ihr nun vollkommene Bürger Roms seid und euch der Tempel nicht angreifen kann, weil zwischen euch und dem Tempel das Schwert Roms ist und wacht.

6. Dies ist sonach schon ein Amt, mit dem Ich euch betraue. Verwaltet es, und der Lohn wird nicht unterm Wege verbleiben; dessen könnet ihr vollkommen versichert sein! – Seid ihr damit einverstanden?“

7. Sagt Stahar: „Herr, werden wir wieder unsere alte Stellung in Cäsarea Philippi einnehmen, oder sollen wir uns anderorts wohin begeben?“

8. Sage Ich: „Ihr werdet hier in Cäsarea Philippi bleiben und unter der Leitung dieses unseres Wirtes Markus stehen, dem Cyrenius und Ich die Gewalt über diese ganze Gegend einräumen werden, und dem sie zum größten Teile eigentlich schon eingeräumt ist. Der Kreis von Cäsarea Philippi ist groß und zählt viele Hunderttausende von Menschen; haben diese einmal ein Licht, so wird sich das Licht dann schon von selbst weiter ausdehnen. Aber es wird das eurer Klugheit anheimgestellt sein, dieses ins Werk zu setzen!“

9. Sagt Stahar: „Herr, es wäre das schon alles wohl gut und recht; aber nun ist ja die ganze Stadt ein Schutt- und Aschenhaufen! Wir haben keine Wohnungen, und unsere Synagoge war eines der ersten Gebäude, das den Flammen preisgegeben wurde. Wo werden wir uns niederlassen?“

10. Sage Ich: „Das sei eure geringste Sorge! So Ich es will, steht im Augenblick eine fertige Welt, geschweige ein solches Städtchen, vor euch! Übrigens wird da der Cyrenius schon alle Mittel, unterstützt durch Meine Gnade, in die tätigste Anwendung bringen und somit auch für eure Unterkunft sorgen. Zudem werden die schon seit heute morgen erwarteten hohen Gäste nun bald hier landen, und es wird sich da noch vieles ausmachen und bestimmen lassen.“

11. Stahar verneigt sich tiefst und sagt darauf so halblaut wie zum Floran: „Der Allmächtige spricht dennoch wie ein Mensch, was mir sehr gefällt; aber Er könnte dem Tempel und dem übermütigen Jerusalem ja mit einem einzigen Gedanken einen ewigen Garaus machen! Wozu das langsame Untergraben?“

12. Sagt Floran: „Schau, Bruder, das geschieht darum, weil wir beide noch so hübsch stark ins Geschlecht der Esel gehören, die von der göttlichen Ordnung noch lange keinen Dunst haben!

13. Wenn du auf einem Baume im Frühjahre noch sehr grünes, unreifes und steinhartes Obst hängen siehst, so wünschest du dir gleich so ein bißchen Allmacht! Du möchtest wirksam sagen: Fiat! (Es geschehe), und alle Feigen, Äpfel, Birnen, Pflaumen und Trauben sollen im Augenblick reif sein! Aber der allmächtige Schöpfer hat die Sache ganz anders eingerichtet, wie solches die tägliche und jährliche Erfahrung zeigt. Sollen wir da etwa auch fragen und sagen: ,Der Allmächtige kennt ja doch der Menschen Bedürfnisse; warum zögert Er denn gar so mit dem Reifwerdenlassen der Früchte?‘

14. Auch muß der Mensch jahrelang zuvor ein Ledl, also ein dummes Kind bleiben, um erst nach und nach zu einem Menschen emporzuwachsen, während der Sperling von seiner Geburt an in vierzehn Tagen schon ein ganz vollendeter Sperling ist und sich in seinem luftigen Haushalte ganz vortrefflich auskennt. Ja, die meisten Tiere haben gleich mit der Geburt schon die hinreichendste Ausbildung für ihren Haushalt, – und der Mensch braucht nahe zwanzig Jahre dazu, um sich in der lieben Welt nun ein wenig auszukennen anzufangen! Er, der Herr der Natur, muß am längsten warten, um das zu sein, wozu er bestimmt ist! Könnte man da nicht auch sagen: ,Herr, Du Allmächtiger, warum hast Du denn gerade für den Menschen, Deinen Liebling, nicht besser gesorgt, – warum muß gerade der werdende Mensch so lange warten, bis er ein Mensch wird?!‘

15. Siehe, das ist schon so in der uns jetzt noch freilich wohl stark unbegreiflichen Ordnung Gottes, und so wird auch das im Gleichmaße in seiner Ordnung sein, daß wir so nach und nach den Tempel untergraben müssen; denn ein plötzliches Zerstören würde die vielen Blinden, denen der Tempel gleichfort noch alles in allem ist, in die höchste Verzweiflung stürzen, – was viel ärger wäre als die noch einige Zeit geduldete Betrügerei seiner schnöden Diener!

16. Sieh, ich habe da wohl des Herrn Sinn so ziemlich erkannt und begreife nicht, wie dir das so ganz und gar durchgegangen ist! Ich habe auch nicht begriffen, wie du den Herrn um unser weltliches Unterkommen hast fragen können! Ist es denn nicht genug, so Er sagte, daß wir dies und jenes tun sollten?! Ist es ja doch schon seit alters her bekannt, daß derjenige, der mich zu einer Arbeit gedungen hat, mir auch den Unterhalt geben wird! Tun aber das schon die selbstsüchtigen Menschen, um wieviel mehr wird das der Herr Himmels und der Erde tun, ohne daß wir nötig haben, Ihn zu fragen!

17. Sieh, das war wohl sehr menschlich von dir, mein lieber Bruder! Denn durch solch eine Frage hast du offenbar deinen noch mehrseitigen Unglauben an den allerhellsten Tag gelegt, und es kann von dir mit Recht nichts anderes gedacht werden, als daß du noch eine starke Portion Unglaubens in dir birgst, dem du nun für alle Zeiten einen festen Abschied geben mußt!“

Kapitel 163. Missionswinke für die Arbeiter im Weinberge Jesu.

1. Sage Ich zum Floran: „Freund! Dein Fleisch gibt dir das nicht, sondern der Geist, der in dir ist von oben her! Es ist zwar in Stahar auch ein Geist; aber der schlummert noch, und so spricht noch mehr sein Fleisch als irgend sein Geist. Ein jeder aber sorgt sich vor allem um das, was ihm am nächsten liegt. Aus dem ein geweckter Geist spricht, dessen Nächstes ist auch sein Geist, darum wird vor allem seine Sorge auch auf das gerichtet sein, was da betrifft seinen Geist; der aber noch mehr Fleisch ist und aus dem Fleische denkt und will, dem ist sein Fleisch am nächsten, und er sorgt sich darum vor allem um sein Fleisch und stellt die Sorge für den Geist in den Hintergrund.

2. So stehen die Dinge und die Menschen in dieser Welt; wenn aber unser Stahar mehr geweckten Geistes sein wird, so wird auch er sich vor allem um das sorgen, was des Geistes ist.

3. Siehe, darin aber liegt die rechte Sorge für den Geist, daß euer Herz voll Liebe werde zu Gott und zum Nächsten!

4. Es ist leicht, gute und ehrliche Menschen zu lieben und mit ihnen umzugehen; aber zu den Sündern gehen und sie bringen auf den rechten Weg, ist ein Werk, das viel Selbstverleugnung erfordert.

5. Denn gehst du mit einer Hure und Ehebrecherin über die Straße, so werden die Menschen mit Fingern auf dich zeigen und dir tun, was dir vor der Welt nicht zur Ehre gereichen wird; wenn du aber die Hure und die Ehebrecherin auf den rechten Weg gebracht hast, da wird dir darum von Gott eine große Belohnung zuteil werden, und diese ist mehr wert im kleinsten Fünklein als eine ganze Welt voll der glänzendsten Ehre.

6. Wer Mir einen Verlorenen wiederbringt, wird mehr Lohnes erhalten als derjenige, der Mir auf einer eingefriedeten Weide hundert Lämmer wohl gehütet hat. Denn einen ehrlichen Menschen bei der Ehre und Tugend erhalten, ist eine gar leichte Arbeit; aber einen von allen Verachteten wieder zu Ehren erheben und aus einem verstockten Sünder einen Tugendhelden zeihen, will sehr bedeutend mehr gesagt haben! Und nur das wird von Mir hoch angesehen, – das erstere aber nur für eine Arbeit der faulen Knechte!

7. Ich bin der Allerhöchste, so ihr es annehmen wollet, und Ich suche und nehme auf nur das Verachtete und in den Augen der Welt Verlorene. Denn die Gesunden bedürfen des Arztes sicher nicht!

8. Wollet ihr demnach vollkommen Meine wahren Jünger und Diener sein, so müsset ihr auch in allem also sein, wie nun Ich Selbst es bin.

9. So ihr einen Blinden auf der Straße wandeln sehet, und sehet aber auch, daß der von ihm betretene Weg ein höchst gefährlicher besonders für einen Blinden ist, werdet ihr da dem blinden Wanderer nicht sobald unter die Arme greifen und zu ihm sagen: ,Höre, Freund, der Weg, den du nun wandelst, ist sehr gefährlich; laß dich führen, auf daß du nicht hinabstürzest in einen Abgrund!‘ Und so er sich euch dann aufs Wort anvertraut, werdet ihr euch schämen, den Blinden zu führen? Sicher keiner aus euch allen!

10. Ein Sünder aber ist oft noch um vieles geistig blinder als der fleischlich Blinde; wer kann sich da schämen, einem im Geiste Blinden unter die Arme zu greifen?!

11. Darum sei vor euch in der Zukunft kein Sünder so groß, als daß ihr euch seiner schämen könntet, ihm auch einen Führer abzugeben!

12. Diese Lehre merket ihr euch vor allem, und denket in eurem Herzen sehr darüber nach, und ihr werdet in euch des Lebens lichte Wege und daraus alles andere klar und deutlich zu erspähen anfangen!

13. Nun aber nähern sich diesem Ufer auf dem Meere Schiffe; diese bringen die besprochenen Gäste. Diese werden euch viel Licht verschaffen.“

Kapitel 164. Schiffe mit Gästen in Sicht.

1. Markus und seine beiden Söhne bemerken auch vom Hause aus, daß da Schiffe ankommen, eilen als gute Lotsen ans Ufer und schauen, ob es den Schiffen nicht an irgend etwas gebricht.

2. Auch Cyrenius und alles, was Römer und Grieche ist, eilet dem Ufer zu, um zu sehen, was die drei Schiffe bringen. Aber diese stehen noch ziemlich hoch auf der See und sind vom Ufer noch bei einer Stunde Weges entfernt, und alle Betrachter können noch nichts ausnehmen, was sich etwa auf den drei bedeutend großen Schiffen befindet.

3. Cyrenius fragt Mich darum, und Ich sage: „Die, welche wir schon heute früh erwarteten! Sie haben einen widrigen Wind zu bestehen gehabt, und die See ging hoch; sie mußten einen jenseitigen Hafen suchen, um den Wind unterdessen austoben zu lassen, und das ist die Ursache ihrer Verspätung. Es ist bereits eine volle Stunde über des Tages Mitte hinaus, und sie würden bis hierher noch eine volle Stunde Zeit benötigen, da sie immer noch mit einem kleinlauten Gegenwinde mit den Rudern zu kämpfen haben. Aber es liegt nun an uns, ihnen zu Hilfe zu kommen, und das wird ihnen den Weg und die Zeit um vieles abkürzen.“

4. Sagt Cyrenius: „Herr! Möchtest Du ihnen nicht also, wie gestern dem Ouran, den Raphael entgegensenden?“

5. Sage Ich: „Ist hier durchaus nicht nötig; denn diesen droht die Gefahr nicht, die gestern dem Ouran gedroht hat! Mit diesen drei mäßigen Fahrzeugen wird Markus mit seinen beiden Söhnen ganz leicht fertig, und wir haben sie in einer kurzen halben Stunde hier!“

6. Sagt Cyrenius: „Aber Herr, willst Du denn heute gar kein Wunder tun?“

7. Sage Ich: „Hast du denn nicht gelesen im Moses: ,Und am siebenten ruhte der schaffende Geist Gottes, und der siebente Tag ward darum zum Sabbate‘?! Wenn Ich nun denn auch ein wenig Sabbat halte, so tue Ich doch recht, da Ich vorher sechs volle Tage hindurch doch fleißig gearbeitet habe! Zudem habe Ich ja doch nun allerlei Diener um Mich, die nun in Meinem Namen und in aller Kraft desselben tätig sind und sein können!“

8. Sagt Cyrenius: „Herr, das bedeutet schon wieder etwas Besonderes; den Sinn dieser Version (Lesart) bringe ich durchaus nicht heraus!“

9. Sage Ich: „Nun, so frage irgendwen, und es soll dir alles klargemacht werden! Ich aber nehme nun die kurze Ruhe nicht Meinet-, sondern euretwegen, um euch Gelegenheit zur Tat zu geben, und so bin Ich ja auch tätig in euch allen. – Verstehst du das denn nicht?“

10. Sagt Cyrenius: „Ja, ja, nun verstehe ich es! Ich kann es mir nun auch denken, warum!“

11. Sage Ich: „Da hast du eben keine schwere Arbeit, da Ich es euch allen doch heute morgen ganz klar herausgesagt habe! Vor dem Mittagessen tue Ich eigenhändig nichts, nach dem Essen aber wird sich schon noch Gelegenheit bieten, um etwas tun zu können; so Ich aber rede, da tue Ich ja dennoch vor dem Mittagessen auch etwas.

12. Aber nun heißt es dem Markus sagen, daß er die beiden Söhne den Schiffen entgegensende, er selbst aber Sorge trage, daß die Tische gut bestellt werden; denn die erwarteten Gäste werden sehr erschöpft und hungrig und durstig ankommen, ebenso ihre Dienerschaft und die armen, müden Schiffer.“

13. Hierauf winkte Ich dem Markus, und er verstand Meinen Wink, ließ die beiden Söhne gleich kräftigst in die See stechen, und er ging eiligst ins Haus und setzte alles in die tätigste Bewegung.

14. Auch in den Zelten des Ouran ward es lebendig; denn Mathael und seine vier Gefährten, sein junges Weib Helena und der König Ouran bemerkten die Schiffe aus den Zelten, die sie vor einer Stunde mit der Familie des Herme, des bekannten Boten aus Cäsarea Philippi, bezogen hatten, um sich daselbst umzukleiden und dem Mathael königliche Kleider anzuziehen, damit er vor den Ankommenden als das dastehe, was er ist.

15. Ouran eilt zu Mir und fragt Mich in aller Demut: „Herr, was wohl werden die Schiffe bringen? Etwa gar die erwarteten sehr hohen Gäste?“

16. Sage Ich: „Mein Freund, das war sehr hofsittlich gefragt! In unserer Gegenwart gibt es keine sehr hohen und keine sehr niederen Gäste, sondern nur Brüder von A bis Z. Kann Ich Mich euren Freund und Bruder nennen lassen, warum soll es unter euch Menschen hohe und niedere geben? Ich sage dir: Der Allmächtige unter euch ist allein ein rechter Herr, ihr alle aber seid Brüder untereinander und Knechte und Diener eines Herrn!

17. Oder meinst du, daß die Könige bei Mir höher stehen denn ihre geringsten Diener, darum, weil sie mächtige Könige sind? O mitnichten! Da entscheidet allein das Herz; der König muß es im Herzen wissen, warum er ein König ist, und der Diener, warum er ein Diener, sonst stehen vor mir König und geringster Knecht auf der gleichen Stufe so hübsch tief unten.

18. Also merke dir das, du Mein Freund Ouran, daß es vor Mir keine hohen und keine niederen Gäste gibt, sondern nur Kinder, Brüder und Schwestern!“

19. Mit dieser Zurechtweisung war Ouran aber auch ganz zufrieden, verneigte sich tief und fragte darauf nicht weiter.

Kapitel 165. Von den Gefahren des Hochmutes.

1. Als er aber zum Mathael kam, sagte er (Ouran): „Heute ist mit dem Herrn nicht gut reden! Ich fragte Ihn ganz bescheiden, ob da die beansagten hohen Gäste ankämen, bekam aber wegen des Wortes ,hohen‘ eine so derbe Lektion, die ich mir sicher desto besser merken werde, weil sie eben so derb und trocken war! Heute ist der Herr aber auch wie umgetauscht! Gestern war Er die Liebe und Gemütlichkeit Selbst; heute aber bekommt ein jeder, der Ihm in die Nähe kommt, seine ganz wohlgemessene Lektion! Ich begreife das durchaus nicht!“

2. Sagt Mathael: „Ich aber wohl! Wie könnte es mir aber auch nur im Traume einfallen, den allerhöchsten, allmächtigen Herrn zu fragen, welche ,hohen‘ Gäste von irgendwoher ankämen?! Was sind wir Menschen, und wer ist Er?! Und Er macht vor uns aus Sich gar nichts, ist voll Liebe und Demut, und wir wollten da vor Ihm irgend von hohen Gästen reden?! Das, mein sonst allerliebster Schwiegervater, war wohl ein wenig zu stark vergriffen, und der Herr konnte dir auf solch eine Frage unmöglich eine andere Antwort geben; denn hättest du mich ebenalso gefragt, so weiß ich kaum, ob meine darauf erfolgte Antwort nicht noch um etwas gröber und derber ausgefallen wäre! Aber der Herr als stets der Sanfteste rügt leidenschaftslos einen Fehler ja nur darum, damit wir erkennen sollen, daß wir gefehlt haben. Gehe hin und bekenne es, und du wirst von Ihm gleich ein anderes Wort haben!“

3. Sagt Ouran: „Du hast aber auch schon wieder recht; oh, wenn ich gefehlt habe, da muß der Fehler ja gleich wieder gutgemacht werden!“

4. Mit diesen Worten verließ Ouran sogleich wieder sein Gezelt, begab sich zu Mir her und sagte: „Herr, ich habe vor Dir vorhin einen großen Fehltritt mit meiner eitlen Frage gemacht! Vergib mir solchen; denn ich tat das ja nicht mit meinem Willen, sondern – geradeheraus gesagt – mit meiner altgewohnten Dummheit, wie Du, o Herr, es sicher ganz genauest wirst eingesehen haben!“

5. Sage Ich: „Mein Freund; wer einen Fehler in sich als solchen erkennt und ihn ablegt, dem ist er auch schon vergeben für immer, und wer sich darauf zu Mir kehrt, dem ist jeder doppelt vergeben!

6. Wer aber seinen Fehler wohl erkennt, ihn aber behält in seiner Natur, dem ist er nicht vergeben, und käme er auch hundert Male zu Mir!

7. Denn Ich sage es dir: Der zu Mir kommt und spricht: ,Herr, Herr!‘, der ist Mein Freund noch lange nicht, sondern nur der, der Meinen Willen tut; dieser aber will, daß ihr euch wegen eines Amtes nicht auch in eurer Person über die andern Menschen erheben sollet!

8. Wohl sollet ihr allzeit euer Amt treu, gut und gerecht handhaben, – aber dabei niemals auch nur einen Augenblick vergessen, daß die, über welche ihr ein gutes Amt ausübet, vollkommen euch ebenbürtig und somit eure Brüder sind!

9. Die wahre Nächstenliebe aber lehrt euch solches von selbst aus der wahren Liebe, die ihr als Kindlein zu Mir habt.

10. Wenn es nötig ist, da lasset das Ansehen und die Ehre eures Amtes walten; aber ihr selbst seid voll Demut und Liebe, so wird euer Gericht über eure verirrten Brüder und Schwestern stets ein nach Meiner Ordnung gerechtes sein!

11. Ich sagte dir, was Ich dir gesagt habe, nur, um dir auch darin Meine Ordnung und Meinen Willen zu zeigen; denn Ich sage es dir: Wer da nicht abläßt vom kleinsten Stäubchen Hochmutes, dem wird in der Folge Mein Reich nicht geoffenbart werden im Geiste, und er wird nicht eher hineinkommen, als bis er das letzte Stäubchen Hochmutes wird aus sich geschafft haben!

12. Gehe nun hin und verkünde solches jedem, bei dem du irgendein Hochmütlein entdeckst!“

13. Nach diesen Worten verneigte sich Ouran wieder tiefst nach seiner Sitte und begab sich schnell zu den Seinigen. Und Mathael fragte ihn, wie Ich das aufgenommen hätte.

14. Sagt darauf Ouran: „Der Herr war mir sehr gnädig und zeigte mir die Wahrheit und die Ordnung und die Gerechtigkeit in der wahren Demut, und ich bin wieder so glücklich wie zuvor.“

15. Sagt Mathael: „Ja, Vater und Bruder in der wahren Demut! Unser Amt ist zwar ein erhabenes Amt gegenüber von Millionen unserer Brüder und Schwestern, – aber auch ein schweres Amt vor dem Angesichte des allmächtigen Gottes! Man muß sich sehr in acht nehmen, daß man nicht selbst von der Erhabenheit des hohen Amtes in der Person mitgerissen wird, wo man dann sehr stolz und hochmütig würde und sich für mehr denn für einen Menschen hielte, der von Gott dazu gesalbt ist, allen seinen Brüdern aufs beste zu dienen und so gewisserart ein Knecht der Knechte zu sein.

16. Und wer unseres Amtes und Standes sich aber erhebt, der wird sicher sehr gedemütigt, wie wir solches an der ganzen Reihe der Könige Judäas gar leicht ersehen können. Wie es aber war, also wird es bleiben bis ans Ende der Welt! Es ist sehr schwer, in Gold und Edelsteinen zu prangen und dabei dennoch demütiger zu sein im Herzen denn ein jeder Untertan! Nur des Herrn Gnade und große Erbarmung kann einen König inmitten seines irdischen Glanzes auf dem Standpunkte der Ordnung der Himmel erhalten!“

17. Sagt Ouran: „Ja, du hast recht! – Aber nun kommen die drei Schiffe schon ganz nahe dem Ufer; gehen wir doch auch hin, auf daß wir die Angekommenen begrüßen können!“

18. Darauf eilen alle nach dem untern Landungsplatze.

Kapitel 166. Wiedersehensfreude nach Ankunft der Gäste.

1. Als die Angekommenen ans Land treten und Mich alsbald erschauen, so breiten sie alle gleich ihre Arme weit aus und weinen vor Freude, Mich nun wiederzusehen.

2. Kornelius grüßt auch sogleich seinen Bruder Cyrenius und sagt: „Ja, so ihr da seid, da wird es für mich wohl kein anderes Geschäft geben, als mich über Hals und Kopf zu freuen, wieder einmal seligst unter euch zu sein!“

3. Faustus, Kisjonah und Philopold aber können vor lauter Freudentränen noch kein Wort über die Lippen bringen; die Diener aber staunen auch, daß sie Mich hier wieder antreffen.

4. Cyrenius fragt den Kornelius, wann er von dem Schicksale der Stadt Cäsarea Philippi erfahren habe.

5. Sagt Kornelius: „Erfahren durch irgendeinen Boten habe ich's eigentlich gar nicht, sondern nur selbst stark vermutet! Gestern gab es einmal einen in jeder Hinsicht spektakulösen Tag: einmal eine volle Sonnenfinsternis, die uns am hellen Tage gut bei dreißig Augenblicke lang eine vollkommene Nacht gab; am Abend aber, da es eigentlich hätte Nacht werden sollen, da gefiel es der Sonne, noch ein paar Stunden länger über dem Horizonte zu verweilen, was natürlich bei den Juden, Griechen und Römern ein unbeschreibliches Aufsehen machte.

6. Wäre der gegenwärtige Oberste der Pharisäer, der nun ein großer Freund unseres alten Jairus ist, nicht ein recht weiser und nüchterner Mann, und sein Nachbar in Nazareth ebenfalls, so hätten beide Städte auch ein Raub der Flammen werden können; aber so hielten die Obersten selbst recht gescheite Reden an das äußerlich ängstlich-erregte Volk, und es nahm die Belehrung an und beruhigte sich zum größten Teile. Die zu Exaltierten (Aufgeregten) aber ließ ich in Gewahrsam bringen, belehrte sie und gab ihnen heute morgen schon wieder die Freiheit.

7. Aber während ich in Kapernaum und Faustus in Nazareth die gute Ordnung und Ruhe wiederhergestellt haben, kam Faustus bald außer Atem zu mir nach Kapernaum; denn er entdeckte von Nazareth in dieser Richtung eine starke Feuerröte und dachte, es könnte in Kapernaum etwas losgekommen sein. Als er aber in Kapernaum ankam, fand er alles in der Ruhe, begab sich aber dennoch zu mir und gab mir Nachricht von der starken Feuerröte. Ich ging mit ihm und mit vieler Dienerschaft auf den bedeutendsten Hügel in der Nähe von Kapernaum. Wir sahen von da wohl die Röte zunehmend besser und stärker; aber zu bestimmen, welchen Ort das Unglück betroffen hatte, war es wohl keinem aus uns möglich. Erst heute früh, als die Sonne uns die Gegenden unzweifelhafter erkennen ließ und ich, obschon in weiter Ferne, aus dem starken Rauche erkannte, daß dieser sich in der Gegend von Cäsarea Philippi entwickeln möchte, beschloß ich mit Faustus per mare (auf dem Seewege) hierherzusteuern und nachzuforschen, was hier ein Raub der Flammen geworden sei.

8. Als ich ans Meer kam und ein Schiff nehmen wollte, da kam gerade unser Kisjonah mit Philopold an und brachte mir die Botschaft, daß er von einer bedeutenden Höhe seiner Berge unfehlbar Cäsarea Philippi in Flammen stehen gesehen habe.

9. Auf diese Kunde, die auch der zeitweilige Seher Philopold bestätigte, bestiegen wir eiligst das Schiff des Freundes Kisjonah und sind, so gut es trotz einigen widrigen Windes ging, gerade hierhergesteuert. Unterwegs überzeugte ich mich zu öfteren Malen von der hohen See, daß es Cäsarea Philippi sei, und war in großer Angst wegen dem, was hier zu tun sein solle.

10. Aber nun hier, dieses unerwartete, heilige Zusammentreffen mit dem Herrn aller Herrlichkeiten, mit Seinen Jüngern und mit dir, mein liebster Bruder! Ah, jetzt ist's mit aller Angst vorbei! Denn da ist schon lange alles in der besten Ordnung!

11. Aber nun zu Dir, Du mein alles, Du mein größter Freund, Du mein heiligster Meister von Ewigkeit! O Du mein bester Freund Jesus! Sieh, jetzt nützt Dir alle Deine Allmacht nichts gegen meine zu große Liebe zu Dir! Du mußt Dich nun von mir kreuz und quer umarmen lassen! Im Geiste habe ich es wohl alle Tage schon zu öfteren Malen getan; aber jetzt tue ich's einmal auch in der leiblichen Wirklichkeit!“

12. Mit diesen Worten umfaßte mich Kornelius, drückte Mich nahe krampfhaft an sein Herz und bedeckte Mein Haupt mit den wärmsten Küssen und Tränen der höchsten Freude. Nachdem er auf diese Art dem Drange seines edlen Herzens Luft verschafft hatte, ließ er Mich sanft wieder frei und sagte, durch und durch gerührt: „Herr, Meister, Gott und Schöpfer der Unendlichkeit, geistig und materiell! Schaffe (befiehl) es mir doch, was Gutes ich nun tun soll! Du kennst ja mein Herz!“

13. Sage Ich: „Du kennst ja Mein Herz auch! Tue, was dein Herz dir irgend sagt in Meinem Namen, und du hast für dich und für Mich genug getan! Dieweil du Mir hier aber aus dem Drange deines Herzens Gewalt angetan hast, wie es Mir noch niemand angetan hat, so werde auch Ich dir noch auf dieser Erde in jüngster Zeit nach Meiner Erhöhung eine andere Gewalt antun, der zufolge weder du noch ein Glied deines Hauses den Tod des Leibes je weder sehen, noch fühlen und schmecken sollst!

14. Es hat Mich solche deine Liebesbezeigung bis in Mein Innerstes erfreut, und du hast Mir damit etwas erwiesen, von dem die Ewigkeit bis auf diesen Augenblick kein zweites Beispiel aufzuweisen hat – außer von kleinen Kindern, die den Vater eher erkennen denn die Erwachsenen. Nun aber laß du dich denn auch von Mir umarmen!“

15. Sagt Kornelius, vor Freude weinend: „Herr, Meister und Gott, solcher zu endlos heiligsten Gnade bin ich ewig nicht würdig!“

16. Sage Ich: „Nun, so mache Ich dich denn würdig, und du komme zu Mir!“

17. Kornelius kam zu Mir, und Ich umarmte ihn. Darüber fing er an laut zu weinen und zu schluchzen, und viele meinten, es müsse ihm etwas fehlen, dieweil er also weine. Aber er ermannte sich und sagte: „Seid ruhig! Mir fehlt nicht nur nichts, sondern ich habe nun nur zu viel, und die Freude entlockt mir diese Tränen.“

18. Nun tritt Kisjonah zu Mir und fragt Mich ganz traurig: „Herr, gedenkst Du meiner wohl auch und bist mir nicht gram?“

19. Sage Ich: „Wie kannst du, Mein Bruder, Mir mit einer solchen Frage kommen?! Du liebst Mich über alles und Ich dich im selben Maße, – was willst du da mehr noch? Weißt du denn nicht, wie Ich zu dir im Vertrauen gesagt habe, daß wir Freunde und Brüder bleiben in Ewigkeit?! Und siehe, was Ich sage, das gilt von Mir aus für ewig; so auch du bleibst, wie du bist, da wird es auch von dir aus für ewig gelten, und bei dem bleibe es! – Bist du damit nicht zufrieden?“

20. Sagt Kisjonah: „O Herr, damit bin ich ja unbeschreiblich zufrieden, und bin überselig, wieder einmal aus Deinem heiligsten Munde ein heiligstes Wort zu vernehmen!“

21. Sage Ich zum Kisjonah: „Deren wirst du noch viele hören! Aber siehe dir die fünfzig Pharisäer an, und du wirst welche erkennen, die bei der großen Geschichte, die sich bei dir zutrug, zugegen waren!“

22. Kisjonah, Kornelius und Faustus betrachten die fünfzig genau, und Kisjonah, der ein besonders gutes Sachgedächtnis hatte, fand sogleich acht Männer heraus, die auch bei dem großen Transport übers Gebirge waren, und sagte darauf: „Nun, was machen diese hier?! Sind sie als Gefangene hier, da sie vielleicht bei einem neuen Transport oder bei einer anderen Spitzbüberei ertappt worden sind?“

23. Sage Ich: „Nichts von alledem! Die gestrige Spätsonne und der darauf erfolgte Brand der Stadt, woran sie freilich selbst die größte Schuld trugen, hat sie uns in die Hände gebracht; und sie sind nun aber auch vollkommen unser und sind vollkommene Bürger Roms.

24. Denn seht, Ich verweile hier schon bei sieben Tage, und das bloß wegen des guten Fischplatzes; hier bekommt man die edelsten Fische aus dem Naturmeere und ebenso auch die edelsten geistigen Fische aus dem geistigen Meere! Und wir haben in dieser Zeit hier schon wirklich eine höchst sehens- und denkenswürdige Ernte gehalten!

25. Siehe hier einmal die fünfzig; das ist ein Fang von heute, und keine Faulen darunter! Dort weiter ersiehst du abermals eine Gruppe von dreißig, alle kerngesund – Fang von gestern! Wieder siehst du dort an einem Tische zwölf, auch ganz gesund; ebenfalls ein Fang von gestern! Dort bei den Zelten erseht ihr abermals fünf von der auserlesensten Art; auch von gestern! – Sagt Mir, ob das nicht ehrlich gearbeitet heißt!“

26. Sagt Kisjonah: „Ja wahrlich, wenn diese alle gewonnen sind, dann ist dadurch dem von Dir verkündigten Reich Gottes auf Erden ein großer Vorschub geschehen, und das um so mehr, weil das nahe lauter Templer zu sein scheinen, von denen die alten schon gar schwer umzugestalten sind! Natürlich, sind sie aber einmal umgestaltet, so dürften sie dann wohl auch felsenfest dastehen!

27. Aber ich bemerke ja auch den Biedermann Ebahl aus Genezareth mit einer seiner Töchter hier; gehört der nicht auch zu denen, die da gefangen wurden?“

28. Sage Ich: „Allerdings; aber der ist schon beim großen Fischfange in Genezareth mit seinem ganzen Hause in unser Netz gekommen, und das Mägdlein war eines der alleredelsten Fischlein darunter! Das wirst du noch näher kennenlernen und wirst deine große Freude an ihr haben; was da die reinste Gemütsweisheit betrifft und dabei die Reinheit des Herzens, so dürften ihr hier sehr wenige gleichzustellen sein! Dieses Zeugnis gebe Ich dem Mägdlein, willst du noch ein besseres und glaubwürdigeres?“

29. Sagt Kisjonah: „O Herr! Dein Zeugnis geht über alles! Aber ich freue mich, mit dem Mägdlein in irgendeine Rede zu kommen.“

30. Sagt Faustus, Mich fragend: „Aber dort stehen ja Königsgezelte!? Der alte Mann hat vollkommene Königskleider an, – auch der junge Mann, der mit dem jungen Weibe nun etwas spricht! Gehören auch diese zu den Gefangenen für den Himmel aller Liebe und alles Lichtes?“

31. Sage Ich: „Allerdings; das ist ein König vom Pontus! Sein Reich ist groß, und er hat sein Volk ganz weise geleitet durch zwar milde, aber dennoch äußerst streng zu beachtende Gesetze. Er ward aber inne, daß man, um ein großes Volk ganz glücklich zu machen, die Wahrheit und den allein wahren Gott zuvor selbst erkennen müsse. Er machte sich auf und zog südwärts, da er vernommen hatte, daß solches allein in Jerusalem zu erforschen wäre. Auf solcher Reise kam er zu diesem Binnenmeere und wollte darüber, um nach Jerusalem zu kommen.

32. Er stand aber wegen der gestrigen Sonnenfinsternis in großer Gefahr, von der Ich ihn durch Meinen Engel retten und hierherbringen ließ; und also ist er nun hier. Er und seine Tochter Helena waren es allein, die mit ihrer kleinen, nötigen Dienerschaft hierherkamen.

33. Der junge König aber war ehedem auch ein angehender Templer und mußte als ein sehr talentierter Mensch als Missionar hinaus in die Welt. An der Grenze zwischen Judäa und Samaria aber fiel er mit noch vier Gefährten in die Hände der Räuber und ward genötigt, samt seinen Gefährten ihres Gelichters zu werden. In Gram und Verzweiflung darob versunken, verbargen sich die Seelen der fünf unter die Fittiche ihres Geistes, und ihre Leiber wurden von den äußerst hartnäckigst argen Geistern höllischer Abkunft in den vollsten und tätigsten Besitz genommen. Nur einer bedeutenden Streifmacht der Römer gelang es, der fünf Teufel, wie sie das Volk nannte, habhaft zu werden. Nur unter der stärksten Bedeckung und durch und durch mit den schwersten Ketten klein abgeknebelt, konnten sie vorgestern abend hierhergebracht werden. Nach den strengen Gesetzen Roms erwartete sie in Sidon nichts anderes als die peinlichste Hinrichtung.

34. Ich aber sah ihre Seelen und ihren Geist, reinigte ihr Fleisch von den argen Höllengeistern, und ihr könnet nun mit ihnen reden, um euch zu überzeugen, mit wessen Geistes Kindern ihr zu tun habt! Namentlich aber ist Mathael – nun Gemahl der Tochter des Königs und nun selbst ein Mitkönig – ein Mensch, vor dem jeder Erdenbürger den Hut zu ziehen hat.

35. Er ist, soweit es bisher nur möglich war, ein vollends im Geiste Wiedergeborener und wird Mir ein tüchtiges Rüstzeug sein wider die Heiden des großen Nordens. So ihr mit ihm reden werdet, da werdet ihr es selbst erfahren, welch ein Geist er ist.“

36. Fragt Kornelius: „Aber Herr, wer ist denn jener Junge, – nicht der Josoe, den wir schon von Nazareth aus kennen, sondern der andere, der soeben mit dem Mädchen sich unterhält?“

37. Sage Ich: „Das ist eben der Engel, von dem Ich euch gesagt habe, daß er den alten König samt seiner Tochter gestern gerettet hat. Er befindet sich nun schon nahe bei drei Wochen unter den sterblichen Menschen, und Ich habe ihn besonders dem Mägdlein zum Erzieher gegeben; er steht aber nun jedem der Meinen zum Dienste bereit.“

38. Fragt Philopold: „Wer ist denn der Wirt hier, und welchen Namen führt er?“

39. Sage Ich: „Das ist ein römischer Veteran, eine äußerst treue und alle Wahrheit liebende Seele; er hat im ganzen sechs Kinder, zwei Söhne und vier recht liebe, artige Töchter, und ebenso ein musterhaft braves Weib, das keinen andern als nur ihres biedersten Mannes Willen kennt.

40. Darum gefiel es Mir denn auch, bei dieser früher sehr armen Familie den gegenwärtigen Unterstand zu nehmen; und ihr werdet es sehen, und das soeben, wie diese acht Menschen nun für Hunderte ein Mittagessen herstellen werden, an dem ihr alle eine rechte Freude werdet haben können. Sehet, der alte Wirt bewegt sich schon zu uns her, um uns anzukünden, daß das Mittagsmahl vollends bereitet ist!“

Kapitel 167. Die Weissagungen über die Menschwerdung Jesu.

1. Als Ich solches ausgeredet hatte, war unser Markus auch schon da und sagte, daß das Mittagsmahl fertig sei, und ob er es nun solle auftragen lassen; denn es wäre bereits schon um des Tages neunte Stunde (3 Uhr nachmittags).

2. Und Ich sagte: „Laß es auftragen; denn die Erwarteten sind bereits anwesend, und alles befindet sich in der besten Ordnung!“

3. Ruft Kornelius den alten Markus und sagt: „Nun, alter Waffenbruder, kennst du mich nicht mehr so ganz? Weißt du nicht mehr, wie du in Illyrien und Pannonien mit mir warst? Ich war damals freilich noch mehr ein Knabe denn ein Krieger; aber seit der Zeit sind bereits 45 Jahre verflossen, und ich bin nahe an die sechzig gekommen!“

4. Sagt Markus: „O hoher Gebieter, das ist mir noch sehr frisch im Gedächtnisse! Es hatte dort viel Ernstes bedurft, um jene zank- und hadersüchtigen Menschen in einer erträglichen Ordnung zu erhalten. Am Ober- Ister (Donau) in der Gegend des Fleckens Vindobona (Wien) ist es uns eben nicht am besten ergangen im Anfange; aber in ein paar Jahren hatte sich die Sache gemacht, und wir erlebten dort recht gemütliche Stunden.

5. Die Sitten und Gebräuche jener Germanen waren freilich für uns Römer etwas schroff; aber als wir bei ihnen nach und nach mehr freigeistige Bildung erzielten, so ging es dann ganz erträglich. Der von ihnen erzeugte Wein war wohl schwach und sauer; aber er ließ sich trinken, wenn man ihn einmal gewöhnt war.

6. Aber eben unweit von dem Flecken Vindobona, den Ister aufwärts, wo wir eine Eberjagd hielten, auch, glaube ich, bei vierzig Stück erlegten, da fanden wir einen langbärtigen germanischen Seher und Priester, der während unserer Eberjagd auf einer Eiche saß und zusah, wie wir mit den Ebern kämpften. Dieser Mann sprach etwas römisch und sagte eben zu uns beiden, als wir unter seiner Eiche einem Eber den Garaus gaben:

7. ,Merket es wohl, ihr beiden mutigen Jungen! In Asien, im Lande über den Gewässern, harret eurer Großes! Dort werdet ihr sehen ein Etwas, das noch kein Sterblicher gesehen hat! Hier blüht nur der Tod; wie der mächtige Eber unter der Schärfe eurer Lanzen und Schwerter verendete, so verendet hier im Lande des Todes alles! Aber in Asia blüht das Leben; wer dort sein wird, der wird einen Tod ewig nicht sehen!‘

8. Dann verstummte er; und als wir weiter in ihn drangen, gab er uns keine Antwort mehr, und wir gingen weiter, noch mehr Eber aufsuchend. – Aber siehe, der Alte hatte denn im vollsten Ernste doch geweissagt, und wir erleben nun das, was uns der alte Germane geweissagt hat!“

9. Sagt Kornelius: „Schau, diesen alten Germanen hätte ich beinahe vergessen! Richtig, richtig, du hast recht! Darüber müssen wir noch Näheres miteinander verkehren!“

10. Der alte Markus ging, mit Hilfe der Dienerschaft des Cyrenius und Julius die Speisen auf die Tische zu stellen, und Kornelius sagte zu Mir: „Herr, was sagst denn Du zu der Weissagung des Germanen, die in der Tat mir und dem alten Markus, der mich im Alter bei zehn Jahren überragen dürfte, schon vor vielen Jahren in Europa gemacht wurde?“

11. Sage Ich: „Die Völker alle, die irgend auf der weiten Erde zerstreut wohnen, haben eine schon dem ersten Menschen der Erde gemachte und gegebene Weissagung von Mir und von Meiner jetzigen Herabkunft zu den Menschen dieser Erde, und ihre Priester wußten sich stets durch Sagen und durch den inneren Drang in ihrem Herzen einen gewissen Weg zu bahnen bis zu einer geistigen Anschauung und weissagten in freilich oft sehr verworrenen Bildern, die sie am Ende selbst nicht verstanden.

12. Nur in abermaligen Ekstasen (Verzückungen) der Begeisterung kamen einige dann und wann zu einer helleren Anschauung und erklärten dann etwas näher ihre schon früher einmal gehabten Gesichte.

13. So war es auch bei den Germanen. Und jener Germane befand sich eben in einer hellsehenden Ekstase auf seiner Eiche, deren Ausdünstung nebst der Angst vor euren Lanzen und Speeren ihn in eine solche versetzen half, – und er weissagte euch. Als er nach der euch gemachten Weissagung wieder wach wurde, wußte er von allem nichts, was er zu euch geredet hatte, und konnte euch auf euer weiteres In-ihn-Dringen keine Antwort mehr geben.

14. Siehe, darin besteht das Wesen solcher Weissagungen! So ihr es annehmen wollt, da war die Hexe von Endor in jener Zeit auch in einer hellsehenden Ekstase, als Saul sie bezwang, für ihn den Geist Samuels zu beschwören, obschon sie sonst nur mit der Unnatur der argen Geister im Verbande stand und daraus weissagte Lügen und Arglist und Betrug.

15. Kein Mensch ist so tot und böse, daß er zu einer gewissen Zeit nicht irgendeine rechte Weissagung hervorbrächte; aber diese kann nicht zugleich als ein Bürge für alle seine gemachten Weissagungen dastehen, sondern ist nur für sich allein wahr.

16. So hat das Orakel zu Dodona und das zu Delphi gar oft eine sehr wahre Weissagung gemacht; aber einer wahren folgten dann tausend falsche und lügenhafte.

17. Also ist es auch nicht in Abrede zu stellen, daß gewisse Hellseher und Propheten sogar Wundertaten gewirkt haben; aber dafür haben andere dann durch Eingebung der bösen Geister und durch ihren dadurch erregten Weltverstand eine Menge Blendwunder erfunden und haben damit ganze Völker auf tausend Jahre lang breitgeschlagen, und sie haben dabei gut und ganz sorglos gelebt, bis ihnen dann irgend von erweckten Sehern das schnöde Handwerk gelegt wurde.

18. Aber es ging das immerwährend nicht so leicht her; denn ein einmal breitgeschlagenes Volk läßt sich schon an und für sich nicht leicht mehr zurechtweisen, und dessen lügenhafte Priester schon am allerwenigsten, weil damit ihre großen, diesweltlichen Vorteile aufs Spiel gesetzt sind.

19. Ihr alle habt Gelegenheit, euch nun zu überzeugen, wie schwer es sogar bei Mir geht, und doch führe Ich eine Sprache, wie sie vor Mir noch nie ein Seher geführt hat, und übe Taten, die noch nie vor Mir erhört worden sind! Der ganze Himmel steht offen, Engel steigen herab und dienen Mir, und geben Zeugnis von Mir, und doch gibt es sogar Jünger, die nun stets um Mich sind und alles sehen, hören und erfahren, aber ihr Glaube gleicht noch gleichfort einer Windfahne gleicht und einem schwachen Rohre, das vom Winde, von wannen er auch kommen mag, umgedreht wird nach jeglicher Richtung! Nun, nehmen wir dann erst die andern Weltmenschen!“

Kapitel 168. Die Führungen der Menschen und Völker.

1. (Der Herr:) „Ich könnte durch Mein allmächtiges Wort freilich alle Menschen im Augenblicke umgestalten; aber wo bliebe dann ihres Geistes durch sich selbst zu gewinnende Lebenstüchtigkeit und Freiheit?!

2. Ihr sehet also aus dem nun leicht, daß es kein Leichtes ist, den bei den Völkern eingeschlichenen Irrtümern wirksam und unbeschadet der Freiheit ihres Willens und dessen geistig notwendiger Sichselbstbestimmung zu begegnen.

3. Aber es ist auch ebenso schwer zu verhüten, daß solche Irrtümer nie einreißen können; denn es muß dem geistigen Teile des Menschen Wahres und Falsches und Gutes und Böses zur freien Erforschung, Erkenntnis und Wahl vorgestellt werden, ansonst er nie zum Denken gebracht werden würde.

4. Er muß sich gleichfort in einem Kampfe befinden, ansonst er einschliefe; und sein Leben muß stets neue Gelegenheit bekommen, sich als solches zu üben und dadurch aus sich selbst zu erhalten, zu stärken und also seine Vollendung zu erreichen.

5. Würde Ich es nicht zulassen, daß je Irrtümer unter die Menschen kämen, sondern nur die Wahrheit mit ihren bestimmten und vollends notwendigen Wirkungen, so würden die Menschen einem allerreichsten Prasser und Wollüstling gleichen, der am Ende für gar nichts mehr sorgt als bloß ganz stumpf nur, daß sein Bauch die Ausfüllung zur rechten Zeit bekommt!

6. Versorgen wir alle Menschen leicht möglich auf das beste für den Leib nur, und ihr könnet vollkommen versichert sein, daß es bald keinen Priester, keinen König, keinen Soldaten, aber auch keinen Bürger, keinen Landmann und keinen Arbeiter und Handwerker mehr geben wird; denn wofür sollte er arbeiten oder in irgend etwas tätig sein, da er ja ohnehin über Hals und Kopf mit allem bestens versehen ist für sein ganzes Leben?!

7. Darum muß Not und Elend unter den Menschen sein und Schmerz und Leid, auf daß der Mensch nicht ersterbe in einer tatlosesten Trägheit!

8. Ihr sehet nun aus dem, wie alles unter den Menschen sein muß, damit sie gleichfort zu allerlei Tätigkeit aufgefordert werden; und es ist dann aus diesem Hauptlebensgrunde ebenso untunlich, das Einschleichen der Irrtümer zu verhindern, als die eingeschlichenen am Ende auszurotten.

9. Und die stets argen Folgen, die den Irrtümern folgen, sind am Ende auch die dienlichsten Mittel zur Austreibung der Irrtümer und zur Ausbreitung der Wahrheit.

10. Die Menschheit muß durch Not und Elend, die aus der Lüge und aus dem allerartigen Betruge entstehen, die schreiendste Notwendigkeit der Wahrheit erst tief und lebendig zu fühlen und sie vollernstlich zu suchen anfangen, so wie sie der alte Ouran vom Pontus gesucht hat, dann wird die Menschheit die Wahrheit auch bald finden, wie sie Ouran gefunden hat, und dann erst wird die unter allerlei notwendigen Beschwerden schwer gefundene Wahrheit der Menschheit wahrhaft nützen; würde er (der Mensch) sie aber ebensoleicht finden, wie mit dem Auge die Sonne am hellen Firmament, so hätte sie für ihn nur zu bald keinen Wert mehr, und er würde, um sich zu zerstreuen, der Lüge nachrennen, gleichwie der Wanderer am Tage soviel als nur möglich den Schatten aufsucht; und je dichter er einen findet, desto lieber ist er ihm.

11. Der Mensch dieser Erde ist alsonach gerade so, wie er vom Grunde aus sein muß, um eigentlich erst ein Mensch zu werden; aber es müssen denn auch alle seine äußeren Verhältnisse also sein und kommen, auf daß der Mensch, durch sie genötigt, erst ein wahrer Mensch wird!

12. Die volle, nackte Wahrheit aber kann im allgemeinen den Menschen auch von Mir aus jetzt nicht gegeben werden, sondern nur verhüllt in Gleichnissen und Bildern, auf daß er (der Mensch) sie erst aus solchen Bildern suchend entwirren kann. Nur mit euch wenigen rede Ich nun ohne Vorhalt (Vorbehalt); denen ihr sie aber wiedergebet, die sollen sie von euch auch nicht völlig nackt erhalten, sondern auch irgend ein wenig verhüllt, auf daß ihnen die Gelegenheit zum freien Nachdenken und zur freien Tätigkeit ja nicht benommen wird. Und auf daß ihr selbst nicht lau werdet, so sage Ich auch zu euch:

13. Ich hätte euch noch gar vieles zu sagen, aber ihr könntet es jetzt nicht ertragen; wann aber der Geist der Wahrheit kommen wird über euch und eure Kinder, so wird er euch in alle Wahrheit leiten. Und so werdet ihr dann für diese Erde in aller Wahrheit sein und werdet in ihr erst den Schlüssel in eure Hände bekommen zu den endlos vielen Wahrheiten der Himmel, durch deren stets neuere und tiefere Enthüllung ihr in Ewigkeit auch stets mehr und mehr zu tun bekommen werdet!

14. Aber nun ruft uns Markus zu Tische, und das ist auch eine Wahrheit, und wir wollen ihr folgen!“

Kapitel 169. Das gemeinsame große Mahl bei Markus.

1. Kornelius fällt Mir auf diese Rede schon wieder um den Hals und sagt tief ergriffen: „Ja, solche Worte kann nur ein Gott, und nie ein Mensch, zu den Menschen sprechen!“

2. Sage Ich: „Ja, ganz gut und in aller Ordnung gibst du Mir ein rechtes Zeugnis, und es wird dir auch die besten Früchte tragen! Dein Fleisch und Blut gibt dir das nicht, sondern dein Geist, der auch wie der Meine aus Gott ist, und darum du Mir auch ein rechter Freund und Bruder bist.

3. Aber nun folgen wir, als im Fleische seiend, auch zur Deckung der äußern Notdurft dem Rufe, der auch vom Fleische ausgeht!“

4. Alle fügen sich, und wir gehen an die Tische, auf denen wohlzubereitete Fische der edelsten Art unser harren.

5. Am Tische, da Ich Platz nehme, sitzt Mir zur Rechten Cyrenius, neben ihm Kornelius, und uns gegenüber sitzen Faustus, Kisjonah, Julius und Philopold; Mir zur Linken sitzt die Jarah, dann Raphael, Josoe der Knabe und dann Ebahl. Der untere lange Flügel weiter links wird von Meinen Jüngern besetzt und der obere rechte von der königlichen Familie Ouran mit Mathael, Rob, Boz, Micha und Zahr.

6. Ein anderer, sehr langer Tisch nimmt die fünfzig Pharisäer auf; dieser läuft mit Meinem gleichlinig und ist vor Meinen Augen, und der Stahar und Floran sitzen in der Mitte also, daß sie Mein Gesicht sehen können.

7. Ein dritter Tisch, hinter Mir, nimmt die dreißig jungen Pharisäer und Leviten auf; ihre Hauptsprecher Hebram und Risa sitzen gerade hinter Meinem Rücken, aber mit den Gesichtern gegen denselben gekehrt.

8. Unter dem linken Flügel Meines Tisches, also hinter Meinen Jüngern, ist querüber ein kürzerer Tisch mit den zwölfen unter ihren Redeführern Suetal, Ribar und Bael; und am obersten Flügel gleich hinter Ouran ist noch ein kleiner Tisch, an dem der arme Herme, der bekannte Bote aus Cäsarea Philippi, mit seinem nun stattlich gekleideten Weibe, drei eigentlichen Töchtern und einer vierten Ziehtochter sitzt. So sitzen nun alle, die zu Mir gehören, wohl untergebracht.

9. Die Dienerschaften aber haben ihre Tische mehr außerhalb und waren ebenfalls bestens versorgt, sowie die mehreren Hunderte Soldaten, die in ihrem Lager selbst für ihren Unterhalt zu sorgen hatten, wie es bei den Römern immer Sitte war.

10. Alles ist nun samt uns mit der nötigen Stärkung der Glieder und der Eingeweide beschäftigt, und alle loben Mich für solch eine außerordentlich stärkende Bewirtung.

11. Die Fische, das Brot, allerlei gute und süße Früchte – als Feigen, Birnen, Äpfel, Pflaumen und sogar Trauben – bedecken die Tische, und am besten Weine gibt es nirgends einen Mangel; da sitzt bei keinem Tische auch nur einer, der da nicht von der besten Eßlust beseelt wäre, und der alte Markus, seine beiden Söhne und auch ein paar seiner älteren Töchter tummeln sich munterst hin und her und lassen ja auf keinem Tische irgendeinen Abgang fühlen!

12. Der Wein löst nach und nach die Zungen, und es wird hie und da lauter und lauter an den Tischen. Auch an Meinem Tische werden allerlei Verwunderungen über Speisen und Trank ausgesprochen, ja sogar Meine Jarah wird lebendiger und kann die süßen Trauben nicht genug loben und bewundern, dieweil nun die eigentliche Zeit der Trauben noch nicht in der Ordnung da war.

13. Auch Meine Jünger fingen an, recht gesprächig zu werden, was selten der Fall war. Nur der Judas Ischariot schwieg; denn er hatte noch viel zu viel mit einem großen Fische zu tun, und der bedeutende Weinbecher vor ihm beschäftigte ihn auch zu sehr, als daß er sich hätte eine Zeit nehmen können, sich mit jemand in ein Gespräch einzulassen. Thomas hatte ihn wohl schon ein paarmal gestupft; aber Judas Ischariot merkte nichts, und das war gut, weil er sonst bald mit etwas Ungebührlichem ans Tageslicht getreten wäre.

14. Jarah an Meiner linken Seite aber spitzte schon sehr darauf, ob sich nicht eine Gelegenheit ergäbe, diesem ihr sehr unliebsamen Jünger so einen recht derben Hieb zu versetzen; aber diesmal war Judas Ischariot um keinen Preis aus seinem Freß- und Saufphlegma zu bringen.

15. Als er aber mit seinem großen Fische einmal zu Ende war, machte er noch Miene, nach einem zweiten, nicht minder großen zu greifen; aber da war Raphael etwas geschwinder und kam dem Judas Ischariot zuvor. Nun – das gab natürlich zu einer ein wenig schmunzelnden Heiterkeit Anlaß, und Meine Jarah konnte nur mit Mühe den Ausbruch eines lauten Lachens unterdrücken.

16. Ich fragte die Jarah, was sie denn habe.

17. Und das Mägdlein sagte: „O Herr, Du meine Liebe, wie magst Du einen Menschen fragen, dessen Innerstes Dir offener steht als uns die äußere Form dieses Trinkbechers?! Hast denn Du, o Herr, nicht bemerkt, wie der Jünger Judas Ischariot schon früher sich den allergrößten, gewiß zehn Pfund schweren Fisch ausgesucht hatte und auch den größten Becher?! Einige große Stücke Brotes sind nebstbei in seinen Bauch hinabgesunken!

18. Nun wollte er noch den zweiten großen Fisch sich selbst zukommen lassen; aber mein Raphael, den gerechten Ärger der andern Jünger merkend, griff dem gefräßigen Judas Ischariot vor und rettete also den Fisch vor der Freßwut des Judas Ischariot. Nun, darin besteht der eigentliche Grund, warum ich mich des Lachens kaum enthalten konnte!

19. Ich weiß es wohl noch von Genezareth her, daß man eigentlich gar nie lachen soll außer allein aus Liebe und Freundlichkeit; aber hier stellte sich die Sache im Ernste so scherzhaft, daß ich mich des Lachens kaum enthalten konnte. Ich glaube, daß es denn doch nicht gar weit gefehlt ist, so man einen sehr gefräßigen Geiz belächelt, wenn ihm eine höchst eigenliebige Unternehmung fehlschlägt; denn man kann sich ja dabei auch denken, daß so ein Streich ihn in etwas bessern dürfte – und da sollte es denn doch erlaubt sein, ein wenig schmunzeln zu dürfen!“

20. Sage Ich: „Sünde, Meine allerliebste Jarah, ist das gerade nicht; aber wenn man es unterlassen kann, so hat man dennoch das Bessere getan. Sieh, so man einen solchen Geizhals mit einem gewissen Ernst betrachtet, da ermahnt er sich und läßt ab von seinem geizigen Vorhaben; belächelt man ihn aber, so wird er erbost und setzt dann erst eine Kraft hinein, um sein Vorhaben doppelt geizig auszuführen!

21. Judas Ischariot ist ein Geizhals und womöglich auch ein Dieb; denn wer seinen Nächsten stets zu betrügen sucht und ihn auch betrügt, der ist ein Dieb.

22. Findet er bei seiner selbstsüchtigen Handlung lächelnde Gesichter, so meint er, sie hätten ein Wohlgefallen an seiner witzähnelnden Gaunerei, und setzt dann seine Lumpereien noch intensiver durch; wird er aber, wie zuvor bemerkt, bei seinen Gaunereien und schon bei den ersten Anlässen zu denselben mit einem gewissen Ernst von allen Seiten angeschaut, da läßt er ab von seiner schlimmen Vornahme und verspart es auf irgendein anderes Mal. Denn von einer gänzlichen Besserung ist bei einem Geize nicht leichtlich eine Hoffnung zu hegen! Aber es ist dennoch gut, ihn sooft als möglich an der Ausführung irgendeines selbstsüchtigen Unternehmens zu hindern; er verliert dadurch mehr und mehr den argen Mut wegen des stets erfolgten Mißlingens und unterläßt das Schlechte, wennschon nicht aus Abscheu vor demselben, so doch aus Ärger.

23. Sieh, du Mein allerliebstes Töchterchen, aus diesem dir nun gezeigten Grunde ist es also besser, nicht zu lachen über jemand darum, daß ihm irgendeine vorgefaßte Gaunerei mißlang!“

Kapitel 170. Der Widerspruch zwischen Wollen und Tun.

1. Sagt die Jarah: „Ja, Herr, Du meine alleinige Liebe, es wäre das schon in allem also recht und eigentlich am allerbesten, wenn man nur allzeit gleich so eine rein göttliche Belehrung zur Seite hätte! Aber wir Menschen sind oft schon so blind – und das gerade in Momenten, da wir am schärfsten sehen sollten –, daß wir den Wald vor lauter Bäumen nicht merken! Und um kein Haar besser geht es uns in den wichtigsten Lebensaugenblicken mit der wahren Lebensweisheit. Dorten, wo wir ihrer am meisten benötigen, läßt sie uns sitzen; und wo wir aber ihrer eben nicht in einem hohen Grade vonnöten hätten, da sind wir voll hoher Gedanken und Ideen! Daher ist es immer eine sonderbare Sache um uns Menschen!

2. Nichts scheint mir bei mir selbst gut zu sein als mein Wille; aber selbst der ist am Ende nicht so sehr zu rühmen, weil ihm zumeist die volle Kraft des Vollbringens mangelt. Denn man will gar oft etwas recht Gutes und tut es aber dennoch nicht, oder man tut gerade das Gegenteil von dem Guten, das man eigentlich will. Woran das liegt, weiß ich nicht; daß es aber also ist, weiß ich aus der eigenen Erfahrung.

3. Herr, Du meine Liebe! Durch Deine allmächtige Gnade habe ich einen wunderbarsten Blick in Deine großen Weltenschöpfungen tun dürfen und weiß in dieser Beziehung nun mehr, als alle Weisen der Erde zusammen wissen. Was die endlosen Tiefen Deiner Himmel bergen, kenne ich; aber warum kenne ich denn nicht auch mich selbst?!“

4. Sage Ich: „Weil du selbst ein viel wunderbareres Wesen bist als alle die großen Sonnen und Welten zusammen! Im Herzen des Menschen ruht ein viel wunderbarerer Himmel, als der große da ist, den du schauest mit deinen Augen.

5. Sieh, alle Materie ist ein Gericht und ein ehernes Muß! Du kannst sie beschauen von außen und auch von innen nach ihrem Gefüge, und manche Apotheker besitzen die Wissenschaft, eine Materie in ihre Urelemente genau zu zerlegen. Und diese seltene Wissenschaft nennt man die Scheidekunst, die sich mit der Zeit stets mehr und mehr vervollkommnen wird.

6. Wie du auf diesem Wege aber einen Stein so ziemlich genau von außen und von innen erkennen kannst, so kannst du auch eine ganze Welt erkennen! Unser Mathael ist in solcher Kunst sehr bewandert; auch Mein Jünger Andreas, der auch bei den Essäern war, ist ein tüchtiger Apotheker, welche Kunst er in Ägypten sich zu eigen gemacht hat. Diese beiden werden dir die Materie einer ganzen Welt mit vielem Geschick und vieler Wahrheit dartun. Freilich steckt innerhalb der Materie noch gar manches Etwas, das wohl nie ein Scheidekünstler herausbringen wird; aber die eigentlichen Elemente kann er erkennen, aus denen irgendeine Materie besteht, obschon die Elemente in sich selbst nie, weil sie Geistiges in sich fassen und nur von einem reinen Geiste wie durch und durch erkannt werden. Denn in den Elementen liegt Unendliches verborgen!

7. Aber noch Unendlicheres liegt in der Menschenseele und in deren Geiste! Das erfährt man durch alle Scheidekunst nicht, und Ich Selbst mußte ja eben darum zu euch Menschen kommen, um euch das kennen zu lehren, das keinem Menschen aus sich je hätte erkennbar werden können.

8. Also siehst du, eben deines Anstandes wegen bin Ich Selbst aus den Himmeln der Himmel gekommen und lehre euch eben das, das euch sonst niemand lehren könnte!

9. Jetzt verstehst du freilich wohl noch nicht, wie du etwas im Willen haben kannst, aber dennoch nicht handeln dem Willen zufolge, sondern du handelst dann irgend äußeren Motiven zufolge, die du nicht kennst, und des Fleisches stumme Begierden bestimmen nicht selten wider den Willen des Geistes deine Handlung. Denn der Wille ist kein Angehör des Fleisches und Blutes und der Seele, die das Fleisch und das Blut gebildet und nachher selbst ihre formelle Ausbildungsnahrung aus denselben genommen hat, sondern ein Angehör der Liebe, die da ist Mein Geist in euch, und ihr darum nicht allein Meine Geschöpfe, sondern Meine wahren Kinder seid und dereinst in Meinem Reiche auch mit Mir die ganze Unendlichkeit beherrschen werdet.

10. Aber dazu müßt ihr zuvor im Geiste völlig neu geboren werden, ansonst solches unmöglich wäre!

11. Verstehst du, Mein liebstes Töchterchen, dieses?“

Kapitel 171. Über die Wiedergeburt.

1. Sagt Jarah: „Ich verstehe es so gerade zur Not wohl; aber so völlig durch und durch noch lange nicht! Mit dem Neugeborenwerden aus dem Geiste, sooft ich's auch schon vernommen habe, will es bei mir noch nicht ins klare gehen! Wie ist denn das so ganz eigentlich zu verstehen?“

2. Sage Ich: „Das ist so ganz eigentlich jetzt weder für dich, noch für jemand andern ganz zu verstehen; denn so Ich irdische Dinge mit euch bespreche, da verstehet ihr Mich nicht völlig, – wie könntet ihr Mich wohl ganz verstehen, so Ich rein himmlische Dinge mit euch verhandeln würde?!

3. Ja, Ich sage es euch: So Ich nun anfinge, rein Himmlisches mit euch zu verkehren, so würdet ihr euch alle zu ärgern anfangen und sagen: ,Sieh, wie ist der Mensch doch unsinnig geworden! Er redet Dinge, die wider alle Vernunft und Natur sind! Wie kann man dessen Zeugnis als wahr annehmen?!‘

4. Darum werdet ihr alle die Neu- oder Wiedergeburt aus dem Geiste und im Geiste erst dann völlig verstehen, wenn Ich als der Menschen- und des Menschen Sohn, gleich dem Elias, von dieser Erde unter euren Augen entrückt sein werde!

5. Darauf erst werde Ich aus den Himmeln Meinen Geist voll Wahrheit und Kraft über alle die Meinen ausschütten, wodurch dann erst die volle Wiedergeburt des Geistes und im Geiste vollkommen ermöglicht wird, und ihr auch erst dann und dadurch eures Geistes Neugeburt begreifen und erkennen werdet.

6. Bis dahin aber kann niemand im Geiste völlig neugeboren werden, wie von Adam angefangen auch niemand, selbst Moses und alle die Propheten nicht.

7. Aber durch Meinen dir und all den andern nun verkündeten Akt werden von Adam an alle Teil an der vollen Wiedergeburt des Geistes nehmen, die in der Welt geboren wurden und in ihrem Leibesleben wenigstens eines guten Willens waren, wennschon auch nicht immer tätig danach.

8. Denn es gibt ja noch viele, die den besten Willen haben, etwas recht Gutes zu tun und auszuführen, aber es fehlen ihnen total die Mittel und die äußeren Kräfte und Geschicklichkeiten, die dazu doch so notwendig wie die Augen zum Sehen sind. Nun, in solchen Fällen gilt bei Mir der gute Wille stets soviel wie die Tat selbst.

9. Sieh, wenn zum Beispiel jemand ins Wasser fiele, und du sähest dies! Nun möchtest du dem Unglücklichen wohl gerne helfen, – aber du weißt es, daß du des Schwimmens völlig unkundig bist. Springst du dem Hineingefallenen nach, so werdet ihr beide von der Flut begraben; könntest du aber sehr gut schwimmen, da würdest du sicher ohne weiteres dem Unglücklichen nachspringen und ihn retten. Weil du aber durchaus nicht schwimmen kannst, so springst du dem Unglücklichen trotz des besten Rettungswillens dennoch nicht nach, sondern suchst schnell jemanden, der den Unglücklichen noch retten könnte und möchte!

10. Sieh, sieh, Mein Töchterchen, da gilt der gute Wille soviel als das vollbrachte Werk selbst; und das gilt für tausend und abermals tausend Fälle, wo bei Mir der alleinige gute Wille fürs Werk angenommen wird.

11. Noch ein Beispiel will Ich dir geben! Sieh, du hättest den besten Willen, einem sehr Armen, der zu dir kam, zu helfen, hättest aber selbst kein Vermögen, und doch möchtest du dem Armen helfen nach allen nur denkbaren Kräften! Da du aber selbst kein Vermögen hast, so gehst du doch zu einem und dem andern Vermögenden hin und bittest nach allen Kräften um eine rechte Hilfe für deinen Armen, bekommst sie aber der Hartherzigkeit der Reichen wegen nicht und mußt den Armen ohne Unterstützung weiterziehen lassen, weinst ihm nach und empfiehlst ihn Gott dem Herrn.

12. Sieh, da ist dein Wille dann ebensoviel als die vollbrachte Tat selbst!

13. Und solcher Menschen gab es vor uns viele, gibt es jetzt und wird es in der Folge noch mehrere geben; diese werden alle der Wiedergeburt ihres Geistes in ihrer Seele teilhaftig werden!

14. Wenn du demnach nun gleich wie alle die andern noch nicht recht begreifen kannst, worin die eigentliche Wiedergeburt des Geistes besteht, so habe Ich dir davon den Grund nun so klar als möglich gezeigt; wenn aber jüngst die Zeit kommen wird, in der du in deinem Geiste wiedergeboren wirst, dann erst wirst du auch völlig einsehen, was und warum du es nun noch immer nicht einsehen kannst! – Verstehst du nun den Grund, warum du Mich noch immer nicht ganz verstehen kannst?“

15. Sagt die Jarah: „Ja, Herr, Du meine alleinige Liebe! Nun verstehe ich es wohl! Aber man muß Dich ja verstehen; denn Du beleuchtest die Sache ja doch so rein wie die Sonne vom wolkenlosesten Himmel die Erde am Mittage!“

16. Nach diesen Worten dankte sie Mir für solch eine Belehrung und versprach Mir auch, daß sie schwerlich je wieder einmal über eine dumme Handlung eines Menschen lachen werde.

Kapitel 172. Kornelius und Jarah.

1. Kornelius aber konnte über die Klugheit des Mädchens nicht genug erstaunen; auch Faustus und Philopold verwunderten sich im gleichen Maße, und Kornelius bat Mich, ob er sich mit dem Mägdlein nun am Tische nicht über so manches besprechen dürfte. Und Ich gestatte ihm solches. Und darüber freut sich Kornelius wie das Mägdlein und alle am Tische, und Ich empfehle ihm, weise Fragen zu stellen.

2. Kornelius aber, als er an das Mägdlein eine Frage stellen soll, fängt an, sich sehr zu besinnen, um was er es so eigentlich fragen soll. Denn unter Meinem Ausdrucke: dem Mägdlein nur weise Fragen zu geben, verstand Kornelius, daß das Gespräch nicht nur zwecklose Tischplauderei, sondern etwas Gutzweckliches sein solle, und da gedachte er sehr, worin so etwas nun bestehen könnte bei einer Gesellschaft, die stets die Gelegenheit hatte, das Höchste zu vernehmen.

3. Je länger und fester er über dieses nachdachte, desto weniger fand er irgendeinen ihm dünklich würdigen Stoff, um darüber das Mägdlein zu befragen und sich darüber in ein wechselseitiges Gespräch mit demselben zu stellen. Er sann hin und her und fand nichts, das ihm da von einem besonderen Werte hätte scheinen können.

4. Nach einer ziemlichen Weile Nachsinnens sagte er (Kornelius) zu Mir: „Sieh, sieh, ich dachte, diese Geschichte ginge leichter; aber je weiter und tiefer ich hier nun nachdenke, desto weniger finde ich etwas, das sich schickte für ein so weises Kind!“

5. Sage Ich: „Nun, findest du nichts Außergewöhnliches, so frage das Mägdlein denn ums Nächste und Beste!“

6. Sagt Kornelius: „Wäre schon alles recht und gut; aber auch da hapert es! Denn um etwas gar zu Alltägliches kann ich es doch nicht fragen, und etwas Bestes darunter wüßte ich kaum, das hier nicht schon vielfach verhandelt ward!“

7. Das Mägdlein aber, des Kornelius Verlegenheit wohl merkend, sagte: „O hoher, liebster Freund, wenn du keine Frage für mich findest, da gestatte es, daß ich dich frage; denn im Fragen bin ich nicht leichtlich verlegen, – da habe ich gleich zehn Fragen für eine vorrätig!“

8. Sagt Kornelius: „Das wäre freilich ganz gut, mein allerliebenswürdigstes Kindlein! Aber so du mir eine Frage stellst, so versteht es sich von selbst, daß ich sie auch beantworten muß; wäre ich aber solches nicht imstande – was sehr leicht sein könnte, da du mir ein ganz durchdringend kluges Kind zu sein scheinst –, was dann?“

9. Sagt das Mägdlein: „Nun, was dann?! Da beantworte ich selbst meine Frage, und du beurteilst dann die Frage und die Antwort und kannst es mir darauf sagen, ob ich mich irgend geirrt habe! O sieh, es ist für mich hier auch durchaus keine Kleinigkeit, zu fragen und zu antworten; der Herr, als meine alleinige Liebe ewig, macht mir eben darum am wenigsten Bedenken, weil zwischen Seiner unendlichen und unserer allerbeschränktesten Weisheit ohnehin jeder Vergleich ins bodenloseste alles Nichtigen fällt.

10. Ob wir etwas mehr oder etwas weniger dumm reden, so ändert dies das Verhältnis zwischen uns und dem Herrn nicht im geringsten; denn wir sind aus uns ja in allem nichts gegen den Herrn, und daß in uns für Ihn etwas ist, das ist Er durch Seine Gnade Selbst in unseren Herzen.

11. Aber es gibt so einige Weise unter uns, und zwar hier an diesem Tische, vor denen ich alle Achtung habe; mit denen ist nicht ganz gut in eine Schüssel greifen!

12. Ich weiß wohl manches, das bis zur Stunde außer mir, dem Raphael und natürlich dem Herrn wohl kein Mensch wissen kann, weil ihm in solch einer unglaublichen Beziehung jede Erfahrung mangeln muß; aber was nützt es mir, in den fernen Sternen zu Hause zu sein, aber dafür fremd auf dieser unserer heimatlichen Erde?! Da ist man noch hundert und tausend Male geschlagen!“

13. Sagt Kornelius: „Wer an unserem Tische ist es denn vorzüglich, vor dem du menschlicherweise einen gar so besondern Respekt hast?“

14. Sagt die Jarah: „Dort jener Vizekönig, der nun mit dem alten Ouran den ganzen Pontus beherrschen wird! Mathael ist sein Name. Der könnte mir noch ganz besondere Nüsse aufzuknacken geben! Ich glaube, daß ich ihm auf hundert Fragen nicht eine gescheite Antwort zu geben imstande wäre!“

15. Sagt Mathael: „O du liebes Kindlein, du bist ja nun auf einmal gar ungeheuer bescheiden! Du kommst mit mir schon lange in keine Verlegenheit; denn ich kenne nur zu gut deine durchdringende Verstandesschärfe! Wenn sich schon ein Raphael mit dir ganz sonderheitlich zusammennehmen muß, um wieviel mehr dann erst unsereins! Und der Oberste Kornelius tut sehr wohl daran, sich sehr zu bedenken, über was er sich mit dir in ein Gespräch einlassen soll! Denn du bist eine, wie sonst sehr wenige deines Geschlechtes! Es ist schon wahr, daß ich auch so manches verstehe und um so manches weiß; aber dessenungeachtet möchte ich mich mit dir nie in einen gewissen Weisheitskampf einlassen, was auch eine eitle Torheit wäre! Aber mich in manchem von dir belehren lassen, wird mir stets sehr lieb, wert und teuer sein.“

16. Sagt Jarah: „Das hat ein armes Mädchen, so sie auch etwas weiß, daß dann niemand mit ihr sich etwas zu reden getraut! Darum wäre es für sie nahe besser, ein wenig weniger zu wissen, um den weiseren Freunden nicht unangenehm zu erscheinen! Aber was kann ich nun machen?! Weniger zu wissen anfangen, als ich weiß, ist unmöglich; denn ich kann ja das Licht meines Herzens nicht schwächer machen als es ist. Dieses Licht aber gibt mir in stets überschwenglicherem Maße die Liebe zum Herrn, zu dem heiligsten Vater der Väter aller Väter der Erde! Ja, wäre es mir möglich, diese meine einzige und alleinige Liebe je nur im geringsten zu schwächen, dann würde ich auch alsogleich sicherlich dümmer werden; aber es ist solches mir ja unmöglich! Und was ich darum aus diesem Lichte heraus weiß, ist ja nicht mein, sondern des Herrn Wissen in meinem Herzen, und es hat sich darum ja doch sicher niemanden zu scheuen, so wie auch ich niemand zu scheuen habe! Daher sollst du, edelster Freund Kornelius, und du, edler Mathael, auch reden können mit mir!“

17. Sagt Kornelius: „Jawohl, jawohl! Aber weißt du, allerliebste Jarah, eben darum hat es einen Haken; denn mit dir, wie ich's schon sehr klar zu verspüren anfange, ist es eben darum etwas schwer zu reden, weil du wirklich in deinem Herzen zu viel der reinsten Weisheit fassest. Oh, du bist sonst unendlich hold und lieb, und man könnte dich tagelang anhören; aber dich fragen oder sich von dir Fragen geben lassen, das ist nun schon eine ganz andere Geschichte. Gefragt wäre bald; aber hernach kommt die Antwort, und da sieht es bei mir noch sehr mager aus!

18. Auch so ein bißchen von einem Eigendünkel hat mich noch nicht ganz und gänzlich verlassen, und ich fürchte auf der Welt nichts so sehr als irgendeine Beschämung, was sicher auch nicht recht sein wird; aber ich kann da nichts dafür, denn ich bin ja von Kindheit an also erzogen, und so eine alte Gewohnheit verläßt einen nicht so schnell, als man es glauben möchte.

19. Aber warte du nur noch ein wenig, es wird mir schon noch irgend etwas so recht Gescheites einfallen; und ich werde dann eine rechte Freude haben, von dir etwas so recht Weises zu vernehmen!“

Kapitel 173. Die Frage des Kornelius an die Jarah.

1. Jarah gibt sich damit zufrieden, und Kornelius fängt an, in seinem Gehirn so recht durchzublättern; aber es will sich noch immer nicht etwas Rechtes finden lassen.

2. Nach einer Weile endlich fällt ihm etwas ein, und er fragt die Jarah um folgendes, sagend: „Nun, nun habe ich doch etwas gefunden, und so sage du mir, was denn so ganz eigentlich die Sonne ist, und aus welchen Elementen sie besteht, da sie so ein stärkstes Licht und eine kaum glaubliche Hitze auf den Boden der Erde ausgießt! Wenn du, holdeste Jarah, mir auch darüber etwas zu sagen imstande bist, so will ich dich, so du es annehmen willst, königlich belohnen!“

3. Sagt Jarah etwas ironisch: „Weißt du, hoher Gebieter, auf diese Art holt man aus einem Teiche die faulen Fische und will ihn dadurch reinigen, weil die faulen Fische das Wasser stinkend und unrein und daher auch ungesund machen! – Verstanden, Herr Oberster Kornelius?!

4. Hast du überflüssige Schätze, so wirst du der Armen, besonders hier in der vom Feuer zerstörten Stadt, in großer Menge finden, denen du nun eine königliche Unterstützung magst angedeihen lassen! Ich aber brauche von niemandem dieser Erde irgendeinen Lohn; denn ich habe alle Liebe des Herrn, und dies ist auch mein einziger und höchster Lohn!

5. O ja, ich werde dir deine Frage schon beantworten, schuldig werde ich dir nichts bleiben; aber darum belohnen lasse ich mich von dir durchaus nicht, – irdisch schon gar nicht! Denn so etwas hielte ich wohl für eine der größten Sünden; denn fürs erste entzöge ich es den wahrhaft bedürftigen Armen, und fürs zweite brächte ich dich ja um die Gelegenheit, etwas wahrhaft Gutes tun zu können, zumal ich selbst durchaus nicht ein armes Kind dieser Erde bin, im Grunde vielleicht sogar materielle Schätze besitze, die du mit dem ganzen Kaiserreiche nicht bezahlen könntest, derer ich aber eigentlich ebensowenig benötige als deiner mir angebotenen königlichen Belohnung.

6. Glaube aber ja nicht, daß hier etwa irgendeine Art Hochmut aus mir spricht, sondern die ganz reinste und harmloseste Wahrheit; denn würde ich nur einen kleinsten Funken Stolzes in mir besitzen, so würde ich nicht auf diesem Platze neben dem Herrn aller Herren und neben dem Meister aller Meister sitzen! Das, mein sonst allerliebster Freund Kornelius, ist dir ein wenig mißlungen!

7. Siehe, Menschen, die wie ich nun vom Herrn irgendeine, wennschon immer und immer unverdiente Gnade besitzen, müssen ganz anders denn die eigentlichen Natur-und Weltmenschen beurteilt und behandelt werden!

8. Du dachtest, daß ich als ein junges, höchstens vierzehnjähriges Mädchen irgendeiner ebenso eitlen Natur sein werde als die anderen Weltmägde und würde etwa sogar die höchste Freude haben, mit königlichen Kleidern angetan zu werden; allein, solche Eitelkeit ist von mir ferner als der kleinste Stern, den dein Auge am Firmamente noch irgend entdecken kann von dieser Erde, und das will doch etwa so hübsch viel heißen! Nimm darum deinen mir gemachten Belohnungsantrag nur schnell zurück, sonst beantworte ich dir deine Frage in keinem Falle!“

9. Sagt Kornelius: „Nun denn, weil ich bei dir mit meinem Antrage schon gar so schief angekommen bin, so nehme ich ihn denn deinem Wunsche gemäß ja auch recht gerne zurück und will dann das tun, was du mir angeraten hast; aber du beantworte mir dann aus Freundschaft meine dir gegebene Frage!“

10. Darauf fing die Jarah an, sich so recht zusammenzunehmen und sagte: „Du willst von mir nun erfahren, was die Sonne ist, und aus welchen Elementen sie besteht, da sie gar ein so stärkstes Licht und eine gar so mächtige Wärme und Hitze über den Erdboden auszugießen vermag?

11. Nun, ich kann dir darüber eine ganz vollwahre Auskunft erteilen; aber was wird dir eine solche nützen?! Du kannst es mir wohl glauben also, wie da irgendein Blinder jemandem glaubt, der ihm von einer Blume aussagt, daß sie gar wundersam schön rot sei. Wird sich der Blinde wohl irgend selbst überzeugen können, daß jene Blume im Ernste also wundersam rot ist? Das wird in diesem Leben wohl schwer gehen, und im andern Leben wird sich die freie Seele sicher sehr wenig darum kümmern; denn da wird sie ohnehin in einem Augenblick mehr zu überschauen imstande sein, als sich hier in mühevoll durchlebten fünfzig Jahren mit allem Fleiße erlernen läßt.“

12. Sagt Kornelius: „Da hast du, holdestes Mägdlein, wohl sehr recht! Ich werde mich ad personam meam (persönlich) wohl nie von der Wahrheit deiner mir gemachten Aussagen über die Sonne überzeugen können, daß deine mir eben darüber gemachten Aussagen im Vollernste wahr sind; aber ich weiß es nun auch, daß du mich eigentlich gar nicht anlügen kannst, weil du das, was du weißt, nur vom Herrn aus weißt und wissen kannst. Und ich kann daher dennoch alles, was du mir über die Sonne nur immer sagen kannst und willst, als eine vollkommene und ungezweifelte Wahrheit annehmen!“

13. Sagt die Jarah: „Gut denn also! Ich werde ja doch sehen, ob du mit den Achseln nicht zu zucken anfangen wirst! Und so vernimm mich denn!“

Kapitel 174. Die natürliche Sonne.

1. (Jarah:) Siehe, die Sonne ist eben auch, dieser unserer Erde ähnlich, eine bewohnbare und auch vollauf bewohnte Welt; nur ist sie um tausendmal tausend Male größer denn diese unsere Erde, die, wie du siehst, doch auch nicht klein ist. Aber das Licht, das von jener großen Welt ausgeht, ist nicht die bewohnte Sonnenerde, sondern nur eine sie allenthalben umgebende Luft, deren glatteste Oberfläche fürs erste, in steter großer Reibung mit dem sie nach allen Richtungen umgebenden Äther, in einem fort eine unberechenbare Menge des stärksten Blitzlichtes erzeugt und fürs zweite auf solch einem ungeheuren Rundspiegel das Licht von Äonen Sonnen aufnimmt und wieder nach allen Richtungen hinaus zurücksendet.

2. Durch solches Leuchten dieser unserer Sonne wird diese Erde, wie noch viele andere Erden, die wir Planeten nennen, erleuchtet und erwärmt. Die Wärme kommt jedoch nicht mit dem Lichte aus der Sonne auf dieser Erde an, sondern wird erst an Ort und Stelle durch das Licht erzeugt.

3. Das Licht kommt wohl weit her, aber die Wärme wird erst hier erzeugt, und zwar dadurch, daß durch das Licht die gewissen Naturgeister in der Luft, im Wasser und in der Erde in eine große Tätigkeit versetzt werden. Und eben diese Tätigkeit bringt erst das hervor, was wir als Wärme und, bei noch erhöhterer Tätigkeit der früher bezeichneten Geister, als Hitze fühlen und also benennen. Wie aber das Licht stets mehr und mehr ins Unendliche hin erhöht werden kann, ebenso kann dann auch die Wärme und die Hitze erhöht werden.

4. ,Aber‘, wirst du fragen, ,wer kann dann in der Sonne selbst bestehen? Denn weil dort das Licht am stärksten sein muß, so wird auch die Hitze nicht zurückbleiben!‘ Allein, es ist dem nicht also. Nach dem Innern des eigentlichen Sonnenweltkörpers dringt kaum der tausendmal tausendste Teil der ganzen Lichtkraft der Sonne, und es ist darum auf der Feste der Sonne um nicht vieles heller und wärmer denn hier auf unserer Erde, und die Geschöpfe Gottes können darum dort ebensogut bestehen und leben als auf dieser unserer Erde. Nur kann es dort keine Nacht geben, weil sich auf der Sonne alles im eigenen, unvertilgbaren Lichte befindet.

5. Von einer Nacht wissen demnach die Sonnenbewohner nichts, – können aber doch an ihrem ewigen Tage die Sterne und die samt unserer Erde die Sonne umkreisenden Planeten noch recht gut sehen. Das macht die die Sonnenerde 1200 Stunden nach allen Richtungen weithinaus umgebende, überaus reine Luft, die zwar von Zeit zu Zeit nach innen wohl von vielen und sehr dichten Wolken getrübt wird, aber darum auch wieder ganz wolkenlose Zeiten und Gegenden hat, wo die Außenwelten ganz gut gesehen und beobachtet werden können, um vieles besser als von irgendeinem andern Planeten.

6. Die Sonne dreht sich auch um ihre eigene Achse, aber nicht innerhalb von nahe fünfundzwanzig Stunden wie diese unsere Erde, sondern innerhalb von neunundzwanzig Tagen. Die Sonnenbewohner können darum innerhalb dieser Zeit den ganzen gestirnten Himmel zu Gesichte bekommen, besonders die Bewohner des Mittelgürtels, die nach meinem Gefühl wohl die weisesten und schönsten Menschen der Sonne sein dürften. Die Bewohner der andern Gürtel entsprechen mehr den verschiedenen Planeten.

7. Was aber die innere Einrichtung des ungeheuer großen Sonnenweltkörpers betrifft, so sagt mir mein Gefühl, daß da noch mehr Weltkörper gleich wie eine Hohlkugel in der andern stecken und voneinander in Abständen von zwei-, drei- bis viertausend Stunden getrennt sein können, was aber nicht als etwas Beständiges anzunehmen ist, weil sich diese inwendigen Sonnenkörper öfter sehr ausdehnen, ein anderes Mal wieder auf den Normalstand zusammenschrumpfen. Die Hohlräume sind entweder mit Wasser oder auch mit allerlei Luft ausgefüllt.

8. Wozu aber das alles so sein muß, weiß ich dir nicht zu sagen; denn darum weiß nur der hier neben mir nun sitzende Herr und Meister der Unendlichkeit. Willst du mehr erfahren, so mußt du dich schon an diesen Einzigen und Alleinigen wenden!“

9. Sagt Kornelius: „Ich danke dir, du mein liebstes, allerfreundlichstes Kindlein, für solche deine mir nun gemachte Mitteilung, die ich vom Alpha bis Omega sogar mit meinem Verstande äußerst gläubig annehme; denn ich finde nichts Widersinniges darin. Aber wie weit muß hernach die Sonne von dieser Erde entfernt sein, da sie uns, trotzdem sie eine so ungeheuer große Welt ist, so klein vorkommen kann?“

10. Sagt die Jarah: „Dafür gibt es auf dieser Erde keinen Maßstab für dermalen; die Ägypter aber hatten einen solchen, und die späten Nachkommen – in Europa aber und nicht in Asien – werden wieder einen Maßstab erfinden. Aber soviel kann ich dir dennoch sagen, daß ein Pfeil, der von der Erde mit aller Kraft nach der Sonne abgeschossen werden würde, im schnellsten Zuge bei zwanzig volle Erdenjahre zu tun hätte, bis er in der Sonne ankäme!

11. Nun kannst du selbst rechnen. Miß die Zeit, die ein abgeschossener Pfeil braucht, um tausend Mannsschritte weit zu kommen; du wirst es finden, daß der Pfeil bei aller seiner Schnelligkeit dennoch zwei Augenblicke Zeit benötigt, um tausend Mannsschritte zu durchfliegen. Eine Stunde Zeit aber erfordert 1800 solcher Doppelaugenblickszeitchen; ein Tag aber zählt 24 Stunden, und ein Jahr besteht aus 365 Tagen, was dir wohl bekannt sein wird. Weißt du nun das und kannst nur ein wenig rechnen, so wirst du es bald heraushaben, wie weit die Sonne von der Erde absteht! Mehr kann ich dir nicht sagen und kundgeben; denn wüßte ich's auch, so fehlt mir dennoch der Maßstab und die hinreichende Zahl! Stelle dir 40mal 1000mal 1000 Stunden Feldweges vor, und du hast die Entfernung von der Erde bis zur Sonne so ziemlich genau heraus!“

12. Kornelius macht große Augen und sagt: „Nein, das hätte ich in diesem Mägdlein nie gesucht; es rechnet mit den größten Zahlen von der Welt im Kopfe, wie unsereiner mit den kleinen Ziffern an den Fingern! Die ist ja weit übern Euklid, den größten Rechenmeister, hinaus! Nein, so etwas ist mir noch nicht vorgekommen! Herr, nun sage Du mir, ob ich das nun alles also anzunehmen habe! Mir kommt es wenigstens vor, daß das Mägdlein den Nagel so ziemlich auf den Kopf getroffen hat!“

Kapitel 175. Herzensbildung und Verstandesbildung.

1. Sage Ich: „Es ist dies zwar kein Evangelium; aber es ist als das, was es ist, eine Wahrheit, die mit der Zeit auch ihr Gutes haben wird, um die Menschen von manchem Aberglauben zu heilen. Denn in gar keiner Sphäre haben die Menschen einen so massenhaften Aberglauben als in der Lichtsphäre des gestirnten Himmels. Aber es ist jetzt noch nicht an der Zeit, den Menschen darüber volle Aufschlüsse zukommen zu lassen; denn nun handelt es sich vor allem darum, aus den gegenwärtigen Menschenlarven wirkliche und reelle Menschen zu bilden.

2. Das kann nur dadurch erzielt werden, daß der Mensch einmal sich selbst und danach aber auch Gott erkenne und Ihn liebe über alles aus allen seinen Kräften. Ist der Mensch einmal in solchem Grunde fest und fähig, den heiligen Geist aus Gott zu empfangen, so wird er dann auch für alle andern, bis jetzt noch unentdeckten Wahrheiten empfänglich werden und fähig, sie zu begreifen!

3. Würde man ihm aber nun damit alsogleich den Kopf anstopfen, so könnte er das gar nicht fassen und würde sich so viel des Kopfzerbrechens machen, daß er darüber wahnsinnig würde!

4. Darum ist das ein Hauptgrundsatz: Die Menschen müssen vor aller Wissenschaft erst wahre Menschen werden, ansonst ihnen was immer für eine Wissenschaft viel mehr schaden als irgend frommen kann. Denn alle Wissenschaft beschäftigt nur den Verstand, der im Gehirne seinen Sitz hat; aber das Herz als das Fundament des Lebens bleibt ungeschlacht, roh und wild, wie das eines Raubtieres, und übt mit Hilfe der Wissenschaft noch mehr Böses aus als ohne dieselbe; denn bei einem gottlosen Herzen ist die Wissenschaft eine wahre Leuchte zum Bösen aller Art und Gattung!

5. Darum, Meine Freunde und Brüder, schaffet den Blinden vorerst eine rechte Lebensleuchte ins Herz, und lasset durch solche Leuchte dann erst auch der Seele Verstand erleuchten, und es wird dann alle Wissenschaft dem Menschen zu einem wahren Segen werden!

6. Es ist wohl recht löblich, um vieles zu wissen, weil man dadurch gar manchem Menschen einen guten Rat schaffen kann; aber besser ist es, viel und wahrhaft lieben! Denn die Liebe erweckt und belebt; die Wissenschaft aber befriedigt nur und legt sich dann aufs Ruhebett!

7. Und so hilft die Wissenschaft jemandem wohl für diese Zeit ein wenig, schadet ihm aber für die Erweckung des Geistes überaus; geht sie aber mit der Weile aus dem Lichte des Geistes als eine sichere Beigabe hervor, so ist sie dann auch voll von aller Lebenswärme und belebt wie das Licht der Sonne, das eben nicht nur allein erleuchtet wie kein anderes Licht, sondern auch belebt, weil ihr Licht die Lebenswärme in sich birgt und solche, wo es hinfällt, auch mitteilt und die vorhandene noch mehr belebt und hervorzieht.

8. Glaubt es Mir, die zahllosen Wunder, die da in eben für euch unmeßbaren Räumen herumkreisen und bahnen, hat ein jeder Mensch in seinem Geiste ruhend verborgen; trachtet daher nur vor allem, daß euer Geist völlig erweckt werde, und ihr werdet das, was kein Auge je geschaut und kein Sinn je empfunden, in euch selbst in größter Klarheit allzeit schauen und durch alle anderen Sinne auch getreust empfinden können.

9. Die Gott in Mir, dem Menschensohn, wahrhaft erkennen und lieben, werden schon in diesem Leben Seligkeiten zum Genusse bekommen, von deren Herrlichkeit noch bis zur Stunde keines Menschen Sinn je etwas empfunden und gefühlt hat! Aber auf dem puren Wissenschaftswege wird wohl nie ein Mensch dahin gelangen! – Verstehst du, Kornelius, solches?“

Kapitel 176. Das Schicksal der göttlichen Lehre.

1. Spricht Kornelius: „Ja, Herr, was Du geredet, ist eine Wahrheitsfülle, die nach dem Maßstabe des reinen Menschenlebens aber wohl auch noch nie dagewesen ist; denn wäre sie je irgend ausgesprochen worden und je dagewesen, so würden sicher einige Menschen sie als das, was sie ist, aufgegriffen und streng danach gelebt haben, und die Wirkung davon wäre sicher nicht unterm Wege verblieben.

2. Aber sie ist meines doch vielumfassenden Wissens nie dagewesen, sondern bei uns Heiden gerade das Gegenteil; und es sind daher ein Sokrates, ein Plato, ein Plotin und ein Phrygius als große Geister tief zu bewundern, sowie mehrere große Männer Roms, die es bloß durch eine überheroische Mühe und Anstrengung, den Gesetzen der Vielgötterei schnurstracks entgegen, dennoch dahin gebracht haben, Dir, dem einen und allein wahren Gott, so ganz tüchtig auf die Spur gekommen zu sein.

3. Plato fand es, daß der einige und allein wahre, wennschon unbekannte Gott die reinste Liebe sein muß. Je mehr er über den unbekannten Gott nachdachte, desto wärmer ward es in seinem Herzen; und als er fand, daß diese wohltuende Wärme wuchs und ein Arzt ihm sagte, daß dies eine Krankheit wäre, da lachte Plato und sagte: ,Wenn das eine Krankheit ist, dann wünsche ich mir nur noch mehr solcher Krankheit in mein Herz; denn sie tut mir unvergleichbar wohler denn jede noch so hoch gepriesene Gesundheit!‘

4. Und Plato liebte den Unbekannten stets mehr und mehr und erzählte selbst, wie er in den höchsten Momenten seiner Liebe zu dem unbekannten Gott eben diesen Gott, als wie mit Ihm völlig vereint, geschaut und welch eine unbeschreibliche Wonne er dabei empfunden habe.

5. Ähnliches erzählen auch die andern großen Weisen; ihre Lehre wäre den Menschen gewiß sehr heilsam geworden, so sich ihrer Verbreitung die bekannten Diener der Götter nicht mit allen möglichen Scheußlichkeiten entgegengestellt hätten.

6. Aber es war allzeit also, und es wird auch wahrscheinlich noch fortan also bleiben, daß die reine Wahrheit darum noch nie den allgemeinen Platz finden konnte, weil mit der Zeit ihre nächsten Diener, von höchst gemeinen Interessen geleitet, ihr selbst in den Weg traten, sie in ein Labyrinth stellten und den anfänglichen, stets geraden und offenen Weg in tausend und abermals tausend Krümmungen bogen, die, mit finsterem Mauerwerk umgeben und umfaßt, den Sucher nimmer das Zentrum, wo der Wahrheit alter Tempel stand, finden ließen.

7. Herr, auch Deiner Lehre wird es dereinst um nichts besser ergehen, wie sich nur ein Priester in ihr hervortun wird! Lehrer müssen wohl sein, aber unter zehn ist sicher ein räudiger, und der steckt nur zu bald die andern an, und mit der Wahrheit hat es dann schon einen Haken!

8. Moses, der Weiseste aus Kahiro, der in alles eingeweihte Ziehsohn der Tochter Pharaos, schrieb die göttliche Wahrheit auf marmorne Tafeln und gebot voll Gotteskraft bei allen härtesten Strafen, nur das dem Volke zu verkünden und es anzuhalten, nach solcher Lehre zu leben und zu handeln; es sind seit ihm noch kaum tausend Jahre verronnen, und wie sieht nun die heilige Lehre der Marmortafeln aus?! Außer dem Namen keine eitle Spur mehr davon! Wo ist die alte Bundeslade, die wunderbare, die Furcht und Leben erregende? Wo die Urtafeln, die Moses mit eigener Hand geschrieben wie für eine Ewigkeit? Sieh, alles haben Mosis Nachfolger rein vertilgt, bloß ihrer schnöden Weltinteressen wegen!

9. Darum sage ich, ohne nur irgendein Prophet zu sein: Wie es allzeit war, also ist es noch und wird auch allzeit also sein, wenn Du, o Herr, Deine Lehre in die Hände der Menschen zur Verwaltung legen wirst. In tausend Jahren wird es mit ihr sicher ganz verzweifelt schief aussehen, und die Menschen werden in ihr nach Art des Diogenes die Wahrheit am hellsten Tage suchen dürfen und dennoch keine völlig finden.

10. Ah, es wird sich die volle Wahrheit wohl sehr im verborgenen bei einzelnen erhalten; aber fürs Allgemeine wird nichts Weiteres mehr dasein, als was an die Kinder Abrahams in dieser Zeit von Moses übriggeblieben ist, nämlich Schale und leere Namen! Wer versteht vom Geiste der Mosaischen Satzungen irgend mehr etwas?

11. Darum sage ich und bleibe dabei: Die Menschen waren stets also und werden mit kleinen Unterschieden auch also bleiben.

12. Etwas Neues wird sie stets neugierig und angeregt machen; wie sich aber die Menschen nur ein wenig daran gewöhnt haben, dann wird ihnen auch bald das Erhabenste alltäglich, wertloser und gleichgültig! Soll es für sie noch irgend etwas Anregendes haben, so muß es zum öfteren mit allerlei Seltenheiten aufgefrischt werden, und es muß darin irgendein der Hauptsache freilich nie schaden könnender Wechsel vorkommen, sonst fängt die Menschheit von neuem an, unter unausgesetzten Blitzen und Donnern, aus purer Langeweile goldene Kälber zu formen und um sie einen lustigen Tanz zu halten.

13. Ja, es sind danach sogar manche Priester sehr zu entschuldigen, daß sie dem Volke anstatt der echten Ware den elendsten Flitter als etwas rein Göttliches verkaufen; denn ist der Strom der Finsternis einmal aus sich selbst heraus zu mächtig geworden, da ist auch ein Schwimmen gegen denselben zur Unmöglichkeit geworden, und der bestwillige Priester, wenn er für sich ganz im stillen auch irgendein rechtes Wahrheitslichtlein besitzt, muß NOLENS SEU VOLENS mit dem Strome schwimmen, sonst geht er ohne weiteres unter!

14. Herr! So alt die Menschheit auf dieser Erde ist, war dies Übel unverrückbar ihr steter Geleitsmann, was durchaus nie und nimmer geleugnet werden kann; wäre denn die Menschheit von diesem alten Übel nicht und nimmer total und radikal zu heilen? Denn ich sehe keinen Grund ein, warum die Menschheit darin stets und von neuem verschmachten und zugrunde gehen soll!“

Kapitel 177. Die Würde der menschlichen Willensfreiheit.

1. Sage Ich: „Ja, höre du Mein Liebster! Das ist eine Sache der höchsten Notwendigkeit auf jenem Weltkörper, auf dem die Menschen bestimmt sind, aus sich selbst heraus zu wahren Gotteskindern zu werden!

2. Die geringste geistige, von Mir ausgehende Beschränkung des freiesten Willens würde solche Meine Absicht ganz zunichte machen!

3. Darum muß hier (auf Erden) gleichfort für die Ergreifung jedes erdenklichen Lasters bis tief unter die ärgste Hölle hinab, so wie auch für die Ergreifung der höchsten Tugend bis über alle Himmel hinaus, der freieste Entwicklungsraum vollkommenst gestattet sein, ansonst ist es mit dem Werden der Kinder Gottes auf dieser dazu bestimmten Erde nichts!

4. Und darin liegt ja eben der geheime Grund, warum selbst die wundervollste Gotteslehre mit der Zeit in den schmutzigsten Kot hinuntergetreten wird!

5. Niemand wird von Meiner Lehre sagen können, daß sie nur irgend etwas Unnatürliches, Unbilliges und Unmögliches verlange; und doch werden sich mit der Zeit solche Härten und Unausführbarkeiten einstellen, die dem ganzen Umfange nach kein Mensch wird zu beachten imstande sein.

6. Man wird da im übertriebenen Eifer Menschen zu Hunderttausenden hinschlachten, ärger denn die wildesten Waldbestien, und wird der Meinung sein, Gott einen äußerst angenehmen Dienst zu erweisen.

7. Ja, Ich Selbst werde Mich von den Menschen, so sie es wollen, müssen gefangennehmen und am Ende sogar dem Leibe nach töten lassen, um eben dadurch den Menschen den freiesten und höchsten Spielraum ihres Willens zu geben; denn erst aus dieser höchsten und allerunbeschränktesten Freiheit heraus sind dann die Menschen dieser Erde vollkommen in den Stand gesetzt, sich zu den wahrsten und Gott in allem vollkommen ähnlichen Kindern und Selbstgöttern zu erheben.

8. Denn wie Ich Selbst nur durch Meine allerunbeschränkteste Willenskraft und Macht Gott bin von Ewigkeit zu Ewigkeit, ebenso müssen es auch die Kinder Meiner Liebe werden für ewig!

9. Um aber das zu werden, ist eben jener geistige Bildungsgang vonnöten, der dir noch durchaus nicht munden will. Aber denke du nur so ein wenig nach, und du wirst es finden, daß es da unmöglich anders sein kann!

10. Wo das Höchste zu erreichen ist, muß auch das Niederste vorhanden sein!“

11. Hier denkt Kornelius ein wenig nach und sagt nach einer Weile: „Ja, ja, Herr, es fängt ein wenig an zu dämmern in meiner Brust! Ich sollte die Sache wohl begreifen; aber es gibt noch so manche Wolken und Nebel, durch die meine Seele noch keinen rechten Schein bekommt. In gewissen Augenblicken gewahre ich aber doch, daß es in mir heller wird, und da begreife ich so manches, und so begreife ich nun auch das gerade also, daß es mir nicht möglich wäre, dagegen irgendeinen Zweifel zu erheben; aber daß ich in voller Klarheit in dieser bisher wohl niemandem bekannten Weisheitssphäre zu Hause wäre, von dem ist bei mir noch lange keine Rede!

12. Du, o Herr, könntest mir wohl auch in dieser Sphäre ein nur etwas mächtigeres Lichtlein in mein Herz stellen!“

13. Sage Ich: „Das könnte Ich wohl, – aber dann wäre das stärkere Licht nicht dein, sondern pur Mein Werk und somit etwas Fremdes in dir; du brauchtest dann nicht zu suchen, nicht zu bitten und nirgends anzupochen.

14. Ich aber will es, und muß es also wollen, daß ein jeder Mensch auf dem von Mir vorgezeichneten Wege fortschreitet und sich mit eigener Mühe und Aufopferung das erwirbt, dessen er für hier und für jenseits bedarf, ansonst er nie vollauf selbsttätig und eben darum auch nie selbständig werden könnte.

15. Volle Selbständigkeit aber ist zur möglich höchsten Seligkeit eines der allernötigsten Stücke.

16. Siehe an einen noch so gut gestellten Diener! Er hat bei seinem Herrn nahe alles, was sein höchst vermögender Herr hat; er kann die besten Speisen genießen und trinken den Wein von seines Herrn gastlichem Tische. Macht sein Herr Reisen zu Wasser oder zu Land, so nimmt er seinen Diener mit, und was da der Herr genießt, das genießt auch sein Diener. Aber dennoch ist die Seligkeit beider verschieden.

17. Der Diener denkt sich oft: ,Ich habe einen guten Herrn, und er verlangt nichts von mir, das ich unbillig nennen könnte, und ich bin sehr geachtet und gut gehalten; aber so ich mich doch irgend einmal übernähme, da könnte er zu mir dennoch sagen: ,Mein Knecht, ich hielt dich wie meinen eigenen Sohn und verlangte darum nur einen leichten und billigen Dienst von dir. Aber du übernahmst dich und fingst an, einen Herrn zu spielen; darum kann ich dich nicht mehr als einen Diener gebrauchen. Verlasse darum mein Haus!‘ Da müßte ich gehen und wäre dann ein Bettler; aber mein Herr bliebe der Herr seiner vielen Güter.‘

18. Siehe, du Mein Freund, dieser Gedanke verleidet dem Diener gar oft seine Seligkeit! Aber der Herr ist wahrhaft glücklich – ob er schon seinen treuen Diener sehr liebhat, so darf es ihm dennoch nie bange sein, so ihn dieser verließe; denn für diesen einen bekommt er leicht Hunderte. Er bleibt der hochbegüterte Herr und selbständige Eigentümer von sehr vielen Gütern und unermeßlichen andern Schätzen. Seine Glückseligkeit kann daher nicht getrübt werden, während die zufällige des Dieners in jedem Augenblick einen Garaus bekommen kann. Und siehe, ebenso verhält es sich hier!

19. Solange Ich als allen Lebens und allen Lichtes Herr euch in einem fort Leben und Licht einhauchen muß, seid ihr nur Meine Knechte und Diener; denn Ich kann euch das Leben und das Licht erhalten so lange, als Ich allein es will. Woher wollet ihr dann Licht und Leben euch verschaffen?! Muß nicht schon der Gedanke an die Möglichkeit des nun Gesagten eine ganz bedeutende Bangigkeit in dir erwecken?!

20. Wo aber in einem Gemüt noch irgendeine Angst, Furcht und Bangigkeit erweckt werden kann, da ist von einer vollkommenen Seligkeit unmöglich irgendeine Rede!“

Kapitel 178. Des Menschen Anlage und Bestimmung.

1. (Der Herr:) „Eben darum aber bin Ich ja Selbst auf diese, für die Zeugung Meiner wahren Kinder bestimmte Erde gekommen, um euch von den Banden der geschöpflichen Notwendigkeit zu befreien und euch den Weg zur wahren, selbständigen, ewigen Lebensfreiheit zu zeigen durch Wort und Tat und ihn zu bahnen und zu ebnen durch Mein euch allen vorangehendes Beispiel.

2. Nur auf diesem Wege allein wird es möglich sein, einzugehen in die nie ermeßbare Herrlichkeit Gottes, Meines und eures Vaters.

3. Denn als Mensch bin Ich Mensch, wie ihr Menschen seid; aber in Mir wohnt die Urfülle der göttlichen Herrlichkeit des Vaters, der in Sich pur Liebe ist. Und nicht Ich als euer Mitmensch rede nun das zu euch, sondern das Wort, das Ich zu euch rede, ist das Wort des Vaters, der in Mir ist, und den Ich wohl kenne, ihr Ihn aber nicht kennet; denn würdet ihr Ihn kennen, so wäre Meine Sendung eitel. Aber eben, weil ihr Ihn nicht kennet und noch nie erkannt habt, bin Ich Selbst gekommen, um Ihn euch zu zeigen und vollauf kennen zu lehren.

4. Das aber ist des Vaters Wille, daß alle, die an Mich, den Sohn des Menschen, glauben, daß Ich vom Vater ausgesandt bin, das ewige Leben und die Herrlichkeit des Vaters in sich haben sollen, um wahrhafte Kinder des Allerhöchsten zu werden und für ewig bleibend zu sein!

5. Um aber das zu werden, müssen in dieser Welt Himmel und Hölle unter einem Dache wohnen! Ohne Kampf gibt es keinen Sieg! Wo das Höchste zu erreichen möglich ist, muß dafür auch die höchste Tätigkeit in den vollsten Anspruch genommen sein; um ein Extrem zu erreichen, muß man sich von einem entgegengesetzten Extrem zuvor loswinden.

6. Wie aber könnte irgendein höchstes Extrem ohne ein niederstes auch nur denkbar sein?! Oder kann sich jemand aus euch Berge ohne dazwischenliegende Täler denken?! Werden die Höhen der Berge nicht nach der größten Niederung eines Tales bemessen?! Es muß also sehr tiefe Täler geben, und wer in des Tales Tiefe wohnt, muß mit viel Beschwerden kämpfend auf die Berge emporklimmen, um die freieste und weiteste Aussicht zu gewinnen. Wären aber keine Täler, so gäbe es auch keine Berge, und niemand könnte irgendeine Höhe mit einer nur ein wenig über die Gewöhnlichkeit hinausreichenden Fernsicht besteigen.

7. Das ist zwar nur ein materielles Gleichnisbild; aber es birgt dennoch das Ähnliche und Entsprechende der endlos großen geistigen Wirklichkeit in sich, – für den, der denken kann und will, wird es stets bedeutungsvoller sich gestalten.

8. In der Sphäre des inneren Lebens aber seid ihr berufen und erwählt, das Höchste zu erreichen, – also muß es ja auch ein Unterstes unter euch geben; und dazu habt ihr den vollkommenst freiesten Willen und die Kraft, das Unterste in euch selbst zu bekämpfen mit der euch von Gott aus für ewig ganz zu eigen verliehenen Kraft.

9. Siehst du, Mein lieber Freund Kornelius, also stehen die Sachen, Dinge und Lebensverhältnisse in dieser Welt, weil sie eben also stehen müssen! Und du wirst nun hoffentlich wohl kaum noch mit einer Frage darüber kommen!

10. Ich könnte dich im Geiste führen in einen andern Weltkörper, auf dem du alles in einer Vollendung antreffen würdest, gleichwie du die Machwerke der Tiere in einer unnachahmlichen Vollendung antriffst; aber wozu nützt ihnen diese stets gleich wiederkehrende Vollendung? Sie deckt nur ihr höchst kümmerliches und einförmiges Lebensbedürfnis; aber auch nur um ein Haarbreit darüber hinaus findest du nichts!

11. Können bei solchen Verhältnissen wohl Gotteskinder erzogen werden?!

12. Aber in euch Menschen liegt Unendliches, nur entwickelt ist es nicht; darum kann das Kind, wenn es in die Welt kommt, gar nichts und steht tief unter jeder Gattung eines neugeborenen Tieres.

13. Aber eben, weil es gar so nackt, so schwach und total unbehilflich und nahe über einen Meerespolypen bewußtlos dasteht als ein gänzlich leeres Gefäß, kann es bis zum höchsten göttlichen Bewußtsein emporklimmen und jeder Vollendung gewärtig werden!

14. Habt daher wohl acht auf alles, was Ich nun gesagt habe, und handelt danach, so werdet ihr auch unfehlbar das erreichen, wozu ihr alle berufen und erwählt seid für Zeit und Ewigkeit! – Sage Mir nun, du Freund Kornelius, wie du nun über diese Erde und ihre Menschen im Lichte und in der Finsternis bei dir selbst denkst!“

Kapitel 179. Die Erinnerung des Kornelius an die Geburt des Heilandes.

1. Kornelius dachte eine Weile darüber nach und sagte endlich voll der höchsten Verwunderung: „Herr, Herr, – ja, ganz gut, ja! Aber es bleibt ewig dabei, daß, wenn Du eingingest unter meines Hauses Dach, ich dessen nie wert sein kann! Denn Du ganz allein bist ja Derjenige, von dem der große Judenkönig David, dessen Psalmen ich schon in meiner Jugend gelesen habe, geweissagt hat, indem er sprach: ,Machet die Tore weit und die Türen hoch, auf daß der König der Ehren einziehe! Wer ist der König der Ehren? Es ist der Herr Zebaoth, mächtig im Streite!‘ (Psalm 24,7-8)

2. Solches habe ich schon, wie gesagt, in meiner Jugend gewußt, und sonderbar: es mußte sich fügen, daß ich Zeuge Deiner Geburt zu Bethlehem sein mußte und zugleich derjenige, der Deinen irdischen Eltern einen Weg zur Flucht vor der grausamsten Nachstellung des alten Herodes zeigte.

3. Damals aber zählte ich erst fünfundzwanzig volle Jahre, und ich bin nun um gute dreißig Jahre älter, habe unter dieser Zeit sehr vieles durch- und mitgemacht, habe vieles gesehen, gehört und erfahren; aber trotz alledem sind mir die sonderbaren Worte Davids und Deine Geburt und alle sie begleitenden Erscheinungen noch so lebendig vor den Augen schwebend, als hätte ich sie erst gestern oder vorgestern, wie man zu sagen pflegt, mit Haut und Haaren erlebt. Und inzwischen vernehme ich wieder: ,Machet die Tore weit und die Türen der Welt hoch, auf daß der König der Ehren einziehe! Wer aber ist der König der Ehren? Es ist der Herr Zebaoth, mächtig im Streite!‘

4. Und ich sagte mir geheim diesen Text vor schon damals bei Deiner Geburt, und als Du, o Herr, mir meinen Knecht heiltest und ich dann noch die übergroße Gnade hatte, mit Dir zusammenzukommen, sagte ich mir die Verse vor in meinem Dich über alles achtenden und liebenden Herzen! Und so sage ich nun auch und bezeuge, daß Du allein der große, ewige König der Ehren bist, von dem der weise Großkönig der Juden gesungen hat in seinem prophetischen Geiste! Und wärest Du nicht jener König Zebaoth, wie könntest Du solches von den Menschen dieser Erde reden, wie Du soeben geredet hast?!

5. Ja, wenn unsereinem solche Deine heiligsten Worte nur auch so recht überfest im Gedächtnisse blieben! Aber bei mir war leider das Gedächtnis nie die stärkste Seite; jedoch die Hauptsache, das ist der Kern, bleibt mir doch! Aber es geht das uns nun von Dir Gesagte schon über alle Menschenbegriffe zu himmelweit hinaus, und obschon ich wenigstens es so ziemlich verstehe, was damit gesagt sein will, so ist aber die Sache mir dennoch so wie ein heller Traum, und ich werde sehr zu tun haben, das daheim meinem Hause so evident als möglich zu erörtern, weil mein Gedächtnis nicht alle Punkte so stetig behalten kann, als wie sie von Deinem heiligsten Munde ausgegangen sind.“

6. Sage Ich: „Oh, dem ist ja doch bald und leicht abgeholfen! Sieh, da haben wir ja den Engel Raphael; laß ihm nur einige Blätter guten Lederpapieres reichen, und er wird diese Meine ganze Rede, die von einer sehr mächtigen Bedeutung ist, für dich sogleich niedergeschrieben haben!“

7. Mit der höchsten Freude von der Welt ruft Kornelius sogleich seine Dienerschaft und läßt sich bei zwanzig Blätter des besten Lederpapiers bringen, etwas Schwärze und einen goldenen Schreibstift.

8. Der Engel rührt nur mit dem in die Schwärze getauchten Schreibstifte das Lederpapier an, und im Augenblick sind alle zwanzig Blätter in gerechter Proportion (Verhältnis) angefüllt.

9. Darauf gibt der Engel die zwanzig Blätter dem Kornelius zum Durchschauen, und Kornelius kann nun nicht genug erstaunen, wie möglich der Engel dies gar so endlos schnell habe zu Papier zu bringen vermocht. Denn Kornelius war vorher noch nicht Zeuge gewesen, als unser Raphael bei früheren Gelegenheiten Proben von seiner Schnellschreiberei an den Tag gelegt hatte, daher es ihn denn auch um so mehr wundernahm, daß dieser Engel gar so wunderbar schnell mit dem Aufschreiben Meiner ausgesprochenen Worte fertig war, und das dazu noch in griechischer und lateinischer Zunge und so wortgetreu, daß daran nicht ein Häkchen mangelte.

10. Darauf ward aber auch Kisjonah, Faustus und der bekannte Philopold im höchsten Grade aufmerksam und voll Verwunderung, und der höchst wißbegierige Philopold fing an, den Raphael um die Möglichkeit zu fragen, der zufolge man so etwas niederschreiben könne in solch einer enormsten Schnelligkeit.

11. Der Engel aber sagt: „Freund, das ist unsereinem wohl allzeit und mit des Herrn Hilfe sehr leicht möglich, – aber dir zu erklären wie, rein unmöglich. Denn es ist dies eine Eigenschaft, die ein jeder vollkommene Geist besitzt, nicht nur ein solches Schreiben, sondern jede noch so große Krafthandlung in einem Augenblick zu vollenden. Willst du einen Berg oder ein ganzes weithin gedehntes Gebirge zerstört oder vernichtet haben, oder ausgetrocknet einen See, oder zu Land gemacht ein Meer, oder vernichtet eine ganze Erde oder die um tausendmal tausend Male größere Sonne, oder du wolltest mich senden zu einem der allerentferntesten Sterne und verlangtest vom selben ein Zeichen, daß ich richtig dort gewesen war, so würde auch das in einem so schnellen Augenblick geschehen, daß du es wohl mit deinen Sinnen nie wahrnehmen könntest, daß ich einmal auch nur im geringsten fühlbar abwesend gewesen wäre. Nun, wie dieses geschieht und möglich geschehen kann, kann nur der reine Geist begreifen!

12. Wirst du einmal ganz wiedergeboren aus dem Geiste sein, so wirst du das auch verstehen, einsehen und ein Gleiches machen können; aber solange du nicht im Geiste wiedergeboren bist, kannst du solche Eigenschaften der reinen Geister unmöglich erkennen, und würde ich sie dir noch so klar enthüllend zeigen! Frage dich aber selbst, wie dein Gedanke in einem kürzesten Augenblick von hier in Rom oder in Jerusalem sein kann und hier bei dir selbst auch wieder! Kannst du, mein Freund Philopold, dir das erklären, so wirst du auch bald meine Schnelligkeit begreifen.“

13. Sagt Philopold: „Ja, ja, du herrliches, wundersames Engelswesen, der Gedanke zuckt wohl hin und her, und niemand kann dessen Schnelligkeit bemessen; aber es wird aus dem Gedanken auch nichts, er ist ein höchst flüchtiges Bild. Will jemand seinen Gedanken realisiert haben, so muß er gar mühsam mit seinen Händen daran, und es braucht dann eine lange Zeit, bis des Gedankens Bild in der Wirklichkeit ersichtlich wird; bei dir aber ist wundersamst der Gedanke auch schon ein vollbrachtes Werk. Siehe, das ist ein gar gewaltiger Unterschied zwischen meinen und deinen Gedanken!“

Kapitel 180. Wesen und Bestimmung der Engel.

1. Sagt der Engel: „Gar kein Unterschied! Laß deinen Geist erst die Wiedergeburt erreichen, und dein Gedanke wird in allem, was in der Ordnung Gottes begründet ist, auch als ein vollkommen vollendetes, göttliches Wunderwerk dastehen!

2. Glaube ja nicht, daß ich es bin, der dies handelt und tut, sondern es handelt, wirkt und tut dies alles des Herrn Geist, der eigentlich mein innerstes Wesen ausmacht und erfüllt; denn wir Engel sind im Grunde ja nichts anderes als Ausstrahlungspunkte des göttlichen Geistes! Wir sind gewisserart der personifizierte, kräftigst wirkende Wille Gottes; unser Wort ist Seines Mundes Rede und unsere Schönheit ein kleiner Spiegelabglanz von Seiner unendlichen Herrlichkeit und nie ermeßbaren Majestät.

3. Wenn aber auch Gott der Herr in Seiner Weisheits und Machtmajestät unendlich ist, so ist Er aber dennoch in der Liebe des Vaters hier als ein begrenzter Mensch bei und unter euch. Und eben diese Liebe, die Ihn Selbst zum Menschen vor euch zeihet, macht auch uns Engel zu Menschen vor euch, ansonst wir nur Licht und Feuer sind, hinauszuckend durch alle die endlosen Räume als große, schöpferische Gedanken, erfüllt mit Wort, Macht und Willen von Ewigkeit zu Ewigkeit!

4. Den Geist aber, und noch mehr die eigenste Liebesflamme aus dem Gottesherzen, der zufolge ihr erst so eigentlich zu wahren Gotteskindern werdet, bekommet ihr Menschen dieser Erde eben jetzt erst und seid demzufolge unaussprechbar über uns hinaus bevorzugt, und wir werden euren Weg zu wandeln haben, um euch gleich zu werden.

5. Solange wir Engel alle also bleiben, wie wir nun sind, da sind wir nichts als Arme und Finger des Herrn und rühren und bewegen uns erst dann handelnd, wenn wir vom Herrn also angeregt werden, wie ihr eure Hände und Finger zum Handeln anreget. Von uns gehört alles, was du an mir siehst, dem Herrn; nichts ist als irgend selbständig uns zu eigen, – es ist eigentlich alles an uns der Herr Selbst.

6. Ihr aber seid berufen und bestimmt, das zu werden in der vollsten Selbständigkeit, was der Herr Selbst ist; denn zu euch wird es noch vom Herrn aus gesagt werden: ,Ihr müsset gleich so vollkommen sein in allem, wie endlos vollkommen euer Vater im Himmel ist!‘

7. Wenn aber vom Herrn solches zu euch Menschen gesagt wird, dann werdet ihr daraus erst vollauf ersehen, zu was endlos Großem ihr berufen und bestimmt seid, und welch ein unendlicher Unterschied dann zwischen euch und uns obwaltet!

8. Nun seid ihr freilich wohl erst Embryonen im Mutterleibe, die mit der ihnen eigenen kleinsten Lebenskraft keine Häuser bauen können; wann ihr aber aus dem wahren Mutterleibe des Geistes wiedergeboren werdet, dann werdet ihr auch also zu wirken vermögen, wie da wirkt der Herr!

9. Ich sage dir noch etwas, was der Herr Selbst zu euch sagen wird, so ihr vollends lebendig im Glauben und in aller Liebe zu Ihm verbleiben werdet. Siehe, dies wird Er zu euch sagen: ,Ich tue Großes vor euch, aber ihr werdet noch Größeres tun vor aller Welt!‘

10. Sagt der Herr etwa solches auch zu uns? O sicher nicht, denn wir sind ja eben des Herrn Wille und Tat, der gegenüber der Herr, wie gegen Sich Selbst zeugend, zu euch solche Weissagung machen wird.

11. Aber es wird des Herrn endloseste Liebe, Gnade und übergroße Erbarmung auch mit der Zeit für uns Engelsgeister einen Weg bestimmen, auf welchem wir euch vollends ebenbürtig werden werden.

12. Der Weg, den nun der Herr Selbst geht, wird noch der Weg aller urgeschaffenen Geister aller Himmel werden, – aber freilich nicht von heute bis morgen, sondern nach und nach im gleich fortwährenden Verlauf der nimmer und nimmer irgendwann endenden Ewigkeit, in der wir aus Gott wie in einem unendlich großen Kreise auf- und nieder- und hin- und hersteigen, ohne je des Kreises äußerste Linie zu berühren. Aber wenn auch etwas noch so lange auf sich warten läßt, so geschieht es endlich doch, weil es sich in der großen Ordnung des Herrn treu und wahr befindet; was sich aber einmal darin befindet, das geschieht auch, – auf das Wann kommt es da wahrlich nicht an! Ist es einmal geschehen, so ist es da, als wäre es schon von Ewigkeit dagewesen.

13. Du, lieber Freund Philopold, bist vor hundert Jahren noch nicht geboren gewesen und warst somit nicht da, wie du nun da bist; kommt es dir aber wohl vor in deinem Gefühle, als wärest du nicht allzeit dagewesen? Nur die kalte Rechnung deines Verstandes zeigt es dir, daß du nicht immer da warst; aber dein Gefühl und deine lebendigste Empfindung zeigen dir das allerblankste Gegenteil.

14. Ebenso zeigt dir dein kalter Verstand, daß du einmal sterben und somit als das, was du nun bist, für diese Erde für immer und ewig vergehen wirst; frage aber dein Gefühl und deine Empfindung dagegen, diese beiden werden von irgendeinem Sterbe- und Vergehungsakt von dieser Erde nichts wissen und auch nichts wissen wollen.

15. Nun, wer hat da Recht und Wahrheit in sich, – der kalte Verstand oder das warme Lebensgefühl? Ich sage es dir: Beide, der Verstand und das warme sich selbst bewußte Lebensgefühl! Der Verstand als geordnete Gehirnbibliothek der Seele wird mit dem Wegfall des Leibes wohl offenbar mit demselben von der Seele fallen. Samt den andern Teilen des Leibes und dessen Gliedern muß auch sein materielles Wahrnehmungs- und Berechnungsvermögen als vergänglich auch die Empfindung der Vergänglichkeit in sich haben; anders aber ist es mit dem Lebensgefühl und mit dem Sich-seiner-selbst-bewußt-Sein, das, weil geistig aus Gott, nie einen Anfang genommen hat und darum auch nie ein Ende nehmen kann!

16. Aus diesem Grunde ist es denn der Seele auch sogar in ihrem materiellsten Zustande unmöglich, sich als einst vergänglich und zu sein aufhörend zu denken. Und so geht es der Seele stets heller und heller, und wird sie erst vollends eins mit ihrem ihr innewohnenden Geiste aus Gott, dann wird das Gefühl des Lebens so klar und mächtig, daß darauf das Vergänglichkeitsgefühl aus der kalten Rechnung des Verstandes jede Bedeutung und jede Kraft verliert.

17. Der Grund davon liegt darin, daß der alle Lebenskräfte der Seele durchdringende Geist des Herrn auch die nervengeistigen Teile des Leibes durchdringt und ihnen dadurch alles Vergehungsgefühl benimmt. Dieses wird aber wieder dadurch zustande gebracht, daß durch den Geist am Ende alle eigentlichen, ätherischen leiblichen Lebensstoffe gleich den Lebenssubstanzen der Seele unsterblich werden.

18. Du, mein lieber Philopold, der du auch von oben her bist, wirst nun leicht ersehen, daß ein Geist alles erwarten kann und eine noch so lange Zeitendauer für ihn eigentlich nichts ist; denn einst kommt nach der Ordnung des Herrn doch auch die segenvolle Reihe an ihn, und es fragt sich dann, welcher Teil der Ewigkeit für ihn der längere ist, – ob der durchlebte und durchhandelte oder der noch zu durchlebende und zu durchhandelnde?!

19. Ich bin zwar jetzt noch das, was ich bin, und dieser Scheinleib ist noch lange kein eingezeugtes und dann ausgeborenes, mit einer substantiellen Seele erfülltes Fleisch und Blut; aber es ist dies dennoch eine schon bedeutendere Annäherung dazu, und es dürfte die Zeit zur vollsten Verwirklichung solcher Gnade eben nicht zu lange auf sich warten lassen, und ich werde das sein, was du nun bist!

20. Rühme mich nun darum nicht, dieweil du mich Wunderbares hast verrichten sehen; denn weil ich eigentlich noch kein Ich bin, sondern mein Ich ein ledigliches Willens-Ich des Herrn ist, so ist also auch ob des Wunderwerkes nur der Herr allein in Sich Selbst zu rühmen und zu preisen, der auch ohne mich in meiner Erscheinlichkeit solches und noch endlos Größeres bewirkt hätte.

21. Aber Er ist eben Der, der die heilig-große Rede an den Kornelius hielt, die ich für ihn dann aufschrieb; du kennst Ihn schon von Kane bei Kis aus, und wirst Ihn nun noch tiefer kennenlernen. – Es wird aber nun gleich etwas geben, wo Er wieder reden wird pure Worte alles Lebens.“

Kapitel 181. Die Schöpfungsphilosophie des Philopold.

1. Philopold wendet sich darauf zum neben ihm sitzenden Kisjonah und sagt zu ihm: „Hast du samt mir nun endlich einen rechten Begriff von einem Engel Gottes? Sieh, es war dies ja stets auch meine Behauptung, daß die Engel eigentlich keine Persönlichkeiten, sondern nur mit dem Willen aus Gott erfüllte Ideen sind und in einer bestimmten Gestalt nur dann ersichtlich, wenn solches von Gott aus als notwendig bestimmt wird. Da aber Gott wohl eine ewige Unzahl von allerlei großen und mitunter auch mehr kleinen Nebenideen haben wird, so ist es ja sicher, daß diese Ideen, wenn sie in was immer für einer Art realisiert werden sollen, mit der Macht und Kraft des göttlichen unwandelbaren Willens erfüllt sein müssen, ansonst sie nie entweder in ein wirkendes oder schon bewirktes Sein treten könnten.

2. Alle Geschöpfe, die als bleibend entweder auf eine Zeit oder auch auf immerdar sich in einer bestimmten ersichtlichen Form befinden – als etwa eine ganze Welt und alles, was sie faßt und trägt, und woraus sie besteht –, sind von Gott ausgegangene Ideen, die sich schon in einem bewirkten Sein befinden. Aber um ein bewirktes Sein zustande zu bringen, müssen von Gott auch beständig zumeist formlose, ganz frei wirkende Ideen ausgehen, die auch mit Seinem Willen erfüllt sind, aber nur um zu wirken und Formen zu schaffen, aber nicht um selbst eine Form zu sein, in der sich Kraft und Intelligenz einigten, um als solche erst gottähnlichst aus dem eigenen Zentrum auf die objektiv ausgegangenen Ideen also einzuwirken, daß sie in einer gewissen planmäßigen Ordnung zu zwecklichen Formen würden, sondern stets formlos zu sein und für alle Formen als tauglich wirkend dazusein, wie solches schon der weise Plato von der Ursprünglichkeit der menschlichen Seele behauptet hat.

3. Dieser Engel hat nun freilich wohl eine Form, aber diese Form ist eigentlich an und für sich nichts, weil nicht bleibend; aber sie steht also, wie sie da ist, dennoch nahe auf dem Punkte, von der Grundidee Gottes als ein für sich selbst daseiender großer Gedanke frei und nur von sich selbst abhängig dazustehen und in sich und für sich selbst zu wirken, teils mit dem nun getrennten, eigenen Materiale und teils mit dem aus Gott gleich fort und fort Einfließenden.

4. Darin aber scheint mir auch die große Idee der eigentlichen, wahren Kindschaft Gottes zu liegen. Denn solange eine Idee mit der Gottheit, als unisoliert, identisch ist, kann von ihr aus an keine Selbsttätigkeit und somit auch an keine Selbständigkeit gedacht werden; nur dann erst, wenn sie uns Menschen dieser Erde in allem gleichgestellt ist, kann sie auch das werden und sein, wozu wir Menschen berufen sind.

5. Sage mir, ist meine Ansicht richtig oder nicht?!“

6. Sagt Kisjonah: „Ja, ja, ich finde nichts unrichtig Beurteiltes darin! Freilich bin ich wohl nichts weniger als irgendein Weltweiser; aber dennoch finde ich mit meinem ganz natürlichen Weltverstande, daß du nun sehr weise geredet hast, und es freut mich, an dir einen so weisen Freund und Bruder im Herrn zu besitzen. Wir werden daheim noch vieles darüber zu sprechen haben; aber nun harre ich dennoch schon wieder auf irgendein Lebenswort aus dem Munde des Herrn!

7. Der Engel da hat wohl schon etwas angekündigt; aber es kommt noch nichts vor, und der Herr, wie ich merke, ist über unserm Weisheitsdiskurs ein wenig eingeschlafen, und es hat nun somit wenig Anschein, als würde Er nun bald über irgend etwas Seinen heiligsten Mund auftun.

8. Das weise Mädchen, das dem Kornelius soviel zu denken machte, ist auch eingeschlafen, auch der Oberstatthalter, und wie ich es nun merke, so schlummern nun mehrere an unserem Tische; aber an den andern Tischen geht es recht lebhaft zu! Mir kommt es vor, daß dieser Tisch durch des Engels und besonders durch deine Weisheitsentwicklung so schläfrig geworden ist!?

9. Weißt du, mein liebster Philopold, ich höre dich ungemein gerne an, wenn du so von übersinnlichen Dingen zu reden beginnst; aber hier in Gegenwart des Allerhöchstweisesten hättest du des Guten beinahe zuviel getan! Nun, der Engel hat uns zwar auch eine lange Rede gehalten; aber der redete rein nur aus dem Herrn heraus, und so war das gewisserart eins, ob er oder ob der Herr da Selbst gesprochen hätte. Aber als dann du zu reden begannst, so war das nur deine Ansicht, nach all dem, was du vom Engel vernommen hattest, und das, scheint mir's, hat die Schläfrigkeit an unserem Tische also hervorgerufen! – Bist du selbst nicht auch so ungefähr dieser Meinung?“

10. Sagt Philopold: „Ja, ja, du dürftest gar zu unrecht nicht haben! Es tut mir nun auch im Ernste leid, daß ich mich von meinem Verstande so weit habe verleiten lassen; aber ich kann das Geschehene nun nimmer ungeschehen machen, obschon ich danebst doch auch der Überzeugung bin und lebe, damit keine Ungerechtigkeit begangen zu haben!“

Kapitel 182. Die Sphäre des Gehirnverstandes.

1. Hier richte Ich Mich wieder ganz munter empor und sage gar freundlichen Angesichtes zum Philopold: „Oh, mitnichten!

2. Deine Betrachtung über den Unterschied eines Engels und eines rechten Menschen dieser Erde ist eine ganz richtige; es ist also auf ein Haar, wie du die Sache aufgefaßt und ganz vortrefflich entwickelt hast. Mein leiser Schlummer war nur einfach eine Folge der leiblichen Müdigkeit; denn wir haben nun ja nahe zwei volle Nächte gearbeitet!

3. Aber da du schon einmal so ein echt platonischer Weiser bist, so entwickle uns nun auch den eigentlichen Grund Meiner Darniederkunft ins Fleisch dieser Erde!

4. Was Ich im Geiste bin und war von Ewigkeit, das weißt du; daß Ich aber auch einen Leib habe mit Fleisch und Blut gleich den andern Menschen, das siehst und fühlst du so gut wie alle hier am Tische.

5. Warum zog denn Ich eine sterbliche Hülle an? Warum bekleidete sich der Urgrund alles Seins und Lebens mit der Hülle der offenbarsten Sterblichkeit?! Muß das sein, oder ist dies etwa bloß nur so eine Laune des ewigen Gottgeistes, der in Mir ist, weilt und wirkt? – Kannst du Mir solches ganz genügend entfalten, so sollst du einen Preis der Weisheit aus den Himmeln überkommen schon in diesem Leben!“

6. Sagt Philopold: „Herr, offen gestanden, ich ahne es, und es dämmert mir aus meiner Lebensnacht wie ein frühester Morgen entgegen, offenbar durch das Einfließen Deiner Gnade, o Herr! Ja, ich fühle die endlose Größe des zu Entfaltenden; aber mir fehlen dazu die Worte!

7. Mit einer Äone irdischer Weisheitsphrasen wird sich diese Sache nicht entwickeln lassen; man müßte da eine ganz eigentümliche Sprache der Geister haben, und diese müßte von allen verstanden werden, ansonst man zu tauben Ohren reden würde.

8. Woher aber fürs erste solch eine Sprache nehmen, und von woher fürs zweite den Menschen dafür ein richtiges Verständnis schaffen?! Sieh, o Herr, das sind dabei meiner Ansicht nach gar hauptwesentliche Dinge, ohne die so eine überhohe Weisheitsentfaltung vollends und rein unmöglich ist!

9. Aber dessenungeachtet fühle ich recht lebendig die große und überheilig wunderbare Wahrheit in mir; aber ich fühle daneben auch die vollste Unmöglichkeit, diese größte und heiligste aller Wahrheiten in unsere armseligsten Worte nach Gebühr zum Behufe eines richtigen Verständnisses einzukleiden. Diesen Grund wirst Du, o Herr, gnädigst einsehen wollen und mir darum erlassen solch eine allerungeheuerst höchste und größte Weisheitsentfaltung!“

10. Sage Ich: „Ah, das ist eitel, es bedarf dazu gar nicht soviel, als du da meinst! Im Gehirne, wo die Seele gewöhnlich ihre Weisheitsernte hält, wirst du dazu wohl schwerlich je die tauglichen Worte finden; aber desto mehr im Herzen, das der Träger des Geistes aus dem Herzen Gottes ist.

11. Forsche darin, und du wirst es finden, daß auch die höchste Weisheitstiefe mit den einfachsten und schlichtesten Worten von der Welt um vieles besser und für jedermann verständlicher entwickelt werden kann als mit den hohen Worten der salomonischen Weisheit! Was nützt dessen Hoheslied, so du es beim tausendsten Lesen ebensowenig verstehst als beim ersten?!

12. Salomo aber mußte also schreiben, weil es damals noch nicht an der Zeit war, den fähigkeitslosen Menschen, denen der Geist im Herzen noch völlig mangelte, des Himmels tiefste Geheimnisse vollends zu enthüllen, sondern davon nur möglichst verdeckte Andeutungen zu geben, um die Seelen stutzig zu machen auf das, was da zu kommen hatte. Aber vom Verstehen war da keine Rede.

13. Denn Salomo verstand von seinem Hohenliede ebensoviel wie du nun; denn hätte er es verstanden, so hätte er nicht gesündigt und wäre nicht ein völliger Götzendiener und tausendfacher Ehebrecher geworden.

14. Aber was er aus dem Geiste Gottes geschrieben, der seine Seele in gewissen Momenten durchwehte, ist dennoch rein Gottes Wort, – aber nicht gegeben fürs Verständnis des Gehirns, sondern fürs Verständnis des dazu fähigen Geistes im Herzen aus Gott, der aber erst in dieser Zeit seit Meiner Darniederkunft ausnahmsweise in einiger weniger Menschen Herz gelegt wurde, auf daß sie Mich erkennen, verstehen und begreifen mögen, ihrer selbst und auch der vielen andern noch geistlosen Menschen willen.

15. In dein Herz aber ist auch schon der besprochene Geist wie ein Embryo in den Schoß einer Mutter gelegt; du darfst dich sonach nur in deinem eigenen Herzen ein wenig umsehen, und du wirst den Geist aus Gott schon in dir finden, und dieser wird dir dann schon Worte leihen, mit denen du leicht für diesen Tisch das enthüllen wirst, um was Ich dich gefragt habe.“

16. Sagt Philopold: „Herr! Es wäre schon alles recht, und es kann ja wohl also sein, daß ich dazu in meinem Herzen den Schlüssel finde; aber Dir, o Herr, wäre das ja ein gar leichtes, uns dieses tiefste Geheimnis zu enthüllen, und wir würden Dir gewiß die alleraufmerksamsten Zuhörer abgeben. Für mich aber wird das etwas ganz entsetzlich Schweres werden, und am Ende kann ich noch dazu ganz wohlverdient ausgelacht werden!“

17. Sage Ich: „Oh, mitnichten, fürs erste ist es also in Meiner Ordnung, daß es, um für euch einen Lebenszweck zu haben, eben auch von euch Menschen Mir gegenüber frei entwickelt und entfaltet werden muß, und fürs zweite ist die Sache durchaus nicht so schwer, wie du dir dieselbe in deinem Gehirne vorstellst.

18. Ich könnte es dir und euch andern wohl sagen, und ihr würdet Mich zur Not auch verstehen; aber es würde solches eure Seele ebensogut als alles andere hauptsächlich nur in ihrem Gehirnpalaste aufbewahren, allwo es dann für den Geist in euch von nahe gar keinem Nutzen wäre. Denn was die Seele aufbewahrt in ihrem Gehirnpalaste, das stirbt und vergeht mit dem Gehirne mit der Zeit; welchen Nutzen mag dann der Geist schöpfen aus dem, was vergangen ist und aufgehört hat zu sein?!

19. Entwickelst aber solches du aus deinem Herzen, so bleibt es dann auch für ewig in dem, der selbst ewig ist, nämlich in deinem Geiste, und durch ihn auch ebenso für ewig in deiner Seele; aber was das Gehirn faßt, das vergeht, und es bleibt nichts von all dem vielen Weltwissen in der Seele, wenn sie dereinst den Leib verlassen hat.

20. Darum müßt ihr alle von nun an alles ins Herz aufnehmen und alles auch im Herzen entwickeln und entfalten; denn was das Gehirn schafft, das taugt allein fürs vergängliche Leben dieser Welt und für den sterblichen Leib.

21. Seele und Geist bedürfen alles dessen nicht; sie benötigen keiner irdischen Bekleidung, keiner Wohnstätte, keines Ackers und keines Weinberges. Alle Sorge aus der Erkenntnis des Gehirns ist gerichtet auf die Deckung der leiblichen Bedürfnisse, die bei den Menschen leider einen so hohen Grad erreicht haben, daß sie von dem größten Teil der Menschheit nimmer gezählt und noch weniger erreicht werden können.

22. Der irdische Gehirnverstand kann deshalb unmöglich je etwas rein Geistiges aufnehmen und fassen, weil er dem Menschen nur zur nötigen Versorgung seines Leibes gegeben ist. Solches kann nur der göttliche Geist im Herzen allein; er muß daher schon von früh an geübt werden. Hat er einmal nur irgendeine Festigkeit erreicht, so ist dann die rechte Lebensordnung schon so gut wie völlig hergestellt; und somit versuche du nun nur, was Ich von dir verlange, zu entwickeln, und dein Geist wird dadurch einen großen Vorteil gewinnen!“

Kapitel 183. Der Grund der Menschwerdung Jesu.

1. Sagt Philopold: „In Deinem für mich heiligsten Namen denn will ich's versuchen, was ich aus mir heraus entfalten werde.

2. Ich meine, wenn schon selbst irgendein einfältigster Mensch denn doch irgendeinen Grund zu irgendeiner noch so einfältigen Handlung haben muß, ansonst er seine Glieder sicher nicht in eine Tätigkeit versetzt hätte, um so mehr läßt sich voraussetzen, daß Gott einen gar überaus höchst triftigen Grund gehabt haben muß, als der ewig allein wahre und reinste allmächtige Geist Sich in die begrenzte Form des Fleisches einzuzwängen und so als der Schöpfer aller Dinge Seinen Geschöpfen, wie wir Menschen es sind, ein Mitgeschöpf zu werden.

3. Wie aber schon bei uns Menschen nur die Liebe allein der mächtige Hebel zu allen wie immer gearteten Handlungen ist, so war eben die Liebe auch in Gott sicher das alleinige große Motiv, durch welches, aus Sich Selbst heraus genötigt, Er eben Sich dazu bequemte, wovon Du, o Herr, als heiligste Folge nun unter uns wandelst und uns lehrst, Deinen Willen frei in uns zu erkennen, ihn zu unserem vollen Eigentume zu machen und danach selbständig Dir, o Herr, wohlgefällig zu handeln.

4. So aber kommt es mir in meinem Herzen ganz natürlich und lebendig menschlich vor: Du hast einmal von Ewigkeit her Deine Ideen zu wirklich festen Formen umstaltet. Zuerst waren die Formen starr und steif, wie nun noch alles, was vor unseren Sinnen als völlig leblos scheinend dasteht. Aus diesen großen und scheintoten Formen entwickeltest Du von Periode zu Periode stets mehr und mehr weichere und ihrer selbst bewußtere Lebensformen mit weniger oder mehr freier Bewegung und Tätigkeit. Dies alles ist und war nur eine Vorschule und Vorprobe zum völlig freien Leben im darauf aus allen den Vorgängen hervorgehenden völlig freien Menschen, dem Du, o Herr, die Haupt- und Grundform Deines eigenen Grundseins gabst.

5. Der Mensch war nun da, erkannte sich und seine göttliche Freiheit, hatte eine große Freude an seinem Dasein, an seiner schönen Form und konnte unterscheiden und zählen die Dinge, die ihn umgaben.

6. Er fing aber auch bald in sich an, nach dem Ursprung seiner selbst, wie nach dem der ihm dienenden Dinge zu forschen; und als Du, o Herr, solches sahst, ward Dir freudig um Dein göttliches Herz, und Du verschafftest ihm die Gelegenheit, Dich mehr und mehr zu fühlen und zu denken.

7. Durch die innere stille und geheime Offenbarung im Herzen des nun frei dastehenden Menschen, der in allem Dein Ebenmaß war, führte Dein ewiger Geist ihn zuerst darauf hin, daß er zu erkennen beginne, daß er samt allem, was ihn umgab, das Werk eines allmächtigen und höchst weisen und guten Wesens sein müsse. Durch solche stets steigende und heller werdende Erkenntnis mußte der neue, herrliche Mensch nicht nur mit der höchsten Hochachtung und Ehrfurcht vor dem stets lebendiger gefühlten Schöpfer aller Dinge, sondern auch mit einer sehnenden Liebe zu Ihm dahin im Herzen erfüllt werden, Ihn nur einmal zu sehen und zu sprechen, um dadurch treu zu erkennen, daß seine große, Ehrfurcht und Liebe erweckende Ahnung vom Dasein eines solchen höchsten Wesens kein eitles Phantasiebild sei!

8. Diese große Sehnsucht stieg und stieg höher und höher, und heißer und heißer ward das geheiligte Verlangen nach Dir, o Herr, in Deinem Geiste in des ersten Menschenpaares reiner und noch völlig unverdorbener Brust.

9. Diese ersten Menschen liebten sich zwar; aber sie erkannten sich nicht, und es einigte sich darum ihre Liebe zu Dir, o Herr, und zeugte in beiden die stets größere und bestimmtere Zuversicht, daß es einen großen, heiligen und allmächtigen Schöpfer geben müsse, der den Menschen zum Herrn über die ganze Erde und über alle Dinge gesetzt habe, weil sich vor seinem Willen alle anderen Geschöpfe der Erde beugten.

10. Als solche Sehnsucht, Dich gewisserart persönlich kennenzulernen, den höchsten Kulminationspunkt erreicht hatte, da wardst Du denn auch erregt in Deinem Gottesherzen und eröffnetest des Menschen innere Sehe, schufest Dir für den Moment eine ätherische Menschenform und zeigtest Dich also dem nach Dir lechzenden Menschen.

11. Da erst ersah der Mensch die großheiligste Wahrheit und vollste Wirklichkeit seiner Ahnung und hatte eine große Freude an Dir, aber auch eine rechte Furcht vor Dir, der Du ihm, wie allen Dingen, das Dasein gegeben hast.

12. Damals war der Mensch gut und rein wie eine Sonne; nichts trübte seine Sinne, und das, was man nun Leidenschaft nennt, war ferne seiner geheiligten Brust.

13. Aber Du, o Herr, wußtest wohl, daß also nur des Menschen Form durch Deines Willens Odem belebt und nun fähig war, an seiner eigenen inneren Ausbildung zu arbeiten anzufangen, um die freie Selbständigkeit zu erlangen.

14. Du unterwiesest ihn und zeigtest ihm die beiden Wege, – den einen, führend zur gottähnlichen, freiesten Selbständigkeit, und den andern, führend zum gerichteten, also im vollsten Maße unselbständigsten Sein.

15. Ein Gebot war der verhängnisvolle Wegweiser und der fragliche Doppelweg selbst.

16. Damit aber das Gebot für den neuen Menschen das würde, was es sein sollte, so mußtest Du ja dem Menschen einen Versucher beigesellen, damit dieser ihn zur Nichtbeachtung des Gebotes anreizte und der Mensch dann aus dem eigenen festesten Willen das Gebot hielte und treu beachtete.

17. Dies ging auch eine Weile; aber Du Selbst sahst, daß der Mensch durch die strenge Haltung dieses einen Gebotes am Ende dennoch nicht zu jenem hohen Grade der vollsten Selbständigkeit gelangen könne, der ihm von Dir aus vorgesteckt war.

18. Um das zu erreichen, mußte der Mensch zuvor noch tiefer und weiter von Dir getrennt werden; er mußte fehlen und fallen und dann erst in solcher höchsten Abgeschiedenheit von Dir höchst mühsam und unter allerlei Verlockungen und Beschwerden sich ganz von neuem zu sammeln anfangen und forschen nach Dir mit gedrücktem und reuigem Herzen.

19. Als der also gefallene Mensch sich auf solche mühevolle Weise aus seiner tiefsten Tiefe wieder zu Dir emporgerichtet hatte, kamst Du ihm wieder entgegen, zeigtest ihm Dich abermals in einer schon um sehr vieles gediegeneren Form und ebenso auch umfangreicher in der den Menschen belehrenden Offenbarung, und machtest ihm die große Verheißung dessen, was Du nun vor unsern Augen ins vollste und gediegenste Werk gesetzt hast dadurch, daß auch Du dem Menschen ein vollkommenster Mitmensch würdest, auf daß er in alle zukünftigen Ewigkeiten als allervollkommenst selbständig Dir gegenüberstehen könne und Du Selbst dadurch den größeren, herrlicheren und sicher seligeren Genuß hättest, Deinen Kindern nicht gleichfort als ein in aller Unendlichkeit ausgedehnter und dadurch nie schau- und fühlbarer Gott, Herr und Vater, sondern als ein schaubarer lieber Vater, den die Kinder lieben können, gegenüberzustehen, und alle die guten Kinder persönlich zu führen in alle Deine Wunderhimmel.

20. Welche Seligkeit könnte das für einen unendlichen Gott auch sein, so Er wohl Seine lieben Kinder sehen könnte, diese Ihn aber nie irgend anders denn als ein unendliches Lichtmeer zu Gesichte bekommen könnten?! So aber hast Du den Menschen wohl die höchste Seligkeit bereitet und dadurch auch als wahrer, einziger und liebevollster Vater Deiner Kinder auch Dir Selbst!

21. Denn welche Lust wohl könntest Du selbst an dem besten und herzensreinsten aller Deiner Kinder haben in dem sicher hellsten Bewußtsein, daß sie Dich ewig nie sehen und reden hören sollen?!

22. Also, Deiner und der Menschen willen hast Du, o Herr, alles das getan, auf daß die Reinen in Dir glückseligst würden und Du in ihnen auch die höchste Wonne und Glückseligkeit genießen könntest!

23. Und wenn nun alle Engel aus den Himmeln herabsteigen und mir einen andern Hauptgrund Deiner nunmaligen, völlig und sogar materiell formellen Menschwerdung angeben können, so leiste ich auf ewig auf meine Menschheit Verzicht und will aufhören zu sein, oder ich will für ewig irgendein Tier sein!

24. Hättest Du, o Herr, die Liebe nicht in Dir, so hättest Du ewig nie auch nur eine Deiner allerherrlichsten Ideen ins beschauliche und formelle Dasein gerufen; dadurch aber, weil Du Selbst ein großes Wohlgefallen in Deinem Gottesherzen zu (an) Deinen wunderbarst herrlichen und großen Ideen fandest und sie schon liebtest, bevor sie Deine endlose Weisheit und Macht ins außen beschauliche und durch Deine Kraft gefestete formelle Dasein rief, zwang Dich Deine Liebe, die auch stets glühender und tätiger ward, nun denn auch Deinen Ideen ein Dasein wie außer Dir und darum auch ein nachfolgendes Leben zu geben.

25. Dies Leben aber ist ja noch nichts anderes als Deine höchste, mächtigste und reinste göttliche Liebe!

26. Alle Geschöpfe atmen ihr Leben aus und in dieser Deiner Liebe, ja, ihr ganzes Wesen ist ja nur Deine Liebe, und alle Formen sind auch nur Deine Liebe! Alles, was wir hören, sehen, wahrnehmen, empfinden, fühlen und schmecken, ist nur Deine Liebe! Ohne diese hätte nie eine Sonne irgendeine Erde erleuchtet und ihre Gefilde befruchtend erwärmt!

27. Wenn aber das alles nur Deine Liebe getan hat mit Deinen herrlichen Urideen, sollte sie hernach für sich selbst nichts tun, um eben in allen durch sie gewordenen Wesen das in aller Fülle zu erreichen, was sie uranfänglich in sich selbst zwang, den Ideen Form und ein freies, selbständiges Leben zu bereiten?!

28. Ich bin nun der Meinung, daß ich die volle Wahrheit geredet habe, aus der da klarst hervorgeht, daß Du, Gott von Ewigkeit, auch notwendig in der Zeit ein Mensch gleich uns, durch Dich Selbst genötigt, werden mußtest!

29. Und ich glaube dadurch auch, insoweit es einer menschlichen Weisheit möglich ist, Deine an mich gestellte Frage im allgemeinen erschöpft zu haben! – Ich bitte Dich, o Herr, nun mir Dein Urteil darüber klar auszusprechen.“

Kapitel 184. Die Herzenssprache.

1. Alle erstaunen über die tiefe Einsicht und Weisheit Philopolds. Kisjonah betrachtet ihn vom Fuße bis zum Hauptscheitel und begreift nicht, wie dieser sonst wohlbekannt vielerfahrene Mensch nun auf einmal mit seiner durchdringenden Weisheit alle ins höchste Erstaunen setzt, und selbst Mathael sagt: „Ich verstehe auch etwas, – aber in diese Tiefen ist mein Geist noch nie gedrungen! Dessen Geist oder Seele muß schon irgendwo in einer andern und bessern Welt in die Schule gegangen sein!“

2. Auch die Jarah betrachtet den weisen Mann und kann sich vor lauter Staunen über seine Weisheit gar nicht völlig zurechtfinden.

3. Ich aber sage zu ihm: „Siehst du, Mein lieber Freund und Bruder, wie es dir recht gut gegangen ist und du mit deiner herrlichen Beantwortung Meiner an dein Herz gestellten Frage den Nagel auch auf den Kopf getroffen hast!

4. Ich sage es dir, daß du nun die vollste Wahrheit in Meinem Namen allen Meinen Jüngern, Freunden und Brüdern getreust, wahrst und sehr leicht begreiflich geoffenbart hast und Ich dazu nun nichts anderes zu sagen brauche als: Also ist es, und also stehen von Ewigkeit her alle Sachen, Dinge und Wesen!

5. Siehe, darin ist mehr Weisheit als im ganzen Hohenliede Salomos, der es sowenig als irgend jemand anders im Grunde des Grundes verstanden hat; denn hätte er es verstanden, so wäre er nachderhand nicht in alle Sünden der Sünden verfallen und zugrunde gegangen!

6. Darum suchet ihr alle nur im Herzen die Weisheit und die rechte Offenbarung aus Mir, so werdet ihr sie leicht begreifen und für euer ganzes Leben und für ewig behalten!“

7. Sagt darauf Petrus: „Aber Herr, wir sind nun bei neun Monden lang stets bei Dir und um Dich; warum verstehen denn wir nicht also zu reden aus uns, wie dieser Freund aus Kane bei Kis?“

8. Sage Ich: „Die Römer haben da ein Sprüchlein und sagen: EX TRUNCO NON STATIM FIT MERCURIUS! Und so ist es auch mehr oder weniger bei euch, und Ich Selbst möchte euch schon dann und wann fragen und sagen: Wie lange werde Ich euch noch ertragen müssen, bis ihr in eurem wahren Lebensgrunde etwas fassen und begreifen werdet?

9. Habe Ich doch schon oft zu euch gesagt, daß ihr nicht im Kopfe, sondern nur im Herzen sollet Gedanken zu fassen anfangen, um zur Wahrheitsfülle zu gelangen, die euch wahrhaft lebensfrei machen würde! Warum tut ihr denn das nicht und bleibet lieber bei der Materie, die nichts hat und nichts geben kann?! Tut, was Ich euch lehre, dann werdet auch ihr, wie nun Philopold, reden in wahrer Weisheit!“

10. Sagt Petrus: „Herr! Das versuchten wir schon oft; aber es will mit dem Denken im Herzen nicht vorwärts. Dann und wann nur fühle ich – nicht so sehr wahrhafte Gedanken als vielmehr ganz eigentliche Worte im Herzen, und diese kann ich doch nicht Gedanken nennen, da es mir vorkommt, daß dieselben erst nachher sich im Herzen aussprechen, wenn sie zuvor im Gehirne gedacht werden!“

11. Sage Ich: „Das ist ein Anfang; übet euch darin, so werdet ihr bald dahin gelangen, im Herzen der tiefsten und freiesten Gedanken fähig zu sein!“

12. Sagt Petrus: „Dank Dir, ewig guter Meister; wenn also, dann werden wir schon ehest weiterkommen!“

13. Sage Ich: „Ja, ja, vollkommen aber nicht vor Meiner Heimkehr; aber danach ja!“

14. Dies verstanden alle am Tische nicht und fragten, was Ich damit hätte sagen wollen.

15. Ich aber sagte: „Meinet ihr denn, daß des Menschen Sohn also wie nun bis ans Ende dieser Erde im Fleische und Blute unter euch Menschen umherwandeln und lehren und Wunder wirken werde?!

16. Ja, Ich werde wohl bis ans Ende der Erde unter den Menschen, die eines guten Willens sind, tröstend, stärkend, belebend, lehrend und auch wunderwirkend verbleiben, und werde zu allen, die Mich wahrhaft lieben und Meine Gebote halten, kommen und Mich ihnen offenbaren, – aber nicht in diesem sterblichen Leibe, sondern in dem verklärten und ewig unsterblichen! Wer Sinne hat, der fasse dieses wohl!“

17. Sagen die Jünger: „Herr, Sinne hätten wir wohl, – aber dieses vermögen wir dennoch nicht zu verstehen!“

18. Sage Ich: „Ich habe euch darum ja auch noch lange nicht verantwortlich gemacht! Ein jeder Lehrling aber braucht eine gewisse Zeit, bis er in dem, was er lernt, fest und fertig geworden ist; ist er das, so wird er freigesprochen und ist von da an erst für irgend fernere Fehler selbst verantwortlich! Darum, so ihr nun noch manches nicht fasset, seid ihr ohne Fehl; aber nachher wird es anders sein! – Nun aber heißt es sich fassen! Denn sogleich wird sich etwas ereignen, das uns viel zu schaffen machen wird!“

Kapitel 185. Über den Nimbus.

1. Solches hatte Ich laut ausgesprochen, so, daß es auch die Gäste der anderen Tische vernahmen, und unser Stahar, Oberster von Cäsarea Philippi, erhob sich voll Ernstes von seinem Platze, ging zu Mir hin und sagte allda: „Herr! Ich vernahm alles, was hier an diesem erhabensten Tische gesprochen und beurteilt ward, viel Wunderbares, Erhabenes, Tiefweises, Vollstwahres und in jeder Beziehung Unwiderlegbares; überall leuchtete Deine reinste Göttlichkeit wie eine Sonne am hellsten Mittag heraus, und alle Engel der Himmel könnten da nichts anderes behaupten.

2. Aber dennoch ging mir dabei stets etwas ab; und das ist jener – gewisse göttlich- erhabene Nimbus, den man noch heutzutage im Tempel und besonders in dessen Allerheiligsten nur zu deutlich wahrnimmt, sobald man in dasselbe nur den ersten Fuß setzt!

3. Die gewisse, heilig mysteriöse Ruhe, der geheiligte Opferduft – hier ganz mangelnd – machen auf den Menschen stets eine ihn durch und durch erschütternde Wirkung, und sicher zu seinem Frommen! Welch eine unsägliche Kluft dort zwischen Gott und Mensch!

4. Wie gering fühlt sich der Mensch gegenüber der furchtbaren ewigen, göttlichen Majestät, ja, wie zu gar nichts sinkt er zurück und fühlt erst in solcher seiner völligen Vernichtung das große göttliche Alles-in-allem und sein purstes Nichts, was für die Demütigung des sich gerne hochaufblähenden Menschenherzens höchst heilsam ist!

5. Kurz und gut, meiner unmaßgeblichen Ansicht nach sollte der Mensch, besonders in solcher Gegenwart seines Gottes, seines Schöpfers, denn doch nicht so leicht und gar so einheimisch sich fühlen, als so er daheim bei einem Linsengerichte säße und dasselbe so ganz behaglich verzehrte!

6. Hier mangelt also dieser erhabene Nimbus! Wir sitzen als pure Freunde und sogar Brüder unter- und durcheinander, und wer da etwas spricht, spricht zwar ganz ungeheuer wahr und weise, aber auch ganz ohne den gewissen uralten, echt prophetischen Nimbus; hat er ausgeredet, da ist er fertig, – aber wir leider nahe auch mit aller der besonderen, höchsten Achtung, die der Mensch stets vor Gott haben soll!

7. Es wird uns in Deiner Gegenwart so ganz behaglich zumute, und selbst der des Menschen Herz sonst so in aller ehrfurchtsvollsten Ruhe so herrlich stimmende Sabbat macht auf unser Gemüt nun keinen viel bessern Eindruck als jeder andere, ganz gewöhnliche Werktag, und nun soll erst noch etwas ganz Besonderes geschehen, was unser Gemüt, als am Neumondssabbate noch dazu, sicher so ganz alltäglich stimmen wird, wie nur etwas ganz gewöhnlich, im höchsten Grade Alltägliches!

8. Könnte denn durch Deine Allmacht nicht dahin vorgebeugt werden, daß da wenigstens die noch übrigen zwei Tagesstunden in der erforderlichen Sabbatruhe nicht allzusehr verwerktagt würden und allen Göttlichkeitsnimbus auffräßen?“

9. Sage Ich: „Ein alter Baum läßt sich schwer biegen; und hast du es nie gehört, wie man sagt: ,Ein Hund kehrt stets zu dem wieder zurück, was er gespieen hat, und die Schweine kehren auch stets wieder zu den Pfützen zurück, in denen sie sich verunreinigt haben!‘?

10. Was soll es denn mit deinem leeren und völlig gottlosen, erhaben duftenden Tempelnimbus?! Wem hat dieser noch je die Augen der Seele aufgetan und wen gelehrt des Lebens Wege?!

11. Habe Ich den Menschen für den Nimbus oder etwa nur für die alles beglückende Liebe erschaffen?!

12. Tyrannen und gewaltsame Bedrücker ihrer Mitmenschen pflegen sich wohl stets mit deinem Nimbus zu umdunsten, streuen danebst allen noch Sehenden Sand in die Augen und erwürgen die Armen und Schwachen, bloß um sich deinen erhabenen Schreckensnimbus zu erhöhen, – und das nennst du gut und der menschlichen Seele noch gar sehr dienlich auch?! O du alter, blinder Tor!

13. Was wohl würde Ich euch nützen, so Ich als ein alles verzehrendes Feuer unter euch Mich befände?! Würde das je eure Liebe und euer Vertrauen zu Mir heben?! Oder ist es dir möglich, den zu lieben, der dich in einem fort als der Mächtigste zu erwürgen droht mit zornglühenden Augen, so du nur den geringsten Fehltritt machst?!

14. Weißt du und euer finsterer Tempel denn besser als Ich, warum Gott die Menschen erschaffen hat, und wie sich Gott und Menschen gegenseitig verhalten?!

15. Was ist denn das, was du ,Nimbus‘ nennst? Sieh, es ist das der eigentliche, allerschlimmste und giftigste Dunst aus der alleruntersten Hölle, mit dem Satan seine ihm ähnlichen, treuen Diener umgibt, auf daß sie vor aller Welt in einem erschrecklich großen Ansehen stünden, um dadurch und damit sehr viele Menschenseelen dem Reiche des Satans mit leichter Mühe zuzuführen!

16. Aber es steht geschrieben, daß da alles, was vor der Welt, mit dem gewissen Nimbus umflossen, groß erscheint, vor Gott ein Greuel ist!

17. Hast du je gesehen, daß zwei Menschen, die sich wahrhaft lieben, miteinander nimbusartig hochmütig tun und einer den andern kaum eines freundlichen Blickes und noch weniger eines zarten Wortes würdigt?!

18. Oder hast du wohl schon gesehen, daß irgendeine wahrhaft zart- und heißliebende junge Braut ihrem Bräutigam mit dem möglichsten Hochmutsnimbus entgegenkommt und der Bräutigam ihr mit einem noch größeren?! Meinst du wohl, daß daraus ein Ehepaar wird? Ja, es kann wohl eines daraus werden durch des Gesetzes Macht für diese Welt, aber für den Himmel ewig nicht! Denn wo keine Liebe, da ist auch kein Himmel!

19. Ich sage es dir: Da ist der Fluch der Hölle und kein Licht, kein Weg, keine Wahrheit, keine Liebe und somit auch kein freies Leben, sondern nur ein ewiges Gericht, das die in sich durch sich selbst Verfluchten darniederdrückt und im straffsten Zaume hält!

20. Dir kommt es hier eigentlich darum weniger göttlich und Gottes würdig vor, weil du hier von der Hölle und ihrer Verworfenheit eigentlich nichts zum Verkosten bekommst!

21. Seht, wie weit es die blinde Menschheit bringen kann! Sie steht auf dem Glaubenspunkte, mit der Hölle Gott einen gerechten und wohlgefälligen Dienst zu erweisen! Noch weiter hätte sie es in der Blindheit, Dummheit und Bosheit nicht bringen können!

22. So es dir aber gar so erbaulich und Gottes würdig in der Hölle vorkommt, so gehe wieder zur Hölle und diene dort dem Gott deiner erhabenen Einbildung und befinde dich in deinem Nimbus wohl!“

23. Auf diese Worte fällt Stahar vor Mir auf die Knie nieder und bittet Mich um Verzeihung, sagend: „Herr, vergib mir dummem, altem, blindem Narren, und ich danke Dir für diese an mich gerichtete Zurechtweisung; nun erst bin ich ganz geheilt!

24. Sieh, ich bin ja doch so erzogen und eingelullt worden, und die Eindrücke in der Wiege sind schwer aus dem Gemüte zu bringen! Aber nun ist in mir wie eine neue Sonne aufgegangen, und ich sehe nun die ganze Verworfenheit und gänzlichste Verkehrtheit des Tempeldienstes; nun mag da kommen, was da wolle, und ich werde wie ein Granitfels im Meere fest stehenbleiben in dieser neuen, Gottes vollstwürdigen Lehre aus Deinem heiligen Munde.“

25. Sage Ich: „Stehe auf, Bruder! Gehe aber hin und sage auch deinen Brüdern, was du vernommen; denn auch sie stecken noch bis über die Ohren in ihrem dummen Nimbus! Erkläre ihnen, was der Nimbus ist, und erkläre ihnen aber auch, wer Ich bin, auch ohne solchen Nimbus, und was Ich so ganz eigentlich will!“

26. Nach diesen Worten erhebt sich Stahar, verneigt sich tiefst vor Mir, begibt sich schnell zu seinen Brüdern und fängt an, ganz gewaltig auszupacken, und es wird bald ganz laut an jenem Tische, an dem es früher ganz still hergegangen ist, und Stahar hat seine Not mit seinen vom Weine etwas erhitzten Brüdern.

27. Aber Floran, sein Hauptredner, unterstützt ihn, und so wird die Sache bald ausgeglichen.

28. Philopold aber sagt zu Cyrenius: „Hoher Gebieter! Es ist aber doch im vollsten Ernste sonderbar, wie so manche Menschen den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen!“

29. Sagt Cyrenius: „Gewohnheit ist ein mächtiger Stützpunkt für alle Dummheit. In Europa gibt es ein Volk, bei dem alles mit dem Prügel und mit der Geißel gerichtet wird; für jedes noch so geringe Vergehen kommt entweder der Stock, die Geißel oder eine tüchtige Rute in die schmerzlichste Anwendung. Mein Bruder Augustus Cäsar wollte das abbringen; er stellte Erzieher hin, die dawider eiferten, und ließ sogar Männlich und Weiblich nach Rom bringen, auf daß sie alldort den Segen der Humanität kennenlernen sollten; und sieh, diese Menschen bekamen ordentlich das Heimweh nach dem Lande, wo sie sicher in jedem Monde irgendeinmal blau und blutig durchgeschlagen wurden!

30. Wird aber einem Menschen schon eine materielle Hölle so sehr zur Gewohnheit, daß er sich nach ihr sehnt, so er sie bei einem human gebildeten Volke nicht mehr antrifft, um wieviel mehr die geistige, die dem Menschen so viele irdische Vorteile gewährt!

31. Mich nahm es daher auch gar nicht wunder ob der Äußerungen des Stahar. Dieser Mensch befand sich viele Jahre physisch ganz wohl unter seinem Nimbus und wollte nun noch ein Wort über ihn sprechen, um sich für immer bei ihm zu empfehlen. Nun aber ist es gut also, und so ruhe sein Nimbus!“

Kapitel 186. Vorbereitungen zu dem nahen Sturme.

1. Mittlerweile ging aber Herme, der Bote und Sänger aus Cäsarea Philippi, auf den Berg nachsehen, wie es etwa mit der abgebrannten Stadt stünde, und fand sie hie und da noch ganz gewaltig in Flammen; aber zugleich entdeckte er auch, wie sich eben nach der Richtung zur Stadt ein ganz gewaltiges Sturmgewitter gar raschen Ganges zu erheben begann und nach seiner Ansicht gar nicht lange werde auf sich warten lassen.

2. Er kam nun als ein Wetterprophet vom Berge herab und sagte zum alten Markus. „Du, lieber Nachbar, es sind so viele Gäste hier, und es wird keine halbe Stunde dauern, so stehen wir alle unter dem tobendsten Sturmungewitter! Hast du wohl Dach genug, das uns alle schützete vor allerlei Ungemach? Denn bei einem solchen Sturm ist es nicht geheuer im Freien zu sein! Vom Wind und Regen will ich gerade noch nicht zuviel sagen; aber Hagelschlag und Blitz sind doch ein wenig zu unbequem, um sie im Freien auszuhalten! So du zuwenig Dach hättest, da sollten wir Vorkehrungen treffen!“

3. Sagt Markus: „Solange der Eine, der hier ist, nichts sagt und anordnet, ist sicher keine Gefahr! Dieser Eine ist unser allerbestes und verläßlichstes Dach und Fach; wünscht Er aber, daß da Vorkehrungen getroffen werden sollen, so werden sie auch schnellst getroffen werden! Sei du, mein lieber Freund und Nachbar, darum ganz unbesorgt; es wird sich schon alles recht gut machen!“

4. Berufe Ich die beiden und sage zum Markus: „Der bald über uns stehende Sturm wird uns wohl recht viel Ungemach bereiten! Daher wären nach der Meinung des Herme einige Dächer gut; aber dir fehlt ja dazu das Material gänzlich! Woher wird man solches in der großen Eile nehmen?“

5. Sagt Markus: „Herr, solange Du bei uns und unter uns bist, sage ich, wie ich zuvor zum Freund Herme gesagt habe: Du bist unser allerbestes Dach und Fach, und wir brauchen ewig kein besseres und haltbareres!“

6. Diese Worte des alten Markus werden nun von vielen Umstehenden laut und volltrauig ausgesprochen, und Ich sage: „Also sei es denn! So aber da ein tüchtiger Hagel käme, begleitet von Blitz und Wolkenbruch?“

7. Sagen alle: „Herr, laß dazu noch durch ein unerhörtes Erdbeben alle Berge zusammenschütteln und Sterne vom Himmel fallen, so werden wir in Deiner Gegenwart noch aus vollem Halse dazu lachen; denn was kann uns beschädigen, so Deine allmächtige Hand uns beschützt?!“

8. Sage Ich: „So wie nun, müßt ihr auch im Sturme und in der Gefahr im Herzen und nicht allein im Munde sprechen, dann wird euch Mein Schutz durch euren Glauben und durch euer lebendiges Vertrauen gedeihlich sein und werden; aber so ihr in der Gefahr zu verzagen anfinget, so würde euch dann Mein Schutz eben nicht gar zu besonders frommen!“

9. Sagen alle: „O Herr, wer wird da wankend werden im Glauben und Vertrauen auf Dich?! Aber wir nehmen dennoch vor allem Deine Liebe und Deinen allmächtigen Willen in Beschlag; denn so Du, o Herr, mit Deinem Willen innehieltest, da wären wir mit all unserm Glauben und Vertrauen gar sehr übel daran! Aber Du bist ja übergut und gerecht, und Du wirst unser Vertrauen nicht zuschanden werden lassen!“

10. Sage Ich: „Oh, mitnichten, – ihr sollet eben an diesem Abende Gottes Macht und Herrlichkeit kennen und fühlen lernen! Zudem aber muß dieser Sturm der noch brennenden Stadt wegen kommen, ansonst sie noch einige Tage fortbrennen würde. Es wird dies wohl ein bei drei Stunden währender Sturm sein, wie ihr noch keinen erlebt habet, und wird dennoch mehr Nutzen als irgendeinen Schaden anrichten.

11. Gehen wir nun aber dennoch ans Meer hinaus; denn dort wird unsere Gegenwart am notwendigsten sein! Auch werdet ihr dort die empörten Elemente am leichtesten in Augenschein nehmen können, und die Herrlichkeit Gottes wird euch dort einleuchtender werden als unter einem Dache!“

12. Auf diese Worte strömt nun alles hinaus ans ganz ruhige Meer. Aber man ersieht da auch schon die schwarzen Wolken daherziehen und auch über die östlichen und südlichen Gebirge massenhaft Wolken sich auftürmen, und es wird nun allen klar, daß dies einen massivsten Sturm abgeben werde; über dem Meere aber zeigen sich gleich eine Menge von Sturmvögeln.

13. Ouran fängt darum an, um seine schönen und köstlichen Zelte besorgt zu werden, kommt zu Mir und bittet Mich, daß Ich dieses sein Reisekleinod auch in Schutz nehmen möchte; denn bei der Aussicht auf solch einen Riesensturm dürften die Zelte wohl sehr mitgenommen werden!

14. Sage Ich: „Sagte Ich euch denn nicht, wie sich eben hier die Herrlichkeit Gottes am klarsten offenbaren wird? Wie kannst du darüber hinaus noch um deine armseligen Zelte also besorgt sein, als läge daran irgendein Heil der Welt?! Sieh, die Zelte sind groß und sehr geräumig; wenn der Sturm mit aller seiner Heftigkeit über uns stehen wird, da laß die weiblichen Gäste alle hineingehen, und auch jene männlichen, die etwa doch eine zu große Furcht ergreifen möchte! Denn der Sturm wird durchaus keine Spielerei sein; aber deinen Schönzelten wird nichts geschehen, außer daß sie etwas naß werden.“

15. Sagt Ouran: „Ich danke Dir für diese Verheißung, die nun schon so gut wie in die vollste Erfüllung gegangen ist. Meine Zelte, die sicher selbst beim allerheftigsten Wolkenbruche nicht einen Tropfen Wassers durchlassen, stehen nun allen zu Diensten, die davon Gebrauch machen wollen. Ich selbst aber werde auch bei Dir, o Herr, im Freien verbleiben.“

16. Sage Ich: „Fürchtest du denn den Hagel nicht?“

17. Sagt Ouran: „Ich habe schon mit allen andern früher meine Meinung abgegeben und sage nun noch einmal mit dem weisen Spruch der Römer: SI FRACTUS ILLABATUR ORBIS, IMPAVIDUM FERIENT RUINAE!“

18. Sage Ich: „Ganz gut nun; aber nun fangen schon die gegenseitigen Sturmwolken an, sich die feuchten Hände zu reichen, und es wird deshalb bald losgehen! Auch auf dem Meere fangen an sich hie und da Springwogen zu zeigen, und es ist darum Zeit für die Furchtsamen, ins Trockene zu gehen!“

19. Fische springen aus dem Wasser, um die niederfliegenden Mücken zu fangen; ebenso machen sich eine stets wachsende Menge von Seemöwen und Wasserschwalben über der Fläche des Wassers lustig und helfen den Fischen die Zahl der Mücken vermindern. Das Wasser wird stellenweise sehr unruhig, und in der hohen Luft tummeln sich die Wolken stets dichter und bunter durcheinander. Im Westen rollt der Donner ununterbrochen, und die Orkane in der hohen See beginnen ihren furchtbar tobenden und brausenden Kampf.

Kapitel 187. Der Sturm.

1. Als der Vorlärm des schnell nahenden Sturmes stets stärker und dröhnender wird und nahe eine völlige Finsternis sich über das Meer und über die ganze Gegend auszubreiten anfängt, da fangen auch die mehr Furchtsamen an, sich in die Zelte des Ouran zu begeben, und haben keine Lust mehr, im Freien bei Mir zu verbleiben. Auch die Jünger fangen an, untereinander allerlei Besorgnisse laut werden zu lassen; von den fünfzig Pharisäern bleibt nicht einer im Freien, als sie einige pfundschwere Hagelkörner vor sich auf den Boden fallen sehen.

2. Ebahl ermahnt die Jarah, sich auch mit ihm in ein Zelt des Ouran zu begeben; aber diese ist nicht von der Stelle zu bewegen und sagt: „Wer kann sich denn wohl also gewaltig fürchten in der Nähe und vollsten Gegenwart des Herrn?! Sollte so ein Sturm wohl mehr vermögen als des Herrn Liebe, Allmacht und ewig höchste Gewalt?“

3. Sagt Ebahl: „Das sei ferne; aber beim Niederfallen von pfundschweren Hagelkörnern wandelt einen denn doch ganz unwillkürlich eine kleine Furcht an, besonders wenn die Wolken sie in ganz dichten Massen herabschütten werden. So eine Eiskugel, wie nun soeben eine vor mir niedergefallen ist, könnte einem ganz leicht den Kopf zerschmettern!

4. Ich glaube, daß mich und mein Töchterlein auch nicht eine, selbst beim dichtesten Niederfalle, berühren oder uns schaden wird; aber dessenungeachtet befällt einen Menschen, wie ich einer bin, unwillkürlich die altgewohnte Furcht. Aber nun werde ich mich dennoch nicht fürchten; denn von meiner Jarah darf ich mich ja doch nicht zuschanden stellen lassen!“

5. Nun fängt es an, schon etwas dichter zu hageln. Doppelt faustgroße Schloßen fallen mit großer Heftigkeit auf den Erdboden, das Meer fängt an haushohe Wogen zu treiben, ein Blitz folgt dem andern, und es beginnt mit dem dichten Hagel auch der Regen in Strömen herabzustürzen.

6. Hier werden Hebram und Risa mit den dreißig Jungen auch flüchtig und retten sich unter die Tische; aber Suetal, Ribar und Bael, die ersten der zwölf gewesenen Verbrecher, bleiben, und Meine Jünger bis auf Judas Ischariot bleiben auch. Die römischen Soldaten suchen Schutz im Hause und in den Fischerhütten des Markus und unter den Steinfelsen.

7. Mich zunächst umgebend aber sind Cyrenius, Kornelius, Faustus, Julius, Philopold, Kisjonah, Ebahl mit der Jarah, Raphael und Josoe, dann elf Jünger, der alte Markus mit seinen zwei Söhnen und auch Mathael mit Ouran, Rob, Boz, Micha und Zahr.

8. Aber Helena, nun des Mathaels Weib, floh ebenfalls mit dem Weibe und den Töchtern des Herme in die Zelte; Herme aber blieb auch bei Mir.

9. Wie wir aber auch ganz frei am Meeresufer standen, so wurde doch niemand von einem noch so dicht fallenden Hagelkorne oder Regenstrome berührt; auch blieb die Stelle, da wir standen, vollkommen trocken. Blitze schlugen vor und hinter uns in die Erde und belästigten nichts als zumeist nur unsere Ohren durch ihr starkes Gekrache. Nun fing aber auch ein Orkan mit aller Heftigkeit an, das Meer zu bearbeiten, und sogleich gingen Wogen wie kleine Berge dahin und gewährten einen für menschliche Augen ganz fürchterlichen Anblick.

10. Da sagte Markus: „Herr! Nun bin ich doch schon ein alter Mann geworden und habe Gewitter in Kalabrien und Sizilien gesehen und genossen; aber so ein echt noachisches Sturmgewitter ist mir noch nicht untergekommen! Herr, dieser Hagel verwüstet die Gegend auf mehrere Jahre! Und die furchtbaren Wasserströme schwemmen alles gute Erdreich in den See! Das wird für die armen Menschen eine schöne Wirtschaft abgeben! Und es hört diese Geschichte nicht nur nicht auf, sondern stürmt stets heftiger und dichter! Die dort unter den Tischen werden ersaufen, wenn sie nicht aufstehen! Die Tische nützen ihnen ohnehin wenig mehr, da sie schon vielfach zerschlagen sind! – Herr, wie lange wird denn der Sturm noch währen?“

11. Sage Ich: „Er hat noch nicht einmal ganz ordentlich angefangen, und du willst ihn schon beendet haben?! Wenn er umschlagen wird, dann wirst du erst seine Heftigkeit sehen! Übrigens kümmere dich dieser Sturm gar nicht! Wäre er nicht nötig, so müßte er weichen auf einen Wink von Mir; aber er ist nun zur Erhaltung der Erde so notwendig, als dir zum Sehen die Augen notwendig sind. Darum lassen wir ihn nun vollends austoben!

12. Anderseits aber müssen ja die gewissen Nimbusfreunde doch auch etwas von so einem wahren Nimbus verspüren, der ihnen bei Mir abgegangen ist! Siehe hin, wie sie verstohlen herauslugen aus den Öffnungen des Zeltes und nicht begreifen, wie wir im Freien das Gewitter so ganz wohlgemut zu ertragen imstande sind! Aber herauszukommen haben sie dennoch keinen Mut; o wie kleinwinzig ist noch ihr Glaube!“

13. Sagt Markus: „Ist schon alles recht; aber wovon werden die armen Menschen leben? Denn Du siehst es doch, daß der nimmer enden wollende Hagel alles rein zusammenschlägt und die Fluten alles Erdreich in das Meer tragen! Und Tausende von Menschen und Haustieren werden nun erschlagen, und die mit dem Leben davonkommen, werden nachher dem offenbarsten Hungertode preisgegeben sein! Das ist denn doch ein wenig zu hart und zu schwer strafend heimgesucht mit der allerdicksten Zuchtrute von der Welt!“

Kapitel 188. Das Gericht über die Gegend von Cäsarea Philippi.

1. Sage Ich: „Weißt du, Mein lieber Markus, ein jeder redet, wie er irgendeine Sache versteht, und du redest nun auch also, wie du die Sache verstehst! Ich sage es dir: Der Herr fegt selten; aber wenn Er fegt, dann fegt Er rein!

2. Kennst du diese weite Umgegend? Ja, du kennst sie und weißt, daß sie als eine der fruchtbarsten nur von den übermütigst reichen Griechen besessen wird; die armen Juden aber müssen gegen einen wahren Spottlohn im Schweiße ihres Angesichtes für die reichen Griechenhunde arbeiten und alle Früchte in die Scheuern der Griechen bringen. Diese treiben dann damit einen sehr viel Goldes und Silbers eintragenden Handel in alle Weltgegenden, und unsere Juden müssen dann im Winter betteln und Fische fangen gehen, wenn sie leben wollen!

3. Sieh, das können die Juden immer tun, und der See wird gleichfort fischreich verbleiben!

4. Hat denn ein Jude von so einem Griechen je auch nur ein Stück Brotes erhalten, wenn es ihn hungerte? O nein, er mußte darum über den See fahren und sich jenseits bei seinen Glaubensgenossen das Brot erbetteln! Da steht Mein Kisjonah und da Mein Ebahl! Frage sie, und sie werden es dir sagen, wie viele Tausende von armen Juden aus diesen Gegenden sich nur allein bei ihnen das Winterbrot abgeholt haben!

5. Ich habe diesem frevelhaftesten Unfuge lange übergeduldig zugesehen; aber nun ist das Maß voll geworden, und Ich will diese unbarmherzigen und aller Treue baren Wucherhunde nun züchtigen, daß ihnen das Hören und Sehen vergehen soll für immerdar!

6. Siehe deinen Garten und deine kleinen Äcker: es tut da weder das Wasser noch der Hagel irgendeinen Schaden; aber besieh dir hernach die andere Gegend, und du wirst da eine derartige Verwüstung finden, wie dir nicht leichtlich irgendwo eine ähnliche vorgekommen ist!

7. Mit dieser Geißel werden die griechischen Wucherhunde aus diesem Lande vertrieben werden. Denn auf den nackten Steinen werden sie keinen Weizen, kein Korn, keine Gerste, keinen Mais, keine Linsen und keine Bohnen mehr ernten; daher werden sie den wüsten Boden verlassen und sich nach Europa ziehen.

8. Aus eben diesem Grunde ließ Ich hauptsächlich zu, daß nahe die ganze Stadt in einen Aschen- und Schutthaufen verwandelt wurde; denn wo der Mensch keine Wohnung und keinen Anbaugrund mehr hat, da verläßt er bald die leere und wüste Stätte und zieht weiter.

9. Für die armen Juden aber wird schon noch am Meere herum Anbaugrundes zur Genüge bleiben, und die Stadt wird für die wahren Juden schon wieder erbaut werden, – aber in einem reineren und besseren Stil, als das bis jetzt der Fall war! Es ist dies zwar noch eine sehr junge Stadt, und sie zählt kaum siebzig Jahre eben als Stadt, da zuvor nur ein ganz unbedeutender Flecken an ihrer Stelle stand; aber von nun an wird es keine Stadt mehr genannt werden, sondern nur ein Fischerdorf soll es sein und bleiben. Die Pracht der Griechen muß verschwinden; aber der Himmel Herrlichkeit soll dafür hier offenbar werden, wie solches nun soeben geschieht und vor sich geht. – Bist du, alter Markus, nun einverstanden mit Meiner Haushaltung?“

10. Sagt Markus: „Ja, wenn also, oh, da laß Du, o Herr, noch zehnmal ärger dreinschlagen! Das ist aber auch die reinste Wahrheit! Es war mit diesen reichen Griechen aber auch im Ernste kein Wort mehr zu reden, und von einer Nächstenliebe war schon gar lange keine Rede mehr. Was man von ihnen haben wollte, mußte mit Silber oder Gold reichlichst bezahlt werden; kauften sie aber von unsereinem etwas, so mußte man stets andere Tauschartikel dafür nehmen. Oh, darum ist das nun sehr gut, und ich habe eine große Freude an diesem heftigen Sturme! Oh, jetzt kann er schon noch wenigstens um zehnmal heftiger werden!“

11. Sage Ich: „Laß du nur alles gut sein, es wird schon das vollrechte Maß getroffen werden!“

12. Sagt Cyrenius: „Du meinst demnach, daß diese Gegend ganz wüste bleiben wird?“

13. Sage Ich: „Das gerade nicht; aber die reichen Griechen müssen fort aus dieser Gegend: Ich sage es dir, daß dieser Sturm wenigstens tausend der wohlhabendsten Familien aus dieser Gegend weithin treiben wird; denn Ich habe ihn schon lange vorgesehen! Sie werden aber darum doch noch Roms Untertanen verbleiben.“

14. Sagt Cyrenius: „Ist es denn für eine Gegend oder für ein ganzes Land nicht gut, so es sehr wohlhabende Einwohner hat?“

15. Sage Ich: „O ja, wenn sie also sind wie Meine Freunde Kisjonah und Ebahl; denn dann sind sie wahre Landesväter für alle armen Bewohner des Landes, und ein jedes Land kann sich glücklich preisen, recht viele solcher Landesväter zu besitzen.

16. Aber diese reichen Griechen sind ja wahre Blutsauger des Landes und meinen, die armen Juden müßten schon sehr froh sein, daß sie zum Lohne für ihre schweren Arbeiten mit den Schweinen der Griechen Mahlzeit halten dürfen! Das sind bei Mir keine Menschen mehr, sondern pure Teufel voll Härte, und mit diesen habe Ich kein Mitleid und keine Erbarmung über ihr elendes, hochmütiges Fleisch! Sie sollen nun nach dem Sturme, der in einer Stunde ausgerast haben wird, nur ihr vieles Gold und Silber auf die nackten Steine legen und den Weizen darübersäen, und wir werden sehen, ob da nur ein Halm aufschießen wird!

17. Und sieh, so habe Ich nun hier mit einem Hieb eine Menge böser Fliegen niedergemacht; die lügenhaften Priester mußten das Weite suchen, und nun werden auch die wucherischen Griechen dasselbe tun! Ihre Paläste liegen im Schutte, und ihre großen Äcker, Gärten und Wiesen sind völlig weggeschwemmt. Wenn sie nach dem Sturme ihre Gründe besehen und sich überzeugen werden, daß eine jede künftige Bearbeitung eine rein vergebliche Mühe wäre, so werden sie aufzupacken anfangen und sich zumeist nach Europa begeben; dann aber habe ich schon noch Mittel zur Genüge, diese Gegend in aller Kürze wieder so blühend als möglich zu machen.“

18. Nun wird aber auch der Sturm rückgängig, und obschon der Hagel aufgehört hat, so fällt aber nun der Regen in solcher Dichte aus den Wolken, daß das Wasser auf dem Flachboden sich gleich halbmannshoch sammelt und dann mit dem furchtbarsten Getöse abfließt, so daß sogar das Meer den gewaltigen Zufluß wahrzunehmen beginnt, was doch sicher keine Kleinigkeit ist. Häuser, Hütten, Bäume und tausenderlei andere Dinge strömen dem Meere zu. Auch eine Menge Vieh, als Hühner, Vögel aller Art, die der Hagel erschlagen hat, Schweine in einer Unzahl, Esel, Kühe, Ochsen, Schafe, Ziegen und Hasen, Rehe und Hirsche bekommt das Meer zum Verspeisen, und die übergroße Menge von Fischen, die dieses Binnenmeer in sich birgt, wird sich daran sehr erquicken, davon sehr fruchtbar werden und sich sehr vermehren; und das wird ein guter Ersatz für die armen Juden sein, die hier ohnehin nichts verlieren konnten, weil sie wenig oder nichts besaßen. Die wenigen Wohlhabenden aber waren in ihrem Gemüte schon ziemlich griechisch hart und gefühllos geworden, und es schadet ihrer Seele durchaus nicht, sich nun auch mit den andern aufs Fischen und Betteln zu verlegen.

19. Als es nun gar so gewaltig zu regnen begann, da erhoben sich alle, die früher unter den Tischen den Schutz gesucht hatten, begaben sich ganz durchnäßt zu Mir hin und konnten sich nicht genug verwundern, als sie Mich und alle, die bei Mir im Freien verblieben, ganz staubtrocken ersahen, sowie auch die etwas erhabenen Plätze so trocken fanden, daß da nicht einmal auf einem Grashalme ein Wassertropfen hing.

20. Hebram fragte Mich, nachdem er sich bis zu Mir vorgeschoben hatte: „Herr, wie ist das möglich, daß bei diesem unerhörten Gusse dieser Platz und ihr alle trocken geblieben seid, während wir doch so durchnäßt worden sind, als wären wir ins Meer gefallen, und es friert uns nun wie im Winter; aber hier auf diesem Platze ist es ebenso angenehm warm, als wie es heute morgen war?! Herr, wie geht denn das zu?“

21. Sage Ich: „Das geht gerade so zu, wie es eigentlich zugeht! Ich kann dir auf deine Frage wahrlich keine andere Antwort geben! Denn du solltest doch nun schon bei dem vielen, was du gehört und gesehen hast, wissen und sogar lebendig wahrnehmen, wer und was hier ist! Und so du das begriffest in deiner Seele, wie könntest du dann solch eine Frage an Mich stellen?!

22. Der Morgen ließ sich bei euch recht gut an; aber der Abend scheint bei euch auch wieder ein Seelenabend zu werden! O du furchtbar blinde Menschheit! Du wirst zwar auf Momente leicht erleuchtet; aber das Licht, weil nicht auf eigenem Grund und Boden erzeugt, bleibt nicht, und in wenig Augenblicken tritt die Nacht wieder an die Stelle des Seelenmorgens!“

23. Sagt Hebram: „Herr, was ist es denn, was wolltest Du mir und meinen neunundzwanzig Brüdern dadurch sagen?“

24. Sage Ich: „Nichts, als daß du und deine Brüder lauter blinde Fische in einem trüben Wasser seid! Saget Mir, was euch bei Meiner vollsten Gegenwart unter die Tische und Bänke getrieben hat!“

25. Antworten die Durchnäßten: „Herr, eine ganz natürliche, von unserer Kindheit uns noch zurückgebliebene Furcht und Scheu vor solchen ungeheuren Gewittern!

26. In unserer blinden Angst dachten wir nicht daran, wo und bei wem wir waren; nun sehen wir unsere Torheit wohl ein, und sehen auch ein, wie blind wir allesamt waren, und wie sehr wir gefehlt haben vor Deinem heiligsten Angesichte. Wir können nun nichts anderes tun, als Dich, o Herr, mit aller wahrsten und lebendigsten Zerknirschung unseres Herzens um Vergebung bitten! Herr, vergib uns unsere große Torheit!“

27. Sage Ich: „Ich habe euch schon lange alles vergeben und der Torheit wegen noch für niemand irgendein Schuldbuch eröffnet; denn ein jeder Tor hat es sich selbst zuzuschreiben, so er zu einem Schaden kommt. Aber ein anderes Mal, da ihr Mich nicht wie jetzt bei euch haben werdet, gedenket im rechten, lebendigen Glauben Meines Namens, und er wird euch besser schützen als irgendein schwaches und zerbrechliches Brett!“

28. Mit dieser Zurechtweisung begnügen sich die dreißig und bitten, auf dem trockenen Platze bleiben zu dürfen.

29. Sage Ich: „Nun, das versteht sich ja doch wohl von selbst! Bleibet und trocknet euch; denn der Regen wird noch eine gute halbe Stunde anhalten!“

30. Darüber werden die dreißig sehr froh und bleiben und trocknen sich und haben eine große Freude, daß sie unter dem stärksten Wolkenbruchregen in Kürze ganz staubtrocken werden.

Kapitel 189. Das bedrängte Schiff auf hoher See.

1. Ich aber berufe den Engel und sage der Gäste und Jünger wegen laut zu ihm: „Auf dem Meere leidet ein gedecktes, ziemlich großes Schiff mit zwanzig Menschen beiderlei Geschlechts, ohne die acht Schiffer, große Not. Das Schiff hielt zu Anfang des Sturmes am jenseitigen Ufer unweit von Genezareth; als aber der Sturm heftiger denn zuvor umbog, riß er das zum Abfahren bereite Schiff vom Ufer und trieb es mit der größten Heftigkeit in die hohe See. Die Schiffer und die Reisenden arbeiteten mit der größten Anstrengung und erschöpften nahe alle ihre Kräfte, um sich vor dem Untergange zu retten. Nun sind sie in der Gefahr, vom Meere verschlungen zu werden; darum hebe dich, und rette sie, – aber nicht auf eine für sie zu unbegreifliche Weise, sondern löse dir ein Boot los und steure als ein geschickter Lotse dem starkbedrängten Schiffe zu Hilfe und bringe es hierher, weil das Schiff ohnehin hierher nach Cäsarea Philippi steuern wollte!“

2. Nach diesen Meinen Worten verläßt der Engel augenblicklich unsere Gesellschaft, löst ein Boot los – das wohl voll Wassers war; aber Raphael hatte jeden Tropfen Wassers bald über Bord – und fuhr darauf dem heftigsten Orkane wie ein Pfeil entgegen und hatte auch in ein paar Augenblicken das bedrängte Schiff erreicht.

3. Als die Hartbedrängten den Lotsen ersehen, fallen sie auf die Knie, danken Gott und sagen: „Oh, dies ist kein gewöhnlicher Lotse! Das ist ein wahrhaftiger Engel, den Gott uns auf unser Flehen zu unserer Rettung gesandt hat! Der wird uns alle wohl erretten!“

4. Der Raphael aber fragt sie nur pro forma (zum Schein): „Wohin wollt ihr bei diesem Sturme?“

5. Sagen die Bedrängten: „Nach Cäsarea Philippi wollten wir, aber erst nach dem Sturme; aber der zu heftige Sturm riß das Schiff vom Ufer und trieb uns mit aller Gewalt hierher. Wir wissen nicht, wo wir uns befinden, denn der zu dichte Regen läßt uns nach keiner Seite hin ein uns bekanntes Ufer erschauen. Haben wir noch weit dahin, wohin wir kommen wollen?“

6. Sagt Raphael: „Bei diesem Winde nicht; aber da der Regen und der Sturm noch sicher eine kleine Halbstunde scharf andauern dürften und ihr erst in den hohen Wogenschlag hineinkommen würdet, wo ihr ohne Rettung verloren wäret, so kam ich als der erfahrenste und beherzteste Lotse, um euch und euer Schiff in eine vollste Sicherheit zu bringen. – Habt ihr viel Wasser im Schiffe?“

7. Sagen die Schiffer: „So ziemlich!“

8. Aber nach ein paar Augenblicken ist das eingedrungene Wasser aus ihrem Schiffe bis auf den letzten Tropfen verschwunden, und die Schiffer sagen zum freundlichen Lotsen: „Aber es ist dies doch im höchsten Grade merkwürdig! Sieh, edler junger Lotse, wir irrten uns vorher; es ist kein Tropfen Wassers in unser gut gedecktes Schiff gedrungen! Wir haben wohl sonderbarerweise vorher etwas Wasser in unserm Schiffe zu entdecken geglaubt; aber es mag das bloß eine Täuschung infolge unserer gerechten Furcht gewesen sein, denn nun entdecken wir nirgends auch nur einen Tropfen Wassers, was im Ernste doch etwas wunderbar aussieht. Ja, ja, es ist stets alles Wunder, was der Herr anordnet; aber dies ist denn doch etwas sonderbar, daß nun bei diesem Äonenregen in unserm gedeckten Schiffe kein Tropfen Wassers und dein offenes Boot kaum ein wenig feucht ist!“

9. Sagen darauf die Reisenden zu den etlichen Schiffern: „Redet nicht vieles umsonst! Dies alles ist ja handgreifliche Gnade Gottes, dafür wir Ihm ein allererstes und wohlschmeckendstes Dankopfer zu bringen haben, und der junge mutige Lotse ist ein Lotse aus den Himmeln! Denn seht nur an, wie der Regen noch in den dicksten Strömen herniederstürzt und rings um uns her die Wogen bergehoch steigen; unser Schiff aber wie sein Boot schweben so ruhig dahin, als wäre die See spiegelruhig, und weder auf unser Schiff, noch in sein Boot fällt ein Regentropfen! Auch die Blitze schwirren und schmettern um uns herum wie muntere Tagesfliegen, und uns rührt keiner der strahlenden und krachenden Todbringer an! Seht, das ist eine Gnade, ja von uns allen höchst unverdiente Gnade von oben!“

10. Sagen die Schiffer zu den Reisenden: „Jawohl, jawohl – da habt ihr alle wohl recht; das ist ein Wunder, das ist eine wahrhaftige Gnade von oben! Wir sind gerettet! Seht hin, schon erblicken wir ein recht nahes Ufer! Eine Menge Menschen stehen trotz des ungeheuren Regens am Ufer, und sehet, viele, ja alle winken uns schon ein freundlichstes Willkommen zu! O Gott und Herr! Wie groß und herrlich bist Du auch im Sturme jenen, die Dich noch allzeit getreu geehret und gelobet haben, und haben Dir stets mit Freuden das vorgeschriebene Opfer dargebracht! Ewige Ehre allein Deinem heiligsten Namen!“

11. Nach diesen Worten steuern sie langsam dem Ufer zu, und Ich gebiete nun dem Sturme im geheimen, innezuhalten und für gänzlich aufzuhören.

12. Und alles hat schnell ein Ende, und es wird alles also ruhig, als wäre nie ein Sturm dagewesen. Das Schiff kommt leicht ans Ufer, und die Reisenden werden ans Ufer gesetzt.

13. Als die Reisenden ans Land kommen, können sie sich nicht genug erstaunen über alles, was ihnen allda begegnet.

14. Der Sturm und der Wolkenbruchregen ist gänzlich verstummt, des Meeres Fläche ist in der schönsten Ruhe und der Himmel von den Wolken frei; nur ganz leichte Lämmerwölklein schmücken hie und da im rosigen Lichte des Himmels blauen Grund. Denn die Sonne ist bereits hinter die Berge entwichen und hat der Erde, da wir waren, nur eine recht herrliche Abenddämmerung zum Abschiedsgruße hinterlassen.

15. Die von den Reisenden bestiegenen Ufer sind ganz staubtrocken, alle hier bei Mir seienden Gäste sehen sehr heiter und freundlich aus, und unser alter Markus nimmt sie sehr freundlich auf, fragt sie auch sogleich, ob sie keine Erfrischungen und Stärkungen zu sich nehmen wollen, da sie diese Sturmfahrt sicher sehr abgemüdet habe.

16. Kurz, alles das wirkt so günstig auf die Reisenden ein, daß sie vor lauter Staunen ordentlich gar nichts hören und sehen, was um sie herum ist und geschieht.

Kapitel 190. Die jüdischen Kaufleute aus Persien.

1. Nach einer Weile des großartigsten Staunens sagt einer der Reisenden: „Wo ist denn nun unser Lotse, daß wir ihn doch um unsere große Schuldigkeit fragen könnten? Es ist doch ewig kein Scherz, sich einer solchen Gefahr auszusetzen, um ein Schiff voll Reisender zu retten!“

2. Die Schiffsleute aber kommen zu den Reisenden und fragen sie, ob sie hier wegen der Rückfahrt warten sollen eine Nacht und einen Tag hindurch, oder ob sie nun bei ruhiger See heimfahren sollen ans jenseitige Ufer, das in gerader Linie von diesem immer gut 5-6 Stunden entfernt war.

3. Die Reisenden aber bescheiden die Schiffer, ihrer zu warten, bis sie die Geschäfte zu Cäsarea Philippi werden abgemacht haben.

4. Das hört Markus und sagt zu den Reisenden: „Liebe Freunde! Den Weg nach der Stadt könnt ihr euch füglich ersparen; denn von der ganzen Stadt besteht nichts weiteres und mehreres als ein paar Hütten armer Juden und eine Menge ausgebrannter, öder Ruinen! Die vergangene Nacht und diesen Tag hindurch ist sie wohlverdientermaßen eine traurige Beute der Flammen geworden, und es war niemandem möglich, des Feuers Herr zu werden!

5. Wenn ihr etwas abzumachen habt, so müsset ihr solches nun schon hier tun, da die höchsten weltlichen wie auch geistlichen Behörden sich nun hier bei mir aufhalten!“

6. Über diese Nachricht machen die Reisenden ein ganz erstaunlich betrübtes Gesicht und sagen: „Freund, wenn also, da wird es für uns auch hier ganz entsetzlich wenig zu schlichten geben, trotz der hier anwesenden allerhöchsten Herrschaften über Welt und Geist! Denn wir standen in bedeutenden Handelsverbindungen mit den griechischen Kaufleuten dieser Stadt, und sie haben vieles von uns genommen, sind uns aber noch die ganze letzte Lieferung schuldig! Wie werden wir da zu unseren Geldern kommen?

7. Wir sind gute Künstler in der Bearbeitung der Seide und des Kamelhaares, auch feinste Schafwollzeuge in allen Farben haben wir geliefert und geblümte Stoffe zu allerlei Tempelgewändern, und es machte die letzte Lieferung einen Wert von zehntausend Pfunden Silbers aus; denn wir sind zwar Juden, nach Jerusalem pflichtig, leben aber in Persien, haben dort unsere großen Fabriken und waren stets gut und ehrlich.

8. Wir hielten das Gesetz Mosis in unserem Lande strenger und genauer als alle Juden in Jerusalem und brachten stets reichliche Opfer dem Tempel; wir unterhalten bei uns eine Synagoge, die in allem, was Größe und Pracht betrifft, dem Tempel zu Jerusalem nicht viel nachstehen dürfte!

9. Wir sind gute und sehr wohltätige Menschen gegen alle Armen, die mosaischen Glaubens sind, und haben stets, wie bekannt, die beste Zucht und Ordnung gehalten! Warum hat uns denn Jehova gar so empfindlich hart heimgesucht?!

10. Siehe, wir wollten ja gerne die Hälfte von den zehntausend Pfunden in den Tempel legen, so wir zu unserem rechtmäßigen Gelde kommen könnten; ja, wir wollten auch die andern fünftausend Pfunde noch obendarauf den etwa sehr armen Glaubensgenossen dieser Gegend zukommen lassen, so wir von den Heiden das ganze Geld bloß des Handels und der Rechnung wegen erhalten könnten!“

11. Sagt Markus: „Ja, meine lieben Gäste und Freunde, da wird es sich trotz eures sehr ansehnlichen Gelöbnisses schwer machen! Redet aber mit dem Oberstatthalter Cyrenius, der sich nun hier befindet mit noch drei römischen großen Machthabern! Der kann vielleicht schon etwas machen.“

12. Sagen die Reisenden: „Wo ist er, daß wir hingingen und ihm alleruntertänigst vortrügen unsere Not? Vielleicht geschieht da auch etwas Wunderbares?! Denn unsere Rettung durch den jungen Lotsen war offenbar ein Wunder, und das kein kleines! Aber unser Lotse hat sich nun irgendwohin verloren und kommt nicht zum Vorschein, daß wir ihm den gebührenden Rettungslohn darreichen könnten!“

13. Sagt Markus: „Dort auf dem kleinen Hügel am Meere, allwo der Oberstatthalter und die andern Großen sich befinden, befindet sich auch der Lotse mitten unter ihnen. Dorthin könnet ihr euch ganz ungeniert begeben und alles miteinander abmachen.

14. Aber es ist noch ein gewisser Jemand dort, der in einen himmelblauen Mantel gehüllt ist und unter demselben einen ungenähten, rosenroten Rock trägt, und über dessen Schultern sehr reiche, blonde Locken wallen; wenn ihr Den für euch gewinnen könnt, dann könnt ihr wohl vom größten Glücke reden! Denn Der vermag gar alles, und Ihm ist gewisserart kein Ding unmöglich! Aber in eurer Angelegenheit wird mit Ihm etwas schwer zu reden sein!“

15. Fragen die Reisenden: „Was und wer ist er denn? Ist er vielleicht gar etwas Kaiserliches aus Rom oder etwa irgendwoher ein König eines großen Reiches?“

16. Sagt Markus: „Weder das eine noch das andere; gehet aber nur hin, und ihr werdet vielleicht wohl darauf kommen, wer unter dem blauen Mantel steckt!“

Kapitel 191. Die beiden Abgeordneten der Reisenden im Verkehr mit Jesus.

1. Mit dem verläßt unser Markus die Reisenden und begibt sich ins Haus, um fürs Abendmahl Sorge und Anstalten zu treffen. Die Reisenden aber beraten nun unter sich, ob sie alle sich hin auf den Hügel begeben, oder ob sie nur ein paar aus ihrer Mitte abordnen sollen. Sie werden aber darüber bald einig, nur ein paar der Weisesten aus ihrer Mitte dahin abzuordnen. Der Abschluß geschieht, und die beiden begeben sich sogleich auf den Hügel.

2. Als sie bei uns anlangen, machen sie eine tiefste Verbeugung vor uns, und ihr erstes ist der da wiedergefundene Lotse, den sie sogleich um ihre Schuldigkeit freundlichst angehen.

3. Der Lotse aber beteuert und sagt: „Ich bin nur ein Diener meines Herrn, von dem ich alles habe, was mir not tut; daher nehme ich denn auch von gar niemand eine Belohnung an, weil sie allein meinem Herrn gebührt!“

4. Fragen die Abgeordneten den Lotsen: „Wo und wer ist denn hernach dein glücklicher Herr?“

5. Raphael zeigt mit seiner Rechten auf Mich und sagt: „Der dort ist es, zu Dem gehet und fraget Ihn, und Er wird es euch sagen, was ihr Ihm schuldig seid!“

6. Die beiden verneigen sich vor dem Engel und begeben sich darauf gleich zu Mir hin. Bei Mir angelangt, fallen sie nach persischer Sitte auf ihre Angesichter nieder und sagen, am Boden liegend: „Herr, dessen strahlend Antlitz wir uns nicht anzuschauen getrauen! Du hast deinen äußerst geschickten und waghalsigen Lotsen in der größten Not zu uns entsandt, ohne den wir offenbar verloren gewesen wären! Wir aber sind keine Armen, die da nicht hätten, einen solchen Dienst nach Gebühr zu belohnen. Wir sind sehr reiche Menschen und verlangen von niemand einen Dienst umsonst, um so weniger diesen nie bezahlbaren. Was sind wir dir für unsere Rettung aus der höchsten Lebensgefahr schuldig?“

7. Sage Ich: „Zuerst, daß ihr als Menschen euch erhebet und, wie es sich geziemt nach unserer Sitte, gerade und aufrecht vor uns stehet; denn wir sind keine eitlen und überhochmütigen Großen des sklavischen Perserreiches. Sodann erst wollen wir miteinander wegen der Rettungsgebühr ein paar Wörtlein sprechen!“

8. Auf solche Meine Worte erheben sich die beiden und bitten Mich dankfreundlichst, ihnen den Rettungslohn zu bestimmen.

9. Ich aber sage: „Ich weiß, von wannen ihr seid, und warum ihr hierherkommet, Ich weiß es, daß ihr an Gold, Silber und Edelsteinen reich seid wie wenige Juden im großen Jerusalem; Ich weiß es, daß ihr für diese eure Rettung so viel zahlen würdet, als ihr in dieser nun verheerten Stadt bei griechischen Kaufleuten ausstehen und somit zu fordern habt und schwerlich irgend etwas je mehr erhalten werdet!

10. Also, der Lohn, den Ich von euch fordern könnte, zumal ihr Perser und unsere Angehörigen seid, dürfte sich mit allem Fug und Recht ebenso massenhaft hoch belaufen wie euer sicherer Verlust hier bei diesen nun in den Waldhütten ihr Obdach suchenden griechischen Handelsleuten; was würdet ihr dann dabei gewinnen? Ihr würdet es dort aufheben und hier wieder fein niederlegen! Dann würdet ihr wieder nach Hause ziehen also, wie ihr hierhergekommen seid!

11. Ich rechne aber für die Rettung nichts und gebe euch sogar die Versicherung, daß euch der Aufenthalt hier, sogar die Fahrt hierher und von da über Genezareth zurück, von wo aus ihr zu Schiffe hierherkamt, keinen Stater kosten soll! (Denn es war dies ein Schiff Ebahls, und es waren auch dessen Schiffsleute.) Seid ihr damit zufrieden?“

12. Sagen die beiden Abgeordneten: „Herr, der du noch voll der blühendsten Jugendkraft, aber danebst auch voll von echt salomonischer Weisheit zu sein scheinst und auch aller Wahrheit nach bist, – das, was du nun als Preis für unsere Rettung ausgesprochen hast, wollten wir schon ohnehin zur einen Hälfte dem Tempel zu Jerusalem und zur andern Hälfte den armen Juden dieser Gegend zum Opfer bringen, so die Kaufleute dieses Ortes uns die nicht unbedeutende Summe hätten zu bezahlen vermocht.

13. Aber da sie so ein hartes Los getroffen hat, so macht uns dieser Verlust nicht ein Geringstes, und wir sind bereit, ihnen mit einer zweimal so großen Summe behilflich zu sein ohne Entgelt und ohne Zinsen, dir aber danebst noch für unsere Rettung die ausgesprochenen zehntausend Pfunde als Lohn mit dem freudigsten Herzen von der Welt zu opfern! Denn siehe, Herr dieser Gegend, wir sind sehr reich; auf hunderttausend Kamelen könnten wir unsere Erdschätze nicht hierherschaffen, und trüge auch ein jedes eine Last von viertausend Pfunden. (Ein persisches Pfund wäre gegenwärtig gleich 5 bis 6 Lot; J. Lorber.) Dazu besitzen wir viel Ländereien und viele und große Herden. Daher macht uns das nun soviel wie gar nichts; verlange du von uns, was du willst, und wir werden uns nur freuen, deinem Willen und Ausspruche gemäß zu handeln! Denn zehnmal soviel dürften wir wohl in den Städten Judäas noch ausständig haben! Wir geben dir dann sogleich bares Geld oder die sichersten Anweisungen.

14. Was dir, o Herr dieser Gegend, genehmer ist, das wollen wir tun; denn geizig und knickerig waren wir nie! Wir wissen's ja, daß Reichtum sich gleichfort in der Hand des Allmächtigen befindet, der ihn einem Menschen über Nacht geben und in einer nächsten wieder nehmen kann! Wir sind dessen Sachwalter nur; der ganz alleinige Herr darüber ist der Herr, Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs!

15. Du kannst hieraus schon entnehmen, mit welcherlei Menschen du hier in uns zu tun hast; daher gebiete nur, und wir werden tun nach deinem sicher weisen Ausspruche!“

16. Sage Ich: „Was Ich einmal ausgesprochen habe, bei dem bleibt es! Denn Ich kenne euch und alle eure Verhältnisse, und ihr tut genug, so ihr Meinem Verlangen nachkommet; wollet ihr aber irgend wahrhaft Armen mehr tun, so wird euch niemand etwas Hinderliches in den Weg legen. Aber es ist hier etwas zu bekommen, das endlos mehr wert ist denn alle eure nahe unermeßbaren Erdschätze! – Doch davon später ein Weiteres!“

17. Sagen die beiden Abgeordneten: „Du scheinst ein sonderbarer Weiser zu sein! Die Schätze dieser Erde scheinen dich nicht zu rühren; auch von einer vielleicht übertriebenen Wohltätigkeit scheinst du eben kein besonderer Freund zu sein! Geistesschätze gelten bei dir sicher mehr denn alles Gold der Erde! Hast auch ganz vollkommen recht in aller solcher Hinsicht; denn des Geistes Schätze dauern ewig, während die irdischen für jeden Menschen nur bis zum Grabe andauern, und dann ist es gar mit ihnen für den, der von dieser Erde hinweggenommen wurde!

18. Ja, du weiser Herr, gib du uns die Schätze der Weisheit, – die werden uns lieber sein denn all unser Gold, unsere Edelsteine und schweren Silbermassen! – Aber nun wollen wir gehen und unsere Brüder von all dem getreu und genau benachrichtigen!“

19. Sage Ich: „Ja, ja, gehet, saget das alles euren Brüdern, und kommet wieder mit den Brüdern; denn ihr seid eurer in allem ja nur zwanzig an der Zahl, ohne die Schiffer, und habt leicht Raum allhier!“

20. „Jawohl!“, sagen die frohen Abgeordneten, „Raum haben wir wohl; aber es fragt sich nur, ob du auch die Güte haben wirst, uns irgend etwas Weises mitzugeben. Denn bei uns in Persien wird die echte Weisheit immer seltener, und an ihrer Stelle macht sich die Zauberkunst der heidnischen Priester immer breiter und breiter und wird wohl noch ehestens aller Weisheit selbst der dort lebenden Juden ein Ende machen, – besonders wenn die herrsch- und habgierigen Priester und Götzendiener vom Könige aus eine Gewalt überkommen, was sehr zu befürchten ist, da sie dem Könige über alle Maßen zusetzen und ihm Tag und Nacht in den Ohren liegen.

21. Wir haben ihnen bisher noch die Stange gehalten durch unsern großen Reichttum; aber diese bösen Menschen verstehen es auch, sich unermeßliche Schätze zu erbeuten, und greifen dem verschwenderischen Könige bei jeder Gelegenheit unter die Arme. Und so wird es wohl geschehen, daß sie der Toleranz des sonst gutherzigen Königs einen Garaus machen werden. – Aber davon nachher ein mehreres; jetzt heißt es die sehnsüchtigen Brüder unterrichten von all dem hier Vernommenen!“ – Mit diesen Worten verneigen sie sich und eilen zu ihren Brüdern. Allda angelangt, geben sie getreust von allem Vernommenen Nachricht und besprechen sich nun über manches mit ihren Gefährten und Gefährtinnen.

Kapitel 192. Vom Segen und Fluche des Reichtums.

1. Cyrenius aber sagt zu Mir: „Herr und Meister, wahrlich, so freigebig gesinnte und gemütliche Menschen sind mir im vollsten Ernste noch nie untergekommen; diesen Menschen muß ich einen Schutz gegen die Übergriffe der Götzenpriester verschaffen, – koste es, was es wolle! Der Perserkönig ist auch nur ein Vasall Roms und steht unter mir; oh, den argen Wichten soll bald ihr Handwerk gelegt werden! Auch Du, o Herr, solltest diese guten Leute mit einer besonderen Gnade versehen; denn sie scheinen mir einer solchen vollauf würdig zu sein!“

2. Sage Ich: „Allerdings, ansonst Ich sie nicht durch Meinen Engel vom sichern Untergange hätte retten lassen; denn wo Ich etwas Wunderbares verfüge, da hat es sicher seinen tüchtigen Grund. Und hier fehlt es nicht am Grunde!

3. „Ein großer irdischer Reichtum in den Händen solcher Menschen ist ein wahrer Segen aus den Himmeln für ein ganzes Land; besitzen solche Menschen dazu noch irgend eine höhere Weisheit, so können sie zum wahren Wohle der Menschheit damit Wunder wirken.

4. Aber ein großer Reichtum in den Händen eines Geizhalses oder Wucherers ist ein Fluch der Hölle für ein ganzes Königreich; denn der sucht nur alles an sich zu ziehen auf Kosten aller Menschen! Ihn rührt kein Elend, keine Not und keine Träne armer, verlassener Witwen und Waisen. Vor dem kalten Angesicht eines Wucherers können Tausende mit dem Hungertod ringen, so wird er dennoch niemandem ein Stück Brotes zu seiner Sättigung reichen!

5. Darum sage Ich es euch aber auch, daß dereinst Hurer und Ehebrecher und Diebe und reuige Raubmörder ins Reich Gottes eingehen werden, aber die Seele eines Geizhalses und Wucherers nimmer; denn diese ist unverbesserlich und wird darum zum Material, aus welchem die Teufel eine unterste Hölle erbauen werden!

6. Ein Wucherer ist eine wahre Höllenmaschine, zum Verderben aller Menschen errichtet, und wird als solche auch für ewig ein vollstes Eigentum der Hölle verbleiben!

7. Setze einem Wucherer eine Königskrone auf, gib ihm Zepter und Schwert und ein mächtiges Heer dazu, und du hast einen Satan zum tyrannischsten Regenten über die armen Menschen gesetzt, der den letzten Blutstropfen seiner Untertanen nicht schonen wird! Er wird jeden eher erwürgen lassen, als bis er ihm einen Stater nachsehen und erlassen wird! Darum sei von Mir verflucht jeder Geiz und jeder Wucher!

8. Aber solche Menschen, die durch ihrer Hände Fleiß überreich geworden sind unter dem Einfluß der Gnade aus den Himmeln, sind eine gute und edle Frucht dieser Erde. Sie sind fortwährende Sammler für die Schwachen und Armen, erbauen stets neue Wohnstätten für die Dachlosen und weben Kleider für die nackten Brüder und Schwestern. Daher aber wird auch ihr Lohn dereinst groß sein; denn sie tragen ja den schönsten und höchsten Himmel schon auf dieser Erde in sich!

9. Wenn dereinst ihre Seele den Leib verlassen wird, so wird aus ihrem Herzen der Himmel sich ausbreiten und sie stellen in seine Mitte, gleichwie da die aufgehende Sonne ausbreitet ihr eigenes Licht und pranget dann im großen Zentrum ihres aus ihr herausgehenden alles belebenden und schaffenden Lichtes!

10. Andere gute Menschenseelen aber werden nur selig sein gleich den Planeten, die sich freuen unter den erwärmenden und belebenden Strahlen der Sonne, aber dabei doch stets eine Nachtseite haben!

11. Ja, Mein lieber Cyrenius! Reich sein auf dieser Erde und für sich nur so viel verwenden, als man zur Erhaltung seiner selbst höchst nötig braucht, also karg sein gegen sich, um desto freigebiger gegen die Armen sein zu können, dies, dies ist die größte Gottähnlichkeit schon im Fleische dieser Erde! Aber je größer diese echte und allein wahre Gottähnlichkeit bei einem Menschen ist, desto mehr Segen und Gnade fließen ihm auch stets aus den Himmeln zu!

12. Es geht einem solchen Menschen wie einer Sonne! Je mehr ihres Lichtes sie über den Erdboden ausströmen läßt, desto heller leuchtet sie auch in sich selbst; aber wenn sie im Winter karger wird mit dem Ausspenden ihres Lichtes, wenn auch nur scheinbar, so ist sie auch in sich selbst ärmlicheren und schwächeren Lichtes, wenn auch da freilich nur scheinbar!

13. Wer vieles mit Liebe und Freude gibt, dem wird auch überaus vieles wieder gegeben werden!

14. Denn wenn du in die Mitte eines Zimmers ein starkes Licht stellst, so wird es auch stark von allen Wänden wieder zurück gegen des Lichtes Mitte strahlen und das starke Licht mit einer mächtigen Glorie einfassen, und dadurch wird das Grundlicht noch herrlicher, mächtiger und wirksamer; stellst du aber nur ein schwach schimmerndes Lämpchen in des großen Gemaches Mitte, da werden die schwach erleuchteten Wände wohl auch nur ein höchst spärliches Licht zurückgeben, und mit der Glorie des Grundlichtes wird es sehr mißlich aussehen!

15. Darum seid ihr, mit den Gütern dieser Erde überschwenglich Versehenen, freigebig, gleichwie da die Sonne am Himmel freigebig ist mit ihrem Lichte, so werdet ihr auch sein und ernten gleich der Sonne!

16. Denn nicht kannst du in ein gutes Erdreich einen guten Samen aussäen, daß er dir nicht zurückbrächte eine hundertfältige Ernte. Gute Werke eines guten Herzens aber sind wohl die beste Samenfrucht, und die arme Menschheit ist das beste Erdreich; das lasset nimmer brachliegen, sondern säet verschwenderisch in dieses Erdreich, und es wird euch stets eine hundertfältige Ernte hier und eine tausendfältige jenseits wiedergeben, wofür Ich als ein sicherer Bürge dastehe!“

Kapitel 193. Grundnatur des Menschen.

1. (Der Herr:) „Freilich, wohl wird man hie und da sagen und also richten: Ja ja, es ist gut von der Tugend der Freigebigkeit predigen und den Geiz als ein abscheulichstes Laster darstellen; wer aber könne da eigentlich dafür, daß der eine Mensch den überwiegenden Drang zur verschwenderischen Freigebigkeit in sich als einen wahren Lebensgrund hat und ein anderer dafür den allerblanksten Geiz?! Bei beiden sei es eine Sache und äußere Erscheinlichkeit ihrer innersten Liebe, aus der eines jeden beseligendes Gefühl für ihn selbst erwächst, das er dann, einer wie der andere, für sich behielte. Es werde aber der erste traurig, so er nicht so viel im Überflusse besitzt, um seine armen Nebenmenschen zu beglücken, und der zweite werde traurig, wenn er nicht so viel, als er wünscht, einnimmt – oder gar etwa verliert! Das sei, dies alles liege so schon ursprünglich in der Natur des Menschen, und es könne da dann im Grunde weder ein Laster noch irgendeine wahre Tugend geben. Für den Geiz sei die Freigebigkeit ein Laster – und für die Freigebigkeit im gleichen Maße der Geiz. Könne etwa das Wasser darum, daß es ganz weicher und fügiger Natur sei, und wer könne den Stein verdammen seiner Härte wegen?! Das Wasser müsse so sein, wie es ist, und der Stein im gleichen, wie er ist.

2. Das ist einesteils wohl richtig; des Freigebigen Natur ist, freigebig zu sein, und des Geizes Natur das blanke Gegenteil. Aber es verhält sich diese Sache also: Mit dem Drang zur Selbstsucht und zum Geiz kommt ein jeder Mensch als Kind zur Welt, und dessen Seele hat durchgängig noch das gröbst-materiell-tierische Element in sich, und namentlich gilt das für jene Seelen, die nicht von oben, sondern nur von dieser Erde her sind. Aber ganz frei von diesem Element sind auch jene Seelen nicht, die aus den Sternen auf diese Erde herüberkommen.

3. Wird der Mensch nun in diesem tierischen Element erzogen, so verkehrt er dann solches selbst stets mehr und mehr in seinen Lebensgrund, das heißt in seine Liebe; weil diese aber tierisch ist, so bleibt der Mensch denn auch gleichfort ein reißendes Tier und hat nichts Menschliches als die lumpige Gestalt, die gelöste Zunge und infolge des geordneten Gehirnbaues ein geregeltes Erkenntnisvermögen, das aber stets mehr und mehr vom tierischen Elemente zur schnöden Tätigkeit angetrieben wird. Es kann infolgedessen nur das als gut und beseligend erkennen, was das rein tierische Element will.

4. So nun jemand behaupten möchte, daß es im eigentlichen Sinne der Wahrheit nach keine Tugend und somit auch kein Laster gäbe, und daß man sehr unrecht tue, den Geiz gegenüber der Freigebigkeit zu verdammen, der sei auf diese Meine Erläuterung angewiesen; er betrachte sie, und erwäge sie wohl!

5. So aber ein Gärtner zwei Fruchtbäume in seinen Garten setzt und sie, wie sich's gebührt, pflegt, – wird es ihm wohl einerlei sein, so ihm nur der eine Baum Früchte trägt, der andere aber, von derselben Art seiend und in derselben Erde stehend, vom gleichen Regen und Tau, von gleicher Luft und vom gleichen Lichte genährt, durchaus keine Früchte, ja, nicht einmal ein genügendes, für den Schatten verwendbares Laub trägt? Da wird der einsichtsvolle Gärtner sagen: ,Das ist ein ungeratener, kranker Baum, der alle ihm zukommenden Säfte in sich verzehrt; wir wollen sehen, ob ihm denn nicht zu helfen sei!‘ Da versucht der Gärtner alle ihm bekannten wirksamen Mittel, und helfen am Ende alle diese Mittel nichts, so wird er den unfruchtbaren, in sich selbst verdorbenen Baum ausrotten und an seine Stelle einen andern setzen.

6. Ein geiziger und selbstsüchtiger Mensch ist sonach ein in sich durch sich selbst verdorbener Mensch und kann keine Früchte des Lebens bringen, weil er in sich selbst alles Leben verzehrt.

7. Dagegen aber ist ein freigebiger Mensch schon darum in sich in der rechten Lebensordnung, weil er nach außen hin reichliche Früchte trägt.

8. Ein Baum kann aber nicht darum, ob er Früchte oder keine Früchte trägt; denn er bildet sich nicht selbst, sondern die in seinem Organismus aufsteigenden Geister aus dem gerichteten Reiche der Natur bilden ihn durch ihre Kraft und durch die ihnen innewohnende höchst einfache und somit auch ebenso beschränkte Intelligenz. Der Mensch aber steht auf dem Punkte, durch die unbeschränkte Intelligenz seiner Seele sich selbst zu bilden und sich zu einem reichlichste Lebensfrüchte tragenden Baume umzuwandeln.

9. Tut er das, wozu er alle Mittel besitzt, so wird er erst ein rechter Mensch in der wahren, ewigen Ordnung Gottes; tut er das aber nicht, so bleibt er ein Tier, das als solches kein Leben in sich hat und somit auch keines an einen Nächsten durch gute und liebreiche Werke übergehen lassen kann.

10. Darum aber sind die nun geretteten Perserjuden schon ganz wohlgeordnete Menschen, und es ist nun ein ganz leichtes, sie in eine höhere Weisheit zu leiten; denn so da eine Lampe derart voll Öles ist, daß dasselbe ganz reichlichst überzugehen anfängt, und hat einen wohlgestellten und kräftigen Lebensdocht in sich, so braucht man den Docht nur anzuzünden, und es wird sogleich die ganze Lampe voll Lichtes und wird fein und helle alles erleuchten um sich herum im weiten Kreise!

11. Und diese Perserjuden samt ihren Weibern, die einige aus ihnen mitgenommen haben, sind schon solche wohlgefüllte Lampen; da wird es demnach gar nicht viel mehr brauchen, und sie werden alle voll Lichtes sein!“

12. Sagt darauf Cyrenius: „Herr, dies ist für alle Menschheit ja schon wieder eine höchst wichtige Lehre und sollte wohl aufgeschrieben werden und gelten und bleiben bis ans Ende der Welt!“

13. Sage Ich: „Du sorgest dich recht darum, und Ich habe darum schon gesorgt, daß das Wichtige davon schon in deinen Rollen aufgezeichnet ist. Aber es nützt jede derartige Aufzeichnung zum Leben nur so viel als ein toter Wegweiser dem Wanderer auf den vielen Straßen und Irrgängen dieser Welt. Das aber, was jedermann helfen kann und ihm geben Weisheit, Kraft und Leben, wird einem jeden Menschen in sein Herz geschrieben, und das auf eine ganz unvertilgbare Weise so, daß diese Schrift des ewigen Lebensrechtes und seiner in- und ausseitigen Beziehungen bei jeder der göttlichen Ordnung zuwiderlaufenden Handlung im Menschenherzen von selbst laut verlesen wird, und die Seele mahnt, zurückzukehren in die ursprüngliche, göttliche Ordnung!

14. Wird der Mensch dieser inneren Stimme folgen, so wird er sogleich auf dem rechten Wege sein; wird er sich aber nicht danach kehren, sondern tun nach der tobenden Leidenschaft seines Fleisches, so wird er es sich dann nur selbst zuzuschreiben haben, so er vom eigenen Gerichte in sich selbst verschlungen wird. – Nun aber sehe Ich, daß sich unsere Perser aufmachen; darum wollen wir denn auch freudigst sie erwarten!“

Kapitel 194. Meinungen der Perser über Jesus.

1. Die Perser aber berieten sich, während Ich dem Cyrenius die Freigebigkeit und den Geiz erörterte, untereinander, wer Ich etwa doch sei. Einige hielten dafür, daß Ich ein Prophet sei; andere hielten Mich so für einen Weisen, dem alle Schulen Ägyptens, Griechenlands und Jerusalems wohlbekannt sind; ein paar meinten gar, Ich sei etwa so ein römischer Prinz, kenne alle Verhältnisse des großen Reiches und besitze darum eine große Staatsklugheit. Man müsse sich darum sehr in acht nehmen vor Mir; denn sonst würde der stolze Römer Cyrenius, als Oberstatthalter von ganz Asien, nicht gar so demutsvoll mit Mir umgehen! Aber einer der zwei Deputierten (Abgeordneten) sagte: „Sei ihm nun, wie ihm wolle; er ist in jedem Falle ein höherer Mensch, und wir können von ihm etwas lernen, und das ist es, was uns allen in dieser Zeit am meisten not tut!“

2. Damit waren endlich alle einverstanden, machten sich auf und begaben sich zu Mir hin auf den Hügel, obgleich es schon ziemlich dunkel zu werden anfing.

3. Zugleich aber kam auch der alte Markus und fragte Mich wegen des Abendmahles und wegen der vom Hagel zerschlagenen Tische und wegen der noch großen Feuchtigkeit des Bodens, und was da nun zu machen sein werde.

4. Ich aber zeigte ihm die Perser und sagte: „Siehe da, ein großes und für Mich äußerst wohlschmeckendes Gericht; diese müssen noch vor dem Abendmahle völlig aufgezehrt sein von Meiner Liebe! Bis dahin wirst du schon eine Zeit finden fürs leibliche Mahl, um es zu bereiten und die Tische in irgendeine Ordnung zu bringen; denn zerbrochen sind ja nur einige, und diese werden zur rechten Zeit schon wiederhergestellt sein. Zündet aber bald Lichter an, damit die Menschen nicht im Dunkeln wandeln!“ Darauf begab sich Markus froh zurück und setzte alles in Bewegung.

5. Die Perser aber traten zu Mir hin, verneigten sich nach ihrer Sitte abermals bis zum Boden, stellten sich aber hernach dennoch gerade und blieben nicht liegen auf den Angesichtern.

6. Der eine der früheren zwei Deputierten nahm das Wort und sagte: „Herr und sicher großer Freund der Menschen, die eines guten Willens sind, sieh, da wären wir nun! Unsere Angelegenheiten kennst du und den Grund, der uns nun in diese Gegend zog. Allein wir betrachten es als eine wunderbare Fügung von oben und sagen mit Hiob: ,Herr, Dein ist alles, Himmel und Erde, Luft und Wasser! Du gibst und nimmst, wann und wie es Dir wohlgefällig ist; einem Bettler kannst Du Krone und Zepter verleihen und der Könige Haupt beugen in den Staub der vollsten Nichtigkeit!‘ Darum schmerzt es uns auch nicht; denn der Mensch, der des allmächtigen Gottes Willen stets vor und im Herzen trägt, der trauert nie, außer wenn er vor dem Angesichte Gottes gesündigt hat. Darum trauern auch wir um unsern bedeutenden Verlust nicht; denn wäre damit nicht der Wille Gottes im Spiele dieser traurig aussehenden Begebenheit, so wären wir nun, wie es sonst alle Jahre der Fall war, sicher zu unserem Gelde ohne den geringsten Abzug gekommen. Es war aber da offenbar der Wille Gottes mit im Spiele, und Dem opfern wir gerne diese Kleinigkeit – und möchten noch gerne größere Opfer bringen, so der Allmächtige es von uns verlangen würde; denn Er allein ist der Herr, wir sind nur Seine, allzeit Ihm allein dienenden und gehorsamen Knechte.

7. Wir lieben und fürchten Gott allein und haben darum keine Furcht vor den Menschen; hat der Herr Himmels und der Erde uns aber irgend vor den Menschen zuschanden gestellt, so hat Er schon Seinen besten Grund dazu gehabt! Denn nur gar zu leicht und leichtsinnig begeht der Mensch vor Gott eine Sünde, die der Seele stets einen großen Nachteil bringt; da kommt aber dann der Herr mit der guten Zuchtrute und hilft dem Menschen wieder auf den rechten Weg!

8. Du, lieber Herr und Freund, siehst daraus, daß wir Menschen sind, die Gott noch lange nicht vergessen haben. Du magst vielleicht wohl gar ein weiser Heide und sehr vertraut sein mit den Kräften der Natur; aber wir kennen nur eine Allkraft, und diese ist nur allein in Gott dem Herrn. Dagegen nähmen wir wohl keine Lehre an!

9. Wenn du uns sonach irgendeine rechte Weisheit lehren wolltest, so vergiß nicht, daß wir unwandelbar festeste Bekenner der göttlichen Lehre Mosis sind! Gegen diese wird von uns nichts angenommen, und klänge und wäre es noch so weise! Denn wir alle wollen lieber vor der weisen Welt als Narren – denn vor Gott als Sünder dastehen!“

10. Sage Ich: „Ganz recht so, und ihr seid auf dem besten Wege! Aber es gibt sowohl im Moses, wie ganz besonders in den Propheten, Dinge, die euch noch ganz dunkel sein könnten. Und diese möchte Ich euch aufhellen, auf daß auch ihr es begriffet für euch und eure Brüder, Weiber und Kinder, um welche Zeit es nun sei!

11. Als Elias in einer Berghöhle verborgen lag, da zeigte ihm der Geist an, daß er so lange in der Höhle verbliebe, bis Jehova Selbst vorüberzöge! Und Elias stellte sich nahe an den Ausgang und horchte. Da kam auf einmal ein heftigster Sturm, der da vorübertobte so mächtig, daß darob erbebte der ganze Berg. Da meinte Elias, ob nun wohl Jehova vorübergezogen sei? Der Geist aber antwortete: ,Im Sturme war Jehova nicht!‘

12. Da horchte Elias weiter, und sieh, da zog bald darauf ein mächtiges Feuer vor der Höhle vorüber! Es brauste und krachte da gewaltig, und die Außenwände verglasten sich vor der Hitze Macht. Da meinte Elias, dies sei denn doch Jehova gewesen! Aber der Geist sprach wieder und sagte: ,Auch in diesem Feuer war Jehova nicht!‘

13. Da dachte der große Prophet bei sich: ,Also weder im Sturme, noch in des Feuers Allgewalt ist Jehova im Grundwesen Seiner Liebe gegenwärtig!‘

14. Als er aber also ganz ernstlich nachdachte, da säuselte ein ganz zarter und leiser Hauch vor seiner Höhle vorüber, und der Geist redete abermals und sprach: ,Siehe, Elia, in diesem zarten und sanften Säuseln zog Jehova vorüber, und dies diene dir zum verheißenen Zeichen, daß du nun ganz frei wandeln kannst und verlassen diese Höhle, in der du verborgen auf die Erlösung harren mußtest!‘

15. Da trat Elias ganz wohlgemut aus der Höhle in die große Freie, und der Weg in die große Heimat stand ihm gefahrlos frei und offen (1.Kön.19,9-15).

16. So ihr schon gar so fest in der Schrift seid, so erkläret Mir dies sonderbare Bild!“

Kapitel 195. Erklärung eines Schrifttextes durch Jesus.

1. Auf diese Meine Frage und vorhergehende Darstellung machten alle große Augen und wußten nicht, was sie darauf antworten sollten. Denn je mehr sie darüber nachdachten, desto verworrener wurde es in ihrem Verstande und Gemüte.

2. Einer der beiden Deputierten machte nach einer Weile die Bemerkung, sagend: „Hoher, weiser Freund! Du scheinst mir in der Schrift sehr erfahren zu sein, obwohl du vielleicht ein Römer oder ein Grieche bist. Das von dir uns vorgeführte höchst mystische Bild des Propheten Elias ist wesentlich richtig vorgeführt; aber es ist bisher noch von niemandem je verstanden worden. Es wäre wahrlich sonderbar, daß ein Heide uns Juden darüber ein Licht geben sollte. Wir bitten dich aber darum; denn ich habe mir schon einmal so manches Dunkle aus dem Propheten Jesaja von einem weisen Heiden aus dem Morgenlande erklären lassen und habe mich über dessen tiefe Weisheit hoch zu erstaunen die gerechteste Ursache gehabt. Hier scheint mir abermals ein gleicher Fall werden zu wollen. Darum bitten wir dich alle, wie wir hier sind, daß du uns nach deiner Einsicht dies Bild enthüllen möchtest!“

3. Sage Ich: „Nun denn, so sei es! Aber vor allem muß Ich euren Irrtum, der Mich für einen Heiden hält, dahin berichtigen, daß Ich kein Heide bin, sondern von Geburt an ein Jude gleich wie ihr; nun wohl bin Ich alles mit allen, um alle zu gewinnen für das Reich des Lichtes, für das Reich der ewigen Wahrheit! Wer Ohren hat, der vernehme, und wer Augen hat, der sehe nun!

4. Elias stellt die reine Seele des Menschen dar, und die Höhle, in der er verborgen war, ist die Welt und eigentlich das Fleisch und das Blut des Menschen. Der Geist, der zum Elias, resp. zu der Menschenseele spricht, ist der Geist Gottes, mit dem die Seele eins werden soll, aber noch nicht werden kann, weil Jehova noch nicht vor der Fleisches- oder der Welthöhle vorübergezogen ist.

5. Der vorüberziehende Sturm bezeichnet die Zeit vom alten Adam bis auf Noah, das Feuer die Zeit von Noah bis auf diese Zeiten herab.

6. Die Zeit aber des sanften Säuselns vor der Höhle des Propheten ist soeben vor uns, die jeder Seele, die eines guten Willens ist, die volle Erlösung im Geiste und in aller Wahrheit geben wird, und, nota bene (wohlgemerkt), auch ihr befindet euch nun auf diesem Punkt, die Freie des Elias zu überkommen!

7. Das Schiff, das euch hierherbrachte, war auch gleich einer Höhle des Propheten. Es befand sich anfangs in der großen Gewalt des Sturmes, und ihr littet große Not und Angst, und als ihr vom Sturm auf die Höhe des haltlosen Meeres getrieben waret, da zuckte ein tausendfaches Feuer um eure kleine, lockere Welt aus morschen Brettern; aber Jehova war nicht im Feuer, obschon Er mit Seinem Arme (einem Engel) euch Rettung und Erhaltung brachte.

8. Nun befindet ihr euch aber da, wo es nach dem Sturme und Feuer gar sanft an euch vorübersäuselt; wer wohl mag in diesem sanften Säuseln vor euch und in eurer Nähe sein?!“

9. Hier staunen die Perser über die Maßen, und der Deputierte sagt: „Sonderbar, sonderbar! Dies völlig ein und dasselbe Bild ist überraschend ähnlich mit jenem alten des Propheten Elias! Wunderbar ging es mit unserer Rettung auch zu, und das in keinem geringen Maße, und nun hier auf diesem Hügel verspüre ich wahrlich physisch und moralisch jenes sonderbare, geheimnisvolle Säuseln, von dem der Geist zum Propheten sagte, daß im selben Jehova vorübergezogen sei! – Ja, was meinet denn ihr, meine Brüder und Schwestern alle?! Wie kommt diese Sache denn euch vor?“

10. Sagen die andern alle wie aus einem Munde: „Uns kommt es ebenso wundersam vor wie dir; wir aber werden da von uns aus zu keinem Lichte gelangen! Lassen wir darum nur diesen weisen Mann reden für dich und für uns alle!“

11. Sagt der Deputierte: „Ja, das wäre freilich wohl das beste; aber man kann da auf diesem Platze, wo Roms höchste Gebieter weilen und Könige und Fürsten, nicht gleichweg verlangen um dies oder jenes, sondern da heißt es zuerst um die gnädige Erlaubnis bitten, für etwas, das man hauptsächlich möchte, bitten zu dürfen!“

12. Sage Ich dazwischen: „Freund, dessen bedarf es hier wohl nicht! Dies ist wohl ein Gebrauch in Persien, aber uns solle er für immer fern bleiben! Vor Gott, Mein Freund, ist eine die Menschenseele zu dumm erniedrigende Demut schon so gut eine Torheit als irgendeine andere, nur im Heidentum vorkommende, – um so mehr eine zu große Demütigung eines Menschen vor wieder nur einem Menschen. Solch eine zu speichelleckerische Demutsäußerung eines Menschen vor einem andern Menschen macht beide schlecht; den ersten, weil er solch eine Demut zumeist nur heuchelt und dadurch seinen Nebenmenschen noch hochmütiger zeihet, und den zweiten, weil er dadurch im Vollernste noch hochmütiger wird!

13. Jene Demut, die da hervorgeht aus der reinen Liebe, ist eine rechte und wahre Demut; denn sie achtet und liebt im Nebenmenschen einen Bruder als Bruder, macht aber weder sich selbst noch den Nächsten zu einem Gott, vor dem man auf die Knie fallen und ihn anbeten soll.

14. Was du irgend willst oder möchtest, das verlange als Mensch vom Menschen und als Bruder vom Bruder; aber im Staube kriechen soll nie ein Mensch vor dem andern!

15. Was Gott von keinem Menschen verlangt, das soll um so weniger ein Mensch von seinem Nebenmenschen verlangen! Das ist auch eine rechte Weisheit in der vollsten Ordnung Gottes; daher merket sie euch und tut danach, so werdet ihr angenehm vor Gott und vor den Menschen sein!

16. Aber nun wieder von etwas anderem! Auf daß ihr das sanfte Säuseln vor der Höhle des Propheten ein wenig tiefer mit dieser Zeit als übereinstimmend erkennen möget, so werde Ich euch nun, da ihr sozusagen noch kernfeste Juden seid, eine andere Frage geben.“

Kapitel 196. Die Frage Jesu über den Messias.

1. (Der Herr:) „Was haltet ihr denn von dem verheißenen Messias, der nach der Weissagung aller Propheten eben in dieser Zeit zur Erlösung der Juden kommen soll? Haltet ihr so als gescheite Leute im Ernste etwas darauf, oder haltet ihr wie nun viele nichts auf solche für den menschlichen Verstand zu mystisch gehaltenen Weissagungen?“

2. Sagt der Deputierte: „Mein erhabener Freund! Das ist eine äußerst heikle Sache! Nichts darauf halten, wäre für einen echten Juden denn doch zu vermessen, – und im vollsten Ernste etwas darauf halten, ist eben auch eine sehr gewagte Sache; denn man kann dadurch dem finstern Aberglauben das breiteste Tor öffnen und ihm somit den freiesten Eintritt bereiten!

3. Ob nun gar kein Glaube vor dem finstersten Aberglauben einen Vorzug – oder umgekehrt – hat, das zu entscheiden überlasse ich gerne größeren Weisen, als ich einer bin. Aber soviel sagt mir mein stets nüchterner Verstand, daß gar kein Glaube vor einem finstersten Aberglauben einen bedeutenden Vorzug zu haben scheint.

4. Denn gar kein Glaube gleicht meiner Ansicht nach einem neugeborenen Kinde oder einem leeren, brachliegenden Acker, in welchen noch nichts gesät ist. Das Kind kann durch eine gute Erziehung zu einem vollweisen Manne werden, und in den brachliegenden Acker kann jede Art einer edlen Frucht gesät werden; ist aber der Acker einmal wucherig mit Unkraut aller Art überwachsen und ein erwachsenes Kind in allerlei Dummheiten unterwiesen, so geht es dann mit der Weisheitsbildung entweder gar nicht mehr oder doch sicher höchst mühevoll. Und wie schwer ein Acker von allem Unkraute zu reinigen ist, das weiß ein jeder ehrliche Landwirt, dem es je darum zu tun war, seine Äcker von allem Unkraute zu reinigen und dann rein zu erhalten! – Nun, erhabener Freund, das ist so ziemlich unsere nüchterne Ansicht.

5. Wir sagen in bezug auf den verheißenen Messias weder ja noch nein; wenn aber irgendein rechter, in der Schrift kundiger Weiser uns die Sache aufhellen will, so wird er uns als Juden und Menschen sich sehr verbindlich machen. Weißt du darüber irgend etwas Haltbares, so gib es uns kund; an unserer Dankbarkeit darum soll es ewig nie irgendeinen Mangel haben!“

6. „Ganz richtig geurteilt!“, sage Ich zum Deputierten. „Kein Glaube ist besser um vieles denn ein finsterer Aberglaube; aber er hat dessenungeachtet dennoch auch einige schlimme Auswüchse, die am Ende, wenn sie einmal so recht verhärtet worden sind, ebenso schwer zu heilen sind, als ein unkrautvoller Acker zu reinigen ist.

7. Der unkrautvolle Acker aber zeigt wenigstens an, daß sein Boden ein guter ist, ansonst darauf auch kein Unkraut wachsen würde; dies zeigt aber ein völlig brachliegender Acker nicht.

8. Weißt du, wenn der sogenannte mathematisch determinierte (bestimmte) Weltverstand bei einem Menschen einmal so recht kernfest Platz gegriffen hat, dann ist es mit einem noch so erhabenen, überweisen Glauben an etwas rein Geistiges schon eine sehr schwere Sache! Ein solcher Verstandesmensch will am Ende alles mathematisch erwiesen haben. Von Dingen, die er nicht sehen und bemessen kann, will er gar keine Notiz nehmen.

9. Nun urteile du selbst, ob es dann mit solch einem Menschen in bezug auf die Annahme des rein Geistigen nicht auch eine nicht leichte Sache ist!“

10. Sagt der Deputierte: „Allerdings, erhabener und weisester Freund! Aber da kann man denn doch wohl schon mit einer sehr bedeutenden Zuversicht behaupten, daß es dergleichen Menschen wenige gibt, und diese sehr vereinzelten Schwalben machen noch lange keinen Sommer. Solche Verstandesgelehrte sind aber für die Wahrheit am Ende dennoch um vieles zugänglicher als all die schwarzen Helden des finstersten Aberglaubens, besonders wo dieser ein Brotglaube geworden ist! Als solcher läßt er mit sich schon gar nicht handeln und sucht alles, was ihn irgend beeinträchtigen könnte, mit Feuer und Schwert zu verfolgen. Solches erleben wir von seiten unserer Priesterschaft, der nunmehr schon kein Mittel zu schlecht ist, um durch dasselbe ihre schwarzen Betrügereien vor Verfolgung zu schützen!

11. Ich will aber damit gar nicht die Behauptung aufstellen, als hätten die Priester irgendeinen Glauben für das, was zu glauben sie die andern auf Mord und Brand bei den Haaren dazuziehen; denn ihr Motiv ist Brot, bestes Brot, und viel Goldes, Silbers und Edelsteine. Aber die vielfach geblendete Menschheit glaubt es dennoch, und das oft mit dem empörendsten und grausamsten Fanatismus!

12. Nun, vor solch einer tollsten Glaubensmenschheit hat denn doch selbst der stereotypste (festeste) Verstandesmensch ungeheuer vieles und vieles zum Seligen voraus! Er ist wenigstens ein Freund von einer wenn auch höchst stereotypen Wahrheit, während die recht aberglaubensschwarze Menschheit jede Art Wahrheit von sich weist und lieber einen Baumstock für einen Affen denn als das, was er ist, ansieht.

13. Ein Freund der Wahrheit aber ist auf irgendeine vernünftige Art doch immer zugänglich, während bei den schwarzen Abergläubern an eine nur scheinbar vernünftige Zugänglichkeit mit irgendeiner Wahrheit gar nicht von ferne zu denken ist.

14. Daß zu determiniert mathematische Menschen schwer zum puren Glauben zu bringen sind, ist eine ganz bekannte Sache; hat aber ein solcher Mensch einmal etwas angenommen, wenn auch nur als eine Hypothese (Annahme), so wird er sie auch metallfest halten und alles aufbieten, um sie als eine kernfeste Wahrheit möglichst sogar mathematisch zu erweisen.

15. Wird das je ein finsterer Abergläuber tun?! Dem gilt Kot und echtes Gold gleich; und ich bleibe einmal fest dabei, daß gar kein Glaube um vieles besser ist als ein Glaube, wie er zum Beispiel bei uns zu Hause ist!

16. Wie wir aber vernommen haben, so soll auch die jerusalemische Tempelpriesterschaft nun um eben nicht vieles besser sein als unsere persische. Mit der wunderbaren Bundeslade soll es schon seit lange her seine erwiesen geweisten Wege haben; denn wir wissen es nur zu gut, wann und wo für die alte eine neue ist angefertigt worden, – natürlich in Jerusalem nicht, sondern bei uns hübsch tief im Perserlande, damit es nicht verraten würde. Aber es nützte ihnen das doch nicht gar zuviel; denn sie mußten den persischen Künstlern am Ende fürs Schweigen zehnmal soviel zahlen, als die ganze Lade wert war, und die Künstler aber erzählten es nachher doch den Einheimischen und diese uns Juden. Darum, erhabener Freund, halten wir wohl so recht kernfest an der Lehre Mosis, obschon es auch da Dinge gibt, die gerade natursinnlich ein barer Unsinn sind; niemand jedoch weiß einen gesunden Sinn hineinzulegen, und so grübelt niemand irgend weiter darüber nach. Aber was da betrifft das Gesetz und die Moral, so ist das unübertrefflich gut und weise, und niemand kann sich da auch in einem hellsten Morgentraume etwas Weiseres und Besseres träumen lassen!

17. Diesen Teil der Schrift nennen wir aber auch allein den göttlichen; was alles andere betrifft, geht uns wenig oder gar nichts an, namentlich der prophetische Teil, den kein Mensch verstehen kann.

18. Das uns von dir erklärte Bild des Elias ist zwar sehr treffend und schön in bezug auf den zu erhoffenden Messias, der höchstwahrscheinlich nur ganz rein geistig zu nehmen ist, – aber was da die andern Propheten darüber weissagen, ist höchst mystisch, bedarf einer starken Erklärung und eines noch stärkeren Glaubens, der glücklicherweise bei uns gar nicht mehr zu Hause ist!

19. Es ist für uns förmlich rühmenswert, daß wir wenig oder gar keinen Glauben an dergleichen extravagante Dinge haben; aber dafür glauben wir desto intensiver an den einen wahren Gott, der durch Moses wahrhaftigst zu den Kindern dieser Erde geredet hat!

20. Aber sehr vieles von unserm überzeugend festen Glauben an Gott verdanken wir auch dem Plato, dessen Schriften wir lesen und befolgen. Moses ist praktisch und zeichnet den Weg des Lebens mit scharf markierten Linien; Plato aber ist durchgängig Geist, Seele, und zeigt der Seele die Seele und dem Geiste den Geist. Und das alles zusammengenommen: Moses, Plato, Sokrates und mehrere Propheten, im rechten Lichte wohl verstanden, nennen wir den eigentlichen Messias, der von oben, von wannen alles Licht zur Erde kommt, und zu den Menschen, die eines guten Willens sind, kommen wird.

21. Nun, erhabener und weiser Freund, habe ich dir uns so ganz aufgedeckt, wie wir sind, denken und fühlen; es ist nun an dir, so dir etwas Besseres bekannt ist, uns, so du es willst, damit bekannt zu machen! Was hättest denn du zum Beispiel für eine Ansicht über die Propheten und über den verheißenen Messias?“

Kapitel 197. Bekehrungsschwierigkeiten der Perser.

1. Sage Ich: „Habt ihr denn bis in euer Land nichts vernommen, wie da vor dreißig Jahren zu Bethlehem, der alten Stadt Davids, den Juden ein König von einer Jungfrau in einem Stalle geboren ward?

2. Drei Weise aus euren Morgenlanden sahen einen Stern und befragten ihren Geist, was dieser ihnen fremde Stern bedeute. Und der Geist hieß sie folgen dem Sterne; der werde sie führen zum neugeborenen Könige der Juden, der auf Erden ein Reich gründen werde, dessen ewig kein Ende sein wird.

3. Da nahmen die Weisen Gold, Weihrauch und Myrrhen, bestiegen ihre Lasttiere mit großem und glänzendem Gefolge und zogen dem Sterne nach, der nicht ruhte, bis die Geburtsstätte des Neugeborenen erreicht ward. Da forschten die drei dann nach dem Neugebornen und kamen bis zu Herodes, der ihnen auch keinen Bescheid geben konnte, sondern sie abermals nach Bethlehem beschied, allwo der wundersame Stern ruhte, und ihnen ein emsigstes Forschen empfahl mit der Bitte, ihm solches sobald zurückzumelden, auf daß auch er dann käme und dem Neugeborenen seine Ehrenbezeigung gäbe.

4. Als die Weisen darauf erst den Neugeborenen fanden und ihm ihre Opfer darbrachten, so warnte sie alsbald darauf ein Geist aus den Himmeln, dem Herodes ihre Entdeckung zu verkünden, worauf sie dann eines andern Weges in ihr Land zurückzogen.

5. Saget, ob und was ihr davon vernommen habt!“

6. Sagt der Deputierte: „Ja, ja, du erinnerst uns an eine Sache, die in ganz Persien bis gen Indien hin vieles von sich reden machte; denn die drei Weisen, wie es deren an der Grenze von Indien mehrere gibt, haben damals die Sache sehr ruchbar gemacht, so daß solches sogar vor den König gekommen ist, der aber sich eben nicht viel daraus machte, weil er die Weisen kennt, wie diese stets geneigt sind, aus einer Mücke einen ganzen Elefanten zu machen! Derlei Dinge machen darum bei uns nie einen besonderen Eindruck, sowie nun auch höheren Orts alle Wunder der Zauberei allen Wert des Sonderbaren und Außerordentlichen verloren haben, weil man besseren Orts mehr als hinreichend über alle Arten der wunderlichen Zaubertaten bereits in der Kenntnis ist. Man sieht sich gut gewählte und gelungene Zauberkünste wohl noch an, wenn man bei guter Laune ist, und lacht dann dazu, wenn da manches Drollige zum Vorschein kommt, – aber, wie gesagt, bei uns sind dergleichen Zaubereien gänzlich ohne Wert.

7. Nur reine, mit Zahlen erweisbare Wahrheit gilt bei uns etwas; alle andern gewissen wunderlichen Schwärmereien haben bei uns Besseren schon lange allen Wert verloren, und wir halten, offen gesagt, nichts mehr darauf! Es mögen hie und da auch ganz wahre Dinge darunter verborgen sein; aber diese stecken dann schon so in aller Mystik vergraben, daß sie keine menschliche Vernunft mehr als völlig rein an das untrügliche Tageslicht fördern kann, und du, erhabener Freund, wirst das selbst einsehen, daß es da vernünftiger ist, nur nach der reinen Wahrheit alle Sinne zu richten, als irgendeiner noch so großdichterischen Schwärmerei zu huldigen!“

8. Sagt hier Cyrenius abseits zu Mir: „Herr, wie es mir vorkommt, so wird da für unsere Sache mit diesen an und für sich zwar sehr schätzbaren Menschen nichts zu machen sein; die stehen zu tief in ihrer Ziffernwahrheit und sind entschieden gegen alles, was wir Glauben zu nennen pflegen! Ebenso scheinen sie förmliche Feinde jedes wie immer gearteten Wunders zu sein, was von Dir stets im äußersten Falle als ein unwiderlegbarer Beweis für Deine vollste Göttlichkeit gebraucht wird.

9. Mit einem Wunder wirst Du ihnen schon kaum beikommen dürfen, um sie nicht völlig unwillig zu machen, und mit anderen Beweisen als Erklärungen der auf Dich Bezug habenden Texte im Propheten Jesajas, und im David und Salomon wird man mit ihnen auch nichts ausrichten, weil die Propheten bei ihnen in einem schlechten Kredite stehen; und so weiß ich da im Ernste keinen dritten Ausweg mehr! Denn mittels der Ziffern läßt sich das doch nicht erweisen, daß Du der eigentliche Messias bist, und sonst scheinen sie unzugänglich zu sein!“

10. Sage Ich abseits zum Cyrenius: „Laß das nur gut sein, das ist Meine Sorge! Hat man einen Mathael und den Obersten Floran zurechtgebracht, also wird man auch wohl diese zurechtbringen. Der Hartnäckigste aber war doch der Oberste Stahar, und er ist nun in der völligsten Ordnung, – um so eher und leichter werden diese ehrlichen Leute in eine rechte Ordnung gebracht werden!“

11. Sagt Cyrenius: „Ich zweifle nicht, denn Dir allein sind ja alle Dinge möglich; aber für meine noch sehr menschlichen Begriffe ist die Sache durchaus nicht gar zu leicht ausführbar.“

12. Sage Ich: „Allerdings, aber darum dennoch nicht unmöglich; nur muß man ihnen zuvor die Gelegenheit geben, daß sie sich völlig entäußern können. Erst nachher, wenn sie mit der Entäußerung ihres Inwendigen fertig und zu Ende sind, läßt sich eine neue Frucht in ihren gereinigten Herzensgarten legen!“

13. Während Ich diese paar Wörtlein mit dem Cyrenius verkehrte (wechselte), raunten sich die Perser geheim in die Ohren, und unser Deputierter, der Schabbi hieß, sagte zu seinen Gefährten: „Mir kommt es immer mehr vor, als stünden wir auf glühenden Kohlen! Es muß die Messiasgeschichte hier sehr ruchbar sein. Die feinnäsigen Römer haben davon sicher etwas läuten hören und untersuchen nun wahrscheinlich schon alle Winkel des Judenreiches, um jenes Mannes irgend habhaft zu werden, der hier auf Erden zum offenbarsten Nachteile der Weltbeherrscher ein für ewig unzerstörbares, wie auch völlig unbesiegbares Reich gründen soll. Daher heißt es hier ganz entsetzlich klug sein, um sich bei den Römern nicht verfänglich zu machen!

14. Der Mann, der nun ganz geheim mit dem Oberstatthalter geredet hat, ist offenbar ein ganz feiner, mit allen Salben gewaschener Examinator Roms! Wir dürften nur ein wenig an den kommenden Messias fest und umwandelbar glauben, so wären wir hier schon so gut wie geopfert! Daher heißt es hier, bei der Mathematik stereotyp stehenbleiben, mehr hören als reden, und wird wieder etwas vom Messias aufgezogen, so wissen wir unseres diesirdischen Heiles wegen, was wir für den äußern Schein wie aus einem Munde zu reden haben! Wir wissen für uns schon, was wir als Juden von den Propheten zu halten haben; aber diesen Schlauhelden brauchen wir es nicht an die Nase zu binden! Der Richter und Examinator ist in unserer Schrift von A bis Z bewandert über alle unsere Schriftgelehrten und möchte uns ein bißchen fangen; aber auch wir sind klug und weise, und es wird ihm nicht gelingen, trotzdem wir hier durch den wunderlichen Mann vom sichern Untergange gerettet worden sind. Daher bleiben wir nur bei unserer Mathematik fest stehen, und wir werden mit ganz heiler Haut von hier zu ziehen kommen! Aber der geringste Verschnapper dawider könnte uns in ein größtes Elend stürzen!“

15. Die andern alle geben dem Schabbi recht und versprechen ihm, sich hier wie ein Mann zu halten und keine Silbe von allem, was sie bezüglich des Messias glauben, zu verraten.

16. Nun trete aber Ich wieder unter sie und sage zum Deputierten: „Aber Schabbi, warum denket ihr denn arg in eurem Herzen wider Mich und wider die harmlosen Römer?!

17. Glaubst du denn, daß es Mir entgangen ist, was du nun hier mit den Deinen geheim abgemacht hast? Ich sage es dir: nicht eine Silbe blieb Mir verborgen! Denn Derjenige, der es sah und wußte, als ihr in der großen Gefahr waret, ansonst Er euch keine Hilfe hätte können zukommen lassen, sieht auch hier in den Grund eures Herzens! Da Er es aber mit euch ganz aufrichtig und gut meint, warum wollet denn ihr Ihm kein Vertrauen schenken?“

18. Sagt Schabbi: „Du bist wohl sehr klug und weise; aber wird uns solche deine Weisheit wohl etwas nützen? Gerade aufs Gehirn ist aber auch von uns keiner gefallen, und wir glauben, dich zu durchschauen! Die höchsten Römer an deiner Seite – –, nicht weit von hier lagern römische Soldaten, wahrscheinlich um irgendwo jemanden aufzugreifen, falls man denselben durch allerlei schlaue Fragen und Reden irgend eruierte (ermittelte)!? Aber bei uns braucht ihr ihn schon durchaus nicht zu suchen; denn da werdet ihr ewig nichts ausfindig machen!“

19. Sagt abseits eben wieder Cyrenius zu Mir: „Ah, das ist doch sonderbar mit diesen Menschen! Nun kommt sogar eine eigenste Art von Verstellung zum Vorschein! Wer hätte solche bei diesen Menschen gesucht?! Nun aber sind sie erst recht vernagelt und verrammt, und das also, daß ihnen nun schon von keiner Seite beizukommen ist! Was nun mit diesen Leuten?! Sie machen sich von uns eine fixierte, grundfalsche Vorstellung, die sich bei ihnen leider derart ausgeprägt hat, daß wir ihr eigentlich gar nicht begegnen können. Es fragt sich nun sehr, was da zu machen sein wird!“

20. Sage Ich: „Da wird noch recht viel zu machen sein; nun stehen sie dem Ziele schon um vieles näher denn vorher! Diese Vorsicht haben sie schon gleich anfangs ganz im stillen beobachtet, weil sie euch Römer hier erschauten! Denn bei ihnen hat sich seit einiger Zeit die arge Sage verbreitet: Im Judenlande sei im Ernste der Messias aufgestanden und täte große Zeichen, die Römer aber hätten so etwas in die Erfahrung gebracht und verfolgten nun diesen Messias auf das grausamste; denn sie hätten es nicht nur auf den Messias scharf abgesehen, sondern auch auf jeden, der nur eine Spur von einem Glauben an einen kommenden oder schon gekommenen Messias merken läßt. Und siehe, darin liegt der ganze Grund ihrer Verstellung, deren wir bald Meister werden!“

Kapitel 198. Schabbis Warnrede.

1. Cyrenius sieht nun wohl ein, wie man mit den Persern daran ist; aber er begreift es nicht, wie solch eine recht satanische Anschwärzung der Römer unter die persischen Juden hatte gelangen können, und wer dort solch einen scheußlichen Samen ausgestreut habe.

2. Sage Ich: „Bin Ich denn dem Tempel als wirkend nicht schon bei neun Monden lang bekannt?! Dort gehe hin und erkundige dich! Von dort aus kommen alle die schlechten und falschen Berichte über Mich, über Mein Wirken und auch über euch Römer, da sie wissen, daß ihr nicht wider Mich seid! Johannes der Täufer lebte noch, wenn sich der Tempel nicht hinter die Mutter der schönen Herodias hätte zu stecken gewußt!

3. Alles geht vom Tempel aus, und weithin über den Erdboden reichen dessen Arme; aber sie werden ihm bald sehr verkürzt werden! Siehe, so stehen nun die Dinge, und du wirst nun hoffentlich einsehen, wie es mit diesen Menschen nun zwar etwas schwer zu handeln ist, aber dennoch nicht vergeblich! Und sie müssen ins rechte Licht gebracht werden, ansonst es im Ernste schlecht wäre für Mich, Meine Lehre und für euch!

4. Du wirst nun auch den eigentlichen Grund einzusehen anfangen, warum Ich so ganz eigentlich diese Perser vom Untergange auf dem Meere errettet habe. Wegen der Erhaltung ihres Leibeslebens allein hätte ich keinen Engel zu ihrer Rettung entsandt; aber da dieser Menschen rechte Aufklärung über Mich und über Meine Sache von größter Wichtigkeit ist, weil sie einen großen Einfluß auf ihr großes Land und auf ihr zahlreiches Volk ausüben, so mußte Ich ihr Leben retten, weil wir ohne sie kein wirksames Mittel hätten, die Perser von ihrem einmal aufgefaßten Wahne zu befreien.“

5. Sagt Cyrenius: „Dir, o Herr, alles Lob allein; nun ist schon alles wieder gut, und ich bin nun über alles völlig im klaren! Verhandle Du mit ihnen nun nur gleichfort; denn ich sehe es nun schon ein, daß da ein sicherer Erfolg der besten Art zu erwarten ist und auch sein muß!“

6. Während Ich aber abseits den Cyrenius zurechtbrachte, dachten die Perser ganz anders, und unser Schabbi sagte zu seinen Gefährten: „Sehet, wie die beiden Hohen sich dort ganz geheim besprechen, auf welche neue, pfiffigste Art sie uns etwa doch fangen könnten! Denn bis jetzt haben sie aus uns nichts herausgebracht; aber nun heißt es sich zehnfach ärger noch zusammennehmen! Bis jetzt versuchten sie uns nur durchs Kleingeschoß, nun werden sie höchstwahrscheinliche mit den mauerbrechenden Widdern auffangen; und halten wir uns nicht ungeheuer fest, so werden wir wie ein leichtes Schilfrohr zusammengestoßen werden! Darum sei ja ein jeder von uns auf der möglichsten Hut! Denn diese sollen unsern innersten Glauben durchaus nie aus uns wie einen Eimer Wassers aus irgendeiner Zisterne hervorholen! Es hatte der Examinator mir vorher dadurch eine Angst einjagen wollen, daß er behauptete, unsere innersten Gedanken alle genauest zu kennen, und das ebensogut, als er vordem unsere Not auf dem Wasser gesehen und erkannt hätte. Ich aber dachte mir heimlich: ,Oho, du schlauer Fuchs! Bei diesem Loche möchtest du also hinaus?! Oh, nichts da, mein schnöder Freund!‘ Er sah es aber bald ein, daß er mich mit diesem Griffe durchaus nicht fangen könne, daher ging er darauf sogleich zum Oberstatthalter und hat sich nun sicher mit selbem besprochen, welche Falle uns nun zu legen wäre, um uns sicher zu fangen; aber wir werden positiv und negativ mit keiner Falle irgend zu fangen sein! Auf der Lauer aber müssen wir stehen wie Kraniche in ihren Sümpfen, – sonst sind wir verloren!“

7. Sagt einer aus ihnen: „Wie weiß er denn deinen Namen? Von uns hat er ihn nicht erfahren können!“

8. Sagt Schabbi: „Das ist zwar ein wenig sonderbar scheinend, aber es muß uns gar nicht beirren; denn die Wege und Mittel, die solche mit allen Salben gewaschenen Menschen besitzen, um irgend ganz geheime Dinge von andern Menschen zu wissen und zu erfahren, sind unzählbar. Man muß sich darum bei derlei Erscheinungen nicht gar zu leichten Kaufes über den Daumen drehen lassen.

9. Allwissend ist nur Gott allein – und ein Mensch nur dann, wenn er vom Geiste Gottes berufen wird, den andern Menschen Dinge zu offenbaren, die eines natürlichen Menschen Sinn nie hätte erforschen können. Allein ein solcher von Gott aus begeisterter Mensch kommt nur selten in diese arge, selbstsüchtige Welt – und unter die finstersten Heiden, die voll Herrsch- und Selbstsucht sind, schon gar nie.

10. Aber diese Menschen, die mit aller Welt und deren Weisen in allerlei Verbindungen stehen, sind ganz durch und durch gehetzte schlaue Füchse und verstehen sich gar vortrefflich darauf, den Menschen ihre Geheimnisse herauszulocken! Güte, Strenge, Großmut, Geduld, sogar Einweihung in ihre Geheimnisse, um beim Examinierten ein volles Zutrauen zu erwecken und ihn weichzüngig zu machen, und dergleichen Kniffe noch eine Menge werden im Notfalle in die Anwendung gebracht, um hinter die oft sogar verborgensten Geheimnisse der Menschen zu gelangen. Sind diese jeden erbarmenden Gefühls baren Heiden aber einmal im erwiesenen Besitze von ihren herrschsüchtigen Plänen nur scheinbar zuwiderlaufenden Geheimnissen, dann wehe dem, der sich an diese Unmenschen verraten hat! Sie sind schlau und böse und können nur wieder durch eine enorme Gegenschlauheit im Zaume gehalten werden! Sie können sich zwar hinter große Geheimnisse durch allerlei verborgene Wege hineinschmuggeln, – aber in die Geheimnisse der Herzen nie, wenn der Examinierte sie beharrlich zu verdecken versteht!

11. Freunde, wir stehen nun hier vor den unerbittlichsten Richtern! Das fragliche und bei den Heiden verhaßteste Thema ist der Messias, der nun schon im Ernste aufgetreten ist, wie wir davon von allen Seiten die untrüglichsten Versicherungen erhalten haben. In Galiläa soll Er Sich irgendwo verborgen aufhalten, bis Seine rechte, wohlberechnete Zeit kommen werde. Die Heiden machen darum Jagd auf Ihn, und todbringend ist schon der Glaube an die Möglichkeit des Erscheinens des großen Retters der Juden aus den harten und scharfen Tigerklauen der Heiden! Ihr wisset nun, welch ein Boden uns hier trägt, und werdet darum auch wissen, was da zu tun sei!“

Kapitel 199. Zwiegespräch zwischen den zwei Deputierten.

1. Sagt der andere: „Du bist zwar stets die Vorsicht selbst, und die Vorsicht ist der Weisheit Mutter; aber hier scheinst du sie nicht auf dem rechten Platze anzuwenden! Denn ein bißchen Menschenkenntnis haben wir auch, und je länger wir den Examinator betrachten, desto mehr schwindet jeder Gedanke, als könnte hinter ihm auch nur ein falscher Funke stecken! Ich, dein Mitdeputierter, habe früher meine Ohren ein wenig gespitzt und vernahm so manches von der geheimen Besprechung des Examinators mit dem Cyrenius, und diese bestand nur in einer kleinen Besorgnis über die Möglichkeit, uns von unserem Wahne zu heilen! Wir seien auf indirekten Wegen boshafterweise vom Tempel aus über den Messias und über die Römer ganz grundfalsch berichtet (unterrichtet) worden, hätten darum nun eine blinde Furcht vor ihnen und verbürgen darum unsern ganz rechten und guten Glauben!

2. Als wir hierhergereist sind, hatten wir ja doch so manche Gelegenheit, die überall seienden Römer zu beobachten, und wir konnten trotz allen unseren noch so schlauen Erkundigungen nirgends etwas in eine Erfahrung bringen, aus der da abzunehmen gewesen wäre, daß die Römer im Ernste gar so grausam wären; im Gegenteil sprach sich für sie immer und allenthalben ganz ungezwungen und freudig die beste Meinung von der Welt aus. Du freilich sagtest immer: ,Wenn sie grausam bei dieser Gelegenheit wären, so würden sie das vorderhand vor den Augen der Welt gar wohl zu verbergen wissen, um nicht vor der Zeit Unruhen im Volke heraufzubeschwören!‘ Aber dieser Meinung bin ich nicht; denn ein jeder Mensch gehört denn doch immer irgendeiner Familie an, und diese müßte seinen Abgang denn doch wohl merken und endlich nachzuforschen anfangen, wohin das teure Familienglied gekommen ist! Aber es ist bis jetzt von so etwas noch nirgends eine Spur gewesen, und so glaube ich denn hier doch, daß deine sonst sehr lobenswerte Vorsicht ein wenig zu weit geht, besonders gegenüber dem gar offen und treuherzig aussehenden Examinator!

3. Ich merke aber hier nun ganz etwas anderes, und das etwas ganz Außerordentlichstes, und es wundert mich sehr, daß so etwas deinem Scharfblick gänzlich hat entgehen können!“

4. Sagt Schabbi: „Nun, was denn?! Ich müßte doch auch etwas bemerkt haben; denn meinen Augen entgeht sonst nicht leichtlich etwas, und mein Gefühl ist so fein wie ein Morgenhauch. Das sollte mich wundern, daß du hier etwas entdeckt haben solltest, das meinen Augen entgangen wäre!“

5. Sagt der zweite Deputierte, der Jurah hieß: „Und doch! Merktest du nicht, was der Examinator dadurch so hingeworfen andeuten wollte, als er uns des Elias Erscheinungen in der Höhle so hübsch handgreiflich – als auf ihn selbst Bezug habend – erläuterte?“

6. Sagt Schabbi: „Und was soll er damit haben andeuten wollen?“

7. Sagt Jurah: „Nichts anderes, als daß eben er selbst der verheißene Messias sei, vor dessen Macht alle Herrscher der Erde sich zu beugen haben! Siehe, das habe ich herausgefunden, was deiner großen Vorsicht so ganz rein entgangen ist! Auch vernahm mein sehr gespitztes Ohr, wie da kurz vorher der Oberstatthalter deinen Examinator seinen ,Herrn‘ nannte! Etwas Unerhörtes von einem römischen Oberfeldherrn! Und sieh, das sind lauter Dinge, über die man aus lauter übertriebener Vorsicht doch auch nicht gar zu leichten Trittes hinwegeilen sollte! Was dann aber, so dieser seltene Mann möglicherweise denn doch der verheißene Messias wäre?!“

8. Sagt Schabbi: „Nun, so könnte er mit meiner wohlbegründeten Sorge nur im hohen Grade zufrieden sein; denn meine Vorsicht geht ja eben dahinaus, das Heiligtum unserer Gotteslehre vor dem Geifer der Heiden zu wahren! Es mag an deiner Wahrnehmung allerdings schon etwas sein; aber wir dürfen ohne die schärfste, geheime Prüfung ja nicht von fernehin irgend etwas annehmen, – außer wir werden durch die handgreiflichsten Beweise dazu ordentlich genötigt. Denn es könnte dennoch alles das von dir Wahrgenommene eine feinste Maske sein, und wir ständen dann auch ganz leicht möglich auf dem von mir befürchteten Platze! Darum nur sachte, mein Freund! Solche Dinge, so sie wahr sind, nimmt der Mensch noch immer früh genug an; denn eine zu voreilige Annahme könnte einen in große Verlegenheit stürzen!“

Kapitel 200. Vom voreiligen Vertrauen.

1. Nun komme Ich abermals zu den Persern und sage, Mich hauptsächlich an den Schabbi wendend: „Nun, was habt ihr unterdessen ausgemacht? Hältst du Mich noch für einen schlauen Fuchs, der Ich nur darauf hinausginge, euch alle wegen des von den Römern gefürchteten Messias der Juden als strafbar in die unerbittlichen Hände der nunmaligen Weltbeherrscher zu liefern? Sehe Ich denn im Ernste solch einem verworfenen Verräter ähnlich?“

2. Sagt Schabbi, ein wenig verlegen: „Guter, erhabener Freund! Das Gesicht ist wohl zumeist ein Spiegel der Seele, – aber nicht immer! Ich habe einen Menschen gekannt, dessen Äußeres vollkommen einem allersanftesten und treuherzigsten Engel also glich wie ein gesunder Augapfel dem andern, und doch war das nur eine natürliche Maske, da eben der erwähnte Mensch seinem Gemüte nach ein vollendeter Satan in OPTIMA FORMA war! Dieser Mensch war wegen seiner schönen und sanften Gestalt sogar ein Günstling des Hofes und war auch in allen erdenklichen Künsten und Wissenschaften aufgeklärt wie ein schönster Frühlingsmorgen; aber sein Gemüt war schwärzer und finsterer als der erdichtete Styx der Heiden! Wehe jedem, der sich ihm je freundlich genähert hatte! Verloren war ein jeder! Das Weibervolk lief ihm wie besessen nach, obschon ihm jedes Weib, das sich ihm genaht hatte, so sicher als ein Schlachtopfer verfiel, als ein Regentropfen, den die Wolke nicht mehr halten kann, auf die Erde niederfällt! Aber er war stets der unschuldigste, sanfteste und reinste Mensch! Überall bewirkten alles nur unvorhergesehene Umstände; merkwürdig war es nur, daß die unglücklichen Umstände ihm selbst nie an den Leib konnten. Er kam überall mit ganz heiler Haut davon; nur die sich ihm genaht hatten, bekamen stets die schwerste Last auf Leben und Tod von den bösen Umständen zu verkosten! Oh, für seinen König war er der getreueste Diener, aber für jeden Untergebenen ein ganz wunderlieblicher Teufel!

3. In der Königsstadt hatte ein reicher Grieche, der sich aber zu unserem Glauben bekehren ließ, ein junges, wunderschönes und gar enorm liebliches Weib, das ihrem Manne so treu ergeben war wie diese meine rechte Hand meinem Leibe und dem Willen meines Herzens. Es dauerte aber gar nicht lange, daß der anmutige Satan von einem Menschen Kunde von dem schönen Weibe erhielt und alsbald seine Wege danach einrichtete, auf denen er vom Weibe bemerkt wurde. Der Zufall wollte, daß der Grieche einmal mit einem echten Perser von Geburt und Sitte wegen einer verweigerten Rückzahlung einer ganz bedeutenden und vollrechtlichen Schuld, die der Perser bei unserem Griechen gemacht hatte, in widerliche Klagehändel geriet. Der Perser hatte seine gleichgesitteten Landsleute zu seinen Schiedsrichtern, und so konnte unser Grieche kein Recht über den treulosen und wortbrüchigen Perser erlangen. Da sagte einmal das Weib, das wohl wußte, daß jener schöne Höfling seine Augen schon öfter auf sie hatte fallen lassen: ,Wie wäre es denn, so wir etwa durch den schönen Höfling beim Könige für unser gutes Recht einen Schutz erwirkt fänden?‘ Der Grieche sagte: ,Ja, ich weiß es, daß er dir oft nachsieht mit sehr begehrlichen Augen, und es möchte ein Wort von dir oder mir viel vermögen, und steckte dahinter auch nichts als Entgelt denn eine total blinde Hoffnung; aber man hört von diesem schönen Höfling durchaus nichts Gutes! Ja, es wäre sogar besser, unter seiner Feindschaft als Freundschaft zu stehen! Wer sich mit ihm in einen noch so freundlichen Verkehr eingelassen hatte, kam ohne weiteres in ein großes Unglück! Mir scheint darum der Verlust unserer Forderung ein kleineres Übel zwischen den zweien zu sein, und wir werden besser tun, das erstere und kleinere Gott dem Herrn zum Opfer zu bringen.‘

4. Damit war auch das schöne, junge Weib ganz einverstanden. Aber kurze Zeit darauf kam unser Höfling selbst ins Haus zu unserem Griechen, um sich da etwas anzukaufen; denn unser Grieche ist Juwelenhändler und Fasser der Edelsteine in Gold und Silber. Er tat da gar freundlich und zärtlich und flößte dem Griechen Vertrauen ein, obwohl nun das Weib ganz gut bemerkte, daß es ihr unwillkürlich bange vor diesem gar liebfreundlichen und sonst höchst großartig splendiden und äußerst freigebigen Menschen war; denn es sei ihr noch nie vorgekommen, daß ein Mensch den ersten ausgesprochenen Preis für ein Juwel, ohne etwas vom selben herabzuhandeln, sogleich ausbezahlt hätte. Da stecke etwas anderes dahinter!

5. Der Grieche, darob ganz guter Dinge, sagte: ,Ah, dieser Mensch muß bloß wegen seiner Schönheit und Bescheidenheit und wegen seines Glückes bei Hofe eine Menge Neider haben, die ihn als ein scheußlich Wesen ruchbar und dem Hofe verdächtig zu machen suchen; er spricht doch so nüchtern und weise wie ein Prophet! Wahrlich, hinter diesem Menschen kann kein Arges stecken!‘ Es währte nicht lange, und unser Höfling kam wieder zu unserem Griechen und kaufte einen großen Diamanten, in Gold gefaßt, für seinen Turban, den ihm der König gegeben hatte. Der Preis des Diamanten war hundert Pfunde Goldes, die der Höfling auch sogleich erlegen wollte; denn er hatte stets ein großes Gefolge, das ihm die nötigen Schätze nachzutragen hatte. Aber der Grieche sagte zu ihm: ,Schönster, weisester und höchst erhabener Freund, verhilf du mir zu meinem Bargelde, das ich von dem N.N. zu fordern habe, – und diese kostbare Agraffe ist bezahlt! Dein Wort vermag alles beim großen Könige; ich werde dir dankbar sein!‘

6. Da sagte der Höfling: ,Morgen soll dir dein gutes Recht tatsächlich werden; dessenungeachtet aber nimm du hier das Gold für dein Juwel! Aber da ich dir ohne alles Interesse einen großen Dienst erweise, verlange ich von dir nur einen kleinen Gegendienst. In sieben Tagen veranstalte ich als am Geburtstage des großen Königs ein großes Fest im großen Paradiesgarten, und ich lade dich zu diesem Feste ein, und du erscheinst mit deinem Weibe in wohlgeschmückter Kleidung; ich werde dich da dem großen König vorstellen und dich samt deinem Weibe bringen an des Königs Tafel, allwo du und dein Weib euch dann eine Menge Gnaden erbitten könnt!‘

7. Dem Griechen war das sehr recht, da er schon lange gerne Hofjuwelier geworden wäre. Doch das Weib bemerkte: ,Wir können nun die Sache nicht mehr ändern; aber es wird da sehr wenig Gutes herausschauen, weder für dich und noch weniger für mich! Dieser Mensch hat üble Absichten auf mich; und dir kann es geschehen, daß du an meiner Seite geopfert wirst! Am besten wäre es, wir packten alles zusammen und flöhen mit Windesflügeln von dannen, bevor der unglücksschwangere siebente Tag herankommen wird!‘

8. Der Grieche aber sagte: ,Liebes Weib, Vorsicht ist gut; aber ein zu großes Mißtrauen gegen Menschen hegen, die einem noch nie irgendeinen tätlichen Anlaß dazu gaben, und von denen man auch nichts anderes weiß, als was da böse Zungen über sie erfunden und arg ausgebrütet haben – eine Sache, die einem Ehrenmanne zunächst begegnen kann –, ist ebenso unklug als ein verwerflicher Leichtsinn!‘ Das zarte Weib begnügte sich mit dieser recht vernunftvollen Zurechtweisung. Am nächsten Tage mußte der schuldige Perser dem Griechen den letzten Stater bezahlen.

9. Der verhängnisvolle siebente Tag kam wie ein eisernes Schicksal herbei, und man begab sich festlichst geschmückt ins Paradies des Königs. Da war alles Flamme und Licht; von allen Seiten strahlten Gold und Edelsteine ärger denn die hellsten Sterne vom nächtlichen Himmel, und Musik und Gesang durchschwirrten die dichten Laubengänge des großen Gartens. Die beiden durften aber nicht lange harren, als sie von unserem Höfling entdeckt und sogleich im großen Gartentempel dem Könige vorgeführt und vom selben freundlich aufgenommen wurden. In der Mitte des großen Säulentempels waren Tische und seidene Polster in großer Menge und unsäglicher Pracht angebracht, und auf den Tischen standen große Goldschüsseln voll der besten Speisen, und in großen Kristallbechern blinkte köstlichster Wein und noch eine Menge anderer gewürzhafter Getränke.

10. Unser Grieche mußte an einem Tische neben dem großen Königstische Platz nehmen; aber sein schönes Weib ward an den Königstisch gezogen. Man aß und trank eine Zeitlang ganz gemütlich. Unser Grieche aber fing an, sich bald sehr unwohl zu fühlen; denn er bekam einen Trank, der mit Gift gemengt war, und mußte in sein Haus geschafft werden. Das Weib aber ward in des Königs Gemächer gebracht und mußte alldort alles auf Leben und Tod mit sich machen lassen, so lange, bis man ihrer satt ward. Der Grieche starb zwar an dem Gifte nicht, blieb aber ein lahmer Mensch bis zur Stunde; und wie aussehend und zugerichtet aber das arme Weib erst nach sieben Tagen nach Hause kam, kann sich ein jeder leicht denken!

11. Das war die Frucht eines zu vorschnellen Zutrauens zu einem Menschen, dessen Äußeres jedermann alles Vertrauen einflößte, während sein Herz von einer ganzen Rotte der ärgsten Teufel bewohnt war. Die beiden aber, die das erlebt haben vor einer nicht gar zu langen Zeit, sitzen ihrer Schwäche halber dort etwas seitwärts und können das, was ich nun erzählt habe, mit ihrer höchst eigenen Zunge bestätigen! Freund, wenn man solche Dinge erlebt hat, dann weiß man etwa wohl, warum man vorsichtig ist!“

Kapitel 201. Der Unterschied zwischen Jesus und den Magiern.

1. Sage Ich: „Gehe hin und führe Mir die beiden vor!“ – Schabbi geht und bringt die beiden zu Mir.

2. Ich aber frage sie, ob sie es wünschten, wieder vollkommen gesund und stark zu werden.

3. Sagen beide: „Ja, Herr, wenn dies möglich wäre! Aber mich hat das sonderbare Gift ganz lahm in allen meinen Gliedern gemacht, und nur mühsam kann ich mich fortschleppen; und da siehe diese arme, kleinzerknickte Blume von einem Weibe an, – sie ist verdorben am Leibe für ihr ganzes Leben! O Jehova, warum mußte denn gerade uns so etwas Entsetzliches begegnen?!“

4. Sage Ich: „Ich aber will, daß ihr beide wieder so gesund und heiter sein und aussehen sollet wie damals, als ihr euch geehelicht habt!“

5. Als Ich solches ausgesprochen, durchfuhr die beiden etwas wie eine Flamme, und sie waren sogleich so gesund und stark, als hätte ihnen nie etwas gefehlt, auch ihre Gestalt war also und noch blühender aussehend als am Hochzeitstage. Sie fingen an, über alle die Maßen zu staunen, denn so etwas war in Persien noch nicht erlebt worden.

6. Auch Schabbi fängt an, stets größere Augen zu machen, und traut nahe seinen Sinnen nicht; aber der Jurah stupft ihn und sagt zu ihm etwas heimlich: „Du, ich glaube, daß wir uns schon gerade am rechten Platze befinden, und wir werden von Dem, den du gar so vorsichtig verleugnen willst, nicht gar zu ferne sein! Ich sage es dir, Dieser – oder in Ewigkeit keiner mehr! Nun urteile du nach deinem Sinne darüber!“

7. Sagt Schabbi: „Ja, du könntest den Pfeil nicht sehr ferne vom Ziele abgeschossen haben! Diese plötzliche Heilung der beiden bloß durchs Wort, das ist mehr, als was alle menschliche Weisheit fassen kann! Nun wird mir auch unsere Rettung etwas klarer. Ein Mensch, in dessen Willen eine solche Kraft besteht, daß derselben gar die rohe Materie sich fügen muß, muß höher stehen als alle anderen Menschen der Erde; in ihm muß eine Fülle der göttlichen Kraft wohnen, und seine Seele muß der lebenskräftigste Abdruck des göttlichen Willens sein, – oder sie ist die Gottheit selbst! Ich bin mit meiner Vorsicht vielleicht wohl etwas zu weit gegangen, aber versündigt kann ich mich dadurch doch unmöglich haben; denn ich wollte das Göttliche, das den Heiden wohl doch ein Greuel sein könnte, dadurch wahren und es nicht von solchen Unmenschen vergeifern lassen, was da weder uns noch der erhabensten Glaubenssache etwas genützt hätte!

8. Aber wie es hier scheint, so sind die Heiden denn doch gar so bitter nicht, als wie sie uns in Persien vorgemalt worden sind. Es ist denn doch kaum anzunehmen, daß der zwar unendlich stolze Oberstatthalter Cyrenius nicht wissen sollte, was da hinter dem Wundertäter stecke!? Weiß er's aber und heißt ihn einen Herrn, so wird er dazu wohl seinen triftigsten Grund haben! Denn gegen die Macht solch eines Willens dürften wohl alle Waffen Roms zu kurz und zu schwach sein!

9. Das war keine Zauberei und keine Wunderheilung nach der Art unserer Magier und Priester, die kerngesunde Menschen mittels Geld und anderen vorteilhaften Verheißungen dahin bestimmen, sich taub, lahm und blind zu stellen, also zu einem Götzen in einen schmutzigen Tempel zu wallfahrten und dann dort auf ein verabredetes Zeichen sehend, hörend und baumgerade zu werden. Dadurch werden eine Menge Schwachsinniger breitgeschlagen, und kommen dann wirklich Lahme, Blinde und Taube und bitten und opfern, so wird es dennoch keinem besser. Da heißt es dann immer: ,Euer Glaube ist zu schwach, und euer zu geringes Opfer dem Gotte nicht wohlgefällig!‘ Ja, du weißt es, daß unsere Magier sogar die toten Kinder reicher Eltern wieder ins Leben zurückbringen, aber wir wissen es schon lange, wie, und wissen auch, daß solche vom Tode erweckten Kinder keine Blutsverwandten sind. Dieser da wird sicher auch wenigstens die Scheintoten wieder ins Leben zu rufen vermögen!“

10. Trete Ich hinzu und sage: „Ja, das vermag Er ohne Opfer, Öl und Kräutersaft! Sehet da hinab ans Ufer; soeben haben die beiden Söhne unseres Wirtes drei Ertrunkene, einen Mann und zwei Mägdlein, aus dem Wasser geholt!

11. Es ist ein armer Vater mit seinen beiden Töchtern, ein armer Jude. Sein Weib hat sich durch einen Baum, der im Wasser lag, das nackte Leben gerettet; aber ihr Mann und die beiden Töchter, die alle der in der größten Gefahr schwebenden Mutter zu Hilfe eilten, wurden von der stets mächtiger werdenden Flut ins Meer gespült und ertranken in den wogenden Fluten. Des Meeres Fluten aber warfen sie als vollkommen tot ans Ufer, und unseres Wirtes beide kräftige Söhne fanden sie nun tot liegend und haben sie soeben hier gleich unten ans Land gesetzt.

12. Ich aber will auch, daß das verunglückte Weib hier sei, das sich noch weinend, zitternd und um Hilfe rufend an dem Baume befindet.

13. Dazu werde Ich abermals Meinen Lotsen verwenden; darauf erst sollet ihr Gottes Herrlichkeit schauen und glauben Dem, der euch alle errettet hat!“ Hier berufe Ich den Raphael und gebe ihm bloß einen Wink, den er versteht, und in kaum einer Minute Zeit bringt er auch schon das wehklagende Weib zu Mir auf den Hügel, das sich vorderhand gar nicht trösten läßt.

14. Ich aber rühre das Weib an und sage: „Sei doch ruhig, Weib, und glaube und vertraue; denn bei Gott sind alle Dinge möglich!“

15. Darauf ward das Weib ruhiger, sagte aber: „Wohl weiß ich, daß bei Gott alle Dinge möglich sind; aber ich weiß auch, daß ich als eine Sünderin der Gnaden von Gott nicht würdig bin! Oh, welch ein reinstes Herz muß ein Mensch haben, um einer geringsten Gnade, von Gott ausgehend, würdig zu sein! Diese Gnadentür aber ist vor mir schon lange verschlossen. Gott wird mich nun in meiner Not sicher auch wenig beachten, da ich in meinem Glücke Ihn sicher zu wenig beachtet habe. Gott aber erwies mir ja dadurch schon eine rechte Gnade, daß Er mich züchtigte!“

16. Sage Ich: „Wie wäre es denn, so Ich dir deinen Mann und deine beiden Töchter wiedergäbe?!“

17. Sagt das Weib: „Am jüngsten Tage wird sie mir nur Gott wiedergeben können; denn diese liegen in der Flut begraben und sind tot! Die Toten könntest du mir wohl wiedergeben, so sie irgend von des Markus Söhnen aus dem Meere herausgezogen worden sind, – aber lebend nimmer wieder; denn sie müssen schon seit ein paar Stunden vollkommen tot sein!“

18. Sage Ich darauf zu dem Engel: „Schaffe hierher die drei Leichen!“ Und der Engel schafft sogleich die drei auf den Hügel und legt sie zu Meinen Füßen.

19. Das Weib erkennt sogleich in den drei Leichen ihren Mann und die beiden Töchter und fängt auch sogleich an, bitterlich zu weinen.

20. Ich aber sage: „Weib, sei doch ruhig; denn du siehst es ja, daß sie hier nur schlafen!“

21. Sagt das Weib: „Ja, sie schlafen den ewigen Schlaf, aus dem noch nie ein Mensch erwacht ist!“

22. Sage Ich: „Weib, du irrst dich; es gibt keinen ewigen Schlaf, wie du ihn meinst, da du keinen vollen Glauben an ein jenseitiges Leben hast! Diese drei aber werde Ich erwecken, auf daß du und viele andere stärker werden möget im Glauben und Vertrauen auf den lebendigen Namen Gottes.“

23. Darauf sage Ich laut zu den Leichen: „Erhebet euch und stehet auf vom Totenschlafe!“

24. Sogleich fingen die drei Leichen an, sich zu rühren, und richteten sich bald ganz erstaunt auf. Mit weitgeöffneten, hellen Augen sahen sie um sich her; denn sie wußten nicht, was mit ihnen vorgegangen war, und wo sie nun waren.

25. Ich aber sage nun zum Weibe: „Gehe hin und erkläre ihnen, wo sie sich nun befinden, und was mit ihnen geschehen ist! Wenn ihr euch werdet gefaßt und erkannt haben, so werden wir Näheres darüber reden!“

26. Das Weib aber fällt vor Mir auf die Erde und kann vor Verwunderung kein Wort über ihre Lippen bringen. Nach einer Weile konnte das Weib sich erst völlig aufrichten und fing an, Mich über alle Maßen zu loben und zu preisen; denn sie überzeugte sich nach und nach immer mehr, daß ihr Mann und die beiden Töchter vollauf lebten und ganz gesund und vergnügt aussahen.

27. Ich aber wies sie abermals zu den Erweckten hin, um sich mit ihnen zu verständigen und erkennenzugeben, daß sie des Mannes gerettetes Weib sei und die rechte Mutter der beiden Töchter. Darauf ging das Weib, etliche Schritte machend, hin zu den Erweckten; denn so jemand von Mir geheilt oder erweckt ward, entfernte Ich Mich, aus Mir allein bekannten Gründen, einige Schritte von dem Geheilten oder Erweckten.

28. Bei den Erweckten anlangend, gab sie sich sogleich zu erkennen und ward unter großem und überfröhlichem Staunen von den Erweckten sogleich erkannt und auf das wärmste begrüßt.

29. Ich aber verbot nebstbei dem Weibe, Mich sogleich als den Retter und Erwecker den nun schon beim vollsten Bewußtsein Seienden zu verraten, weil solches nicht tauge für ein neu erwecktes Leben; erst nachdem sie von Mir einen Wink erhalten würde, könnte sie Mich dann schon verraten, – was das Weib aber auch beachtete, trotzdem der Mann sie inständigst bat, ihm den wundertätigen Wohltäter zu zeigen.

Kapitel 202. Die Wirkungen der Taten Jesu auf die Perserjuden.

1. Diese Begebenheit aber machte auf unsere Perser erst den rechten Eindruck. Jetzt war es völlig aus, und unser Schabbi sah bald Mich, bald wieder die Erweckten an, befühlte ihre Pulsadern und befragte sie emsigst, ob sie denn wohl so ganz bestimmt tot gewesen wären, und ob sie denn durchaus nicht irgend sich erinnern könnten, was da mit ihnen vorgegangen sei!

2. Der Mann aber sagte: „Frage du diesen Stein, und er wird dir darüber ganz dasselbe zu sagen imstande sein als ich nun! Ich weiß nun nur so viel, daß ein mächtiger Wasserstrom mich ins Meer mit sich fortriß und mich aber auch sogleich derart bewußtlos und folglich tot machte, daß ich von diesem Augenblick an nichts von mir weiß, was dann mit mir vorgefallen ist. Nur so viel erinnere ich mich – in der Seele aber nur –, daß ich mich bald nach dem Verschlungensein von den tödlichen Fluten mit meinen Töchtern ganz traurig auf einer großen Wiese befand und nicht wußte, warum ich denn so ganz eigentlich traurig war. Bald aber überstieg uns ein lichtes Gewölk von allen Seiten, und es ward mir so wonnig in diesem Lichte! Wir sahen aber niemand außer uns, und es bemächtigte sich unser in dieser Wonne ein süßer Schlaf, und aus diesem Schlafe erwachen wir hier wieder. Nun weißt du alles, was ich dir zu sagen weiß; – urteile nun selbst!

3. Daß mein Leib tot war, das wird sicher ebensowenig einem Zweifel unterliegen, als daß ich nun lebe! Denn steige du in des Meeres Tiefe, bleibe über zwei volle Stunden unter dem Wasser, und ich stehe dir dafür, daß du dem Leibe nach vollkommen tot sein wirst!“

4. Spricht Schabbi: „Ja, ja, du warst vollkommen tot, und der Wundermann hat dich erweckt, bloß nur durch sein allmächtiges Wort! Nein, nein, so etwas hat diese Erde noch nicht erlebt! – Aber was nun?!“

5. Beruft Jurah den Schabbi und sagt zu ihm: „Nun, Freund Schabbi, was sagst du jetzt zu dieser Begebenheit?“

6. Sagt Schabbi: „Was soll, was kann man dazu sagen?! Da wirkt Jehovas Macht und nichts anderes! Denn das geht zu endlos weit über jeden Horizont menschlicher Erfahrungen, und kein Wissen hat noch je diese entsetzliche Höhe erklommen. Jetzt werde ich erst so recht verwirrt!“

7. Sage Ich zum Schabbi: „Nun, Freund, wie sieht es nun bei dir mit jener Messiasgeschichte aus, die vor dreißig Jahren in euren Landen die bekannten Morgenlandsweisen ruchbar gemacht haben? Hältst du das auch noch für ein Astrologenmärchen?

8. Denn sieh, derselbe Mensch, der damals zu Bethlehem von einer zarten Jungfrau in einem Schafstalle geboren ward und dem die drei Weisen, die von euch Sternenkönige genannt werden, Gold, Weihrauch und Myrrhen zum Geschenke brachten, bin Ich, – damals ein neugeborenes Kind und nun ein vollkräftiger Mann! Wie gefällt dir das sonderbare Zusammentreffen der Umstände, und wie dünkt dich die Sache?

9. Daß Ich aber ganz bestimmt Derselbe bin, dafür stehen hier zwei noch ganz gut lebende Zeugen; der eine ist der Feldoberste Kornelius, ein jüngster Bruder des Kaisers Augustus, und der andere ist der Oberstatthalter Cyrenius, der Meine Flucht nach Ägypten geleitet und befördert (gefördert) hat und ein älterer Bruder des Kaisers Augustus ist! Wenn du nun solches weißt, so sage Mir nun, was du von dem Messias hältst, den die drei Sternenkönige bei euch ruchbar gemacht haben! Ist etwas an Ihm, oder ist nichts an Ihm?“

10. Sagt Schabbi: „Ja, jetzt ist alles an ihm; aber damals klang es freilich stark nach einem sternköniglichen Märchen! Denn man muß unsere Sternenkönige nur kennen, so wird man auch leicht verstehen, wie sie jede neue Erscheinung am Himmel zu ihren Gunsten auszubeuten verstehen. Fürs erste sind sie mit allen Schriften des In- und Auslandes bestens vertraut. Sie kennen die jüdischen Propheten so gut wie die indischen; die Sen scrit und Sen ta veista der Parsen, Gebern und Birmanen kennen sie so gut wie unsere Bücher; also kennen sie auch die Schulen der Heiden und ihre Bücher. Fürs zweite aber existiert kein Sternlein am Himmel, das sie nicht kennten und auch schon lange benannt hätten.

11. Kommt irgendein ihnen noch nicht bekannter Stern zum Vorschein, als etwa so ein Komet, nun, so wird der zu allerlei prophetischen Auslegungen benutzt; taugt sie (die Auslegung) für die Inländer nicht, so wird damit ins Ausland geritten, und es findet sich da schon irgendein Plätzchen, wo die Geschichte Aufsehen macht. Das wissen wir Aufgeklärten nur zu gut, und darin entschuldigt sich wohl von selbst der Grund, demzufolge die damalige Ruchbarmachung des verheißenen und geborenen Messias der Juden bei uns zum materiellen Vorteile der Sternenkönige, die heimkommend allen Juden es mit furchtbar großem Pompe verkündigten, keine besondere Wirkung gemacht hat. Sie betrieben die Sache wohl sehr ernst; aber bei uns gilt der alte Spruch: ,Der öfter dichtet und lügt, dem glaubt man nicht, so er auch die Wahrheit spricht!‘

12. Wer hätte sich's damals bei uns nur im Traume einfallen lassen können, daß die Sternenkönige denn doch endlich auch einmal etwas Wahres eruiert hätten?!

13. Nun ist die Geschichte mit dir freilich eine ganz andere geworden, und du wirst unsern damaligen Unglauben in deiner Weisheit uns für jetzt ja doch zu keiner Sünde anrechnen?!

Kapitel 203. Der Nutzen der Tätigkeit und die üblen Folgen der Trägheit.

1. Sage Ich: „Das eben wohl nicht; aber das ist daneben doch auch wahr, daß die irdischen Handelsleute nur zu oft über alle geistigen Dinge ein wenig zu leichtfertig hinaus- und hinweggehen, was denn auch bei euch der Fall war. – Habe Ich recht oder nicht?“

2. Sagt Schabbi: „Ja, das, erhabener Freund voll Gotteskraft, ist wohl wahr, daß der Welthandel und die Schätze dieser Erde, ihre Gewinnung und gerechte Verwaltung einem viel Denken und viel Sorgen machen, aber man macht dann eben durch gut angewendeten Reichtum leicht allerlei nützliche Erfahrungen und weckt manches Menschen schlummernden Geist zu allerlei nützlichen Dingen, schafft ihm eine nützliche Beschäftigung und entfernt ihn sogestaltig vom Müßiggange, der gewöhnlich ein Vater von allen Lastern und Sünden ist.

3. Siehe du an den Priesterstand nahe aller Nationen! Solange diese Menschen arbeiten mußten und sich wie jeder andere Mensch ihr Brot im Schweiße ihres Angesichtes erwarben, waren sie auch die ersten Freunde der Wahrheit und entdeckten und berechneten so manches, darüber wir noch heutzutage allen Grund zu staunen haben. Sie brachten Harmonie ins menschliche Denken und errichteten Schulen für die wahre Bildung des menschlichen Geistes und der Erkenntnis seiner selbst. Damals fanden solche Priester die Wege zu Gott und leiteten voll Geistes und ernstlich-guten Willens die Nebenmenschen zur gleichen Erkenntnis.

4. Als aber später die Menschen die große Wohltat der schönen und erhabensten Mühen der alten und echten Priester mehr und mehr erkannten und ihren übergroßen Nutzen einsahen, da nahmen sie alle die schweren Arbeiten der Priester, die sie über alles achteten und liebten, auf sich, führten die Zehentgaben ein und bestimmten, daß die Priester nur für des Menschen Geist zu sorgen und zu arbeiten hätten. Da ward aber dann der Priesterstand auch bald ein müßiger, fing an zu dichten und zu trachten, mauerte die helle Wahrheit in finstere Katakomben ein und fing an, die damals leichtgläubige Menschheit mit allerlei Märchen und Fabeln abzufertigen; und so ward der Müßiggang der Priester der offenbare Grund zum Verfalle selbst der erhabensten und göttlichsten Lehre des großen und wahren Priesters Moses.

5. Man lese nur Moses und die Propheten und vergleiche das nunmalige Treiben der Nachfolger Mosis und Aarons zu Jerusalem, und man wird es bald und leicht heraushaben, daß sie weder an Moses und noch weniger an einen Gott glauben. Denn würden sie an Moses und an den durch ihn verkündigten Gott glauben, so würden sie nicht die allerschändlichsten Lügner und Betrüger des Volkes, das sie leiblich und geistig knechten, sein! Das ist aber alles eine notwendige Folge des lästerlichen Müßigganges! Und so meine ich, daß der gerechte Reichtum in den Händen weiser, wohlwollender und tätiger Menschen für die dürftigen Menschen mehr ein Gottestempel ist denn der Salomonische zu Jerusalem!

6. Freilich haben wir handelstätigen Menschen nicht gar zuviel Zeit, uns mit allerlei mystischen Dichtungen der privilegierten Müßiggänger abzugeben und darinnen nachzugrübeln, wieviel Wahres daran klebt; aber wir lehren das Volk den Müßiggang fliehen und bilden es zu wahren, nützlichen Menschen! So glaube ich, daß wir dadurch den kleinen Fehler vielfach gutmachen, den du mir darin bestehend zeigtest, daß wir oft über so manche geistige Dinge zu leichtfertig hinweg- und hinauseilen! Denn ich für meinen Teil denke also: Gutes üben in der Tat ist besser, als darüber die schönsten Lehren schreiben – und sie selbst aber nie ausüben.

7. Was nützt im Grunde aber auch unser noch so tiefes Grübeln und Faseln? Hinter die wahre Weisheit Gottes wird ein Sterblicher doch nie kommen, ja, nicht einmal deren äußersten Schleier lüften!

8. Ist aber den Menschen solches nötig, so wird Gottes Gnade schon wieder einen Moses irgend erwecken, also einen wahren Messias, wie nun du ein rechter zu sein scheinst. Dieser wird uns dann sicher in der rechten Weisheit Gottes unterweisen, und wir werden das als eine echte Ware aus den Himmeln sicher um jeden Preis gerne und dankbarst annehmen und auch danach tätig sein, weil wir Handelsleute stets große Freunde von aller der Menschheit nützenden Tätigkeit sind und unsern großen irdischen Reichtum nur dazu verwenden, die von Natur aus stets zur Trägheit und zum Müßiggang geneigte Menschheit, für sie und für andere nützend, in allerlei guter Tätigkeit zu beschäftigen.

9. Sage, erhabener, von Gottes Geist erfüllter Freund, ob unsere Lebensansicht gut, brauchbar und darum eine wahre ist, oder ob du uns eine noch bessere aus deiner Weisheit zu geben imstande bist!“

Kapitel 204. Das Wesen wahrer Offenbarung.

1. Sage Ich: Mitnichten! Das Gute und Wahre ist gleich, ob es ein Mensch durch sein reges Forschen entdeckt, oder ob es ihm von Gott unmittelbar geoffenbart wurde; denn das Selbstfinden einer Wahrheit ist eben auch eine Offenbarung von oben, aber eine mittelbare, und das Mittel dazu war das rege Forschen.

2. Durch solches Forschen macht sich die Seele freier von den groben Banden der Materie und erweckt dadurch auf Momente den göttlichen Geist in sich, oder sie kommt mehr ins Lebenszentrum ihres Herzens, dahin stets und unablässig Gottes Licht und Erbarmung fließt und ebenso der Seele das Leben und geistiges Wachstum schafft, wie der Sonne Licht und ihre Wärme in die Furchen der Erde dringt und daselbst das Leben und das Gedeihen der Pflanzen erweckt, erhält und fördert, bis aus der Pflanze eine freie, selbständige und dadurch eine vollreife Frucht erzeugt wird, deren eigenes Leben nicht mehr von der Pflanze abhängig ist, sondern für sich selbst besteht.

3. Wenn in den wahren, lebensregen Momenten die Seele in das beschriebene Lebenszentrum im Herzen kommt, so ist sie dadurch auch zur Offenbarung des Geistes Gottes in jegliches Menschen Herz gelangt und kann da nichts anderes als nur die ewige gleiche Wahrheit aus Gott in sich selbst finden. Und das ist eine mittelbare Offenbarung und unterscheidet sich von der unmittelbaren nur dadurch, daß da Gott in den Fällen großer Menschenverfinsterung taugliche Menschen ohne ihr Zutun erweckt und deren Seele eben auch in ihr Lebenszentrum leitet, um von da aus den andern Blinden das augenöffnende Licht wieder zu verschaffen.

4. Und noch ist da ein Unterschied zwischen der mittelbaren und unmittelbaren Offenbarung, und dieser besteht darin: Die mittelbare Offenbarung gibt dem suchenden Menschen nur darüber ein rechtes Licht, darüber er speziell eines haben möchte, und gleicht einem guten Lampenlicht, mit dem man irgendein dunkles Gemach ganz hell erleuchten kann; die unmittelbare aber gleicht der Sonne am hellsten Mittag, deren mächtiges Licht die ganze Welt in allen ihren großen und kleinen Furchen erleuchtet, also auch die unmittelbare Offenbarung.

5. Diese (der Sonne vergleichbare unmittelbare Offenbarung) ist nicht nur für den Menschen gültig, dem sie gegeben wird, sondern für alle Menschen, und zunächst für das Volk, dem der Prophet angehört; aber weil es echte und wahre von Gott berufene Propheten gibt, so läßt sich's daneben leicht denken, daß es auch falsche geben wird, und zwar aus folgenden leicht faßlichen und leicht begreiflichen Gründen:

6. Ein wahrer Prophet muß bei seinen Nebenmenschen in eine Art Hochachtung kommen; denn seine Weissagungen, und mitunter auch seine Taten zum Beweise der Göttlichkeit seiner Erweckung, müssen doch dem gewöhnlichen Alltagsmenschen einen gewissen Respekt einhauchen, – ob die Weissagungen ihm gefallen oder nicht, und ob sie mit seinen irdischen Interessen im Einklange stehen oder nicht.

7. Bei Menschen besseren Sinnes wächst ein Prophet aber ohne seinen Willen zu einem unerreichbaren Riesen und kann sich der gewissen frommen Hochachtung und Ehrfurcht nimmer erwehren, so demütig er sonst auch ist und sein muß.

8. Nun, das sehen andere Weltmenschen, deren Verstand oft sehr erfinderisch ist; denn an der Schlangenklugheit hat es den Kindern der Welt noch nie gemangelt. Diese Weltmenschen wollen auch ein Ansehen und mit diesem einen leicht einzusehenden irdischen Gewinn.

9. Sie fangen an zu studieren und erfinden nicht selten mit Hilfe des Satans Dinge und machen scheinweise Reden, daß die in allem Wissen laie (laienhafte) Menschheit am Ende keinen Unterschied mehr zu machen versteht, was da wahr und echt und was da falsch und schlecht ist.

10. Wie aber kann man dann dennoch einen falschen von einem echten Propheten erkennen? Ganz leicht: an den Früchten nämlich!

11. Denn von den Dornen und Disteln sammelt man keine Trauben und Feigen!

12. Der echte Prophet wird nie und unmöglich selbstsüchtig sein, und ferne von ihm wird sein jeder Hochmut. Er wird wohl dankbar annehmen, was ihm gute und edle Herzen spenden; aber nie wird er an jemand eine taxenmäßige Forderung machen, weil er weiß, daß dieses vor Gott ein Greuel ist, und weil Gott Seine Diener wohl erhalten kann!

13. Der falsche Prophet aber wird sich zahlen lassen für jeden Schritt und Tritt und für jede sogenannte gottesdienstliche Handlung zum vorgeschützten und vorgelogenen Wohle der Menschheit. Der falsche Prophet wird von den Gerichten Gottes donnern und selbst in Gottes Namen richten mit Feuer und Schwert; der echte aber wird niemand richten, sondern nur ohne alles Interesse die Sünder ermahnen zur Buße und wird keinen Unterschied machen zwischen groß und klein und zwischen angesehen und unangesehen. Denn ihm gilt nur Gott allein alles und Sein Wort, – alles andere ist für ihn eine eitle Torheit.

14. In des echten Propheten Rede wird nie ein Widerspruch statthaben; stelle aber des falschen Propheten Rede ans Licht, und es wird darin von Widersprüchen wimmeln. Den echten Propheten kann nie jemand beleidigen, wie ein Lamm wird er alles ertragen, was immer auch die Welt ihm antun mag; nur gegen die Lüge und gegen den Hochmut wird er im Feuereifer aufwallen und sie beide allzeit schlagen.

15. Der falsche Prophet ist stets ein Todfeind jeder Wahrheit und jedes bessern Fortschritts im Denken und in den Werken; niemand außer ihm soll etwas wissen oder irgendeine Erfahrung haben, auf daß ein jeder genötigt wäre, sich allzeit und in allen Dingen des teuren Rates bei ihm ums Geld zu holen.

16. Der falsche Prophet denkt nur an sich; Gott und dessen Ordnung sind ihm lästige und lächerliche Dinge, an die er bei sich keinen Funken Glaubens hat, darum er sich auch mit dem leichtesten Gewissen von der Welt einen Gott aus Holz und Stein machen kann, wie es ihm nur beliebt. Daß dann so ein Gott für die einmal ganz durch und durch blindgemachte Menschheit leicht durch die Hände des falschen Propheten Wunder wirken kann, wird etwa doch sehr leicht begreiflich sein!“

17. Sagt Schabbi: „Oh, erhabener Freund, das weiß ich und wir alle, wie es die falschen Kerle anstellen, und wie sie Wunder wirken; das sind bei mir Bestien und keine Menschen mehr! Denn ich finde in der Welt keine größere Schändlichkeit, als so ein solcher geistlicher Menschenbetrüger vom Fache seinen unwissenden Brüdern etwas zum Glauben aufdrängt, darüber er bei sich lachen muß und selbst kaum begreift, wie die Menschheit so entsetzlich dumm sein kann, solch einen entsetzlichen Unsinn als ein blankes Gold anzunehmen.

18. Oh, erhabener Freund, was du nun gesagt hast, weiß ich und kenne ich! Aber wie da beschaffen ist eine mittelbare und unmittelbare Offenbarung, das konnte ich nicht wissen; aber es freut mich, daß das, was der Mensch redlichen Willens durch sein reges Forschen gefunden und entdeckt hat, eben auch am Ende dennoch eine Offenbarung von oben ist. Natürlich kann da nicht ein jeder Mensch ein Prophet dem ganzen Volke sein; aber wenn der mittelbare Prophet in einer sonderheitlichen eigenen Sphäre etwas sehr Nützliches, wenn auch nur zum Behufe der leiblichen Vorteile, erfunden und entdeckt hat, so wird das auch mit der Zeit zum Wohle für ein ganzes Volk in die nützliche Anwendung kommen, und es kann dadurch dann auch der mittelbare Sonderheitsprophet ein allgemeiner sein und werden!

19. Nehmen wir an die sicher schon vorsündflutliche Erfindung des Pfluges! Dies unschätzbar nutzwerteste Ackergerät hat sicher ein tätiger und denkender Mensch auf dem Wege der mittelbaren Offenbarung erfunden. Sein Name ist zwar in der Geschichte nicht aufbewahrt worden; aber welch unberechenbaren Nutzen hat seine Erfindung der Menschheit schon gebracht! Und so gibt es eine große Menge solcher allgemeinst nützlicher Erfindungen von hunderterlei Werkzeugen und Gerätschaften, die einen unendlichen Nutzwert haben. Ihre Erfinder waren sicher sehr tätige, bescheidene und anspruchslose Menschen, ansonst die Schreiber ihre Namen sicher aufgezeichnet haben würden gleichwie die Namen derjenigen, die da geherrscht haben über die Völker und ihnen im allgemeinen sehr wenig genützt haben.

20. Ich bin der Meinung, daß jene Menschen der Völker größte Wohltäter sind, die sie denken lehrten nach der Ordnung der Wahrheit und sie bereichert haben mit nützlichen Erfindungen!

21. Der Nutzen der allgemeinen, rein geistigen Propheten aber befindet sich bis zur Stunde noch in einer großen Schwebe. Sie rügten wohl eingerissene Volksgebrechen und züchtigten die argen, mutwilligen Frevler. Sie verkündeten zumeist in stark umhüllten Worten Gott und Sein Walten und Sein Wollen und Seine Absichten; aber die Menschen verstanden sie nicht im vollklaren Sinne und taten darum dennoch, was sie wollten, nach ihren weltlichen Gelüsten und ließen Gott und Seine erhabenen Propheten gute Männer sein.

22. Auf diesem Wege entstand das verworrene Heidentum und mit ihm alle erdenklichen Spielarten des allerfinstersten Aberglaubens; aber der Pflug blieb Pflug, und die Säge eine Säge, und die Axt eine Axt, – und der Heide wie der Erzjude bedienen sich gleichmäßig solch nützlicher Erfindungen!

23. Es fragt sich am Ende noch sehr, welche Gattung der echten Propheten am Ende für die Menschheit einen allgemeineren Wert hat!

24. Die Menschen denken zwar viel und begreifen so manches; aber einen Daniel ganz zu begreifen, oder einen Jesajas, oder einen Jeremias, oder gar ein Hoheslied Salomonis, – da nützt kein menschliches Denken, – es ist umsonst! Das fasset nur ein Gott oder irgendein Engelsgeist, oder ein eigens dazu erweckter Prophet. Nur diesen drei Gattungen von Geistern kann es möglich sein, das zu begreifen; für jeden andern Geist ist das allerreinst unmöglich. Nun fragt sich's aber, wozu eine hohe Weisheit gut ist, die kein Sterblicher fassen und begreifen kann!?“

Kapitel 205. Von der Ohnmacht der Menschen.

1. Sage Ich: „Freund, da sieh hinauf zu den Sternen! Kennst du sie und verstehst du, was und wozu sie sind? Sollen sie darum etwa gar nicht sein, weil sie bis jetzt noch kein Mensch begreifen konnte? Begreifst du etwa, was Sonne und der Mond sind? Sollen sie darum nicht sein, weil du sie nicht begreifst?!

2. Begreifst du den Wind, den Blitz, den Donner, den Regen, den Reif, den Schnee, das Eis? Soll dies alles darum nicht sein, weil du und alle andern Menschen solches alles nicht begreifen?!

3. Begreifst du die tausend Arten der Tiere, ihre Gestalt und ihre Beschaffenheit? Begreifst du die Welt der Pflanzen und ihre Formen? Weißt du etwa, was das Licht und was die Wärme ist?!

4. Soll das alles auch darum nicht sein, weil du und alle andern Menschen das nicht fassen und begreifen können?!

5. Begreifst du etwa dein Leben, und wie du sehen, hören, fühlen, schmecken und riechen kannst? Soll der Mensch etwa nicht sehen, hören, fühlen, schmecken und riechen, weil er das alles nimmer begreifen kann?!

6. Da es aber schon in dieser Materiewelt so viele Dinge gibt, die die Menschheit nie in der Fülle begreifen kann, so gehe und denke darüber nur ein wenig nach und gib Mir darauf deine Ansicht kund!“

7. Sagt Schabbi: „Herr und Meister voll göttlicher Kraft! Ich brauche darüber nicht viel nachzudenken, ich habe schon das Ganze, was du mir hiermit sagen wolltest. Du wolltest mich dahin leiten und mir zeigen, daß es sich beim Forschen in den Sphären der höhern Weisheit genau so verhalte wie in den Sphären der materiellen Schöpfung. Wir Menschen verstehen und begreifen davon eigentlich gar nichts außer das alleräußerste Bild und das, was wir davon mit unseren allergröbst-materiellen Sinnen wahrnehmen und der Form, der Farbe, dem Geruche und dem Geschmacke nach an den geschaffenen Dingen unterscheiden können. Oh, wie wenig und eigentlich gar nichts versteht und weiß der Mensch, und doch dünket er sich groß in der Weisheit zu sein und ist stolz auf sein elendes bißchen Wissen! Und was ist das, was er weiß? Nichts, aber ganz und gar nichts ist es!

8. Oh, wie blind und dumm sind doch alle Menschen! Nicht einmal so weit bringen sie es, daß sie einsähen, daß sie gar nichts sind und gar nicht einsehen und begreifen, daß sie nichts sind und gar nichts einsehen. – Das Gras wächst, und der sehende und fühlende Mensch freut sich dessen; aber was dazu gehört, das Gras zu erschaffen und wachsen zu machen und in derselben Art gleichfort zu erhalten – wer aus allen Sterblichen sieht das ein?!

9. Adam, Henoch, Noah, Abraham, Isaak, Jakob, Moses und Elias waren sicher die weisesten Menschen, die je die Erde getragen; sie hatten viel Licht aus Gott in sich. Aber wie das Gras wird, wächst, Samen bringt, und wie im Samenkorne die Einrichtung getroffen ist, daß aus demselben eine ewig zahllose Menge und Vielheit derselben Art des Grases hervorgehen kann, – davon hatte wohl allen den genannten Großvätern der Weisheit sicher nie etwas geträumt!

10. Wissen wir aber nicht einmal, wie das allerschlichteste Moospflänzchen wächst und sich fortpflanzt, und wie das Würmchen im Staube sich krümmt, was wollen wir von den Elementen reden und was von den fernen Sternen?! Wie wir Menschen aber da nichts wissen, da wissen und verstehen wir noch um so weniger, wer und was die Sterne sind, wozu und woraus sie gemacht sind!

11. Und siehe, großer und erhabener Meister, du wolltest mich, auf mein vollkommenstes Nichtswissen hindeutend, dahin zurechtweisen und sagen: ,Gott, der Allweiseste, stellt vieles vor die Augen des Menschen und vor alle seine äußeren Sinne und durch diese auch gleichzeitig vor die Sinne der Seele, um den Menschen zum Denken zu zwingen.‘ Aber die Erklärung muß sich der Mensch selbst suchen; denn gäbe Gott ihm auch diese hinzu, so möchte der Mensch ehest träge und am Ende über alles ganz tatlos und faul werden.

12. Denn was ein Mensch einmal vollkommen innehat und versteht, für das hat seine träge Natur keinen Sinn mehr; dies ist zu sehr durch eine nur zu allseitige Erfahrung bestätigt und erwiesen und bedarf darum keines neuen Beweises mehr. Und so würde sich der Mensch offenbar auch ganz sicher in der rein geistigen Sphäre verhalten, so er alles auf ein Haar klein und sonnenhell verstünde, was die großen Propheten aus Gott in die Bücher der Weisheit niedergezeichnet haben. Er würde sich bald schlafen legen und endlich über gar nichts mehr nachdenken; worüber aber sollte der Mensch denn auch noch irgend etwas nachdenken, so er ohnehin alles verstünde?!

13. Gott weiß darum ganz wohl, wie Er die Menschen zu halten hat, auf daß sie denken, wollen und am Ende recht sehr tätig sein müssen; es ist im einen wie im andern, – nur keinen Müßiggang!

14. Ich sehe nun auch ein, daß die Messiasgeschichte und – sache auf mich bei weitem den tätigen Eindruck nicht gemacht haben würde, wenn ich aus dem Jesajas alle darauf Bezug habenden Texte bis auf ein letztes Minimum verstanden hätte. Die drei Sternenkönige hätte ich höchstens belächelt, so sie mit ihren mystischen Weisheitstiraden (Wortergüssen) zu mir gekommen wären; und einem jeden andern, der in dieser Hinsicht zu mir gekommen wäre, würde es nicht um ein Haar besser ergangen sein!

15. Aber da bei mir das alles in einem gläubigen Halbdunkel geblieben ist bis zur Stunde, so fühle ich nun eine um so größere Seligkeit, weil das, was so schwer und dunkelst nur zu glauben war, sich so hell vor meinen Augen ausgebreitet hat und ich nun Den vor mir sehe, auf den alle Juden samt mir so sehnsüchtig geharrt haben! – Herr und Meister, habe ich dich verstanden oder nicht?“

Kapitel 206. Schabbi erkennt Jesus.

1. „Jawohl, jawohl!“ sage Ich und stelle weiterhin folgende Frage an ihn: „Nun, lieber Freund, da du in jeder Hinsicht ein sehr intelligenter Kopf zu sein scheinst vor den Augen und Ohren der Menschen und viele Dinge ganz richtig und scharf beurteilst, so sage Mir nach deiner besten Überzeugung, was du dir denn unter dem Messias, der nun Ich Selbst sei, vorstellst! Welchen Zweck hat denn so ganz eigentlich das nunmalige Auftreten des Messias?!“

2. Sagt Schabbi: „Ja, erhabenster Freund, das ist eine ganz absonderlich verfängliche Frage, das heißt nicht etwa nach meiner frühern, ganz irrigen Vorsichtsmeinung, als wolltest du durch unbegreifliche Wundertaten und schlaueste Fragen irgendeinen Schein von einer Römerfeindlichkeit von mir herauslocken, sondern rein in Hinsicht der mystischen Persönlichkeit des Messias selbst, über den eben Jesajas höchst sonderbare Dinge aussagt, aus denen kein Mensch klug werden kann. Denn bald ist der Messias ein Königssohn, bald ein starker und mächtiger Held, bald ein Sohn Gottes, bald ein Sohn einer Jungfrau! Einmal sagt Jesajas (Jes.25,6-9):

3. ,Der Herr Zebaoth wird allen Völkern machen auf diesem Berge ein fettes Mahl; ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefen sind. Und Er wird auf diesem Berge die Hülle wegtun, womit alle Völker verhüllt sind, und die Decke, mit der die Heiden zugedeckt sind. Er wird den Tod verschlingen, und der Herr wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach Seines Volkes in allen Landen; denn der Herr hat es also gesagt. Zu der Zeit wird man sagen: ,Siehe, das ist unser Gott, auf den wir harren, Der wird uns helfen! Das ist der Herr, auf den wir harren, damit wir uns freuen in Seinem Heil!‘

4. Siehe, erhabenster Herr und Meister, das sind die sehr bezeichnenden Worte des Propheten; aber was soll man eigentlich aus ihnen machen? Wer und wo ist der Berg, auf dem uns der Herr ein ganz sonderlich aussehendes fettes Mahl bereiten wird aus reinem Weine, Fett, Mark und abermals aus hefenlosem Weine? Wem diese Kost schmecken wird, der wird einen ganz gesunden Magen haben müssen!

5. Einen natürlichen Sinn kann dieses Mahl nicht haben, sondern nur einen geistigen; wer aber findet diesen heraus? Wer ist der Berg, und wer das sonderbar fette Mahl? Geht mir, das heißt die Menschheit eigentlich zum besten haben! Auf demselben Berge wird der Herr, das heißt nach meinem Verständnisse der Messias, die Hülle, womit die Völker verhüllt sind, hinwegtun und die Decke nehmen von den Angesichtern der Heiden. Das wäre zu verstehen; aber der Berg, der Berg, wo ist er denn, und wer ist er?

6. Daß Er den Tod verschlingen kann und auch wird und hinwegräumen die Schmach Seines Volkes in allen Landen, also auch in unserm Persien, das ist mir wenigstens nun klar, weil ich gesehen habe, wie Du die Toten ins Leben zurückgerufen hast.

7. Aber hinterdrein läßt Jesajas auf dem Berge das glückliche Volk rufen: ,Das ist unser Gott, das ist der Herr!‘ Ist das der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs? Wenn so, da bist Du demnach Derselbe, der auf Sinai dem Mose die Gesetze gab; der da donnerte: ,Ich allein bin dein Gott und dein Herr, außer Mir sollst du an keinen andern Gott glauben und halten!‘

8. War Jesajas mit dem Gesetze Mosis, so konnte er unmöglich im Messias noch einen Gott auftauchen lassen; weil aber Jesajas also ganz unzweideutig Ihn als Gott auftauchen läßt, so mußt Du ja derselbe Gott sein, der auf Sinai schon mit Moses geredet hat!

9. Was kannst Du mir nun sagen infolge der Aussage des Propheten, so ich nun vor Dir niederfalle und Dich laut als den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs anzubeten anfange?!

Kapitel 207. Über die wahre Anbetung Gottes.

1. Sage Ich: „So du im vollsten Sinne lebendig glaubtest und eine innere Überzeugung hättest, könnte Ich dir wie euch allen freilich wohl nichts einwenden, so ihr Mich als euren Gott auf eine rechte Art anzubeten anfinget; aber indem ihr darin, und am wenigsten in eurer Seele, irgendeine volle geistige Überzeugung habt, so würdet ihr mit Mir ebensogut eine Abgötterei treiben, als so ihr irgendeinem andern Menschen oder einem geschnitzten Bilde eine göttliche Verehrung erweisen würdet.

2. Wer Gott wahrhaft und fruchtbringend anbeten will, der muß Gott zuvor in seinem Herzen lebendigst erkennen, er muß Gott im Geiste und in aller Wahrheit zuerst haben in der Erkenntnis und in der Liebe, dann erst kann er Ihm die Ehre geben und Ihn vollgültig anbeten; ohne dem treibt der Mensch auch mit dem wahren Gott eine scheußliche Abgötterei!

3. Wie kann ein Mensch den allein wahren Gott würdig und wirksam anbeten, so er Ihn noch nie anders als nur vom Hörensagen ganz götzenhaft erkannt hat?! Was Unterschiedes wird dann zwischen der Anbetung des allein wahren Gottes und derjenigen eines Götzen sein?!

4. Die wahre Anbetung des allein wahren Gottes besteht in der Liebe zu Ihm und in der Liebe zum Nächsten. Wer aber kann Gott lieben, so er Ihn noch nie erkannt hat?

5. Oder kann ein junger Mensch je zu einer Jungfrau in Liebe erbrennen, die er noch nie gesehen und erkannt hat? Und bildet er sich eine solche ein, daß sie irgendwo sei, und fängt er an, die in der Wahrheit nirgends Seiende gar mächtig zu lieben, so ist er ein Narr und treibt darum die Selbstliebe im höchsten Grad, – und das ist ein Greuel vor Gott.

6. Jede Götzenanbetung ist darum die größte Torheit der Menschen und eine gräßliche Blindheit. Denn am Ende dünken sich die festen Götzenanbeter selbst als Götzen und lassen sich Weihrauch streuen und sich als Götter anbeten, – und das ist dann ein Triumph des Satans im Menschenherzen! Aber wehe solchen in ihrer höchsten Verblendung sich einbildenden Selbstgöttern! Ihr Los wird dereinst ein höchst trauriges sein; denn solch ein Hochmut ist ein Wurm, der nimmer stirbt, und ein Feuer, das nimmer erlischt!

7. Ich sage es dir: Es ist des Satans Lust, die blinden Menschen durch den in sie eingepflanzten Hochmut von der Ordnung Gottes soweit als möglich wegzubringen; aber werden sie einst als Jünger seiner Schule drüben anlangen, dann wird er sie verwerfen und zu seinen allerniedrigsten und scheußlichsten Diensten stellen, in denen sie nach seinem bösesten Willen ewig werden zu verbleiben haben!

8. Der Satan als der Fürst der Finsternis läßt die Menschen hier zu Göttern erhöhen, um sie dereinst zu den niedrigsten Scheusalen hinab zu demütigen.

9. Gott aber verlangt hier ein weises und demutsvolles Herz, um dereinst den Menschen desto höher zu heben und seliger zu machen.

10. Es wird zwar solche Macht dem Satan benommen werden, und die Menschen werden völlig unabhängig frei nach ihrem Sinne schalten und walten können; – dadurch werden die Guten desto mehr leuchten, und die aus sich Bösen aber desto ärger und tiefer der Hölle angehören; denn da wird ihre Bosheit nicht der Satan auf seine Rechnungstafel, sondern sie auf ihre höchst eigene bekommen, und sie werden dereinst vom Satan und seinen Knechten desto übler hergenommen werden.

11. Darum ist eines jeden Menschen erste Pflicht, in aller Demut seines Herzens Gott zu suchen im Geiste und in der Wahrheit, und hat er Ihn gefunden, dann erst bete er Gott auch im Geiste und in der Wahrheit an!

12. Das Hauptgebet aber besteht darin, daß ein demütiges Herz demütig bleibt und seinen Nächsten liebt in der Tat mehr als sich selbst, Gott aber als den allein wahren Vater aller Menschen und Engel über alles!

13. Niemand aber kann Gott lieben in seinem finstern Fleische, so er seinen Bruder hasset; denn wie möglich könnte jemand Gott lieben, den er nicht sieht, so er seinen Bruder nicht liebt, den er sieht?!

14. Es ist aber bei weitem nicht genug, zu sagen: ,Ich liebe meine Nächsten und bin ihnen sehr freundlich!‘ Die wahre und vor Gott allein gültige Liebe muß in Werken bestehen, wenn die Nächsten derselben bedürfen, geistig oder leiblich. Diese Liebe ist der wunderbare Schlüssel zum Lichte aus Gott im eigenen Herzen.

15. Ich sage es dir und deinen Gefährten, hättet ihr diesen goldenen Schlüssel nicht gefunden und in euer Herz aufgenommen, nimmer würdet ihr den Weg hierher gefunden haben! Was aber das sagen und heißen will, daß du und deine Gefährten hierhergekommen seid, wennschon durch einen mächtigen Sturm des äußeren Lebens, das fanget ihr nun schon an zu ahnen, – die kurze Folge aber wird euch erst ins wahre Licht führen! Wenn du Mich erst ganz erkannt haben wirst, dann wirst du auch einsehen, ob Ich anzubeten bin oder nicht!“

Kapitel 208. Ehrfurcht der Perser vor der Heiligkeit Jesu.

1. Auf diese Meine Worte werden die Perser sehr nachdenkend, und der Jurah sagt zu seinen Gefährten, während Ich Mich zu den drei vom Tode Erweckten begab und sie leiblich versorgen ließ: „Freunde! Der führt eine ganz merkwürdige Rede, die noch wundersamer klingt, denn da seine Taten anzusehen sind, obwohl diese von einer Art sind, von der wir noch nichts Ähnliches gesehen haben. Aber es sieht da immer ein Wunder dem andern gleich, und der darin unerfahrene Mensch ist blind und sieht nicht alldort, wo er am besten und hellsten sehen sollte! Die Gesundmachung unseres Juweliers ist wohl überaus überraschend, aber vielleicht nicht in der Unmöglichkeit, sie auf natürlichem Wege zu bewerkstelligen. Wir wissen es freilich nicht, wie solches möglich wäre, allein wir wissen es aber aus der Erfahrung, wie die Indier den Biß der giftigsten Schlangen heilen ohne Kraut und Saft und Öl. Der hat diese beiden auch ohne Kraut, Saft und Öl geheilt, wie, das wissen wir nicht und – können es auch nicht wissen!

2. Die drei Ertrunkenen sind wahrlich wieder ins Leben zurückgerufen worden; aber es ist noch sehr zu beweisen, ob sie wohl wirklich schon ganz vollkommen tot waren, oder ob sie nicht Verstelltertrunkene waren! Kurz, die Taten beweisen noch lange nicht alles! Aber sein mächtiges Wort beweist nach meiner Ansicht mehr denn die beiden Wundertaten; denn so endlos weise und ewig wahr spricht keines Sterblichen Zunge! Denke du, Schabbi, nur über die Erörterung (Erläuterung) von der allein wahren Gottesanbetung nach, und du wirst es einsehen, welch eine alles durchgreifende Weisheit darin liegt; das beweist mir etwas Ungeheures, ja ein Etwas, daß ich mir's kaum auszusprechen getraue!“

3. Fragt Schabbi ganz erstaunt: „Nun, was ist es denn, daß du dir's kaum auszusprechen getraust?“

4. Sagt Jurah: „Denke du nur selbst ganz reiflich nach, und ich will was heißen, wenn du nicht bald dasselbe fändest! „Schabbi fängt hier an sehr nachzudenken und weiß aber dennoch nicht so recht, was er aus der Frage des Jurah so ganz eigentlich machen soll.

5. Nach einer Weile sagt Schabbi zum Jurah: „Ich möchte dir wohl etwas sagen und glaube, daß sich da eine ganz absonderliche Sache herausstellen würde; aber es ist und bleibt eben diese absonderliche Sache etwas sehr Gewagtes! Denke nur, wenn nun nahe zweifelsohne dies der Messias ist, so ist Er nach Jesajas nicht nur der ganz einfache Mensch, der hier mit uns geredet hat, sondern, wohlgemerkt, auch Seiner Seele nach Gott, der alleinig wahre von Ewigkeit! Wenn aber also, was sodann mit uns? Wie werden wir schwache Menschen vor Ihm, dem Allerhöchsten, bestehen? Was tun wir hernach, wohin dann mit uns?“

6. Sagt Jurah: „Ja, das ist auch meine Sorge und nun mein größter Kummer! Ich ahne, daß hier so etwas zum strahlendsten Vorscheine kommen wird, nur begreife ich die hohen Heiden nicht; denn sie scheinen an Ihm wie an ihrem Leben zu hängen!“

7. Schabbi sagt: „Vernahmst du, wie im Jesajas geschrieben steht: ,Und Er wird die Decke, womit die Heiden zugedeckt sind, hinwegtun.‘! Das will soviel sagen: Diesen Ersten der Heiden hat Er Sich schon geoffenbart! Sie wissen bereits, was an Ihm ist, und sind Ihm darum also ehrfurchtsvoll zugetan. Sie werden schon die vollste Überzeugung haben, daß Er, als der Allmächtige von Ewigkeit, sie mit einem Hauch auf ewig wie lose Spreu verwehen kann, und haben darum die endloseste Hochachtung vor Ihm, und wie es mir vorkommt, so sind sie von Ihm schon besiegt, und die guten Juden sind frei! – Das ist so meine Ansicht.

8. Und später darauf aber heißt es im Propheten auch: ,Und der Herr wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach Seines Volkes in allen Landen!‘ Das heißt: sicher auch uns, die wir in Persien sind; nur werden wir offenbar nicht die ersten sein, denen Er solches tut, aber dennoch sind wir nun an der Reihe, und dies scheint eben der Moment zu sein, in welchem Er der Juden in andern Landen gedacht hat. An uns hat Er den Anfang gemacht, uns unsere Tränen zu trocknen und unsere Schmach zu tilgen! Wir stehen irdisch ausnahmsweise wohl so gut, daß wir auch im Fremdlande keine Nottränen zu weinen Ursache haben, und leiden keine Schmach; aber es leben dort noch Tausende unserer Brüder und Schwestern, die dennoch große Not leiden. Sie werden von den Heiden oft grauslich verhöhnt und allenthalben verachtet; wir aber sind gar wohl in der Lage, ihnen allen zu helfen und in Seinem Namen ihnen zu trocknen die Tränen aus und von ihren Angesichtern und zu tilgen ihre vieljährige Schmach! Darum scheint uns der Herr, der nun offenbar hier ist, auch hierher auf diesen bescheidenen Berg gerettet zu haben, um uns zu Seinen Werkzeugen zu brauchen bei denen, die in fremden Landen wohnen. Das ist so meine Ansicht in allem und jedem. – Und nun rede du, mein Freund!“

9. Sagt Jurah: „Ja, du hast meiner Ansicht nach nun den Nagel auf den Kopf getroffen! Es wird sich schon alles ganz also verhalten! Aber da sich nun ganz sicher alles also verhalten dürfte, so kommt wieder die große und bedeutungsvollste Frage: Wie werden wir uns Ihm nahen, da wir doch sicher bis über den Kopf in allerlei Sünden stecken? Und doch steht es geschrieben: ,Gott darf und kann sich niemand nahen, der eine Sünde an sich hat!‘ Wir werden vielfach unrein sein! Wo werden wir uns nun reinigen können? Wo ist der, der von uns ein gültiges Opfer annähme, das uns reinigte von unseren Sünden vor Gott?!“

Kapitel 209. Vom Gebet.

1. Trete nun wieder Ich unter sie und sage: „Ich Selbst; und so gut Ich zu den Toten sagen konnte: ,Wachet auf vom Tode und lebet!‘, ebenso wirksam, gut und gültig kann Ich zu euch sagen: ,Seid rein, und vergeben sind euch alle eure Sünden!‘ und ihr stehet nun rein und ohne Sünde vor Mir! Glaubet ihr nun das?“

2. Sagen Jurah und Schabbi: „Herr, wir glauben es! Da nach Deinem ewig heiligsten Ratschluß sich diese Sache zum Heile aller Juden und Heiden einmal also verhält, so sei uns armen Sündern vor Dir gnädig und voll Deiner Milde und Erbarmung! O Herr, sei mit uns und fortan mit dem Geiste aller derer, die durch Dich schon zum ewigen Leben erweckt werden, jetzt, wie in alle Ewigkeiten der Ewigkeiten! Nun aber, Herr, da wir Dich erkannt haben und nun auch unsere Herzen in vollster Liebe zu Dir erbrannt sind, laß es uns, daß wir unseren Herzen Luft machen und Dich anbeten in aller Inbrunst und völligster Zerknirschung unseres Gemütes!“

3. Sage Ich: „Da, Meine lieben Freunde und Brüder, wird nichts daraus! Ihr habt es gelesen, was Mein Geist durch eines Propheten Mund gesprochen hat, als er sagte: ,Dies Volk ehret Mich mit den Lippen; aber sein Herz ist ferne von Mir!‘ Und Ich Selbst wiederhole es euch: Jedes wie immer geartete Lippengebet ist ein Greuel vor Mir!

4. Seid wahrhaft vernünftig und habt ein verständiges Herz, tut Gutes jedermann, der irgend eurer Hilfe bedarf! Ja, tut sogar euren Feinden Gutes, und segnet jene, die euch fluchen! Dadurch werdet ihr Mir gleichen, denn Ich lasse Meine Sonne leuchten über Gute und Schlechte, und Meine ärgsten Feinde werden täglich aus Meiner allmächtigen Hand mit Wohltaten überhäuft; nur über die zu argen Frevler wird Meine Rute geschwungen. Ja, Ich sage es euch: Ihr alle seid Kinder Meines Herzens und Brüder Meiner Seele. Darum, so ihr betet, so betet nicht den Heiden und Pharisäern gleich mit den Lippen, mittels Worten von der Fleischzunge gebildet, sondern betet, wie Ich es euch gesagt habe, im Geiste und in der Wahrheit, durch lebendige Werke und Taten der Liebe an euren Nächsten, dann wird jedes Wort in Meinem Namen ein wahrhaftes Gebet sein, das Ich stets und unfehlbar erhören werde; aber die Seufzer der Lippen erhöre Ich nie. – Verstehet ihr dies Gesagte nun wohl?“

5. Sagt Schabbi: „O Herr, wie ganz anders bist Du, als wir Dich uns je vorgestellt haben! Wer sollte Dich auch nicht über alles lieben können, der Dich einmal erkannt hat?! Du bist die Liebe und die größte Sanftmut Selbst, und wie endlos weit entfernt von jeder Nacht und Finsternis ist Deine heiligste Lehre, und wie leicht verständlich ist doch jegliches Wort aus Deinem Munde! Ja, nun erst glauben wir vollkommen, daß Du wahrhaft der erwartete Messias bist, und außer Dir ist keiner mehr!“

6. Sage Ich: „Ganz gut, ganz gut, Meine lieben Freunde! Ich kannte euch und führte euch einen Weg zu Mir, wie solchen der Prophet Elias angezeigt bekam. Im mächtigen Sturme war Mein Wille, im Feuer Meine Kraft; aber in dem sanften Wehen bin Ich Selbst. Und so mußtet ihr auch durch einen gewaltigsten Sturm und durch Wasser und Feuer, um zu Mir zu kommen. Nun aber seid ihr bei Mir und habt Mich, den Langgesuchten, gefunden; wie schwer Ich aber für so manchen zu finden bin, so bin Ich aber als einmal gefunden noch um vieles schwerer zu verlieren! Die Mich in ihren Herzen ergriffen haben, die werden auch von Mir ergriffen; wer aber Mich ergriffen hat, kann Mich wohl wieder auslassen, aber er wird von Mir dennoch nie wieder ausgelassen werden. Denn Meine Liebe währt nicht etwa nur eine Zeitlang, sondern ewig, und der sie in sein Herz aufgenommen hat, der kann von Mir ewig nimmer loswerden! Denn Meine Liebe hält ihn für ewig fest im Zaume, auf daß er sich ewig nimmer von Mir ganz verirren kann. Und so wird es auch mit euch ergehen! Ihr werdet wohl in Gelegenheiten und Weltzustände versetzt werden, in denen es euch ein wenig schwer werden wird, Meinen Namen zu bekennen und im Glauben fest zu verbleiben – denn es werden in Kürze Dinge geschehen, weil sie geschehen müssen, die euch über Mich kleingläubig machen werden –, aber Ich werde euch zur rechten Zeit schon wieder stärken und vollends erleuchten eures Herzens Kämmerlein. Darauf werdet ihr ob Meines Namens willen in keine Versuchung mehr kommen, sondern fortan bleiben in Meiner Liebe und in Meiner Kraft.

7. Nun aber noch etwas anderes! Ihr werdet wieder nach Persien ziehen. Wenn ihr jüngst wieder dahin kommet, so verkündet es getreu ohne Zusätze, was ihr hier angetroffen habt, und was euch alles begegnet ist zum Heile aller Menschen auf Erden! Auf diese Weise werdet ihr auch zu Arbeitern in Meinem Weinberge. Verkündet es auch eurem Könige, auf daß er wisse, was er zu tun habe! Er soll abstehen vom schwarzen Heidentume und soll nimmer anhören trügerische Worte der Magier, die sich Priester Gottes nennen und im Grunde dennoch Diener und Knechte der Hölle sind. Also soll er auch aus dem Lande treiben die argen Aposteln aus Jerusalem, die Länder und Meere durchziehen, um aus Heiden Juden zu machen; und haben sie irgendeinen Heiden zum Juden gemacht, so ist er dann noch um vieles ärger ein Diener der Hölle geworden, als er ehedem als Heide war. Nebst solchen Bekehrungen aber streuen die argen Apostel aus Jerusalem auch anderwärtige böse Gerüchte aus, wie ihr deren, bezüglich der Grausamkeiten der Römer, eines uns dadurch offen bekanntgemacht habt, daß ihr euch Mir gegenüber, aus Furcht vor den Römern, gar so entsetzlich vorsichtig gestellt habt!

8. Um sonach allem dem Argen zu begegnen, habe Ich euch vor vielen tausendmal Tausenden aus eurem Lande berufen, um auf eure Schultern dieses leichte Amt zu legen, das zu vollbringen ihr Kräfte und Mittel im größten Überflusse besitzet! Euer Lohn wird dereinst in Meinem ewigen Reiche kein geringer sein!

9. Ihr wisset nun, was ihr zu tun habt in Meinem Namen, und daneben auch im Namen der Römer, die dort schändlich verleumdet worden sind; lasset es an gutem Willen, Fleiß und Tätigkeit nicht fehlen, so werde auch Ich es an nichts fehlen lassen!

10. Nun aber sehe Ich den Markus herauskommen. Er wird uns zum Abendmahle laden, das heute wohl um ein paar Stündlein später zustande gebracht ward denn sonst; aber daran schuldet der Sturm. Der Hagel hat viele Bänke in eine kleine Unordnung gebracht; diese mußten nun wiederhergestellt werden. Es ist aber nun alles wieder in der schönsten Ordnung, und das Essen ist ganz gut und reichlichst bereitet, und so werden wir uns nach getaner großer Arbeit auch wieder einmal ganz gut geschehen lassen!“

Kapitel 210. Jarahs Zukunft.

1. Nun kam unser alter Gastwirt Markus und sagte zu Mir: „Herr und Meister, das Abendessen ist bereitet; so es Dir genehm ist, da will ich es sogleich auf die nun wieder ganz hergestellten Tische stellen lassen!?“

2. Sage Ich: „Tue das, denn heute habe sogar Ich einen ganz tüchtigen Hunger schon und freue Mich auf einen guten Fisch, auf ein gutes Stück Brotes und auf einen reinen und guten Wein!

3. Deine beiden Söhne aber sollen noch einmal ins Meer an den Ufern einen Blick tun! Es schwimmen noch längs den Ufern einige Leichname herum; es sind etliche arme Juden mit ihren Weibern und Kindern. Ich will nicht, daß, sie, da Ich hier weile, und auch niemand anderer den Tod finden solle. Das Meer ist ruhig wie ein Spiegel, und die Sterne leuchten heute besonders helle. Deine Söhne werden dies Geschäft leicht vollbringen, und das um so mehr, da sie von den hier weilenden Schiffern des Kisjonah, des Ebahl aus Genezareth und von den Schiffsleuten des Kornelius gar wohl unterstützt werden können. Bei neun Personen schwimmen an den Ufern in der äußersten Entfernung von anderthalb Stunden Weges zerstreut, diese sollen sie hierherbringen; allda aber müssen sie dann mit den Gesichtern nach abwärts gekehrt über einen etwas abhängigen Boden gelegt und dann also bis an den Morgen liegend gelassen werden! Morgen will Ich sie dann erst erwecken!“

4. Fragt Markus: „Herr, warum denn nicht heute schon, warum erst morgen?“

5. Sage Ich: „Das, Freund Markus, kümmere dich nicht! Ich weiß es, warum das Gras, das erst im künftigen Jahre die Wiesen grün färben wird, nicht schon in diesem Jahre gewachsen ist! Daher kümmere dich das ja nicht, denn da verstehe Ich die Ordnung schon um vieles besser denn du, Mein liebster Markus! Gehe nun und mache, daß alles in der Ordnung vollbracht wird, was da zu vollbringen ist!“

6. Der Markus geht und schafft sogleich, die Speisen auf die Tische zu tragen, und sagt auch den Söhnen ihr Geschäft, die sogleich einen großen Kahn besteigen und die anderen vorher benannten Schiffer um ihre Mithilfe angehen.

7. Wir aber verlassen unsern Platz und begeben uns an unsere Tische, die in der schon bekannten Ordnung in Beschlag genommen werden; die drei ins Leben Zurückgerufenen samt dem Weibe aber kommen ins Haus des Markus, allwo sie Speise, Trank und darauf ein gutes Nachtlager bekommen, – und das alles nach Meinem Willen, um sich für den Morgen zu stärken.

8. Als wir uns zu den Tischen begeben, da erst fangen die Bewohner der Ouranischen Zelte an, auch ans Tageslicht hervorzugehen und sich auch nach den für sie bestellten Tischen umzusehen.

9. Hier zupft Mich die Jarah und sagt: „Herr, Du meine stets mächtigere Liebe, dort siehe hin, wie die mutigen Kämpfer um Dein Reich sich nun erst aus ihrem Verstecke, vom Hunger getrieben, ins Freie zu schleichen anfangen! Wahrlich, darunter gibt es bis auf den Mathael ganz entschieden blutwenig große Geister! Ach, es war vor dem Sturme doch gar zu komisch anzusehen, wie der Anblick der erstgefallenen, wohl pfundschweren Hagelkörner die fünfzig Pharisäer mit der größten Hast in die großen Zelte getrieben hat!

10. Sie wußten so gut wie ich, daß Du der sicherste Schutzgeber gegen jegliches Ungemach bist, und dennoch wurden sie kleingläubig und sehr zaghaft und suchten einen materiellen Schutz. Nun schämen sie sich offenbar, daß sie solches getan haben, und getrauen sich nun Dir, o Herr, wie es mir scheint, nicht recht unter Deine Augen zu kommen! Nun, der Mathael, der wäre mit seinen Gefährten schon geblieben; aber er mußte wohl seiner jungen, überschönen königlichen Gemahlin folgen. Dem ist es also meines Erachtens zu verzeihen; aber bei den andern war bloß ihr schwaches Vertrauen und ihre Kleingläubigkeit schuld, und ich kann sie darum nicht sehr achten.“

11. Sage Ich: „Hast wohl recht, Mein Töchterchen; aber lassen wir sie, die da noch schwach in einem und dem andern sind, – die Zeit und mehrfache Erfahrung wird sie schon noch stärker machen in allem! Bedenke, wieviel du an Meiner Seite schon erfahren hast, und du kannst darum schon leicht mehr Mutes besitzen; diese aber haben noch wenigeres erfahren, und es war darum ihre Furcht leicht größer denn ihr Vertrauen. In der Folge aber werden sie schon auch vertrauensvoller dastehen. – Fassest du solches?“

12. Sagt Jarah: „Ja, das fasse ich wohl; aber das weiß ich auch, wie in Genezareth alle mit mir gleich vieles erfahren haben, und dennoch getraute sich anfangs niemand, außer mir, mit Dir aufs blanke Wasser zu treten, nicht einmal Deine Jünger! Worin lag denn hernach da das geringere Vertrauen?“

13. Sage Ich: „Wieder doch in deinen größeren Erfahrungen; denn dich trug Mein Engel sichtlich auf seinen Händen, und du machtest Erfahrungen, die bis jetzt noch kein Mensch gemacht hat. Und dazu hattest du wohl die größte und mächtigste Liebe zu Mir, in der wohl auch stets das größte Vertrauen waltet.

14. Darum wundere dich darob nicht zu sehr, dieweil dein Vertrauen zu Mir stärker ist denn das der übrigen Menschen; denn das gibt dir deine große Liebe!

15. Aber, wie Ich dir schon in Genezareth bemerkt habe, so werden in etlichen Jahren auch über dich noch so manche Versuchungen kommen, mit denen du trotz des größten Vertrauens zu Mir zu kämpfen haben wirst. Aber durch die Kraft und Macht Meines Namens wirst du alle Versuchungen zu Boden schlagen und wirst von da an erst frei wandeln in Meinem Lichte.

16. Denn was ein Mensch aus Mir für sich frei haben will, das muß er sich durch die eigene Kraft erkämpfen! Du, Mein liebstes Töchterchen, hast bis jetzt keinen eigentlichen Kampf bestanden, und es war dazu die eigentliche Zeit und die wahre Gelegenheit nicht da; das alles wird jedem Menschen erst werden, so Mein Tagewerk auf dieser Erde vollendet sein wird.

17. Ich bin nun nur Sämann und lege das gute Weizenkorn in den lebendigen Acker eurer Herzen. Der Same wird da erst keimen und dann zur segensreichsten Fruchtbringung aufgehen; dann erst werdet ihr für euch selbst die Frucht auf eurem eigenen Lebensboden zu pflegen haben mit mancher Mühe und Selbstverleugnung! Wohl dem, der die Frucht, die Ich in sein Herz gesät habe, rein und reichlichst in die von Mir in ihm errichteten Scheuern Meines Geistes bringen wird! Wahrlich, den wird es fürder ewig weder hungern noch dürsten!

18. Also, was du, Meine liebste Jarah, nun hast, ist nur der von Mir in dein Herz gelegte Same. Nach etlichen Jahren wird er als ein wogendes Saatfeld dastehen und allerlei Stürmen ausgesetzt sein; aber da heißt es dann kräftigst und volltrauigst durch Meinen Namen und durch große, sich selbst ganz verleugnende Liebe zu Mir das wogende Saatfeld vor den drohenden Stürmen bewahren, daß sie nicht zum verderblichen Ausbruche kommen und zugrunde richten das herrliche Saatfeld, das Ich Selbst bestens bebaut habe! Denn ist über ein solches Feld einmal ein verheerender Sturm ausgebrochen, da ist es nahe unmöglich, ihm einen Einhalt zu tun.

19. Du wirst dich wohl noch auf die etlichen Wochen zurückerinnern, wie Ich dir in Genezareth ein Gärtchen angelegt habe und habe es bestellt mit allerlei nützlichen Pflanzen!? Die Pflanzen wachsen gut und sehr üppig; aber das Gärtchen und die Pflanzen müssen gepflegt, das Unkraut, so es irgend aufschießt, muß ausgerottet werden, und so es sehr heiß und trocken wird, darf die Gießkanne nicht außer acht gelassen werden.

20. Und siehe, ein ähnliches Gärtchen habe Ich auch in deinem Herzen angelegt und habe es reichlichst bestellt mit allerlei nützlichen Gewächsen; die Wartung und weitere Pflege dieses Gärtchens ist nun schon dir allein anheimgestellt. Habe alle Aufmerksamkeit und allen Fleiß auf die Wartung und Pflege dieses Gärtchens, so wirst du jüngst aus ihm eine reiche Ernte machen! – Verstehst du wohl dieses Bild?“

21. Sagt die Jarah: „Ja, Herr, Du meine alleinige Liebe, ich verstehe es ganz, möchte aber darob wohl etwas traurig werden, weil ich noch so manche Stürme bis zur Ernte soll zu bestehen haben! Aber ich hoffe und glaube: Du wirst Deine arme Magd nicht zugrunde gehen lassen, so sie in einer Not zu Dir um Hilfe rufen wird; denn Du hast ja mein Flehen gehört und erhört, als ich Dich nicht gesehen und erkannt habe wie nun!“

22. Sage Ich: „Alle, die Mich erkennen und anrufen im Herzen und vertrauen auf die Macht Meines Namens, werden ewig nie zu Schanden und Schaden kommen; des kannst du vollauf versichert sein! Aber nun heißt es zu den Tischen sich setzen und essen, was da aufgesetzt ist!“

Kapitel 211. Auslegung des vierten Gebotes.

1. Darauf begeben wir uns alle schnell zu den Tischen und verzehren unser Mahl. Unter dem Essen ward diesmal nichts geredet; nach genossenem Weine aber fing es an, in der Gesellschaft recht lebendig zu werden. Neben dem Tische, da Ich saß mit dem Cyrenius, Kornelius, Faustus und Julius, mit Meinen Jüngern, mit Ebahl, Jarah, Kisjonah, Philopold, mit Ouran, Helena, Mathael und dessen Gefährten, mit dem Engel Raphael und dem Knaben Josoe, war ein neuer Tisch hergerichtet für unsere Perser; alle die andern schon bekannten Gäste saßen an den eigens für sie hergerichteten Tischen, je nachdem sie, wie bekannt, gesellschaftlich zusammengehörten.

2. Alle aber wunderten sich über den angenehm warmen Abend nach einem solchen Kardinalsturme; und besonders wunderten sie sich über die gänzliche Trockenheit des Bodens, über dem vor ein paar Stunden noch das Wasser ein paar Schuhe hoch gestanden ist. Ouran fragte Mich, wie es ums Nachtlager für so viele aussehen werde. Was seine Zelte fasseten, wolle er gerne aufnehmen; aber da es sich hier um die Unterbringung von mehreren Hunderten handelte, so dürften seine Zelte wohl bei weitem nicht ausreichen!

3. Sagte Ich: „Freund! Adam und seine ersten Nachkommen hatten weder Zelte noch Hütten oder gar für alles ganz bequem eingerichtete Häuser; der Erde Boden und ein schattiger Baum war ihnen alles, und sie ruhten gar viele Nächte unter dem freien Himmel und waren gesund und stark. Nicht einmal eine Leibesdecke wußten sie sich anzufertigen; ein Feigenlaubkranz zur Bedeckung der Scham war ihre ganze Leibesbekleidung, und alle erreichten ein Alter von mehreren hundert Jahren! Nun aber haben die Menschen alle Lebensbequemlichkeiten erfunden und sich für ein verlorenes irdisches Paradies viele hunderttausende selbst geschaffen, und sieh, jetzt sind hundert Jahre Alters ein Wunder geworden!

4. Sieh, daran schuldet die Verweichlichung der Menschen, die sich dadurch selbst der Natur dieses Weltkörpers entfremden, der in allem die Bestimmung hat, die Menschen zu tragen und zu ernähren, und stark und gesund zu erhalten!

5. Darum sei du, Mein Ouran, ums Nachtlager für diese vielen Gäste ganz unbesorgt; der gute und gesunde Boden wird sie alle ganz wohl beherbergen! Wen einmal der Schlaf übermannt, der ruht auf einem Kissen aus Stein ganz gut aus; geniert ihn der Stein unter dem Haupte, dann ist der Mensch nimmer müde und zu sehr der Ruhe bedürftig, und da kann er sich schon wieder aufrichten und an die Arbeit gehen!

6. Weiche Betten machen die Menschen weich und benehmen ihnen der Glieder nötige Kraft, und ein zu langer Schlaf schwächt die Seele und des Leibes Muskeln. Des Menschen Natur ist wie ein Säugling, den nichts so gut nährt als der Mutter Brust; und jene Kinder, die lange von der Brust der kräftigen Mutter die Nahrung erhielten – vorausgesetzt, daß sie so naturgesund und unverdorben ist wie eine Eva –, werden riesenhaft stark, und der Kampf mit einem Löwen wird sie nicht ermüden.

7. Im gleichen Maße ist auch die Natur dieser Erde eine wahre Mutterbrust für die Menschen, wenn sie sich von ihr nicht entfernen durch allerlei unnötige Verweichlichungen. Haben sich aber einmal die Menschen von dieser großen Mutterbrust entfernt und sich von ihrer stärkenden Einwirkung isoliert, so ergeht es ihnen dann freilich, wenn sie irgend an ihre milchreiche Brust kommen, wie einem erwachsenen Manne, so er von einer Mutter die Milch trinken soll. Es wird ihm eklig zumute bis zum Speien. Was ihn als Kind stärkte und bestens nährte, das wird ihn, als der Mutterbrust lang entwachsenem Manne, krank und magenschwach machen.

8. Nun, der Mensch kann wohl nicht für immer an der Mutterbrust trinken Kraft und Naturleben für seine Muskeln; aber von der Brust der Mutter Erde soll er sich nie zu sehr entfernen, so er dem Leibe nach gesund, stark und alt werden will.

9. Moses sagte: ,Ehre Vater und Mutter, so wirst du lange leben, und es wird dir wohlergehen auf Erden!‘ Damit bezeichnete Moses nicht nur den Zeugevater und die gebärende Mutter, sondern ebensogut auch die Erde und ihre stets neues Leben gebärende Kraft. Dieser soll der Mensch auch nicht den Rücken zukehren, sondern sie tatsächlich in hohen Ehren halten, und er wird jenen Segen dafür erhalten, den Moses verheißen hat leiblich. Die In-Ehren-Haltung des leiblichen Vaters und der Leibesmutter ist gut und nötig, wo die Verhältnisse danach sind und es auch tunlich ist; aber wenn das, was Moses verhieß, ein Gotteswort ist, so muß es auch gleich dem Sonnenlichte eine allgemeinste und durch nichts unterbrechbare Wirkung haben!

10. Ist aber die Verheißung Mosis nur eine bloß darauf beschränkte, daß nur jene ein langes Leben und Wohlergehen auf Erden zu gewärtigen haben, die ihre Leibeseltern ehren, dann sieht es mit jenen offenbar schlimm aus, die nicht selten dieselben schon in der Wiege verloren haben und dann von ganz fremden Menschen auferzogen worden sind! Wie sollen diese ihre wahren Eltern ehren, die sie nie gekannt haben?!

11. Viele Kinder werden oft gefunden auf Wegen und Straßen; Rabenmütter haben sie in ihrer Geilheit empfangen und bald nach der Geburt irgendwo ausgesetzt. Solche Findlinge werden von irgendeinem gefühlswarmen und barmherzigen Menschen aufgeklaubt und versorgt; diesen Wohltätern sind sie dann auch alle Liebe und Ehre schuldig. Moses spricht nichts von solchen Aftereltern, sondern nur von wirklich wahren Eltern!

12. Nun aber kann der wohlerzogene Findling seine wahren Eltern doch unmöglich ehren, weil er sie fürs erste gar nicht kennt, und kennte er sie auch, so hatte er fürs zweite doch wohl vor Gott und allen Menschen wahrlich keine ehrsame Verpflichtung gegen sie, die ihn in der sündigen Geilheit gezeugt und, als er geboren ward, sogleich dem Tode ausgesetzt haben. Weil aber ein solcher Mensch dann nach Moses seine wirklichen Eltern unmöglich lieben und ehren kann, so hätte er dann keinen Anspruch auf die Verheißung Mosis? Oh, diese Sache wäre dann ja ganz hübsch und nähme sich als weisestes Gotteswort gar entsetzlich gut aus!

13. Weiter gibt es aber auch Eltern, die ihre Kinder zu allem, was nur schlecht genannt werden kann, erziehen. Sie pflanzen ihnen schon in der Wiege einen echt satanischen Hochmut ein und lehren sie gegen jedermann hart und gefühllos sein; solche Tigereltern lehren ihre Kinder schon frühzeitig, keck, lügenhaft und betrügerisch zu sein! Soll Moses wohl auch für solche Kinder, die ihre argen Eltern mit aller Schlechtigkeit und Bosheit ehren, weil solches die Eltern von ihren Kindern wollen, seine gute Verheißung bestimmt haben?

14. Was sind denn Kinder von Dieben, Räubern und Mördern ihren wirklichen Eltern schuldig? Sie können ihre Eltern nur ganz natürlich dadurch ehren, wenn sie im sehr ausgezeichneten Grade das sind und tun, was ihre Eltern auch sind und allzeit tun, also sieh: durch Diebstahl, Raub und Mord an den fremden Reisenden! – Kann sich die Verheißung Mosis wohl auch auf solche Kinder als wirksam erstrecken?

15. Der nur einigermaßen klare Weltverstand muß dir da sagen, daß eine so zu verstehende Verheißung samt dem Gebote Mosis eine Schmach ersten Ranges für alle göttliche Weisheit wäre! Wie kann Gott, der höchst Weise, ein Gebot geben, demzufolge auch ein ins Fleisch eingezeugter Engelsgeist dem Elternpaare, das aus der untersten Hölle ins Fleisch trat, Liebe und alle Ehre schuldig wäre?!

16. Du siehst, daß das Gebot Mosis, von diesem wahren Gesichtspunkte betrachtet, der größte und tollste Unsinn wäre!

17. Es ist also einerseits klar und nun mehr als erwiesen, daß alles, was Moses geredet und bestimmt hat, reines Gotteswort ist und daher ewig keinen Unsinn in sich bergen kann; anderseits aber, wenn man nach der altgewohnten dummen Art das Gesetz Mosis also auslegt und beobachtet, wie es bisher ausgelegt und auch beobachtet wurde, dasselbe vor dem Richterstuhle aller besseren menschlichen Vernunft ein offenbarster Unsinn sein muß!

18. Woran liegt es dann, daß das Gesetz Mosis, wie es bisher beobachtet ward, ein Unsinn trotz des rein göttlichen Ursprunges sein muß? Es liegt solches in dem gewaltigsten Mißverstande dessen, was Moses mit diesem Gebote hauptsächlich angezeigt hatte, das allgemeine Elternpaar der großen Natur Gottes, nämlich die Erde, als der für die Menschengeschlechter geschaffene Weltkörper als Vater, und ihr Schoß, aus dem zahllose Kinder aller Art und Gattung in einem fort ausgeboren werden, als die rechte Mutter! Dieses uralte Elternpaar soll also der Leibesmensch stets ehren und achten, und ihm nie zu verweichlicht den Rücken zeigen, so wird er gesunden Leibes ein langes Leben überkommen und auch ein rechtes Wohlergehen.

19. Von diesem alten Elternpaare kann ein emsiger Mensch auch am meisten alles Gute, Große und Wahre erlernen und sich daraus zuerst jene große Stufenleiter erbauen, auf der der Erzvater Jakob die Engel der Himmel auf- und niederklettern sah. Wer da fleißig und mit großem Ernste in der Natur forscht, der wird vielen Segen für sich und für seine Brüder zum Wohlergehen ans Tageslicht fördern.

20. Darum sei dir, Mein lieber Ouran, nun nur nicht bange, wenn du eine Nacht im Schoße deiner alten Leibesmutter zubringen wirst, – es wird dir darob nichts Arges zustoßen!“

Kapitel 212. Die pharisäische Neuerung des vierten Gebotes.

1. Ouran ist nun ganz vergnügt und sagt, daß er noch nie so etwas wahrhaft praktisch Weises vernommen habe, und er werde diesen Rat auch stets sorgsamst befolgen. Am meisten aber verwundern sich darüber unsere Perser.

2. Jurah sagt: „Ja, das heiße ich ein wahres Licht von oben; denn dahinter ist noch nie ein Sterblicher gedrungen! Also möchte ich mir wohl alle zehn Gebote erklären lassen! Die Sache liegt so nahe und ist so klar, und wir haben sie doch nicht enthüllen können mit aller unserer Verstandesschärfe! Aber etwas muß ich dabei denn doch noch fragen!“

3. Sagt Schabbi: „Da wüßte ich wahrlich nicht, über welchen Punkt da noch eine Separatfrage zu stellen wäre!?“

4. Sagt Jurah: „Weißt du denn nicht, daß bezüglich der Pflichten der Kinder gegen ihre Eltern schon lange ein neues Gesetz besteht, demnach ein Sohn oder eine Tochter besser tut, ein Opfer in den Tempel zu legen, denn zu ehren Vater und Mutter?! Dies neue Gesetz hebt zwar das alte nicht auf, aber es stellt ein besseres Mittel zur Erlangung der Mosaischen Verheißung dar, als da ist das Mosaische Gesetz selbst. Ich möchte aber eben, weil die außerordentliche Gelegenheit sich nun so wunderbar gefügt hat, mit dem Urgesetzgeber Selbst zu reden, erfahren, was der Herr zu solchem neuen Gesetze sagt!

5. Einesteils, wenn ein Kind gar schlechte und verworfene Eltern hat, scheint mir dies Gesetz ganz am rechten Platze zu sein; aber wenn ein oft von Natur aus leichtfertiges Kind gar gute und würdige Eltern hat, die von ihren Kindern wohl vor Gott und allen Menschen alle Achtung, Liebe und Ehre verdienen, da scheint mir dieses gar zu templisch habsüchtig aussehende Gesetz wieder durchaus nicht am rechten Platze zu sein. Das ganze Gesetz hat einen stark menschlichen Geruch, und es schaut da ganz blutwenig Göttliches heraus; aber da ist irgend wieder ein Gesetz, welches da sagt: ,Die da sitzen auf den Stühlen Mosis und Aarons, die sollet ihr allzeit anhören und tun, was sie euch gebieten!‘

6. Dies Gesetz ist aber auch ein rechtes Kamel, auf dem die Pharisäer schon gar manche falsche und schlechte Ware als eine echte in den Tempel hineingeschwärzt haben, und das Volk muß sie für den hohen Preis seiner moralischen Freiheit als vollkommen echt erkaufen. Das ist eine schlimme Sache, und mir kommt so ein nur gewissen Menschen das ausschließende Privilegium gebendes Gesetz wie ein höllisches Loch vor, durch das der Satan stets Eintritt ins Heiligtum erhält; denn diese privilegierten Heiligen übernehmen sich, werden anfangs gewisserart frommstolz mit einer Hülle von heiligem Prophetennimbus umdunstet, später aber dann im vollsten Ernste herrscherisch und übertyrannisch, hochmütig und über alle Maßen stolz, – sitzen aber noch auf den Stühlen Mosis und Aarons! Ich aber meine, Bruder, – weißt du, so unter uns gesagt! – da könnte dann schon gleich lieber der Satan selbst diese heiligen Stühle in Beschlag nehmen! Und von solchen wahren Stellvertretern des Satans auf den Stühlen Mosis und Aarons sind viele böse Menschensatzungen an die Stelle der allgöttlichen getreten, und wir mußten sie speisen, weil das kamelähnliche Höllenlochgesetz befiehlt, die zu hören, die auf den heiligen Stühlen sitzen, und zu tun, was sie gebieten.

7. Ja, das Gesetz an und für sich wäre wohl ganz in der Ordnung, wenn man die Versicherung hätte, daß auf den heiligen Stühlen allzeit nur die allerwürdigsten Nachfolger Aarons und Mosis predigen würden; aber welch ein wahres Drachenvolk ist nicht schon auf den heiligen Stühlen gesessen und hat von selben nicht selten die empörendsten Gesetze dem sehenden Volke wie einen scharfen Sand in die offenen Augen geschleudert, daß es darauf zum größten Teile erblinden mußte! Und solche, allen Wahnsinn übersteigenden Gesetze bestehen dann zur größten Qual der Menschheit fort, und niemand getraut sich mehr, dieses Joch abzuschütteln. Da fragt denn doch am Ende die reine Vernunft, ob Gott etwas davon wisse, oder ob es überhaupt einen Gott gibt, der solch einen Greuel in Seinem Heiligtume ansehen kann!

8. Nun, darüber so eine Aufhellung von Ihm Selbst würde unsereinem denn doch wohl den reinsten und wahrsten Sachverhalt zu zeigen im allerbesten Stande sein, und ich möchte darum nun geradewegs eine Frage an Ihn stellen! – Was meinst du, soll ich's wagen oder nicht?“

Kapitel 213. Jesus erläutert das Gesetz der Pharisäer.

1. Antworte gleich Ich statt des Schabbi und sage: „Höre, du Mein Freund Jurah, deine Frage ist gerecht und von großer Wichtigkeit; du brauchst sie Mir nicht zu wiederholen, denn Ich weiß es ohnehin, wo euch der Schuh drückt!

2. Sieh, es ist wahr, daß es ein Gebot gibt, aus der Zeit der Richter aber erst, allwo es durch den Mund eines Sehers geboten wird, jene zu hören, die da auf den Stühlen Mosis und Aarons sitzen, und zu tun, was sie aus dem Geiste des Herrn anordnen; aber nur dann, wenn ihre Werke gut sind. Sind deren Werke schlecht, so sollen sie von den Stühlen verstoßen werden von den würdigsten Nachkommen Levis.

3. Es verstanden aber die auf den erwähnten Stühlen Sitzenden, ihre Werke sehr zu bemänteln. Es saßen und sitzen noch statt der würdigen Nachfolger Mosis und Aarons nur reißende Wölfe in Schafspelzen auf den heiligen Stühlen und haben als solche Gesetze als göttlichen Willen unters Volk geschleudert, vor denen die Welt sogar erschauern muß!

4. Denket aber zurück, wie oft Ich diese falschen Nachkommen Mosis und Aarons durch den Mund der geheiligten Propheten habe allerernstlichst ermahnen lassen, und wie oft Ich sie mit der schärfsten Rute gezüchtigt habe! Was aber hat es genützt? Es ward auf eine Zeit wieder besser; aber bald darauf wieder noch schlechter denn früher, bis es nun so schlecht geworden ist, daß es wohl nimmer schlechter werden kann. Sie haben das Maß aller Schlechtigkeit vollgemacht, und nur ein paar Tropfen noch, und es wird sofort überzulaufen anfangen und sie alle wie eine Flut Noahs verderben machen; des kannst du völlig versichert sein!

5. Wie aber viele, so ist auch das Gesetz der Opferung im Tempel an Stelle des Mosaischen bezüglich der Kinderpflichten gegen ihre Eltern ergangen. Im Anfange hat es ein ganz gutes und gerechtes Aussehen gehabt und bezog sich nur auf jene Kinder allein, deren Eltern – wie es häufig der Fall ist – wahre Auswürfe der Menschheit waren. Diese hatten aber merkwürdigerweise oft gar recht gute und brave Kinder, die gottergeben das Kardinalschlechte (Grundschlechte) ihrer Leibeseltern gar wohl erkannten und einsahen. Die Forderungen, die ihre bösen Eltern an sie stellten, machten ihnen die Haare sich zu Berge sträuben; aber im unverstandenen Gesetze Mosis stand, die Eltern vor allem durch Gehorsam zu ehren!

6. Aus solchen Gründen fragten dann in einer noch ganz guten Tempelzeit solche unglücklichen Kinder im Tempel an, was sie tun sollten, und sagten: ,Es sei allerdings wahr, daß Moses aus Gott geboten habe, den Eltern zu gehorchen und sie also hoch zu achten und zu ehren sein Leben lang, auf daß man lange lebe und es einem wohlergehe auf Erden; aber Moses habe auch geboten, nicht zu töten, nicht zu stehlen, kein Falsch zu reden, nicht Unkeuschheit zu treiben mit den Jungfrauen und noch weniger zu begehren des Nächsten Weib. Solches alles aber geböten ihnen nun ihre argen Eltern! Was sollten sie nun tun, um sich an keinem Gebote Mosis zu versündigen?‘

7. Da sprach der vom Geiste Gottes wohl durchströmte Hohepriester: ,Stehet ab von solchen euren Leibeseltern, opfert eine Gabe statt dem schlechten Gehorsam und betet zu Gott, und es wird das besser sein für euch und durch die Gnade von oben auch für eure ungeratenen Eltern!‘

8. Und da geschah es denn, daß solche Kinder ihre argen Alten verließen, brachten dem Tempel für sich und für ihre argen Alten ein Opfer und suchten dann bei guten Menschen Dienste zu bekommen, um da ein Gott wohlgefälliges Leben zu führen.

9. Bisher und insoweit war dies Gesetz ganz völlig göttlichen Ursprungs. Aber mit der Zeit haben die argen Wölfe, die in Schafspelzen auf den Stühlen Mosis und Aarons saßen, dies Gesetz verallgemeinert, und da konnten denn auch ungeratene Kinder ganz guter und braver Eltern sich durch Opfer von dem Gehorsam gegen ihre Eltern loskaufen, um dann ganz frei und gewissenlos sündigen zu können!

10. Es ward dadurch das doppelte Gebot Gottes auch zweifach verdrängt und an dessen Stelle eine rein höllisch-menschliche Satzung gestellt, die natürlich vor Gott, weil gänzlich wider Seine Ordnung, ein Greuel der Greuel sein muß; denn da muß ja doch ein nur ein wenig reiner denkender Mensch auf den ersten Blick einsehen, daß solch eine Satzung nie und nimmer göttlichen, sondern nur rein höllischen und satanischen Ursprunges sein kann! Übrigens wird dies alles nun gar bald sein Ende nehmen, und es wird dann dawider nicht viel mehr zu eifern geben.

11. Es ist ja sonst doch ganz sicher in aller Ordnung, daß ein Schwacher sich von einem Starken führen läßt! Die Eltern aber sind doch allzeit stärker denn ihre Kinder, und es ist darum ganz in aller Ordnung, daß sich die Kinder von ihren Eltern führen lassen; wenn aber der Schwache merkt, daß ihn der Starke in einen verderblichsten Abgrund stürzen will, so tut der Schwache sehr wohl daran, sich dem Starken zu entwinden und einen sichern Ort sich auszusuchen.

12. Übrigens erfüllt aber nur der das Gesetz Mosis ganz, der sich in allem also verhält, wie Ich früher dem alten Könige Ouran den ganzen Sachverhalt ganz vollendet hell gezeigt habe. – Habt ihr das nun wohl begriffen?“

Kapitel 214. Was ist Unkeuschheit?

1. Sagt Jurah: „Ach ja, da ist Licht, Liebe und die höchste Wahrheit auf einem Punkte konzentriert beisammen! Ja, Herr und Meister von Ewigkeit, also möchte ich wohl ein Licht übers ganze Gesetz Mosis haben, und es ließe sich dann erst ganz unwandelbar fest in Deiner ewigen Ordnung leben und wandeln! Da fände nachher der Satan sicher kein Loch mehr, durch das er sich als ein im Schafspelze vermummter Wolf in Dein hellerleuchtetes Heiligtum einschleichen und aus Deinen heiligsten Geboten Menschensatzungen schmieden könnte!“

2. Sage Ich: „Mein Freund, die Stunde ist noch nicht gekommen, in der der finstere Fürst der Welt gerichtet werden wird; aber sie ist sehr nahe herangerückt! Wann er aber auch gerichtet sein wird, so wird es dennoch nur zu bald Menschen geben, die mit Meinen reinsten Gesetzen in der Zeit noch ärger verfahren werden denn der Satan selbst. Auf dieser Erde wird stets das Licht mit der Finsternis zu kämpfen haben!“

3. Sagt Jurah: „Herr, warum denn? Wenn alle Menschen das Licht nur so erkennen wie ich nun, so bekommt der Satan und alle seine Bosheit einen ewigen Feiertag auf Erden! Daß darauf unsere Kinder und Kindeskinder im gleichen Lichte gewissenhaftest erzogen und darin auch verbleiben werden bis ans Ende der Welt, das wird doch auch so sicher sein und unwandelbar durch alle Zeiten, als wie sicher und unwandelbar es anzunehmen ist, daß zwei Einheiten derselben Art und noch zwei Einheiten derselben für alle ewigen Zeiten vier Einheiten derselben Art ausmachen! Das bezweifelt kein Mensch auf der ganzen Erde, weil das eine unumstößliche und handgreifliche Wahrheit ist. Deine Erhellung der zehn Gebote Mosis macht jedes derselben zu einem mathematischen Grundsatze; wenn aber also, wem kann es dann nebenher nur von ferne einfallen, solch eine Wahrheit in irgendeinen Zweifel ziehen zu können?!

4. Weil aber da niemand mehr darin irgendeinen Zweifel haben könnte, so müßte er ja einer solchen klarst erkannten Wahrheit zufolge auch handeln, ansonst er sich selbst als ein barster Narr ansehen müßte, oder er würde dies aus eines jeden vernünftigen Menschen Munde über sich aussprechen hören!

5. Aber natürlich, wenn die heiligsten und für uns Menschen allergewichtigsten Wahrheiten stets in einer gewissen rätselhaften Umhüllung gegeben werden und der Mensch daraus nicht selten machen kann, was ihm beliebt, so gibt es dann freilich gleich Lügner in die schwerste Menge, durch die der Satan mit seinem lasterhaftesten Gefolge in die Gesellschaften der Menschen seinen ganz freien Einzug halten kann.

6. Darum gib uns Du, erhabenster Herr und Meister, die Wahrheit klar und offen, auf daß für die Folge aller Zutritt des Satans zu den Menschen durch die starke Mauer der unwandelbarsten Wahrheit verrammt werde!

7. Ich will zum Beispiele nur jenes Gebotes Mosis erwähnen, durch das er die Unkeuschheit als Sünde verbietet. Was ist denn so ganz eigentlich die Unkeuschheit? Besteht diese bloß darin, daß man ungewaschenen Leibes ein weibliches Wesen beschläft und sich nach dem Beischlafe abermals nicht wäscht? Oder wird darunter die begehrliche Geilheit und das Beschlafen einer Weibsperson, einer Jungfrau, einer Hure, eines Kebsweibes oder einer jungen Witwe verstanden?

8. Gehört die blinde Unzucht in diese Rubrik, oder gar die stumme, sodomitische Sünde, oder gar, so man mit einem sehr begehrlichen Weibe eines andern Ehemannes etwas hat? Soll man, um völlig keusch zu sein, diesen mächtigsten aller Naturtriebe gänzlich unterdrücken? Wenn aber das, so ist das Ehebett doch sicher auch nichts anderes als eine Werkstätte einer als sittlich geltenden Unkeuschheittreiberei; denn wer steht uns dafür, daß der Mann sein üppiges Weib nicht öfter beschläft, als es zur Zeugung einer Frucht nötig ist?!

9. Ich habe Menschen gesehen und gekannt, die man wahre Goldmenschen nennen könnte, was da betrifft Güte, Liebetätigkeit, Geduld, Sanftmut und Barmherzigkeit; aber im leidigen Punkte der Keuschheit waren und blieben sie schwach. Sie taten zwar vieles, um auch in diesem Punkte stark zu werden, aber da gab sich's in ihrer Natur nicht, selbst dann nicht, als die natürliche, völlige Unvermögenheit sie heimgesucht hatte; eine üppige Jungfrau machte noch immer den gleichen lüsternen Eindruck auf sie.

10. Und wieder habe ich Menschen gesehen und gekannt, die bei der größten weiblichen Schönheit so kalt stehenblieben wie ein Steinklotz, wahre Muster der Keuschheit, aber sonst im Leben unempfindliche Klötze für alles! Nichts rührte sie! Not und Elend der Armen waren für sie lächerliche Dinge, Tränen der Leidenden eine Mitleid erwecken wollende Finte; ein Weib war ihnen ein verächtlich und sehr leicht entbehrliches Unding, das in der Welt gar keinen andern Zweck hat als ein Acker für die Aussaat irgendeiner Getreideart. Die Ehe fanden sie als eine der lächerlichsten Einrichtungen in der menschlichen Gesellschaft. Ihrer Ansicht nach sollte man alle gesunden Weiber in ein großes Gebäude einsperren und sie dort von starken und wohl zeugungsfähigen Männern beschlafen lassen, so würden daraus lauter schöne, gesunde und starke Menschen hervorgehen; die häßlichen und schwachen Weiber aber sollte man ausrotten oder sie wie das Vieh zu den niedrigsten Arbeiten verwenden und so lange arbeiten lassen, bis sie krepierten! Das sind von mir erlebte Tatsachen!

11. Nun frage ich, ob der in der Keuschheit schwache Mensch nicht vor jedermanns Augen einen sehr großen Vorzug vor dem eiskalten Helden der Keuschheit hat! Von mir aus wohl! Nun, wie das bei Dir, erhabenster Herr und Meister, angeschrieben steht, weiß ich nicht und kann es auch nicht wissen. Um sonach auch in diesem von Moses verbotenen Punkte in eine bestimmte Ordnung zu kommen, um nicht stets in der verderblichen Angst zu sein, mit jedem solchen Akte vor Gott gesündigt zu haben, und ist der wie immer geartete Akt allzeit eine Sünde, so wirst Du, o Herr und Meister, wohl auch irgendein Heilmittel dagegen wissen, durch das man sich die Begierde und den Drang wie einen Schnupfen vertreiben kann! Denn es gibt nichts Miserableres für einen ehrlichen Menschen, als in einem fort von einer gewissen Seite zum Sündigen bei den Haaren gezogen zu werden; die Natur zwingt das Fleisch mit einer unwiderstehlichen Macht gleichfort dazu, und fällt man durch die freie Luft als ein naturschwerer Körper, so hat man dann aber auch schon eine Todsünde begangen! Das ist denn doch ein wenig zu stark, besonders für einen Menschen, der gottlob noch stets nach Möglichkeit Kopf und Herz am rechten Flecke getragen hat. Darüber also, Herr und Meister, möchte ich von Dir auch eine klare Erläuterung haben! Denn das scheint mir wenigstens einer der heikligsten Punkte zu sein!“

Kapitel 215. Die Sünde gegen die Keuschheit.

1. Sage Ich: „Wenn das Leben eines Menschen kein tändelnder Scherz, sondern ein sehr geheiligter Ernst ist, so kann auch der Entstehungsakt desselben durchaus keine Tändelei, sondern auch nur ein sehr geheiligter Ernst sein. Fasse den Grund recht, und es wird dir darauf bald von selbst alles klarwerden!

2. Die wohltuenden Empfindungen des Aktes selbst sollen nicht der Beweggrund zum Akte sein, sondern allein, daß ein Mensch gezeugt werde!

3. Fassest du das, so wirst du bald finden, daß die wohltuenden Empfindungen nur begleitende Erscheinungen sind, durch die das Werk der Menschwerdung in der Natur des Fleisches ermöglicht wird. Drängt dich der Hauptgrund, so gehe und handle, und du hast keine Sünde! Aber es ist dabei dennoch so manches in eine ordnungsmäßige Berücksichtigung zu ziehen.

4. Dieser Akt darf nicht außerhalb der Sphäre der wahren Nächstenliebe geschehen; ein Hauptgrundsatz der wahren Nächstenliebe aber lautet: ,Tuet euern Nächsten das, was ihr wünschet, daß sie auch euch tun sollen!‘

5. Nun, du hättest eine aufblühende Tochter, die deinem Vaterherzen ein Heil ist; du wirst um nichts so sehr besorgt sein als um ein rechtes, heilbringendes Glück für solche deine von dir allerzärtlichst geliebte Tochter. Wohl wäre die Tochter reif und sonach fähig, eine Zeugung anzunehmen. Wie würde es dir zumute, so da ein sonst ganz gesunder Mann käme, vom Bedürfnisse, einen Menschen mit einer Jungfrau zu zeugen, gedrängt, und zeugete mit deiner Tochter gewaltsam eine Frucht?!

6. Siehe, das würde dich zu einer furchtbaren Rache gegen einen derartigen Frevler erfüllen, und du würdest ihn ohne die möglichst schärfste Züchtigung nicht mehr aus den Augen lassen!

7. Und dennoch hätte dieser Mensch keine Sünde gegen die Keuschheit begangen, weil er von dem Ernste gedrängt war, seinen Samen nicht außer einem guten Gefäße zu verstreuen, wodurch einer Menschwerdung ein Pfad abgeschnitten würde. Aber der Akt ist andererseits dennoch ein sündhafter, weil dadurch die wahre Nächstenliebe einen gar gewaltigen Stoß erlitt!

8. Gesetzt, dich selbst drängte ein ernster Akt in der Fremde, du träfst da ein Weib auf einem Felde, und du gewönnest es durch Geld und Worte, deinem Drange entgegenzukommen, und das Weib willfahrte dir das, so hättest du dadurch keine Sünde gegen die Keuschheit, auch keinen Ehebruch begangen, so die Person auch eines Mannes ordentliches Weib wäre. Aber so du bedacht hättest, in welche große und höchst trübe Verlegenheiten und Verfolgungen das Weib kommen werde, so der rechte Mann zu ihr sagen wird: ,Weib, gib Rechenschaft, wer in dich den Samen gelegt hat, da ich dich seit dieser und jener Zeit nicht berührt habe!‘, – siehe, daß du dadurch den häuslichen Frieden zwischen einem Ehepaare gestört hast, das ist eine grobe Sünde wider die Nächstenliebe! Denn du hättest deinen, wenn schon ernsten Drang, wenn er keine Wollustleidenschaft ist, schon noch auf eine schicklichere Gelegenheit versparen können!

9. Du ersiehst hieraus, daß ein Mann, bei sonst ganz ordentlichen und der wahren Keuschheit nicht widerstrebenden Handlungen, auch auf alle andern menschlichen Nebenumstände sein Augenmerk richten muß, so er sich nicht an irgendeinem Gesetz versündigen will.

10. Ein Mann aber kann mit seinem Weibe ebensogut die Unkeuschheit treiben als mit einer Hure und ärger noch. Denn bei einer Hure ist nichts mehr zu verderben, weil da ohnehin schon alles verdorben ist; aber ein Weib kann überreizt werden und dadurch in eine leidenschaftliche Begehrlichkeit übergehen, wodurch sie dann eine viel ärgerlichere Hure werden kann denn eine Ledige.

11. Wer aber eine Ledige beschläft, versündigt sich gegen die Keuschheit, weil sein Akt nur die Befriedigung der puren Wollust und nicht die Zeugung eines Menschen zum Grunde hatte und auch nicht haben konnte, weil ihm die reine Vernunft sagen muß, daß man auf den Landstraßen keinen Weizen sät.

12. Nebst der Sünde gegen die ordentliche Keuschheit aber begeht jener, der eine Hure beschläft, noch die Sünde an seiner und der Hure Menschheit, weil er dadurch leicht seiner Natur einen großen Schaden zufügt und die blinde Hure in ihrem geheimen Besessensein noch mehr verhärtet und unheilbarer macht, was da schon wieder eine Sünde gegen die Nächstenliebe ist.

13. Wer aber ein zu einer Hure gemachtes Weib beschläft, der versündigt sich in derselben Weise zweifach und vierfach, wenn er selbst ein Ehemann ist, weil er dadurch auch einen Ehebruch begeht.

14. Ich meine nun, da du ein rein denkender Mann bist, so wird dir dies wenige genügen, und das um so mehr, da ein Mensch, wie du, ohnehin weiß, was da geziemend ist für einen in aller Hinsicht ordentlichen Mann!“

15. Sagt Jurah: „Ja, Herr und Meister, nun ist mir alles klar, und ich weiß nun auch, wohin die vielen Abarten der Unkeuschheit führen müssen! Ja, nun ist alles klar! Es gibt in allem nur eine vor Gott gültige Wahrheit, die in der ewigen Ordnung begründet ist, – alles darunter, darüber und daneben ist vom Übel!“

16. Sage Ich: „Ja, also ist's und wird es auch ewig also verbleiben. – Aber nun kommen die ausgesandten Schiffer mit ihren toten Leuten wieder, da muß dieser Mein Knecht (Raphael) hin und ihnen die Leichname auf eine rechte Weise legen helfen, ansonst für morgen ihre Heilung erschwert wäre!“

17. Raphael begibt sich schnell hin und bewerkstelligt überall die beste Ordnung. Die Schiffer aber begeben sich darauf erst zum Nachtmahle.

Kapitel 216. Streit der Pharisäer über die Göttlichkeit Jesu.

1. Mit all dem, was sich nach diesem Sabbatabendmahle zugetragen und ereignet hatte, wäre denn doch ein Tagewerk als beendet anzusehen; aber man ruhet in den Himmeln niemals, Gutes zu tun, wie auch die Hölle niemals ruht, um Böses zu schaffen, und so ward für diesen Sabbat auch noch etwas ganz Besonderes zum Beschlusse aufbehalten und mußte noch vor der Mitternacht werktätig beendet werden.

2. Es hatte sich zwischen den fünfzig Pharisäern, an deren Spitze der Oberste Stahar und der uns schon bekannte Redner Floran standen, ein Streit erhoben. Diese Halbbackenen hatten während des Sturmes in einem Zelte Ourans noch allerlei Zweifel ausgehekt, und die nunmalige Legung der Leichen bestätigte so manche ihrer zweifelhaften Ansichten über Mich und Mein Wirken. Nur war unter ihnen darin die Meinung geteilt, daß der bessere Teil ganz feierlich annahm, Ich sei ein außerordentlicher Prophet, so nach der Art eines Elias, – ein finsterer Teil aber meinte, Ich sei trotz aller großen Bewanderung in der Schrift nur ein Schüler aus den Katakomben Ägyptens und hätte im Tempel zu Korak (Karnak) die Weisheit und die echte Magie erlernt. Ich sei darum auch von den Römern so wohl aufgenommen; denn bei den Römern gälten die echten Magier mehr denn ihre Götter, denn die Römer hielten solche Magier für die Finger des Gottes Zeus, der da wirket also unter den Menschen und ist sehr zugetan den Großen! Die Römer aber wären sehr kluge Leute und wüßten, daß den Juden so lange nicht zu trauen sei, bis sie nicht selbst mit Seele, Blut, Haut und Haaren Römer würden. Solches aber könnte am leichtesten dadurch bewerkstelligt werden, so man durch einen solchen Erzmagier aus der Schule Koraks die Juden, die am meisten wundersüchtig seien, bearbeitete, aber also, daß die Juden auch ihren Moses und ihre Propheten darin fänden. Und das geschähe nun, und zwar mit dem sichtlich besten Erfolge von der Welt; denn wer sich da nicht durch Worte und Wundertaten bekehren ließe, für den ständen stets etliche Kohorten römischer Soldaten in der vollsten Bereitschaft, um ihn in die Bekehrung hineinzuschrecken. Es werde darum auch bei jeder Gelegenheit über den Tempel zu Jerusalem aus allen Kräften losgezogen; man hebe mit allem Fleiße nur das Schlechte heraus, aber das Gute lasse man ganz unbeachtet und erwähne dessen nie auch nur mit einer Silbe, während es doch bekannt sei, wieviel Gutes der Tempel, und das unermüdet, ausübe!

3. Stahar und Floran, die wohl mehr denn die anderen eine bessere Überzeugung von Mir und den Römern hatten, bemühten sich zwar wohl, ihren Kollegen solches auszureden; aber sie richteten nicht viel aus, trotzdem sie Mich für einen Propheten nach Art des Elias allergewaltigst hervorhoben.

4. Die Gegenpartei sagte: „Dorthin sehet, wie ganz ärztlich kunstgerecht die neun Ersoffenen, mit den Köpfen nach abwärts und mit den Gesichtern zur Erde gekehrt, gelegt sind! Warum denn also?! Ein Gott ist allmächtig genug, auch ohne solche Vorbereitungen die Ertrunkenen zu beleben; wo aber solche echt ärztlichen Vorkehrungen getroffen werden müssen, um möglicherweise die Ertrunkenen wieder ins Leben zurückzubringen, da hat es mit einer reinen Wundertuerei schon einen ganz bedeutenden Haken! Auch die früher erweckten drei mußten ins Zimmer gebracht werden, damit die kühle Nachtluft ihnen nicht Schaden bringe und sie am andern Morgen ein besseres und frischeres Aussehen bekämen! Man kenne sich nun schon ganz aus!“

5. Floran aber fragte sie ums Urteil über den Raphael, der denn doch das unglaublichst Wunderbare geleistet habe. Da stutzten freilich einige und wußten nicht, was sie darauf erwidern sollten.

6. Aber ein Hauptgegner sagte dennoch: „Freund, wir wissen eigentlich gar nichts; aber das ist doch sicher anzunehmen, daß es in der Natur noch gar viele geheime und unentdeckte Kräfte gibt, von denen uns noch nie etwas geträumt hat. Diese haben sich in Ägypten damit vertraut gemacht und verstehen, auf einem uns gänzlich unbekannten Wege die geheimen Naturkräfte also zu bändigen, daß uns Laien solche Bändigungen der stummen Natur offenbar als die reinsten Wunder vorkommen müssen. Würde uns jener junge Mensch den Grund und die handgriffsgerechten Vorteile und Mittel zeigen, so würden auch wir ganz unfehlbar Wunder wirken können. Oh, die Menschen können ganz kuriose Dinge hervorbringen und sich die ganze Natur zinspflichtig machen; aber aus nichts können sie dennoch nichts machen, das kann nur Gott allein! Und darin besteht auch der große Unterschied zwischen der Allmacht Gottes und zwischen der Wunderkraft mancher geweckter Menschen.

7. Es soll jener junge Mensch nur eine neue Erde, mit allem, was auf ihr ist, lebt und atmet, erschaffen, und es wird ihm bei solcher Arbeit wohl ganz sicher der Atem zu kurz werden! Ja, mit der schon seienden Natur zu manipulieren, ist für den, der es versteht, sicher keine gar zu besondere Kunst; aber nur eine Welt aus nichts erschaffen, oder auch nur einen Grashalm ohne Samen, oder gar einen Menschen – aber vollkommen aus nichts! –, da wird sich's denn gleich zeigen, wieweit die Allmacht solcher Menschen reicht!“

8. Sagt Floran: „Ja, Freund, darauf möchte ich eben kein zu großes Stück Goldes setzen, daß diese beiden Menschen, wenn es gerade sein müßte, auch eine Welt aus nichts hervorzubringen imstande wären; ich möchte es wahrlich nicht darauf ankommen lassen!“

9. Sagt Stahar: „Auch ich nicht; denn die beiden haben mir schon zu große Dinge geleistet! Zugleich spricht sich in beiden eine derart große Weisheit aus in allen Dingen, durch die all mein Wissen und alle meine Erfahrungen rein zu Boden geschlagen werden; wo aber eine so große Weisheit am Tage liegt, da ist Gottes Geist wirkend, dem kein Ding unmöglich ist.

10. Sehen wir zurück, was dem Elias und was dem Moses alles möglich war, und wir werden uns hier dadurch auch begreiflich machen können, wie diese beiden eben auch durch denselben allmächtigen Geist ihre unbegreiflichen Wundertaten in allzeit sichersten Vollzug bringen!

11. Nun, was ist es denn?! So wir wissen, daß nur allein dem allmächtigen Geiste Gottes Dinge möglich sind, die allen Menschen unmöglich sind, so ist ganz leicht derselbe Geist Gottes tätig, der einst die Erde aus nichts ins Dasein rief und später durch Moses und Elias die wunderbarsten Dinge verrichtete!

12. Zudem muß ich hier noch eins bemerken und frage euch: Wo außer den Kreisen der Kinder Israels bestand denn je ein Volk, das in der Weisheit und in seiner Kraft irgend tiefer gestanden wäre als eben wir, als echte Nachkommen Abrahams, Isaaks und Jakobs?! Wer sonach im Hause Jakobs nicht die wahre Weisheit und ihre Kraft fand, wo anders irgend hätte er sie wohl finden können?! Wohl weiß ich auch etwas von der geheimen Schule Ägyptens und weiß, was dort gelehrt wurde! Ja, diese Schule in Korak kam mit der genauesten Not wohl bis in den Vorhof; aber in das Allerheiligste, Innerste, kam sie wohl nimmer!

13. Diesen beiden aber scheint das Allerheiligste, Innerste, was ihnen auf den ersten Blick anzukennen ist, so traulichst bekannt zu sein als einer Hausfrau das Innere ihrer Speisekammer. Bei einer um alles Häusliche besorgten Hausfrau kann man sich sogleich an ihrem heitern Angesichte auskennen, daß die Speisekammer gut bestellt ist; und bei diesen zweien aber kann man sich auch dahin ganz gut auskennen, so man ihre Gesichter nur ein wenig durchmustert und leicht ersieht, wie sie voll von der heitersten und sorglosesten Ruhe und völligen Sorglosigkeit strotzen!

14. Wer mit solch einer Weisheit und Macht versehen ist und mit solch einer wahrhaft göttlichen Ruhe in die Welt sehen kann, und wen der höchste Sturm ebensowenig anficht wie uns der erste Winter, den der Erzvater Adam erlebt hat, der ist im Allerheiligsten, schon selbst ein Herr und freiester Gebieter! Der braucht auch keine Weisheitsschule in Korak, weil der Geist Gottes ihm eine bessere durch Sich Selbst ins Herz gelegt hat! Das ist so meine Ansicht und nun auch mein fester Glaube; und daß dieser mein Glaube gut ist, erkenne ich daraus, daß auch ich anfange, eine ganz göttliche und freie Ruhe in ihm zu fühlen, was ich früher noch nie gefühlt und empfunden habe.

15. Ich kann euch als euer gewesener Oberster zwar solchen Glauben und solche Empfindungen nicht gebieten, weil sie sich auch nicht und nie gebieten lassen; aber sagen kann ich euch dennoch, daß sich die Sachen also verhalten, und daß ihr mit eurer ägyptischen Schule rein in den finstersten Katakomben ohne einen Leitfaden wandelt!“

16. Sagt der Sprecher der nun auf die Worte des Stahar schon um mehrere Köpfe kleiner gewordenen Gegenpartei: „Ja, ja, du lieber Freund, hast nun ganz gediegen und recht geredet, aber unser Anstoß ist allein die ärztlich erforderliche Legung der neun Ertrunkenen; denn also legen die Ärzte wie auch die erfahrenen Lotsen die Ertrunkenen, und es geschieht öfter, daß sie schon dadurch ins Leben zurückkehren, denn durch diese Lage entweicht das Wasser aus der Lunge, und wenn im Herzen noch nicht jeder Lebensfunke erloschen ist, so kehrt dann das Leben wieder; denn bei den Ertrunkenen soll die Seele noch drei Tage lang in dem Leibe verweilen, darum denn auf diese Weise, die auf alter Erfahrung beruht, die Wiederbelebung der Ertrunkenen selbst dann noch möglich sein soll, wenn sie zwei volle Tage im Wasser gelegen sind. Nun, wenn aber in diesem Elias von einem Propheten der wahre Geist Gottes wohnt, wozu dann diese ärztliche Vorbereitung?!

17. Als nach der Sage Elias einen ganzen Haufen von Totengebeinen belebte und sie mit Fleisch umhüllte, bedurfte er keiner ärztlichen Vorbereitung, sondern sein Wort und sein Wille genügten. Es sind früher auch von diesem Elias Taten in den Vollzug gebracht worden allein durch die Macht des Wortes; warum nun solche Vorkehrungen mit den neun Ertrunkenen, als wäre er der Kraft des göttlichen Geistes in sich völlig bar geworden?!

18. Siehe, Freund, wenn du auf ein schon durch und durch beschmutztes Tuch einen kleinen Schmutzfleck dazumachst, so wird das keinem noch so scharf sehenden Auge auffallen; aber auf einem vollkommen reinst weißen Tuche wird dich auch ein dunkler Punkt genieren! Und so ist es auch bei diesem großen Propheten, in dessen Herzen die Fülle des göttlichen Geistes wohnen soll; es geniert da jede Kleinigkeit, die sich mit dem groß erhabensten Begriffe und mit der allerhöchsten Würde des göttlichen Geistes durchaus nicht verträgt. Wenn er nur das nicht getan hätte, so hätte ich ihn am Ende für Jehova Selbst halten können, denn seine früheren Reden und Taten waren ganz göttlicher Art; aber durch diese Manipulation mit den neun Ertrunkenen hat er bei mir den ganzen früheren Göttlichkeitsnimbus verwischt, und ich kann mich nun und nimmer so recht vollends hineinfinden!“

19. Sagt abermals Stahar: „Freund, wenn dich schon das also geniert, da wundere ich mich sehr, wie es dich denn am Ende doch nicht im Glauben an Jehova schon längst geniert hat, wenn du das langsame Wachstum der Pflanzen, Tiere und Menschen schon sicher oft genug wirst beobachtet haben! Wozu braucht der allmächtige Geist Jehovas solch lästige Vorkehrungen zu treffen?! Zu was braucht Er überhaupt der Bäume, Gesträuche und Pflanzen, um auf denselben verschiedene Gattungen von Früchten nach und nach reif werden zu lassen?! Er wolle nur, und sie werden reif aus den Wolken auf die Erde herabfallen! Wozu ein Acker auf der Erde?! Der Geist Gottes lasse lieber den reinsten und vollreifen Weizen aus den Himmeln regnen, und noch besser schon ein bestes und wohlschmeckendes Brot! Wozu die Zeugung bei Tieren und Menschen?! Warum muß der Mensch erst völlig unbehilflich und mückenschwach geboren werden?! Er falle gleich stark, weise und mit allem versorgt auf die Erde!

20. Findest du nicht, daß solches für die Allmacht des göttlichen Geistes viel klüger und desselben würdiger wäre als der bekannte Zauderweg, demzufolge nicht selten ein hungerndes Kind einige Wochen lang einen Baum betrachten muß, bis auf seinen Ästen die Früchte reif werden?! Welche Freude hätte ein um das Wohl seiner Kinder besorgtes Elternpaar, wenn sie schon mit aller Weisheit gleich einem Samuel auf die Welt kämen?! Allein mit vielen Schmerzen müssen sie geboren werden, und dann braucht es wenigstens zwölf Jahre, bis ein Kind es nur dahin gebracht hat, um für einen höhern Unterricht fähig zu werden, und dann kann es bis zum Mannesalter allen Fleiß anwenden, damit es in irgendeiner Kunst oder Wissenschaft die erforderliche Festigkeit bekomme. Findest du das wohl der höchsten Weisheit des Gottesgeistes angemessen?!

21. Wenn aber bei all dem die endlose göttliche Weisheit doch nichts erleidet, wie kannst du nun diesem Propheten das verargen, so er nach einer ärztlichen Ordnung die neun Leichname gelegt hat?! – Rede nun, mein Freund!“

22. Sagt der Gegner, der Murel hieß: „Ja, ja, Freund Stahar, du hast recht, und ich sehe nun die Nichtigkeit meiner früheren Behauptung ganz gut ein! Aber demungeachtet liegt an dem, was ich aufgestellt habe, dennoch etwas, und das ist eben die Saumseligkeit Gottes, die in vielen Dingen mir recht gut vorkommt, aber in vielen Dingen wieder gar nicht! Ja, in manchem könnte hingegen wieder mehr Saumseligkeit vorwalten, wie zum Beispiel im verderblichen Blitze und in dem in der Winterszeit zu kurzen Tage; auch der Vollmond dürfte sein volles Licht länger als kaum nur ein paar Tage beibehalten! Würde der Blitz nicht mit einer gar so gräßlichen Schnelligkeit daherschießen, so könnte man ihm ausweichen, und er würde dann weniger schädlich sein; auch der Sturmwind könnte langsameren Zuges einherwehen, wodurch viel Schaden vermieden werden könnte! Man findet in der Schöpfung zumeist eben dort eine ungeheure Fertigkeit der Machtwaltung Gottes, wo sie der belebten Natur schadet; und dort aber, wo nach meiner Beurteilung ein längeres, oft zu langes Weilen durchaus keinen Nutzen bewirkt, da ist von einem Weiterkommen fast gar keine Rede mehr.

23. Nun, das weiß jeder Mensch aus den Erfahrungen, daß es also ist. Aber warum muß es denn also sein, und warum muß ich denn das, so es auch gut sein sollte, als nicht gut erkennen und danebst ungeduldig und ärgerlich werden? Warum regnet es denn oft, wenn nach dem Erkenntnisse aller Landwirte der Schein der Sonne die größte Wohltat wäre, und warum scheint die Sonne oft monatelang ohne einen dazwischenkommenden Regen? Ja, Freund, sieh, das sind lauter gewichtigste Fragen; wer aber beantwortet sie mir?“

24. Sagt Stahar: „Dort, der große Meister! Gehe hin zu Ihm, und ich wette, Er wird dir darüber ein rechtes Licht geben. Denn für mich stehen deine Fragen zu hoch, ja, so hoch, daß ich sie beinahe dumm nennen könnte; aber nicht darum etwa, als wären sie wirklich dumm, sondern nur weil sie meinem Unverstande dumm vorkommen.“

25. Sagt Murel: „Oh, du bist ein feiner Kunde und bist weiser um vieles denn ich und gibst meinen Fragen ein solches Zeugnis!? Wie soll ich damit vor den Allerweisesten treten?!“

26. Sagt Stahar: „Nun gut, so du das einsiehst, so frage nicht um den Grund solcher Dinge und Erscheinungen, die Gottes Weisheit schon von Ewigkeit her geordnet hat! Wir Menschen verstehen gar unendlich vieles nicht, ja, wir verstehen eigentlich gar nichts; denn aller unser Verstand ist gegen die göttliche Weisheit kaum ein Sonnenstäubchen, und er möchte Rechenschaft von Gott haben, warum Er dies und jenes angeordnet und verfügt hat?! Wir sind noch lange nicht bis zur ersten Anfangslinie des alpha gekommen und fragen schon um die Wesenheit des Omega! Oh, wie blind und dumm müssen wir noch sein!

27. In der Schule zu Korak in Ägypten kann solches wohl üblich sein unter den blinden Heiden; aber bei sehen sollenden Kindern Israels sollten solche Fragen wohl nicht vorkommen. Denn so die Blinden sich nicht erkennen, da sollen doch wir uns insoweit erkennen, daß unsere Erkenntnis darin den möglichst höchsten Gipfel der Weisheit erreicht hat, wenn wir zu der Einsicht gelangt sind, daß all unser Wissen und Erkennen gegen nur einen Funken der göttlichen Weisheit ein reinstes Nichts ist!

28. Freilich, wohl ersieht der grübelnde Geist des Menschen im Bereiche der wunderbarsten Schöpfungen Gottes so manches, das er in der großen Beschränktheit seines Verstandes nicht zu sehr billigen kann; aber da denke er an seine Kinderjahre zurück, in denen ihm seine weisen Eltern oft gar manches vorenthielten, das ihm als einem unerfahrenen und leichtsinnigen Kinde sicher einen großen Schaden zugezogen, so er darum gewußt hätte! Wenn uns allerunmündigsten und unerfahrensten Kindern Gottes Liebe und Erbarmung nun auch noch gar so manches vorenthält, das, so wir darum wüßten, uns sicher in manchen großen und unabsehbaren Schadenstrom brächte, so können wir Gott darum nur loben und preisen! Denn wenn wir einer größeren Weisheit fähig werden, wird sie uns von Gott aus auch nicht vorenthalten werden!“

Kapitel 217. Cyrenius' und Jesu Besprechung über Murel, Stahar und die Jünger.

1. Hier sagt zu Mir Cyrenius, der dieser ziemlich laut geführten Verhandlung sehr aufmerksam zugehorcht hatte: „Herr und Meister, unser Oberster Stahar hat sich gemacht! Ich hätte in ihm nicht soviel Weisheit gesucht! Mit einer Leichtigkeit hat er die Gegenpartei zum tiefsten Schweigen gebracht, und am meisten zu verwundern ist es, daß er den Murel besiegt hat; denn den kenne ich als einen Redner erster Klasse und halte ihn auch für einen Menschen, der auf der lieben Erde an allen Orten und Enden wohl die größten Erfahrungen gemacht hat und daher viel zu reden weiß, und was er redet, hat stets irgendeinen festen Stützpunkt. Ich kenne ihn daher, weil er stets als ein Abgeordneter zu mir kam, wenn die jüdische Priesterschaft irgendein besonderes Anliegen hatte. Er verstand sein Petitum (Gesuch) allzeit so einzukleiden, daß man es ihm schon durchaus nie gänzlich abschlagen konnte. Und es wundert mich darum um so mehr, daß Stahar diesen Murel nun gänzlich besiegt hat.

2. Da hast Du, o Herr, nun wohl auch so manches Wörtlein ihm auf die Zunge gelegt; denn sonst wäre wohl der Murel der offenbare Sieger geworden! Es hatte, was Murel sagte, auch einen Grund. So ganz auf den Sand stellte er seine Annahmen nicht; aber der Stahar kam ihm dann freilich armdick entgegen und zeigte ihm Dinge, die natürlich auf einer noch um überaus vieles festeren Basis stehen.

3. Ich muß überhaupt gestehen, daß es unter den Juden, selbst in dieser entartetsten Zeit, Männer gibt, die ihresgleichen in der ganzen Welt nicht mehr finden dürften, und ich kann ihnen darum schon durchaus nicht mehr feind sein. Dem Stahar aber muß ich auf jeden Fall wieder eine Stellung geben, in der er seiner Weisheit nach einen recht ergiebigen Wirkungskreis haben soll; denn er ist nun schon ganz auf Deiner Seite!“

4. Sage Ich: „Das ist er, und Ich wußte es schon lange, daß er es werden wird, – aber Murel wird noch gewichtiger; denn Murels Geist ist einer von großer Festigkeit, und in seiner Seele liegen sehr viele gut brauchbare Erfahrungen zu Grunde, mit deren Hilfe er ganz gut alles Wahre vom Falschen und alles Gute vom Bösen unterscheiden kann. Diesen Murel müssen wir noch weiter erwecken und ihm zeigen die allein rechte Ordnung des göttlichen Geistes, und er wird sie dann den andern mit der größten Beredsamkeit vollends weiter zeigen können.“

5. Sagt Cyrenius: „Aber, was mich von Deinen eigentlichen Jüngern hier sehr wundernimmt, ist, daß sie da sind, als wenn sie gar nicht da wären! Sie horchen nur und machen stets große und aufmerksame Augen, von Reden und Sprechen kommt unter ihnen nahe gar nichts vor! Warum verhalten sie sich denn gar so passiv?“

6. Sage Ich: „Weil sie bis auf einen schon gar wohl wissen, was sie zu tun haben! Wer schweigt und horcht, der sammelt beständig; wer aber selbst redet, der zerstreut und kommt nie zu einem rechten Reichtume. Wenn aber Meine Jünger, die ursprünglich schon bei Mir waren, einmal sehr vieles werden eingesammelt haben, dann werden sie schon auch reden, und das Heil wird dann erst durch sie den Völkern der Erde verkündet werden. Es gibt unter ihnen tiefweise Männer, obschon sie zumeist dem armen Fischerstande angehören.

7. Aber nun wieder zu unserm Murel zurück! Dieser wird uns zwar noch einige Mücklein um die Ohren säuseln machen, wird aber darauf aus der eigenen Selbstentwicklung in eine wahre Riesenstärke des Geistes übergehen.“

8. Cyrenius sagt: „Auf diesen Prozeß freue ich mich ganz außerordentlich wieder; denn ich habe stets eine große Freude, wenn irgendein Blinder sehend und ein Stummer redend wird.“

Kapitel 218. Murels Erfahrungen auf seinen Reisen.

1. Während Cyrenius solche Bemerkung macht, kommt auch Murel herbei, grüßt Mich und sagt: „Herr und Meister, früher redeten nur zwei für uns alle, es waren dies Stahar und Floran; ich war zwar stille, da ich mit so manchem vollendseinverstanden war, – aber es gab darunter dann auch so manches, damit ich nicht einverstanden war und sein konnte. Stahar hat mir nun ein recht großes Licht angezündet, und ich sehe nun bei weitem besser, als ich früher gesehen habe; aber es gibt demungeachtet dennoch so manches, das ich noch lange nicht klar genug einsehe! Und da ich nun ganz anders von dir denke, als ich früher gedacht habe, so möchte ich von dir auch so manches Licht und Lichtlein bekommen.

2. Ich war zwar so wie meine Kollegen ein Pharisäer, insoweit sich das Pharisäertum mit meinen geläuterten Begriffen und Erkenntnissen vertrug, und ich weiß es, daß du eben kein besonderer Freund dieser – zumeist Propheten der Nacht – bist! Aber es gibt da auch unter dieser Klasse Menschen noch welche, bei denen aller bessere Geist noch nicht gänzlich entflohen ist, und zu denen habe auch ich mich noch allzeit gezählt, und unter diesem Auspizium (schützenden Vorzeichen) getraute ich mich denn auch, nun zu dir zu kommen und dich – nicht als ein dir verhaßter Pharisäer, sondern nur als ein ganz einfacher, mit manchen Erfahrungen bereicherter Mensch – über so manches zu fragen, was zu wissen nicht nur mir, sondern jedermann not tut.

3. Aber es kommt nun eine gewisse Vorfrage, und diese besteht darin: Ich bin ein sündiger Mensch und du ein Heiliger Gottes; wirst du mich wohl einer mir genügenden Antwort würdigen?“

4. Sage Ich: „Wer seine Sünde als Sünde erkennt und sie tatsächlich verabscheut, Gott über alles liebt und seinen Nächsten wie sich selbst, der ist vor Mir kein Sünder mehr!

5. Gott über alles lieben aber heißt, Seine Gebote halten und nicht außer der Ordnung Gottes leben wollen; ist bei dir dies der Fall, da rede, und Ich werde dich hören und dir antworten!“

6. Sagt Murel: „Dann, Freund, lebe du wohl; denn da werden wir sehr wenig Worte miteinander zu tauschen bekommen! Was nützt mir denn meine Sünden erkennen und sie auch nach Möglichkeit verabscheuen?! Es kommt eine böse Stunde der Versuchung, und man fällt auf demselben Flecke tausendmal von neuem, auf welchem man schon früher tausendmal gefallen ist!

7. Man hält auch die Gebote Gottes mit dem guten Willen stets; aber mit der Tat hat es nur zu oft einen gar großen Haken.

8. Ich liebte auch stets meine Nächsten, wenn sie keine Lumpen und Spitzbuben waren; waren sie aber letzteres, so liebte ich sie offenbar nicht und bin ihr Freund noch lange nicht. Werden sie ehrliche Menschen, dann werde ich sie auch schon wieder lieben und achten, aber sonst nicht gar zu leichten Kaufes! Du weißt nun aus meinem Munde, wessen Geistes Kind ich bin. Willst oder kannst du mich einer Antwort würdigen, so zeige mir solches unverhohlen an; kannst du das aber nicht, so sage es, und ich werde damit auch zufrieden sein!

9. Hochmut und Eigensinn sind meinem Gemüte ganz fremde Dinge; aber übrigens ist in mir auch keinerlei Furcht vorhanden, weil ich kein besonderer Freund irgendeines Lebens bin. Mir ist an diesem meinem Leben geradesoviel gelegen, als an dem letzten Brett an der Arche Noahs. Das Nichtsein wäre mir um volle tausend Jahre lieber als dies lumpige Sein!

10. Warum mußte ich überhaupt werden und nun fortbestehend sein? Habe ich je einen Gott um ein Werden und Dasein bitten können?! Ich ward ohne meinen Willen, bestehe nun fort ohne meinen Willen und muß allerlei Gesetze und anderes Ungemach mir gefallen lassen, wofür ich nichts habe als eine höchst dunkle Verheißung, danach es nach diesem elenden Leben ein unelenderes Leben geben soll mit einem ewigen Bestande. Um desselben dereinst teilhaftig werden zu können, soll ich hier dieses Leben hindurch alle noch so starken Versuchungen rein niederschlagen und nach den Gesetzen reiner denn die Sonne am Mittage dastehen, eine Bedingung, die gar nicht zu erfüllen ist, außer man hätte eine ebenso göttliche Natur wie allenfalls du, lieber, achtbarster Freund!

11. Wozu aber alles das?! Hinweg mit diesem Leben; denn man braucht weder ein schlechtes, zeitliches und noch weniger ein vielleicht im günstigsten Falle etwas besseres, ewiges Leben! Das vollkommene Nichtsein ist die wahrste Glückseligkeit schon in sich selbst!

12. Ah, wenn ich sichere Aussichten auf ein ewiges, vollkommenes Leben hätte, so wäre das dann ganz was anderes! Man wüßte, wie und warum man in diesem Leben etwas tun müsse, damit das nachfolgende ewige Leben ein um desto besser bestelltes mit der höchsten Zuversicht zu erwarten wäre; aber so ist das nirgends der Fall!

13. Wo man hinkommt, in welche Schule man sich auch immer einweihen läßt, überall findet man statt einer klaren Aussicht einen blinden Glauben in Gesellschaft einer völlig grundlosen Hoffnung. Und so haben die Menschen zur – sage – vielleicht möglichen Realisierung ihrer, aus ihrem gemachten Glauben entspringenden Hoffnung sich überall Gesetze geschaffen, mit denen sie sich und ihre Nebenmenschen für nichts und abermals nichts, und das nicht selten auf das unerträglichste, quälen.

14. Ich bereiste ganz Ägypten und suchte eine klare Überzeugung fürs jenseitige Leben! Was fand ich nach allen Einweihungsqualen? Nichts – als ein künstlich erzeugtes helleres Träumen, und man lehrte mich die Traumgesichte auszulegen und ihnen eine mystisch-prophetische Deutung zu geben, die gewöhnlich für alle Vorkommnisse taugte!

15. Wäre ich auch wie viele andere ein schwachgeistiger Träumer, so hätte derlei Sinnengaukelwerk auf mich in jedem Falle einen ganz besonderen Eindruck gemacht, und ich hätte mich in die Dummheiten so recht lebendig hineingeglaubt; aber so sah ich trotz aller Illusionen sogleich auf den Ungrund der Dinge, erkannte in mir selbst den Betrogenen und die Meister der hohen Schule als die gemachten und auch freiwilligen Betrüger, die für sich von all dem, was sie die andern lehren, aber auch nicht eine Silbe glauben.

16. Diese Menschen sind noch die Gescheitesten; die nebenbei dennoch etwas Glaubenden sind natürlich schon um ein bedeutendes dümmer und erkennen die helle, auf zahllosen stets gleichen Erfahrungen beruhende Wahrheit ,Mensch, du lebst nur von heute bis morgen!‘ nimmer!

17. Ich zahlte in Korak die verlangte Schul- und Einweihungstaxe und zog von dannen mit der klarsten Überzeugung, daß ich die starke Taxe umsonst bezahlt hatte, – das heißt gegenüber dem, was ich eigentlich erreichen wollte.

18. Unterwegs fand ich einen Menschen, der sich meiner Karawane anschloß, der in Persien und sogar bei den Altgläubern (Birmanen) war; von denen erzählte er mir Wunderdinge. Wir wurden nach drei Tagen dahin einig, über Persien zu den berühmten Altgläubern zu reisen. Unsere Reise dahin, mit vielen Gefahren und Beschwerden verbunden, dauerte fünf volle Wochen. Wir fanden dort ein entsetzlich streng lebendes Büßervolk, das aber sonst sehr gastfreundlich war und uns wirklich mit aller Liebe aufnahm. Mit der Sprache ging es mir freilich schlecht; aber mein Führer war derselben kundig, machte mir einen Dolmetsch und konnte mich sonach mit den berühmten Altgläubern, die direkt vom Noah abstammen sollen, ins Einvernehmen setzen. In kurzer Zeit hatte ich selbst so viel von ihrer Sprache mir zu eigen gemacht, um mit den guten Menschen reden zu können. Meine Erkundung ging natürlich vor allem darauf hinaus, um zu erfahren, wie es mit ihrer Überzeugung vom jenseitigen Leben aussieht.

19. Die Antwort lautete: Dies wisse nur ihr höchster, unsterblicher Priester, der beständig mit Gott reden könne und schauen auch die jenseitige Welt und alle, die hinübergewandert wären. Aber dieser Priester sei für alle Sterblichen für immer unzugänglich! Niemand dürfe sich seiner Residenz nahen, außer in einem Jahre nur einmal, aber nur bis auf eine halbe Stunde von dem goldnen Felsen, auf dem er sich an einem Sabbat morgens mit dem Aufgange der Sonne den Sterblichen auf etliche Augenblicke lang zeige. Sie alle aber müssen glauben und hoffen, wenn sie die, sage, martialisch unerträglichsten Gesetze halten; hat sich aber jemand versündigt, so muß er Bußwerke verrichten, vor denen es dann aber schon dem Satan grauen müßte!

20. Mir wurden etliche solcher Büßer gezeigt, bei deren Anblick mir aber auch gleich das Hören und Sehen vergangen ist! Was in den Schulen Ägyptens mehr scheinbar geschieht – allein nur zur Erweckung der Angst und des Schreckens –, das und noch Ärgeres geschieht dort in der nacktesten Wirklichkeit! Und warum tun solches alles die Menschen, diese dümmsten Tiere? Bloß wegen der Hoffnung auf ein besseres, künftiges Leben!

21. Sie zwängen sich in eine ihnen vorgemachte Hoffnung so nagelfest hinein, daß sie diese bösartigste Täuschung ihrer armen Seele am Ende sogar für eine der alleruntrüglichsten Wahrheiten halten!

22. Dazu tragen freilich leider die Priester alles bei, weil ihnen solch ein Menschentrug ein stets ansehnlichstes Leben bereitet. Dumm sind die Menschen zur Genüge und lassen sich daher solch einen Betrug gerne gefallen. Aber bei mir ist dies schon lange nicht der Fall; ich will Gewißheit oder einen mich völlig auflösenden Tod!

23. Ich verließ nach einem qualvollen Jahre auch die Altgläuber und zog mit einer persischen Karawane nach Hause, das heißt nach Jerusalem, und wurde im Tempel bald Levite und darauf Pharisäer (Varizaer = Hüter, Hirte) und kam bald darauf hierher, allwo ich nun schon bereits elf volle Jahre als ein Judenpriester in Diensten stehe.

24. Dümmer, als die Menschen eher waren, habe ich sie wohl nicht gemacht, weder durch Worte noch durch Taten, aber auch weiser nicht; denn ich dachte mir: Wen seine Dummheit glücklich macht, dem lasse man sie unbeirrt! Denn man gibt ihm selbst mit der erwiesensten Wahrheit nichts Besseres! – Ich habe dir damit nun gezeigt, wie ich so ganz eigentlich denke und wie ich beschaffen bin.

25. Wenn von Menschen gemachte Gesetze, die schwer zu halten sind, über den Menschen entscheiden, ob er ein Gerechter oder ein Verbrecher sei, so bin ich offenbar ein Sünder vor deinem gesetzlich reinsten Wesen und kann, mag und darf mit deiner Heiligkeit deinetwegen nicht Zwiesprache führen.

26. Ist vor dir wie vor mir nicht das von Menschen gemachte Gesetz, sondern allein der Mensch, wie er nach seiner Natur ist, maßgebend, so kannst du, trotz deiner Göttlichkeit, die mich eigentlich gar nichts angeht, mit mir ebensogut eine Zwiesprache führen wie ich mit dir! Erwarte aber darum von mir weder einen Dank, noch irgendeine Verehrung, – und wärest du Jehova Selbst; denn dann bin ich dein Werk und sehe gar keinen Grund, aus dem heraus ich dich fürchten oder lieben und ehren sollte!

27. Ah, wenn ich dich zuvor um ein Dasein hätte bitten können, dann stünde das Verhältnis ganz anders, auch wenn ich ein Freund des Lebens wäre; aber ich bin ein Feind des Lebens geworden, weil ich die arme, ehrliche Menschheit stets schmachten unter dem elendsten Drucke von allerlei dummen und nichtigen Gesetzen fand. Nur Menschen, die es schon von Urbeginn an verstanden, ihre schwächersinnigen Nebenmenschen so recht dick zu hintergehen, sind allein glücklich, weil sie sich stets über jedes Gesetz zu erheben verstehen.

28. Diese verfinstern ihre armen Nebenmenschen durch allerlei jenseitige Verheißungen, auf daß sie selbst desto freier hier ein ganz gutes Leben führen können. Diese Sachen kenne ich und weiß, was ich von einem künftigen, jenseitigen Leben zu denken und zu erwarten habe. Daher habe ich auch keine Furcht – weder vor dem allmächtigen Gott, und noch weniger vor irgendeinem großen und noch so mächtigen Weltbeherrscher.

29. Gott fürchte ich darum nicht, weil Er offenbar ein zu weises Wesen sein muß, dem es doch wahrlich kein Vergnügen machen kann, einen armen, nichtigen Wurm im Staube zu quälen, den Er, so er Ihm lästig geworden ist, tausendmal mit einem leisesten Hauch vernichten kann. Als ein höchst weises Wesen kann Gott dafür auch vernünftigermaßen von mir keine Verehrung und Anbetung und keine Liebe fordern, weil Er mich ungebeten und unaufgefordert in ein elendes Dasein gesetzt hat, das mir durch den Mund herrsch- und gewinnsüchtiger Menschen eine jenseitige Glückseligkeit erhoffen lehrt, und ich solch eine Lehre für die blankste Wahrheit halten solle, während mir von allen Seiten her tausend und abermals tausend Erfahrungen das blankste Gegenteil handgreiflich zeigen und die große Natur aus allen ihren Gräbern laut schreit: ,Mensch, all dein Leben dauert nur von heute bis morgen!‘

30. Du siehst, daß bei mir mit dem altgerühmten Glauben und mit seiner tröstenden Begleiterin, der lieben Hoffnung, nichts zu machen ist, durchaus nichts! Darum gib mir die Wahrheit, die ich, wie dies mein Dasein, lebendig fühlen werde, und jedes Glaubens werde ich entbehren können, wie auch jeder leeren Hoffnung!

31. Mache, du weiser und mächtiger Mann Jehovas, uns Menschen keine langen und lüsternen Zähne, die aber hernach nichts zum Beißen bekommen! Ich würde dir, du weiser Freund, nicht so von der Leber weg zugesetzt haben, so ich aus deinen früheren Reden und Lehren nicht entnommen hätte, daß in dir auch die Wahrheit zu Hause ist und du auch einer bist, der es mit der armen Menschheit ehrlich meint.

32. Solltest aber auch du einen andern Hintergrund haben, dann laß mich bei der Wahrheit, die ich mir durch tausend Erfahrungen schwer und bitter erworben habe!“

Kapitel 219. Wo man die Wahrheit suchen soll.

1. Sage Ich: „Freund, so du etwas verloren hast und suchst es dann an einem fremden Ort, da du nichts verloren hast, und hältst dich aber hernach auf, so du das Verlorene nicht findest, und wunderst dich, wie du so lange und mit allem Fleiße und vieler Aufopferung suchend dennoch nichts gefunden hast, – bist du auch ein kluger und nüchterner Mann, so warst du es in dieser Hinsicht wahrlich nicht!

2. Siehe, du fandest gleich im Anfang deines Erkennens Moses und alle die Propheten leer, geist- und wahrheitslos, du hieltest sie so wie alles für ein eitles Menschenmachwerk, hattest dir auch nie irgendeine Mühe genommen, in den Geist der Schrift einzudringen, du hast lieber Zeit und Gold verschwendet, um die Wahrheit dort zu suchen, wo sie nie zu finden sein konnte!

3. Du fandest dich sonach überall notwendig betrogen und hintergangen, fandest nichts denn Lüge, Heuchelei und den dicksten Betrug. Deine vielen Erfahrungen waren daher auch notwendig bitter und nützten dir bis zur Stunde zu nichts, außer daß sie dir sogar das Leben verhaßt machten und dir alle Liebe und Achtung und Ehrfurcht zu Gott benahmen.

4. Hättest du aber die Wahrheit nur auf dem rechten Platze gesucht, so hättest du sie auch sicher schon lange gefunden, so wie sie gar viele vor dir gefunden haben!

5. Glaube es Mir, die Wahrheit fordert keinen Glauben in der Weise, was du Glauben nennst, auch keine leere, hinterhaltslose Hoffnung, sondern sie schafft dir in deinem Lebensinnersten eine sonnenhelle Zuversicht, und läßt über das einstige Leben keinen noch so geringen Zweifel zurück! Die vollste und handgreiflichste Überzeugung lebt in deinem Geiste, so er wach wird durch die Liebe zu Gott und zu deinem Nächsten!

6. Aber natürlich weder in der Heidenschule zu Korak in Ägypten, und noch weniger bei den alten Narren in Indien läßt sich so etwas finden!

7. Das alles liegt dem Menschen viel näher und ist für jeden fleißigen Sucher ganz leicht zu erreichen; aber er muß es dort suchen, wo es zu finden ist, – sonst ist jede Mühe und Arbeit vergebens! Von Dornen und Disteln erntet man nie Trauben und Feigen, und in den Pfützen und Morästen kommt der Weizen nicht fort.

8. Du sagtest auch, daß du Gott weder Liebe noch Furcht, oder einen Dank schuldest, indem du Ihn nie gebeten habest, dir ein Dasein zu geben! Wäre dein Geist schon wach, so würde er es dir sicher klarst angezeigt haben, was du Gott, dem Vater aller Menschen, schuldig bist. Dein Fleisch und dein Blut weiß davon freilich ebensowenig, als es dein Rock weiß, wenn es dich in deinem Magen hungert.

9. Hier an diesem Tische aber findest du einen gewissen Philopold aus Kane in Samaria. Der dachte vor etlichen Wochen ganz so wie du nun, und seine Worte glichen auch den deinen. Besprich dich mit ihm, und du wirst zu einigem Lichte kommen; dann aber will erst Ich dir ein rechtes Licht geben, und es wird sich dann schon zeigen, ob Gott von dir aus irgendeiner wahren und getreuen Liebe wert sei oder nicht! Da gleich Mir gegenüber aber sitzt eben der Mann, mit dem du dich zuvor besprechen sollst! Gehe hin und folge Meinem Rate; er wird dir sicher mehr Nutzen schaffen als die Schule zu Korak!“

10. Murel begibt sich nun, den langen Tisch umgehend, zum Philopold und sagt: „Der Meister hat mich zu dir beschieden, um von dir in der Sache, die mich sehr kümmert, ein erstes und wahres Fünklein Lichtes zu bekommen. Sage mir darum etwas Gutes und Wahres!“

11. Sagt Philopold: „Freund, ich habe alles vernommen, was du vor uns allen dem Herrn ins Angesicht gesagt hast! Ich erkannte daraus so bei mir, daß ich einstens nicht viel anders gedacht und gesprochen habe; aber der Grund lag in mir selbst. Ich suchte auch, wo ich nie etwas verloren; wo ich aber etwas verloren, da suchte ich nicht und fand darum auch nichts. Erst als dieser Herr und Meister von oben und von Ewigkeit zu uns kam, wurden mir die Augen geöffnet! Ich erkannte, wer ich bin, und warum, und ich erkannte auch, was der Mensch überhaupt ist, und warum er da ist! Und nun, Freund, ist alles Licht in mir, und kein finsterer Zweifel beschattet irgend mehr mein hellsterleuchtetes Sein! Also wird es sicher auch jüngst mit dir der Fall sein!“

Kapitel 220. Vom Verfall der ägyptischen und indischen Weisheit.

1. Hier bittet Murel den Philopold, ihm darüber genügenden Aufschluß zu geben. Sagt darauf Philopold: „Mein Freund und mein lieber Bruder! Du hast viel erfahren und bist gekommen sogar zu den Indiern und in die Länder, die noch gar sehr weit hinter dem Ganges liegen, bis zu den Bergen, die noch keines Sterblichen Fuß betreten hat, und bist zuvor so weit nach Ägypten gekommen, wo der Nil über Felsen braust und tobt. Der alte Felsentempel von Ja bu sim bil blieb dir nicht unbekannt, und Mem'n'on-Säulen vernahmst du an einem Morgen erklingen. Du betrachtetest die alten Keilschriften, und die noch ältere Hornschrift suchtest du zu entziffern.

2. Die Lehrer von Korak hätten dir alles erläutern sollen, da du sie darum übergut bezahlen wolltest; aber sie taten es dennoch nicht, weil sie es nicht tun konnten. Denn die gegenwärtigen Weisen und Gelehrten von Ägypten sind eben kein Tau mehr von jenen, die zu den Zeiten der alten Varaonen die Gründer solcher Schulen und Tempel waren. Es geht ihnen um die alte Weisheit noch um vieles schlechter als den Schriftgelehrten und Pharisäern in Jerusalem, und noch schlimmer sind die Birmanen daran. Diese sind in einen derartigen Asketismus übergegangen, daß es eine Schande für die Menschheit ist; und was ist dieser Asketismus anders als ein unbegrenzter Hochmut einerseits und eben darum eine unbegrenzte Dummheit andererseits!?

3. Die Menschen besaßen einmal auch die rechte Weisheit, wie sie der Vater Noah besessen hatte; aber mit der Zeit, als die Familien zu einem Volke herangewachsen waren, das offenbar mehr Bedürfnisse haben mußte denn eine kleine Familie, wurden die physischen Kräfte der Menschen zu sehr in Anspruch genommen, als daß sich ein jeder allein nur mit der innersten Weisheit hätte befassen können.

4. Die Völker erwählten aus sich die Weisesten, übergaben ihnen das heilige Geschäft und verpflichteten sie, dafür zu sorgen, daß die Erkenntnis Gottes unter ihnen stets aufrechterhalten werde und die innerste Weisheit nicht verlorengehe, sondern bleibe unter ihnen und ihren Kindern.

5. Zugleich hat das Volk den Weisheitsvorstehern und – bewahrern und -pflegern das Recht eingeräumt, Gesetze nach der Weisheit zu verordnen, für deren Sanktion das ganze Volk vom ersten bis zum letzten als Bürge und Exekutor dastehe, und daß die Sünder gegen solche heiligen Gesetze auf das schärfste gezüchtigt werden sollen.

6. Am Anfange solch einer Institution ging die Sache ganz gut und hatte eine nicht unheilsame Wirkung. Aber in der Folge vermehrte sich auch die Priesterkaste und brauchte viel für ihren leiblichen Unterhalt. Da ergingen bald neue Gesetze und Anordnungen unter dem mystischen Titel ,als von Gott ausgehend‘. Es fing an, von Strafen und Bußen und von allerlei wunderähnlichen Trugmitteln zu wimmeln, und auch die Lösemittel hat man nicht vergessen; wer bei der Übertretung irgendeines sein sollenden göttlichen Gesetzes von den Strafen befreit sein wollte, mußte ein kaum erschwingbares Lösegeld bezahlen. Die Armen natürlich mußten sich die Bußstrafen gefallen lassen, und das des martialischen Beispieles halber. Daß es heutigentags dort noch ärger hergehen muß, läßt sich wohl denken!

7. Und sieh, Freund, dorthin gingst du Wahrheit und die tiefste Weisheit suchen!? Daß du sie dort unmöglich finden konntest, ist begreiflich, wie auch, daß du darauf ein förmlicher Feind des Lebens werden mußtest; aber daß es dir nicht beifallen konnte, als Selbstpriester und Gelehrter der Schrift eben in der Schrift nachzuforschen, ob und wieviel Wahres und Weises darin verborgen sei, und ob man nach den Regeln der alten Prophetenschule nicht zu einer innern Lebensanschauung gelangen könne, das ist mir nun wohl ein wenig unbegreiflich!

8. Ich war zwar einesteils freilich wohl nicht um vieles besser daran mit der Erkenntnis der Wahrheit, und meine Weisheit bestand zumeist in der griechischen Philosophie, obwohl ich die göttlichen Schriften der Juden höher hielt, – aber mir fehlte die Grundwurzel, daher denn dieser herrliche Baum bei mir auch nicht Früchte tragen konnte.“

Kapitel 221. Vom Vorleben der Menschen.

1. (Philopold:) „Als mir aber vor etlichen Wochen das unschätzbare Glück zuteil ward, mit diesem göttlichen Meister zusammenzukommen, da schwanden auf einmal alle die trüben Wolken, und des Gotteslebens Sonne strahlte in meiner Seele! In diesem heiligen Lichte erkannte ich erst mein Wesen und das Wesen Gottes; nun auch sah ich erst, was ich Gott, dem allein heiligen Vater, schuldig bin, Ihm, der von Ewigkeit die reinste Liebe ist.

2. Ich erkannte mich ganz und erkannte, daß ich mit dem göttlichen Geiste für die Gotteskindwerdung denn doch in einen ganz sonderheitlichen Kontrakt getreten bin vor meiner Menschwerdung auf dieser Erde, die in der ganzen Unendlichkeit allein die Bestimmung hat, Kinder Gottes für die Zeugung und Zucht nach der ewigen Ordnung der Liebe Gottes zu tragen.

3. Siehe hinauf, alle die zahllosen Sterne sind Welten, um gar vieles größer und herrlicher denn diese Erde, und auf einer jeden dieser Welten findest du Menschen, die der Form nach uns völlig ähnlich sind, und überall findest du eine große Weisheit unter ihnen, und auch der Liebe ermangeln sie nicht völlig; aber sie kommen, nahe den Tieren dieser Erde ähnlich, schon vollkommen zur Welt und brauchen nicht vom Grunde an alles zu lernen, was sie kennen wollen und sollen. Die Sprache ist nahe überall eine und dieselbe, und ihr Erkennen hat ganz bestimmte Grenzen; überall aber geht das Erkennen bis zum höchsten Geiste Gottes, welches Erkennen aber doch mehr ein Ahnen als ein Erkennen ist.

4. Kurz und gut, du findest auf allen den zahllosen Weltkörpern Menschen, die den besseren Heiden dieser Erde nahe völlig gleichkommen, nur mit dem Unterschied, daß die Menschen auf den Weltkörpern im Grunde nichts Neues erfinden; aber was da ist, das ist in der möglichst höchsten Vollendung da, während die Heiden doch immer etwas Neues erfinden können und ihnen somit der Weg für eine endloseste, stets fortschreitende Vollendung nicht und nirgends verrammt ist.

5. In den großen Welten aber gibt es hie und da doch auch Weise, die zuweilen mit höheren Geistern gewisserart zusammenkommen und sich von ihnen in der tieferen Erkenntnis Gottes unterweisen lassen. Da geschieht es denn zuweilen, daß hie und da einen Geweckteren die Begierde anwandelt, auch ein Kind Gottes zu werden!

6. Denn in den Welten allen wissen die Weisen durch die sich ihnen offenbarenden höheren Geister, daß es in dem weiten Schöpfungsraume eine Welt gibt, auf der die Menschen Gotteskinder sind, und daß da auch eine Seele, wenn sie in ihrer Welt ihres Leibes bar geworden ist, auf jene glückliche Welt von neuem in einen aber wohl ganz grobfleischlichen Leib treten kann. Von dem Augenblick an aber, da jemand ernstlich den Wunsch äußert, wird ihm alles haarklein vorgestellt, was er auf dieser Welt wird zu bestehen haben.

7. Einmal wird der Seele alle Erinnerung an den früheren guten Zustand derart benommen werden, daß sie in der neuen Welt, aus einem Weibe mit dem unvollkommenen Leibe zur Außenwelt geboren, nahe in einem ganz bewußtlosen, untersten Tierzustand dasteht und sich nicht einmal vom neuen Dasein die allergeringste Rechnung zu geben imstande ist. Erst nach und nach, etwa nach einem Jahre, fängt sich ein ganz neues Bewußtsein aus den durch die Sinne wahrgenommenen Bildern, Erscheinungen und Wahrnehmungen zu entwickeln an; das Gedächtnis und die frische Rückerinnerung an das Empfundene sind dann die alleinigen Wegweiser und Behelfe auf der neuen Bahn des diesirdischen Lebens. Da kommen keine höheren Geister, von Gott gesandt, um das Kind in eine höhere und tiefere Erkenntnis zu führen, sondern die Eltern mit ihren gemachten Erfahrungen müssen bemüht sein, das Kind auf eine bessere Bahn zu bringen. Das Kind muß darauf viel lernen, muß sich selbst zu bestimmen anfangen, muß suchen und bitten, muß Angst, Hunger, Durst, allerlei Schmerz und Entbehrungen ertragen, muß sich bis auf den letzten Lebenspunkt demütigen lassen, und am Ende solchen Lebens kommt dann gewöhnlich eine schmerzhafte und schwere Krankheit, dem Fleischmenschen das Leben zu nehmen.

8. Hat der Mensch alle die geforderten und vorgeschriebenen Lebensbedingungen erfüllt, hat er Gott über alles und seinen Nächsten – selbst dann, wenn der ihn als ein arger Feind verfolgt hatte – mehr denn sich selbst geliebt, dann hat er in sich den in seiner Seele Herz gelegten Gottesgeistfunken belebt und zum Wachsen erweckt.

9. Von da an erst wächst der Gott im Menschen, durchdringt die Seele, macht sie sich ebenbürtig, und also ist der frühere Naturmensch aus dem tiefsten Nichtigkeitsschlamm zu einem Gotteskinde geworden, das sich in solch einem vollendeten Zustande aller jener Vollkommenheiten zu erfreuen hat, die in Gott Selbst vorhanden sind.

10. Siehe, Freund Murel, wie ich es dir jetzt kundgetan habe, so allgemein und kurz als möglich, geradeso wird es einem Menschen in einer Sternenwelt vorgestellt; und so er es dann vollkommen lebensernst verlangt, wird er des leichten Leibes ledig in einem Augenblick und unbewußt, wie ebenso schnell, zur Einzeugung auf diese Erde überbracht, und da steht ein solcher Mensch dann, wie eben ich nun und du selbst, vor dir.

11. Aus dem weißt du nun, ob wir früher, ehe wir auf diese Erde gekommen sind, mit Gott dem Herrn nicht einen freiwilligen Kontrakt abgeschlossen haben?

12. Gott aber hält das Wort aus Seiner ewigen Ordnung unwandelbar, nichts kann Seinen Sinn ändern; ob wir aber auch dasselbe allzeit getan haben nach dem Gesetze, das Er Selbst für alle Menschen durch Moses und durch die Erzväter dieser Erde gegeben hat und dazu noch geschrieben in eines jeglichen Menschen Herz, das ist eine andere Frage!

13. Wir werden es wohl sicher von nun an halten, woran ich nicht zweifle; aber unserer Mühe fällt das nicht zugute, sondern der alleinigen Erbarmung Gottes. – Sage mir nun, wie du mit dieser meiner kleinen Weisheit zufrieden bist!“

Kapitel 222. Philopolds jenseitiges Erlebnis.

1. Sagt Murel: „Höre, Freund Philopold, du hast mir da ja Dinge enthüllt, von denen zuvor aber noch nie ein Mensch eine Ahnung hatte! Das ist ja alles Wunder über Wunder; sage mir doch aber im vollsten Ernste, ob das denn doch nicht so eine Art Phantasie von dir ist! Denn dies klingt doch so sonderbar und außergewöhnlich wie irgendeine der ersten Fabeln des heidnischen Glaubens.

2. Es kann aber übrigens auch völlig wahr sein, was ich nun nicht zu beurteilen imstande bin, da meine Kenntnis von den Sternen wohl mein schwächster Teil ist! Wer würde sich's aber auch einbilden können, daß die Sterne, diese kleinen Lichtfunken des Himmels, Welten seien, und das größere auch noch denn diese unsere Erde, von der aber noch kein Mensch je das Ende gesehen hat?!

3. Ich bitte, beteuere mir das; denn du hast in mir eine zu mächtige Gier erweckt, nun in diese höchst denkwürdige Sache näher eingeweiht zu werden! Im Moses findet man wohl keine Spur davon, ja nicht einmal eine noch so leise Andeutung; denn in seiner Schöpfungsgeschichte kommt davon kein Sterbenswörtlein vor. Überhaupt wird kein Mensch aus seiner Genesis klug, was er damit eigentlich hat sagen wollen!“

4. Sagt Philopold: „Freund! Wer den Moses recht begreift, der findet auch das darin; aber dazu gehört wohl freilich mehr, als daß man sich den Buchstabensinn kümmerlich dem Gedächtnisse eingeprägt hat! Wer aber Gott je wann liebte über alles, dem hätte der Gottesgeist schon auch eine rechte Aufhellung gegeben, und der wird es dann auch wissen, daß die Genesis Mosis nicht so sehr die eigentliche Erschaffung der Welten, als vielmehr und eigentlich vor allem nur die geistige Erziehung und Bildung des ganzen Menschen und seines freien Willens, in die Gottesordnung ein- und übergehend, darstellt. Wer das begreift und einsieht, der sieht dann auch bald das andere ein, weil es auf dem Wege der untrüglichsten Entsprechung darin zu finden ist, was ich selbst dir sogar ganz handgreiflich klar zeigen könnte. Aber dazu wäre eben heute die Zeit zu kurz.

5. Ich habe aber etwas anderes, das mir durch die wundervolle Gnade des Herrn, der Sich hier in unserer Mitte vollwahr sogar im Fleische also befindet, wie Ihn alle Propheten getreu angekündigt haben, als ein unbestreitbarer Beweis von oben in die Hände gespielt ward.

6. Es war damals wie jetzt auch ein Engelsgeist mit einem ätherischen Leibe bekleidet unter uns, das heißt als der Herr uns in Kane besuchte von Kis aus. Dieser Engel löste mir auf das Geheiß des Herrn die Binde von den Augen meiner Seele, und es kehrte darauf sogleich das volle Bewußtsein meines vor- oder besser anderweltlichen Seins in mein ganzes Wesen zurück.

7. Sogleich erkannte ich diejenige herrliche, große Welt, in der ich vor diesem Sein auf dieser Erde im Fleische gelebt und gehandelt hatte; ja, ich ersah sogar meine dort noch im Fleische lebenden und handelnden Alten und lieben Geschwister, und der Engel schaffte mir sogar einige meiner innegehabten Utensilien hierher auf diese Erde, die ich sogleich als die unbestreitbar echten erkannte.

8. Als mir solch ein ungeheures geistiges Licht angezündet ward, da ersah ich aber dann wohl auch, was alles ich Gott dem Herrn und nun sogar dem liebevollsten Vater schulde!

9. Von da an erst begriff ich den unschätzbaren Wert meines Lebens, wie auch des Lebens eines jeden Menschen, und kann nun Gott den Herrn und alle meine Nebenmenschen nicht genug loben, lieben und preisen!

10. Vor dem Wunderakte aber war ich ein ebenso lebensfeindlicher Mensch, wie du es gewesen bist; aber ich bin zum voraus überzeugt, daß du in Kürze ganz so sein und denken wirst, wie ich nun denke und bin. Was ich dir aber nun erzählt habe, können dir nahe alle an diesem Tische als vollst wahr bezeugen, so du sie dazu auffordern willst.

11. Der größte, glaubwürdigste Zeuge darunter ist aber eben der Herr Selbst, der dich darum zu mir beschied, daß du von mir erführest, ob denn ein Mensch wohl so nach deiner Meinung Gott dem Herrn weder einen Dank noch ein Lob und eine Liebe schulde!“

Kapitel 223. Die Naturordnung der Welten.

1. Sagt Murel: „Ich danke dir, du mein tiefst geweckter Freund und Bruder Philopold! Du hast mir nun eine solche Enthüllung gemacht, von der wahrscheinlich dem Salomo in seiner höchsten Weisheit nie etwas geträumt hat. Die Sache ist zwar so extra außerordentlich, daß sie ein jeder Denker gleich von vornherein bezweifeln müßte, weil in unserm äußern Menschenverstande aber auch nicht ein Fünklein von einer noch so leisen Ahnung davon weilt; aber dennoch kann ich darüber nunmehr in keinen noch so leisen Zweifel gelangen. Denn wäre die Sache nicht also auf deine nüchternste Selbsterfahrung gegründet, so hättest du sie mir auch unmöglich erzählen können, weil so etwas, solange die Erde Menschen trägt, noch nie ein Mensch sich hat denken können und du dir so etwas auch nie gedacht hättest, wenn du nicht durch die hellste Erfahrung darauf wärst geleitet worden. Denn so etwas saugt sich kein Mensch aus den Fingerspitzen; das ist eine allerhöchst wunderbarste Offenbarung von oben, und ich nehme sie für ersichtlich wahr an, als wenn ich sie selbst erlebt hätte.

2. Aber sage mir nun doch noch so ein wenig etwas von den Sternenwelten; denn ich kann mir noch immer nicht vorstellen, wie die winzigen Lichtpunkte Welten sein können!“

3. Sagt Philopold: „Ja, lieber Freund, das wird ein wenig schwer hergehen, weil du noch keinen Begriff von dieser unserer Erdwelt hast und keine wahre Vorstellung, wie sie im ganzen aussieht, und wie sie den andern Welten gegenüber physisch bestellt ist! Ich muß dir sonach sagen, wie diese Erde aussieht, und wie sie bestellt ist, und du wirst dir hernach von den andern Welten leichter einen rechten Begriff zu machen imstande sein.“

4. Hier beschrieb Philopold dem Murel die ganze Erde, wie ein gediegenster Professor der Geographie, und bewies ihm solches auch aus den Erscheinungen und Erfahrungen, die Murel bei seinen weiten Reisen sicherlich gemacht hatte. Er zeigte ihm auch die daraus hervorgehenden Gründe, durch die auf der Erde Nacht und Tag stets miteinander ganz regelmäßig abwechseln müssen, und daneben erklärte er ihm auch den Mond, dessen Natur, Entfernung und Bestimmung, sowie die andern zu dieser Sonne gehörigen Planeten.

5. Als er mit diesen Erklärungen, so handgreiflich klar erhellt als möglich, zu Ende war, da erst ging er auf die Fixsterne über und sagte weiter:

6. „Du hast nun das Wesen unserer Erde, den Mond, die Sonne und die andern sie umkreisenden Planeten so vollkommen, als in einer solch kurzen Zeit nur immer möglich, kennengelernt und kannst über das ,Also und nicht und unmöglich anders‘ nicht leichtlich mehr irgendeinen Zweifel haben; und ich kann dir nun sagen, daß alle die größeren und kleinsten Lichtpunkte am Himmel auch nichts anderes als pure, überaus große Sonnenwelten sind, von denen welche noch ums kaum glaubliche größer sind als diese unsere Sonne, vor deren Größe dir nahe schwindlig zu werden begann.

7. Daß sie uns aber so klein erscheinen, macht ihre ungeheuere Entfernung von hier. Wenn du dir die große Entfernung unserer Sonne von der Erde bei viermal hunderttausend Male ausgedehnt vorstellen kannst, so hast du die allfällige Entfernung des nach unserer Sonne nächsten Fixsternes. Und darin kannst du auch ganz leicht den Grund finden, warum sie unseren Fleischaugen so klein erscheinen, da schon unsere Sonne, die doch so groß ist, um ganz leicht tausendmal tausend unserer Erden in sich zu fassen, uns kaum so groß wie die Fläche einer unserer Hände erscheint.

8. Andere Fixsterne, die wir aber auch noch sehen, sind so unaussprechlich weit von uns entfernt, daß wir für die Bezeichnung ihrer Entfernung gar keine Zahl mehr haben. Wenn du das nun so recht aufgefaßt hast, so wird es dir sicher gar leicht begreiflich sein, wie die kleinen Lichtpunkte ganz gut gar ungeheuer große Welten sein können, wenn sie dem Fleischauge auch nimmer als das, was sie sind, erscheinen! – Hast du dies alles wohl verstanden?“

Kapitel 224. Murels Lob- und Dankrede.

1. Sagt Murel: „Freund, ich bin nun erlöst und völlig im klaren über alles, was mir je früher unklar war; aber das sehe ich nun auch ein, daß ein Mensch ohne einen außerordentlichen Beistand Gottes da in Ewigkeit nichts herausgebracht haben würde! Wer kann solch einen hellsten Blick in die unendlich große Hauseinrichtung Gottes tun als nur ein Geist aus den Himmeln?! Nur der Geist Gottes kann solche Dinge überschauen und sie dann uns Menschen, die wir wenigstens eines guten Willens sind, offenbaren. Aber so da die Menschen mit ihrem Verstande etwas herausbringen wollten ohne eine Offenbarung von oben, so würden sie da wohl von Ewigkeit zu Ewigkeit nichts als dummes und albernes Zeug herausbringen; aber Gott der Herr und unser aller Vater sorgt für Seine Kinder und läßt ihnen zukommen alles Gute aus den Himmeln, wenn sie danach dürsten!

2. Oh, darum nun alles Lob und meine Liebe Ihm, dem allein wahrhaft guten und heilig größten Wohltäter der Menschen! Wie erhaben und groß ist der lichte Gedanke, der wie eine Sonne aus dem Dunkel der Nacht in meinem Herzen aufsteigt!

3. Wir Menschen auf dieser Erde sind lauter Brüder und Schwestern, und der heilige, gute Vater führt uns durch Sein allmächtiges, weisestes Walten einem allererhabenst heiligen Ziele entgegen!

4. O Bruder Philopold, welch ein nie vergeltbares Verdienst hast du dir um mich erworben! Wie kann, wie soll ich dir's lohnen?! Freund, so ich von jetzt an noch ein Methusalemsalter zu durchleben hätte und mir stünden alle Tempel und Katakomben der irdisch-menschlichen Weisheit offen, so wüßte ich am Ende kaum so viel von allen den von dir mir nun eröffneten Wahrheiten, als wieviel ich davon gewußt habe, als du mir die Wunderdinge zu enthüllen angefangen hast! Nun verging kaum eine mäßige Stunde, und ich stehe nun durchleuchtet da wie ein Moses auf Sinai, als des Gotteslichtes Flammen hoch über seinem Haupte zusammenschlugen und er buchstäblich mit Leib und Seele von der göttlichen Weisheit kreuz und quer durchdrungen war!

5. Oh, wie wohl es mir nun tut in diesem heilig-wahren Gotteslichte! Ja, wie aber soll ich nun erst Den loben und preisen, der dich zuerst also gewaltig erweckt hat, daß du nun auch imstande warst, mich gar so mächtig und hell zu erwecken?! Ist es einer menschlichen Zunge wohl möglich, Worte auszusprechen, die Seiner würdig wären?! Nein, nein, nimmermehr! Da muß jede sterbliche Zunge verstummen, wo das lebendige Wort in allen den mächtigsten Flammen der neu erwachten Liebe zu Gott, dem heiligen Vater, aufzulodern beginnt!

6. Oh, wie unendlich groß und erhaben stehst Du, heiliger Meister, nun vor uns! Wer faßt, wer begreift Dich ganz?! Wir Menschen nicht, und die Ewigkeit auch nicht!

7. Da Du, heiliger Meister, um solche Dinge weißt, um die nur Der wissen kann, der sie erschaffen hat, so sage ich: Bist Du, heiligster Vater, vor uns auch ins Fleisch verhüllt, so erkennt Dich mein Herz dennoch! Du bist ganz Derselbe, der Du auf Sinai Deinem erwählten Volke durch Moses die heiligen Gesetze des Lebens gegeben und durch den Mund der geheiligten Propheten stets zum Volke geredet hast! Du bist der durch Dich Selbst Verheißene und erfüllst nun das große Gotteswort Deiner ewigen Vaterliebe an Deinen nun noch schwachen und unmündigen Kindern. O lasse uns bald männlich und kräftig werden, und aus unserem Herzen und aus unserem unsterblichen Munde soll Dir ein Lob dargebracht werden, wie die Himmel alle Dir, o heiligster Vater, noch nie ein ähnliches dargebracht haben!

8. O Erde, bist du als Welt auch klein gegen die großen Welten dort oben, die im unermeßlichen Schöpfungsraum ihre endlos großen und weiten Bahnen kreisen, – aber wie groß bist du nun gegen sie alle dort oben, da du allein nun Den trägst, den sie alle nicht zu erfassen vermögen!

9. O ihr Brüder alle, was zaudert ihr noch, euch zu erheben und Ihn zu preisen über alles, da ihr doch so gut wie ich nun wissen müsset, wen ihr vor euch habt?! Und solltet ihr es etwa dennoch nicht völlig wissen, so sage ich es euch allen: Hier ist Er, der Herr, der Vater von Ewigkeit; Himmel und diese Erde sind überfüllt von Seiner großen und ewigen Herrlichkeit! Lobet, lobet Ihn mit mir, helfet auch, ihr schon mächtig Gewordenen in Seiner großen Gnade und Erbarmung!“

10. Hier sage Ich zum Murel: „Es genügt, es genügt vollkommen, Mein liebster Freund Murel! Ich kannte dich ja schon lange und wußte wohl, was in dir verborgen lag. Weil du so vieles in dieser kurzen Zeit begriffen hast, so wirst du noch ein mehreres begreifen!

11. Aber nun komme her zu Mir, und trinke aus dem Becher, aus dem Ich getrunken habe, einen reinsten Wein; danach wirst du noch ganz andere Dinge erkennen, als sie dir bis jetzt durch den Freund Philopold sind bekanntgemacht worden! Komme darum zu Mir!“

12. Sagt Murel: „O du Ruf des Rufes, du Stimme der Stimmen, du Wort des Worts, zum ersten Male von meiner Blödheit erkannt und verstanden! Wer kann Dir widerstehen, so er Dich erkannt hat in seinem Herzen?! O wie erhaben, heilig, groß und lieblich, und wie gar so heimisch bekannt klingst Du aus dem heiligen Vatermunde dem so lange von Deinem Herzen verbannten schwachen Kinde entgegen! Wievielmal tausend und abermals tausend Seligkeiten strömen mir mit dem einen Hauche aus dem Munde Dessen entgegen, der einst das ,Werde!‘ in die endlosesten Räume hinausdonnerte, worauf es dann anfing sich zu regen und zu bewegen durch alle die endlosen Räume, die keine Ewigkeit ermessen kann und je ermessen wird!

13. Zittre und bebe nun alles in mir, was je seine Kräfte zu einer sündigen Handlung mir lieh; aber du, mein neugebornes Herz, freue dich und juble hoch auf! Denn sieh, es hat dich dein Schöpfer, dein Gott und Vater gerufen; darum folge dem Rufe dieser Stimme, die in deine Fibern das Leben hauchte!

14. O Vaterstimme, welch ein Wohllaut bist du dem Ohre der kindlichen Liebe im Herzen eines vom Totenschlaf erwachten Kindes!“

Kapitel 225. Die Erfüllung der Weissagung des Jesaias.

1. Nach diesen wahrlich vielsagenden Worten bewegte sich Murel zu Mir hin und schluchzte und weinte vor Freuden. Als er bei Mir ankam, sagte er laut zu Stahar und Floran: „Kommet auch ihr hierher, und machet auf eure noch sehr trüben Augen! In des Tempels Vorhof seid ihr zwar vor mir gedrungen und habt mich als Freunde mit dahin gezogen, wo ihr schon waret; aber da ist mehr denn euer Vorhof, da ist das wahre Allerheiligste!“

2. Sage Ich: „Sei, was es sei; da nimm du den Becher, und trinke! Denn du hast nun viel geredet und bist darum so ziemlich trocken in deinem Halse geworden. Befeuchte darum deine Brust mit dem Weine der Wahrheit und der Liebe, auf daß du kräftig und Mir ein tüchtiges Rüstzeug werdest, zu bekämpfen die Nacht und ihre Folgen!

3. Siehe, hier zwar ist die Nacht in den hellsten Tag umgewandelt worden; aber rings um uns her lagert über den Seelen der Menschen die tiefste Nacht, und da wird es vieler und starker Leuchten benötigen, um die Finsternisse der Nacht zu verscheuchen; und du sollst Mir als eine tüchtige Fackel dienen!“

4. Hierauf nimmt Murel mit dem freudigsten Herzen den Becher, der vollgefüllt war, und leert ihn bis auf den letzten Tropfen. Voll Staunens über die außerordentliche Güte dieses Weines sagt er ganz begeistert: „O du herrlichster der Weine, die ich je getrunken! Du bist wohl nicht aus den Trauben dieser Erde gepreßt und nie gegoren worden in einem Schlauche, sondern du wardst für den Herrn der Herrlichkeiten aller Himmel eben aus den Himmeln hierhergeschafft! O Herr, o bester, heiligster Vater, wie herrlich muß es in den Himmeln sein! O sage es mir, wodurch haben wir es denn verdient, daß Du Selbst uns solch einer unbegreifbar großen Gnade und Liebe gewürdigt hast?!“

5. Sage Ich: „Der Grund ist das mächtige Zugband zwischen dem Vater und Seinen Kindern, und wieder wie ein Band zwischen Bräutigam und Braut!

6. Ich bin in Meinem ewigen Geiste euer Vater schon von Ewigkeit; aber in diesem Meinem Fleische bin Ich dennoch gleich einem Bräutigam, und ihr alle seid gleich Meiner lieben Braut – dadurch, daß ihr annehmet Mein Wort und Meine Lehre und glaubet es lebendig in eurem Herzen, daß Ich es sei, der Verheißene, der da kommen soll, um zu erlösen alle Menschen von der alten Sünde, die da eine Ausgeburt der Hölle ist, und ihnen zu eröffnen den Weg zum ewigen Leben und zur wahren Kindschaft Gottes.

7. Wahrlich sage Ich euch: Wer an Mich glaubt und hält Mein Wort tatsächlich, der ist wie eine Himmelsbraut in Mir und Ich in ihm als ein wahrer Bräutigam des ewigen Lebens. Wer aber in Mir ist und Ich in ihm, der wird fürder keinen Tod mehr sehen, fühlen und schmecken!

8. Wer an Mich glaubt und Mich liebt und dadurch hält Mein leichtes Gebot der puren Liebe, der ist es, der Mich auch im vollsten Lichte seines Herzens als den Vater erkennt! Und zu dem werde Ich Selbst allzeit kommen und werde Mich ihm offenbaren, und er wird fürder von Mir gelehrt und geführt werden, und Ich werde seinem Willen die Kraft verleihen, daß demselben im Falle der wirklichen Not alle Elemente gehorchen sollen!

9. In der eigentlichen Welt werden die Meinen keine glänzenden Triumphe feiern; denn alle Menschen dieser Erde sind nicht lediglich Meine Kinder, sondern Kinder des Fürsten der Lüge, Nacht und Finsternis. Diese lieben Mein Licht nicht und werden jene nicht lieben, die Mein Licht zu ihnen bringen werden; aber daran sollen sich die Meinen nicht stoßen, denn für sie ist der Triumph in Meinem Reiche vorbehalten!

10. Ich sage es euch, daß ihr um Meines Namens willen von der eigentlichen Welt zu allen Zeiten werdet irgendeine Verfolgung und Mißachtung zu erdulden haben; aber es wird dann drüben in Meinem Reiche die Sache ein ganz umgekehrtes Gesicht bekommen, dessen ihr völlig versichert sein könnet, und eure Willensmacht wird auch diesseits noch die Widersacher mit großer Schande bedecken, und ihr werdet frohlocken im geheimen um Meines Namens willen! Denn ihr wisset, wer Ich bin, und was Ich allein euch geben kann; die Welt, die arge Widersacherin des Lichtes und Meiner Liebe, weiß es nicht und wird es auch nicht zu wissen bekommen!

11. Ihr aber wisset es, und es geht hier auf diesem Punkte in Erfüllung, was der Prophet Jesajas geweissagt hat: ,Der Herr Zebaoth wird allen Völkern auf diesem Berge machen ein fettes Mahl, ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefen sind. Und Er wird auf diesem Berge die Hülle hinwegtun, damit alle Völker verhüllt sind, und die Decke, womit die Heiden zugedeckt sind. Er wird den Tod verschlingen auf ewig, und der Herr wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach Seines Volkes in allen Landen; denn der Herr hat es gesagt. Zu der Zeit und auf diesem Berge werden die Völker rufen: ‚Siehe, das ist unser Gott, auf den wir harren; und Er allein wird uns allen helfen! Ja, da ist wahrhaft der Herr, auf den wir harren, damit wir uns freuen und fröhlich seien in Seinem Heile! Die Hand des Herrn ruht auf diesem Berge!‘

12. Moab (Jerusalem und seine böse Verfassung) aber wird zerdroschen werden, wie das Stroh zerdroschen wird und wie der Kot! Er wird Seine Hände ausbreiten mitten unter sie, wie sie ein Schwimmer ausbreitet zum Schwimmen, und wird ihre Pracht erniedrigen mit den Armen Seiner Hände (Engel); und Er wird die hohe Festung eurer Mauer (Eigenliebe und Hochmut) beugen, erniedrigen und in den Staub (größte Demütigung) zu Boden werfen!‘ (Jes.25,6-12)

13. Siehe, was da Jesajas auf eben dieser Stelle, als er nach Galiläa kam, und auf diesem Berge am See geweissagt hat, das geht hier auch nun unter euren Augen in die vollste Erfüllung! Zähle die Völker alle, die hier vertreten sind, und allen wird die dicke Hülle von den Augen genommen, und jedem wird ein reinster Wein ohne Hefen gegeben, und wer ihn trinkt und seinen Geist aufnimmt in seine Seele, der hat das ewige Leben in sich aufgenommen, und wird also für alle, die hier sind und Mein Wort als den reinsten Wein aus den Himmeln genießen, und die ihn in der Folge von euch zu trinken bekommen und werden ihn euch gleich verschlingen in vollen Zügen, denen wird von Mir auch ihr Tod verschlungen werden, und sie werden fürder keinen mehr fühlen und schmecken!

14. Ja, es ist diese Weisheit wohl ein fettes Mahl, das Ich in euch den Völkern der Erde hier bereitet habe, – ja, mit dem Marke der tiefsten Weisheit und der ewigen Wahrheit werdet ihr hier gespeiset und gesättigt.

15. Gehet aber darauf nun hin, so es euch nimmer gebrechen wird am gerechten und großen Vorrat, in alle Welt zu den verlassenen Brüdern und Schwestern und zu all den Witwen und Waisen und trocknet ihnen die Tränen von ihren Angesichtern, und gebet ihnen reichlich zu trinken von diesem reinsten Weine, den Ich euch allen hier zu trinken gegeben habe in Hülle und Fülle!

16. Die Zeit aber, wann ihr solches tun sollet, wird euch allen durch Meinen Geist in euch angezeigt werden. Wenn ihr dann handeln werdet in Meinem Namen wahrhaft und getreu, so wird Mein Geist, Mein Ich, bei euch und in euch sein allzeit und ewig.

17. Ihr werdet von nun an nicht zu denken haben, was ihr irgend in Meinem Namen reden sollet; denn zur rechten Zeit wird es euch ins Herz und in den Mund gelegt werden.

18. Der Geist dieses Weines, den Ich euch zu trinken gereicht habe, wird sich nimmer verflüchtigen aus euren Seelen; denn er heißt ewige Wahrheit. Darum wird in euch auch keine Unwahrheit Platz greifen können, denn in diesem Weine liegt die ewige Wahrheit. Die Unwahrheit ist der Tod, das Verderben und ein ewiges Gericht; aber die Wahrheit selbst ist das Leben, und dieses bin Ich Selbst in euch, und Ich bin von Ewigkeit die Wahrheit, das Licht, der Weg und das Leben Selbst!

19. Wer demnach Mich hat in seinem Herzen, der hat alles; denn außer Mir gibt es ewig nirgends eine Wahrheit und ein Leben! – Sage Mir nun, du Murel, vor allem, ob dir dies alles einleuchtend und klar ist!“

Kapitel 226. Die Verheißung Jesu.

1. Sagt Murel: „O Herr! Wie sollte mir das auch nicht klar sein?! Denn der Wein, den ich zu trinken bekam, war ebenso ohne Hefen wie diese Deine Lehre; und ich sage es Dir nun auch, daß ich diesmal, und das zum ersten Male in meinem ganzen Leben, den Jesajas ganz verstanden habe! Dieser geistige Wein hatte auch keine Hefen mehr für mich und sicher also auch für alle, die an diesem überfetten geistigen Mahle teilgenommen haben; und aus des Propheten nun durch Dich, o Herr, vollends geklärten Weine habe ich nun auch Dich, o Herr, ganz erkannt und begreife nun, wie auch ich zu denen gehöre, die da auf diesem Berge rufen: ,Du, o Herr, bist unser Gott, auf den wir harreten, und hilfst uns nun wahrhaft, und also ist uns wahrhaft geholfen auf ewig!‘ Aber Moab ist auch gehörig zerdroschen; es liegt nun da wie ein leerstes Stroh und wie der Kot, den die Würmer und Schmeißfliegen zernagt haben. Oh, welch eine unnennbare Freude das für meine arm gewesene Seele, die so lange nach Wahrheit gedürstet hat, aber hier reichlichst entschädigt wurde für alle die Mühen, die sie sich zur Auffindung der reinsten Wahrheit selbst aufgebürdet hatte!

2. Ja, Herr, Du allein bist unser Gott und Herr, und außer Dir gibt es ewig keinen mehr! Dir allein also alle unsere Liebe in Ewigkeit! Und auch dir, du lieber Bruder Philopold, meinen unvergänglichen Dank; denn du hast mir zuerst die Augen geöffnet, auf daß ich das sehen konnte, was ich sonst an allen Enden und Orten dieser Erde vergeblich gesucht habe!

3. Aber nun noch eine große Bitte an Dich, o Herr, von uns allen! Da Du Dich von uns nun einmal hast finden lassen, so verlaß uns, Deine Kinder, nimmer also, daß Dich unsere Nachkommen wieder tausend Jahre suchen sollen, ohne sagen zu können: ,O Herr, wir haben Dich wiedergefunden!‘ Diese Bitte sei Dir, o Herr, von uns allen auf das lebendigste unterbreitet!“

4. Sage Ich: „In Meinem Worte, das Mein Geist und Meine Liebe ist, werde Ich fortan bei den Menschen guten Willens verbleiben bis ans Ende der Welt! Des seid ihr alle versichert!

5. Aber in dieser Meiner Außenmenschengestalt der Materie ewig nimmer, wenn Ich sie jüngst einmal nach dem ewigen Beschlusse verwandeln werde!

6. Denn durch diesen Leib habe Ich alles Gericht und den Tod über Mich genommen, und es muß dieser Leib dem Tode auf drei Tage gegeben werden, damit eure Seelen fortan das ewige Leben haben mögen!

7. Denn dieser Mein Leib ist der Stellvertreter eurer Seelen; auf daß eure Seelen leben, muß er das Leben lassen, und das von ihm gelassene Leben wird ewig zugute kommen euren Seelen.

8. Am dritten Tage aber wird auch dieser Mein Leib das Leben ganz verwandelt wieder nehmen, und die Überfülle Meines ewigen Geistes wird dann dringen in euch und wird euch leiten in alle Wahrheit.

9. In solcher Wahrheit erst werdet ihr gleich Meinem Leibe verwandelt werden in euren Herzen und in euren Seelen, und werdet euch selbst nehmen das ewige Leben aus der Überfülle Meines Geistes frei und unabhängig, und also werdet ihr erst wahrhaft Kinder Gottes werden, sein und bleiben für ewig.

10. Jetzt aber werdet ihr alle dazu erst vorbereitet und eingerichtet. Horchet auf Meine Stimme und höret Mein Wort!

11. Niemand aber wird je zu Mir in Meinem Reiche kommen, wenn er nicht vom Geiste aus Mir gezogen wird! Wer aber ist der Geist? Dieser ist der Vater von Ewigkeit, der euch zu Mir hinziehen wird.

12. Dieser Geist ist namenlos; aber sein Wesen ist die Liebe. Habt ihr diese, so habt ihr auch den Geist, – habt ihr aber den Geist, so habt ihr auch Mich; denn Ich, der Vater und der Geist sind Eines!

13. Darum bestrebet euch der Liebe zu Gott und der Liebe zum Nächsten, besonders zu jenen Allernächsten, die da arm sind und der Hilfe leiblich und geistig bedürfen, so werdet ihr mit dieser Liebe die Liebe zu Gott erwecken, besonders, so ihr dabei nicht sehet auf die Welt und ihr loses Urteil; denn wer aus euch sich der Welt wegen der armen Brüder und Schwestern schämen und sie fliehen wird, um bei der Welt in einem ehrsamen Rufe zu erscheinen, der wird von Mir auch nicht erkannt und angenommen werden!

14. Kurz, Ich sage es euch: Wer sich Meiner armen Brüder und Schwestern schämen wird der argen Welt wegen, dessen werde auch Ich Mich schämen!

15. Wer aber Meinen Geist auch in den Armen anerkennen wird, den werde auch Ich anerkennen als Mein Kind für ewig! Das lasset euch alle gesagt sein! – Nun aber wollen wir drei Stunden lang eine stärkende Ruhe nehmen auf diesem Platze!“

Kapitel 227. Das Wesen Jesu und die Menschheit.

1. Meine Jünger waren wohl die ersten beim Einschlafen, auch die Römer waren müde; jeder machte aus seiner Hand ein Hauptkissen, lehnte sich an den Tisch und schlief wie auf einem weichsten Bette. Aber unser Murel und der Philopold schliefen nicht ein, sondern sie zogen sich etwas zurück und besprachen sich die ganze Zeit über alles, was da vorgefallen war.

2. Auch unser Mathael gesellte sich zu den zweien und sagte: „Ich kann unmöglich schlafen nun, nach all dem, was ich hier alles in zwei aufeinanderfolgenden Tagen erlebt und gesehen habe. Denket euch, vor drei Tagen war ich noch von einer Legion Teufel besessen und war, freilich wohl unbewußt, etwa der gefürchtetste Straßenräuber!

3. Da (wo) man mich vermutete, getraute sich keine Karawane den Weg zu ziehen, und wer in meine Hände fiel, der zog sicher nicht unbeschädigt seinen öden Weg weiter! Und nun bin ich der Schwiegersohn des Königs Ouran und Mitregent des großen Landes am Pontus hinauf bis zum Reiche der Skythen! Das Reich erstrecke sich vom Pontus bis zum Kaspischen Meere über ein großes Gebirge. – Ist das nicht ein Wunder über alle Wunder?! Ja, es gehen hier Dinge vor, von denen sich kein Mensch irgendwo anders auf der Erde einen Begriff machen kann!

4. Aber es ist nun auch eine große Frage zu stellen, und diese besteht ganz einfach darin: Werden es die Menschen fassen und rein behalten, die entweder räumlich sehr entfernt von hier leben, oder die der Zeit nach entfernt von hier leben werden? Denn ist die Lehre an und für sich noch so rein und wahr, so wird man sie wohl für den Ausdruck eines großen Propheten halten, – aber anzunehmen, daß Gott Selbst im Fleische und Blute die Menschen solches gelehrt hat, das wird ein schwerer und wankender Glaubenssatz werden, zumal Er sozusagen ein Natursohn einer gewissen Maria ist, die später das Weib eines Zimmermanns namens Joseph ward! Nun, derlei Dinge sind nun schon vielfach im Volke bekannt, und es hält da etwas schwer, eben dem Volke das gewisse Menschheitsgefühl in bezug auf den Herrn zu geben, obwohl darob in uns wohl kein Zweifel mehr obwaltet.

5. Wir sind vollauf überzeugt, daß an Ihm nichts uns gleich Naturmenschliches haftet außer allein die äußere Form; Körper, Seele und Geist ist Gott! Denn da kann man sagen: In Ihm ist die Fülle der Gottheit auch körperlich! Denn Er darf nur etwas wollen, so geschieht es aber auch im Augenblick.

6. Der größte und handgreiflichste Beweis für Seine Göttlichkeit aber liegt in Seinem Worte und in dem Ihm stets zu Diensten stehenden Engel, der da vor aller Anwesenden Augen Taten verrichtet, die für jeden Sterblichen noch unerklärlicher sind als des Philopolds Erklärung der Fixsternenwelt.

7. Kurz, für uns, die wir da im Schauen sind, ist es das heiligst Außerordentlichste am hellsten Tage; denn wir haben der schreiendsten Beweise in höchster Überfülle!

8. Aber dies wird nicht überall und nicht allzeit also sein können. Ich merkte es aber hier schon, daß es bei manchem Menschen trotz aller der schreiendsten Beweise noch immer recht schwer hergeht, das göttliche Wesen des Herrn einzusehen und zu begreifen; und ich machte dabei auch diese Bemerkung, daß das erklärende Wort stets mehr Wunder wirkt in bezug auf die Erkenntnis des Herrn und Seiner rein göttlichen Herrlichkeit als das schreiendste Wunderwerk. Der Grund scheint darin zu liegen: An die stets rätselhaft wirklichen oder künstlichen Wundertaten ist man in unserer Zeit schon derart gewöhnt, daß sie uns eigentlich gar kein besonderes Staunen mehr abnötigen.

9. Besonders seit den zirka sechzig Jahren, als die Römer unsere Herren geworden sind, da hat es von Magiern und Wundertätern ja nur gewimmelt! Der in der geheimen Magie unerfahrene und unbewanderte Mensch wirft nun ein wahres und ein künstliches Wunder ganz leicht in einen und denselben Suppentopf, macht da keinen Unterschied zwischen wahr und falsch – und kann auch keinen machen, weil ihm dazu alle Erkenntniselemente mangeln. Also kommt es denn ganz leicht, daß ein Wunderwerk nie den Effekt machen kann wie ein klares Wort.

10. Kurz, durch die rechte Erweckung des Menschenverstandes wirkt man offenbar mehr denn durch was immer für ein Wunder!“

Kapitel 228. Die Zukunft der Lehre Jesu.

1. (Mathael:) „Ja, für uns sind die außerordentlichen Taten schon auch ein gar mächtiger Beweis, weil wir nun einen insoweit erweckten Verstand besitzen, um all das Falsche von dem Wahren auf den ersten Blick zu unterscheiden!

2. Denn uns sind die Kunststücke der Magier bereits alle bekannt, und es bringt keiner viel Neues zustande; aber diese Taten hier erfordern mehr als bloß einen Magier aus Ägypten oder aus Persien, diese erfordern Gottes schöpferische Allkraft und eine nie ergründbare Weisheitstiefe, sie erfordern die Ur- und Grundpriorität des göttlichen Geistes, dessen Wille alle Geister und alle Welten gleichwie ein guter Pferdelenker sein Gespann in den Zügeln hält, die er mehr oder weniger anzieht und den sonst unbändigen Tieren seinen Willen zur Danachhandlung vorzeichnet.

3. Da ist also die vollste Urgöttlichkeit ersichtlich, während sie bei den Magiern ewig nie ersichtlich werden kann, weil sie nicht und nimmer da ist und da war. Aber das können wir wohl auch annehmen, daß unsere Erzväter aus der göttlichen Kraft in ihnen viele Wundertaten müssen gewirkt haben; denn ohne die wahren Wunder wären sicher nie die falschen entstanden.

4. Jetzt haben wir abermals ganz vollkommen wahre Wunder vor unseren Augen; aber ich will kein schlechter Prophet sein, daß es in etlichen Jahrhunderten der falschen Wunder auf den Namen des Herrn mehr denn der echten geben wird!

5. Zwar steht das alles beim Herrn; aber das ist als völlig gewiß anzunehmen: Erstens, daß der Herr nicht stets leiblich sichtbar auf dieser Erde unter den Menschen verbleiben wird und wird den Menschen nicht so wie nun bei der Gründung der neuen Lehre mit körperlichem Rate und leiblicher Tat zu Diensten stehen; und zweitens wird Er von nun an den Menschen den freien Willen auch weniger nehmen denn früher vor dieser ewig denkwürdigsten Epoche, welche selbst diese Erde für immer unvergehbar machen und dereinst zum Zentralpunkte der Himmel stellen muß.

6. Denn eine Welt, die Er einmal leiblich mit Seinem Fuße betreten hat, muß für ewige Zeiten wenigstens in einer verklärten Art bleiben. Bleiben aber die Menschen im Besitze ihres freien Willens, und werden sie stets gleich so unwissend und nahe ohne alle Intelligenz zur Welt geboren, so daß ihre späteren Erkenntnisse allein von dem ursprünglich äußeren Unterrichte abhängen werden, so läßt sich wohl nichts anderes denken, als daß die Verfinsterung abermals überhandnehmen wird, und die herrsch- und wohllebensgierigen Menschen werden aus dieser neuen, rein göttlichen Lehre ein zehnfaches Heidentum machen, das dem indischen nichts nachgeben wird!

7. In unsern Leibern werden wir's nicht erleben, aber als Bewohner einer uns bis jetzt noch unbekannten lichtvollen Geisterwelt desto sicherer! Es wird da noch wimmeln von Trug, Lügen, Hoffart, Eigennutz, Selbstsucht, Weltfurcht, Gleisnerei, Augendienerei, Scheinheiligkeit, Verfolgung, Gericht, Rache und Grausamkeiten aller Art und Gattung!

8. Der Herr Selbst sagte es ja, wie das alles zugelassen werden muß wegen der Selbstbestimmung und wahren Lebensausbildung eines jeden Einzelmenschen für sich, ohne die niemand ein wahres Gotteskind werden und auch nie eingehen kann in die ewige Herrlichkeit des Vaters!

9. Wenn uns aber schon der Herr Selbst ein solches Prognostikon (Voraussage) stellt, was sollen da wir anders denken, als daß es gerade also werden wird, wie ich es euch nun gesagt habe?! Das beste Verwahrungsmittel dagegen ist und bleibt noch immer eine klare Sprache mit mathematischer Gewißheit. Denn einen mathematischen Beweis zernagt kein Zeitenstrom, der gilt für den Indier wie für den Perser und Araber, Griechen, Römer und Juden!“

Kapitel 229. Missionssorgen.

1. Sagt Murel: „Hoher, weiser Freund! Das hat aber ja eben diese Lehre für sich, daß sie, was meines Erachtens ihre Klarheit betrifft, noch mehr denn auf einer mathematisch sichern Basis besteht und somit keinen Zweifel hinter sich läßt. Daher bin ich auch der Meinung, daß diese Lehre nimmer wird verfälscht werden können!“

2. Sagt Mathael: „Zu wünschen wäre es wohl; aber es wird dennoch nicht also sein! Gar so mathematisch fest aber steht sie schon ihrer rein geistigen Natur wegen nicht da, wie du sie darstellst! Denke nur nach, was es bei dir gekostet hat, bis du von der darin ruhenden Wahrheit nur eine Ahnung hast zu bekommen angefangen, und bis du endlich vollends ins klare kamst!

3. Wie warst du durch eine Menge von allerlei Wissenschaften und Erfahrungen vorbereitet und bereichert, wie durchläutert war schon dein Verstand, und doch begriffst du den Moses und den Jesajas nicht; es bedurfte einiger Worte, bis es bei dir im Herzen licht und hell zu werden begann!

4. Nun denke dir aber Menschen, die weder irgendeine höhere Wissenschaft noch eine Erfahrung voraushaben, und ein Apostel der neuen Lehre kommt und verkündet ihnen dieses wahrhafteste Evangelium aus dem Lichte der Himmel! Wie werden solche Menschen sich bei einer solchen Verkündung ausnehmen?!

5. Darum meine ich denn, daß wir den Herrn hauptsächlich darum angehen sollten, daß Er uns zeige, wie wir das Wort des Lebens auch lebendig überzeugend und ein neues Leben erweckend jenen, die uns anhören werden, mit verständlicher Rede beibringen sollen! Denn das erachte ich als das Notwendigste und in der Folge der guten Sache allein ersprießlichst Dienende!“

6. Sagt Philopold: „Du hoher Freund, angetan mit dem Gewande, damit Könige gezieret sind! Du hast zwar sehr wohl und recht gesprochen; aber es hat ja eben der Herr ohnehin Selbst die Verheißung gemacht, daß wir nicht nachzudenken nötig haben sollen, was wir in Seinem Namen reden würden, zur Stunde werde es uns ins Herz und in den Mund gelegt! Wenn das sicher und unfehlbar der Fall sein wird, so weiß ich dann nicht so recht, aus welchem Grunde wir darum den Herrn noch einmal angehen sollen!

7. Ich bin aber der Meinung, daß wir als spätere Verbreiter dieser Lehre der wundertätigen Kraft nicht völlig entbehren sollen; denn gegen die rohen Gewalten der Menschen richten nur die Wunder etwas aus. Der Mensch, der zu zwei Dritteln Tier ist, muß zuerst durch ein Wunder zum Stutzen und zum Denken gebracht werden, bevor man mit ihm über Gott und über des Menschen ewige Bestimmung reden kann.

8. Mit Menschen von nur einiger Bildung würde ein weises Wort auch ohne Wundertaten im günstigen Falle wohl genügen, aber gegenüber den rohen Gewalten ist ohne Wunderwerke nichts! Alle die halb und ganz verwilderten Völker sind zumeist durch ihre Beherrscher und Priester und stets durch deren falsche Wunder zu Halbtieren geworden. Das Wort verstehen sie nicht; aber eine wahre Wundertat, die stärker sein muß als eine falsche, bringt sie dahin, daß sie sich ans Stärkere zu halten beginnen, und hat man sie einmal für sich, so kann man dann mit ihnen erst eine zweckdienliche Schule zu halten anfangen.

9. Das ist so meine Meinung, und ich behaupte auch, daß man bei sogar sehr verstandesgeweckten Menschen mit einer Wundertat, wenn sie vom echten Schrot und Korn ist, stets mehr ausrichten und mit ihnen auch schneller zum Zwecke gelangen wird als durch eine noch so gewählte Rede! Denn auch der verstandesgeweckte Mensch lebt in einer gewissen Begründung, die schon darum falsch ist, weil sie eben eine Begründung ist, und solche Begründungen sind mit dem bloßen Worte nicht leichtlich aus der Seele zu bringen!

10. Betrachten wir uns selbst und fragen, was denn uns zuerst aus unseren Begründungen gerissen hat! Verhehlen wir es uns nicht! Eben die Werke waren es, die uns zeigten, wer Der ist, der sie gewirkt hatte!

11. Und so glaube ich, daß wir den Herrn um die Kraft, im Notfalle ein Wunder zu wirken, wohl vor allem angehen sollen!“

Kapitel 230. Die Nichtigkeit aller Missionssorgen.

1. Sagt Murel: „Liebe Freunde, ohne euch irgend nur im geringsten nahetreten zu wollen oder zu sagen, eure Wünsche wären nicht in der göttlichen Ordnung begründet, mache ich nur ganz einfach ohne etwelchen unnötigen Wortprunk diese Bemerkung, daß wir da rein wegen der Wendung eines einzigen Haares uns beraten, während der Herr schon sicher längst für alles fürgesorgt hat!

2. Es werden sicher Verfinsterungen über unsere geistige Sonne mit der Zeit ebensogut kommen, wie da gar oft die finsteren Wolken die liebe Sonne am hellen Tage derart verfinstern, daß man fürs erste nicht einmal eine Spur hat, auf welchem Himmelsflecke des Tages Mutter steht, und es fürs zweite noch obendarauf derart finster wird, daß man sich um Mittag ein Licht anzünden muß, um etwas sehen zu können. Aber die Wolken gebären darauf einen fruchtbaren Regen, und am nächsten sonnenhellen Tage lachen und strotzen die duftenden Fluren vom Segen des Himmels.

3. Und so glaube ich denn auch, daß des Herrn höchste Liebe und Weisheit über unsere geistige Erde auch zu öfteren Malen mitten am hellsten Mittage der menschlichen Erkenntnis und Weisheit trübe und finstere Wolken über das heilige Antlitz der Sonne unseres Geistes kommen lassen wird, um die Menschen desto lichtdurstiger zu machen. Im Verluste des Lichtes erkennen wir erst, wie groß und unschätzbar der Wert des wahren Lebenslichtes ist.

4. Die Menschen fangen dann bald ängstlich an zu fragen: ,Wo ist das Licht des Lebens?‘ Sie seufzen und weinen, und die Tränen, als der Regen aus den geistigen Wolken, fallen auf des beklommenen Herzens Furchen und beleben von neuem die hie und da verkümmert gewordenen Wurzeln des heiligen Wortes in der Seele, und wir leben dann mit den Wurzeln neu auf, und mit der neu gestärkten Sehe erschauen wir dann bald und leicht wieder die Lebenssonne in unserm neu erleuchteten Herzen und freuen uns dann über alle Maßen des neuen Lichtes, dessen wir in allerlei Zank und Hader eine Zeitlang entbehren mußten.

5. Ich sage es euch: Der Herr weiß es ganz sicher, was da noch alles kommen wird über unsern naturmäßigen und geistigen Erdkreis, und warum!

6. Darum scheint mir wenigstens unser Rathalten ein rein vergebliches zu sein. Wir werden von Ihm, so Er uns für Seine Zwecke als tauglich erachtet, sicher Wort und Tatkraft erhalten; aber vorzeichnen können wir Ihm doch nach unserer blöden Einsicht nimmer, was Er uns vor allem geben und was Er verfügen soll!

7. Denn wüßten wir nicht, wer Er ist, dann könnten wir mit Ihm wohl wie mit einem Menschen unserer Art handeln; aber da wir alle nun nur zu gut wissen, wer Er ist, so geht das wohl nicht mehr! Denn dadurch würden wir bekunden, daß wir entweder noch sehr blöde sind, oder wir dünkten uns nun am Ende schon für weiser denn Er! – Überdenket das wohl und saget es mir, ob ich im Grunde des Grundes nicht auch recht geurteilt habe!“

8. Sagt Mathael: „Das ist gar keine Frage mehr, daß du allein vollkommen recht hast! Meine Meinung ging aber eigentlich auch nur darauf hinaus, daß ich von mir aus erkannte, was da allenfalls nötig wäre, um der Menschheit für bleibend zum Lichte des Lebens zu verhelfen. Aber ich erkannte auch sogleich, daß ihr beide, und gar besonders der Freund Murel, um vieles heller geurteilt habt denn ich. Übrigens meine ich, daß es uns allen dreien am guten Willen nicht fehlt, und der Herr Selbst wird das Beste tun! – Aber nun, Freunde, von etwas anderem!“

Kapitel 231. Vom Tode Jesu und der Zukunft Seiner Jünger.

1. (Mathael:) „Wie wird sich diese Geschichte in Jerusalem etwa ausnehmen? Wir kennen des Tempels Nacht, dessen unbegrenzte Herrsch- und Habgier und die verborgene Feindlichkeit gegen die Römer. Wenn der Herr nun etwa doch auch einmal nach Jerusalem hinauf ziehen würde – was aus manchem Seiner früheren Worte zu entnehmen war –, welch ein Gesicht wird der Tempel und welches der herrsch- und wohllebenssüchtige Herodes dazu machen?!

2. Ich bin der Meinung, daß dies in Jerusalem eine ganz entsetzliche Aufregung jeder Art und Gattung zur unvermeidlichsten Folge haben wird! Da wird es entweder heißen: Feuer vom Himmel regnen lassen oder aus der Stadt alles Verderbens fliehen, um nicht auf das infamste insultiert (beleidigt) zu werden! Es wird aber da das eine wie das andere von sehr geringem Nutzen sein! Denn wo sich einmal der Satan sein Nest erbaut hat, da werden keine Tauben mehr ausgebrütet werden, so wie in den Löchern der Schlangen keine Hühner. Da kann man tun, was man will, so wird der Satan ein Satan bleiben, solange das letzte Sandkorn von dieser Erde bestehen wird. – Was meint ihr da?“

3. Sagt Philopold: „Das, hoher Freund, scheint mir ein wenig zu hoch über unserem Erkenntnishorizonte zu stehen! Dem allmächtigen und allweisesten Geiste Gottes wird etwa doch wohl alles möglich sein, und somit auch die Bezähmung Jerusalems!? Siehe an die stolze Stadt Cäsarea Philippi! Wo und was ist sie nun, die Stolze, die ihre Straßen mit Gold und Edelsteinen zu pflastern begann?! Einen erbärmlichen Schutthaufen wirst du antreffen! Meinst du, der Herr werde solches jüngst nicht auch über das hurerische Jerusalem kommen lassen?

4. Ich sage es dir: In hundert Jahren wird man sicher nimmer die Stelle anzugeben wissen, an der das stolze Jerusalem gestanden ist! Lassen wir denn nach der Meinung Murels auch das; denn der Herr wird es am besten wissen, was da zu tun sein wird!

5. Uns kümmere nun nichts, als daß wir selbst im Lichte des Herrn verbleiben; das andere wird schon Er allein anordnen und bestens verfügen! – Seid ihr beide nicht auch dieser Meinung?“

6. Sagt Mathael: „Es ist schon einmal alles also, wie Murel und Philopold es nun ausgesprochen haben; aber ich weiß nun noch etwas, das ihr beide wahrscheinlich nicht wisset, und das weiß ich aus dem Munde des Herrn Selbst, und weil ich das weiß, so redete ich auch also zu euch, wie ich geredet habe.

7. Der Herr als Mensch wird in einer Zeit nach Jerusalem ziehen, wird dort lehren und große Zeichen tun. Dadurch wird der Tempel sehr beeinträchtigt werden, in eine große Zornwut geraten und trachten, den Herrn zu ergreifen und Ihn zu töten, – ein Unternehmen des Tempels, wozu er schon jetzt die größte Passion (Lust) hätte. Und höret! Der Herr wird Sich vom Tempel ergreifen und leiblich töten lassen! Das sind Seine höchst eigenen Worte.

8. Aber Er wird nur drei Tage lang gewisserart scheintot verbleiben, natürlich nur dem Leibe nach, wird dann auferstehen und somit erst alle Nacht und ihr Gericht zerstören. Er wird allen Seinen Aposteln erst von da an die rechte Gewalt erteilen und sie versehen mit aller Kraft Seines Geistes, Seiner Weisheit und Liebe.

9. Seine zwölf alten Jünger, die von allem Zeugen sind und waren, wird Er sicher aussenden in alle Welt, zu verkünden Sein heiliges Evangelium.

10. Aber was wird von dort an mit uns sein? Weil wir nicht vom Anfange an Zeugen waren, wird Er uns wohl von jener Gnade etwas erteilen? Nun, das wird sicher geschehen! Was aber geschieht dann mit uns? Ihr beide habt es leichter und könnet gewisserart lachen zum Ganzen; ich aber muß fort, vielleicht morgen oder übermorgen, weit von hier in die kalten Gegenden des Pontus und werde dort die rohen Völker zu leiten und zu regieren haben und fortan nicht mehr Zeuge sein können von all dem, was vom Herrn noch in der Folge gelehrt und verrichtet wird! Wer wird mich davon benachrichtigen, und wer wird es mir sagen, ob meine Leitung der Völker wohl eine dem göttlichen Willen vollkommen entsprechende sein wird?“

Kapitel 232. Das Gewissen und der Einfluß der Engel.

1. Hier tritt Raphael, der natürlich auch nicht schlief, zu den dreien und sagt zum Mathael: „Meinst du, wir zahllosen Engelsgeister, und hier speziell ich, stehen dem Herrn nur hier auf diesem Hügel zu Diensten?

2. Siehe, wie hier nun vor deinen Augen ersichtlich, stehen wir dem Herrn stets zu den hohen Diensten bereit und tragen Seinen Willen von einer Unendlichkeit zur andern, und sei versichert, daß wir dich in deinen Pontusgegenden ganz sicher finden und dich allzeit von allem in Kenntnis setzen werden, was dir nach der Ordnung Gottes zu wissen not tun wird! Geschehe da, was es wolle, so wirst du, wenn dein Wille bleibt, wie er nun ist, von allem dir Nötigen im Augenblick in Kenntnis gesetzt werden, und ein mehreres brauchst du vorderhand wohl nicht.

3. Würdest du aber als König in den gewöhnlichen Herrscherhochmut übergehen und dich sogestaltig abwenden vom Herrn und also auch von uns, dann freilich erführst du nichts Weiteres vom Reiche Gottes und Seiner unermeßlichen Gnade!

4. Sorge du dich sonach um nichts anderes, als daß du verbleibst in der Gnade und vollen Liebe des Herrn, – alles andere wird dir von selbst hinzufallen!

5. Hättest du dich von allem, was der Herr noch in der Folge auf dieser Erde persönlich wirken wird, selbst überzeugen können, und würdest dich aber dann doch in irgendeiner Art von der Welt verlocken lassen, so nützte dir dann alles das Gesehene und Gehörte ebensoviel, als hättest du nichts gesehen und gehört! So du aber fortan bleibst in der Gnade und Liebe des Herrn dadurch, daß du dich von der Welt nicht blenden läßt, sondern den Herrn gleichfort liebst über alles und alle deine Nächsten wie dich selbst, so wirst du, und wärst du auch in der fremdesten und entferntesten Welt, dennoch in alles eingeweiht werden, was der Herr irgend tun wird, – inwiefern das zum Heile deiner Seele erforderlich ist. Denn gar alles, was der Herr in der ganzen Unendlichkeit will und anordnet, ist für das Heil deiner Seele gar nicht notwendig!

6. Siehe, der Herr ordnet auf jeder der zahllosen Welten stets etwas an, was dort zu geschehen hat; aber solches taugt eben nur für jene Welt, für die es angeordnet ist, und das taugt für das Heil deiner Seele gar nicht! Auch hat der Herr für den Bestand dieser Erde stets so manches anzuordnen, das dich auch nichts angeht; was Er aber anordnen wird zum Seelenheile der Menschen, davon wird dir nichts vorenthalten werden! – Bist du damit zufrieden oder nicht?“

7. Sagt Mathael: „Mein erhabener Freund aus den Himmeln Gottes! Ich bin damit vollauf zufrieden und brauche nichts mehr als das einzige nur, daß ich von dir ermahnt werde, so ich durch manche Verhältnisse vom Herrn und von Seiner Ordnung nur irgend im geringsten abwiche! Denn ein Stupfer zur rechten Zeit ist mehr wert als eine Welt voll der größten Schätze!“

8. Sagt Raphael: „Auch dies würde ohne dein Verlangen allzeit geschehen sein. Denn sieh, ein jeder Mensch hat ein geistiges Organ in seinem Herzen, das uns Engeln Gottes stets offen steht und unbehindert zugänglich ist! Dieses Organ vertritt stets die einfachen Begriffe: gut – schlecht, wahr – unwahr, recht – unrecht.

9. Tust du gleichfort das Gute, Wahre und Rechte, so wird von uns der bejahende und gute Teil des Organs angerührt, und in dir entsteht dadurch das lohnende Gefühl, daß du gut und recht gehandelt und geredet hast.

10. Hast du aber irgend nicht gut gehandelt und geredet, so wird von uns das Gegenteil des Organs erregt, und es wird dich ein Bangen ergreifen und dir sagen, daß du aus der göttlichen Ordnung getreten bist. Und dieses Organ heißt in der moralischen Sprache ganz fein das Gewissen.

11. Du kannst dich auf diese Stimme gar treu verlassen, sie wird dich nie und nimmer trügen! Es müßte nur sein, daß jemand dieses Organ so abstumpfen ließe, daß es am Ende als ein zu materiell gewordenes unsere Berührung gar nicht mehr wahrnähme; da wäre es aber dann mit dem geistigen Teile des Menschen ohnehin schon so gut wie völlig verloren! Das aber wird wohl bei dir sicher ewig nie der Fall werden, weil du in der Gnade und Liebe des Herrn schon einen zu großen Vorsprung gemacht hast und der Herr dich samt deinen Gefährten ganz neu umgestaltet und organisiert hat. Deine Seele ist wohl noch die alte, in der des Herrn Liebe als Sein Geist bereits gar mächtig zu walten begonnen hat; aber dein altes, arges Fleisch ist vom Herrn umgewandelt worden, daß es nicht drücke deine Seele.

12. Du müßtest nur in deinem Herzen fest wollen vom Herrn abfallen, da würde dein Fleisch auch verwildert werden, wie dereinst das des Esau, dem wider des Vaters Willen die Jagd nach wilden Tieren mehr Vergnügen schaffte als die Wache über die zahmen Herden des Vaters. Aber bei dir ist auch eine solche Verwilderung unmöglich, weil deine Seele schon zu mächtig und allgemein vom Geiste der Liebe zum Herrn durchdrungen ist.

13. In kurzer Zeit wird deine Liebe zum Herrn durch die Tätigkeit der Nächstenliebe in die intensive Wesenheit und Form übergehen und dann mit der Seele völlig eins werden; da wirst du im Geiste und in der Wahrheit wiedergeboren sein und in die geistige Ehe mit der Urliebe in Gott eingehen und mit ihr dadurch ebenfalls eins werden.

14. Dadurch aber wird Gottes Liebe dir gegenüber auch erst wesenhaft werden und eine Form annehmen, und du wirst dann Gott allzeit schauen und sprechen können, und es wird der Herr, so wie hier leiblich nun dir sichtbar und deinem Herzen vernehmbar, dein Führer und Lehrer sein und bleiben für ewig. Und da wird es wohl keine Möglichkeit mehr sein, dich vom Herrn abzuwenden in deinem Herzen und in deiner Erkenntnis; denn da wirst du im Wollen und Erkennen als ein echter und wahrer Sohn des ewigen Vaters völlig eins sein mit Ihm. – Verstehst du solches?“

15. Sagt Mathael: „Ja, wohl verstehe ich es und bin nun ganz in allem beruhigt!“

Kapitel 233. Ein Meteor.

1. Während aber Mathael noch etwas sagen wollte, flog ganz nieder ein großes und sehr stark leuchtendes Meteor und verursachte durch den schnellen Flug ein eigenes, wohl vernehmbares Sausen in der Luft; denn es war im ganzen über dem Erdboden nur bei achthundert Klafter Höhe entfernt. Hinter dem Meteore war ein langer Schweif ersichtlich, der sich scheinbar dem fliegenden Meteore nachzog. Alle drei erschraken über diese Erscheinung und fragten allereiligst den Engel, was denn nun das gewesen wäre.

2. Der Engel aber, statt den dreien sogleich mit einer Antwort und Erklärung aufzuwarten, schoß dem Meteore nach und brachte es in wenigen Augenblicken zu den dreien als eine etwas plumpe Kugel von zweieinhalb Klaftern Durchmesser, stellte diese auf einen freien Platz und sagte dann zu den dreien: „Nun, da kommet her und betrachtet diese Erscheinung ohne Scheu; niemandem von euch wird dabei ein Haar gekrümmt oder gesengt werden!“

3. Die drei erheben und nähern sich mit großer Bescheidenheit dem noch gleichfort stark leuchtenden Meteore. In der Nähe merken sie einen stark schweflichen Geruch, und der ganze, bedeutende Klumpen sieht in der Nähe vollkommen einem Bimssteine sichtlich ähnlich, und aus den größeren Poren schießen bläulichweiße Flammen hervor und verursachen ein eigenes Zischen und leises Pfeifen und Prasseln. Manches Flämmchen ist noch sehr hell, manches aber auch schon matt.

4. Jetzt erst fragt Mathael wieder den Engel, sagend: „Nun, was ist denn das für ein Ding, wie und wo entstand es? Es scheint eine ziemlich feste Masse zu sein und muß für unsere Menschenkraft ein großes Gewicht haben. Gehe, lieber himmlischer Freund, erläutere uns das ein wenig!“

5. Sagt der Engel: „Dieser Klumpen war vor einer halben Stunde noch ein Anteil der Sonne. Durch einen großen Feuerkrater, darin es gewaltigst tobte, ward er nebst vielen andern mit einer unbegreiflich großen Gewalt hinausgeschleudert in den großen Weltenraum. Wie zufällig bekam dieser Klumpen die Richtung gegen diese Erde. Mit mehr als des Blitzes Schnelligkeit flog er durch den Äther und erreichte schon hinter dem Weltteile Europa die Atmosphäre dieser Erde, die er anfangs nur an der Oberfläche streifte. Als er im nächsten Moment aber tiefer sank und einen großen Widerstand an der stets dichteren Atmosphäre dieser Erde fand, ward seine Wurfschnelle sehr gemindert; bis er in diese Region kam, machte er in vier Augenblicken Zeit nur zwanzig Stunden Weges. Als ich ihn einholte, war er dennoch schon nahe über ganz Asien und wäre in zehn Augenblicken ins große Erdmeer gefallen; aber es wollte der Herr also, daß ihr auch in dieser Hinsicht eine Aufklärung erhaltet und nicht in einem fort glaubt, daß da ein böser Geist über die Erde fliege, um ihr und den Menschen einen Schaden zuzufügen. Nun habt ihr den bösen Geist vor euch und könnet daraus lernen, daß dies eine ganz natürliche Erscheinung zwischen den großen Weltkörpern ist.“

6. Sagt Murel: „Aber wie kam es denn, daß er in der Luft gar so stark leuchtete, und hier aber wird er nun stets matter und matter im Leuchten?“

7. Sagt Raphael: „Das starke Leuchten bewirkt der übermäßig schnelle Zug durch die Luft; er reibt sich mächtigst an den Teilchen der Luft und drückt sie sehr stark, weil sie ihm nicht schnell genug entweichen kann. Die Luft aber, wie sie hier ist, entzündet sich, wenn sie irgend zu stark gepreßt oder gedrückt wird; und weil sich die Luft auf der ganzen Zugstrecke eines solchen Meteors in einem fort entzündet, so ist es denn auch an der Stelle, da ein solches Meteor auf seinem Zuge sich befindet, stets blitzhell, und weil hinter dem gar so heftig fliegenden Meteore ein luftleerer Raum gebildet wird, dessen Wände noch ganz feurig affiziert (erregt) sind, so ersieht man hinter dem Meteore auch stets einen abnehmend heftig glühenden Schweif, der an und für sich bloß nur eine Erscheinung und keine Realität mehr ist.

8. Fühlet nur diese Masse, wie glühend heiß sie noch ist, und ihr werdet euch leicht vollkommen von dem überzeugen, was ich euch von dieser Sache nun erklärt habe! Noch einen Beweis kann ich euch auf ganz natürliche Weise liefern, und zwar dadurch, weil mir so ein Experiment möglich ist, daß ich einen hier liegenden Stein nehme, ihn in Blitzesschnelle durch die Luft schleudere, und mir dienstbare Geister sollen ihn nach wenig Augenblicken wieder hierher bringen, und ihr werdet euch überzeugen, wie dieser nur etliche Pfund schwere Stein sogleich ebenso stark leuchten wird, wie stark zuvor dieses Meteor geleuchtet hat.“

9. Hier schleuderte Raphael den Stein mit der furchtbarsten Gewalt in die Luft, und die dienstbaren Geister trieben denselben einige Augenblicke mit mehr denn Blitzesschnelle kreisförmig nur wenige Klafter hoch in der Luft herum. Nebst einem stark sausenden Getöse leuchtete der Stein so stark, daß die ganze Gegend weit herum wie am hellen Tage erleuchtet war und die drei eigentlich nur einen sonnenhell leuchtenden Kreis vor sich sahen, weil die Bewegung des Steines eine zu schnelle war, als daß ein menschliches Auge seinen Fortzug hätte wahrnehmen können.

10. Nach wenigen Augenblicken ward der Stein wieder von den dienstbaren Geistern, als noch im höchsten Grade glühend, ganz ruhig vor die drei erstaunten Beobachter auf den Boden gelegt, und Raphael sagte: „Da habt ihr das schnell und ganz leicht bewirkte Experiment nun vor euch; findet ihr einen Unterschied zwischen diesem nun künstlich und jenem natürlich bewirkten Meteore?“

11. Sagt Mathael: „Nein, durchaus ganz dieselbe Erscheinung; nur ist natürlich das Volumen verschieden! Aber es drängt sich mir nun dennoch eine Frage auf, und diese besteht darin: Daß es dir, der du uns schon gar manches Pröbchen von deiner unbeschreiblichen Fertigkeit und Kraft gegeben hast, wohl sehr leicht möglich ist, so einen Stein mit der unglaublichsten Gewalt und Schnelle derart hinauszuschleudern, daß die Luft durch des geworfenen Steines zu ungeheure Schnelligkeit auch zu sehr gepreßt sich entzünden und den Stein selbst in Kürze allerglühendst machen muß, – dazu bist du einer der mächtigsten Engelsgeister, der mit ganzen Weltkörpern, wie wir mit Haselnüssen, spielen und eine Sonne sogar in einem Augenblick in eine derartige Tiefe des endlosen Schöpfungsraumes hinausschleudern könnte, daß ein Blitz hunderttausendmal hunderttausend Jahre zu tun hätte, um sie zu erreichen! Für ein solches Experiment ist dir sonach von Gott die uns freilich wohl noch sehr unbegreifliche Kraft und Macht verliehen; aber wie kann die Sonne als nur ein träger Naturkörper aus sich heraus auch eine solche Macht entwickeln?“

Kapitel 234. Das Wesen der Materie.

1. Sagt Raphael: „Oh, meinst du denn, daß es in der Sonne keine dienstbaren Geister gibt? Ich sage es dir und euch beiden andern: Weder in der Sonne, noch auf dieser Erde geschieht irgend etwas ohne einen dienstbaren Geist; denn alles, was du ansiehst und anrührst, ist im Grunde ja alles Geist. Die gröbste Materie sogar ist Geist, Seele, – aber nur in einem gerichteten Zustande. Beleidigest du die im tiefen Gerichte wie tot ruhenden Geister zu sehr durch Flug, Stoß und Druck, so werden sie dich bald ihre Macht und Stärke fühlen lassen!

2. Seht, die Luft ist gewiß etwas gar sehr Sanftes und weich Zartes; wird sie aber irgend durch einen zu gewaltigen Stoß oder Druck aus ihrem Gleichgewichte gebracht und zu sehr in ihrer Ruhe gestört, so reißt sie die dicksten und kräftigsten Baumstämme aus der Wurzel, macht die Erde erbeben, entzündet sich in tausend verheerenden Blitzen und wird zum furchtbarsten Elemente!

3. Wer aber wütet dann so grimmig in und durch die Luft? Die in ihr ruhenden und eigentlich sie ausmachenden Geister und gerichteten Seelen!

4. Schlage du mit zwei Steinen recht heftig aneinander, und es werden sich die in ihnen gebannten Geister bald melden und die ganze Steinmasse, so hart sie auch sein möchte, in die kleinsten Staubteilchen zerstören, bei welcher Gelegenheit es an feurigen Erscheinungen keinen Mangel haben wird!

5. Nimm das Wasser und setze es einem möglichst stärksten Drucke aus! Zuerst wirst du dir dadurch einen Eisklumpen zeihen, der auch ganz solid und noch in aller Ruhe das ihn enthaltende noch so feste Gefäß zerstören wird; könntest du das Eis aber noch einem größeren Druck unterziehen, so wird es sich plötzlich in einen Feuerdampf auflösen und alles, was ihn zu halten sich bemüht, mit dem furchtbarsten Getöse und Gekrache zerstören!

6. Solange die in der Erscheinlichkeit der Materie gebannten Geister und Naturseelen nicht beleidigt werden, ruhen sie freilich wie tot und lassen vieles aus sich machen und formen; werden sie aber einmal irgend zu sehr aus ihrer ordnungsmäßigen Ruhe geweckt, da wehe dem, der sich in ihrer Nähe befindet!

7. Die Anwesenheit der Geister in der Materie aber läßt sich gar leicht erkennen. Wenn sie zu einer außerordentlichen Tätigkeit genötigt werden, so werdet ihr stets nach dem Grade der Stärke und Heftigkeit einer geistigen Tätigkeit ein Leuchten ersehen. Je stärker das Leuchten, desto heftiger ist die Tätigkeit der in irgendeiner Materie tätig gewordenen Geister.

8. Wie tätig demnach die Sonnenluftgeister besonders auf deren Oberfläche sind, das beweist der Sonne heftigstes Licht.

9. Mit welcher Heftigkeit aber dann aus der Sonne bei Gelegenheit ihrer großen Eruptionen (Ausbrüche), bei denen ihrer Materie Geister in die größte Unruhe und Tätigkeit versetzt werden, ein solcher Klumpen hinausgeschleudert wird, könnet ihr euch schon aus der Heftigkeit des Sonnenlichtes einen leisen und ahnungsweisen Begriff machen!

10. Ja, ich versichere es euch: Im Schoße der großen Sonne gibt es nicht selten so mächtige Eruptionen, daß deren Kraftäußerungen mit Klumpen in der Größe dieser Erde ebenso herumspielen würden, wie hier auf dieser Erde der Wind mit der leichten Spreu spielt! Und so wird es euch desto begreiflicher sein, wie und mit welcher schnellsten Leichtigkeit dieser Klumpen aus der Sonne auf diese Erde herabkam!“

11. Sagt Murel: „Wenn aber ungezweifelt also, da ist dieser Klumpen am Ende von einem unschätzbaren Wert, und man sollte ihn zum ewigen Angedenken als etwas Außerordentlichstes in ein Museum bringen!“

12. Sagt Raphael: „Da müßtest du dann schon gleich die ganze Erde in ein Museum stecken; denn die ganze Erde ist ebenfalls von dorther, von woher dieser Klumpen ist!“

13. Sagt Murel: „Wenn so, was ist dann von der Schöpfungsgeschichte Mosis zu halten?“

14. Sagt Raphael: „In dieser Hinsicht wende du dich an den Freund Mathael! Der ist in dieser Beziehung ganz zu Hause; auch Philopold hat darin ganz gewichtige Kenntnisse!“

Kapitel 235. Der Sinn der Mosaischen Schöpfungsgeschichte. Ein übersinnliches Erlebnis Mathaels.

1. Fragt nun Murel dasselbe den Mathael, und dieser sagt: „Was Moses von der Schöpfung sagt, hat mit der Erschaffung der Welt gar nichts zu tun, sondern allein nur mit der Bildung des Menschen von der Wiege angefangen bis zu seiner Vollendung hin; also wird dadurch auch die Gründung der Kirche Gottes auf Erden bis auf diese Zeiten und fortan bis ans Weltende damit angedeutet.

2. Unter ,Himmel und Erde‘ ist zu verstehen der neue Erdenmensch gleich von der Geburt an. Der ,Himmel‘ bezeichnet seine innersten, verborgenen, geistigen Fähigkeiten, und die leere und wüste ,Erde‘ bezeichnet den neuerstandenen Naturmenschen, der seines Seins kaum bewußt ist; – erstes Stadium des Menschen.

3. Mit der Zeit gelangt das Kind zum Selbstbewußtsein und fängt an zu träumen und zu denken. Das ist das ,Es werde Licht!‘ im Menschen, daß er wisse, daß er ist; – zweites Stadium.

4. Und so geht das durch alle andern Schöpfungstage bis zum Ruhestadium der Vollendung des Menschen! – Sage mir, ob du davon etwas zu fassen beginnst!“

5. Sagt Murel ganz erstaunt über die Bibelweisheit des Mathael: „Nein, hoher Freund, diese Weisheit hätte ich in dir nie und nimmer gesucht! Ah, auf diese Weise, die ich nun für die allein richtige erkenne, möchte ich mir von dir wohl die ganze Schrift erklären lassen! Ja, da gehört viel dazu, bis eine Menschenseele in diese Tiefe der Weisheit gedrungen ist! Wie aber bist denn du dazu gekommen?“

6. Sagt Mathael: „Mein Freund Murel, das ist doch auf diesem Platze, auf dem wir uns nun befinden, keine Frage mehr! Der Herr unter uns, – da ein Engel aus den Himmeln, der sicher Zeuge von aller materiellen Schöpfung war! Ich selbst war von meiner Jugend an schon ein Gelehrter der Schrift im Tempel, aus welchem Grunde man mich auch als Apostel zu den Samaritanern gesandt hatte; aber ehe ich noch mit den Samariten ein Wort reden konnte, machte Jehova einen Strich durch meine Rechnung: ich geriet unter arge Straßenräuber und mußte, um mein Leben zu erhalten, selbst ein arger Straßenräuber werden.

7. Da ich mich aber von Gott gar so mächtig verlassen sah, ohne daß ich in mir selbst dafür einen Grund finden konnte, so ärgerte mich das tief. Ich ward anfangs ungläubig und fing an, die ganze Schrift für ein Menschenmachwerk zu halten; aber ich ward durch eine sonderbare Erscheinung bald eines andern belehrt.

8. Ein Mann voll bittern Ernstes kam in einer Nacht, als ich allein vor der fürchterlichen Räuberhöhle Wache hielt, zu mir. Ich durchbohrte ihn sogleich mit meinem Schwerte. Er aber sprach: ,Gib dir keine Mühe mit deiner elenden Waffe; denn einen unsterblichen Geist tötet ewig keines Sterblichen Waffe! Ich bin der Geist Abrahams und frage dich, warum du Gott verlassen und Seinen Namen verfolgen willst!‘

9. Sagte ich, Mathael, voll Zornes darauf: ,Wozu verfolgte mich Gott zuerst, da ich doch in Seinem Namen zu den Samariten gesandt ward, um sie alle für den Tempel zu gewinnen!? Meine Absicht war ehrlich und redlich vor Gott und vor allen Menschen, weil sie ehrlich und redlich war vor meinem Gewissen. Gott hat mir vom Anbeginne meines Seins nur mein Gewissen zu meinem Richter gegeben, und ich lebte gerecht vor diesem innern, strengen Richter. Ich selbst habe mich nicht zu den Samariten ausgesandt, sondern der Hohepriester als Stellvertreter Mosis und Aarons.

10. War es unrecht, daß ich zu den Samariten ausgesandt wurde, so hätte dafür Gottes Weisheit nicht nötig gehabt, mich, sondern nur den allein zu züchtigen, der mich ausgesandt hatte; da sie aber mich, den Unschuldigen, ergriff, so bin ich von diesem Augenblicke ein ärgster Feind Jehovas, dessen Apostel an mich du, bitterer Geist, zu sein scheinst!‘

11. Da sprach der Geist, noch bitterer aussehend: ,Kennst du Gottes Macht und Zorn? Wie willst du, ohnmächtiger Wurm des Staubes, dem allmächtigen Gott Trotz bieten?! Kann dich Seine Macht denn nicht ergreifen und elendst vernichten, als wärest du nie dagewesen?!‘

12. Sagte ich: ,Das kann sie sicher tun; denn für ein solches Dasein, das ich nun habe, kann ich ihr nur ewig fluchen! Bin ich aber durchaus nicht mehr, so hat auch mein gerechter Zorn und Grimm gegen sie ein ewiges Ende!‘

13. Der bittere, ernste Geist aber sagte: ,Du kannst Gott nicht gebieten, daß Er dich vernichte! Er kann dich quälen, ewig hindurch, mit den erschrecklichsten Schmerzen und Peinen, und es würde sich dann weisen, wie lange du der Allmacht Gottes Trotz bieten würdest!‘

14. Da sagte ich voll des glühendsten Zornes: ,Das kann Gott tun, wenn es Ihm eine besondere Freude macht, ein Geschöpf ewig zu quälen, bloß um demselben Seine Allmacht gleichfort zu zeigen! Aber das beteure ich dir, du bitter ernster Geist, daß Gott, noch tausend Male allmächtiger, als Er ist, meinen Sinn mit allen Ihm erdenklichen Qualen ewig nie beugen wird!

15. Mit Güte, Sanftmut und erweisbarer Gerechtigkeit kann Er mit mir alles ausrichten, Er kann mich zu einem Lamme der Lämmer machen; mit Seinem Zorne aber zu einem Teufel der Teufel! Bis jetzt hat mir Gottes Allmacht nur ein qualvollstes Leben gegeben, für das ich ihr ewig nicht danken werde; fällt es ihr vielleicht einmal ein, gegen mich barmherziger zu werden und an mir das gutzumachen, was sie allmachtslaunig an mir verbrochen hat, so werde ich ihr dann auch dankbar werden! So aber, wie die Dinge nun stehen, bin ich Jehovas entschiedenster Feind! Denn in Seinem Namen zog ich voll Ernstes von Jerusalem nach Samaria, um dort Seine Ehre und Sein Lob zu verkünden; dafür ließ Er mich von Teufeln ergreifen und überwältigen!

16. Es mag ja sein, daß meine Sendung dahin Ihm nicht genehm und wohlgefällig war! Konnte Er aber den falschen Propheten Bileam durch dessen Esel zurechtweisen, warum mich und meine Gefährten nicht durch unsere Esel, die uns und unser Gepäck trugen?! Warum lieferte Er uns den Teufeln in die Krallen?!

17. Gib Antwort mir, oder aus meinem Munde trifft dich ein Fluch, wie er über dieser Erde Boden noch nie ausgesprochen wurde!‘ – Da entschwand der Geist, und ich fiel besinnungslos zur Erde!“

Kapitel 236. Die Unbegreiflichkeit harter Führungen. Der Verkehr mit dem Herrn im Herzen.

1. (Mathael:) „Von diesem Zeitpunkte an verlor ich das helle Selbstbewußtsein, und soviel ich mich nun rückzuerinnern vermag, so ward mein Leib von bösesten Geistern in den aktiven Besitz genommen, und ich ward ein Schrecken der ganzen Gegend! Mein Fleisch durchbohrte keine Lanze und kein Speer, und die dicksten Fesseln flohen von meinen Händen wie Spreu! Der Kampf mit einem oder mit tausend Menschen war mir eins; die mich ergriffen, wurden gar übel zugerichtet und viele getötet! Doch davon wußte meine Seele nichts.

2. Nach dem Ratschlusse Gottes wurden wir fünf jüngst dennoch von den Römern gefangengenommen und vorvorgestern hierhergebracht. Hier erlöste uns der Herr von unserer großen Qual. Meine Seele wurde wieder die alleinig vollintelligente Einwohnerin dieses Fleisches, und Moses war wie zuvor in ihr. Der Herr aber erleuchtete alle Irrgänge meines Herzens, und – höre! – ich verstand nun erst Moses und die Propheten!

3. Wenn nun Abrahams Geist zu mir käme, würde ich mit ihm sicher eine ganz andere Sprache führen als vor ungefähr fünf Jahren! Genau weiß ich dir die Zeit in keinem Falle anzugeben; aber es sind sicher mehrere Jahre seither verronnen. – Nun weißt du, wie ich zum Verständnisse der Schrift kam!

4. Ich wünsche es zwar niemand, auf meinem Wege hinter Moses zu kommen, weil es nun einen leichteren gibt; aber weil du, Murel, mich gewisserart gefragt hast, wie ich zu solch klarem Verständnisse der Bücher Mosis kam, so mußte ich dir ja doch meinen traurigen Weg zeigen, und du kannst dir nun das andere leicht selbst denken!

5. Das andere und endlos Leichtere aber ist nun des Herrn Gnade, die dir das in wenig Augenblicken geben kann, was ich auf dem dornigsten Wege erreicht habe.

6. Hier aber steht der Engel des Herrn, frage ihn, und er wird es dir zeigen, wie sehr wahr ich nun dir meine und meiner vier Gefährten Geschicke enthüllt habe! – Was sagst du nun zu all dem?“

7. Sagt Murel: „O Freund Mathael, du hast entsetzlich viel ausgestanden und hattest einen Mut, der in der Welt zu suchen ist! Du warst ein Teufel zwar, und doch war dein Herz kein verdorbenes, denn es verlangte Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe, und weil es das verlangte, so erhielt es nun auch das Verlangte; denn der Herr läßt kein aufrichtiges Herz zugrunde gehen!

8. Aber warum der Herr dich und deine vier Gefährten gar so hart hergenommen hat?! Denn wegen der Sendung nach Samaria zur Bekehrung der Samariten zum Jerusalemitischen Glauben kann ich mir's denn doch nicht so ganz vorstellen, wie darin etwa einzig und allein der Grund zu suchen sein sollte von solch einer Bescherung! Da muß etwas anderes dahintergesteckt haben!“

9. Sagt Mathael: „Das sicher, aber ich weiß noch heutigentags darüber nichts, und aufrichtig gesagt, – es hat mich auch gar nicht danach verlangt; aber nun möchte ich selbst auch darin ein kleines Lichtlein überkommen! – Unser Raphael könnte uns da wohl ein Lichtlein geben, so er gerade bei guter Laune wäre!?“

10. Sagt Raphael: „Auf mich und meine Laune kommt es da wie nirgends an, sondern allein auf den Willen des Herrn; denn mein Sein ist ja nichts als der pure Wille des Herrn! Wende dich darum in deinem Herzen an den Herrn, und es wird deinem Wunsche sicher willfahrt werden!“

11. Sagt Mathael: „Wäre alles recht, wenn der Herr nicht schliefe; aber Er schläft nun, und es wäre wohl sehr unschicksam, Ihn darum zu wecken!“

12. Sagt Raphael: „Bist auch noch ein wenig schwach! Sein Leib wohl schläft nun ein wenig; aber Seine Seele und Sein ewiger, heiligster Geist nie und nimmer! Was wäre mit der ganzen Schöpfung, so der Herr nur einen Augenblick ihrer vergäße?! In einem schnellsten Momente wäre es völlig aus mit ihr; keine Sonne, kein Mond, kein Stern in der ganzen ewigen Unendlichkeit und keine Erde, die dich trägt, bestände mehr, auch kein Engel und Mensch würde sich irgend mehr aus sich heraus erhalten können!

13. Alles, was da ist, wird in einem fort vom allmächtigen, ewig gleichen und unwandelbarsten Willen des Herrn erhalten, ohne den kein Dasein denkbar ist.

14. Wenn also und unmöglich anders, wie kann es dir beifallen, zu denken, Er könnte einmal schlafen und somit im Schlafe nicht innesein, wessen die unendliche Schöpfung in jedem Momente des Seins benötigt.

15. Der Herr weiß es genauest, was du nun denkst und willst; denn da ich es weiß, so muß es der Herr ja lange zuvor wissen, weil ich es sonst unmöglich wissen könnte! Denn alles, was wir Engel wissen und erkennen, das wissen und erkennen wir nur aus dem Herrn. Nun weiß ich aber um alle deine Prüfungen und harten Proben; wer sonst als nur der Herr könnte sie mir offenbaren? Du nicht, und eines andern Geistes Mund und Sinn auch nicht, weil ich solches alles ohne des Herrn Sinn und Willen nicht vernehmen könnte!

16. Wie aber ich alles nur allein aus dem Herrn unmittelbar fasse, erkenne und weiß, so kannst es auch du, – aber freilich nur allezeit insoweit, als du dazu in deinem Herzen befähigt bist!

17. Frage also den Herrn in deinem Herzen, und wir werden es sehen, ob dir keine Antwort ins Herz gelegt wird!“

Kapitel 237. Die Gründe der schweren Führungen Mathaels.

1. Hier stellte Mathael die vorerwähnte Frage in seinem Herzen an Mich, und Ich legte ihm sogleich ganz offen folgende Antwort ins Herz, die er sogleich den dreien laut also vortrug: „Der Herr war mit den Samariten, dieweil sie von der verpesteten Lehre Jerusalems sich getrennt hatten und zum reinen Moses und Aaron zurückgekehrt waren. – Du, Mathael, aber warst ein wohlerfahrener, kräftiger Redner und hattest in dem, was du dir vorgenommen, einen unbeugsamen Sinn. Der Herr kannte das und sah, daß du Ihm unter den reiner, gläubigen Samariten einen großen Schaden angerichtet haben würdest, so du mit ihnen in eine didaktische (belehrende) Berührung gekommen wärest. Daher ließ dich der Herr mit deinen Gefährten unter die berüchtigsten Straßenräuber kommen, wohl wissend, daß du derer nicht eher los wirst, als bis dein steifer Sinn ganz weich und lenksam gemacht werden würde. Solange du im vollsten Bewußtsein unter den Räubern selbst Miträuber warst, wollte sich dein Sinn durchaus nicht beugen, im Gegenteile hattest du einen ganz pfiffigen Plan gefaßt und hast die etlichen fünfzig Räuber samt ihren Weibern und Kindern dahin gebracht, daß sie der grundfalschen Lehre Jerusalems ganz hold wurden, weil sie in ihr sogar eine Gewähr und ein sicheres Asyl für ihr Raubhandwerk fanden.

2. Als du sie so weit gebracht hattest, um schon am nächsten Tage als Anführer von nun mit dir gezählt fünfundfünfzig Aposteln zum Wohle Jerusalems und deinem eigenen in Samaria einzufallen und dort mit der unerbittlichsten Strenge die Lehre Jerusalems einzuführen und jeden Widersacher über deines Schwertes Schärfe springen zu lassen, da ließ es der Herr zu, daß du von dem alten Geiste Abrahams gemahnt wurdest.

3. Da aber auch diese Erscheinung dich nicht umzustimmen vermochte, da erst ließ es der Herr zu, daß deine Seele sich in ihrem Fleische verbergen mußte, dafür aber dein Leib von vielen Teufeln in den Besitz genommen worden ist. Von der Zeit an wardst du samt den Gefährten ein Schrecken der Gegend!

4. Selbst deine fünfzig Raubapostel entflohen aus jener Gegend und wurden zu ordentlichen Menschen, und weil sie gar wohl ersahen, was Schreckliches da über dich und deine vier Gefährten – wegen des vorgefaßten argen Planes mit den zu bekehrenden Samariten – gekommen war, so gaben sie auch für sich jedes noch so entfernte Vorhaben auf, die Samariten für Jerusalem zu bekehren.

5. Und so hatte der Herr einen sehr wirksamen und heilsamen Strich durch deine höchst unordentliche Rechnung gemacht und ließ dich so lange im Gerichte der Hölle gefesselt stecken, bis in deiner Seele ein lenksamer Sinn sich eingestellt hatte.

6. Der Herr aber wußte auch, woher deine Seele stammte, und wie und warum sie so unbeugsam war, und ließ darum denn auch solches Allerbitterste über sie kommen, weil sie auf jede andere Weise nie und nimmer zurechtgebracht worden wäre.

7. Es besteht in weiter Ferne eine eigene Erde (Welt) im Bereiche der um diese eine Sonne kreisenden Planeten, die bis jetzt kaum irgendeines Sternkundigen Auge geschaut hat. Auf dieser Erde (Uranus) leben sehr hartsinnige Menschen, die von einem einmal gefaßten Plane und Vorhaben nicht eher abzubringen sind, als bis dasselbe ins Werk gesetzt wurde. Von solcher Welt werden auch dort ausgezeitigte Seelen wegen der Erreichung der Kindschaft Gottes auf diese Erde ins Fleisch gesetzt und behalten noch sehr vieles von ihrer Sinnessteife.

8. Du bist aber gewisserart auch ein solcher Fremdling auf dieser Erde, stammst deiner Seele nach von jener Welt ab und warst darum so steifsinnig und unbeugsam in deinem Vorhaben.

9. Um diese deine Seele beugsam zu machen und deine anderweltliche Seelennatur also zu gestalten, daß sie für die rechte und freieste Wahrheit aus Gott empfänglich werde, um eingehen zu können in die göttliche Liebe und durch sie in die vollwahre Kindschaft Gottes, war dieser Weg der allein wahre und wirksame.

10. Du mußtest in der Hölle der Geister und Seelen dieser Erde, gleichwie die Seelen der Kinder dieser Welt, eine gewisse Ausreifung erhalten, mußtest sogestaltig durch die engste Pforte gehen, um als ein veredelter Lebenssaft in die höhere Region des Lebens aufsteigen zu können. Du stehst darum schon als solcher nun vor Gott, dem Herrn alles Lebens.“

Kapitel 238. Das innere Wort. Der Grund der Menschwerdung Jesu.

1. Als Mathael solche seine in sein Herz gelegte Antwort vor den dreien ausgeredet hatte, erstaunte er selbst über solche in sich vernommene Wahrheit und früher nie so klar empfundene innere Rede.

2. Raphael aber sagte zum Mathael: „Siehst du nun, wie sehr der Herr wach ist, so Er nun auch dem Leibe nach schläft, und wie du nun in deinem Herzen des Herrn Rede klar und deutlich vernommen und sie dann auch nachredig mit dem Fleischmunde laut ausgesprochen hast?! Sieh, auf dieselbe Weise vernehmen auch wir des Herrn Wort und Willen lebendigst und tatkräftigst in uns, und zwar also, daß wir dann ganz Sein Wort und Wille werden! Sind wir aber das, so sind wir dann auch als Sein Wort und Sein Wille die dadurch vollbrachte Tat selbst, also Wort, Wille und Tat in einer Form! – Verstehst du, Freund Mathael, nun solches alles rein und hell?“

3. Sagt Mathael: „Wenn man auch bei sich so einer beruhigenden Überzeugung gewärtig wird, als verstünde man nun schon alles, was man nur gleich ansieht, so kommt aber gleich wieder etwas, von dem man noch nie etwas geträumt hat! Aus allem ersehe ich, daß in der göttlichen Weisheit eine so unermeßliche Fülle und Tiefe liegt, daß sie nie ein Geist völlig wird erfassen können! Wir werden demnach ewig in Hülle und Fülle stets Neues zu erlernen und zu begreifen haben! Das ist aber auch ganz gut also!

4. Mir wäre es wahrlich ganz und gar nicht recht, so mir nun alles so klar wie dem Herrn Selbst wäre. Wenn es in der ganzen Unendlichkeit nichts mehr gäbe, das mir unbekannt wäre, da würde ich des Lebens bald satt werden; aber so gibt es eine so endloseste Menge tiefst und dichtest verhüllter Dinge, daß wir mit denselben auch ewig nicht fertig werden, und ich muß es nun offen gestehen, daß danebst und dabei Gottes Seligkeit eine durchaus nicht beneidenswerte sein müßte, wenn wir als Seine Geschöpfe und Kindlein alles so klar einsähen wie Er Selbst, und Seine ewige und unendliche Totalweisheit müßte Ihm zur entsetzlichsten Langeweile werden, wenn Er sie nur für Sich allein zu verwenden hätte!

5. Aber Er erfüllte deshalb den unendlichen Raum mit zahllosen Werken, die Seiner endlosen Weisheit und Macht entsprechen, und erschuf denkende und auch mit vieler Weisheit begabte Wesen. Diese, stets im höchsten Grade ergriffen von solcher Weisheitstiefe und Macht in Gott, forschen und bewundern in einem fort die göttliche Weisheitstiefe und Macht des einen Schöpfers und werden bei jeder neuen Enthüllung wieder zur Bewunderung und Anbetung und zur intensivsten Liebe hingerissen!

6. Nun, dies einzige muß für Gott die eigentliche Seligkeit sein! Für Ihn als den Schöpfer und Vater der Engel, Welten, Menschen und Kinder muß dies allein die größte Wonne sein, alle jene, die Ihn und Seine Worte stets mehr und mehr erkennen und lieben, auch stets seliger zu machen!

7. Um für uns Menschen dieser Erde, für euch Engel aller Himmel und für alle Geschöpfe der ganzen Unendlichkeit eine desto größere Seligkeit zu bereiten, kam Er Selbst als ein Mensch zu uns auf diese Erde, um Sich uns förmlich als Selbst Mensch mit Fleisch und Blut wie ein Mensch dem andern zu offenbaren. Freund, Wesen oder Engel von Ewigkeit, oder Mensch wie ich es bin, das tut der Herr nicht nur unsertwegen, das tut Er auch Seinetwegen; denn Er müßte mit den Zeiten vor Langerweile vergehen, so Er mit Seiner Allwissenheit denn doch in Sich höchst klar gewahren müßte, daß Er als eine im höchsten Grade formlose, ewige, wenn auch vollendetste Intelligenz von Seinen Geschöpfen nie geschaut und noch weniger angesprochen werden könnte und somit auch unerkannt bleiben müßte!

8. Wäre es denn nicht im höchsten Grade traurig für einen irdischen Vater, so er zum Beispiel zwanzig Kinder von großer Lieblichkeit hätte, alle aber wären Blinde und Taube, mit denen der liebevollste Vater nie ein Wort reden und sich ihnen auch als Mensch nicht zeigen könnte?! Stelle man sich solch ein Verhältnis nur so recht lebendig vor: einen überaus wohlhabenden Vater mit zwanzig der Gestalt nach gar wunderschön gebildeten Kindern beiderlei Geschlechts, aber alle taub und blind! Frage: Würde solch ein Vater nicht die größten Summen darauf verwenden, um seine sonst gar so lieben Kindlein hörend und sehend zu machen?! Welche Trauer aber wird er empfinden, so es dafür in der ganzen Welt kein Mittel gäbe, um seine Kinder hörend und sehend zu machen?!

9. Nun, wir Menschen sind zwar hörend und sehend für uns gegenseitig und finden aneinander ein großes Vergnügen – manchmal sogar mehr als nötig –, daß wir sogar darüber des Schöpfers vergessen können; aber der heilig gute Schöpfer, der allweiseste Vater, müßte dieses seligsten Vergnügens für immer völlig entbehren, von Seinen Kindern je erkannt, gehört und gesehen zu werden! Das ginge für einen ewigen Vater voll der höchsten und reinsten Liebe zu Seinen Kindern gar nicht an!

10. In Ihm ist sicher die größere Sehnsucht, uns, Seine Kinder, in dem Stande zu ersehen, der nach Seiner Ordnung uns fähig macht, Ihn zu sehen, persönlich zu lieben und sich Ihm mitzuteilen ohne Schaden für unsere Existenz, – als in uns Kinder zu sehen, die wir noch keinen Begriff vom eigentlichen Grundsein des ewigen Vaters haben.

11. Ich glaube darum keine gar zu sehr aus der Luft gegriffene Behauptung aufzustellen, so ich sage: Der Herr hat nicht unsertwegen allein, sondern auch Seinetwegen Fleisch und Blut angezogen und Sich also begeben auf diese Erde zu uns, Seinen noch freilich stark ungehobelten Kindern! Er hatte dieses schon Ewigkeiten vorausgesehen, was Er tun werde; wir aber sind nun Zeugen der Ausführung des ewig großen Planes! – Sage du, Raphael, ob ich nun wahr oder falsch geurteilt habe!“

Kapitel 239. Der Gedanke der Langweile Gottes.

1. Sagt Raphael: „Nicht du, Freund, hast nun also geurteilt, sondern der Herr Selbst hat dir dieses Urteil ins Herz gelegt, und es muß somit ein richtiges sein!“

2. Sagt auch Murel: „Nein, was man aber hier alles vernimmt, das ist denn doch dieser Welt sehr stark unähnlich! Und doch kann da keine reine Menschenvernunft etwas einwenden! Unsere Langweile, so wir auf einmal Gott gleich weise und allwissend würden, und dagegen auch die Langweile Gottes bei dem immerhin denkbaren Zustande, von Seinen Geschöpfen, Kindern und sogar Engeln nie empfunden, gefühlt, gehört und gesehen zu werden, – nein, das sind wahrlich zwei Ansichten und Urteile, vor denen der tiefer denkende Mensch notgedrungen allen Respekt bekommen muß! So etwas hat wohl nie einem Templer geträumt; und doch ist es richtig! Ich kann da denken nun und schließen, wie ich will, und dagegen keine Einwendung finden, obwohl der Ausdruck ,Gottes Langweile‘ etwas sonderbar klingt! Aber ich kann ihn nun beleuchten, wie ich will, so bleibt er wahr und sehr wahr! Es drängt sich mir nun noch ein recht passendes Beispiel zur Beleuchtung dieser ganz neuen Wahrheit auf, und ich muß es euch zum besten geben!“

3. Sagt Mathael: „Bruder, nur gleich heraus damit! Denn aus einem mit so vielen Erfahrungen bereicherten Gemüte läßt sich nur etwas Reelles, Gutes und für diese Sache sehr Brauchbares erwarten!“

4. Sagt darauf Murel: „Nicht darum eigentlich, aber doch, damit ihr sehet, wie ich dieses alles aufgefaßt habe! Ich stelle mir einen Menschen vor, der mit aller Weisheit begabt ganz allein auf der lieben Gotteserde dastünde. Er möchte sich den andern Menschen, so sie irgend da wären, sicher getreust mitteilen. Er sucht die Erde in allen ihren Winkeln klein durch und findet kein lebendes und denkendes Wesen. Seine große Weisheit wird ihm zur Last; denn was er auch macht und schafft, wird von niemand erkannt und bewundert. Wie müßte solch einem Menschen mit der größern Länge der Zeit wohl zumute werden? Müßte er nicht verzweifeln? Würde ihn die gräßlichste Langweile nicht völlig verzehren?

5. Wie unbeschreiblich angenehm müßte ihm zumute werden, so er endlich irgend nur eine noch so geringe Magd oder auch nur einen derbsten Knecht fände! Mit welch einer unbeschreiblichen Liebe würde er solch einen Fund ergreifen!

6. Oh, da zeigt es sich klar, was ein Mensch dem andern ist, und welch eine Seligkeit in dem Wohltun dem Nächsten besteht!

7. Welch ein erschreckliches Los wäre das, so ein allein dastehender Mensch auf der ganzen Erde keinen zweiten Menschen fände, um ihm eine Wohltat zu erweisen!? Schon darum ist die Liebe ein rein himmlisches Lebenselement, weil die Unmöglichkeit, sich andern tätig mitzuteilen, sie höchst unglücklich machen müßte!

8. Was nützte einem Sänger seiner Stimme ergreifender Klang, was das Erklingen einer wohlgestimmten Harfe, so er sie ewig allein anhören müßte?! Wenn ein Vöglein einsam im Walde von Baum zu Baum hüpft und durch gewisse klägliche Fragetöne seinesgleichen sucht und findet es nicht, da wird es ängstlich, da verstummt es bald, wird traurig und verläßt bald den öden, für ihn leeren Wald.

9. Schon dem Tiere ist so viel Liebe eigen, daß es sich sichtlich sehnt nach seinesgleichen, um wieviel mehr einem mit tiefem Gefühl, mit Verstand und Vernunft begabten Menschen! Was nützten ihm alle die großen Fähigkeiten und Talente, so er damit niemand als nur sich selbst nützen könnte?!

10. Und so auch auf diese meine gegründete Wahrnehmung kann ich denn auch ganz füglich annehmen – das heißt nach unseren menschlichen Begriffen –, daß es Gott dem Herrn am Ende denn doch ganz entsetzlich langweilig werden müßte, trotzdem Er auch die ganze Unendlichkeit voll der höchsten Wunderwelten um Sich hätte, auf ihnen aber kein Wesen bestünde, das Den, der es erschaffen hatte aus Seiner Liebe, erkennete, liebte und eine große Freude hätte an den zahllosen Wunderwerken Seiner Weisheit, Macht und Kraft. Um Ihn aber erkennen und lieben zu können, muß der Schöpfer dem Geschöpfe und der Vater dem Kinde dahin entgegenkommen und Sich ihm auf eine solche Weise offenbaren, bei der es dem Geschöpfe und besonders dem Kinde möglich wird, den Schöpfer, den Vater als solchen zu erkennen.

11. Wird diese Bedingung nicht erfüllt, so hat Gott vergeblich Engel und Menschen, auch alles, was da ist, vergeblich erschaffen; Er bliebe dann ewig so wie so (als Schöpfer wie als Vater) allein, und Seine noch so wunderschönen Geschöpfe wüßten um Ihn ebensoviel, als das Gras weiß um den Schnitter, der es abmäht und zu Heu trocknet.

12. Gott aber hat stets auf den geeignetsten Wegen Sich Seinen nach der wahren Lebensfreiheit ringenden, mit aller Vernunft und allem Verstande begabten Wesen sehr vernehmbar geoffenbart und hat sie auf diese Seine Ankunft vorbereitet. Mit dieser Ankunft ist nun aber auch alles Verheißene erfüllt; die Geschöpfe sehen Ihn wie sich selbst im Fleische und Blute, Er geht ganz als Mensch unter ihnen einher und lehrt sie als Vater von Ewigkeit ihre große und ewige Bestimmung kennen.

13. Auf diese Weise denn ist nun aber auch alles in der größten Ordnung, und es hängt nun allein nur von uns Menschen ab, die angeratenen Lebensmittel ganz gewissenhaft in Anwendung zu bringen, und das große Doppelziel ist erreicht, nämlich: Das Kind hat seinen ewigen, heiligen Vater erkannt, es schaut Ihn mit den liebetrunkenen Augen und freut sich Seiner über alle Maßen; und der Vater freut Sich auch über alle Maßen, daß Er nun nicht mehr allein dasteht, sondern in der lichtvollsten Mitte Seiner Kinder, die Ihn erkennen, loben, über alles lieben und stets von neuem Seine Wunderwerke anstaunen, höchst bewundern und Seine unendliche Macht und Weisheit anpreisen! Und das muß dann ja für den Schöpfer wie für das Geschöpf von Seligkeit strotzen! – Habe ich da falsch oder richtig geurteilt?“

Kapitel 240. Raphaels Missionsfrage.

1. Sagt Raphael: „Ganz vollkommen, also ist es und nicht anders! Aber aus deinem Fleische und Blute hast du das auch nicht geschöpft, sondern aus dem Geiste des Wortes des Herrn. Aber es genügt, daß ihr nun solches wisset! Was ihr aber nun in dieser Sphäre wisset, das behaltet bei euch! Denn um das zu fassen, werden Seelen, wie da sind die eurigen, erfordert; für die andern genügt es, daß sie Gott erkennen und Ihn als Vater über alles lieben. Werdet ihr aber irgend wahrhaft große Seelen finden, so könnet ihr ihnen auch das kundtun, über was wir nun schon über zwei Stunden lang geredet haben. – Aber nun, liebe Freunde, von noch etwas anderem!

2. Ihr werdet auf euren Wegen und Stegen als Mitarbeiter am Reiche Gottes gar oft in die Gelegenheit kommen, daß euch eure Jünger dringlich fragen werden und sagen: ,Eure Lehre ist wohl sehr erhaben, schön und ergreifend; aber die uns von euch gemachte Verheißung geht noch immer nicht in irgendeine Erfüllung. Wir sollen in uns die Stimme des Vaters vernehmen, ja den Vater sogar zu sehen und zu sprechen ward uns verheißen; aber von all dem haben wir bis jetzt noch nichts in Erfahrung gebracht. Wenn eure Lehre Wahrheit enthält, so müssen sich auch eure uns gemachten Verheißungen an uns erwahren (bewahrheiten). Wir beachten alles, und immer noch verspüren wir nichts an uns von einer Erfüllung der uns von euch gemachten Verheißungen! Gebt uns Rede und Antwort, und sagt es uns treu und offen, worin es da liegt, daß sich eure Verheißungen an uns nicht und nimmer erwahren (erfüllen) wollen!‘ – Was werdet ihr in diesem Falle zu ihnen sagen?“

3. Hier machen alle drei große Augen, und Murel sagt: „Freund, so wir auf des Herrn treuestes Wort Verheißungen machen und unsere Jünger die Lehre in der Tat befolgen, so darf der Herr uns ganz natürlich nicht irgend im Stiche lassen, weil es sonst doch offenbar klüger wäre, die Lehre nicht zu veröffentlichen, als den Menschen gegenüber damit aufzusitzen!

4. Und ich möchte sogar hier die ganz aufrichtige Behauptung aufstellen, daß ähnliche göttliche Imstichelassungen stets ein sehr gewichtiger Mitgrund zum Verfalle der Religionen waren! Denn die gemachten Verheißungen sind aus irgendeinem verborgenen Grunde an den Gläubigen entweder nicht völlig und sehr oft auch wohl gar nicht in die Erfüllung gegangen. Nun mußten die Lehrer zu künstlichen Mitteln greifen, um vom Volke nicht auf das schmählichste bedient zu werden! Das kehrte des Volkes Sinn schnell nach außen, und es war dann nichts mehr rein Geistiges mit dem einmal betrogenen Volke zu unternehmen.

5. Das sollte demnach der Herr allen Seinen Ausbreitern Seiner Lehre nicht mehr tun; Er sollte sie nicht mehr im Stiche lassen und besonders in Momenten, wo sie Seine Verheißungen als bestimmt eintreffend als einen Hauptbeweis der Wahrheit und Göttlichkeit aufgestellt haben; denn ich wenigstens möchte lieber ein gemeinster Straßenkehrer als ein bis aufs Blut geplagter Jeremias sein! Und es wäre noch wegen des Seins nichts, wenn man als solcher jemandem irgendeinen Nutzen stiftete; aber da kann von einem Nutzen doch ewig keine Rede sein, wo man der Menschheit nur zum Ärgernis wird!“

6. Sagt Raphael: „Aber, lieber Freund, du kommst in deinem Eifer ja ganz von dem ab, um was ich dich so ganz eigentlich gefragt habe! Der Herr wird das Seinige allzeit und ewig tun, was Er verheißen hat; aber es kommt nun nur darauf an, ob ihr die allzeit vollgültigen Bedingungen genaust kennet, unter denen der Herr die gemachten Verheißungen allzeit gleich in Erfüllung gehen läßt!

7. Denn es kann bei einem Menschen oft von einer Kleinigkeit abhängen, derentwegen eine gegebene Verheißung nicht wirklich in Erfüllung geht; da müßt ihr dann als wahre Lehrer genausten Bescheid wissen, was dem Jünger noch abgeht, darum er noch nicht ein Meister werden kann. Und siehe, dahin eben bezieht sich jene Frage, die ich dir zuvor gegeben habe!“

Kapitel 241. Das Reich Gottes im Menschenherzen.

1. (Raphael:) „Weil ich aber sehe, daß ihr die von mir euch gegebene Frage in keinem Falle mir beantworten könntet, so will ich sie euch denn selbst für euer gewecktes Verständnis als genügend beantworten. Ihr aber müsset solche meine Beantwortung euch wohl merken und recht tief in eure Herzen schreiben, denn es liegt daran gar vieles, ja am Ende alles, daß ihr die Bedingungen genauest kennt, die zur vollen Erreichung der wahren Kindschaft Gottes notwendig sind, weil sie nach der unwandelbaren göttlichen Ordnung notwendig sein müssen.

2. Ihr wisset, daß ein jeder Mensch sich selbst, ganz unabhängig von der Allmacht des göttlichen Willens, frei aus sich nach der anerkannten göttlichen Ordnung ausbilden und ausformen muß, um auf diese Art ein freies Gotteskind zu werden.

3. Das angeratene, kräftigste und somit wirksamste Mittel dazu ist die Liebe zu Gott und im gleichen Maße die Liebe zum Nächsten, sei er ein Mann oder ein Weib, jung oder alt, das ist eins.

4. Der Liebe zur Seite steht die wahre Demut, Sanftmut und Geduld, weil die wahre Liebe ohne diese drei Nebenstücke gar nicht bestehen kann und keine wahre und reine Liebe ist.

5. Wie aber kann der Mensch in sich erfahren, daß er in der reinen Liebe nach der göttlichen Ordnung sich ganz getreulich befindet?

6. Der Mensch prüfe sich, so er einen armen Bruder oder eine arme Schwester sieht oder diese gar zu ihm um einen Beistand kommen, ob es ihn in seinem Herzen ganz offenliebig zum Geben freudigst und maßlos, seiner selbst ganz vergessend drängt! Verspürt er solches in sich, und das natürlich ganz vollkommen ernstlich und lebendig, so ist er als ein wahres Gotteskind schon reif und fertig, und die gemachten Verheißungen, die ein sogestaltig fertiges Gotteskind zu gewärtigen hat, beginnen da in die volle Realität zu treten und sich als wunderbar in Rede und Tat zu zeigen, und ihr werdet dadurch gerechtfertigt als Lehrer vor euren Jüngern erscheinen.

7. Jene Jünger aber, bei denen die Verheißungen nicht offenbar werden, werden sich danach zu richten und es sich selbst zuzuschreiben haben, so bei ihnen die gemachten Verheißungen noch immer nicht zur Sicht gekommen sind; denn sie haben ihr Herz noch nicht völlig geöffnet der armen Nächstenmenschheit.

8. Die Liebe zu Gott und die freiwillige Befolgung Seines erkannten Willens sind das eigentliche Element der Himmel im Menschenherzen. Es ist das die Kammer und die Wohnstube des göttlichen Geistes in einem jeden Menschenherzen; die Nächstenliebe aber ist das Tor in diese heilige Wohnstube.

9. Dieses Tor muß ganz geöffnet sein, damit Gottes Lebensfülle in solche Stube einziehen kann, und die Demut, Sanftmut und Geduld sind die drei weit geöffneten Fenster, durch die vom mächtigsten Lichte aus den Himmeln die heilige Wohnstube Gottes im Menschenherzen allerhellst erleuchtet und mit aller Lebensfülle aus den Himmeln durchwärmt wird.

10. Alles liegt demnach an der freien und freudigst offensten Nächstenliebe; die höchstmögliche Selbstverleugnung ist die Offenbarung der Verheißungen selbst. – Da habt ihr nun die rechte Antwort auf die allerwichtigste Lebensfrage. Überdenket sie und tut danach, so werdet ihr gerechtfertigt vor euch selbst, vor euren Brüdern und vor Gott dastehen! Denn was nun der Herr Selbst tut, das werden auch die Menschen tun müssen, um Ihm ähnlich und also Seine Kinder zu werden. – Habt ihr dies alles verstanden?“

Kapitel 242. Wahres geistiges Leben.

1. Als Raphael solche seine Rede aus Mir vollendet hatte, verwunderten sich die drei allergewaltigst, und Mathael sagte: „Verstanden haben wir diese wahrhaft lebendig heiligen Worte wohl und auch das zum ersten Male vollkommen, was David damit hatte sagen wollen, als er in seinen göttlichen Psalmen sprach: ,Machet die Türen hoch und die Tore weit, damit der König der Ehren einziehe!‘ Aber die lebendige Ausführung! Oh, wo steht diese?! Was gehört dazu, um das lebenswarm auszuführen!

2. Man gibt schon gerade wohl einem armen Menschen etwas, und es ist dann einem auch sogar nicht leid um die Kleinigkeit, die man einem Notdürftigen hat zukommen lassen; aber es hat einen bei weitem mehr der Verstand als irgendein Gefühl der Nächstenliebe dazu angetrieben! O Gott, wie weit ist der Mensch vom Ziele durch seinen Verstand und durch sein kaltes, aller Liebe bares Urteil! Wer einem Armen mit wahrer Bruder- und Nächstenliebe etwas verabreicht und dazu noch eine rechte demutsvolle Freude daran hat, an seinen Brüdern und Schwestern möglichst viel Gutes im Namen Jehovas getan zu haben, und stets den lebendigsten Wunsch in sich hat, noch viel mehr Gutes zu tun und alle seine armen Brüder und Schwestern so glücklich als möglich zu machen trachtet durch alle Freundlichkeit, Rat, Wort und freudigste Tat, ja, wie unermeßlich hoch steht eines solchen Menschen Seele und Geist vor Gott dem Herrn! Aber wo stehen wir noch mit unsern harten Herzen und kleinen Verstandesgaben?!

3. O Freund aus den Himmeln! Du hast uns mit deiner Frage und Selbstbeantwortung derselben ein schönes Wetter gemacht! Jetzt wissen wir es erst so ganz klar, wie wir stehen, und woran wir sind! Herr! – erwecke unsere Herzen und entzünde sie in der wahren und lebendigsten Nächstenliebe, sonst ist Deine ganze, noch reinst göttliche Lebenslehre nichts als ein eitles, moralisch- ästhetisches Wortspiel ohne Kraft und Wirkung!

4. Nun sehe ich auch meinen ganzen Weg des Lebens bis auf diesen Zeitpunkt her; er war ein schon im Grunde des Grundes kleinweg verfehlter, und ich konnte darum zu keinem Ziele gelangen!

5. Nun erst fange ich an, den eigentlich wahren Weg zu erkennen, und weiß nun, worin die Verheißungen und deren Erfüllungen bestehen. Ich weiß nun, was mir selbst noch fehlt, und was denen fehlen wird, bei denen die Verheißungen trotz der angenommenen göttlichen Lehre nicht in Erfüllung gehen werden, und wie sie auf den vollrechten Weg zu bringen sein werden; aber das sehe ich daneben auch ein, daß ich noch sehr viel für mich zu tun haben werde, um in mir selbst ganz in die vollste Ordnung zu kommen!

6. Wohl haben wir einen großen Vorschub in der Sphäre des Glaubens, weil der Herr Selbst hier unter uns wandelt, uns lehrt durch Wort und Tat, – also stehet hier uns auch der ganze Himmel weit offen, und Gottes Engel lehren uns der Himmel Weisheit und des Lebens ewige Ordnung aus Gott; aber das Bilden des Herzens ist uns dennoch ganz allein überlassen! Wir werden aber mit der Hilfe des Herrn auch darin zurechtkommen!

7. Wissen ist etwas anderes und Fühlen auch ganz etwas anderes. Zum Wissen kann man durch, selbst den trockensten, Fleiß gelangen und zur Weltklugheit durch Erfahrungen; aber zum wahren Fühlen gehört mehr als viel lernen und erfahren!

8. Vieles Wissen macht das menschliche Herz nicht fühlen und allzeit recht wollen, und die Erfahrung kann uns im Schlechten wie im Guten klug machen; nur ein rechtes Gefühl belebt alles und ordnet alles und gibt Ruhe und Seligkeit. Darum soll denn schon bei der anfänglichen Bildung des Menschen zum wahren Menschen vor allem auf sein Herz gesehen werden!

9. Denn ist das Herz nicht gleich anfänglich bearbeitet worden, sondern nur der Verstand, so wird das Herz verhärtet und bald nach den Anforderungen des Verstandes hochmütig! Ist aber das Herz einmal hochmütig, so nimmt es dann sehr schwer eine Gefühlsbildung an; da müssen dann schon ordentliche Feuerproben kommen, bestehend in allerlei Elend und Not, und es muß das Herz allerlei Druck verspüren, auf daß es dann wie ein geknetetes Wachs weich, sanft und fühlend werde für die Not und für das Elend des weinenden Nebenmenschen!

10. Wir danken dir und durch dich dem Herrn für diese allerwichtigste Belehrung, durch die ich nun erst ganz klar weiß, was ich zu tun haben werde für alle Zukunft, für mich selbst sowohl als für alle jene, die das herrlichste und reinste Licht durch mich aus Gott empfangen werden.“

Kapitel 243. Von den Haupthindernissen zur Erfüllung der Verheißungen.

1. Sagt Raphael: „Mir gebührt weder ein Dank noch eine Ehre, sondern alles nur allein dem Herrn!

2. Gut aber ist es, daß ihr solches in der wahren Lebenstiefe aufgefaßt habt! Mit diesem Mittel werdet ihr allezeit jedem begegnen können, der da kommen und sagen wird: ,Freund, wohl habe ich bisher alles getan und geglaubt, was du mich gelehrt hast; aber von den verheißenen Wirkungen hat sich bis zur Stunde keine einzige eingestellt! Was soll ich denn noch tun? Ich habe meine gute, alte Lehre meiner Väter verlassen, in der sie gar oft allen Trost, den besten Rat und die nötige Hilfe in allerlei Nöten fanden, und diese neue Lehre läßt mich samt meinem Nachbar als Waise; keine Bitte wird irgend erhört und kein finsterer Zweifel erhellt! Wo ist dein so herrlicher Gott, von dem aus du uns alles Glück verheißen hast und anderes Wunderbares?!‘

3. Du aber wirst ihm dann leicht also antworten können: ,Freund, daran schuldet nicht die Lehre, sondern dein Unverstand! Wohl hast du die Lehre in deinen Verstand aufgenommen, und hast auch versuchsweise sogar streng danach gehandelt und wartetest auf die vorteilbringende Erfüllung der Verheißung; du tatest jedoch das Gute der Lehre nur der vorteilbringenden Verheißung, nicht aber des Guten willen! Du warst nur tätig aus deinem Verstande, nie aber noch aus deinem Herzen! Dieses blieb in sich hart und kalt wie vor dem Empfange der rein göttlichen Lehre; daher auch gelangtest du weder durch die Tat noch durch den toten und blinden Glauben zu einer Erfüllung der dir gegebenen Verheißungen!

4. Erwecke nun dein Herz! Tue alles, was du tust, aus dem wahren Lebensgrunde! Liebe Gott Seiner Selbst willen über alles und ebenso deinen Nächsten!

5. Tue das Gute des Guten willen aus deinem Lebensgrunde heraus, und frage nicht ob deines Glaubens und ob deiner Tat nach der Erfüllung der Verheißung, ob sie wohl kommen werde oder nicht! Denn die Erfüllung ist eine Folge dessen, daß du lebendig im Herzen glaubst, fühlst und aus dem lebendigsten Liebesdrange heraus tätig wirst. So aber, wie du bis jetzt geglaubt hast und tätig warst, warst du gleich einem Menschen, der im Traume geackert und gesät hat und wollte dann im wachen Zustande ernten, fand aber weder Acker noch die gesäte Frucht.

6. Des Menschenverstandes Wissen, Glauben und Handeln ist eine eitle Träumerei und ist kein Lebensnutz darin. Alles muß der Mensch sich zum Herzen nehmen, in dem das Leben weilet; was er ins Herz legt, wird aufgehen und die verheißenen Früchte tragen.

7. Wer da nicht also sein Leben zu ordnen versteht oder verstehen will und ist selbstsüchtig auch durch den Glauben und durch sein Denken, der wird nie zu einer Erfüllung der Verheißung gelangen; denn sie ist die Frucht der Tätigkeit des Herzens!‘

8. Wenn ihr dem, der euch nach der noch nicht erfolgten Erfüllung der Verheißung fragen wird, also antworten werdet, so wird er euch dann in Frieden lassen und zu trachten anfangen, in seinem Herzen wahrhaft tätig zu werden.

9. Wird er das, so wird sich dann bei ihm selbst schon zu zeigen anfangen, daß die Verheißung der Gotteslehre kein eitel leeres Versprechen ist; wird er aber fortfahren, nur allein seinen Verstand zu Rate zu ziehen und danach tätig zu sein, so wird er es sich selbst zuzuschreiben haben, so er zu keiner Erfüllung der gemachten Verheißung sein ganzes Erdenleben hindurch gelangen wird – und auch jenseits sehr schwer! – Saget, ob ihr dies alles wohl so recht aus dem Lebensgrunde verstehet!“

10. Sagt endlich auch einmal Philopold: „O Freund aus den Himmeln! Wer sollte das auch nicht verstehen! Wer wie du nur mehr im Herzen lebt, denkt und fühlt, der versteht alle Lebensangelegenheiten des Herzens gar leicht und klar; wer aber nur in seinem Gehirne lebt, denkt und fühlt, dem sind die Lebensangelegenheiten ohnehin soviel wie ein lächerliches Nichts. – Wir haben nun diese Sache ganz handgreiflich klar abgehandelt, und wie ich es merke, so fängt es nun schon im Osten zu dämmern an, und der Morgenstern steht schon bedeutend hoch. Daher glaube ich, daß wir nun auf etwas anderes übergehen sollten!“

Kapitel 244. Der freie Wille eines Engels.

1. Sagt Murel: „Ja, ja, es wäre das wohl recht herrlich, gut und schön, wenn man nur so recht wüßte, auf was! Wie wäre es denn, so uns der liebe Freund aus den Himmeln etwas von dem Morgensterne bekanntgäbe? Denn so wir Lehrer des lebendigen Gotteswerkes werden, da können wir nie zuviel von allem möglichen wissen! Denn wir werden es mit allerlei Geistern zu tun bekommen, die uns über allerlei Dinge befragen werden. Werden wir ihnen nicht eine genügende Aufhellung zu geben imstande sein, so werden sie uns fliehen, verspotten und verachten; werden wir ihnen aber über alles eine genügliche Aufhellung zu geben imstande sein, so werden sie uns dann auch in andern Dingen hören und annehmen unser Evangelium! Was würdest du, Philopold, jenem zur Antwort geben, der dich fragte, was der Morgenstern denn doch an und für sich sei?“

2. Sagt Philopold: „Freund! Da würde ich ihn darauf hinweisen, daß er solches alles aus sich und aus seinen inneren Wahrnehmungen erfahren wird, so er nach der Lehre des Heils aus den Himmeln sein Leben einrichten werde; werde er aber solches nicht tun, so nütze ihm auch all mein Erklären nichts, weil er sich von allem keine Überzeugung verschaffen könne. Mit dem blinden Glauben ist aber ja ohnehin niemand etwas gedient; denn heute glaubt er es, morgen aber kommt ein Stärkerer über ihn, und er glaubt dann dem Stärkeren aufs Wort, freilich mit nicht mehr Nutzen für sein Leben, als er tags zuvor uns geglaubt hat.

3. Der Mensch muß daher dahin geleitet werden, daß er das Wesen der nahen wie der fernen Dinge in sich erschaue, ihrer bewußt werde und sie dann beschaue aus der lebendigen Helle solch eines inneren Bewußtseins. Hat er es dahin gebracht, was eben keine Unmöglichkeit ist, so braucht er dann unsern Unterricht darüber nicht!

4. Wir tun meiner Ansicht nach genug, wenn wir dem Menschen den vollrechten und klaren Lebensweg zeigen, alles andere wird sich dann schon von selbst machen, wie auch unser Himmelsfreund mit dem gar herrlich gezeiget, daß man gewisserart nur eine rechte Frucht in einen Acker zu legen brauche, und sie gebäret und reift sich dann von selbst weiter aus. Aber für uns selbst und zu unserer Stärkung kann der Himmelsbote uns ebensogut die Augen für die Ansicht des Morgensternes öffnen, wie er einst durch die Galle eines Fisches dem alten Tobias die Augen geöffnet hat; denn er scheint mir derselbe Raphael zu sein, der einst den jungen Tobias geführt hat!“

5. Sagt Mathael: „Du kannst aber auch vollkommen recht haben! Die Namen sind dieselben, und die Weisheit ebenfalls, und so ist unser himmlischer Freund schier ein wahrer Augenarzt und kann uns den Morgenstern schon ein wenig näher beleuchten, so er will und darf! Denn bei ihm kommt streng alles auf des Herrn Willen an; er selbst hat keinen eigenen, so wie wir für uns wohl einen vollkommen ganz eigenen und allerfreiesten Willen haben.“

6. Bemerkt hierzu Raphael: „Hast ganz gut geredet; aber gar so unfrei ist im Grunde auch mein Wille nicht, wie du es verstehst! Ich bin auch ein Gefäß und nicht etwa nur eine purste Ausstrahlung des göttlichen Willens. Ich fühle gar wohl, was ich will, und was dann der Herr will.

7. Ich nehme aber nur des Herrn Willen leichter, bestimmter und schneller wahr denn ihr Menschen und unterordne dann dem Willen des Herrn urplötzlich ganz und gar den meinen, und dadurch bin ich dann ebensogut wie eine pure Ausstrahlung des göttlichen Willens zu betrachten; aber dessenungeachtet habe ich einen ganz freien Willen und könnte wider den Willen des Herrn so wie ein Mensch handeln. Aber das kann dennoch nicht geschehen, weil ich die Weisheit in einem so hohen Grade besitze, daß ich als Selbstlicht aus dem göttlichen Urlichte zu sehr die ewige, unwandelbare Gerechtigkeit des göttlichen Willens, als das allerhöchste Lebensgut aller Menschen, Engel und Welten, erkenne und darum aus meiner höchst eigenen Bestimmung nur den wohlerkannt göttlichen Willen in Vollzug bringe und dann den meinen stets dem göttlichen vollkommenst unterordne.

8. Wenn ihr darum wollet, daß ich euch enthülle den Morgenstern, den die Heiden ,Venus‘ nennen, so kann ich solches schon auch tun aus meinem Willen, so des Herrn Wille nicht dagegen ist; wäre aber das der Fall, so möchte ich euch wohl keine Aufhellung geben. Also rede ich zu euch, was ich rede, auch aus meiner Erkenntnis und Weisheit, die aber freilich wohl keine andere als nur die göttliche sein kann, weil mich stets nur der göttliche Wille durchglüht und mich zum Handeln und Reden bestimmt. Wenn ihr sonach den Morgenstern in der Natur und Wirklichkeit erkennen wollet, so will ich euch schon den Gefallen tun und ihn euch zeigen.“ – Sagen alle drei: „Tue das, lieblichster Freund aus den Himmeln!“

Kapitel 245. Auf der Venus.

1. Hier legte Raphael jedem seine Hände auf die Stirne und Brust zugleich, und im selben Momente befanden sich die drei mit der Sehe ihrer Seele auf dem Planeten Venus und besahen gar wohl dessen Boden, Geschöpfe und Einrichtung, hörten sogar die dortigen Menschen reden, und das gerade in einer Versammlung zur Verehrung des großen Geistes aller Geister. Und was da gesprochen ward, lautete: „Ihr Menschen dieser schönen Erde, die der große Geist erschuf nach dem Maße Seines Auges, wir sind hier versammelt, um diesem großen Geiste unser Lob und unsere Verehrung darzubringen! Höchst mächtig und weise aber ist der große Geist; darum können wir Ihn auch nur dadurch ehren, daß wir in aller Handlung uns Ihm gegenüber als Selbstweise bezeigen. Die wahre Weisheit aber besteht in der größtmöglichen Ordnung; der höchste Grad dieser Ordnung aber ist das Ebenmaß. Betrachten wir uns selbst als den Kulminationspunkt aller Schöpfung dastehend! Welch ein Ebenmaß in unserem Gliederbau! Wie ähnlich sieht doch ein Auge dem andern, ein Ohr dem andern, eine Hand der andern, ein Fuß dem andern! Betrachten wir unsere Gestalt! Wer kann sagen, daß zwischen uns nicht die höchste physiologische (natürliche) Ähnlichkeit obwalte? Wäre nicht in unseren Charakteren und Temperamenten ein Unterschied, so würden wir uns nicht voneinander unterscheiden können!

2. Wir sehen aus dem, wie aus vielen andern Dingen, daß des großen Geistes Weisheit am vollkommensten Ebenmaße das größte Wohlgefallen haben muß, und so wollen wir denn in allem, was wir tun und errichten, das strengste Ebenmaß beachten! Niemand erbaue sein Haus auch nur um ein Haarbreit größer denn sein Nachbar, gebe ihm auch keine andere Gestalt und setze es ja nicht um ein Haar außerhalb oder innerhalb der geradesten Linie; denn solches würde dem Großgeiste mißfallen, und Er würde nicht segnen solch ein unordentliches Haus.

3. Also merken wir es auch allen Geschöpfen an, daß dem Großgeiste die runde Form die liebste ist; denn je vollendeter ein Geschöpf ist, desto ausgezeichneter ist es auch in der Rundung seiner Form. Daher sollen auch wir allem, was wir machen, eine Abrundung geben; denn daran hat der große Geist ein ganz besonderes Wohlgefallen und muß es haben, weil wir, als Wesen nach Seinem Maße geschaffen und mit Seinen Sinnen begabt, auch nur an den Rundungen das größte Wohlgefallen haben. Es ist daher ein Gebot, alles, was wir machen, ganz gehörig abzurunden. Wer etwas Eckiges und gar Spitziges ohne Not und rechtmäßige Erlaubnis zustande bringt, der zieht sich das Mißfallen und den Zorn des großen Geistes zu!

4. Also sehen wir ferner, daß dem großen Geiste die schöne weiße Farbe, hie und da etwas gerötet, unfehlbar die allerangenehmste sein muß, weil Er uns als Seinen vorzüglichsten Geschöpfen eine solche Farbe gegeben hat. Also müssen wir diese Farbe in unserer Kleidung vor allem besonders beachten und erwählen und dürfen uns nicht verleiten lassen, etwa irgend andere Farben auf unsere Kleider zu geben; denn auch dies wäre dem großen Geiste unangenehm!

5. Also sollen wir uns der ganz geraden Linie nur dort bedienen, wo sie am nötigsten ist, so wie sich auch der große Geist ebenfalls nur dort einer ganz geraden Linie bedient, wo sie unumgänglich nötig ist! Überall anderswo bemerken wir Abrundungen, und es ist daher notwendig, um in allem dem großen Geiste ähnlich und vollkommen zu sein, auch dieses Maß und diese Form möglichst streng zu beachten.

6. Wir aber wissen, daß wir alles das genauest nur durch die vollendete Kunde im Rechnen und geschickten Messen erreichen können. Also ist es wieder eines jeden strengste Pflicht, diese Kunst und Wissenschaft vor allem zu betreiben; denn ohne diese müßte ein Mensch in einem Tage dem großen Geiste tausend Male häßlich und verächtlich erscheinen! Denn der große Geist sieht alles und bemißt in jedem Augenblicke alles; wo Er eine Lässigkeit in solcher Ihm allein wohlgefälligen Ordnung antrifft, zieht Er Sein Auge ab und somit auch Seinen Segen, ohne den nichts gedeihen kann!

7. Sind wir aber in diesen Hauptstücken in der vollsten Ordnung, so versteht es sich von selbst, daß wir auch in unserem Denken und Wollen in der Ordnung sein müssen; denn das äußere vollkommene Ebenmaß in allem muß notwendig das innere der Seele zur Folge haben, auf das natürlich der große Geist vor allem sieht.

8. Wie bald würde sich Hochmut und eine verderblichste Geringachtung eines Menschen gegen den andern einschleichen und Armut, Elend und Mittellosigkeit; nur durch die strengste Beachtung des Ebenmaßes in allem wird solches Arge stets von uns ferngehalten, und wir leben also alle glücklich, da niemand sich etwas einbilden kann, daß er etwa vorzüglicher sei denn sein Nächster.

9. Wo der große Geist Selbst ein Unebenmaß als notwendig verordnet hat, dort bringt es uns auch keinen Schaden, sondern nur einen Nutzen. Also können wir nicht alle gleich alt sein. Es ist dies zwar in der strengen Ordnung ein Fehler; aber der wird vom großen Geiste dadurch völlig ausgeglichen, daß das Alter, an Kenntnissen und Erfahrungen reich, die Jugend ebenso reich macht, als es selbst ist!

10. Und so gibt es noch mehrere ähnliche Unebenheiten in dem Gleichmaße der Ordnungen des großen Geistes; aber sie dienen uns nur zur Belehrung, daß es auch neben der höchsten Ordnung Unordnungen gibt, die aber nicht darum gesegnet sind, weil sie zugelassen sind, sondern nur, daß wir an ihnen das Schlechte leichter erkennen. Niemand soll mit einem zerrissenen Gewande einhergehen, sondern alsbald das Loch verstopfen mit einem gleichen Lappen, so er sich kein neues Kleid anfertigen kann!

11. Es ist aber bei mehreren bemerkt worden, daß sie, wenn sie einen weitern Weg zu machen haben, sich eines Schupf- oder Stützstockes bedienen. Das ist etwas Unordentliches und solle vermieden werden! Wer sich altershalber schon eines Stockes bedient, der nehme zwei ganz gleiche Stöcke, in jede Hand einen des Gleichmaßes wegen, um vor den Augen des großen Geistes nicht mißliebig zu erscheinen!

12. Auch ward bemerkt, daß einige ihren Gärten eine andere Einrichtung geben und sie anders ordnen, als da geordnet sind die schönen Gärten der ganz ordnungsliebenden Nachbarn. Daran hat der große Geist kein Wohlgefallen, auch könnte dadurch zwischen euch sich Neid und Eifersucht entwickeln, was vor dem großen Geiste schon gar etwas Entsetzliches wäre! Darum haltet darauf, daß in euren Gärten und auf euren Äckern eine gleiche Ordnung sei! Wenn gar lieblich so Gärten und Äcker geordnet stehen, so findet des großen Geistes Auge ein rechtes Wohlgefallen daran, und der Segen kommt mit dem Wohlgefallen.

13. Auch in euren Häusern treffet eine solche Ordnung, daß, so ein Nachbar des andern Haus betritt, es ihm nicht fremd vorkomme darin, sondern ganz so heimisch wie in seinem eigenen Hause! Das sieht der große Geist auch mit großem Wohlgefallen an; denn ihr alle seid eine Familie vor dem großen Geiste und sollet euch gegenseitig nie entfremden.

14. So da auch jemand zu uns käme vom Ende der Welt, so muß es ihm dennoch also vorkommen, als wäre er in seiner vollen Heimat und in seinem eigenen Hause! So etwas sieht der große Geist gerne, und Sein Segen bleibt nicht unterm Wege.

15. Es haben sich an einem großen Wasser wohl einige unterfangen, fremdartige Gebäude zu erbauen, die die Gegend zieren; aber der große Geist hat kein Wohlgefallen daran. Was aber dem großen Geiste nicht gefällt, daran sollen denn auch wir kein Wohlgefallen haben!

16. Die zahmen Haustiere pfleget wohl und behandelt sie wohl; denn auch sie sind Werke des großen Geistes und sind bestimmt, euch nützlich zu sein. Sie sind lebendige Werkzeuge zu unserem Nutzen, und wir müssen sie darum in allen Ehren halten.

17. Also soll auch niemand ohne Not ein noch so kleines Pflänzchen zerstören; denn so etwas wäre ein Undank gegen den großen Geist, für den wir auf keinen Segen zu rechnen hätten. Die Wege aber sollen rein erhalten werden, und ihr sollet darauf nie ein Gras wachsen lassen, auf daß es nicht zertreten und in seinem Wachstume gestört werde! Tut alles das genaust, und ihr werdet nie eine Not unter euch haben!

18. Betrachtet meine Worte als den mir für euch geoffenbarten Willen des allweisesten und allmächtigsten großen Geistes, und handelt strenge danach, so werdet ihr hier glücklich sein und jenseits selig dort in jener Welt, von der uns die Seelen der von uns Geschiedenen sagen, daß sie über alle Maßen schön und herrlich sei, und in der wir auch zu öfteren Malen den großen Geist und Seine lichtvollsten Diener werden zu Gesichte bekommen.

19. Am Schlusse aber muß ich euch noch etwas kundtun, was mir ein heller Geist kundgemacht hat schon vor längerer Zeit einmal und nun abermals, und zwar um vieles bestimmter denn ein früheres Mal. Ihr sehet wohl zur Nachtzeit den glänzenden, großen Stern, den ein kleiner begleitet. Die schöne, helle Kapra (also nennen die Venusmenschen diese Erde) kennet ihr nur zu gut; aber ihr alle wisset nicht, was die Kapra ist. Auch ich wußte es früher nicht. Aber der Geist sagte es mir und zeigte mir in einem traumartigen Zustande die Kapra als eine ebenso große Welt und Erde, wie die da ist, die uns trägt.

20. Der kleine, die Kapra stets begleitende Stern ist ebenfalls eine Erde, aber bedeutend kleiner als die Kapra selbst. Diese kleine Erde ist sehr kahl und zur Hälfte vollkommen wesenleer.

21. Auf der großen Kapra aber zeigte mir der Geist einen Menschen und sagte: ,Siehe, dies ist der Herr! In Ihm wohnt die Fülle des ewigen, großen Geistes. Von nun an wird dieser Geist in vollkommenster Menschengestalt allen Seinen vernünftigen Geschöpfen wie ein Mensch dem andern zugänglich sein. Die Menschen der Kapra aber sind zumeist wie Seine Kinder, und es wird allen eine große, göttliche Macht erteilt, wenn sie, diese Kinder, den Willen dieses Menschen aller Menschen erfüllen; die den Willen aber nicht erfüllen, die bleiben dumm und schwach und werden nicht zu Kindern angenommen, sondern sie bleiben gleich den Seelen der Tiere so lange Tiere, bis sie den Willen des großen Geistes, der in dem Einen Menschen wohnt, vollends zu ihrem eigenen machen!‘

22. Wir Menschen sollen darum stets eine besondere Achtung vor der schönen, hellen Kapra haben! Wir sollten aber den großen Geist, der nun als ein vollkommenster Mensch auf jener Kapra wohnt, auch lieben wie hier ein Weib den Mann und ein Kind den Vater und die Mutter, dann würden auch wir vermögend werden, den großen Geist dereinst als einen Menschen zu sehen und zu sprechen, – was unsere zu erwartende Seligkeit sehr vermehren würde; ja, der Geist, der mir solches offenbarte, sagte sogar, daß es für manche von unserer Erde nicht unmöglich werden dürfte, den Kindern der Kapra gleichgestellt zu werden.

23. Da ihr solches nun durch euren allzeit wahrhaftigsten Lehrer und Führer erfahren habt, so glaubet es, und bezeuget in eurem Gemüte jenem Sterne eine Achtung, damit von dessen Lichte uns Strahlen des Segens und der Gnade reichlich zufließen mögen!“

Kapitel 246. Die Vorteile der Venusordnung.

1. Als solches der Lehrer und Führer auf der Venuserde seiner Gemeinde kundgemacht hatte, wurden die drei vom Raphael wieder erweckt. Es war unterdessen aber schon recht helle geworden und keine Stunde Zeit mehr bis zum Aufgange, und Mathael verwunderte sich groß über das, was er nun in einem höchst lebhaften Traume gesehen hatte. Er erzählte den Traum, und beide, Murel und Philopold, verwunderten sich noch gewaltiger, weil sie auch auf ein Haar dasselbe gesehen und gehört hatten, was Mathael als seinen Traum kundgab.

2. Raphael aber sagte: „Nun, wie gefiel es euch auf dem Morgenstern?“

3. Sagt Mathael: „Ja, wenn das unfehlbar der Morgenstern war, woran ich nun gar nicht mehr zweifle, so gefiel es mir ganz wohl, und die Menschen mit ihrer Lehre und strengen Beachtung des Ebenmaßes sind durchaus nicht dumm und müssen sich gleichfort höchst sittenrein verhalten; denn bei solchen Umständen ist eine Sünde eine barste Unmöglichkeit! Mir würde aber bei solch einem Lebensverhältnisse unerträglich langweilig; ein ewiges Einerlei und kein Fortschritt, das ist so ein Amphibienleben! Eine Schnecke und ein Venusmensch haben offenbar ein und dasselbe Bedürfnis; was darüber hinausgeht, geht beide nichts mehr an. Nein, Freund Raphael, der Morgenstern leuchtet sehr schön und ist von dieser unserer Erde aus ungemein herrlich anzusehen; aber als Welt mit seinen Menschen und andern Geschöpfen gefällt er mir wohl gar nicht!

4. Es ist zwar wohl wahr, daß bei solch einer Verfassung unter den Menschen jener Welt ewig nie ein Krieg ausbrechen kann, da dort eben auch von einer Sünde nie eine Rede sein kann; aber mir ist dennoch ein rechter Sünder auf dieser Erde um vieles lieber als ein solcher Venusmensch bei aller seiner Sittenreinheit! Solch eine Sittenreinheit kann auch keinen Wert haben, weil neben ihr keine geistige Vollendung Platz greifen kann; denn könnte da ein Mensch vollendeteren Geistes werden, so müßte er bei solch einem symmetrischen Benehmen und Handeln der gesamten Menschheit des Morgensternes total verzweifeln, weil es ihn nach vorwärts drängen würde, und er müßte auf dem Flecke stehenbleiben wie ein Baum!

5. Ein geistig vollendeter Mensch auf der Venuserde gliche auch einem Baume, der denken und begehren könnte, aber mit seinen Wurzeln dennoch am Boden befestigt stehenbleiben müßte!

6. Sage uns, lieber Freund, haben denn die Venusmenschen gar keinen Geist, keine Liebe, keinen freien Willen und keine Begierde?! Sie müssen ja doch denken können und zählen, weil ihr Lehrer ihnen die Rechenkunde vor allem auf das sorglichste anempfohlen hat; können sie aber das, so muß bei ihnen ja auch irgendein geistiger Fortschritt denkbar sein!?“

7. Sagt der Engel: „Allerdings, – aber sie wollen keinen äußerlich scheinenden, sondern nur einen inneren allein; denn sie sagen und erkennen, daß ein äußerlich ersichtlicher Fortschritt dem inneren des Geistes hinderlich sei. Man mache alles Äußere so stereotyp (gleichförmig) und abgemarkt als möglich, richte es ein nach dem Bedürfnisse des Leibes, – aber man gehe darin dann auch um keinen Schritt mehr weiter, denn jeder Fortschritt im Äußern und Materiellen sei ein Rückschritt des Geistigen, Inneren.

8. Bei den Menschen, die das Äußere zu sehr kultivieren, herrscht im Innern die gewissenloseste Barbarei. Mit einem innern stillen Geistesvorzuge begabt, hat ein Volk noch nie irgendeinen neidischen Nachbar zum Kriege gelockt; wenn aber einmal ein Volk seine innere Geistesgröße durch leicht ausführbare Außenwerke an den Tag gestellt hatte, da weckte es damit auch gleich die Eifersucht eines Nachbarvolkes, und der Krieg war fertig! Wenn nun das bei den Venusmenschen nie der Fall ist und sein kann, sind sie darum schlimmer daran als die Menschen dieser Erde?

9. Dort hat der Mensch gar keinen äußern Vorzug, weder in seiner Gestalt noch in seiner Kleidung und Wohnung; daher wird dort alles nur nach dem innern Werte geschätzt. Zufolge der gleichen äußern Bildung haben auch alle Menschen eine völlig gleiche Gestalt, die durch die ewig gleiche Kleidung noch sich ähnlicher aussehend gemacht wird, als sie im Grunde ist.

10. Menschen, die nicht durch allerlei Leidenschaften verzehrt werden, werden sich auch im Außentypus wie Brüder und Schwestern ähnlich sehen. Je mehr aber irgend die sogenannte äußerliche Form der Menschen untereinander verschieden ist, desto mehr ist dies auch ein Zeichen der inneren Zerfahrenheit, weil jedwedes Innere sich nach den Außenbestrebungen gerichtet hat, die sich aber nie ähnlich werden können, weil des Menschen nie zu sättigende Habgier, Neid, Mißgunst, Hochmut, Stolz, Hoffart und Herrschlust daran kleben.

11. Wenn du einen grünen Mantel trägst, dein Nachbar einen blauen und ein dritter einen roten, so werdet ihr bald wegen der Vorzüglichkeit einer oder der andern Farbe in einen Zank und Hader geraten; habt ihr aber alle drei von einer und derselben Farbe einen gleichformierten Mantel, so wird es euch nicht im Traume einfallen, untereinander über den größeren oder niederen Wert der Farben und der Formen einen dummen, nichtssagenden Hader anzufangen, und es wird euch Zeit bleiben, über bessere Dinge und Sachen zu reden.

12. Ihr habt auf der Venuserde die völlige Ähnlichkeit aller von euch gesehenen Menschen und deren Physiognomien gesehen. Ein Mann sah dem andern so ähnlich wie ein Auge dem andern, ebenso ein Mädchen und ein Weib; überall eine und dieselbe Form, aber an und für sich höchst schön und vollkommen. Das ist ebenfalls sehr gut.

13. Auf dieser Erde macht die Verschiedenheit der Formen, nach dem Grade der eingebildeten minderen oder größeren Schönheit, nicht selten den Grund des Zankes, der Liebe, des Hasses, der Verabscheuung oder einer übertriebenen äußeren Bevorzugung und Hinneigung aus; auf der Venuserde ist von alledem keine Spur. Die Menschen lieben sich dort nur nach dem innern Grade der Weisheit; je mehr jemand von der Güte, Macht und Weisheit des großen Geistes zu erzählen weiß, und je sanfter und demütiger er wird, einen desto größeren Wert und eine desto größere Achtung hat er von seiner Gemeinde! – Sagt mir, ob das nicht auch eine höchst weise Einrichtung von seiten des Herrn ist!“

14. Sagt Mathael: „Allerdings, und ich möchte, daß nun auf unserer Erde eine gleiche Einrichtung bestände! – Aber nun erhebt Sich der Herr und alles Volk mit Ihm! Nun heißt es Aug' und Ohr offen halten, denn es wird sicher gleich etwas unternommen werden! – Die neun Ertrunkenen?!“